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Zwischen Anspruch und Wirklichkeit - Welche Bedeutung hat die Jugendweihe heute für Jugendliche als Übergangsritual vom Jugend- zum Erwachsenenalter?

©2006 Diplomarbeit 128 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Zusammenfassung:
Endlich erwachsen zu werden und die Kindheit hinter sich zu lassen, stellt seit jeher für viele Heranwachsende erstrebenswertes Ziel und innig gehegten Wunsch gleichermaßen dar. Es gilt, gesellschaftliche Akzeptanz und Handlungsfähigkeit zu erlangen und von der Umwelt als mündiger Bürger wahrgenommen zu werden.
Die Jugendweihe will die Schüler der achten Klasse inhaltlich und feierlich auf diesem Weg in das Erwachsenenleben begleiten. Sie gilt vor allem im Osten Deutschlands und neben der kirchlichen Konfirmation als gesellschaftlicher Ritus, der diesen Übergang vom Jugend- zum Erwachsenenalter markieren soll.
Die vorliegende Arbeit will untersuchen, welche Gültigkeit diesem Ritual heute noch zukommt und wie das Verhältnis zwischen den Ambitionen der Jugendweiheanbieter und der erlebten Realität der Teilnehmer zu sehen ist.
Dabei soll es vor allem um die Frage gehen, ob und welche Ansprüche der Vermittlung von Werten und Erlebnissen sich die durchführenden Vereine gestellt haben – und wie diese in der Praxis umgesetzt werden. Im Gegensatz dazu soll untersucht werden, wie Jugendliche an der Schwelle zum Erwachsenwerden die Bedeutsamkeit der Jugendweihe einschätzen und was oder wer sie zur Teilnahme bewegt.
Um der Komplexität des Themas gerecht zu werden, besteht diese Arbeit aus den folgenden vier Teilen:
Teil I beleuchtet kurz die historischen Hintergründe und die Geschichte der Jugendweihe sowie ihr Verhältnis zur kirchlichen Konfirmation.
Teil II stellt zwei Jugendweiheanbieter aus Dresden näher vor und beschreibt deren Ansprüche an die Vorbereitung und Durchführung der Jugendweihe.
Teil III beschäftigt sich mit den Methoden zur Untersuchung der Jugendweihe und der damit verbundenen Datenerhebung.
Teil IV befasst sich mit der Auswertung der Daten und interpretiert das Ergebnis in Bezug auf die Vorbetrachtungen.


Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis:
Einleitung4
Teil I5
1.Geschichte der Jugendweihe5
1.1Die Anfänge der Jugendweihe5
1.2Die Proletarische Jugendweihe (1889 - 1918)7
1.3Jugendweihen in der Weimarer Zeit (1918 - 1933)8
1.4Jugendweihe im Dritten Reich (1933 - 1945)9
1.5Jugendweihen nach 194512
1.5.1Jugendweihen in der BRD12
1.5.2Jugendweihen in der DDR13
1.6Jugendweihen in der Umbruchzeit 1989/9018
1.7Jugendweihe im vereinten Deutschland20
1.8Jugendweihe und Konfirmation21
Teil II.27
2.Veranstalter und Programm der Jugendweihe27
2.1Der Sächsische Verband für Jugendarbeit und […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Teil I
1 Geschichte der Jugendweihe
1.1 Die Anfänge der Jugendweihe
1.2 Die Proletarische Jugendweihe (1889 – 1918)
1.3 Jugendweihen in der Weimarer Zeit (1918 – 1933)
1.4 Jugendweihe im Dritten Reich (1933 – 1945)
1.5 Jugendweihen nach 1945
1.5.1 Jugendweihen in der BRD
1.5.2 Jugendweihen in der DDR
1.6 Jugendweihen in der Umbruchzeit 1989/90
1.7 Jugendweihe im vereinten Deutschland
1.8 Jugendweihe und Konfirmation

Teil II
2 Veranstalter und Programm der Jugendweihe
2.1 Der Sächsische Verband für Jugendarbeit und Jugendweihe e.V.
2.1.1 Die Jugendweihe
2.1.2 Inhalt und Anspruch der Jugendweihe
2.1.3 Das Jugendweihejahr
2.1.4 Die Feierstunde
2.2 Der Jugendverein „Roter Baum“ e.V.
2.2.1 Die Jugendweihe
2.2.2 Inhalt und Anspruch der Jugendweihe
2.2.3 Das Jugendweihejahr
2.2.4 Die Feierstunde

Teil III
3 Untersuchungsmethoden und Datenerhebung
3.1 Einleitung
3.2 Das Qualitative Interview
3.2.1 Interviewformen
3.2.2 Das Leitfragen gestützte, teilstrukturierte Interview
3.2.3 Möglichkeiten und Grenzen des Leitfragen-Interviews
3.3 Das Interview als soziale Situation
3.4 Die Datenerhebung
3.4.1 Die Auswahl der Probanden
3.4.2 Interviewplanung und Leitfragen
3.4.3 Ablauf der Interviews
3.4.4 Transkription

Teil IV
4 Interpretation und Auswertung der Daten
4.1 Bedeutung der Jugendweihe aus Sicht der Teilnehmer
4.1.1 Information und Motivation
4.1.2 Wünsche und Erwartungen
4.1.3 Vorbereitung
4.2 Persönliche Einschätzung der Teilnehmer nach der Jugendweihe
4.3 Anspruch und Wirklichkeit der Veranstalter
4.4 Anspruch und Wirklichkeit aus Sicht der Jugendlichen
4.5 Zusammenfassung aus erziehungswissenschaftlicher Sicht

5 Literaturverzeichnis

6 Abkürzungsverzeichnis

7 Anhang

Interview 1

Interview 2

Interview 3

Interview 4

Interview 5

Interview 6

Interview 7

Interview 8

Einleitung

Endlich erwachsen zu werden und die Kindheit hinter sich zu lassen, stellt seit jeher für viele Heranwachsende erstrebenswertes Ziel und innig gehegten Wunsch gleichermaßen dar. Es gilt, gesellschaftliche Akzeptanz und Handlungsfähigkeit zu erlangen und von der Umwelt als mündiger Bürger wahrgenommen zu werden.

Die Jugendweihe will die Schüler der achten Klasse inhaltlich und feierlich auf diesem Weg in das Erwachsenenleben begleiten. Sie gilt − vor allem im Osten Deutschlands und neben der kirchlichen Konfirmation − als gesellschaftlicher Ritus, der diesen Übergang vom Jugend- zum Erwachsenenalter markieren soll.

Die vorliegende Arbeit will untersuchen, welche Gültigkeit diesem Ritual heute noch zukommt und wie das Verhältnis zwischen den Ambitionen der Jugend­weiheanbieter und der erlebten Realität der Teilnehmer zu sehen ist. Dabei soll es vor allem um die Frage gehen, ob und welche Ansprüche der Vermittlung von Werten und Erlebnissen sich die durchführenden Vereine gestellt haben – und wie diese in der Praxis umgesetzt werden. Im Gegensatz dazu soll untersucht werden, wie Jugendliche an der Schwelle zum Erwachsenwerden die Bedeutsamkeit der Jugendweihe einschätzen und was − oder wer − sie zur Teilnahme bewegt.

Um der Komplexität des Themas gerecht zu werden, besteht diese Arbeit aus den folgenden vier Teilen:

Teil I beleuchtet kurz die historischen Hintergründe und die Geschichte der Jugendweihe sowie ihr Verhältnis zur kirchlichen Konfirmation.

Teil II stellt zwei Jugendweiheanbieter aus Dresden näher vor und beschreibt deren Ansprüche an die Vorbereitung und Durchführung der Jugendweihe.

Teil III beschäftigt sich mit den Methoden zur Untersuchung der Jugendweihe und der damit verbundenen Datenerhebung.

Teil IV befasst sich mit der Auswertung der Daten und interpretiert das Ergebnis in Bezug auf die Vorbetrachtungen.

Teil I

1 Geschichte der Jugendweihe

Konfirmations-Alternative, Mittel zur politischen Vereinnahmung, Fest des Kon­sums – der Jugendweihe wurden im Laufe der Zeit schon viele Bedeutungen zu­geschrieben. Um diese deutsche Tradition, für die es in Europa kein vergleich­bares Ritual gibt, näher vorstellen zu können, erschien es mir von Bedeutung, einen Blick auf die über 150-jährige Geschichte der Jugendweihe zu werfen.

1.1 Die Anfänge der Jugendweihe

Die Entstehung der Jugendweihe wird zurückgeführt auf das Bestreben der Freireligiösen und Freidenker, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts etwas Fort­schrittlicheres im Vergleich zu der von ihnen abgelehnten Konfirmation schaffen wollten. Als einer ihrer wichtigsten Wegbereiter gilt der Pfarrer der Nikolaikirche Nordhausen Eduard Baltzer, der mit der geistlichen und weltlichen Obrigkeit brach, aus seiner Gemeinde austrat und 1847 die Freie Protestantische Gemeinde Nordhausen gründete. Sein Ziel war es, jungen Menschen eine humanistische Erziehung ohne Bevormundung durch die Staatskirche zuteil werden zu lassen und ihnen die Entfaltung jenseits kirchlicher Dogmen zu ermöglichen. Sie sollten, auf der Grundlage der Pädagogik Fröbels, zu freien und selbständig handelnden Menschen erzogen werden, die später zu guten Demokraten werden würden.[1]

Ursprungsgedanke war es also, mit der Jugendweihe eine Alternative zur Kon­firmation zu schaffen, die jungen Menschen die Möglichkeit gab, sich außer­kirchlich und ohne Zwang auf ihren Weg ins Erwachsensein vorzubereiten und sich dabei mit den humanistischen Werten der Aufklärungszeit zu befassen.

Baltzer, der 1852 die erste Jugendweihe in Nordhausen durchführte, schrieb dazu: „Mit dem 14. Lebensjahr hören die Kinder nach dem allgemeinen Gesetz auf, schulpflichtig zu sein, und haben das Recht, sich selbst rücksichtlich ihres religiösen Bekenntnisses zu besinnen. Wenn die Kinder unserer Gemeinde in diesem Lebensjahr sich vereinigen, spezielle Unterweisungen über die wichtigsten Beziehungen des Lebens erhalten und, wenn sie es wollen, in gemeinsamer Feier als selbständige Mitglieder in die Gemeinde eingeführt werden, so ist auch dies alles Sache der Freiwilligkeit.“[2]

Baltzers Forderung nach einer „geistreichen Aufklärung“ statt „geistlicher Aus­steuer“[3] fand vor allem in den freireligiösen Gemeinden Norddeutschlands, in Berlin und Hamburg ihre Anhänger, die die antikirchlichen Ziele ihrer Veran­staltungen von den Jugendlichen in abschließenden Gelübden bekräftigen ließen. Gelobt wurde unter anderem, „die Wahrheit“ zu „erforschen, und mit aller Kraft zu wirken, sie zu verbreiten, getrieben von reiner, edler Menschenliebe“ und „nie zu ruhen und müßig zu sein, wo es gilt, Großes zu erreichen, zu arbeiten an dem Heilswerke Wahrheit und religiöse Freiheit“.[4]

Die seit etwa 1870 in Berlin existierende freireligiöse Gemeinde, die als Reli­gionsgemeinschaft anerkannt war, führte bereits zeitig einen mehrjährigen Jugendunterricht mit anschließender Jugendweihe ein, an der 1890 bereits mehr als 100 Weihlinge[5] teilnahmen. Und auch die 1882 in Hamburg entstandene Frei­denker Gesellschaft Hamburg schloss sich Baltzers Beispiel an und veröffent­lichte am 1. Januar 1890 in der SPD-Zeitung Hamburger Echo einen Aufruf an die Eltern, deren Kinder nicht konfirmiert werden sollten, sie stattdessen zu einer Schulentlassungsfeier in Form der Jugendweihe zu schicken. Erklärtes Ziel war es, dass „auch für alle Kinder, die nicht konfirmiert werden, ein festlicher Mittel­punkt für den bedeutsamen Wendepunkt ihres Lebens geschaffen werde“[6].

Während Gandow und Chowanski/Dreier in der Jugendweihe ein weltoffenes Alternativangebot zur kirchlichen Weihe sehen und Urban/Weizen sie als Be­kenntnis zu einer atheistischen Weltanschauung bezeichnen, definiert Meier die Jugendweihe klar als Ersatzveranstaltung für die Konfirmation, und zwar in doppeltem Sinne: „Zum einen musste die kirchliche Handlung ersetzt werden, zum anderen galt es, Jugendliche in die Proletariergemeinschaft einzuführen“[7].

1.2 Die Proletarische Jugendweihe (1889 – 1918)

Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts war die Entwicklung der Jugendweihe eng mit dem Aufschwung der Arbeiterbewegung verbunden. Einige freireligiöse Gemeinden wandten sich dauerhaft proletarischen Kulturorganisationen oder verschiedenen Hilfsorganisationen für den politischen Kampf zu.

Die Gründung des Deutschen Freidenkerverbandes 1881 ging mit großem Zuspruch aus Teilen der aufgeklärten Arbeiterbewegung und von revolutionären Sozialdemokraten einher. Die Erkenntnis, dass „die Ordnung (also die Unter­drückung der Arbeiter) keineswegs – wie in der Schule und Kirche gelehrt – gottgewollt und unabänderlich“[8] war, sollten die Arbeiterkinder schon vor dem Eintritt in das Arbeitsleben erfahren.

Gandow markiert die erste Jugendweihe der Freireligiösen Gemeinde Berlin am 14. April 1889, bei der diese Entwicklung besonders deutlich wurde, als Beginn der proletarischen Jugendweihen und schreibt: „Für alle Jugendweiheinteres­senten – egal, in welcher Organisation sie heute stehen, beginnt die eigentliche Jugendweihetradition mit diesem Tag.“[9]

1890 folgte die erste proletarische Jugendweihe in Hamburg, dem zweiten großen deutschen Arbeiterzentrum. Sie übte gemeinsam mit den Jugendweihen in Berlin starke Signalwirkung auf das ganze Land aus und sorgte für steigenden Zuspruch sowie wachsende Teilnehmerzahlen. 1905 begann auch der Deutsche Freidenker­verband und ein Jahr später der Monistenverband, Jugendweihen zu feiern.

Die Jugendweihe mit ihren Vorbereitungsstunden wurde nun zu einem Instrument fortschrittlicher Bildung und Erziehung im Sinne proletarischer Aufklärung. Der Kampf um eine bessere Welt stand von nun an im Vordergrund, ihm wurden die Jugendlichen geweiht.

1.3 Jugendweihen in der Weimarer Zeit (1918 – 1933)

Aus der Zeit des I. Weltkrieges sind nur wenige Feiern bekannt. Nach dem Krieg jedoch erlebte die Jugendweihe auch in ländlichen Gebieten wie dem Vogtland und Thüringen großen Aufschwung, nicht zuletzt durch eine Vielzahl neuer Anbieter, wie den neuen proletarischen Freidenkervereinigungen, Bildungs­vereinen, Jugendorganisationen sowie den Arbeiterparteien SPD, KPD und USPD und ihnen nahe stehenden Verbänden, die Anfang der Zwanziger Jahre eigene und zum Teil auch gemeinsame Jugendweihen organisierten.

Gemeinsames Konzept der Veranstaltung wurde es, schulentlassene Jugendliche feierlich in den Kreis der Erwachsenen aufzunehmen und durch begleitende Kurse auf das spätere Leben vorzubereiten. Dabei entstand eine enge Verbindung zwischen den proletarischen Jugendweihen und dem Kampf der proletarischen Freidenkerbewegung gegen die „Kirche als Hauptstütze der Herrschaft des Kapitalismus“[10] mit dem Ziel, möglichst viele zum Kirchenaustritt zu bewegen.

1921 erfolgte die erste kommunistische Jugendweihe in Berlin, deren Teilnehmer im Vorfeld einen Lebenskundeunterricht absolviert hatten, der sich mit Natur­kunde, sozialen Bewegungen, Geschichte, Wirtschaft und nicht zuletzt den politischen Lehren von Marx, Engels, Liebknecht und Bebel beschäftigte.

1930 ließ die KPD verlauten, dass „die kommunistische Jugendweihe“ die „Auf­nahme der Schulklassen in den KJVD (Kommunistischer Jugend Verband Deutschlands)“ und damit die „Verstärkung der revolutionären Kampffront der klassenbewussten Arbeiterschaft“ sei. In einer Weiherede wurden die Jugend­lichen bereits als „Genossinnen und Genossen“ bezeichnet.[11]

Zehn Jahre später wurde eine groß angelegte Kundgebung und Jugendweihe­veranstaltung der proletarischen Freidenker mit 2.000 Teilnehmern im Berliner Sportpalast polizeilich aufgelöst.[12]

Nach der Machtergreifung der Faschisten wurde die Jugendweihe am 28. Februar 1933 mit der „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ verboten. Der Deutsche Freidenker-Verband wurde im gleichen Jahr zur hochverräterischen Organisation erklärt und auf seine ursprüngliche Funktion als Bestattungskasse reduziert. Jugendweihen durften nun durch ihn nicht mehr angeboten werden.[13]

1.4 Jugendweihe im Dritten Reich (1933 – 1945)

Bereits im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts entwickelten sich parallel zu den massenwirksamen Jugendweihen der Proletarier die kameradschaftlichen bündisch-nationalen Jugendweihen, die ebenfalls die Macht der Kirchen ab­lehn­ten, aber fast unbeachtet im privaten Rahmen oder in kleinen Glaubens­ge­meinschaften stattfanden. In ihnen ging es vor allem um den Bezug zum biographischen Übergang, den „Schritt in die Welt des eigenen Volkes“[14]. Als Weihewart fungierte hier der Vater, der auch über Inhalt und Umfang des vorbereitenden Unterrichts entschied. Diese völkischen Jugendweihen im familiären Rahmen konnten auch nach dem Verbot der proletarischen Jugend­weihe 1933 noch stattfinden, da sie keinen öffentlich-politischen Rahmen suchten und die Jugendweihe an sich als Fest zur Lebenswende von den Nazis nicht abgelehnt wurde.[15]

Als 1932 die Mitgliedszahlen der freigeistigen Organisationen stark anstiegen, reagierten die nationalsozialistisch gesinnten Christen der evangelischen Kirche unter anderem mit demonstrativen Massenkonfirmationen und drückten dadurch ihre Ablehnung der freigeistigen Jugendweihen aus. Es sollte ein „Bedürfnis nach deutsch-religiösen Jugendweihen“ geschaffen werden, um „die vom Marxismus fehlgeleiteten deutschen Arbeiter für das Religiöse ‚zurückzugewinnen‘“[16]. Die „Vorarbeit“ der freireligiösen Gemeinden war den Nazis dabei willkommen, hatten diese doch den ihnen verbundenen Proletariern einen Geschmack religiöser Feierformen vermittelt.

Nachdem sich die freireligiösen Gemeinden 1934 zur Deutschen Glaubens­bewegung (DG) unter Führung von Jakob Wilhelm Hauer zusammengeschlossen hatten, erhielten sie die Erlaubnis zur Durchführung von Jugendweihen. Hauer bezog sich in seinen Ausführungen zur Jugendweihe auf alte germanische und indogermanische Brauchtümer, bei denen „die Alten die Jungen ‚eingeweiht‘ haben“ und prägt daraufhin den Begriff der „Jugendleite“, der unter anderem „die Wegleitung in die Aufgaben der Volksgemeinschaft“ durch den „reifen Mann“ meint.[17] Auch andere Organisationen, wie der Volksbund für Geistesfreiheit, veröffent­lichten ihre Richtlinien für deutschreligiöse Jugendweihen, an denen die Nazis nichts auszusetzen hatten. Nachdem Goebbels aber aus Angst vor Zer­klüftung der völkischen Einheit in einzelne Glaubensgrüppchen die „Durch­führung besonderer Feiern für gottgläubige Volks- und Parteigenossen“[18] 1934 verbot, führten die Nazis die Jugendweihe zum Teil als Parteiveranstaltung, zum Teil als Schulentlassungsfeier, als so genannte Lebenswendfeier weiter. Sinn der Veranstaltung sollte es nun sein, mit einem Gelöbnis den Einsatz seines Lebens im Dienst für das Volk zu versprechen und gleichzeitig von der Schule freigesprochen und ins schaffende Volk aufgenommen zu werden.

Bei diesen Schulentlassungsfeiern wurden zunehmend auch Angehörige der Hitlerjugend als „jüngste politische Willensträger der Partei“[19] hinzu gebeten, um die vorgebliche Lebenswendfeier als politisches Instrument nutzbar zu machen. Die Eltern der Jugendlichen wurden zum Teil von Parteimitgliedern der NSDAP aufgesucht, die die potenzielle Nichtbeteiligung an der Feier als Feindschaft gegen die Partei auslegten und mit entsprechenden Konsequenzen drohten.[20]

1940 wurden diese Lebenswendfeiern durch die einheitliche „Verpflichtung zur Hitlerjugend“ abgelöst. Bestreben der NSDAP war es dabei, den Bemühungen der „konfessionellen Gruppen“ und „verschiedenartigen Sekten“ eine „einheitliche Gestaltung der von der Partei […] aus diesem Anlaß veranstalteten Feier“ entgegen zu setzen.[21] 1941 wurden alle bisherigen Feierbezeichnungen durch den Titel „Verpflichtung der Jugend“[22] ersetzt. Diese Verpflichtungsfeiern, für deren Ausgestaltung die HJ verantwortlich war und in deren Mittelpunkt die Ver­pflichtung auf den Führer stand, sollten nunmehr vor allem der Rekrutierung aller jungen Deutschen als Parteimitglieder der NSDAP dienen.

Wunsch der Partei war es auch, diese − und einige andere nationalsozialistisch „bedeutende“ – Feiern fortan als Brauchtum zu installieren. Martin Bormann ver­öffentlichte dazu 1942 die „Richtlinien zur Vorbereitung der Durchführung“ zu den „Feiertagen der Jugend“, in denen fortan drei „besondere Ereignisse“ fest­gelegt wurden – die Aufnahme der Zehnjährigen in das deutsche Jungvolk beziehungsweise den Jungmädelbund, die Verpflichtungsfeier der 14-Jährigen und die Überweisung der 18-Jährigen in die NSDAP.[23] Die von der HJ organisierte Verpflichtungsfeier der 14-Jährigen, der in dieser Reihe die Vor­rangstellung eingeräumt werden sollte, wurde dabei mit der Schulentlassung und dem Berufseintritt zusammengelegt, so dass in einer Veranstaltung sowohl die Verabschiedung durch die Lehrer als auch die feierliche Übernahme in die Hitler­jugend und die Verpflichtung auf den Führer erfolgte.

1.5 Jugendweihen nach 1945

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und damit auch des Dritten Reiches entwickelte sich die Jugendweihe in den beiden deutschen Staaten auf ganz unterschiedliche Weise. Aus diesem Grund beleuchte ich die weitere Geschichte der Jugendweihe von diesem Zeitpunkt an bis zur deutschen Wiedervereinigung aus zwei verschiedenen Blickwinkeln.

1.5.1 Jugendweihen in der BRD

Zu Beginn der fünfziger Jahre wurde die Jugendweihe von freireligiösen Gruppen und Freidenkern vereinzelt wieder aufgenommen, wobei sich Schwerpunkte in Hamburg und Berlin bildeten. Durch das beginnende Wirtschaftswunder und die Etablierung der SPD als Volkspartei blieb eine proletarische Bewegung jedoch aus. Während sich in Hamburg 1953 die Arbeitsgemeinschaft Jugendweihe gründete, die einen halbjährigen Jugendunterricht mit abschließender Jugend­weihe anbot, buhlten in Berlin Arbeitsgemeinschaften und Parteien sowie Frei­religiöse und Freidenker mit vielfältigen Formen der Jugendweihe um Teilnehmer.

Ein 1947 von SPD und SED paritätisch zusammengesetzter Zentralausschuss für Jugendweihe setzte sich unter dem Titel „Bekenntnisfreiheit“ das Ziel, „Jugend­weihen im Sinne der Feiern des früheren Freidenker-Verbandes und der Frei­religiösen“ anzubieten.[24] Dieser Ausschuss sollte gemeinsame Feiern für Sozial­demokraten und Kommunisten in der ganzen Stadt organisieren, der Schwerpunkt bildete sich aber vor allem im Ostsektor, wo bereits 1946/47 die ersten Jugend­weihen nach dem Zweiten Weltkrieg mit etwa 2.500 Jugendlichen erfolgten.[25]

Mit Beginn des Kalten Krieges spaltete sich die Freidenker- und Jugendweihebe­wegung in einen sozialdemokratischen und einen kommunistischen Flügel. Daraufhin begann die SED 1948 mit der Ausrichtung eigener Jugendweihen in der SBZ, und 1949 gründete sich der Westberliner Freidenkerverband, der später dem Bundesverband beitrat. Dieser organisierte bis zum Beginn der Achtziger Jahre wenig erfolgreich Jugendweihen in der BRD, die mit ständigem Teil­nehmerschwund zu kämpfen hatten, und unternahm anschließend bis zur Wieder­vereinigung noch einige Versuche, seine Veranstaltung wieder attraktiver – im Sinne von weniger politisch – zu gestalten. Trotzdem blieb der Begriff der Jugendweihe für viele Menschen in Westdeutschland ein Fremdwort.

1.5.2 Jugendweihen in der DDR

Nach der Bildung des o.g. Zentralen Ausschusses für Jugendweihe durch SPD und SED erklärte die SED, vorerst keine eigenen Jugendweihen durchführen zu wollen – die Parteimitglieder sollten selbst über die Teilnahme ihrer Kinder bei einer der Veranstaltungen entscheiden. Schon ein Jahr später, 1948, erhielten die Landesvorstände der SED aber den Auftrag, bei der Durchführung der Jugend­weihe aktiv zu werden. Material mit „Ausführungen zum Umgang mit der Jugendweihe“ wurde versendet, in dem vier Schwerpunkt-Ziele zur Übermittlung an die Jugend benannt wurden: „eine Stunde der Besinnung am ersten großen Wendepunkt des Lebens“ zu erleben, „auf die Zeit erhöhter gesellschaftlicher Verantwortung“ vorbereitet zu werden, „Verständ­nis für Gutes und Schönes“ vermittelt zu bekommen und zu erfahren, dass „die neue freie Jugend nie wieder für einen Krieg missbraucht werden“ soll.[26]

Bis 1949 erlebte die Jugendweihe einen Wiederaufschwung in ihren ehemaligen Hochburgen vor 1933, Berlin, Dresden, Jena, Leipzig, Nordhausen und Wismar. Im Mai desselben Jahres erteilte die SED die Weisung, jede Form der frei­denkerischen und sozialistischen Jugendweihen ab 1950 einzustellen und forderte die 1946 gegründete – und mittlerweile zur Jugendorganisation der SED avan­cierte – FDJ auf, eigene Schulentlassungsfeiern nach dem zentralistischen Vorbild der Sowjetunion durchzuführen. Ihr Ziel war es, Kontrolle über die Vielzahl individueller Jugendweihen zu erlangen – und den eigenen Einflussbereich zu vergrößern.[27]

Am 23. Februar 1950 erfolgte dann das offizielle Verbot der Jugendweihen durch den Berliner Landesvorstand der SED, der stattdessen die o.g. zentralen Schul­entlassungsfeiern durch die FDJ anordnete. Stefan Heymann, der Leiter der Abteilung Kultur und Erziehung, erklärte dazu am 31. März 1950 im Neuen Deutschland: „Dieser Beschluss wird es uns erleichtern, die führende Rolle der Arbeiterklasse im Kampf unseres ganzen Volkes um Frieden, Freiheit, Einheit und Fortschritt zu verwirklichen“ – und drückte damit unmissverständlich den un­eingeschränkten Führungsanspruch der Partei und ihrer Jugendorganisation aus.[28]

Nachdem 1952 der SED-Beschluss des „Aufbau des Sozialismus“ mit überzoge­nen wirtschaftlichen Forderungen, erhöhten Arbeitsnormen und ideologischem Druck zu den Unruhen des 17. Juni 1953 führte, gab die KPdSU ab 1954 einen neuen Kurs für die SED in der Kirchen- und Bündnispolitik vor. Dieser sah auch vor, die Kirche „in die von der Partei beherrschten Gesellschaft“ einzubinden und ihren „gesellschaftlichen Einfluss“ zurückzudrängen.[29] Im selben Jahr erschien deshalb im Schnellverfahren der Beschluss des Politbüros des ZK der SED über die erneute Bildung eines Zentralen Ausschusses für Jugendweihe, mit Kreis- und Ortsausschüssen in den Bezirken. Dieser sollte bis November 1954 arbeitsfähig sein und bis Januar 1955 bereits die potenziellen Teilnehmer der Jugend­weihe­feiern im April 1955 melden.[30]

Die vorher üblichen Schulentlassungsfeiern wurden wieder abgeschafft, und die neue Jugendweihe als staatliche − und kostenfreie − Veranstaltung und als Teil der Anti-Kirchenpolitik der SED installiert. Die vielen Eltern, die ihre Kinder vorher – aus Mangel an Alternativen – zur Konfirmation geschickt hatten, um sie feierlich auf den neuen Lebensabschnitt vorzubereiten, sollten jetzt für die Jugendweihe der Partei gewonnen – und damit dem Einfluss der Kirche entzogen werden. Auch namhafte Persönlichkeiten der DDR, unter ihnen die Schriftsteller Anna Seghers, Johannes R. Becher und Stephan Hermlin wurden zu diesem Zwecke verpflichtet, sich mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit zu wenden und darin die Notwendigkeit der Jugendweihe darzustellen.

100.000 Teilnehmer waren durch die SED für die erste Jugendweihe der DDR im April 1955 anvisiert gewesen; durch die Arbeit der Funktionäre konnten in der Kürze der Zeit aber nur knapp 52.000 Jugendliche und deren Eltern überzeugt werden – das waren 17,7 Prozent der damals 14-Jährigen.[31]

Wichtigen Anteil an der Überzeugungsarbeit sollten vor allem auch die vor­bereitenden Zusammenkünfte – Jugendstunden genannt – bekommen, die von der FDJ organisiert und durchgeführt wurden. Der Inhalt der Jugendstunden wandelte sich schon früh, ab 1957, von den allgemein humanistisch formulierten Thesen der Freidenker-Tradition hin zu einem eindeutig atheistisch geprägten Bekenntnis für den sozialistischen Staat. Ein Beispiel dafür waren die planmäßigen Besuche der Schüler in einer Sternwarte, die den Jugendlichen ein naturwissenschaftlich fundiertes Weltbild vermitteln sollten – im Gegensatz zur Theorie des kirchlichen Konfirmandenunterrichts.

In einem Brief des 1. Sekretärs des ZK der SED an die Sekretäre der Bezirks- und Kreisleitungen der Partei hieß es zum Thema Jugendstunden: „Die vorbereitenden Zusammenkünfte sollen sehr inhaltsreich, interessant und lebendig gestaltet werden, um möglichst viele Jugendliche der 8. Klasse anzuregen, an ihnen teil­zunehmen. […] …wobei die Diskussion so zu führen ist, dass die Genossen überzeugt werden, dass ihre Kinder, soweit sie dem Alter nach in Frage kommen, an der Jugendweihe teilnehmen.“[32]

Die Freiwilligkeit der Teilnahme an Jugendstunden und Jugendweihen wurde zwar von den Verantwortlichen stets in der Öffentlichkeit bestätigt, die Praxis kennt aber viele Gegenbeispiele. 1955 erklärte ZK-Sekretär Paul Wandel: „Die Teilnahme an der Jugendweihe ist eine freiwillige Entscheidung. Niemand wird irgendwelche dienstlichen oder beruflichen Nachteile erleiden, wenn er an der Jugendweihe nicht teilnimmt.“[33] Nachdem es aber Klagen in der Bevölkerung über anders lautende Praktiken seitens der werbenden Parteifunktionäre gab, relativierte dies Walter Ulbricht und erklärte parteiintern: „Die Fragen der Jugendweihe sind zum Teil verbunden mit Problemen des polytechnischen Unterrichts. Wir müssen also erklären, warum ein Jugendlicher […] nur dann vorwärts kommt, wenn er die Grundfragen der Entwicklung in Natur und Gesellschaft kennt. […] Es muss also bewiesen werden, dass es im Interesse jedes Jugendlichen selbst liegt, an der Jugendweihe teilzunehmen.“[34]

Die Jugendstunden sollten den Teilnehmern Ratgeber in verschiedenen Lebens­fragen sein und Auskunft zur Entstehung des Lebens, zur Arbeit als Quelle allen Wohlstandes, zur Erkennbarkeit der Welt, der Arbeiterklasse oder zum Sozialismus geben. Sämtliche staatliche Einrichtungen und Betriebe wurden 1958 per Regierungsverfügung zur Unterstützung verpflichtet. Der reale Bezug zum Leben konnte durch anschauliche Besichtigungen vor Ort ergänzt werden. Üblich war es, vom Beginn der achten Klasse bis zur Jugendweihe im Frühjahr zehn Jugendstunden zu absolvieren, die den Jugendlichen helfen sollten, „Ideale und Werte des Sozialismus“ über den Schulstoff hinaus zu vermitteln.[35]

Da die Klasse zumeist auch identisch mit der Jugendweihgruppe war, wurden Konfirmanden oft von diesen gemeinsamen Unternehmungen ausgeschlossen – und hatten auch mit weiteren Nachteilen, zum Beispiel in der schulischen oder beruflichen Zukunft zu rechnen. Nicht zuletzt dadurch lässt sich die hohe Teilnahmequote von bis zu 97 Prozent der Jugendlichen eines Jahrganges an den Jugendweihen der siebziger und achtziger Jahre erklären.[36]

Ein uneingeschränktes Votum zur Jugendweihe wurde als Bekenntnis zur DDR und ihrem politischen System gewertet. Wer sich diesem Bekenntnis – zum Beispiel durch Teilnahme an der Konfirmation – entzog, konnte als Systemgegner hingestellt werden. Deshalb wurde dieser „freiwillige Zwang“ gerade von vielen kirchlichen Familien hingenommen, um nicht anzuecken. Die Kirche zog sich daraufhin zurück und degradierte die Konfirmation von einer öffentlichen zu einer innerkirchlichen Angelegenheit und eröffnete den Jugendlichen die Möglichkeit, die Konfirmation nach der Jugendweihe nachzuholen.

Im zweiten Jahrzehnt ihres Bestehens wurde die Jugendweihe immer stärker zu einem Instrument der Partei für die ideologische Erziehung junger Menschen. Nach der Wahl Honeckers zum Staatsratsvorsitzenden 1971 und der damit verbun­denen vorübergehenden Verbesserung der materiellen und ideellen Lebensbedin­gungen zur Stärkung des sozialistischen Bewusstseins wurde die Jugendweihe politi­scher denn je. Denn der scheinbare Forschritt der DDR beruhte auf realitätsfernen Subventionen und Krediten – ein Zustand, der auch der Bevölkerung nicht entging.

Im Jahr 1984 erschien eine Schrift zum 30. Jahrestag der DDR-Jugendweihe, die besagte, dass „die Jugendweihe auch künftig ihren Klassenauftrag bei der kommunis­tischen Erziehung der Jugend mit hoher politischer Verantwortung wahrnehmen wird“[37]. Von einer – dem ursprünglichen Charakter nach – stimmungs­vollen Übergangsfeier für Jugendliche zum Eintritt ins Erwachsenen­leben war längst keine Rede mehr, die SED hatte die Jugendweihe als politisches Erziehungs­instrument für sich beschlagnahmt.

Die Zweifel am Bestand und der Substanz des gelehrten Sozialismus erfassten nun zunehmend auch die Jugend, die bei ihren Jugendweiheveranstaltungen in sozialistischen Betrieben und Produktionsgenossenschaften mit einer anders lautenden Wirklichkeit konfrontiert wurde. Der erlebte Produktionsalltag zwischen Materialengpässen, Mängeln und Gleichgültigkeit ließ das Misstrauen in die Lehren von Partei und FDJ wachsen.

Egon Freyer, Mitglied des Zentralen Ausschusses für Jugendweihe in der DDR, sollte dazu später in der Zeitschrift Elternhaus und Schule äußern: „Ich glaube, es ist nicht mehr gelungen, die Herzen der Jungen und Mädchen zu erreichen und ihren Nerv zu treffen. Überzogene inhaltliche Forderungen an die Jugendstunden und im Gelöbnis standen im Widerspruch zum realen Leben.“[38]

Um dem Unmut der Jugendlichen zu begegnen und Zweifel zu beseitigen, wurde die Jugendweihe der achtziger Jahre mit neuen Elementen „aufgepeppt“, sie wurde jugendgemäßer und pädagogischer gestaltet. Mehrtägige Fahrten mit dem Jugendreisebüro Jugendtourist, Diskotheken, Modeschauen und Großveranstal­tungen mit prominenten Gästen sollten neues Interesse wecken und die Teil­nehmerzahlen steigen lassen. Modedesigner, Friseure, Kosmetiker, Kunsthand­werker, Grafiker und viele mehr wurden eingebunden, um den besonderen Tag der Jugendlichen unvergesslich werden zu lassen. Neben der staatsbürgerlichen Verpflichtung spielten nun auch weniger politische Themen wie zum Beispiel Umweltschutz eine Rolle.

1.6 Jugendweihen in der Umbruchzeit 1989/90

Zu Beginn des Schuljahres 1989/90 hatten sich bereits 172.000 Schüler für die Jugendweihe im Frühjahr 1990 angemeldet, die Eröffnungsveranstaltung der Jugendweihen sollte diesmal dem 40. Jahrestag der DDR am 7. Oktober 1989 gewidmet werden. Um den Modernisierungsprozess der Jugendweihe weiter voran zu treiben, hatte ein Kolloquium des Jugendweihe-Ausschusses noch am 18. Oktober 1989 an der Pädagogischen Hochschule Zwickau den Beschluss gefasst, in Zukunft das Gelöbnis abzuschaffen und ein neues Jugendweihebuch heraus­zubringen sowie die Verbindlichkeit der Jugendstunden und die zen­tralistische Führung zu lockern.[39]

Am selben Tag trat Erich Honecker als Staatsratsvorsitzender zurück und Egon Krenz wurde Generalsekretär des ZK der SED. Drei Wochen später wurde die Berliner Mauer geöffnet.

Am 13. Dezember 1989 stimmte der Zentrale Ausschuss für Jugendweihe für eine humanistische und lebensnahe Weiterführung der Jugendweihe und setzte die bisherigen Bestimmungen außer Kraft. Die Satzung für einen Interessenverband Jugendweihe wurde erstellt, der dem Zentralismus eine Abfuhr erteilten sollte. Gleichzeitig richtete der Zentrale Ausschuss für Jugendweihe einen offenen Brief an alle Mitglieder und Helfer mit einem „Wort zur Jugendweihe“ als Diskussions­grundlage mit dem Vorschlag, künftig die betroffenen Mädchen und Jungen mit einzubeziehen und die Pflichtstunden als variables Rahmenprogramm fort­zuführen.[40]

Die Mehrheit forderte daraufhin: „Machen Sie bloß weiter − lassen Sie die Jugendweihe nicht kaputt machen.“[41] 153.000 der angemeldeten 172.000 Acht­klässler entschieden sich trotz der nach dem Umbruch politisch und gesell­schaftlich unklaren Lage, ihre Jugendweihe auf traditionelle Weise zu begehen. Die letzten Jugendweihen der DDR fanden im Frühjahr 1990 mit dem Verzicht auf ein Gelöbnis statt. Nach der Bildung der Regierung de Maiziere im März 1990 wurde auch die weitere staatliche Finanzierung der Jugendweihe eingestellt.[42]

Im selben Monat stellt der Jugendweihe-Ausschuss seine Definition einer neuen Feier vor: „Die neue Jugendweihe achtet das Recht des einzelnen auf welt­anschauliche Selbstbestimmung, ermöglicht ihm das unvoreingenommene Kennen lernen von verschiedenen Weltsichten und will den Mädchen und Jungen so behilflich sein, sich ein eigenes Bild von der Welt aktiv zu erarbeiten.“[43]

Der Interessenverband Jugendweihe plante für die Zukunft die Arbeit auf vier Ebenen: auf der Basis interessierter Kinder und Eltern, mit einem attraktiven Ange­bot jugendgemäßer Veranstaltungen, mit der Gestaltung der Feiern als einem würdigen Abschluss der Kindheit und mit der Finanzierung aus Zuwendungen der Eltern, selbst erarbeitetem Geld, Spenden und öffentlichen Mitteln.

Am 9. Juni 1990 wurde der Interessenverband für Jugendweihe e.V. offiziell gegründet und trat die Nachfolge des aufgelösten Zentralen Ausschusses für Jugendweihe der DDR an. Im Herbst 1990 lagen bereits wieder 85.000 Anmel­dungen − knapp 38 Prozent aller Achtklässler im Osten Deutschlands − beim Verein für die Jugendweihe 1991 vor, für die diesmal erstmals ein Teil­nehmer­beitrag erhoben wurde.[44]

1.7 Jugendweihe im vereinten Deutschland

Am 23. März 1991 wurde die Interessenvereinigung per Satzung zum Vereins­verband mit Landesverbänden, die Personal- und Finanzhoheit erhielten. Im Juni 1992 erhielt der Verband die Bezeichnung Interessenvereinigung für humanis­tische Jugendarbeit und Jugendweihe e.V., die er noch bis zum Jahr 2001 führte und sich dann in Jugendweihe Deutschland e.V. umbenannte.

Nach Angaben des Verbandes nahmen 1993 allein bei der Interessenvereinigung über 70.000 Mädchen und Jungen an den Feiern zur Jugendweihe teil, 1995 waren es bereits über 89.000 und im Jahr 2000 rund 96.000 Jugendliche.[45] Für die Gesamtheit aller Jugendweihen in Deutschland im Jahr 2000 nennt Pinhard in Bezug auf Fincke die Zahl von 100.000 Teilnehmern − das waren etwa 45 bis 50 Prozent der damals 13- bis 14-Jährigen in den neuen Bundesländern.[46]

Bis heute ist die Zahl der Jugendweiheteilnehmer im Westen Deutschlands ver­nachlässigbar im Gegensatz zu den ostdeutschen Teilnehmerzahlen. Wer sich im Westen Deutschlands für die Jugendweihe entscheidet, kommt laut Gandow vor­wiegend aus drei Gruppen: den Freireligiösen und Freidenkern, die oft auch aus Mangel an Teilnehmern gemeinsam feiern, den ehemaligen DDR-Bürgern oder aus Familien mit sozialdemokratischem, sozialistischem, kommunistischem oder pro­letarischem Hintergrund.[47]

Im letzten Jahr, 2005, haben bundesweit 60.000 Jungen und Mädchen die Jugend­weihe beim Jugendweihe e.V. und seinen Landesverbänden erhalten − die Hälfte davon allein in Sachsen.[48]

Der Rückgang der Teilnehmerzahlen ist dabei nicht zwingend mit schwindendem Interesse zu erklären, sondern vor allem auf den nach der Wende 1990 folgenden so genannten Geburtenknick zurückzuführen.

Nach dem Wegfall des oben erwähnten „freiwilligen Zwanges“ zur Jugendweihe in der DDR lassen diese Teilnehmerzahlen die Vermutung zu, dass trotz der kritischen Abrechnung mit dem DDR-Regime viele Eltern ihre Jugendweihe in angenehmer Erinnerung behalten haben − und sie deshalb ihren Kindern ein ähnliches Fest ermöglichen möchten.

Neben dem Jugendweihe e.V., dem deutschlandweit größten Anbieter von Jugend­weihen, gibt es auch eine Vielzahl von kleineren Gruppen, Vereinen oder Eltern­initiativen, die ebenfalls Jugendweihe-Veranstaltungen mit teilweise indivi­duellem Konzept und überschaubaren Teilnehmerzahlen anbieten, so zum Bei­spiel der Humanistische Verband Deutschlands (HVD), der in Abgrenzung zum aus DDR-Zeiten angeblich negativ behafteten Begriff „Jugendweihe“ sein Angebot „JugendFEIER“ nennt, die Arbeiterwohlfahrt oder der JugendvereinRoter Baum“ e.V. in Dresden.

Inwieweit sich einzelne Veranstalter dabei die Mühe gemacht haben, das Konzept der Jugendweihe neu zu überdenken oder auch Teile der humanistischen bzw. der DDR-Tradition mit einfließen zu lassen, wird im Punkt 2. („Veranstalter und Programm der Jugendweihe“) beschrieben.

1.8 Jugendweihe und Konfirmation

Die Geschichte der Jugendweihe ist auch die Geschichte der ständigen Ausein­andersetzung mit der Kirche und ihrer Konfirmation. Obwohl unterschiedlichen Ursprungs, gelten heute beide Rituale als Übergangsritus von der Jugendzeit in die Welt der Erwachsenen − bei der Konfirmation mit dem Zusatz, dass sich der Jugendliche als Mitglied zur kirchlichen Gemeinde bekennt und die Zulassung zum Abendmahl erhält.

Gandow betrachtet die Jugendweihe jedoch nicht als „echten Passageritus“, sondern lediglich als „Ersatz für Konfirmandenunterricht und die Konfirmation“ und damit als eine „völlig künstliche, an das traditionelle Datum der evan­gelischen Konfirmation in Deutschland angelehnte Gegenveranstaltung zu der kirchlichen Feier“.[49]

Schon die ersten Versuche Baltzers, Mitte des 19. Jahrhunderts für junge Leute eine freigeistliche und aufgeklärte Alternativveranstaltung zur kirchlichen Dog­matik anzubieten, waren von großen Protesten gesäumt und sorgten für Miss­trauen gegenüber der aufkeimenden Freidenker- und Freireligiösenbewegung. Sowohl der gewählte Zeitpunkt (im Frühjahr, zur Osterzeit und damit zur Zeit der Konfirmation) und der inhaltliche Anspruch, Jugendlichen eine neue gedankliche Heimat jenseits von Kirchgemeinde und Evangelium bieten zu wollen, ließ die Kirchenoberhäupter die Jugendweihe als inakzeptable Konkurrenz wahrnehmen, von der sie sich schon früh distanzierten.

Als die proletarischen Freidenker Anfang des 20. Jahrhunderts die Jugendweihe für ihre politischen Zwecke nutzten und die Kirche zur „Hauptstütze des Kapitalis­mus“[50] und damit zum Feind erklärten, vertiefte sich die Kluft zwischen der seit dem 18. Jahrhundert etablierten kirchlichen Konfirmation und der weltanschau­lichen Jugendweihe, und es gab immer weniger gemeinsame Teilnehmer. Die schwelende Auseinandersetzung endete damit, dass 1930 in der „Ordnung des kirchlichen Lebens“ der Evangelischen Kirche der Union (EKU) festgelegt wurde, dass „die Konfirmation nicht gewährt werden kann, wenn der Konfirmand einer Veranstaltung, die im Gegensatz zur Konfirmation steht (Jugendweihe oder dergl.), zugeführt wird oder sich ihr unterzieht.“[51] Von nun an mussten sich die Jugendlichen für eines der beiden Rituale entscheiden.

In der Weimarer Zeit waren die Jugendweiheanbieter so auf ihr Ziel − die Überwindung des Kapitalismus und die Erziehung der Jugendlichen zu aufrechten Klassenkämpfern − geeicht, dass es kaum Reibungspunkte zwischen Jugendweihe und Konfirmation gab.

Erst 1932, als die freigeistigen Organisationen starken Zulauf hatten, griffen die nationalsozialistisch gesinnten Christen zu demonstrativen Massen­konfirma­tionen, um ihre Ablehnung gegenüber der Jugendweihe zum Ausdruck zu bringen. Man wollte damit, wie schon erwähnt, die „fehlgeleiteten deutschen Arbeiter für das Religiöse zurückgewinnen.“[52] 1941 endete dieser Versuch in der Gleich­schaltung aller derartigen Jugendfeiern in einer Veranstaltung mit der Bezeich­nung „Verpflichtung der Jugend“, die nach Wunsch der NSDAP auch die Kon­firmation ersetzen und stattdessen neue, nationalsozialistisch „bedeutende“ Feiern als Brauchtum installieren sollte.[53]

Nach dem Ende des Dritten Reiches schickten viele Eltern ihre Kinder aus Mangel an Alternativen zur Konfirmation. Während 1952/53 die Mitglieder der Jungen Gemeinde und der Studentengemeinden von der DDR-Regierung noch ob ihres Glaubens verfolgt und benachteiligt wurden, wurde der Kurs 1953 nach Anweisung durch die KPdSU dahingehend geändert, dass aus der direkten Konfrontation mit der Kirche ein Miteinander im Sinne politischer Einbindung werden sollte.[54]

Nach der Gründung der FDJ 1946 kam dieser neuen Jugendorganisation deshalb die Aufgabe zu, den ideologischen Kampf besonders unter der Jugend voranzu­treiben und auch christliche Jugendliche mit kultureller Massenarbeit an die Jugend­weihe heranzuführen, die fortan der staatsbürgerlichen Aufklärung und Erziehung dienen sollte.

Die Kirche erkannte dieses Werben um treue Staatsbürger und begann nun ihrer­seits, um neue Gemeindemitglieder zu werben – und unmissverständlich klar­zu­stellen, dass „Kinder, die sich einer Handlung unterziehen, die im Gegen­satz zur Konfirmation steht […], nicht konfirmiert werden“[55] können.

Die anschließenden Pläne der DDR-Regierung zur Bildung einer staatlichen Jugendweihe (nach dem vorher vier Jahre währenden Gebot derselben) sorgten für großen Unmut. Die katholischen Bischöfe reagierten darauf im Dezember 1954 mit einem Hirtenwort an die Diözesanen: „Die jetzt geplanten ‚Jugendweihen‘ können für einen katholischen Christen niemals in Frage kommen; sie haben als Grundlage eine materialistische Weltanschauung. […] Ich frage euch: Kann man ein Bekenntnis zu Gott ablegen und gleichzeitig ein Bekenntnis zur Gottlosigkeit? […] Niemand kann zwei Herren dienen.“[56]

Die Kirchen blieben also beim Entweder-Oder, der Staat verstärkte seine anti­kirchliche Propaganda und die Organe zur Durchführung der Jugendweihe ließen sich neue Methoden einfallen, um die Teilnehmerzahlen zu steigern und die Jugendweihe für alle verbindlich zu machen.

Da dies aus den oben erläuterten Gründen (Angst vor Nachteilen durch Nicht­teilnahme an Jugendweihe) viele Kirchenanhänger doch zur Teilnahme an der Jugendweihe trieb und der Kirche die Konfirmanden schwanden, kam Ende der fünfziger Jahre eine Debatte über einen neuen Weg für die Konfirmationsordnung in Gang, die vorsah, jugendgeweihte Kinder „nicht allein zu lassen“[57] und unter bestimmten Voraussetzungen und mit einiger Verzögerung nachträglich doch noch zur Konfirmation zuzulassen.

Da dies aber von den einzelnen Kirchgemeinden sehr unterschiedlich ausgelegt und gehandhabt wurde und oft auch mit vielen Umwegen verbunden war, schwanden die Teilnehmerzahlen der Konfirmation in den fünfziger und sechziger Jahren erheblich, während die Jugendweihequote nahezu 100 Prozent erreichte. Während 1950 noch 78.000 Jugendliche in der DDR konfirmiert worden waren, betrug die Zahl der Konfirmanden 1976 nur noch knapp 10.500, wovon allein mehr als 7.000 „Nachkonfirmanden“ waren, die bereits an der Jugendweihe teil­genommen hatten.[58]

Nun war die Kirche um ihres eigenen Bestehens willen gezwungen, neue Wege zu gehen. 1961 erfolgte deshalb die Neuordnung der Konfirmation mit dem Haupt­anliegen, Eltern und Jugendliche „in die Freiheit des Lebens aus der Gegenwart Christi“[59] zu locken. Eine Teilnahme oder Nichtteilnahme an der Jugendweihe sollte nun kein „Gestaltungsprinzip für die Ordnung konfirmierenden Handelns“[60] mehr sein.

Die Kirche erkannte schließlich, dass die großflächige Teilnahme christlich geprägter Jugendlicher an der Jugendweihe von vielen Nebenmotiven geprägt war, die unter anderem sozial und beruflich bedingt waren und keinem atheistischen Grundgedanken folgten. Aufgrund dieser Feststellung wurde die Jugendweihe nun als ein „formaler gesellschaftlicher Akt“ gesehen, der „eben dazugehört“.[61]

Nach dem Zusammenbruch der DDR und dem Wegfall der vermeintlichen Ju­gendweihepflicht war nun der Weg für die freie Entscheidung zwischen Jugend­weihe und Konfirmation wieder frei. Doch aufgrund der 40 Jahre andauernden intensiven Anti-Kirchenpolitik der SED sah sich die Kirche nun einem Heer von konfessionslosen, sich selbst als atheistisch bezeichnenden Menschen gegenüber, die kaum Bedürfnis nach kirchlichen Ritualen zeigten.

Bis heute ist die Zahl der Konfirmanden in Ostdeutschland in der Minderheit geblieben, während die Zahlen der Jugendweiheteilnehmer auch nach der Wende wieder Quoten um die 40 bis 50 Prozent aller Jugendlichen erreichen konnten.[62] Dabei ist bei der Zahl der Jugendweihlinge ein Gefälle von städtischen Gebieten zum ländlichen Raum zu betrachten, in dem der Konfirmation als traditionellem und familiärem Weiheritus eine größere Bedeutung zukommt.

Teil II

2 Veranstalter und Programm der Jugendweihe

Um die folgenden Jugendweihe-Veranstalter und ihr Konzept vorstellen zu kön­nen, habe ich aus Mangel an Literatur unterschiedliche Quellen genutzt. Zum einen zitiere ich die Selbstdarstellungen der Vereine aus ihren jeweiligen Internet­präsenzen, sowie Auszüge aus einem Interview der Sächsischen Zeitung mit Heidi Henker, der Regionalbeauftragten des Sächsischen Jugendweiheverbandes. Zum anderen habe ich mich mit mehreren Verantwortlichen des Bereichs Jugendweihe persönlich getroffen und sie um Informationen zur Vereinsgeschichte und zum Inhalt und Anspruch der Jugendweihe gebeten. Die Antworten dazu habe ich mir hand­schriftlich notiert, sie liegen in aufbereiteter Form bei der Autorin vor und können auf Wunsch eingesehen werden. Zitate, die diesen Gesprächen ent­stammen, sind also als „Zitat aus dem Fachgespräch mit (Name) vom (Datum)“ gekennzeichnet.

2.1 Der Sächsische Verband für Jugendarbeit und Jugendweihe e.V.

Am 9. Juni 1990 gründete sich der Interessenverband für Jugendweihe e.V., der die Nachfolge des aufgelösten Zentralen Ausschusses für Jugendweihe der DDR antrat. Knapp ein Jahr später, im März 1991, wurde die Interessenvereinigung per Satzung zum Vereinsverband mit Landesverbänden, 1992 erhielt der Vereins-verband die Bezeichnung Interessenvereinigung für humanistische Jugendarbeit und Jugendweihe e.V.. Nach einigen inhaltlichen und strukturellen Diskussionen sowie einer Satzungsänderung heißt der Verein seit dem Jahr 2001 Jugendweihe Deutschland e.V. und ist in den fünf neuen Bundesländern sowie in Hamburg, Niedersachsen und Berlin aktiv.

Der sächsische Landesverband für Jugendarbeit und Jugendweihe gründete sich 1990. Ansässig in Dresden arbeitet er seit 1991 mit eigener Satzung wirtschaftlich selbständig. Sachsenweit gibt es derzeit 13 Regionalbüros, die Jugendweihen und seit dem Jahr 2000 auch Jugendarbeit anbieten. Der Veranstaltungsrahmen ist hierbei landesweit grob abgesteckt, die Details werden von den Regionalmit­arbeitern vor Ort entschieden und mit Hilfe von sachsenweit über 500 ehrenamt­lichen Helfern umgesetzt.

Die weiteren Ausführungen beziehen sich, wenn nicht anders angegeben, auf den Sächsischen Verband für Jugendarbeit und Jugendweihe e.V., von mir im weiteren Text auch Jugendweihe-Verband genannt.

Laut Satzung ist der Verein ein gemeinnütziger, selbständiger und Partei unab­hängiger Verband zum Zweck der „Jugendpflege und Jugendfürsorge“. Als aner­kannter Träger der freien Jugendhilfe bietet er jungen Menschen zwischen zwölf und 18 Jahren Veranstaltungen und Projekte der offenen Jugendarbeit an, wie zum Beispiel Gesprächsrunden, Bildungsreisen, Ferienlager, Sport-, Kultur- und Tanz­veranstaltungen sowie eine Jugendberatung. Erklärte Zielstellung ist es dabei, die Jugendlichen zu ermuntern, „verantwortlich in der Gesellschaft zu handeln und sich für die Erhaltung der Umwelt einzusetzen“, „Toleranz zu üben, sich Wider­sprüchen zu stellen und zu lernen, mit Konflikten umzugehen“ sowie „unduldsam zu sein gegenüber Auffassungen und Erscheinungen von Faschismus, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit“[63], erklärt Dirk Geisler, Mitglied des Vorstandes im Sächsischen Verband für Jugendarbeit und Jugendweihe e.V..

Die nach eigenen Angaben „weltlich-humanistischen Lebensabschnittsfeiern“, in der Folge auch „Jugendweihe“ genannt, sind laut Satzung definiert als „jugend­gemäße und inhaltlich wertvolle Feiern zur Jugendweihe, in denen junge Menschen, vornehmlich im Alter von 14 Jahren, den Eintritt in das Jugendalter öffentlich und festlich begehen können.“[64]

Nach Eigendarstellung des Vereins wird die Jugendweihe in Sachsen im Durch­schnitt für 33.000 Teilnehmer jährlich veranstaltet.[65] Damit ist der Sächsische Verband für Jugendarbeit und Jugendweihe e.V. deutschlandweit der größte regionale Jugendweihe-Anbieter.

Nach eigenen Recherchen und Angaben des Verbandes entscheiden sich aktuell etwa 60 Prozent der Jugendlichen des entsprechenden Jahrganges (Schüler der achten Klasse) für eine Teilnahme an der Jugendweihe. 25 Prozent der Schüler verzichten demnach ganz auf eine öffentliche Feier, zwölf Prozent lassen sich konfirmieren und drei Prozent feiern die katholische Kommunion.[66] Dabei ist ein Gefälle von städtischen Gebieten zur ländlichen Umgebung zu beobachten, bei dem sich die Zahl der Jugendweiheteilnehmer zugunsten der der Konfirmanden reduziert.

2.1.1 Die Jugendweihe

Folgende Definition zur „Jugendweihe heute“ findet sich in der Selbstdarstellung des Dachverbandes Jugendweihe Deutschland e.V.:

„Die Feier zur Jugendweihe ist ein festlich, öffentlich und familiär gestalteter Übergang von der Kindheit ins Jugendalter, den viele Mädchen und Jungen im Alter von 14 Jahren gemeinsam mit ihren Eltern, Großeltern, Verwandten und Freunden begehen, die nicht an eine Konfession gebunden sind.“[67]

Die Regionalbeauftragte des Jugendweihe-Verbandes in Dresden, Heidi Henker, sieht die Jugendweihe als „ein schönes Fest mit all den Menschen, die die jungen Leute beim Erwachsenwerden begleiten“[68]. Mit den Feiern zur Jugendweihe will der Verein an die 150-jährige Tradition der Jugendweihe in Deutschland an­knüpfen und gleichwohl dem Anspruch eines Familienfestes als auch dem eines gesellschaftlichen Ereignisses gerecht werden.

Die Anmeldung zur Jugendweihe erfolgt bis Ende September des jeweiligen Vor­jahres, die Gebühren betragen 95 Euro (ermäßigt 65 Euro). Darin enthalten sind kostenlose Veranstaltungen im Vorbereitungsjahr, das Jugendweihemagazin Freier Blick sowie die Festveranstaltung mit Künstlern, einer Urkunde, einem Bildband und Blumen. Die Eintrittskarten für die Gäste, die der Teilnehmer mit zur Festveranstaltung bringt, kosten fünf Euro pro Person.

Gründe für eine Entscheidung zur Jugendweihe sind laut Geisler meist die erlebte Teilnahme der jeweils höheren Klassenstufe oder der Anstoß durch die Eltern, die die Jugendweihe selbst erlebt haben und dies als eine schöne Tradition betrachten. Als Ablehnungsgrund werde – neben der Unlust der Schüler – oft genannt, die Jugendweihe sei „zu teuer“ (Gebühren plus evtl. Zusatzkosten für eine private Feier) oder die Jugendweihe sei „DDR-Mist“.[69]

Die Information und Anmeldung zur Jugendweihe erfolgt meist auf privatem Wege, über Mundpropaganda oder so genannte Kontakteltern, die in der Klasse ihres Kindes für die Veranstaltung werben. Den Mitarbeitern des Jugendweihe-Vereins selbst ist nach einem Beschluss des Regionalschulamtes untersagt, an der Schule um Teilnehmer zu werben, da die Feier eine privatwirtschaftliche Dienst­leistung sei.

[...]


[1] vgl. Chowanski, J./Dreier, R.: Die Jugendweihe. Eine Kulturgeschichte seit 1852. Edition Ost Berlin 2000, S. 14

[2] Baltzer, zitiert in: Meier, A.: Jugendweihe – JugendFEIER. Ein deutsches nostalgisches Fest vor und nach 1990. Deutscher Taschenbuch Verlag München 1998, S. 127 f.

[3] vgl. Chowanski, J./Dreier, R.: Die Jugendweihe. Eine Kulturgeschichte seit 1852. Edition Ost Berlin 2000, S. 19

[4] Gandow, T.: Jugendweihe. Humanistische Jugendfeier. Münchner Reihe im Evangelischen Presseverband für Bayern 1994, S. 11 f.

[5] vgl. Meier, A.: Jugendweihe – JugendFEIER. Ein deutsches nostalgisches Fest vor und nach 1990. Deutscher Taschenbuch Verlag München 1998, S. 144

[6] ebenda

[7] ebenda, S. 145

[8] Chowanski, J./Dreier, R.: Die Jugendweihe. Eine Kulturgeschichte seit 1852. Edition Ost Berlin 2000, S. 20

[9] Gandow, T.: Jugendweihe. Humanistische Jugendfeier. Münchner Reihe im Evangelischen Presseverband für Bayern 1994, S. 14

[10] Gandow, T.: Jugendweihe. Humanistische Jugendfeier. Münchner Reihe im Evangelischen Presseverband für Bayern 1994., S. 18

[11] vgl. Chowanski, J./Dreier, R.: Die Jugendweihe. Eine Kulturgeschichte seit 1852. Edition Ost Berlin 2000, S. 34

[12] Chowanski, J./Dreier, R.: Die Jugendweihe. Eine Kulturgeschichte seit 1852. Edition Ost Berlin 2000, S. 38 f.

[13] vgl. ebenda, S. 38 f.

[14] Meier, A.: Jugendweihe – JugendFEIER. Ein deutsches nostalgisches Fest vor und nach 1990. Deutscher Taschenbuch Verlag München 1998, S. 167

[15] vgl. ebenda, S. 169

[16] ebenda, S. 171

[17] Hauer, zitiert in Meier, A.: Jugendweihe – JugendFEIER. Ein deutsches nostalgisches Fest vor und nach 1990. Deutscher Taschenbuch Verlag München 1998, S. 172

[18] ebenda, S. 175

[19] ebenda, S. 177

[20] vgl. Gandow, T.: Jugendweihe. Humanistische Jugendfeier. Münchner Reihe im Evangelischen Presseverband für Bayern 1994, S. 18 ff.

[21] Meier, A.: Jugendweihe – JugendFEIER. Ein deutsches nostalgisches Fest vor und nach 1990. Deutscher Taschenbuch Verlag München 1998, S. 179

[22] ebenda, S. 180

[23] ebenda, 180 f.

[24] Meier, A.: Jugendweihe – JugendFEIER. Ein deutsches nostalgisches Fest vor und nach 1990. Deutscher Taschenbuch Verlag München 1998, S. 22 ff.

[25] vgl. Chowanski, J./Dreier, R.: Die Jugendweihe. Eine Kulturgeschichte seit 1852. Edition Ost Berlin 2000, S. 43 f.

[26] Gandow, T.: Jugendweihe. Humanistische Jugendfeier. Münchner Reihe im Evangelischen Presseverband für Bayern 1994, S. 26

[27] vgl. ebenda, S. 27

[28] Chowanski, J./Dreier, R.: Die Jugendweihe. Eine Kulturgeschichte seit 1852. Edition Ost Berlin 2000, S. 52

[29] ebenda, S.54

[30] vgl. ebenda

[31] ebenda

[32] Gandow, T.: Jugendweihe. Humanistische Jugendfeier. Münchner Reihe im Evangelischen Presseverband für Bayern 1994, S. 32

[33] Chowanski, J./Dreier, R.: Die Jugendweihe. Eine Kulturgeschichte seit 1852. Edition Ost Berlin 2000, S. 69

[34] ebenda, S. 70

[35] vgl. Gandow, T.: Jugendweihe. Humanistische Jugendfeier. Münchner Reihe im Evangelischen Presseverband für Bayern 1994, S. 44

[36] vgl. Illing, S.: Die Jugendweihe im Wandel der Zeit − Ein Fest der Jugend oder ostdeutsche Familientradition? Vorgeschichte – Hintergründe – Bedeutung vor und nach 1990. Ibidem Verlag Stuttgart 2000, S. 22

[37] Chowanski, J./Dreier, R.: Die Jugendweihe. Eine Kulturgeschichte seit 1852. Edition Ost Berlin 2000, S. 78 f.

[38] ebenda, S. 138

[39] vgl. ebenda, S. 135

[40] vgl. Chowanski, J./Dreier, R.: Die Jugendweihe. Eine Kulturgeschichte seit 1852. Edition Ost Berlin 2000, S. 140

[41] ebenda, S. 141

[42] vgl. ebenda , S. 141 f.

[43] ebenda, S. 148

[44] ebenda, S. 149 f.

[45] Jugendweihe Deutschland e.V.: http://www.jugendweihe.de/Jugendweihe-Zahlen+Fakten.html/

[46] vgl. Fincke, erwähnt bei Pinhard, in: Eschler, S./ Griese, H.: Ritualtheorien, Initiationsriten und empirische Jugendweiheforschung. Beiträge für eine Tagung der Europäischen Jugendbildungs- und Jugendbegegnungsstätte Weimar. Lucius und Lucius 2002, S. 137

[47] vgl. Gandow, T.: Jugendweihe. Humanistische Jugendfeier. Münchner Reihe im Evangelischen Presseverband für Bayern 1994, S. 51

[48] Jugendweihe Deutschland e.V.: http://www.jugendweihe.de/Jugendweihe-Zahlen+Fakten.html/

[49] Gandow, T.: Jugendweihe. Humanistische Jugendfeier. Münchner Reihe im Evangelischen Presseverband für Bayern 1994, S. 5 ff.

[50] ebenda, S. 18

[51] Urban, D./Weinzen, H.W.: Jugend ohne Bekenntnis? Studie. 30 Jahre Konfirmation und Jugendweihe im anderen Deutschland 1954 bis 1984. Wichern Verlag 1984, S. 119

[52] Meier, A.: Jugendweihe – JugendFEIER. Ein deutsches nostalgisches Fest vor und nach 1990. Deutscher Taschenbuch Verlag München 1998, S. 171

[53] ebenda, S. 179

[54] vgl. Gandow, T.: Jugendweihe. Humanistische Jugendfeier. Münchner Reihe im Evangelischen Presseverband für Bayern 1994, S. 28 ff.

[55] Bischof Dibelius, zitiert in Urban, D./Weinzen, H.W.: Jugend ohne Bekenntnis? Studie. 30 Jahre Konfirmation und Jugendweihe im anderen Deutschland 1954 bis 1984. Wichern Verlag 1984, S. 141

[56] ebenda, S. 121

[57] ebenda, S. 169

[58] Urban, D./Weinzen, H.W.: Jugend ohne Bekenntnis? Studie. 30 Jahre Konfirmation und Jugendweihe im anderen Deutschland 1954 bis 1984. Wichern Verlag 1984, Tabelle S. 170

[59] ebenda, S. 177

[60] ebenda

[61] ebenda, S. 178 ff

[62] vgl. Pinhard, in: Eschler, S./Griese, H.: Ritualtheorien, Initiationsriten und empirische Jugendweiheforschung. Beiträge für eine Tagung der Europäischen Jugendbildungs- und Jugendbegegnungsstätte Weimar. Lucius und Lucius 2002, S. 137

[63] Fachgespräch mit Dirk Geisler, Mitglied des Vorstandes im Sächsischen Verband für Jugendarbeit und Jugendweihe e.V., vom 18.04.2005

[64] Sächsischer Verband für Jugendarbeit und Jugendweihe e.V.: Satzung vom 10. Oktober 1998

[65] Sächsischer Verband für Jugendarbeit und Jugendweihe e.V: http://www.jugendweihe-sachsen.de

[66] ebenda

[67] Jugendweihe Deutschland e.V.: http://www.jugendweihe.de/Jugendweihe.html

[68] Sächsische Zeitung vom 25.04.2005, Interview mit Heidi Henker, Regionalbeauftragte Dresden des Sächsischen Verbandes für Jugendarbeit und Jugendweihe e.V.

[69] Fachgespräch mit Dirk Geisler, Mitglied des Vorstandes im Sächsischen Verband für Jugendarbeit und Jugendweihe e.V., vom 18.04.2005

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2006
ISBN (eBook)
9783832497743
ISBN (Paperback)
9783838697741
DOI
10.3239/9783832497743
Dateigröße
781 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Technische Universität Dresden – Fakultät für Erziehungswissenschaften, Sozialpädagogik und Sozialarbeit
Erscheinungsdatum
2006 (August)
Note
2,0
Schlagworte
sozialpädagogik initiation statuspasage jugendliche konfirmation
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Titel: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit - Welche Bedeutung hat die Jugendweihe heute für Jugendliche als Übergangsritual vom Jugend- zum Erwachsenenalter?
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