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Migration in Europa am Beispiel der Integration von türkischen Bürgern in der Bundesrepublik Deutschland

©2006 Masterarbeit 60 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Die Migration der türkischen Bürger nach Deutschland hat mit den Anwerbevereinbarungen 1961 begonnen. Zunächst ging die Bundesregierung davon aus, dass die türkischen Arbeitsmigranten das Land wieder verlassen werden, wenn ihre Erwerbstätigkeit hier beendet ist.
Jedoch zeigte sich im Zuge des Anwerbestopps von 1973, dass dies nicht der Fall ist, sondern die türkischen Bürger sogar ihre Familienangehörigen aus der Türkei nach Deutschland nachkommen ließen. Mit der Integration dieser Menschen hatte sich die Bundesregierung zum damaligen Zeitpunkt noch nicht auseinandergesetzt, was zur Folge hatte, dass in Großstädten zunehmend Viertel entstanden, die vorwiegend von türkischen Bürgern bewohnt wurden.
Die aktuelle Lebenssituation der türkischen Bürger in Deutschland, beschrieben durch die Bereiche Kindeserziehung, Sprachkompetenz, Bildung, Familienleben, Arbeitsmarkt, Wohnsituation, gesundheitliche Versorgung sowie Senioren, zeigt, dass sich im Laufe der Jahre deren Lebensumstände verbessert haben. Jedoch entsprechen sie nach wie vor nicht denen der deutschen Bürger oder denen anderer ausländischer Bevölkerungsgruppen in Deutschland. Dies resultiert hauptsächlich daraus, dass die türkischen Bürger oftmals über nicht ausreichende deutsche Sprachkenntnisse sowie mangelnde (Schul-) Bildungsabschlüsse verfügen, die ihnen u. a. den Zugang zum Arbeitsmarkt erheblich erschweren.
Durch das am 01.01.2005 in Kraft getretene Aufenthaltsgesetz hat es sich die Politik zum ersten Mal zur Aufgabe gemacht, Zuwanderer aus dem Ausland, und damit auch türkische Bürger, in Deutschland zu integrieren. Dies soll zunächst durch eine gesetzlich vorgeschriebene Teilnahme an Integrationskursen erfolgen. In diesen bekommen die türkischen Bürger neben Kenntnissen der deutschen Sprache auch Wissen über die deutsche Geschichte, Kultur, Politik, Normen und Werte vermittelt. Neben diesem Kursangebot sollen zahlreiche weitere Integrationsmaßnahmen und Verbundprojekte auf Landes- und Kommunalebene dafür sorgen, dass sich die türkischen Bürger möglichst schnell in Deutschland eingliedern.
Der am 14.07.2006 stattgefundene Integrationsgipfel zeigt aktuell, dass das Initiieren und Etablieren einer konstruktiven Einwanderer- und Integrationspolitik derzeit zu den Hauptaufgaben der Bundesregierung gehört.
Ein möglicher EU-Beitritt der Türkei hätte dagegen zur Folge, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Integrationsmaßnahmen die türkischen Bürger nicht mehr […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Christian Böß
Migration in Europa am Beispiel der Integration von türkischen Bürgern in der
Bundesrepublik Deutschland
ISBN-10: 3-8324-9899-0
ISBN-13: 978-3-8324-9899-3
Druck Diplomica® GmbH, Hamburg, 2006
Zugl. Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege Berlin, Berlin, Deutschland,
MA-Thesis / Master, 2006
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Haftung für evtl. verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen.
© Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2006
Printed in Germany



2
Inhaltsverzeichnis
Seite
1.
Einleitung
1.1
Problemstellung
4
1.2
Aufbau der Arbeit
4
1.3
Eingrenzung des Themas
5
1.4
Das AGIL-Schema
5
2.
Begriffsdefinitionen
2.1
Wie wird der Begriff ,,Bürger" definiert?
6
2.2
Was ist mit der Integration von Bürgern gemeint?
7
2.3
Worin besteht der Unterschied zwischen der Integration und der Assimilation
von türkischen Bürgern?
7
2.4
Wann spricht man von ,,Interkultureller Kompetenz" und wodurch kann sie
erworben werden?
8
3.
Die Zuwanderung von türkischen Bürgern nach Deutschland von den
60er Jahren bis heute
3.1
Die Anwerbevereinbarungen ab 1961 zwischen Deutschland und der Türkei
9
3.2
Welche Konsequenzen hatte der Anwerbestopp von 1973 für die türkischen
Bürger?
10
3.3
Mit welchen Auswirkungen war der Nachzug der Familienangehörigen aus
der Türkei nach Deutschland verbunden?
10
,
3.4
Durch welche rechtlichen Vorschriften wurden türkische Bürger bei der
Aufnahme einer Erwerbstätigkeit in Deutschland privilegiert?
11
3.5
Zwischenergebnis
13
4.
Die aktuelle Situation türkischer Bürger in Deutschland erläutert an
Beispielen
4.1
Wie werden die Kinder türkischer Bürger erzogen?
14
4.2
Die Sprachkompetenz der türkischen Bürger
18
4.3
Welche Unterschiede gibt es im Bildungsniveau türkischer Eltern
und ihrer Kinder?
21
4.4
Die unterschiedlichen Familientypen bei türkischen Bürgern
22
4.4
Welchen Zugang haben türkische Bürger zum Arbeitsmarkt in Deutschland?
27
4.6
Wie ist die Wohnsituation türkischer Bürger in Deutschland?
30
4.7
Wie erfolgt die gesundheitliche Versorgung von türkischen Bürgern?
32

3
4.8
Die Situation der türkischen Senioren
34
4.8
Zwischenergebnis
36
5.
Strategien zur Integration von türkischen Bürgern in Deutschland
5.1
Darstellung, Inhalte sowie Ziele der Integrationskurse und deren
Umsetzung auf Ebene der Bundesländer und Kommunen
38
5.2
Weitere Integrationsangebote für türkische Bürger
41
5.2
Was kann interkulturelle Kompetenz für die deutsche Aufnahmegesellschaft
und für die türkischen Bürgern im Rahmen des Integrationsprozesses leisten? 44
5.4
Zwischenergebnis
46
6.
Fazit und Ausblick
6.1
Präsentation der erarbeiteten Ergebnisse
47
6.2
Könnte ein möglicher EU-Beitritt der Türkei die Integration von türkischen
Bürgern zukünftig erleichtern?
51
7.
Abkürzungsverzeichnis
53
8.
Literaturverzeichnis
54
9.
Erklärung
56

4
1.
Einleitung
1.1
Problemstellung
Seit Gründung der EU hat es Wanderbewegungen gegeben. Sei es, dass Staatsangehörige
innerhalb der verschiedenen Mitgliedstaaten der EU migrierten oder aber dass Staatsange-
hörige aus Drittstaaten in die EU immigriert sind.
Diese Masterarbeit untersucht, wie sich die Migration der türkischen Bürger in Europa auf
Deutschland ausgewirkt hat, und welche Rolle der Integrationsprozess der Zuwanderer da-
bei spielt. Weiterhin wird untersucht, welche Aufgaben sich an die deutsche Gesellschaft
stellen und was türkische Bürger in diesem Prozess selber leisten müssen.
1.2
Aufbau der Arbeit
Nach einer Definition der für diese Masterarbeit relevanten Begriffe wird zunächst die Migra-
tion von türkischen Bürgern nach Deutschland ab 1961 bis heute dargestellt werden. Dabei
werden folgende Fragen beantwortet:
·
Aus welcher Motivation heraus sind türkische Bürger nach Deutschland emigriert?
·
Gab es in Deutschland von Beginn der Migration an Bestrebungen, die türkischen Bürger
zu integrieren?
·
Gibt es gesetzliche Vorschriften, die türkische Bürger auf dem deutschen Arbeitsmarkt
privilegieren?
Im Anschluss wird die derzeitige Situation der türkischen Bürger in Deutschland unter Be-
rücksichtigung der folgenden Probleme dargestellt:
·
Gibt es Besonderheiten in der Art, wie die Kinder türkischer Bürger erzogen werden?
·
Welche Unterschiede gibt es in der deutschen Sprachkompetenz der türkischen Bürger?
·
Über welches Bildungsniveau verfügen die verschiedenen Generationen türkischer Bür-
ger?
·
Sind türkische Bürger auf dem deutschen Arbeitsmarkt integriert?
·
Wie gestaltet sich die Situation für türkische Bürger auf dem Wohnungsmarkt?
·
Gibt es besondere Schwierigkeiten im Hinblick auf die gesundheitliche Versorgung von
türkischen Bürgern?
·
Wie leben türkische Senioren in Deutschland?
Danach werden die Strategien zur Integration von türkischen Bürgern unter Bearbeitung der
folgenden Aspekte dargestellt:
·
Mit welchen Integrationsangeboten versorgen deutsche Organisationen, Institutionen,
Vereine und Verbände türkische Bürger?
·
Welche Ziele hat sich die Integrationsarbeit in Deutschland gesetzt?

5
·
Kann interkulturelle Kompetenz bei der Integration von türkischen Bürgern hilfreich sein
und was kann sie in dieser Beziehung leisten?
Neben einem Fazit wird abschließend noch kurz die Frage erörtert, wie sich ein eventueller
EU-Beitritt der Türkei auf die Integration der türkischen Bürger in Deutschland auswirken
könnte.
1.3
Eingrenzung des Themas
Die Arbeit wird sich nur mit der Integration von türkischen Bürgern beschäftigen, d. h. dass
der Fokus nicht auf die Probleme von türkischen Asylbegehrenden oder Flüchtlingen gerich-
tet sein wird.
Integration ist eine Aufgabe ist, der sich sowohl die türkischen Bürger als auch die deutsche
Aufnahmegesellschaft stellen müssen. Hier wird jedoch in erster Linie die Perspektive des
deutschen Staates und seiner Institutionen zu einem aktiven Integrationsprozess dargestellt
werden. Der Beitrag der türkischen Bürger wird dagegen weniger ausführlich beschrieben
werden.
Die Arbeit wird die Integrationsmaßnahmen darstellen, die in Deutschland sowohl bundes-
weit wie auch auf Länder- und Kommunalebene initiiert worden sind, ohne sich auf Ballungs-
räume wie z. B. bestimmte Großstädte oder Regionen zu konzentrieren.
Weiterhin wird im Zusammenhang mit der Debatte um die Integration von türkischen Bürgern
immer wieder auf deren islamischen Glauben und die damit verbundenen unterschiedlichen
Wertvorstellungen verwiesen. Obwohl dies ein wesentlicher Unterschied zwischen der deut-
schen und der türkischen Kultur ist und es diesen bei der Integrationsarbeit unbedingt zu
berücksichtigen gilt, würde dieser Punkt in der vorliegenden Arbeit jedoch zu weit von den
Integrationsprozessen fortführen, weshalb er nur marginal bearbeitet werden wird.
1.4
Das AGIL-Schema
Diese Arbeit soll nach den Merkmalen des so genannten AGIL-Schemas aufgebaut werden.
Dabei handelt es sich um einen Topoi-Katalog, der für sich beansprucht, alle Funktionen
überschaubar zu machen, die handelnde Personen ebenso wie soziale Systeme erfüllen
müssen. Die Aufmerksamkeit wird dabei systematisch auf die Kontextfaktoren des speziell
politischen Handelns gelenkt.
Die für solchen topischen Zwecke wichtigsten Grundgedanken des AGIL-Schemas lassen
sich wie folgt zusammenfassen:
Jeder Handelnde und jedes ,,soziale System" haben vier Grundaufgaben bzw. vier Grund-
funktionen zu erfüllen:
·
,,A": Anpassung des Systems an seine Umwelt und Regelung des Austauschs von Res-
sourcen aller Art mit ihr (,,adaption"),

6
·
,,G": Festlegung von Zielen, Durchführung zielverwirklichenden Handelns sowie Erfolgs-
kontrolle (,,goal attainment"),
·
,,I": Sicherung des Zusammenhalts des Systems durch Gewährleistung einer stabilen
Verknüpfung seiner Elemente (,,integration"),
·
,,L": Absicherung der Struktur des Systems. Bei sozialen Systemen geht es im Wesentli-
chen um die Aufrechterhaltung jener Wissensbestände, Sinndeutungen, Wertvorstellun-
gen und Normen, kurz: jener Grundprinzipien, anhand welcher die Struktur des Systems
hervorgebracht und reproduziert wird (,,latent pattern maintenance").
Jedes System muss kontinuierlich alle vier Aufgaben erfüllen, will es nicht seine Existenz
gefährden. Unabhängig von seiner Größe oder Komplexität hat es diese vier Grundfunktio-
nen zu erfüllen. In komplexeren Systemen besteht jedoch die Möglichkeit, dass sich Teilsys-
teme arbeitsteilig auf die Erfüllung jeweils bestimmter Einzelaufgaben spezialisieren, wobei
deren Wirkungsweisen in der Regel einander durchdringen.
1
In der Praxis wird das AGIL-Schema bei der Untersuchung eines politischen oder sozialen
Systems wie folgt genutzt:
Bei der Betrachtung eines Staates, einer Partei, einer Gewerkschaft oder eines Verbandes
untersucht man chronologisch, wie im zu beurteilenden System der Austausch mit dessen
Umwelt organisiert ist, wie in ihm Ziele gesetzt bzw. verwirklicht werden, wodurch der Zu-
sammenhalt gewährleistet wird und wodurch es seine Prinzipien erzeugt bzw. diese auf-
rechterhält.
Im Anschluss erfolgt die Untersuchung der Wechselwirkungen, welche zwischen den Bemü-
hungen, die einzelnen Funktionen zu erfüllen, bestehen. Daher ist es notwendig, die gesam-
te Komplexität jener Prozesse zu erfassen, in denen das interessierende System bzw. der
interessierende Ausschnitt sozialer oder politischer Wirklichkeit hervorgebracht wird.
Dadurch lässt sich auf jeder Schicht politischer Wirklichkeit, zumindest aber auf der Ebene
von Einzelpersonen, Kleingruppen, übergreifenden arbeitsteiligen Systemen oder ganzen
Gesellschaften herausfinden, wie auf ihr die vier Grundfunktionen erfüllt werden und wie de-
ren Wechselwirkungen ablaufen. Ferner ist von Interesse, wie das Erfüllen einer Funktion auf
einer bestimmten Ebene mit dem Erfüllen der Grundfunktionen auf den niedrigeren oder hö-
heren Schichten zusammenhängt.
2
2.
Begriffsdefinitionen
2.1
Wie wird der Begriff ,,Bürger" definiert?
Da es in dieser Arbeit um die Integration türkischer Bürger geht, soll hier zunächst der Begriff
des ,,Bürgers" definiert werden. Nach dem Lexikon der ,,Zeit" handelte es sich dabei früher
meist nur um den freien, vollberechtigten Einwohner einer Stadt, im Unterschied zu den Un-
1
Patzelt; Einführung in die Politikwissenschaft; Passau; 2003; S. 50 f.
2
ibd.; Passau; 2003; S. 52

7
freien, Halbfreien, Beisassen, unter Sonderrecht stehenden Gästen u. Ä. Das Bürgerrecht
war eine erwerbbare und verleihbare Rechtsstellung. Das Wort Bürger ist seit der Französi-
schen Revolution gleichbedeutend mit Staatsbürgern.
3
Unter einem Staatsbürger versteht
man im weiteren Sinne den Staatsangehörigen, im engeren Sinne nur den Staatsangehöri-
gen mit vollen politischen Rechten, insbesondere dem Wahlrecht. Staatsbürgerliche Rechte
und Pflichten sind die Rechte und Pflichten des Einzelnen, die in einem Anteil an der Bildung
des Staatswillens oder an der Ausübung der Staatsfunktionen bestehen.
4
Nach § 8 Abs. 2 HGO sind die Bürger einer Gemeinde deren wahlberechtigte Einwohner.
Im Hinblick auf diese Definitionen wird sich die vorliegende Arbeit mit der Integration von
türkischen Staatsangehörigen auseinandersetzen, die in ihrem Heimatland Bürgerrechte
genießen und ins Bundesgebiet emigriert sind.
2.2
Was ist mit der Integration von Bürgern gemeint?
Generell versteht man unter Integration die Herstellung einer Einheit bzw. die Eingliederung
in ein größeres Ganzes. In der Soziologie ist damit ein gesellschaftlicher Prozess gemeint,
der durch einen hohen Grad harmonischer und konfliktfreier Zueinanderordnung der ver-
schiedenen Elemente (Rollen, Gruppen, Organisationen) gekennzeichnet ist. Ferner steht
der Begriff für Prozesse der bewusstseinsmäßigen oder erzieherischen Eingliederung von
Personen und Gruppen in oder ihre Anpassung an allgemein verbindliche Wert- und Hand-
lungsmuster.
5
Der Begriff der Integration ist jedoch nicht abschließend definiert. Im Hinblick auf die Integra-
tion von türkischen Bürgern muss er einerseits so hinreichend konkret formuliert sein, um
daraus Ziele für die Integrationsarbeit abzuleiten. Gleichzeitig muss er aber auch flexibel
genug sein, um den wandelnden gesellschaftlichen Entwicklungen gerecht zu werden. Für
die vorliegende Arbeit soll folgende Definition gelten:
Unter Integration versteht man den dauerhaften Prozess der Eingliederung von Zuwanderern
und Menschen mit Migrationshintergrund in die Aufnahmegesellschaft sowie die Angleichung
ihrer Lebenslagen ohne Aufgabe der jeweils eigenen kulturellen Identität. Gleichzeitig ver-
steht man Integration als eine dauerhafte gesellschaftliche und politische Aufgabe, bei der
Zuwanderer, Menschen mit Migrationshintergrund und die Mitglieder der Aufnahmegesell-
schaft ihre unterschiedlichen Beiträge erbringen müssen.
6
2.3
Worin besteht der Unterschied zwischen der Integration und der Assimilation
von türkischen Bürgern?
Der Begriff ,,Assimilation" stammt aus dem Lateinischen und bedeutet ,,das Ähnlichmachen".
In der Soziologie wird darunter ein Vorgang verstanden, bei dem Einzelne oder Gruppen die
3
Die Zeit; Das Lexikon in 20 Bänden; Band 2; Hamburg; 2005; S. 495
4
ibd.; Band 14; S. 65
5
ibd.; Band 7; S. 93
6
Integrationskonzept für die Landeshauptstadt Wiesbaden; Wiesbaden; 2004; S. 7

8
Traditionen, Gefühle und Einstellungen anderer Gruppen übernehmen und in diesen allmäh-
lich aufgehen (z. B. Einschmelzung verschiedenartiger Einwanderergruppen in den USA);
ferner ist damit jede Angleichung des Einzelnen an die umgebenden Gruppen (Familie, Be-
rufsverband, Staat u. Ä.) gemeint. Die Assimilation ist ein wesentlicher Faktor für das Wachs-
tum von Stämmen, Völkern, Sprach- und Religionsgemeinschaften.
7
Im Idealfall nutzt sie der Eingemeindung einer fremden Gruppe und beugt der Entstehung
von Minderheiten und ihren Problemen vor. Nach gelungener Assimilierung sind die Unter-
schiede weitgehend ausgetilgt, und die Fremden nicht mehr von den Alteingesessenen zu
unterscheiden, so dass sie nicht mehr benachteiligt oder diskriminiert werden.
8
Im wesentlichen Unterschied zur Assimilation soll die Integration von türkischen Bürgern in
dieser Arbeit so verstanden werden, dass diese ihre eigene kulturelle Identität trotz einer
Eingliederung nicht aufgeben sollen. Wenn im weiteren Verlauf von Integration bzw. Integra-
tionsmaßnahmen gesprochen wird, so ist dies immer zu beachten, damit der Unterschied zur
Assimilation deutlich wird.
2.4
Wann spricht man von interkultureller Kompetenz und wodurch kann sie er-
worben werden?
Nach Friesenhahn lässt sich interkulturelle Kompetenz als persönliche ,,Befähigung, in inter-
kulturell geprägten Alltags- und Arbeitssituationen mit Angehörigen verschiedener ethnischer
Gruppen und/oder in fremdkultureller Umgebung kommunizieren und effektiv und effizient
professionell tätig werden zu können" verstehen.
9
Hinsichtlich interkultureller Kompetenz
lassen sich
·
affektive Aspekte (wie z. B. Toleranz),
·
kognitive Aspekte (wie z. B. Landeskenntnisse) und
·
Verhaltensaspekte (wie z. B. Fremdsprachenkompetenz)
voneinander unterscheiden.
Im Zusammenhang mit interkulturellen Begegnungen versteht man unter affektiven Aspekten
die Einstellungen einer Person gegenüber kultureller Andersartigkeit. Mit kognitiven Aspek-
ten bezeichnet man Kenntnisse und Denkstile, von denen angenommen wird, dass sie sich
förderlich auf den interkulturellen Kontakt auswirken. Verhaltensaspekte beschreiben soziale
und kommunikative Fertigkeiten, die im Zusammenhang mit einer erfolgreichen Gestaltung
von interkulturellen Situationen für relevant gehalten werden.
10
Im Berufsleben hat sich interkulturelle Kompetenz zu einer Schlüsselqualifikation entwickelt,
die einerseits durch Reisen ins Ausland oder längere Auslandsaufenthalte ad hoc erworben
7
Die Zeit; Das Lexikon in 20 Bänden; Band 1; Hamburg; 2005; S. 407 f.
8
Zaptcioglu, Türken und Deutsche, Frankfurt am Main, 2005, S. 62 f
9
Friesenhahn; Merkmale und Profil interkultureller Kompetenz; Schwalbach; 2001; S. 65 f.
10
Scheitza, Otten, Keller; Interkulturelle Zusammenarbeit: Einführung und Grundlagen; Berlin; 2002:
S. 40

9
werden kann. Ebenso können entsprechende Seminare und Schulungen dazu beitragen,
dass ein Basiswissen im Bereich interkultureller Kompetenz erworben werden kann.
Daneben kann sie auch ein Faktor sein, der den Umgang mit Migranten in alltäglichen Situa-
tionen, wie z. B. Nachbarschaft oder Vereinsleben, erleichtert. Die weiteren Hintergründe
und Fähigkeiten, die interkulturell kompetentes Handeln ermöglichen, werden im Kapitel 5.3
dargestellt.
3.
Die Zuwanderung von türkischen Bürgern nach Deutschland von den 60er Jah-
ren bis heute
3.1
Die Anwerbevereinbarung zwischen Deutschland und der Türkei ab 1961
Seit Mitte der 1950er Jahre begann die amtlich organisierte Anwerbung von ausländischen
Arbeitnehmern beiderlei Geschlechts. Die Erschöpfung einheimischer Arbeitskräfte erschien
zu diesem Zeitraum absehbar: Obwohl 1955 noch 1,07 Millionen Arbeitslose gezählt wurden,
erwarteten bereits 25 Prozent (1959 mehr als 50 Prozent) der befragten Unternehmen Pro-
duktionserschwernisse durch Arbeitskräftemangel. Die Bundesregierung, die Bundesanstalt
für Arbeit, die Arbeitgeberverbände und die Gewerkschaften sahen eine stärkere Beschäfti-
gung von ausländischen Arbeitskräften als geeigneten Ausweg. Deshalb wurden ab dem
Jahr 1961 türkische Bürger zur Erwerbstätigkeit in Deutschland angeworben.
Dabei wurden
allerdings langfristige soziale Folgeprobleme nicht antizipiert. Im öffentlichen ­ nicht im amtli-
chen Sprachgebrauch der 1960er Jahre - bürgerte sich für Arbeitskräfte aus den ,,Anwerbe-
ländern" nicht von ungefähr die Bezeichnung ,,Gastarbeiter" ein. Der Name war Botschaft;
denn ,,Gast" ist nur, wer nicht auf Dauer bleibt.
11
Ebenso wie die Arbeitnehmer aus den anderen Anwerbestaaten wie z. B. Italien, Spanien,
Marokko oder Jugoslawien erfüllten die türkischen Arbeitskräfte wichtige Funktionen in der
deutschen Wirtschaft, die erheblich zur Mehrung des Wohlstandes beitrugen. Diese waren u.
a.:
·
Die sich vergrößerten Lücken auf dem Arbeitsmarkt wurden geschlossen, wodurch auch
ein Wachstum in den arbeitsintensivsten Branchen erschlossen wurde.
·
Arbeitsplätze, deren Besetzung aufgrund von Lohn- und Arbeitsbedingungen von Deut-
schen zunehmend abgelehnt wurden, wurden durch sie besetzt. Die Entlohnung lag da-
bei meist unter dem Durchschnitt.
·
Das Sozialversicherungssystem wurde durch ihre Beitragszahlungen unterstützt.
·
Ursprünglich war die Anwerbung von ausländischen Arbeitskräften nur temporär geplant
und die Arbeitsverträge waren demzufolge meistens auf ein Jahr beschränkt. Dadurch
wurde durch sie ein verfügbares Reservoir für die schwankende Nachfrage in Ab-
schwung- und Boomphasen geschaffen. Allerdings wurde hier lediglich der Bedarf auf
dem Arbeitsmarkt betrachtet. So fand der Aspekt, dass neben den Arbeitern auch ganze
Familien nach Deutschland kamen, keinerlei Berücksichtigung.
12
11
Bade, Oltmer; Normalfall Migration; Bonn; 2004; S. 71 f.
12
Nuscheler; Internationale Migration; Wiesbaden; 2004; S. 124 f.

10
3.2
Welche Konsequenzen hatte der Anwerbestopp von 1973 für die türkischen
Bürger?
Aufgrund der stagnierenden Wirtschaft in Deutschland wurde im Jahr 1973 die Anwerbung
von ausländischen Arbeitskräften aus Staaten außerhalb der EG gestoppt. Innerhalb der EG
bestand bereits die Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Dadurch wurde zwar u. a. die Beschäfti-
gung von türkischen Bürgern gesenkt, allerdings wurde gleichzeitig auch deren transnationa-
le Fluktuation begrenzt. Ab dem Zeitpunkt des Anwerbestopps mussten türkische Arbeit-
nehmer damit rechnen, dass nach einer freiwilligen Rückkehr in die Türkei keine erneute
Einreise nach Deutschland mehr erfolgen konnte.
Türkische Bürger, die ihre Arbeitsverhältnisse bereits beendet hatten, um für einen begrenz-
ten Zeitraum in ihr Heimatland zurückzukehren, waren in der Regel danach chancenlos,
dass sie erneut als Arbeitsmigranten in Deutschland zugelassen wurden. Dies hatte zur Fol-
ge, dass die Anzahl der neu angeworbenen türkischen Arbeitskräfte zurückging, während die
Zahl derjenigen stieg, die blieben und ihre Familien nachziehen ließen. Somit verstärkte der
Anwerbestopp die herrschende Tendenz zu Daueraufenthalt und Familiennachzug. Der un-
erwünschte Trend von der Arbeitsmigration über Daueraufenthalte mit offenem Zeithorizont
zur Einwanderungssituation mit fester Bleibeabsicht wurde verstärkt.
13
3.3
Mit welchen Auswirkungen war der Nachzug der Familienangehörigen aus der
Türkei nach Deutschland verbunden?
Nach Beginn der Anwerbungen von türkischen Bürgern zur Arbeitsaufnahme in Deutschland
stellten diese hier nicht nur bald die größte Gruppe unter den Einwanderern dar, sondern sie
wurden auch in Branchen, Regionen und Wohnbereiche abgedrängt, die noch nicht von Ar-
beitsmigranten aus Südeuropa besetzt waren. Die Konzentration von türkischen Bürgern in
bestimmten städtischen Vierteln führte dazu, dass diese als ,,städtische Problemzonen"
wahrgenommen wurden. Durch ihre Kleidung, ihre Religionszugehörigkeit und ihre Verhal-
tensweisen wurden die türkischen Bürger stärker als Fremde wahrgenommen als die Südeu-
ropäer.
Auf dem Arbeitsmarkt wurden von den türkischen Arbeitnehmern die niederschwelligsten
Berufe verrichtet, wie z. B. Müllarbeiter, Straßenkehrer oder Reinigungskraft, die schlecht
entlohnt wurden. Obwohl sie von der deutschen Gesellschaft als Arbeits- und Dienstleis-
tungskräfte benötigt wurden, wurden sie andererseits ebenso von dieser ausgegrenzt.
14
Gleichzeitig wurden die türkischen Bürger, die als Arbeitsmigranten in Deutschland lebten, in
der Türkei als ,,Deutschländer" bezeichnet.
Der größte Teil der in Deutschland erwerbstätigen türkischen Bürger und ihrer Familien ge-
hörte dem moslemischen Glauben an. Somit galten für diese andere Lebensweisen und
Wertesysteme. In diesem Zusammenhang wurden von den türkischen Bürgern sowie ande-
13
Bade, Oltmer; Normalfall Migration; Bonn; 2004; S. 74 f.
14
Nuscheler; Internationale Migration; Wiesbaden; 2004; S. 124 f.

11
ren ausländischen Bürgern moslemischen Glaubens Toleranz und eine Anerkennung der
kulturellen Unterschiede von der deutschen Aufnahmegesellschaft gefordert. Je weniger
diese gewährt wurden, desto mehr zogen sich die türkischen Bürger in ihre ethnisch-
kulturellen Lebens- und Schutzräume zurück. In diesen, wie z. B. in Berlin-Kreuzberg oder
Duisburg-Marxloh, entstanden ,,transnationale Sozialräume". Hier fand eine stärkere Kom-
munikation mit den Verwandtschaften oder anderen Bürgern aus dem Herkunftsland statt als
mit der nächsten Umgebung. Diese Verhaltensweise der türkischen Bürger führte dazu, dass
in Deutschland vom Entstehen von sogenannten ,,Parallelgesellschaften" gesprochen wurde,
welche weit mehr als Problem angesehen wurden, als dies in klassischen Einwanderungs-
ländern wie z. B. den USA mit ihrem ausgeprägten ethnisch-kulturellen Pluralismus der Fall
war.
15
Viele türkische Bürger und ihre Familien lebten in einem Spannungsfeld zwischen der
noch stark durch die Herkunftsgesellschaft bestimmten ersten und einer in Deutschland auf-
gewachsenen zweiten Generation. Da sich die heranwachsende Generation zunehmend an
den neuen Lebensumständen orientierte, konnten Rückkehrabsichten in die Türkei von Sei-
ten der Eltern zu familiären Konflikten führen.
16
Die Entwicklung der türkischen Bevölkerungskategorie in Deutschland verlief insgesamt be-
trachtet sehr positiv. Lediglich in den wirtschaftlichen Krisenphasen 1974 und 1975 sowie
1983 fand eine Abschwächung statt. Von den 7,3 Millionen Ausländern stellen die türkischen
Bürger mit 1,9 Millionen Personen oder einem Anteil von 26 % heute die größte nationale
Gruppe dar. Ferner wurden seit den 1970er Jahren ca. 600.000 Personen türkischer Her-
kunft eingebürgert und etwa 680.000 der in Deutschland lebenden türkischen Bürger wurden
hier geboren. Einbürgerungen sind heute in der türkischen Bevölkerungskategorie von er-
heblicher Relevanz. Allerdings bürgen Untersuchungen zur Integration von türkischen Bür-
gern in diesem Zusammenhang die Gefahr, das Ausmaß von Integrationsprozessen zu un-
terschätzen, da eingebürgerte Zuwanderer als solche aus der Statistik verschwinden.
17
3.4
Durch welche rechtlichen Vorschriften wurden türkische Bürger bei der Auf-
nahme einer Erwerbstätigkeit in Deutschland privilegiert?
Das deutsche Ausländerrecht wird zunehmend europäisiert. Ein wesentlicher Bestandteil ist
hierbei das Assoziationsrecht EG/ Türkei, welches Aufenthaltsrechte für türkische Arbeit-
nehmer und ihre Familienangehörigen vorsieht.
Im Jahr 1963 wurde das Assoziationsabkommen zwischen der EWG und der Türkei in Anka-
ra unterzeichnet. Die Parteien vereinbarten in Art. 12 dieses Abkommens, dass sie sich von
den einschlägigen Bestimmungen des EG-Vertrages leiten lassen werden, damit sie unter-
einander schrittweise die Freizügigkeit der Arbeitnehmer herstellen konnten. Der Assoziati-
onsrat wird durch das Abkommen ermächtigt, Beschlüsse zu fassen, um die Rechte des Ab-
kommens zu verwirklichen. Darauf basierend ist der Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsra-
tes EWG/ Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19.09.1980 ­ ARB 1/80 ­ erlas-
sen worden. Aufgrund dieses Beschlusses wird die Position von türkischen Arbeitnehmern
und ihren Familien im sozialen Bereich verbessert. Aufgrund der Rechtsprechung des EuGH
15
ibd.; Wiesbaden; 2004; S. 125
16
Bade, Oltmer; Normalfall Migration; Bonn; 2004; S. 78
17
Sackmann; Zuwanderung und Integration; Wiesbaden; 2004; S. 84

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Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2006
ISBN (eBook)
9783832498993
ISBN (Paperback)
9783838698991
DOI
10.3239/9783832498993
Dateigröße
801 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin – Studiengang Europäisches Verwaltungsmanagement
Erscheinungsdatum
2006 (Oktober)
Note
2,3
Schlagworte
migration integration innenpolitik einwanderung europäische union
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