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Das Altern der Gesellschaft als sozio-kulturelle Herausforderung

Lebensformen, Lebensläufe und Altersbilder im Wandel

©2006 Diplomarbeit 92 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
„Denn der unaufhaltsame, sich von Tag zu Tag beschleunigende Verfall der Bevölkerung, die Überalterung unserer Gesellschaft, die graue Revolution wird das Antlitz Europas stärker verändern als die französische, die russische oder die osteuropäische Revolution, wird größere gesellschaftliche Veränderungen anrichten als der Erste und Zweite Weltkrieg zusammen“ (Tichy, 2001).
Dieses Zitat ist nur eines von vielen, welche den demografischen Wandel in beinahe „apokalyptischer“ Weise beschreiben. Ein Wandel, welcher sich bereits jetzt vollzieht und sich in Zukunft verstärken wird. Die Bevölkerung Deutschlands altert und wird in Zukunft zunehmend altern. Ausgelöst durch Geburtenzahlen, Rentenprojektionen, sowie Literatur und Berichterstattung oben aufgezeigter Art, gerät das Phänomen Alterung der Gesellschaft zunehmend in den Fokus des öffentlichen Interesses. Dabei wird meist ein pessimistisches Bild über das Altern der Bevölkerung dargestellt.
Der aus der Alterung resultierende Verfall unserer Kultur und Gesellschaft wird als feststehendes Ereignis prophezeit – nicht als Herausforderung. Ziel der hier vorliegenden Arbeit ist es, dem Leser ein umfassendes Bild über den demografischen Wandel und den sich hieraus ergebenden Folgen und Herausforderungen an Kultur und Gesellschaft zu vermitteln. Anspruch der Arbeit ist es, die tief greifenden Veränderungen und Folgen unter objektiver Betrachtung darzustellen, ohne dass persönliche Meinungen des Verfassers Einfluss nehmen. Hiermit soll dem Leser keine positive oder negative Meinung über die demografische Entwicklung suggeriert werden. Es wird eine Vorstellung der durch demografische Prozesse hervorgerufenen gesellschaftlichen Veränderungen vermittelt, jedoch kein generelles und abschließendes Urteil des Autors. Basierend auf Literatur der Demografie, Soziologie, Gerontologie und weiteren Wissenschaftsdisziplinen sollen die Wandelungen unserer Gesellschaft aufgezeigt werden, die mit dem demografischen Alterungsprozess einhergehen.
Die Alterung der Gesellschaft wurde durch kulturelle Entwicklungen hervorgerufen. Daher wird in dieser Arbeit auf gesellschaftliche Entwicklungen der Vergangenheit zurückgegriffen, sowie Einblick in die momentane und – so weit möglich - auch zukünftige Entwicklung gegeben. Ziel der Arbeit ist es nicht, eine Lösung des Problems zu erörtern. Vielmehr sollen Ursachen, welche selbstredend gleichzeitig Lösungsansätze bieten, der demografischen Entwicklung […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Philipp Schinkel
Das Altern der Gesellschaft als sozio-kulturelle Herausforderung
Lebensformen, Lebensläufe und Altersbilder im Wandel
ISBN-10: 3-8324-9900-8
ISBN-13: 978-3-8324-9900-6
Druck Diplomica® GmbH, Hamburg, 2006
Zugl. Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, Mannheim, Deutschland,
Diplomarbeit, 2006
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© Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2006
Printed in Germany

1
Abstract
Hervorgerufen durch sinkende Geburtenraten bei steigender Lebenser-
wartung kommt es in Deutschland zu einem demografischen Umbruch,
wie es ihn in dieser Form noch nie zuvor gegeben hat ­ der Alterung der
Gesellschaft. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit daraus ergeben-
den kulturellen und gesellschaftlichen Veränderungen und Herausforde-
rungen.
Zunächst wird die demografische Entwicklung Deutschlands dargestellt.
Bereits hier wird deutlich, wie stark demografische Veränderungen durch
kulturelle und gesellschaftliche Wandelungen hervorgerufen werden. Die
demografische Alterung der Gesellschaft ist kein evolutionärer, sich zufäl-
lig ergebender Prozess, sondern das willkürliche Verhalten vergangener
Generationen, welches sich auch heute nicht zu verändern scheint. Schon
jetzt ist sicher, dass in Zukunft das Ausmaß der Alterung steigt und die
Bevölkerung schrumpft.
Hierauf aufbauend erfolgt eine Analyse der weitreichenden gesellschaftli-
chen Folgen und Herausforderungen. Nicht die umfassende Darstellung
der durch den demografischen Wandel hervorgerufenen Krise des Sozial-
systems, sondern die Veränderungen der Lebensformen, Lebenslagen
und Lebensläufe stehen im Vordergrund; ohne dass Folgen zuerst ge-
nannter Art zu sehr vernachlässigt werden. Insbesondere wird auf die heu-
te ältere und mittlere Generation eingegangen. So werden Folgen der ver-
änderten Altersstruktur auf Lebensform und Lebenslage Älterer aufgezeigt
und gleichzeitig Veränderungen im Lebenslauf dargestellt. Hierbei wird
stets auf gesellschaftliche Entwicklungen der Vergangenheit zurückgegrif-
fen, die aktuelle Lage dargestellt, sowie ­ vor dem Hintergrund weiterhin
zunehmender Alterung ­ ein Blick in die Zukunft gerichtet.
Die momentane Gesellschaft ist von einer Jugendkultur geprägt, welche
dem Alter und Altern ablehnend gegenüber steht. In Anbetracht der Tat-
sache zunehmender Zahl Älterer, bei gleichzeitig abnehmender Zahl Jün-
gerer, wird diese Situation und deren Folgen auf die Gesellschaft erörtert.
Als wichtigstes Ergebnis der vorliegenden Arbeit gilt festzuhalten, dass die
gegenwärtige Generation Älterer noch nicht allzu sehr von negativen
Auswirkungen der demografischen Entwicklung betroffen ist. Die Familie
ist als besonders im Alter wichtige Lebensform intakt. Dennoch können
zukünftig aktuelle kulturelle und demografische Entwicklungen zu Proble-
men für die gesamte Gesellschaft führen. Hauptsächlich ist hierfür der
Mangel an Kindern verantwortlich. Dieser verursacht Risiken im Alter und
gleichzeitig eine zunehmende Belastung der jungen Generation.
Im Fazit und Ausblick erfolgt zusammenfassend eine Beschreibung der
wichtigsten Folgen und Herausforderungen der demografischen Alterung
für die Gesellschaft der Gegenwart und der Zukunft.

2
INHALTSVERZEICHNIS
Seite
Abstract ... 1
Inhaltsverzeichnis ... 2
Vorwort ... 4
Abkürzungsverzeichnis ... 5
Abbildungsverzeichnis ... 6
Tabellenverzeichnis ... 7
1
Einleitung ... 8
2
Die demografische Alterung der Gesellschaft... 10
2.1
Die Bestimmungsgrößen der demografischen Entwicklung... 10
2.1.1 Die Fertilität ... 11
2.1.1.1
Die aktuelle und zukünftige Fertilitätsentwicklung ... 11
2.1.1.2
Die Ursachen des Geburtenrückganges ... 13
2.1.2 Die Mortalität ... 18
2.1.2.1
Der Anstieg der Lebenserwartung ... 18
2.1.2.2
Die Ursachen des Anstiegs der Lebenserwartung... 20
2.1.3 Die Migration ... 23
2.1.3.1
Die quantitative Migration in Deutschland... 23
2.1.3.2
Die qualitative Migration in Deutschland ... 25
2.2
Die Bevölkerung der Zukunft ... 26
2.2.1 Die schrumpfende Bevölkerung ... 27
2.2.2 Das Altern der Gesellschaft... 30
2.2.2.1
Die drei Typen der Alterung ... 30
2.2.2.2
Die künftige Altersstruktur ... 31
3
Wandelungen und Herausforderungen der
Altersgesellschaft ... 36
3.1
Auswirkungen auf Sozialsystem und Arbeitsmarkt ... 36
3.1.1 Das System der Alterssicherung ... 37
3.1.2 Das Erwerbspersonenpotential ... 40
3.2
Der Wandel von Lebenslauf und Altern... 41
3.2.1 Lebensphase Alter als Folge der Institutionalisierung des
Lebenslaufs ... 41

3
3.2.2 Erwerbstätigkeit Älterer und Eintritt in den Ruhestand ... 43
3.2.2.1 Erwerbstätigkeit Älterer ... 43
3.2.2.2 Der Übergang von der Erwerbs- in die Ruhestandsphase ... 44
3.2.3 Der Wandel der Lebensphase Alter ... 46
3.3
Gesundheitliches und ökonomisches Altern... 47
3.3.1 Die gesundheitliche Lebenslage Älterer ... 48
3.3.2 Die Gesundheitskosten bei zunehmender Alterung ... 49
3.3.3 Die wirtschaftliche Lebenslage Älterer ... 50
3.4
Der Wandel der Lebensformen ... 52
3.4.1 Der Wandel von Familie und Familienbildung ... 53
3.4.2 Die Feminisierung des Alters... 55
3.4.3 Die Singularisierung des Alters ... 56
3.4.4 Der Wandel der Generationenverhältnisse... 57
3.4.5 Intergenerationelle Unterstützung ... 60
3.4.6 Soziale Kontakte und Beziehungen Älterer ... 62
3.4.6.1 Familiale Kontakte... 64
3.4.6.2 Kontakt zu Freunden... 67
4
Das Altersbild in einer Welt der Alten ... 68
4.1
Das Altersbild in Forschung und Gesellschaft... 68
4.2
Ursachen eines negativen Altersbildes... 70
4.2.1 Demografische und gesellschaftliche Entwicklung der
Vergangenheit ... 70
4.2.2 Abwertung des Alters durch die Wissenschaft ... 71
4.2.3 Der Jugendwahn ... 71
4.3
Auswirkungen eines negativen Altersbildes ... 72
4.4
Altersbilder in der Arbeitswelt ... 73
4.4.1 Personalpolitik bei alternder Erwerbsbevölkerung... 73
4.4.2 Negative Altersstereotype in der Arbeitswelt ... 74
4.4.3 Verhalten der Unternehmen gegenüber Älteren... 75
4.5
Fazit ... 76
5
Fazit und Ausblick... 78
Literaturverzeichnis ... 82

4
VORWORT
Unsere Gesellschaft steht mit der demografischen Alterung vor einem
Umbruch und damit vor weitreichenden Veränderungen und Herausforde-
rungen. Erfahrungen mit dem Umgang jetziger und kommender Entwick-
lungen gibt es nicht.
Schon seit einigen Jahren ist das Thema Alterung in der öffentlichen Dis-
kussion präsent. Dennoch, so scheint es mir, ist es in den Köpfen der
Menschen ein Problem, welches, wenn es überhaupt einmal relevant wer-
den sollte, erst in ferner Zukunft eintritt. Durch die kritische Lage unseres
sozialen Alterssicherungssystems wird die Öffentlichkeit auf die demogra-
fischen Veränderungen aufmerksam. Doch die Folgen des demografi-
schen Wandels sind weitaus vielfältiger und nicht nur in Bereichen des
Sozialsystems, der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes zu sehen. In Zeiten
zunehmender Alterung hat sich die Familie als soziale Institution zu einer
rückläufigen Lebensform entwickelt. Doch gerade im Alter ist die Familie
von Bedeutung. Worin bestehen die soziokulturellen Folgen der Alterung?
Wie wirkt sich die demografische Entwicklung auf das Leben Älterer und
auch Jüngerer aus? Wie verändern sich unsere Lebensläufe bei stetig
steigender Lebenserwartung? Ist vor dem Hintergrund steigendem Alten-
quotienten unsere vom Jugendwahn geprägte Kultur nicht ein Wider-
spruch in sich? Diese Arbeit soll darauf aufmerksam machen, dass die
demografische Alterung weit mehr als nur ökonomische Folgen hat und
die Gesellschaft vor großen soziokulturellen Herausforderungen und
Wandelungen steht. Denn gerade da die Menschen niemals zuvor so we-
nig Kinder gezeugt haben und gleichzeitig niemals zuvor so lange lebten
ist es wichtig, die Folgen hiervon mehr und mehr in das öffentliche Be-
wusstsein zu bringen. Genau dies scheint gerade zur Fertigstellung dieser
Arbeit zu geschehen. Es ist ein zunehmendes Interesse der Medien an
Folgen des demografischen Wandels, gesellschaftlicher und kultureller
Art, zu verzeichnen.
Bedanken möchte ich mich bei meinem betreuenden Dozenten Doktor
Matthias Rübner, der mir immer mit Rat und Tat zur Seite stand.
Die in dieser Arbeit verwendeten Bezeichnungen sind jeweils ge-
schlechtsneutral zu verstehen. Aus sprachlichen Gründen, insbesondere
zur besseren Lesbarkeit, wurde auf die gleichzeitige Formulierung in femi-
niner und maskuliner Form verzichtet.

5
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
BMI
Bundesministerium des Inneren
BRD Bundesrepublik
Deutschland
DIW
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
GKV Gesetzliche
Krankenversicherung
GPV Gesetzliche
Pflegeversicherung
IAB
Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
ILO International
Labour
Organization
NRR Nettoreproduktionsrate
SGB Sozialgesetzbuch
TFR
Total Fertility Rate
UN United
Nations

6
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Abbildung 1: Frauenanteil am Erwerbspersonenpotenzial... 16
Abbildung 2: Sterblichkeitsentwicklung: Folge einer Ursachenverkettung 22
Abbildung 3: Varianten der Weltbevölkerungsentwicklung bis 2100 ... 28
Abbildung 4: Bevölkerungsausblick für Deutschland ... 29
Abbildung 5: Deutsche Lebensbäume ... 32
Abbildung 6: Die Welt altert ... 34
Abbildung 7: Die Entwicklung des Erwerbspersonenpotentials ... 40
Abbildung 8: Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit nach Altersgruppen... 43
Abbildung 9: Der Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand ... 44
Abbildung 10: Geplantes Erwerbsbeendigungsalter ... 45
Abbildung 11: Der Wandel der Lebensphase Alter ... 47
Abbildung 12: Durchschnittseinkommen Älterer (2002) in Euro... 50
Abbildung 13: Vorhandene Generationenbeziehungen ... 64
Abbildung 14: Kontakthäufigkeit Älterer ... 65
Abbildung 15: Entwicklung der Altersstruktur der Beschäftigten ... 73
Abbildung 16: Eigenschaften älterer und jüngerer Arbeitnehmer... 76

7
TABELLENVERZEICHNIS
Tabelle 1: TFR und NRR nach Ländergruppen 1950-2050 ... 12
Tabelle 2: Lebenserwartung bei der Geburt... 19
Tabelle 3: Veränderung der Lebenserwartung in Deutschland ... 19
Tabelle 4: Fernere Lebenserwartung von 60-jährigen Personen ... 20
Tabelle 5: Bevölkerungsmodellrechnungen ... 24
Tabelle 6: Entwicklung der Altersstruktur in Deutschland 1871-2050 ... 33
Tabelle 7: Jugend- und Altenquotient 1998-2100 ... 35
Tabelle 8: Geschlechtsanteile Älterer ab 60 Jahren 1950 ­ 2050... 55
Tabelle 9: Unterstützungsraten und Eltern-Kinder-Quotient ... 58

8
1 Einleitung
,,Denn der unaufhaltsame, sich von Tag zu Tag beschleunigende Verfall
der Bevölkerung, die Überalterung unserer Gesellschaft, die graue Revo-
lution wird das Antlitz Europas stärker verändern als die französische, die
russische oder die osteuropäische Revolution, wird größere gesellschaftli-
che Veränderungen anrichten als der Erste und Zweite Weltkrieg zusam-
men." (Tichy, 2001, S. 10)
Dieses Zitat ist nur eines von vielen, welche den demografischen Wandel
in beinahe ,,apokalyptischer" Weise beschreiben. Ein Wandel, welcher sich
bereits jetzt vollzieht und sich in Zukunft verstärken wird. Die Bevölkerung
Deutschlands altert und wird in Zukunft zunehmend altern. Ausgelöst
durch Geburtenzahlen, Rentenprojektionen, sowie Literatur und Berichter-
stattung oben aufgezeigter Art, gerät das Phänomen Alterung der Gesell-
schaft zunehmend in den Fokus des öffentlichen Interesses. Dabei wird
meist ein pessimistisches Bild über das Altern der Bevölkerung dargestellt.
Der aus der Alterung resultierende Verfall unserer Kultur und Gesellschaft
wird als feststehendes Ereignis prophezeit ­ nicht als Herausforderung.
Ziel der hier vorliegenden Arbeit ist es, dem Leser ein umfassendes Bild
über den demografischen Wandel und den sich hieraus ergebenden Fol-
gen und Herausforderungen an Kultur und Gesellschaft zu vermitteln. An-
spruch der Arbeit ist es, die tief greifenden Veränderungen und Folgen
unter objektiver Betrachtung darzustellen, ohne dass persönliche Meinun-
gen des Verfassers Einfluss nehmen. Hiermit soll dem Leser keine positi-
ve oder negative Meinung über die demografische Entwicklung suggeriert
werden. Es wird eine Vorstellung der durch demografische Prozesse her-
vorgerufenen gesellschaftlichen Veränderungen vermittelt, jedoch kein
generelles und abschließendes Urteil des Autors. Basierend auf Literatur
der Demografie, Soziologie, Gerontologie und weiteren Wissenschaftsdis-
ziplinen sollen die Wandelungen unserer Gesellschaft aufgezeigt werden,
die mit dem demografischen Alterungsprozess einhergehen. Die Alterung
der Gesellschaft wurde durch kulturelle Entwicklungen hervorgerufen. Da-
her wird in dieser Arbeit auf gesellschaftliche Entwicklungen der Vergan-
genheit zurückgegriffen, sowie Einblick in die momentane und ­ so weit
möglich - auch zukünftige Entwicklung gegeben. Ziel der Arbeit ist es
nicht, eine Lösung des Problems zu erörtern. Vielmehr sollen Ursachen,
welche selbstredend gleichzeitig Lösungsansätze bieten, der demografi-
schen Entwicklung und daraus entstandene gesellschaftliche Veränderun-
gen aufgezeigt werden.
Die demografische Entwicklung verändert die gesamte Altersstruktur und
damit die gesamte Gesellschaft. Dementsprechend vielfältig sind die
Wandelungen und Herausforderungen der Alterung. Eine Abgrenzung und
Schwerpunktlegung ist daher erforderlich. Somit werden Folgen, wie bei-
spielsweise der Infrastrukturwandel oder Chancen einer alternden Gesell-
schaft für Industrie und Wirtschaft nicht behandelt und stattdessen sozio-
kulturelle Auswirkungen wie familialer Wandel und Auswirkungen auf das
Alter und das Altern schwerpunktmäßig diskutiert. Unter dieser allgemei-
nen Zielbestimmung und Abgrenzung ergibt sich folgender Aufbau:

9
In Kapitel 2 wird dem Leser ein Verständnis für demografische Prozesse
vermittelt. Einflussfaktoren der demografischen Entwicklung werden auf-
gezeigt und die künftige Bevölkerungsentwicklung und Bevölkerungsstruk-
tur abgebildet. Hierbei wird die Betrachtung nicht nur auf Deutschland und
die vergleichbaren westlichen, industrialisierten Staaten gelegt. Ebenfalls
wird ein Vergleich mit weltweiten demografischen Entwicklungen getrof-
fen. Hierdurch wird verdeutlicht, dass eine Alterung, zusammen mit einer
Bevölkerungsschrumpfung, überall auf der Welt einhergehen wird. Im
Rahmen dieser Darstellungen werden zwei wesentliche soziokulturelle
Herausforderungen, die direkt mit der demografischen Entwicklung in Ver-
bindung stehen, besonders betrachtet: Der Geburtenrückgang und der in
Zukunft steigende Bedarf an Integrationsleistungen Deutschlands.
Nach Darstellung der demografischen Alterung der Gesellschaft werden in
Kapitel 3 wesentliche gesellschaftliche Wandelungen erörtert. Zunächst
werden Auswirkungen auf Sozialsystem und Arbeitsmarkt sichtbar. Als
Schwerpunkt wird allerdings die Lebensphase Alter untersucht, welche
von den demografischen Entwicklungen mitunter am meisten betroffen ist.
Nach einer Darstellung gesellschaftlicher Entwicklungen, welche den vom
Ruhestand geprägten Lebensabschnitt Alter ermöglichten, erfolgt daher
eine Analyse der materiellen und gesundheitlichen Lebenslage Älterer.
Danach wird auf veränderte Lebensformen eingegangen; insbesondere in
Hinblick auf den familialen und generationalen Wandel. Dem Leser wird
ein Bild des Alters und des Alterns vor dem Hintergrund einer zunehmen-
den Alterung der Bevölkerung sichtbar. Gleichzeitig werden jetzige und
zukünftige Herausforderungen an Gesellschaft und Kultur erkennbar.
Um diesen Wandelungen und Herausforderungen begegnen zu können
bedarf es einer Gesellschaft, welche die Alterung als Chance erkennt und
dem Altern nicht ablehnend gegenüber steht. Deshalb ist die Etablierung
eines positiven Altersbildes in unserer Kultur von großer Bedeutung. In
Kapitel 4 wird daher das vorherrschende, meist negative Altersbild unse-
rer Gesellschaft dargestellt und mit tatsächlichen Fakten aus der For-
schung verglichen. Auswirkungen hat Altersdiskriminierung insbesondere
in der Arbeitswelt; hierauf wird gesondert eingegangen.
Eine zusammenfassende Ausführung zu demografischen Veränderungen
und deren Folgen und Herausforderungen für die Gesellschaft der Ge-
genwart und der Zukunft runden in Kapitel 5 die vorliegende Arbeit ab.

10
2 Die demografische Alterung der Gesell-
schaft
Die demografische Entwicklung in Deutschland und auf der ganzen Welt
befindet sich in einem Umbruch. Mit einer Bevölkerungsschrumpfung wird
vor allem in Deutschland und den westlichen Staaten gleichzeitig eine völ-
lig gewandelte Bevölkerungsstruktur einhergehen. Immer mehr Alte wer-
den immer weniger Jungen gegenüber stehen. Aufgrund dessen wird in
der Literatur von einer ,,Gesellschaft der Alten" und einer ,,Demografischen
Alterung der Gesellschaft" gesprochen. Sogar von einer ,,Vergreisung der
Republik" ist die Rede.
Fest steht, dass dieser demografische Wandel statt finden wird, bzw. wir
uns bereits auf dem Wege dorthin befinden. Die Bevölkerungswissen-
schaft bezeichnet dies auch als ,,Demografischen Umbruch oder Über-
gang". Solche demografischen Umbrüche gab es in der Historie der Welt
schon mehrmals, jedoch noch nie in dieser Form. Niemals zuvor standen
mehr alte Menschen, weniger jungen Menschen gegenüber. Somit gibt es
keinerlei Erfahrungswerte, wie der Einzelne, die Gesellschaft als Ganzes
und die Politik mit dieser Herausforderung umgehen kann.
Auf die Herausforderungen und Wandelungen, die die demografische Al-
terung mit sich bringen, wird hauptsächlich in den späteren Kapiteln der
Arbeit eingegangen. In den nächsten Abschnitten wird dargelegt, wie es
zu dieser Bevölkerungsentwicklung kommt, wovon diese abhängt und
welche Möglichkeiten der Einflussnahme vorstellbar sind. Ferner wird auf-
gezeigt, wie die Bevölkerungsstruktur zukünftig aussehen wird, wo die re-
gionalen Unterschiede liegen, weshalb die Vorausberechnungen als si-
cher gelten und diese prognostizierte Alterung unserer Gesellschaft kaum
abwendbar ist.
2.1 Die Bestimmungsgrößen der demografischen
Entwicklung
Unter Demografie versteht man die Beschreibung und Analyse der Größe,
Verteilung, Struktur und Veränderung von Populationen.
1
Die Entwicklung der Demografie und somit die Bevölkerungszahl und Be-
völkerungsstruktur eines Landes hängt im Wesentlichen von drei Bestim-
mungsgrößen ab:
Der Fertilität (generatives Verhalten),
der Mortalität (Sterblichkeit) und
dem Wanderungssaldo.
2
1
Schimany, 2003, S. 15
2
Egle [u.a.], 2003, S. 40

11
Die drei Komponenten Fertilität, Mortalität und der Wanderungssaldo wer-
den in den folgenden Kapiteln erklärt.
2.1.1 Die Fertilität
Unter der Fertilität (engl. ,,fertility") wird in der Bevölkerungswissenschaft
der Vorgang der Erzeugung von Nachwuchs, bzw. das Fortpflanzungsver-
halten verstanden. Im engen Zusammenhang steht die Bezeichnung ,,ge-
neratives Verhalten". Hier werden die Einflussfaktoren, wie zum Beispiel
Werte und Normen, auf die Fertilität und somit auf die Entscheidung für ­
oder gegen ­ ein Kind, berücksichtigt. Für die Messung der Fertilität gibt
es in der Statistik verschiedene Kennzahlen. Als wichtigste ist neben der
gängigen rohen Geburtenziffer/ -rate (Quotient der Lebendgeborenen auf
1000 Einwohner) die Total Fertility Rate (TFR, zusammengefasste Gebur-
tenziffer) zu nennen. Diese misst die Lebendgeborenen je Frau oder je
1000 Frauen.
3
Der Einfluss der Altersstruktur auf die Geburtenzahl wird bei
der TFR ausgeschaltet, indem in jedem Alter von 15 bis 45 (gebärfähiges
Alter) eine gleich große Gruppe von 1000 Frauen zugrunde gelegt wird.
Das lateinische Wort Fertilität darf in demografischer Hinsicht nicht mit
dem deutschen Wort Fruchtbarkeit gleichgesetzt werden: Unter Fruchtbar-
keit, bzw. Unfruchtbarkeit versteht man im allgemeinen Sprachgebrauch
die Fähigkeit Kinder zu zeugen, bzw. nicht erzeugen zu können. In der
Bevölkerungssoziologie steht jedoch die tatsächliche Erzeugung von
Nachkommen im Vordergrund. Für die Fruchtbarkeit selbst steht hier der
Begriff Fekundität.
4
Die Fertilität stellt den größten Einfluss der drei oben genannten demogra-
fischen Komponenten auf die Bevölkerungsentwicklung dar. Dies ergibt
sich aus der Sache selbst: Nur eine Geburt kann in der Bevölkerungssta-
tistik zu einem Sterbefall (Mortalität) führen; und nur die Geburt eines
Menschen kann jemals den Wanderungssaldo beeinflussen.
5
2.1.1.1 Die aktuelle und zukünftige Fertilitätsentwicklung
Die Entwicklung der Fertilität in Deutschland und anderer Industriestaaten
ist durch eine Abnahme gekennzeichnet. Die Geburtenziffern sind rückläu-
fig. So sank - in der BRD verstärkt durch die Einführung der Antibabypille
1960 (Pillenknick) - im Zeitraum 1960-1965 bis 1995-2000 die Geburten-
zahl je Frau in den Industrieländern von 2,7 auf 1,6. Derzeit verzeichnet
Deutschland eine Fertilität von nur ca. 1,3. In den Entwicklungsländern
stagnierte die Geburtenziffer ebenfalls von 6,0 auf 3,1. Ebenso in der Welt
als Ganzes, von 5,0 auf 2,8.
6
Zur Bestandserhaltung der Weltbevölkerung
sind durchschnittlich 2,1
7
Kinder je Frau erforderlich.
8
Hierdurch wird deut-
3
Bundeszentrale für politische Bildung, 2004, S. 56 f
4
Höpflinger, 1997, S. 47
5
Birg, 2004 a, S. 4
6
Birg, 2004 b, S. 13
7
Da zur Bestandserhaltung einer Bevölkerung nur Frauen beitragen können und durchschnittlich etwas mehr
Jungen als Mädchen geboren werden, ist eine durchschnittliche Kinderzahl von 2,0 nicht ausreichend.
8
Egle [u.a.], 2003, S. 40

12
lich, dass die stagnierende Fertilität vor allem ein Problem der Industrie-
staaten ist. In den Entwicklungsländern sind die Geburtenzahlen zwar
auch rückläufig, jedoch unterschreiten sie das Bestandserhaltungsniveau
nicht. Der Unterschied zwischen Industrie- und Entwicklungsländer wird
durch den Vergleich der Zahl der Geburten je 1000 Einwohner (Geburten-
rate) noch deutlicher. Diese liegt in den afrikanischen Ländern bei 53,
in den europäischen Ländern hingegen bei nur 9.
9
Doch nicht nur in der Vergangenheit stagnierte die Fertilität, auch in Zu-
kunft wird, nach Berechnungen der UN, die TFR in den Entwicklungslän-
dern und weltweit zurückgehen. Lediglich in den Industrieländern wird ein
leichter Anstieg prognostiziert, welcher von der UN nicht näher begründet
wird, sich jedoch auf Annahmen steigender Zuwanderungen aus Ländern
hoher Fertilität zurückführen lassen könnte. Bis zum Jahr 2050 wird ein
Einpendeln der Fertilität auf das Ersatzniveau (Bestandserhaltungsniveau)
vorausberechnet. Der Rückgang der Geburtenziffern auf das Bestandser-
haltungsniveau lässt sich in der Tabelle auch anhand der Stagnation der
Nettoreproduktionsrate (NRR) in allen Ländern auf 1,0 erkennen. Die Net-
toreproduktionsrate bezeichnet die Zahl der lebend geborenen Mädchen
pro Frau. Somit bleibt bei der NRR von 1,0 im Jahr 2050 die Bevölkerung
gleich groß, da pro Frau, ein Mädchen geboren wird. Ist die Zahl kleiner
oder größer als 1,0; schrumpft bzw. wächst die Bevölkerung.
10
Total Fertility Rate und Nettoreproduktionsrate nach Ländergruppen 1950-2050
Total Fertility Rate
Nettoreproduktionsrate
Ländergruppen
1950-55 1990-95 2040-50 1950-55 1990-55 2040-50
Welt
5,00 3,10 2,10 1,65 1,31 1,00
Industrieländer
2,80 1,70 2,10 1,24 0,81 1,00
Entwicklungs-
länder
6,10 3,50 2,10 1,86 1,44 1,00
Tabelle 1: TFR und NRR nach Ländergruppen 1950-2050
Quelle: Schimany, 2003, S. 65
Hierbei muss angemerkt werden, dass diese Vorausberechnungen nur auf
Annahmen beruhen. Jedoch handelt es sich bei diesen Zahlen, wie auch
bei allen anderen Voraussagen aus der demografischen Statistik, um Wer-
te, die in der Literatur durchgängig als realistisch gelten.
Somit gilt der allgemeine Rückgang der Geburtenziffern auch für die nähe-
re Zukunft als sicher, zumal die meisten Menschen, die in den nächsten
zwei Jahrzehnten Kinder zeugen können, bereits geboren sind.
11
Da, wie
bereits erwähnt, der Rückgang der Geburtenrate als wichtigster Grund für
9
Schimany, 2003, S. 157
10
ebd., S. 65
11
Encarta Enzyklopädie Standard 2003, Bevölkerung, Punkt 4.4

13
den demografischen Wandel ­ Bevölkerungsschrumpfung und Alterung ­
zu sehen ist, sollen die Ursachen hierfür aufgezeigt werden.
2.1.1.2 Die Ursachen des Geburtenrückganges
Die Einflussfaktoren auf das generative Verhalten sind vielfältig und regio-
nal unterschiedlich. So sind Ursachen, die in Deutschland zu einem Ge-
burtenrückgang führen nicht zwangsläufig in einem afrikanischen Land
zutreffend und umgekehrt.
In der Forschung nach den Einflüssen auf das generative Verhalten be-
dient sich die Wissenschaft unterschiedlichster Disziplinen.
12
Es gibt hierzu
viele theoretische und sehr komplexe Erklärungsansätze, welche alle vor-
zustellen und zu erläutern in der hier vorliegenden Arbeit nicht möglich ist.
Zunächst muss konstatiert werden, dass heute die Entscheidung für oder
gegen ein Kind durch die Fortschritte in der Medizin (Möglichkeiten der
Geburtenkontrolle) meist bewusst getroffen wird.
13
Allerdings ist die Fertili-
tät nicht nur beeinflussbar, sondern auch von der Bevölkerungsstruktur
abhängig. Beispielsweise beeinflusst die Zahl der Frauen im gebärfähigen
Alter die Fertilität eines Landes.
14
Die Fortpflanzungsfähigkeit der Männer
und Frauen (Fekundität) wird in der Literatur als völlig intakt betrachtet.
Jedoch ist fraglich, ob beispielsweise durch Veränderungen der Lebenssti-
le, der Ernährung oder steigende Umweltbelastungen auch in Zukunft eine
Minderung der Fekundität eintreten könnte.
Nachdem es keine bedeutsamen Einflussfaktoren auf die Fertilität und die
Fekundität gibt, welche den Geburtenrückgang erklären könnten und die
Erzeugung von Nachwuchs meist auf bewusster Entscheidung beruht,
stellt sich hier die Frage, weshalb sich so viele Menschen gegen ein Kind
entscheiden? Für den Wandel des generativen Verhaltens sind viele Ur-
sachen auf individueller und gesellschaftlicher Ebene verantwortlich, wel-
che zudem niemals monokausal betrachtet werden dürfen
15
. Dennoch sol-
len hier wichtige, aktuell diskutierte Einflussfaktoren, insbesondere auf
Deutschland bzw. industriealisierte Staaten, dargestellt werden.
a) Wertewandel und Individualisierung
In der öffentlichen Diskussion wird der Geburtenrückgang oft auf den
Wandel der Wertehaltungen und den Trend zur Individualisierung zurück-
geführt. Meist wird dies mit den sinkenden Eheschließungen bei gleichzei-
tig steigenden Scheidungsraten, dem Trend zum ,,Singledasein" und dem
erhöhten Streben nach materiellen Werten begründet.
Diese Behauptungen werden oft durch die Wissenschaft unterstützt. Somit
ist es als erwiesen anzusehen, dass der Wandel des Heiratsverhaltens
12
Eckart, 2000, S. 437
13
Braun, 2000, S. 321
14
Schimany, 2003, S. 160 f
15
ebd., S. 164

14
großen Einfluss auf die Fertilität hat.
16
Demnach führt ein hohes Heiratsal-
ter, sowie eine geringe Heiratshäufigkeit zu einem Rückgang der Gebur-
tenraten und umgekehrt. So lässt sich - zumindest teilweise - die höhere
TFR in Afrika, wo das Erstheiratsalter im Vergleich zu den Industriestaaten
wesentlich niedriger ist, erklären. Im Zusammenhang mit der Individuali-
sierung steht die Pluralisierung der Lebensformen.
17
Diese Begrifflichkeit
zielt auf den Abbau traditioneller Bindungen und die Zunahme von Wahl-
möglichkeiten (z.B. Ausbildung, Berufswahl, Lebens- und Haushaltsform,
Kinderzahl) ab. Außerdem sind einmal getroffene Entscheidungen im Ge-
gensatz zu früher revidierbar (z.B. Ausbildung, Ehe). Somit wird in der Ge-
sellschaft eine soziale Ausdifferenzierung festgestellt. Weiterhin erfolgt
häufiger ein Wechsel des Lebensstils im individuellen Lebenslauf.
Die Einführung der kollektiven Alterssicherungssysteme und dem damit
verbundenen Rückgang des wirtschaftlichen Nutzens von Kindern hat den
Wertewandel in den Industriestaaten stark beeinflusst.
18
Wohingegen frü-
her viele Kinder gezeugt wurden, um im Alter versorgt zu sein, sind in mo-
dernen Gesellschaften diese wirtschaftlichen Nutzen rückläufig und der
emotionale Nutzen tritt in den Vordergrund. Also wird sich heute für Kinder
hauptsächlich aus Gründen der emotionalen Befriedigung, wie beispiels-
weise Sinnerfüllung, Selbstachtung usw. entschieden. Diese Wünsche
lassen sich bereits mit einem bzw. wenigen Kindern erfüllen. Emotionale
Bedürfnisse lassen sich aber auch durch Alternativen zur Elternschaft,
z.B. beruflichen Erfolg, befriedigen.
Diese Entwicklung ist als kritisch anzusehen, da die Alterssicherung von
unseren Nachkommen finanziert werden muss, wenngleich hierfür nicht
nur die eigenen Kinder aufkommen müssen, wie dies früher der Fall war.
Weiterhin muss es auch Nachkommen geben, welche für die Alten Unter-
stützungsleistungen, insbesondere Hilfe und Pflege, erbringen werden.
Diese Beispiele sind sicher nur einige von vielen Argumenten, die zeigen,
dass die in Deutschland momentan vorherrschende ablehnende Haltung
in Bezug auf die Nachwuchserzeugung auf einer sehr kurzfristigen Sicht-
weise basiert. In der Öffentlichkeit wird der Wertewandel und der Trend
zur Individualisierung oft mit Selbstsucht, Egoismus oder ,,Ellenbogenden-
ken" gleichgestellt, ob dies zutrifft oder nicht wird wohl noch lange die ge-
sellschaftliche Diskussion leiten.
b) Bildung
Eine weitere Ursache für den Rückgang der Geburtenraten ist in der stetig
zunehmenden Bedeutung von Wissen und Bildung zu sehen.
19
Ein hohes
Bildungsniveau korreliert mit einer niedrigen Fertilität und umgekehrt. Dies
wird unter anderem durch die Enquete-Kommission ,,Globalisierung der
Weltwirtschaft ­ Herausforderungen und Antworten" bestätigt, welche hier
insbesondere die hohen Geburtenzahlen in Entwicklungsländern fokus-
16
ebd., S. 165 f
17
Wilbers, 1990, S. 165 f
18
Arbeitsgruppe Bevölkerungsfragen der Bundesregierung, 1981, S. 84 f
19
vgl. zu den folgenden Ausführungen: Höpflinger, 1997, S. 59 ff und Arbeitsgruppe für Bevölkerungsfragen der
Bundesregierung, 1981, S. 84

15
siert.
20
So lässt sich ein großer Unterschied zwischen Industrie- und Ent-
wicklungsländern feststellen: Während in den Entwicklungsländern Bil-
dungsförderung als Chance zur Geburtenreduktion gesehen wird, ist in
den westlichen Staaten hohe Bildung bereits als eine der Hauptursachen
für den Geburtenrückgang seit der Industrialisierung ausgemacht worden.
Der Zusammenhang zwischen Bildung und Geburtenrate stützt sich auf
folgende Thesen, wobei festzustellen ist, dass hier das hohe und wach-
sende Bildungsniveau der Frauen ausschlaggebend für die aktuelle Ent-
wicklung ist:
Hohe Bildung setzt einen längeren Verbleib im Bildungssystem voraus.
Dies führt zu einem höheren Heiratsalter und somit zu einem höheren Al-
ter der Frau bei der ersten Geburt (der Zusammenhang zwischen
Heiratsalter/ Alter der Erstgeburt und Fertilität wurde bereits am Beispiel
Afrikas unter Punkt a) angesprochen). Insbesondere in der
Bundesrepublik ist festzustellen, dass Nachwuchs meist erst nach
Abschluss der Ausbildung gezeugt wird und nicht schon während des
Studiums oder ähnlichem. Dies dürfte hauptsächlich auf die finanziellen
Möglichkeiten zurückzuführen sein.
Weiterhin ist im Allgemeinen zu konstatieren, dass ein Zusammenhang
zwischen einem hohen Bildungsgrad der Mutter mit einem Wunsch nach
keinem oder zumindest nur wenigen Kindern besteht. Dies wird in den
Forschungen hauptsächlich auf folgende Ursachen zurückgeführt: Höher
gebildete Frauen sind meist emanzipierter und setzen sich besser gegen
die Vorstellungen der Herkunftsfamilie oder des Partners in Bezug auf die
Lebensgestaltung durch. Dies kommt durch das auf die eigenen Vorstel-
lungen gesteuerte sexuelle und kontrazeptive Verhalten zum Ausdruck.
Die negative Korrelation zwischen Bildung und Kinderwunsch ist insbe-
sondere in Deutschland als kritisch anzusehen. Hier ist immer noch ein
hoher Zusammenhang zwischen Einkommen der Eltern und Schulbildung
der Kinder zu verzeichnen, da ein längerer Verbleib im Bildungssystem
höhere Kosten mit sich bringt. Deshalb sehen Eltern die Aufstiegschancen
der Kinder oft nur mit geringen Kinderzahlen realisierbar. Dies wirkt natür-
lich keinesfalls der niedrigen Fertilität in Deutschland entgegen und erfor-
dert für die Zukunft insbesondere von der Bildungspolitik besondere
Schritte, wie beispielsweise einen kostenfreien (kostengünstigen) Zugang
zu den Hochschulen zu gewährleisten. Weiterhin sollte der Entwicklung zu
einer Gesellschaft, bestehend aus einer gebildeten Schicht mit wenig Kin-
dern und einer weniger gebildeten Schicht, mit vielen Kindern entgegen
gewirkt werden.
c) Frauenerwerbstätigkeit
Eng verbunden mit der höheren Bildung wird in der aktuellen Diskussion
die gestiegene Erwerbstätigkeit von Frauen gesehen. Die folgende Grafik
20
Schlussbericht der Enquete - Kommission, 2002, Kapitel 9.2.1.2 (Internetquelle)

16
des IAB zeigt sehr deutlich den rasanten Anstieg des Frauenanteils am
Erwerbspersonenpotential in Deutschland, inkl. Prognose für die Zukunft:
Abbildung 1: Frauenanteil am Erwerbspersonenpotenzial
Quelle: Fuchs/Dörfler, 2005, S. 3
Der kausale Zusammenhang zwischen hoher Frauenerwerbstätigkeit und
rückläufigen Geburtenzahlen wird in der Forschung nicht geleugnet, je-
doch unterschiedlich gewichtet. So gibt es Demografen die in der Frauen-
erwerbstätigkeit den wohl größten Einfluss auf die Geburtenentwicklung
sehen, aber auch andere, die dies nur als Übergangsphase - solange bis
die Vereinbarkeit von beruflicher und familialer Rollen sichergestellt wird ­
erachten.
21
Auch bei dem Einfluss der Frauenerwerbstätigkeit auf die Fertilität sind
Entwicklungsländer von den Industrienationen gesondert zu betrachten,
da beispielsweise die Arbeitsmärkte nicht gleichgesetzt werden können. In
den Industriestaaten lässt sich der kausale Zusammenhang gut mit der
Theorie der Opportunitätskosten von Kindern aufzeigen.
22
Hier ist mit Op-
portunitätskosten das vorgestellte entgangene Einkommen gemeint, auf
das die Eltern verzichten müssen, wenn sich ein Elternteil, meist immer
noch die Frau, der Kindererziehung widmet. Somit lässt sich erklären wa-
rum insbesondere gebildete Frauen, eher wenig Kinder möchten, da sie
demnach auf mehr Geld verzichten müssen als weniger gebildete Frauen,
die meist weniger verdienen. Aber sicher werden auch Paare mit geringe-
rem Einkommen derartige Überlegungen anstellen und auf Grund des
entgangenen Geldes beschließen, lieber keines oder nur wenige Kinder
zu zeugen.
21
Höpflinger, 1997, S. 61 f
22
Birg, 2004 b, S. 12 f

17
Auch hier liegt eine große Verantwortung in der Politik der Fertilitätsent-
wicklung entgegen zu wirken. So können zum Beispiel durch verbesserte
Kinderbetreuungsmöglichkeiten die Entscheidung zugunsten Kinder be-
einflusst werden. Demnach konnte beispielsweise Frankreich die im euro-
päischen Vergleich hohe Fertilität von 1,9 Kindern pro Frau unter anderem
durch solche familienpolitischen Maßnahmen erreichen.
23
d) Weitere Ursachen
Neben den in den letzten Abschnitten aufgeführten Einflussfaktoren und
Ursachen des Geburtenrückganges gibt es noch viele Weitere, dessen
Aufzählung wohl niemals abschließend sein kann und welche, wie bereits
gesagt, auch nicht monokausal betrachtet werden dürfen.
Fest steht, dass überall in der Welt die Fertilitätsentwicklung von großer
Bedeutung ist. Sei es, um in afrikanischen Ländern das Bevölkerungs-
wachstum zu mindern oder, wie hier in Deutschland, für mehr Nachkom-
men zu sorgen. So sind die Ursachen der Geburtenentwicklung, wie be-
reits erläutert, regional unterschiedlich und somit auch die Möglichkeiten
diese zu beeinflussen. Im erwähnten Bericht der Enquete­Kommission
wurde der Geburtenrückgang in Afrika hauptsächlich durch die gestiege-
ne Anwendung von modernen Verhütungsmitteln erreicht, wohingegen
in Deutschland die oben ausgeführten Themen wesentlich sind. Es gibt
sogar Forschungsergebnisse, die besagen, dass die Einführung der Pille
und anderen modernen Verhütungsmitteln keinen Einfluss auf den Bevöl-
kerungsrückgang hatten, da auch schon vorher Mittel und Methoden zur
Empfängnisverhütung angewandt wurden.
24
Somit wären demnach die
Einführung der modernen Verhütungsmethoden nicht Ursache, sondern
nur eine Bedingung des Geburtenrückganges der letzten Jahrzehnte ge-
wesen. Als weitere Einflussfaktoren auf die Fertilität in Afrika sieht die En-
quete-Kommission hauptsächlich Armut, geringe formale Bildung, ge-
ringe Gesundheitsversorgung, Kultur, Religion, rechtliche und politi-
sche Rahmenbedingungen, Grad der Urbanisierung sowie Diskrimi-
nierung von Mädchen und Frauen. Die meisten dieser Einflussfaktoren
dürften auf hoch entwickelte Industriegesellschaften wie Deutschland kei-
nen Einfluss nehmen. So dürfte in Deutschland beispielsweise die Kon-
fessionszugehörigkeit keine sehr große Rolle in Bezug auf das generative
Verhalten spielen.
Dafür kommt dort den ausgeführten Themen wie der Wandel der Le-
bensstile, ein längerer Verbleib im Bildungssystem und Frauener-
werbstätigkeit eine größere Bedeutung zu. Auch hier sind die Gründe
nicht monokausal zu sehen und werden durch die wirtschaftliche, politi-
sche und kulturelle Entwicklung beeinflusst. Dies zeigt eindrucksvoll eine
Studie des Meinungsforschungsinstituts Forsa vom Januar 2005:
25
Hier
wurden Männer und Frauen im Alter zwischen 18 und 49 Jahren befragt,
23
Birg, 2004 c, S. 23
24
Demnach gab es in der Weltwirtschaftskrise von 1930/32, also vor Erfindung der modernen Verhütungsmit-
teln, einen Rückgang der Fertilität; danach stieg sie wieder an. Vgl. hierzu: Arbeitsgruppe für Bevölkerungs-
fragen der Bundesregierung, 1981, S. 86 f
25
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12.01.2005

18
was sie für die wichtigsten Gründe halten, warum sich immer mehr Män-
ner und Frauen gegen die Gründung einer Familie entscheiden. Die Kin-
derlosen gaben mit 44 Prozent an, auf Nachwuchs zu verzichten, weil ih-
nen der geeignete Lebenspartner fehle. 40 Prozent der Kinderlosen
(und 45 Prozent der Eltern) gaben an, Angst vor Arbeitslosigkeit zu ha-
ben und sich somit nicht sicher ist, ob man sich (weitere) Kinder leisten
kann. Lediglich neun Prozent der Kinderlosen (21 Prozent der Eltern) ver-
zichten auf (weitere) Kinder, weil Kinderbetreuungseinrichtungen feh-
len.
e) Fazit
Die Steigerung der Geburtenziffern stellt, wie spätere Ausführungen zei-
gen werden, fast die einzige Möglichkeit dar, der kommenden Gesellschaft
der Alten entgegenzuwirken, da die Fertilität die größte demografische
Komponente ist. Um eine Steigerung der Geburtenziffern in den westli-
chen Staaten zu erreichen steht die Politik in der Verantwortung. Diese
kann die Rahmenbedingungen für ein familienfreundlicheres Klima
verbessern. Die Gesellschaft selbst kann Lebensstile verändern und Hin-
derungsgründe gegenüber Elternschaft überdenken. Die Politik, aber auch
jeder Einzelne, stehen vor großen Herausforderungen um den negativen
Folgen des Geburtenrückganges, Beispiel Rentenentwicklung, entgegen-
zuwirken.
2.1.2 Die Mortalität
Neben dem Rückgang der Fertilität ist der Rückgang der Mortalität (engl.
Mortality) als zweit wichtigster Einflussfaktor auf die demografische
Entwicklung zu nennen und darzustellen.
Mortalität heißt Sterblichkeit. Die Mortalität beschreibt das Niveau der
Sterblichkeit in einer Bevölkerung. Die Statistik bedient sich, wie schon bei
der Fertilität, verschiedener Kennziffern, zum Beispiel die alters- und ge-
schlechtsspezifischen Sterberaten (bzw. ­ziffern), das Medianalter (siehe
Kapitel 2.2.2.1) und die Lebenserwartung.
26
2.1.2.1 Der Anstieg der Lebenserwartung
Die Entwicklung der Sterblichkeit ist in der BRD und auch überall in der
Welt durch eine Zunahme der Lebenserwartung bei gleichzeitigem Rück-
gang der Säuglings- und Kindersterblichkeit geprägt. Die Lebenserwar-
tung ist die durchschnittliche Lebenserwartung bei der Geburt eines Men-
schen oder in einem bestimmten Alter (fernere Lebenserwartung).
27
26
Bundeszentrale für politische Bildung, 2004, S. 56 f
27
ebd., S. 56

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2006
ISBN (eBook)
9783832499006
ISBN (Paperback)
9783838699004
Dateigröße
2.7 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung - Fachbereich Arbeitsverwaltung und Bundeswehrverwaltung Mannheim – Arbeitsverwaltung
Note
1,7
Schlagworte
demografie alter senior generationenkonflikt belegschaft
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Titel: Das Altern der Gesellschaft als sozio-kulturelle Herausforderung
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