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Entwicklung der geringfügigen Beschäftigung in Deutschland unter Berücksichtigung der Arbeitsmarktreformen der Bundesregierung

Eine wirtschaftspolitisch-statistische Analyse seit der Wiedervereinigung

©2006 Diplomarbeit 88 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Der deutsche Arbeitsmarkt ist mit seinen grundlegenden Problemen seit Jahren ein Dauerthema in der öffentlichen Diskussion. Starre Strukturen, bürokratische Gesetzgebung und ein mangelnder politischer Wille lassen den deutschen Arbeitsmarkt im Vergleich zu anderen Ländern unflexibel und nicht wettbewerbsfähig erscheinen.
Mit der nachfolgenden Arbeit wird ein Segment des Arbeitsmarktes beleuchtet, dass in den letzten Jahren durch steigende Beschäftigtenzahlen für Gesprächsstoff sorgte. Die geringfügige Beschäftigung hat sich während der 1990er Jahre zu einem stillen Riesen entwickelt und ist heute ein unverzichtbares Instrument des deutschen Arbeitsmarktes. Im Juni 2006 befanden sich 6,7 Mio. Personen bzw. 17,2% aller Erwerbstätigen in einer geringfügigen Beschäftigung. 1992 waren es dagegen nur rund 3,2 Mio. bzw. 8,7% aller Erwerbstätigen. Dieser, zur sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung gegenläufige Trend, führte zu einer stärkeren Beachtung in der Politik. Mit zwei Reformen versuchte der Gesetzgeber, maßgeblich Einfluss auf Entwicklung und Struktur der geringfügigen Beschäftigung zu nehmen. Diese beiden Reformen, das „630-DM-Gesetz“ vom 24.03.1999 und die „Minijob-Reform“ vom 14.11.2002, hatten allerdings gegensätzliche Charaktere. Die erste Reformmaßnahme war ein Versuch, die geringfügige Beschäftigung einzudämmen, mit der zweiten Reform versuchte man sie auszuweiten.
Gang der Untersuchung:
Ein zentraler Punkt dieser Arbeit wird es sein, in einer empirischen Analyse zu untersuchen, wie sich diese Kehrtwende in der Politik auf die geringfügige Beschäftigung ausgewirkt hat. Als Datengrundlage für die Analyse dient das vergleichsweise neue Beschäftigtenpanel der Bundesagentur für Arbeit (BA), das im Gegensatz zu den etablierten Datenquellen auf prozessbasierten Daten der Beschäftigtenstatistik der BA zurückgreift. Durch den verhältnismäßig großen Stichprobenumfang und die gute Datenqualität lassen sich somit seriöse empirische Untersuchungen durchführen.
Als Vorbereitung für die Analyse wird ein Überblick über die Entwicklung der Rechtsgrundlagen geringfügiger Beschäftigung gegeben sowie deren Auswirkungen diskutiert. In der empirischen Analyse selbst sollen Fragen der Beschäftigungsaussichten geringfügig entlohnter Beschäftigter und die Möglichkeit von Arbeitslosen, über einen Minijob in die Erwerbstätigkeit zurückzukehren, hinreichend beantwortet werden. In diesem Zusammenhang wird auch geprüft, ob die neu […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Robert Borm
Entwicklung der geringfügigen Beschäftigung in Deutschland unter Berücksichtigung
der Arbeitsmarktreformen der Bundesregierung
Eine wirtschaftspolitisch-statistische Analyse seit der Wiedervereinigung
ISBN: 978-3-8366-0254-9
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2007
Zugl. Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin, Deutschland, Diplomarbeit, 2006
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2007
Printed in Germany

II
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis ... II
Abkürzungsverzeichnis... III
1 Einleitung... 1
2 Entwicklung des Arbeitsmarktes... 3
3 Entwicklung und Diskussion der rechtlichen Grundlagen ... 5
3.1 Vorbemerkung und Geschichte... 5
3.2 Einteilung der geringfügigen Beschäftigung... 6
3.3 Rechtliche Grundlagen bis 31.03.1999 und deren Effekte ... 7
3.4 Das 630-DM-Gesetz zum 01.04.1999... 9
3.5 Die "Minijob-Reform" - Neuregelung zum 01.04.2003... 12
4 Datengrundlage geringfügiger Beschäftigung... 17
4.1 Datenerfassung vor 1999... 17
4.1.1 Angebotsorientierte Messkonzepte ... 18
4.1.2 Nachfrageorientierte Messkonzepte ... 19
4.2 Statistische Erfassung nach 1999... 20
4.3 Schwierigkeiten bei der Datenerfassung... 22
5 Umfang und Struktur der geringfügig Beschäftigten ... 24
5.1 Umfang der geringfügig Beschäftigten vor 1999 ... 24
5.2 Beschäftigungsumfang nach dem 01.04.1999 ... 26
5.2.1 Kurzfristige Effekte des "630-DM-Gesetzes" ... 26
5.2.2 Schwierigkeiten in der amtlichen Statistik... 28
5.2.3 Beschäftigungsumfang bis 2003... 29
5.3 Beschäftigungsumfang nach der Minijob-Reform... 30
5.4 Struktur der geringfügig entlohnten Beschäftigten ... 33
5.4.1 Geringfügig Alleinbeschäftigte... 34
5.4.2 Geringfügig Nebenbeschäftigte ... 37
5.4.3 Einsatz in den Wirtschaftsbereichen... 38
6 Das BA-Beschäftigtenpanel... 40
6.1 Statistik und Forschung ... 40
6.2 Aufbau und Methodik... 42
6.3 Hochrechnungsgüte des BA-Beschäftigtenpanels... 43
6.4 Vergleich zu anderen Datenquellen... 44
7 Empirische Analysen mit dem BA-Beschäftigtenpanel ... 45
7.1 Zielstellung... 45
7.2 Analyse der geringfügig entlohnten Beschäftigung ... 46
7.2.1 Beschäftigungsaussichten... 47
7.2.2 Geringfügige Beschäftigung als Weg aus der Arbeitslosigkeit... 57
7.2.3 Aufteilung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung ... 59
7.3 Analyse der Beschäftigung in der Gleitzone ... 62
7.4 Soziale Absicherung durch die Rentenversicherung... 65
8 Schlussfolgerung und Zusammenfassung... 67
Literaturverzeichnis... 71
Anhang ... 80

III
Abkürzungsverzeichnis
BA
Bundesanstalt für Arbeit
BDH
Bundesverband deutscher Handelsverbände
BGBl
Bundesgesetzblatt
BIP
Bruttoinlandsprodukt
BMWI
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie
DIW
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
FDZ
Forschungsdatenzentrum
IAB
Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
ISG
Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik
KV
Krankenversicherung
KVI
Kommission zur Verbesserung der informationellen
Infrastruktur zwischen Wissenschaft und Statistik
RV
Rentenversicherung
RWI
Rheinisch-Westfälisches Institut für
Wirtschaftsforschung
SGB
Sozialgesetzbuch
SOEP
Sozio-oekonomische Panel
SUF
Scientific-Use-File
sv-pflichtig
sozialversicherungspflichtig
SVR
Sachverständigenrat zur Begutachtung der
gesamtwirtschaftlichen Entwicklung

1
1 Einleitung
Der deutsche Arbeitsmarkt ist mit seinen grundlegenden Problemen seit Jahren ein
Dauerthema in der öffentlichen Diskussion. Starre Strukturen, bürokratische Gesetz-
gebung und ein mangelnder politischer Wille lassen den deutschen Arbeitsmarkt im
Vergleich zu anderen Ländern unflexibel und nicht wettbewerbsfähig erscheinen.
Mit der nachfolgenden Arbeit wird ein Segment des Arbeitsmarktes beleuchtet, dass
in den letzten Jahren durch steigende Beschäftigtenzahlen für Gesprächsstoff sorgte.
Die geringfügige Beschäftigung hat sich während der 1990er Jahre zu einem stillen
Riesen entwickelt und ist heute ein unverzichtbares Instrument des deutschen Ar-
beitsmarktes. Im Juni 2006 befanden sich 6,7 Mio. Personen bzw. 17,2% aller Er-
werbstätigen in einer geringfügigen Beschäftigung.
1
1992 waren es dagegen nur
rund 3,2 Mio. bzw. 8,7% aller Erwerbstätigen.
2
Dieser, zur sozialversicherungspflich-
tigen Beschäftigung gegenläufige Trend, führte zu einer stärkeren Beachtung in der
Politik. Mit zwei Reformen versuchte der Gesetzgeber, maßgeblich Einfluss auf Ent-
wicklung und Struktur der geringfügigen Beschäftigung zu nehmen. Diese beiden
Refor
men, das ,,630-DM-Gesetz" vom 24.03.1999
3
und die ,,Minijob-Reform" vom
14.11.2002
4
, hatten allerdings gegensätzliche Charaktere. Die erste Reformmaß-
nahme war ein Versuch, die geringfügige Beschäftigung einzudämmen, mit der zwei-
ten Reform versuchte man sie auszuweiten.
Ein zentraler Punkt dieser Arbeit wird es sein, in einer empirischen Analyse zu unter-
suchen, wie sich diese Kehrtwende in der Politik auf die geringfügige Beschäftigung
ausgewirkt hat. Als Datengrundlage für die Analyse dient das vergleichsweise neue
Beschäftigtenpanel der Bundesagentur für Arbeit (BA), das im Gegensatz zu den
etablierten Datenquellen auf prozessbasierten Daten der Beschäftigtenstatistik der
BA zurückgreift. Durch den verhältnismäßig großen Stichprobenumfang und die gute
Datenqualität lassen sich somit seriöse empirische Untersuchungen durchführen.
Als Vorbereitung für die Analyse wird ein Überblick über die Entwicklung der Rechts-
grundlagen geringfügiger Beschäftigung gegeben sowie deren Auswirkungen disku-
tiert. In der empirischen Analyse selbst sollen Fragen der Beschäftigungsaussichten
1
Vgl. Minijob-Zentrale (2006), S. 6, Statistisches Bundesamt (2006c), eigene Berechnung.
2
Vgl. Tabelle 3: Arithmetisches Mittel aus SOEP, ISG und Mikrozensus.
3
BGBl I (1999), S. 388.
4
BGBl I (2002), S. 4621 ff.

2
geringfügig entlohnter Beschäftigter und die Möglichkeit von Arbeitslosen, über einen
Minijob in die Erwerbstätigkeit zurückzukehren, hinreichend beantwortet werden. In
diesem Zusammenhang wird auch geprüft, ob die neu eingeführte Gleitzone ("Midi-
jobs") die Minijobs einerseits sinnvoll ergänzt und andererseits mehr Beschäftigung
im Niedriglohnsektor schafft. Darüber hinaus wird auf die in der Öffentlichkeit oft dis-
kutierte Gefahr der Aufspaltung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung einge-
gangen.
Die oben erwähnte Kehrtwende der Politik mit der ,,Minijob-Reform" basiert allerdings
neben arbeitsmarktpolitischen Überlegungen auch auf mangelnden Forschungser-
gebnissen, insbesondere in den 1990er Jahren. Verantwortlich für dieses Informati-
onsdefizit war die oftmals nicht ausreichende Datengrundlage.
5
Aus diesem Grund
wird die vorliegende Arbeit neben einer Bewertung der Reform zur geringfügigen Be-
schäftigung auch eine Untersuchung der Datengrundlagen dieses Beschäftigungs-
segmentes enthalten. Es soll geklärt werden, ob es Unterschiede in den von den Da-
tenquellen ausgewiesenen Beschäftigtenzahlen gibt und mögliche Ursachen dafür
identifiziert werden.
In Abschnitt 2 wird zunächst ein Einblick in den deutschen Arbeitsmarkt gegeben und
es werden Gründe für den Vormarsch von geringfügiger Beschäftigung und atypi-
schen Beschäftigungsverhältnissen aufgezeigt. Anschließend wird in Abschnitt 3 die
Entwicklung und die damit verbundene Diskussion der rechtlichen Grundlage für die
geringfügige Beschäftigung in chronologischer Reihenfolge behandelt. In den Ab-
schnitten 4 und 5 werden die relevanten Datenquellen vorgestellt und analysiert und
in der folgenden Betrachtung des geringfügigen Beschäftigungsumfanges miteinan-
der verglichen. Das BA-Beschäftigtenpanel wird in Abschnitt 6 vorgestellt und seine
Vor- und Nachteile analysiert. Die anschließende Analyse der Reformmaßnahmen in
Abschnitt 7 konzentriert sich auf die oben bereits angedeuteten politischen Zielvor-
stellungen, die mit der Minijob-Reform angestrebt wurden. Neben den schon ange-
sprochenen Schwerpunkten wird sich der empirische Teil auch mit der sozialen Absi-
cherung geringfügig entlohnter Beschäftigter befassen. Abschließend werden die
Untersuchungen bewertet und die Ergebnisse zusammengefasst.
5
Vgl. Abschnitt 4.

3
2 Entwicklung des Arbeitsmarktes
Die Erwerbsbeschäftigung in Deutschland befindet sich seit einigen Jahrzehnten in
einem grundlegenden Wandel. Die Normalarbeitsverhältnisse (d.h. abhängige und
unbefristete Vollzeitarbeit) verlieren an Bedeutung. Die Entwicklung zielt in flexiblere
Beschäftigungsformen. Zum einen werden Formen, die das Arbeitsvolumen reduzie-
ren, wie Teilzeittätigkeit und geringfügige Beschäftigung, immer mehr bevorzugt.
Zum anderen geht die Tendenz zu steigender Befristung, insbesondere der Teilzeit-
arbeit.
6
1985 betrug der Anteil der abhängig Vollbeschäftigten an den Erwerbstäti-
gen noch 77,6%. Innerhalb von 15 Jahren fiel der Anteil um 8 Prozentpunkte auf
69,6%. Dagegen sind atypische Beschäftigungsverhältnisse (z.B. befristete Beschäf-
tigung, Teilzeitarbeit oder geringfügige Beschäftigung) in einem kontinuierlichen
Wachstumsprozess. Die abhängige Teilzeitarbeit stieg von 1985 bis 2000 von 10,6%
auf 19,1% der Erwerbstätigen.
7
Der Beschäftigungswandel von weniger Voll- zu mehr Teilzeit hat mehrere Ursachen.
Der kontinuierliche Produktionsfortschritt verringert den Bedarf an Arbeitsstunden.
Zudem belasten die hohen Sozialabgaben die sozialversicherungspflichtigen Ar-
beitsplätze und begünstigen Beschäftigungssegmente wie die geringfügige Beschäf-
tigung. Den größten Anteil am Beschäftigungswandel ist jedoch dem anhaltenden
Wandel der Wirtschaftsstruktur zuzuschreiben.
8
Die Wirtschaft entwickelt sich immer
mehr zu einer Dienstleistungs- und Kommunikationsgesellschaft und hat bereits die
Vorreiterrolle des Sekundären Sektors (das Produzierende Gewerbe) abgelöst. Die
Domäne der Industrie als Wirtschaftszweig mit der höchsten Wertschöpfung endete
bereits in den 1980er Jahren. Betrug der Anteil der Bruttowertschöpfung des Verar-
beitenden Gewerbes in den 1960er Jahren noch knapp 50%, fiel dieser Wert in 1992
auf 38,5%. Im gleichen Zeitraum zog der Anteil für den Tertiären Sektor (Handel,
Dienstleistung u.a.) von 35% in 1960 auf 46,6% in 1992 an.
9
Aber nicht nur in der Wertschöpfung musste die Industrie ihre Führungsposition an
den Tertiären Sektor abgeben, sondern auch in der Beschäftigung. Dienstleistungs-
6
Vgl. Hoffmann/Walwei (2002), S. 136f.
7
Vgl. ebd. S., 137, Alte Bundesländer.
8
Vgl. Bach u.a. (2005), S. 1.
9
Vgl. Reichwald/Möslein (1995), S 6, Daten für alte Bundesländer.

4
und Handelsunternehmen beschäftigten 1991 59,5% aller Erwerbstätigen in
Deutschland. 2004 stellte der Tertiäre Sektor bereits 71,3% aller Erwerbstätigen.
10
Tabelle 1: Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in Tsd.
1991
2004
Veränderung
Produzierendes Gewerbe
10.657
7178
-3479
Vollzeit
10.275
6781
-3494
Teilzeit
382
397
15
Handel, Gastgewerbe und Verkehr
6686
6194
-492
Vollzeit
5851
5060
-791
Teilzeit
835
1134
299
Öffentliche und private Dienstleister
6585
7126
541
Vollzeit
5526
5108
-418
Teilzeit
1059
2018
959
sozialversicherungspflichtig
Beschäftigte insgesamt
30.005
26.608
-3397
Vollzeit
27.347
22.310
-5037
Teilzeit
2658
4298
1640
Quelle: Bach u.a. (2005)
Der Strukturwandel zu mehr Dienstleistungstätigkeiten führt zu veränderten Formen
der Beschäftigung. Die Dienstleistungsbranche beispielsweise erfordert mehr Flexibi-
lität in Vergütung und Arbeitszeit, um schnell und bedarfsgerecht auf Kundenwün-
sche einzugehen.
11
Daher ist der Anteil der Teilzeitbeschäftigten und geringfügig Be-
schäftigten an der Gesamtbeschäftigung in Dienstleistungsunternehmen höher (Ta-
belle 1). Hier sind flexiblere Ausgestaltungsmöglichkeiten der Teilzeitarbeit und ge-
ringfügigen Beschäftigung für die Arbeitsnachfrage von Vorteil. Darüber hinaus för-
dert Teilzeit oft auch Motivation und Produktivität der Mitarbeiter.
12
Geringfügige Beschäftigung bringt zudem als Sonderform der Teilzeitarbeit, mit i.d.R.
geringerer Wochenstundenzahl und niedrigeren Lohnnebenkosten, personalwirt-
schaftliche Vorteile in einigen Wirtschaftszweigen. Im Dienstleistungsgewerbe und im
Handel werden vorhandene Personalengpässe und erhöhter Personalbedarf zu be-
stimmten Zeiten vornehmlich durch geringfügig Beschäftigte ausgeglichen. In Forst-
und Landwirtschaft können mit der flexiblen Beschäftigungsform saisonale
Arbeitsspitzen bewältigt werden. Darüber hinaus haben die Unternehmen im
10
Statistisches Bundesamt (2005), S.77, eigene Berechnung.
11
Vgl. Mengen (2004),S. 38.
12
Vgl. Wanger (2006), S. 1.

5
spitzen bewältigt werden. Darüber hinaus haben die Unternehmen im Rahmen des
Strukturwandels auch verstärkt betriebliche Funktionen an Fremdfirmen übertragen.
Diese Fremdfirmen setzen in hohem Maße geringfügig Beschäftigte ein
13
.
Nicht nur auf der Nachfrageseite existieren Anreize zu vermehrter Inanspruchnahme
von geringfügiger Beschäftigung. Es ist oft Wunsch der Beschäftigten selbst, die Ar-
beitszeit zu verkürzen.
14
Mit geringfügiger Beschäftigung lässt sich flexibler auf indi-
viduelle Bedürfnisse der Beschäftigten reagieren, insbesondere in der Familienpla-
nung. Daher nehmen überdurchschnittlich viele Frauen diese flexible Beschäfti-
gungsform an, um Familie und Beruf so reibungslos wie möglich zu vereinbaren.
Darüber hinaus wird geringfügige Beschäftigung von Randgruppen, wie Rentner,
Schüler und Studenten, zur Aufbesserung des Einkommens genutzt.
3 Entwicklung und Diskussion der rechtlichen Grundlagen
3.1 Vorbemerkung und Geschichte
Geringfügige Beschäftigung steht aufgrund der Sonderbehandlung von Sozial- und
Steuerabgaben schon lange im Fokus der arbeitsmarktökonomischen Diskussionen.
Sie war ursprünglich bewusst von der Sozialversicherungspflicht befreit worden. In
den 1960er Jahren suchte die Wirtschaft bei Vollbeschäftigung händeringend nach
Arbeitskräften und die Sozialversicherungen erzielten aufgrund der guten Beschäfti-
gungslage Überschüsse. Mit der Sozialversicherungsfreiheit wollte man Nichter-
werbstätige wie Schüler, Studenten, Hausfrauen und Rentner für den Arbeitsmarkt
mobilisieren. Die soziale Absicherung sollte entweder durch andere Mitglieder des
Haushaltes über die Familienversicherung erfolgen oder durch die sozialversiche-
rungspflichtige Hauptbeschäftigung.
15
Die Inanspruchnahme der Geringfügigkeitsre-
gelung sollte dabei mehr die Ausnahme als die Regel darstellen. Es zeigte sich aller-
dings bald, dass die Regelung von der Wirtschaft sehr viel öfter als in Ausnahmen in
Anspruch genommen wurde. Grund waren vor allem finanzielle Anreize durch die
13
Vgl. Baki u.a. (1999), S. 29.
14
Vgl. Wanger (2006), S. 2.
15
Vgl. Rudolph (1999), S. 2.

6
sozialversicherungsfreie und steuerrechtliche Sonderstellung. Aus diesem Anlass
wurden die rechtlichen Regelungen im Laufe der Zeit mehrfach überarbeit.
16
3.2 Einteilung der geringfügigen Beschäftigung
Die geringfügige Beschäftigung unterteilt sich in "geringfügig entlohnte Beschäfti-
gung" und "kurzfristige Beschäftigung" (Abbildung 1). Die erstgenannte Kategorie ist
auch bek
annt unter den Synonymen ,,630-DM-Jobs", "325-Euro-Jobs" oder "Mini-
jobs". Als kurzfristige Beschäftigung werden unregelmäßige, meist saisonal bedingte
Tätigkeiten bezeichnet. Sie machen einen geringen Teil der geringfügig Beschäftig-
ten aus. Darüber hinaus ist die statistische Erfassung solcher Beschäftigten aufgrund
der unregelmäßigen Arbeitszeiten schwierig. Daher wird diese Erwerbsform in der
vorliegenden Arbeit nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Abbildung 1: Einteilung der geringfügigen Beschäftigung
Quelle: In Anlehnung an Mengen (2004), eigene Darstellung
Die geringfügig entlohnte Beschäftigung wird i.d.R. weiter unterteilt in "geringfügige
Alleinbeschäftigung", "geringfügige Nebenbeschäftigung" und "mehrere geringfügige
Beschäftigungen".
17
16
Vgl. Becker/Jörges-Süß (2002), S.124.
17
Rudolph (1999), diese Einteilung wurde ab der Reform der geringfügigen Beschäftigung zum
01.04.1999 verwendet, aus Vereinfachungsgründen wird diese Definition auch für Betrachtungen vor
1999 in Anspruch genommen.
geringfügige Beschäftigung
geringfügig entlohnte Beschäftigung
kurzfristige Beschäftigung
geringfügige Alleinbeschäftigung
geringfügige Nebenbeschäftigung
mehrere geringfügige Beschäftigungen

7
Die Bezeichnung "geringfügige Alleinbeschäftigung" oder "ausschließlich geringfügi-
ge Beschäftigung" wird verwendet, wenn der Erwerbstätige keiner weiteren sozial-
versicherungspflichtigen (Haupt-)Beschäftigung nachgeht.
Geringfügig Nebenbeschäftigte üben neben einer sozialversicherungspflichtigen
Hauptbeschäftigung eine geringfügig entlohnte Nebentätigkeit aus.
Unter "mehrere geringfügige Beschäftigungen" versteht man, dass mehr als eine ge-
ringfügige Alleinbeschäftigung ausgeübt wird.
18
3.3 Rechtliche Grundlagen bis 31.03.1999 und deren Effekte
Die rechtlichen Grundlagen der geringfügigen Beschäftigung werden im SGB IV ge-
regelt. Eine Übersicht der nachfolgenden Regelungen befindet sich in der Tabelle A1
im Anhang.
Bis 1999 lag eine geringfügig entlohnte Beschäftigung vor, wenn die regelmäßige
Arbeitszeit weniger als 15 Stunden in der Woche umfasste. Die Verdienstgrenzen
wurden im Laufe der 1990er Jahre immer wieder angehoben und waren dabei für
Ost- und Westdeutschland unterschiedlich. Bis zur Reform am 01.04.1999 war die
monatliche Verdiensthöchstgrenze auf 630 DM für das ehemalige Bundesgebiet und
auf 530 DM für die neuen Bundesländer angestiegen.
19
Für diese Beschäftigungs-
verhältnisse gab es keine Beitragspflicht für die gesetzliche Sozialversicherung (Ar-
beitslosen-, Kranken-, Pflege-, Rentenversicherung). Versicherungsfrei blieben dar-
über hinaus auch Nebentätigkeiten, wenn entweder ein Siebentel der monatlichen
Bezugsgröße oder bei höherem Einkommen ein Sechstel des Gesamteinkommens
nicht überstiegen wurden. Mehrere geringfügige Beschäftigungen wurden zusam-
mengezählt und bei Überschreitung der Verdienstgrenze sozialversicherungspflich-
tig.
20
Eine kurzfristige Beschäftigung liegt vor, wenn die Beschäftigung innerhalb eines
Jahres auf 50 Arbeitstage oder 2 Monate begrenzt ist und nicht berufsmäßig ausge-
übt wird.
21
Die Regelungen für die kurzfristige Beschäftigung haben sich durch die
zwei nachfolgenden Reformen nicht geändert.
18
Vgl. Rudolph (1999), S. 1f.
19
Vgl. Ochs (1999), S. 224.
20
Vgl. Rudolph (1998), S. 3ff, Ausnahmeregelung bei Arbeitslosenversicherung.
21
Vgl. Schüller (1999), S. 13.

8
Das Einkommen aus geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen wurde entweder mit
20% pauschalversteuert oder individuell durch Vorlage der Lohnsteuerkarte.
22
Mit der massiven Ausweitung der geringfügigen Beschäftigung in den 1990er Jahren
wurde die Kritik an der bestehenden gesetzlichen Regelung immer lauter. Das Aus-
maß an sozialversicherungsfreier Beschäftigung entsprach nicht mehr den ursprüng-
lichen Vorstellungen, diese Erwerbsform als Ausnahmeregelung anzusehen. Vielfach
wurde die Geringfügigkeitsregelung von den Unternehmen missbraucht, begünstigt
auch durch fehlende staatliche Kontrolle.
23
Einer der Hauptkritikpunkte war die feh-
lende soziale Absicherung der geringfügigen Beschäftigten. Ein nicht unbedeutender
Teil der geringfügig Beschäftigten wünschte sich selbst, mit Einführung der Sozial-
versicherungspflicht eine Absicherung aufzubauen.
24
Ein bedeutender Punkt in die-
sem Zusammenhang war die Diskussion um entgangene Beiträge für die Sozialver-
sicherungen. Von Wagner wird angeführt, dass die Sozialversicherungsfreiheit von
Beschäftigten, die durch Familienangehörige abgesichert sind und anderweitig
Schutz genießen, nicht mehr zu rechtfertigen ist.
25
Diese Kritik unterstützend wirkt
das Argument, dass Sozialversicherungsfreiheit zum Freifahrerverhalten ermuntert
und das Sozialversicherungsprinzip verletzt.
26
Diejenigen, die durch andere Haus-
haltsmitglieder abgesichert sind (z.B. Hausfrauen, Schüler) haben einen Anreiz, eine
geringfügige Tätigkeit aufzunehmen und somit den Sozialabgaben zu entgehen.
Auch ist verteilungspolitisch fragwürdig, dass die Nebenerwerbstätigen keine Sozial-
abgaben abführen müssen und einen reduzierten Steuersatz in Anspruch nehmen
können.
27
Eine Einführung der Sozialversicherungspflicht führe daher zu einer Ver-
breiterung der Bemessungsgrundlage für die Einnahmen. Man sah dadurch Chan-
cen, die Beitragssätze zu senken und die Belastung der Arbeitskosten für alle Be-
schäftigten und Unternehmen zu reduzieren.
28
22
Vgl. Heineck/Schwarze (2001), S. 2.
23
Vgl. Weinkopf (1997), S. 12f.
24
Vgl. Weinkopf (1997) S. 20: bei einer Untersuchung von Schwarze/Wagner gaben 40% der gering-
fügigen Frauen an mehr zu arbeiten und bemessen einen eigen Rentenanspruch hohe Bedeutung zu,
bei der ISG von 1997 haben 19% der Befragten ein Interesse an einer Einführung der Sozialversiche-
rungspflicht.
25
Vgl. Wagner (1998).
26
Vgl. Ochs (1997), S. 647.
27
Vgl. Wagner (1998).
28
Vgl. Meinhardt u.a. (1997).

9
Neben der Frage der Sozialversicherungspflicht wurden zahlreiche Benachteiligun-
gen der geringfügig Beschäftigten im Arbeitsalltag kritisiert. So sind die gezahlten
Stundenlöhne oftmals niedriger als eine vergleichbare Voll- oder Teilzeitstelle. Aber
auch bei tariflichen und gesetzlichen Leistungen, wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld,
Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall, Mutterschutz- oder Erziehungsurlaub etc. wer-
den die geringfügig Beschäftigten häufig ausgeschlossen.
29
Verantwortlich dafür ist
auch der unterdurchschnittliche Organisationsgrad der sozialversicherungsfreien Be-
schäftigten.
30
Darüber hinaus fühlen sich die geringfügigen Beschäftigten in einer
,,Zweiklassengesellschaft", weil sie oft nicht über die Lohnsteuerkarte arbeiten und
dadurch die Beschäftigung nicht als echtes Arbeitsverhältnis angesehen wird.
31
3.4 Das 630-DM-Gesetz zum 01.04.1999
Der Gesetzgeber änderte die gesetzlichen Rahmenbedingungen mit dem Gesetz zur
Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse vom 24. März 1999 zum
01.04.1999.
32
Die grundlegendste Änderung ist die Einführung der Sozialversiche-
rungspflicht für geringfügig entlohnte Beschäftigte. Im Folgenden werden die Ände-
rungen für die Beschäftigungsgruppen nach Rudolph kurz dargestellt.
33
Die Entgeltgrenze für geringfügige Alleinbeschäftigung wurde auf 630 DM dauerhaft
festgesetzt. Der Arbeitgeber hatte pauschal 12% des Arbeitsentgeltes in die Renten-
versicherung und 10% in die Krankenversicherung abzuführen. Allerdings entstehen
volle Ansprüche an die Rentenversicherung erst dann, wenn der Erwerbstätige die
Arbeitgeberbeiträge aufstockt.
34
Bei keinen weiteren Einkünften, konnte der Beschäf-
tigte eine Freistellung von der Lohnsteuer beim Finanzamt beantragen. Bei der Be-
steuerung konnte, nach wie vor, zwischen Individual- und Pauschalbesteuerung ge-
wählt werden.
Bei mehreren geringfügigen Beschäftigungen blieb die bestehende Regelung des
Additionsprinzips bestehen.
29
Vgl. Ochs (1997), S. 646.
30
Vgl. Wagner (1998).
31
Vgl. ebd.
32
BGBl. I (1999), S. 388.
33
Vgl. Rudolph (1999), S. 1.
34
Vgl. Heineck/Schwarze (2001), S. 2.

10
Grundlegende Änderungen ergaben sich für sozialversicherungspflichtige
Beschäftigte mit einer geringfügigen Nebentätigkeit. In diesem Fall wurden beide
Beschäftigungen gleich behandelt. Die Nebenbeschäftigung war nun voll
sozialversicherungspflichtig (Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge) und wurde
pauschal oder individuell besteuert.
Mit der Reform zum 01.04.1999 hatte die Bundesregierung versucht, einigen
ungünstigen
Entwicklungen
entgegenzuwirken.
35
Mit
Festsetzung
der
Geringfügigkeitsgrenze auf 630 DM wollte man die Ausweitung der
Beschäftigungsform begrenzen. Allerdings wurde mit der Reform die Entgeltgrenze
für Ost-
und Westdeutschland angeglichen. Dadurch erhöhte sich die
Geringfügigkeitsgrenze für die Neuen Bundesländer zum 01.04.1999 um 100 DM.
Durch die Einführung der Sozialversicherungspflicht für geringfügig entlohnte Be-
schäftigung wurde den Betroffenen die Möglichkeit gegeben, eigene Sozialleistungs-
ansprüche aufzubauen. Insbesondere verheiratete Frauen sollten durch die Neure-
gelung zum Aufbau eigener sozialer Ansprüche ermutigt werden (das Einkommen
des Ehegatte bleibt bei einer Beschäftigungsaufnahme unberücksichtigt). Die Einfüh-
rung der pauschalierten Sozialversicherungsbeiträge führte jedoch nicht zu den ge-
forderten und gewünschten Effekten. Durch Pauschalbeiträge entstehen in der ge-
setzlichen Rentenversicherung (RV) nur minimale Ansprüche.
36
Erst durch Verzicht
auf die Sozialversicherungsfreiheit und damit verbundene Aufstockung der Beiträge
auf die jeweils geltende Rentenbeitragshöhe kann der geringfügig Beschäftigte die
vollen Leistungen aus der Rentenversicherung verlangen. Sinnvoll ist die Sozialver-
sicherungspflicht allerdings für die Beschäftigten, die kurzfristige Lücken im Erwerbs-
leben mit einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis ausfüllen wollen.
37
Dadurch
ist eine kontinuierliche Beitragszahlung in die Rentenversicherung durchführbar. Die
Bereitschaft zur Aufstockung war jedoch gering. Nur 1,9% der geringfügig Beschäf-
tigten verzichteten 1999 auf die Rentenversicherungsfreiheit und stockten ihre Bei-
35
Vgl. Bundesregierung (2003), S. 2f.
36
Vgl. Mengen (2004), S. 63.
37
Vgl. Ochs (1999), S. 225.

11
träge auf.
38
Da dies ein zentraler Punkt der Reform war, wird dieses Thema in Ab-
schnitt 7.4 gesondert behandelt.
Weitere Lücken für geringfügig Beschäftigte ergaben sich in der Krankenversiche-
rung. Geringfügig Alleinbeschäftigte erhalten bei der gesetzlichen Krankenversiche-
rung (KV) keine Zusatzleistungen wie Krankengeld, Mutterschaftsgeld und andere
Lohnersatzleistungen.
39
Da sie keine Beiträge in die Arbeitslosenversicherung zah-
len, entstehen keine Ansprüche auf Leistungen, insbesondere für Maßnahmen der
aktiven Arbeitsmarktpolitik. Dadurch haben die Beschäftigten bspw. auch keine Mög-
lichkeit zur Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen, um eine Brücke in die sozial-
versicherungspflichtige Beschäftigung aufzubauen.
40
Es ist daher nicht verwunder-
lich, dass in der Literatur das Ziel vom Aufbau eigener sozialer Ansprüche der
geringfügig Beschäftigten oft als unzureichend bewertet wird.
41
Mit der Einführung der Sozialversicherungspflicht lagen wohlmöglich vornehmlich
andere Überlegungen des Gesetzgebers vor. Durch die zusätzlichen Beitragsein-
nahmen für die Sozialversicherung wurde die marode Finanzgrundlage der Sozial-
versicherungen verbessert. Die Bundesregierung unterschätzte allerdings die Zu-
satzeinnahmen aus den Sozialversicherungen. Wie aus Tabelle 2 zu entnehmen,
wurde in 1999 750 Mio. DM und in 2000 sogar 1,2 Mrd. DM mehr Beiträge einge-
nommen als erwartet.
42
Tabelle 2: zusätzliche Einnahmen der RV und KV durch geringfügige Beschäftigungsverhältnisse in Mrd. DM
1999
2000
Rentenversicherung
Schätzung Bundesregierung
1,90
2,85
tatsächliche Einnahmen
2,40
3,62
Krankenversicherung
Schätzung Bundesregierung
1,35
2,00
tatsächliche Einnahmen
1,60
2,44
Quelle: Bundesregierung (1999), Mengen (2004)
Aufgrund der weiterhin bestehenden Mängel bei der sozialen Absicherung der ge-
ringfügig Beschäftigten und der üppigen Beitagseinnahmen der Sozialkassen liegt
38
Vgl. Abschnitt 7.4.
39
Vgl. Ochs (1999), S. 231.
40
Vgl. ebd., S. 231.
41
Vgl. Heineck/Schwarze (2001), S. 19; vgl. Ochs (1999), S. 231.
42
Die Schätzung der Bundesregierung sind nach eigenen Angaben vorsichtige Einschätzung unter
Berücksichtigung von Sicherheitsabschlägen. Die späteren zusätzlichen Rentenansprüche würden
sich auf 85 Mio. DM pro Jahr belaufen; vgl. Bundesregierung (1999), S. 4.

12
die Vermutung nahe, dass es dem Gesetzgeber bei dem "630-DM-Gesetz" eher um
eine Verbesserung der finanziellen Lage der Sozialversicherung ging.
43
Durch die volle Sozialversicherungspflicht und individuelle Besteuerung für Neben-
erwerbstätigkeiten wurden Haupt- und Nebenbeschäftigungen gleich behandelt. Die-
se Neuregelung war die gravierendste Änderung dieser Reform. Für geringfügig Ne-
benbeschäftigte verringerte sich das Nettoeinkommen aus der Nebentätigkeit um
den vollen Arbeitnehmerbeitragssatz zur Sozialversicherung. Auch für Arbeitgeber
war es unattraktiver geworden, geringfügige Nebenbeschäftigte einzustellen.
44
Vor dem Hintergrund des Ziels der damaligen Bundesregierung, ein Ausweichen in
die Schwarzarbeit zu verhindern und die Aufspaltung sozialversicherungspflichtiger
Beschäftigungen einzudämmen
45
, sind die oben genannten Belastungen sehr kritisch
zu beurteilen. Durch Verteuerung der legalen Arbeit wird eher ein Abdriften in die
Schwarzarbeit gefördert.
Darüber hinaus ergaben sich wichtige Neuerungen zur Erfassung, Kontrolle und sta-
tistischen Darstellung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse. Die bestehende
Anmeldepflicht bei den Sozialversicherungen wurde um Kontroll- und Abmeldungen
erweitert. Damit sind die geringfügig Beschäftigten in das "normale" Meldeverfahren
der Sozialversicherungen integriert. Sie lassen sich so besser erfassen und die Ab-
gaben leichter kontrollieren.
46
3.5 Die "Minijob-Reform" - Neuregelung zum 01.04.2003
Die auferlegten Hürden für die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse wurden
schon kurz nach Einführung heftig diskutiert. Insbesondere von Seiten der Wirtschaft
gab es Kritik an der Neuregelung. Der Handel sah Ausnahmeregelungen dieser pre-
kären Beschäftigungsverhältnisse als notwendig an, um als "Ventil" der hohen Abga-
benlast der regulären Beschäftigung und des überregulierten Arbeitsrechtes entge-
genzuwirken.
47
Die Bundesregierung sah sich zudem gezwungen, aufgrund steigen-
der Arbeitslosigkeit und Expansion der Schwarzarbeit, Reformen auf dem Arbeits-
markt durchzuführen. Hinzu kommen die Mängel des sozialen Systems, die den An-
43
Vgl. Heineck/Schwarze (2001), S. 19; vgl. Ochs, S. 231.
44
Vgl. Heineck/Schwarze (2001), S. 5.
45
Vgl. Deutscher Bundestag (1999), S 1.
46
Vgl. Rudolph (1999), S. 3, vgl. Abschnitt 4.2.
47
Vgl. BDH (2001).

13
reiz zur Aufnahme einer Neben- oder Hauptbeschäftigung eines Arbeitslosen min-
dern. Hintergrund ist ein mangelnder Lohnabstand zwischen staatlichen Transferleis-
tungen und dem am Arbeitsmarkt erzielbaren Lohn. Dieser Zusammenhang wird oft
als "Sozialstaatsfalle"
48
bezeichnet.
Zu einem grundlegenden Problem des deutschen Arbeitsmarktes wurde zudem die
unzureichenden Beschäftigungsmöglichkeiten für Personen, deren Qualifikation und
somit auch deren Produktivität stark unterdurchschnittlich ist.
49
Die Arbeitslosigkeit
der Geringqualifizierten liegt in der Tat wesentlich höher als die anderer Gruppen.
Die durchschnittliche Arbeitslosenquote für Personen ohne Berufsausbildung lag
zwischen 1999-2003 mit 22,8% deutlich über der Gesamtquote von 10,1%.
50
Die damalige Bundesregierung beauftragte Anfang 2002 eine Kommission, mit dem
Vorsitzenden des früheren Personalvorstandes von Volkswagen, Dr. Peter Hartz, mit
der Ausarbeitung von Vorschlägen zur Arbeitsmarktpolitik. Dabei stand insbesondere
die Bekämpfung der Schwarzarbeit, die Gestaltung eines Niedriglohnsektors und
Wege aus der Arbeitslosigkeit in eine reguläre Beschäftigung im Vordergrund. Die
Hartz-Kommission legte dem Gesetzgeber in ihrem Abschlussbericht Änderung an
dem "630-DM-Gesetz" nahe. Diese Änderungsvorschläge hatten maßgeblichen
Einfluß auf die weitere Diskussion und der späteren Gesetzesänderung zum
01.04.2003. Die Hartz-Kommission empfahl, im Gegensatz zur geltenden Regelung,
eine Entlastung der geringfügigen Beschäftigung. Zusammen mit "...Ich- und Famili-
en-AG..." bieten diese Beschäftigungsverhältnisse laut der Kommission einen
"...attraktiven Rahmen..." für die Erbringung von Dienstleistungen."
51
Die Vorschläge der Kommission beinhalteten:
52
die Anhebung der Geringfügigkeitsgrenze auf 500 Euro,
pauschale Sozialversicherungsabgaben von 10%,
die Vereinfachung des Beitragseinzuges,
die steuerliche Förderung von Dienstleistungen in privaten Haushalten,
reduzierte Sozialversicherungsbeitragssätze von 501-1000 Euro mit stufenweiser
Anpassung.
48
Fertig u.a. (2004) S. 16.
49
Vgl. ebd., S. 16.
50
Hummel (2004), S. 5, eigene Berechnung, Werte für September.
51
Hartz (2002), S. 41.
52
Vgl. ebd., S. 169f.

14
Allerdings empfahl die Kommission diese "Minijob-Regelung" zuerst nur für haus-
haltsnahe Dienstleistungen und nur für Arbeitslose und Nichterwerbstätige einzufüh-
ren. Damit wollte man die besonders in Haushaltstätigkeiten stark ausgeprägte
Schwarzarbeit bekämpfen und legalisieren. Zudem sollte so eine Chance zum Ein-
stieg in die reguläre Beschäftigung geschaffen werden. Erst bei positiven Arbeits-
markteffekten sollte eine Ausweitung der Tätigkeitsfelder in Betrachtung gezogen
werden.
53
Ein neuer Aspekt bei diesen Vorschlägen war die stufenweise Subventionierung der
Sozialversicherungsbeiträge oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze. Damit wurde der
lang kritisierte Punkt der "Geringfügigkeitsfalle" mit aufgenommen. Diese Beschäfti-
gungsform wird später als "Midijobs" oder Beschäftigung in der "Gleitzone" bezeich-
net und im Abschnitt 7.3 gesondert behandelt.
Die Bundesregierung hatte im Zuge der Vorschläge zur Reform des Arbeitsmarktes
durch die Hartz-Kommission das Zweite Gesetz für moderne Dienstleistungen am
Arbeitsmarkt am 23.12.2002 verabschiedet.
54
In diesem Rahmen ergaben sich um-
fassende Änderungen hinsichtlich des Umfanges der geförderten Personen sowie
des Beitrags- und Meldeverfahrens. Dabei ist der Gesetzgeber in einigen Punkten
entscheidend von den Vorschlägen der Hartz-Kommision abgewichen. So beschrän-
ken sich die Neuregelungen nicht nur auf die haushaltsnahen Tätigkeiten sondern
sind generell für alle Wirtschaftsbereiche anwendbar.
Im Einzelnen beinhaltet das Gesetz:
55
die Anhebung der Geringfügigkeitsgrenzen von 325 Euro auf 400 Euro pro Monat
und eine Aufhebung der Arbeitszeitgrenze von 15 Stunden pro Woche,
eine geringfügige Nebenbeschäftigung wird für den Arbeitnehmer wieder
sozialversicherungsfrei,
Änderung der Sozialversicherungsbeitragssätze und Senkung der Pauschal-
versteuerung,
die Attraktivität von geringfügiger Beschäftigung in Haushalten wird durch einer-
seits niedrigere Sozialversicherungsbeiträge und anderseits steuerliche Absetz-
barkeit erhöht,
53
Vgl. Hartz (2002), S. 169f.
54
Vgl. BGBl l (2002), S. 4621ff.
55
Vgl. Rudolph (2003), S. 1ff.

15
die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge für die Einkommensspanne von
401-800 Euro ("Gleitzone" bzw. "Midijobs").
Die Details der Gesetzesänderung sind in der Tabelle A1 des Anhangs dargestellt.
Die Bundesregierung begründete die erneute Anpassung der rechtlichen Rahmen-
bedingungen mit drei maßgeblichen Zielvorstellungen:
Schaffung von Beschäftigung mit flexiblen Gestaltungsmöglichkeiten im Niedrig-
lohnbereich unter Wahrung der sozialen Absicherung der Erwerbstätigen,
56
es soll den Arbeitslosen die Möglichkeit gegeben werden, durch Aufnahme einer
geringfügigen Beschäftigung bzw. eines Midijobs, einen gleitenden Übergang in
einer regulären Beschäftigung zu ermöglichen
57
("Brückenfunktion")
58
,
Bekämpfung der Schwarzarbeit insbesondere in den Privathaushalten.
59
Mit den rechtlichen Änderungen hat die Politik eine Kehrtwende zum ,,630-DM-
Gesetz" vollzogen, um so die geringfügige Beschäftigung auszuweiten.
60
Die neuen Rahmenbedingungen gestalten deshalb die s.g. Minijobs deutlich attrakti-
ver. Zum einen wurde die Geringfügigkeitsgrenze deutlich angehoben, um über 23%
auf 400 Euro. Dadurch fallen ehemals sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhält-
nisse in die Minijob-Regelung. Weiterhin ist ein Nebenjob zu einer (sozialversiche-
rungspflichtigen) Hauptbeschäftigung sozialversicherungsfrei gestellt. Damit wird die
Abgabenbelastung für diese Personengruppe aus dem ,,630-DM-Gesetz" aufgeho-
ben. Durch diese beiden rechtlichen Änderungen alleine, ist der Umfang nach Schät-
zungen des IAB durch s.g. ,,Umbuchungen" um ca. 740.000 Beschäftigungsverhält-
nisse angestiegen.
61
Darüber hinaus fördern bei geringfügigen Tätigkeiten in Privat-
haushalten die reduzierten Sozialabgaben und die steuerliche Absetzbarkeit zu ver-
mehrten Anmeldungen in diesem Bereich.
Die Erweiterung der Einsatzmöglichkeiten für geringfügige Beschäftigungsverhältnis-
se und den neu eingeführten Niedriglohn-
Jobs (,,Midijobs") hatte entscheidende
Auswirkungen auf die Finanzlage der Sozialversicherungen. Erste Berechnungen
56
Vgl. Bundesregierung (2003), S. 2.
57
Vgl. BMWI (2003), S. 26.
58
Vgl. Fertig u.a. (2004), S. 15.
59
Vgl. Bundesregierung (2003), S. 4.
60
Vgl. Fertig u.a. (2004), S. 15.
61
Vgl. Rudolph (2003), S. 5; vgl. Minijob-Zentrale (2003a), S. 7.

16
kurz nach der Reform zeigten durch unterschiedliche Ergebnisse eine gewisse Prob-
lematik bei der genauen Einschätzung der Beitragsausfälle. Rudolph berechnete im
Mai 2003 auf Basis der Beschäftigungsverhältnisse vom Juni 2000 einen Bei-
tragsausfall von 417 Mio. Euro (berücksichtigt ausschließlich die Minijob-
Regelung).
62
Dieser Wert ist aber nur hypothetisch zu sehen, da sich einerseits die
Struktur der Beschäftigten seit 2000 verändert hat und andererseits sich nach der
Minijob-Reform der Umfang dieser Beschäftigungsverhältnisse erheblich ausgeweitet
hat. Die Minijob-Zentrale kommt, nach bekannt werden der ersten Beschäftigungs-
zahlen nach der Reform, auf Basis der gleichen Beschäftigungsstruktur wie Rudolph,
zu einem anderen Ergebnis. Dabei ging die Minijob-Zentrale davon aus, dass nach
Berücksichtigung der oben bereits erwähnten ,,Umbuchungen", es zu einem Zuwachs
von ca. 930.000 neuen Minijobs gekommen ist.
63
Dadurch würden laut der Minijob
Zentrale ca. 590 Mio. Euro zusätzlich in die Sozialkassen fließen und der Gesamtef-
fekt der Neuregelung für geringfügige Beschäftigung damit bei +175 Mio. EUR lie-
gen.
64
Auch diese Zahl ist kritisch zu betrachten. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass
diese 930.000 Minijobs wirklich neu geschaffen wurden. Vielmehr kann es zum Teil
zu einer Zerlegung von sozialversicherungspflichtigen Teil- und Vollzeitarbeitsplätzen
in Minijobs gekommen sein.
65
Bei solchen Substitutionseffekten ist der Beitragsaus-
fall der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze mit zu berücksichtigen. Kommt
es nämlich vermehrt zu Aufspaltung in Minijobs, kann es die Finanzlage der Sozial-
kassen erheblich verschlechtern. Das Thema Substitution sozialversicherungspflich-
tiger Beschäftigung in Minijobs ist von entscheidender Bedeutung, wenn es um die
Evaluation arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen des Gesetzgebers geht. Daher wird
dieses Thema gesondert in Abschnitt 7.2.3 behandelt.
Der Gesetzgeber hat mit der "Mini-Job Reform" auch die Aufnahme von einer gering-
fügigen Nebenbeschäftigung neben einer sozialversicherungspflichtigen Hauptbe-
schäftigung attraktiver gemacht. Dieser Schritt ist etwas verwunderlich, da eine sol-
che Änderung nicht von der Hartz-Kommission vorgeschlagen wurde. Die Nebener-
62
Vgl. Rudolph (2003), S. 5. Bei Berücksichtigung der Beitragsausfälle durch Midijobs würde sich der
Einnahmenausfall um 195 Mio. Euro erhöhen.
63
Minijob-Zentrale (2003a), S. 7, Stand Juni 2003, Veränderung gegenüber 30.09.2002, eigene Be-
rechnung.
64
Minijob-Zentrale (2003a), S. 10.
65
Vgl. Schupp u.a. (2004), S. 497.

Details

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Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2006
ISBN (eBook)
9783956360749
ISBN (Paperback)
9783836602549
Dateigröße
695 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin – Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät
Erscheinungsdatum
2007 (März)
Note
1,1
Schlagworte
minijob gleitzone ba-beschäftigtenpanel prozessdaten beschäftigung
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Titel: Entwicklung der geringfügigen Beschäftigung in Deutschland unter Berücksichtigung der Arbeitsmarktreformen der Bundesregierung
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