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Wandel der Eltern-Kind-Beziehungen während des Jugendalters

©2003 Examensarbeit 114 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Bei der Untersuchung des Wandels in der Beziehung zwischen Eltern und Jugendlichen stehen Letztere im Mittelpunkt. Die Eltern beschreibe ich überwiegend in Wechselbeziehung zu den Heranwachsenden. Ihnen eigene Kapitel, wie zu den Folgen veränderter Beziehungen, zu widmen, würde sich als eine lohnenswerte Arbeit erweisen. Ich unterlasse dies jedoch, da während der Adoleszenz aufgrund der körperlichen und psychologischen Reife Umwandlungen im Eltern-Kind-Verhältnis hauptsächlich seitens der Jugendlichen angestrebt werden.
Gang der Untersuchung:
In Kapitel 2 gehe ich zunächst auf die Bedeutung des Wandels der Eltern-Kind-Beziehung ein. Es verschafft ein theoretisches Grundwissen zu den Konzepten Verbundenheit und Autonomie sowie zur Identitätsentwicklung. In den weiteren Kapiteln erfolgt vorwiegend eine längsschnittliche Analyse zu den Veränderungen in der Adoleszenz aufgrund ausgewählter empirischer Daten.
Im Eltern-Kind-Verhältnis findet Wandel einerseits auf der Handlungsebene und andererseits auf der Beziehungsebene statt. So untersuche ich auf der Handlungsebene in Kapitel 3 Gesprächs- und Konfliktthemen und in Kapitel 4 Änderungen zum gegenseitigen Unterstützungsverhalten. Aufgrund der Tatsache, dass sich in Konflikten Autonomiebestrebungen manifestieren, lassen sich anhand wechselnder Streitthemen wandelnde Präferenzen für Bereiche ableiten, in denen Unabhängigkeit das Ziel ist. Dagegen bieten Ausführungen zu den intergenerativen Transferleistungen, insbesondere bezüglich der emotionalen Hilfen, eher Hinweise zur Einschätzung gegenseitiger Verbundenheit. Die Handlungsebene spielt für die Beziehungsebene eine gravierende Rolle, da sie Auswirkungen auf die wahrgenommene Beziehungsqualität hat.
In Kapitel 5 gehe ich gezielt auf die Beziehungsebene ein, indem ich die Bedeutung der Eltern als Bezugspersonen, die Umsetzung von Autonomie und die Konstanz der emotionalen Bezogenheit untersuche, um Umstrukturierungen in den Beziehungen zu verfolgen. Neben universellen spreche ich individuelle Entwicklungsverläufe an.
Das anschließende 6. Kapitel beschreibt die Orientierung an Gleichaltrige (Peers). Der Entschluss die Gleichaltrigen einzubeziehen entsprang der Überlegung, dass sie diejenigen sind, die nach den Eltern an Bedeutung gewinnen bevor partnerschaftliche Beziehungen im Mittelpunkt stehen. Im Vergleich zu den Peers lassen sich Rückschlüsse zu den Eltern-Kind-Verhältnissen ziehen, was die Darstellungen des […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Stefan Fredeweß
Wandel der Eltern-Kind-Beziehungen während des Jugendalters
ISBN-10: 3-8324-9760-9
ISBN-13: 978-3-8324-9760-6
Druck Diplomica® GmbH, Hamburg, 2006
Zugl. Universität Osnabrück, Osnabrück, Deutschland, Staatsexamensarbeit, 2003
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http://www.diplom.de, Hamburg 2006
Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis
2
Inhaltsverzeichnis
Einleitung... Seite 4
1. Methodik... Seite 6
1.1 Der inhaltliche Aufbau... Seite 6
1.2 Relevante Studien... Seite 7
1.3 Eingrenzung des Begriffs Jugendalter... Seite 9
2. Die Bedeutung des Wandels der
Eltern-Kind-Beziehungen im Jugendalter... Seite 11
3. Veränderungen in den Eltern-Kind-Diskussionen... Seite 18
3.1 Veränderungen bezüglich der Gesprächsthemen... Seite 19
3.2 Veränderungen bezüglich der Konflikte... Seite 22
3.2.1 Hintergründe und Besonderheiten zu den
Konflikten zwischen Eltern und Jugendlichen... Seite 22
3.2.2 Verlauf der Konfliktintensität in der Adoleszenz... Seite 26
3.2.3 Die Konfliktthemen aus Sicht der
Jugendlichen... Seite 27
3.2.4 Konfliktthemen im Vergleich zwischen
Jungen und Mädchen... Seite 31
3.2.5 Die Konfliktthemen aus Sicht der Eltern... Seite 35
3.3 Zusammenfassung... Seite 39
4. Wandel in den gegenseitigen
Unterstützungsleistungen... Seite 41
4.1 Unterstützungsleistungen der Eltern für die Kinder... Seite 42
4.2 Unterstützungsleistungen der Kinder für die Eltern... Seite 51
4.3 Vergleich der intergenerativen immateriellen
Transferleistungen... Seite 54

Inhaltsverzeichnis
3
5. Wandel und Erscheinungsbild
der Beziehungsqualität... Seite 56
5.1 Wahrnehmungen der Beziehungsqualität
und des Wohlbefindens im Elternhaus... Seite 57
5.2 Die Eltern als Bezugsquelle... Seite 59
5.3 Individuelle Entwicklungsverläufe... Seite 63
5.4 Zusammenhänge zwischen Konflikten
und Beziehungsqualität... Seite 64
5.5 Die Bedeutung des Vaters und der Mutter... Seite 66
5.6 Symmetrie der Eltern-Kind-Beziehungen... Seite 74
5.7 Zusammenfassung... Seite 80
6. Die Orientierung an den Gleichaltrigen... Seite 81
6.1 Die Gleichaltrigen als Bezugsquelle... Seite 82
6.2 Reiz und Lernchancen der Peer-Group... Seite 87
6.3 Eltern und Peers: Gegner oder Verbündete?... Seite 92
6.4 Zusammenfassung... Seite 97
7. Pädagogische Konsequenzen:
Umgang mit Jugendlichen... Seite 99
Schlusswort... Seite 107
Literaturverzeichnis... Seite 110

Einleitung
4
Einleitung
,,Warum bestrafen die Eltern uns nicht?" Dies ist die überraschende Aus-
sage eines Jungen in einem Beitrag der Wochenzeitschrift stern
1
zur Vor-
stellung des neuen australischen Erziehungskonzeptes Triple P für Tee-
nager. Triple P steht für Positive Parenting Program und verspricht mittels
Verständnis und (der in der Frage geforderten) Konsequenz die Kommu-
nikation zwischen Eltern und Heranwachsenden und damit die Erziehung
der Jugendlichen zu verbessern. Das bisherige Triple-P-Elterntraining be-
schäftigte sich nicht nur mit Jugendlichen, sondern auch mit Kindern.
Schon wenige Jahre nach seiner Einführung in Deutschland entwickelte
es sich zu einem regelrechten Boom. Aufgrund der wissenschaftlichen
Bestätigung seiner Wirksamkeit ist die Einführung des zum Ende des Jah-
res erscheinenden Triple P für Teenager mit Spannung zu erwarten.
Diese neuen Entwicklungen zur Jugendforschung sind auch für mich als
angehender Lehrer von Interesse. Schließlich bieten Erziehungsratschlä-
ge für Eltern gleichfalls einen Ideenpool für Schulpädagogen hinsichtlich
eines positiven Umganges mit den Heranwachsenden. Die Hintergründe
zu diesen Konzepten sind mindestens von gleicher Bedeutung. Ein eigen-
ständiges Programm für Jugendliche zu entwickeln, deutet auf die Beson-
derheit und Schwierigkeit der Adoleszenz hin. Eltern können sich gegen-
über dem Sohn bzw. der Tochter nicht mehr so verhalten wie in der
Kindheit - aber warum?
Angebotene Erziehungsmaßnahmen lassen sich besser verstehen und
zum Erfolg führen, aber auch kritischer beurteilen, wenn ein Wissen über
tiefere Zusammenhänge besteht. Daher liegt der Schwerpunkt meiner Ar-
beit auf der Analyse des Wandels von Eltern-Kind-Beziehungen während
des Jugendalters, um zu klären, was sich in dieser Lebensphase in den
Eltern-Kind-Verhältnissen ändert, wie und wodurch diese Veränderungen
stattfinden und mit welchen Folgen zu rechnen ist. Abschließend runde ich
1
Vgl. Esselle, Ingrid: Mein Kind macht, was es will! ­ In: stern, 36/2003, S. 42-49.

Einleitung
5
diese Erkenntnisse mit Interventionsmöglichkeiten für Eltern im alltägli-
chen Umgang mit Jugendlichen ab.
Mit den Überlegungen zum Wandel der Eltern-Kind-Beziehungen lassen
sich schnell eigene vergangene Erfahrungen aus dem Familiengeschehen
assoziieren. An dieser Stelle weise ich darauf hin, dass ich mit der Wahl
dieses Themas die Möglichkeit sah, eigene Entwicklungen in den Bezie-
hungen zu den Eltern bis heute hin zu reflektieren.
Die Jugendzeit wird im Alltagsverständnis gerne mit der Zeit des Sturm
und Drang umschrieben. Damit kommt sie als impulsive, aber auch kriti-
sche Phase zum Ausdruck. Sie wird intuitiv als schwierigste Phase der El-
tern-Kind-Beziehung gesehen, die mit zahlreichen Konflikten behaftet sei.
Das Bedürfnis der Ablösung mündet zum Ende der Jugendzeit in relevan-
te biographische Übergänge: Abschlussball, Führerscheinerwerb, der Aus-
zug aus dem Elternhaus sowie der Eintritt in das Berufsleben stellen
eindeutige Loslösungsprozesse von den Eltern dar. Zudem findet heute in
der Gesellschaft ein Individualisierungsprozess statt. Die damit zuneh-
mende Neigung zur Selbstverwirklichung erfordert Unabhängigkeit - auch
von der Familie. Was passiert mit der Verbindung zum Elternhaus? Be-
dingt die Abnabelung eine Trennung des bestehenden Bandes zu den El-
tern?
In der Analyse des Beziehungswandels zwischen Eltern und Jugendlichen
integrieren sich die Konzepte Ablösung und Verbundenheit. Der Eindruck
vieler Eltern, sie würden den heranwachsenden Kindern zunehmend un-
wichtig, ist eine Problematik, die der vorliegenden Arbeit als Untersu-
chungsgegenstand dient.

1. Methodik
6
1. Methodik
Bei der Untersuchung des Wandels in der Beziehung zwischen Eltern und
Jugendlichen stehen Letztere im Mittelpunkt. Die Eltern beschreibe ich
überwiegend in Wechselbeziehung zu den Heranwachsenden. Ihnen ei-
gene Kapitel, wie zu den Folgen veränderter Beziehungen, zu widmen,
würde sich als eine lohnenswerte Arbeit erweisen. Ich unterlasse dies je-
doch, da während der Adoleszenz aufgrund der körperlichen und psycho-
logischen Reife Umwandlungen im Eltern-Kind-Verhältnis hauptsächlich
seitens der Jugendlichen angestrebt werden.
1.1 Der inhaltliche Aufbau
In Kapitel 2 gehe ich zunächst auf die Bedeutung des Wandels der Eltern-
Kind-Beziehung ein. Es verschafft ein theoretisches Grundwissen zu den
Konzepten Verbundenheit und Autonomie sowie zur Identitätsentwicklung.
In den weiteren Kapiteln erfolgt vorwiegend eine längsschnittliche Analyse
zu den Veränderungen in der Adoleszenz aufgrund ausgewählter empiri-
scher Daten. Im Eltern-Kind-Verhältnis findet Wandel einerseits auf der
Handlungsebene und andererseits auf der Beziehungsebene statt. So un-
tersuche ich auf der Handlungsebene in Kapitel 3 Gesprächs- und Kon-
fliktthemen und in Kapitel 4 Änderungen zum gegenseitigen Unterstüt-
zungsverhalten. Aufgrund der Tatsache, dass sich in Konflikten Auto-
nomiebestrebungen manifestieren, lassen sich anhand wechselnder
Streitthemen wandelnde Präferenzen für Bereiche ableiten, in denen Un-
abhängigkeit das Ziel ist. Dagegen bieten Ausführungen zu den intergene-
rativen Transferleistungen, insbesondere bezüglich der emotionalen Hil-
fen, eher Hinweise zur Einschätzung gegenseitiger Verbundenheit. Die
Handlungsebene spielt für die Beziehungsebene eine gravierende Rolle,
da sie Auswirkungen auf die wahrgenommene Beziehungsqualität hat.
In Kapitel 5 gehe ich gezielt auf die Beziehungsebene ein, indem ich die
Bedeutung der Eltern als Bezugspersonen, die Umsetzung von Autonomie
und die Konstanz der emotionalen Bezogenheit untersuche, um Umstruk-
turierungen in den Beziehungen zu verfolgen. Neben universellen spreche

1. Methodik
7
ich individuelle Entwicklungsverläufe an. Das anschließende 6. Kapitel be-
schreibt die Orientierung an Gleichaltrige (Peers). Der Entschluss die
Gleichaltrigen einzubeziehen entsprang der Überlegung, dass sie diejeni-
gen sind, die nach den Eltern an Bedeutung gewinnen bevor partner-
schaftliche Beziehungen im Mittelpunkt stehen. Im Vergleich zu den Peers
lassen sich Rückschlüsse zu den Eltern-Kind-Verhältnissen ziehen, was
die Darstellungen des vorhergehenden Kapitels abrundet. Im letzten Teil
der Arbeit werden auf der Grundlage der bisherigen Ausführungen zum
Beziehungswandel die pädagogischen Konsequenzen entwickelt. Diese
münden in einen Katalog von Erziehungshilfen, der dazu beiträgt, den
Umgang der Eltern mit ihren heranwachsenden Kindern zu verbessern.
1.2 Relevante Studien
Als wesentliche Grundlage dienen die Publikationen Entwicklungspsycho-
logie des Jugendalters (2000) und Eltern und Freunde (1998) von Helmut
Fend, die auf dem Konstanzer Längsschnitt basieren. Diese Studie ent-
stand unter der Leitung von Fend an der Universität Konstanz. Weitere Li-
teratur von Fend sowie die Dissertation von Maja Storch (1994) beruft sich
ebenfalls auf diese Studie. Die Resultate von Storch zum Konfliktgesche-
hen sind relevant für das dritte Kapitel. Der Konstanzer Längsschnitt wur-
de von 1979 bis 1983 jährlich anhand standardisierter Fragebogen bei 12-
bis 16-Jährigen in allgemein bildenden Schulen Hessens durchgeführt.
Um sicherzustellen, dass keine regional und historisch ausgelesene Stich-
probe vorliegt, verglich Fend die Ergebnisse mit anderen Studien. Es
ergab sich, dass die befragten Jungen und Mädchen repräsentative Ver-
treter der Jugendlichen aus den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts wa-
ren.
Für 1072 Jugendliche gab es Daten zu den ersten vier Erhebungen von
1979 bis 1982. Die mit der Vollendung der 9. Klasse aus der Schule aus-
scheidenden Hauptschüler reduzierten die Befragtenanzahl der 10. Schul-
stufe auf 851 Schüler. Für die Jahrgänge 1980 und 1982 lagen zusätzlich
Fragebogen von Eltern vor. Auf Grundlage dieser Daten konnten z.B. vor-
wiegende familiäre Konfliktthemen aus der Sicht der Eltern (s. Kap. 3.2.5)

1. Methodik
8
erfasst werden. Ziel des Konstanzer Längsschnitts war die Erforschung
der Entwicklung des Menschen in der Adoleszenz. Da dies ein sehr all-
gemein formuliertes Ziel war, ergab sich ein entsprechend großer Unter-
suchungsumfang. In einem fünf Bänden umfassenden Werk von Fend
geht es nicht nur um die Interaktion zwischen Eltern und Jugendlichen,
sondern u.a. um den Umgang mit der Schule, den Risikofaktoren und der
Identitätsentwicklung. Der letzte Band Eltern und Freunde ist für diese Ar-
beit, in der Peer-Einflüsse berücksichtigt werden, besonders gut geeignet,
da die veränderten Beziehungen zu Eltern und Gleichaltrigen gleichzeitig
dargestellt werden. (Vgl. Fend (1990), S. 279ff. und Fend (1998), S. 51ff.)
Knapp 5000 Jugendliche und junge Erwachsene nahmen bundesweit an
der Shell Jugendstudie 1992 teil. Hierzu wurden von Juli bis August 1991
die Angaben der 13- bis 29-Jährigen, zumeist zu Hause oder bei den In-
terviewenden, anhand standardisierter Fragebogen mündlich erfasst. Die-
se Haupterhebung wurde mit qualitativen und quantitativen Vorstudien
vorbereitet und abgesichert. Da die Shell Studie `92 sich mit Lebenslagen,
Orientierungen und Entwicklungsperspektiven junger Menschen in West-
und Ostdeutschland befasst, bietet sie hinsichtlich des Eltern-Kind-
Verhältnisses interessantes Material zum Vergleich jüngerer und älterer
Altersgruppen in beiden Landesteilen. (Vgl. Shell Studie (1992), Bd. 1, S.
20ff.)
Auf eine Gegenüberstellung zwischen ost- und westdeutschen Heran-
wachsenden zielt ebenso die Dissertation von Catrin Kötters (2000). Im
Rahmen des Projektes Kindheit im Umbruch entstand es als vierter Band
unter dem Namen Wege aus der Kindheit in die Jugendphase. Während
Fend den Blick auf entwicklungspsychologische Zusammenhänge richtete,
konzentrierte Kötters sich auf Verselbstständigungsprozesse. Zum Einset-
zen des Überganges in die Jugendphase bezieht sie sich auf Büchner &
Fuhs (1994), die zwischen dem 10. und 12. Lebensalter erste Distanzie-
rungen von den Eltern belegen konnten. Daher wurden mit den 2600 Be-
fragten der 5. bis 9. Jahrgänge allgemein bildender Schulen aus Sachsen-
Anhalt und Hessen auch die 10- bis 12-Jährigen einbezogen, während der

1. Methodik
9
Konstanzer Längsschnitt und die Shell Studie `92 diese Altersgruppe aus-
sparten. Die empirischen Daten, die im Frühjahr 1993 mit standardisierten
Fragebogen erhoben wurden, bereicherten die Arbeit in der Analyse der
Konfliktthemen sowie der Eltern und Peers als Bezugspersonen vom 10.
bis zum 15. Lebensjahr. (Vgl. Kötters (2000), S. 17 und S. 86ff.)
Den bisher vorgestellten Studien ist gemeinsam, dass sie mittlerweile et-
was ältere Werke sind. Infolgedessen sind leichte Veränderungen bis heu-
te hin nicht auszuschließen. Aktualität gewährleisten die Daten zum Ju-
gendsurvey null zoff und voll busy. Behnken, Maschke, Stecher &
Zinneker (2002) analysierten Daten zu knapp 8000 Fragebogen, die 10-
bis 18-jährige Kinder und Jugendliche allgemein bildender und beruflicher
Schulformen aus Nordrhein-Westfalen ausfüllten. Die Studie, die von Au-
gust bis Oktober 2001 durchgeführt wurde, beabsichtigt eine Situationsbe-
schreibung der ersten Jugendgeneration des 21. Jahrhunderts. Dabei ste-
hen die Lebensbereiche Familie, Schule und Peer-Group sowie jugend-
spezifische Einstellungen und Wertestrukturen zu Politik, Gesellschaft und
Umwelt im Vordergrund. Für die Bedeutung, die bestimmten Mitmenschen
innerhalb und außerhalb der Familie zukommt, liefert die Studie eine Diffe-
renzierung zwischen 10- bis 12-Jährigen und 13- bis 18-Jährigen (s. Kap.
5.5). Man kann pragmatisch davon ausgehen, dass die Informationen
nicht nur für Nordhein-Westfalen, sondern für alle alten Bundesländer an-
nähernd repräsentativ sind, zumal jeder vierte westdeutsche Jugendliche
in NRW wohnt. (Vgl. Behnken, Maschke, Stecher & Zinneker (2002), S.
173ff.) Analog kennzeichnen die herangezogenen Daten von Kötters zu
Hessen und Sachsen-Anhalt stellvertretend den westlichen und östlichen
Landesteil.
1.3 Eingrenzung des Begriffs Jugendalter
Die Jugendzeit ist eine Passage zwischen Kindheit und Erwachsensein.
Da individuelle Entwicklungsverläufe bei Heranwachsenden berücksichtigt
werden müssen, ist eine Festlegung des Jugendalters problematisch und
erfolgt in der Literatur auf unterschiedliche Weise. Mit der Untersuchung

1. Methodik
10
zum Wandel der Eltern-Kind-Beziehungen im Jugendalter ist daher eine
genauere Absteckung des untersuchten Altersabschnittes erforderlich.
Zunächst gliedere ich kurz die Adoleszenz wie Fend (2000), der sich auf
die Feinstruktur von Entwicklungsphasen in der Adoleszenz nach Blos be-
zieht: Präadoleszenz (10-12), Frühadoleszenz (13-15), mittlere Adoles-
zenz (15-17), späte Adoleszenz (18-20) sowie Postadoleszenz (21-25).
Obzwar der Begriff Adoleszenz im engeren Sinne das psychologische Er-
leben im Entwicklungsgeschehen anspricht, werde ich keine strenge Ab-
grenzung in der Verwendung der Begriffe Jugend und Adoleszenz vor-
nehmen (vgl. Fend (2000), S. 22 und S. 90ff.).
Das eigentliche Jugendalter betrachte ich in Anlehnung an Ewert (1983)
zwischen dem 11. und dem vollendeten 17. Lebensjahr. Die Shell Studie
von 1992 erweitert das Jugendalter bis zum vollendeten 24. Lebensjahr
und fasst die 18- bis 29-Jährigen als junge Erwachsene zusammen. Diese
Überlegungen integriere ich für meine Arbeit. Die 18- bis 24-Jährigen sind
zum Teil wie die Jugendlichen unter 18 noch nicht im Erwerbsleben tätig,
daher finanziell abhängig und bevorzugen häufig jugendspezifische Le-
bensstile. Dies gilt in gewisser Weise auch für die 25- bis 29-Jährigen, die
damit charakteristische Merkmale der Postadoleszenz zeigen (vgl. Shell
Studie (1992), Bd. 2, S. 405). Deshalb greife ich zusätzlich diese Alters-
gruppe auf, zumal sie Bestandteil der Shell Jugendstudie `92 ist. Buhl
(2000) sowie Buhl, Wittmann & Noack (2003) erweitern in ihren Studien
das junge Erwachsenenalter sogar bis 32 bzw. 34 Jahren (s. Kap. 5.6). Mit
Empirie zu Jugendlichen und jungen Erwachsenen ergibt sich die Mög-
lichkeit, den Übergang von der Kindheit in die Jugend sowie von der Ju-
gend zum Erwachsenenalter darzustellen. Der Schwerpunkt der Arbeit
liegt aber auf der ersten Passage. Sie ist dem Alltagsverständnis zufolge
eine besonders krisenhafte und konfliktreiche Phase.
Wenn ich im Folgenden nur den Ausdruck der Jugendliche verwende, ver-
stehe ich hierunter aus Vereinfachungsgründen männliche und weibliche
Jugendliche. Ansonsten differenziere ich bei geschlechtsspezifischen Hin-
tergründen zwischen Jungen und Mädchen.

2. Die Bedeutung des Wandels der Eltern-Kind-Beziehungen im Jugendalter
11
2. Die Bedeutung des Wandels der
Eltern-Kind-Beziehungen im Jugendalter
In diesem Kapitel steht die Bedeutung der zwischen Eltern und Kindern
stattfindenden Veränderung im Rahmen der Begriffe Verbundenheit und
Autonomie. Das Autonomiebedürfnis stelle ich als Teil bestehender Ent-
wicklungsaufgaben dar. Daneben verdeutliche ich die Konstanz der emo-
tionalen Bezogenheit zu den Eltern, um letztlich eine Verbindung zwischen
den Konzepten Distanz und Nähe zu entwickeln. Mit Hilfe des Wissens um
diese zwei Faktoren, die Veränderungen in den Eltern-Kind-Interaktionen
beeinflussen, lässt sich das Verhalten der Jugendlichen leichter
nachvollziehen.
,,Ich bin kein Kind mehr!" Diese Aussage ist mehr als nur eine lakonische
Feststellung eines Jugendlichen über sich selbst. Sie beinhaltet das Be-
dürfnis, von den Erwachsenen, insbesondere von den Eltern, nicht länger
als Kind wahrgenommen zu werden. Gerade in der Frühadoleszenz fühlen
sich Jungen und Mädchen von den Eltern noch als kleine Kinder behan-
delt. Diese hingegen nehmen die Fortschritte ihres Kindes anscheinend
noch nicht in aller Deutlichkeit wahr.
Aufgrund kognitiver Entwicklungen verlieren die Heranwachsenden ihre
Naivität. Sie sind in der Lage, Überlegungen kritischer zu bewerten und
nehmen folglich die Eltern realistischer wahr. Sie erkennen sie als Persön-
lichkeit, die neben Stärken auch Schwächen haben. Die Verbesserung der
intellektuellen Fähigkeiten ist in dem körperlichen Reifeprozess eingebet-
tet. Durchschnittlich beginnt ca. ab dem 12. Lebensjahr die Pubertät (bei
den Jungen etwa 1,5 Jahre später), die neben einem auffälligen Körper-
wachstum das Erlangen der Geschlechtsreife umfasst. So beginnen die
Jugendlichen nach neuen intimen Bindungen außerhalb der Familie zu
suchen. (Vgl. Damon (1989), S. 424ff. und Tücke (1999), S. 270ff.) Wei-
terhin induzieren soziale Erwartungen Distanzierungshaltungen gegen-
über den Eltern. Mit ansteigendem Alter ändern sich bestimmte Verhal-
tensmuster, die die Gesellschaft von den Heranwachsenden erwartet.

2. Die Bedeutung des Wandels der Eltern-Kind-Beziehungen im Jugendalter
12
Jugendliche stehen in dem Übergang, alte (kindliche) Rollen abzulegen
und sich neue (erwachsene) anzueignen. Dies bedingt, mehr Verantwor-
tung innerhalb der Gesellschaft zu tragen und entsprechend die Unab-
hängigkeit von seinen Eltern voranzutreiben. (Vgl. de Wit & van der Veer
(1982), S. 80f.) Sie beginnen, Verantwortung für sich selbst zu überneh-
men, selbstständige Entscheidungen zu treffen und eigene Ansichten zu
bilden. Die Eltern begegnen dem Emanzipationsstreben mit verständlicher
Sorge, weil sie um die Unerfahrenheit der Kinder wissen. In der Angst um
das Wohl der Kinder schwingt auch die Angst mit, sie zu verlieren. (Vgl.
Herbert (1989), S. 30)
Das Streben nach Unabhängigkeit betrachtet Herbert (1989) als einen
Kampf, der sich zur mittleren Adoleszenz hin verschärft. ,,Er ist in einem
sehr wirklichen Sinne zu einem Selbstzweck geworden. Es geht darum,
sich psychologisch von den Eltern zu befreien [...]" (Herbert (1989), S.
30). Der Wandel der Eltern-Kind-Beziehung im Jugendalter ist insofern
geprägt vom Ablöseprozess. Die Ablösung von den Eltern gestaltet sich
für Garlichs & Leuzinger-Bohleber (1999) in Bezug auf Laufer (1965) als
eine der Entwicklungsaufgaben, die in der Adoleszenz von 12 bis 18 Jah-
ren zu bewältigen sind. Es geht um die innere und äußere Ablösung vom
Elternhaus. Weitere Aufgaben sind das Annehmen des sich verändernden
Körpers, die Identitätsfindung sowie die Suche nach einem Partner bzw.
einer Partnerin. Letzteres rückt die Bedeutung der Loslösung von den El-
tern in einen relevanten Kontext: Der Ablösungsprozess bildet die Voraus-
setzung dafür, dass eine derartige Hinwendung zum anderen Geschlecht
möglich ist. (Vgl. Garlichs & Leuzinger-Bohleber (1999), S. 66) Daneben
bezieht sich Neuenschwander (1996) auf Ausführungen von Dreher &
Dreher (1985; 1991), die Arbeiten von Havighurst (1972) zu zehn Entwick-
lungsaufgaben komplettieren. Diese sind im Vergleich zu den bereits ge-
nannten nicht verschieden, aber differenzierter und umfangreicher:

2. Die Bedeutung des Wandels der Eltern-Kind-Beziehungen im Jugendalter
13
,,1. Aufbau eines Freundeskreises: Zu Altersgenossen beiderlei Geschlechts werden
neue, tiefere Beziehungen hergestellt.
2. Akzeptieren der eigenen körperlichen Erscheinung: Veränderungen des Körpers und
sein eigenes Aussehen annehmen.
3. Verhalten aneignen, das in unserer Gesellschaft von einem Mann bzw. einer Frau er-
wartet wird.
4. Aufnahme intimer Beziehungen zu einem Partner bzw. einer Partnerin (Freund, Freun-
din)
5. Vom Elternhaus unabhängig werden bzw. sich vom Elternhaus loslösen.
6. Wissen, was man werden will und was man dafür können (lernen) muss.
7. Vorstellungen entwickeln, wie der Ehepartner und die zukünftige Familie sein sollen.
8. Über sich selbst im Bild sein: Wissen, wer man ist und was man will.
9. Entwicklungen einer eigenen Weltanschauung: Sich darüber klar werden, welche Wer-
te man hoch hält und als Richtschnur für eigenes Verhalten akzeptiert.
10. Entwicklung einer Zukunftsperspektive: Sein Leben planen und Ziele ansteuern, von
denen man glaubt, dass man sie erreichen kann."
(aus: Neuenschwander (1996), S. 27)
Der Aspekt der Loslösung vom Elternhaus tritt wieder in Erscheinung.
Nach Aussagen von Masche (1998) in Bezug auf Erhebungen von Dreher
& Dreher (1985) stufen die meisten Jugendlichen die Ablösung vom El-
ternhaus als wichtigste Entwicklungsaufgabe ein.
Die Entwicklungsaufgaben fasst Neuenschwander (1996) im Rückgriff auf
Erikson (1959) zu der zentralen Aufgabe, eine Identität aufbauen, zusam-
men: Die Adoleszenz ist eine Zeit der Identitätsentwicklung. Es beginnt die
Ergründung der eigenen Persönlichkeit. Für den Jugendlichen stehen die
Fragen im Vordergrund, was die eigene Person charakterisiert, wie man
sein möchte und womit bzw. mit wem man sich identifizieren kann. Die
persönlichen Themen, die sich in den Entwicklungsaufgaben wiederfin-
den, werden nicht vereinzelt, sondern in ihrer Gesamtheit betrachtet. Es
besteht das Bedürfnis, sie in Einklang zu einem harmonischen Ganzen,
der Identität, zu vereinen. Fend (1991) führt eine Konstruktion des Begrif-
fes Identität auf Blasi (1998) zurück. Identität hängt mit der Frage ,,Wer bin
ich?" zusammen. Das System eigener Werte, Ziele, Meinungsmuster und
Präferenzen kommt in der Beantwortung zum Ausdruck, womit sich indi-
rekt die Erforderlichkeit der (inneren) Loslösung von den Eltern assoziie-

2. Die Bedeutung des Wandels der Eltern-Kind-Beziehungen im Jugendalter
14
ren lässt. Die angeeigneten Wertvorstellungen sind nicht aus Loyalität ge-
genüber den familiären Bezugspersonen zu definieren, sondern aufgrund
ihrer eigentümlichen Gültigkeit und individuellen Relevanz. Das Selbstbild
hängt gleichzeitig mit vergangenen Erfahrungen (,,Was hat sich bis jetzt
verändert?") und zukünftigen Vorstellungen (,,Welche Ziele strebe ich für
die Zukunft an?") zusammen, die dem Individuum ein Gefühl von beste-
hender Kontinuität geben. Die Antworten auf die Fragen der Identität füh-
ren zu realistischen Selbsteinschätzungen in grundlegenden Themen der
Berufswahl oder der Partnerschaft. Das Gefühl, seine Mitte gefunden zu
haben, zu wissen, wer man ist, schafft ein tiefgehendes Selbstwertgefühl
bzw. Selbstvertrauen. (Vgl. Fend (1991), S. 21)
Das Erlangen der Identität ist nach Erikson (1966) eine Voraussetzung da-
für, die nächste Entwicklungsstufe, die er Intimität vs. Isolierung definiert,
erfolgreich zu absolvieren. So geht es im frühen Erwachsenenalter um die
erfolgreiche Führung partnerschaftlicher Beziehungen.
2
Nach seiner Theo-
rie gibt es für jedes Lebensalter Entwicklungsstufen, deren Übergänge von
Krisen geprägt sind. Dem entgegen empfinden viele Heranwachsende ihre
Übergänge nicht als Krise. Sie empfinden sie als allmähliche Veränderun-
gen, in denen Erwachsene und Gleichaltrige sie bei Entscheidungen un-
terstützen und sie auf neue positive Erfahrungen treffen. Der Begriff Krise
lässt sich folglich nicht pauschalisieren, was auch für Übergänge in höhere
Entwicklungsstufen gelten dürfte. (Vgl. Tücke (1999), S. 300) Der Begriff
Krise ist aus der Perspektive Eriksons allerdings zutreffend, wenn die
Identität nicht erreicht wird. ,,Es ist eine Zersplitterung des Selbst-Bildes
eingetreten, ein Verlust der Mitte, ein Gefühl von Verwirrung und in schwe-
ren Fällen die Furcht vor völliger Auflösung" (Erikson (1966), S. 154). Der
Jugendliche ist sowohl unfähig, sich als Person identisch zu empfinden als
auch an Kontinuität im Lebenslauf sowie an Zukunftsperspektiven zu den-
ken. Die Krise verhindert den Aufbau eines gesunden Selbstwertgefühls,
was wiederum notwendig wäre, um sie zu bewältigen. Erikson spricht in
diesem Zusammenhang von einer Identitätsdiffusion bzw. einer Störung
2
Die Unfähigkeit in dieser Lebensphase sich auf Partnerschaften und innige Freund-
schaften einzulassen, offenbart die vorhandene Schwäche der Identität (vgl. Erikson
(1966), S. 156).

2. Die Bedeutung des Wandels der Eltern-Kind-Beziehungen im Jugendalter
15
und benennt die Entwicklungsstufe der Adoleszenz Identität versus Identi-
tätsdiffusion.
Die Identitätsentwicklung steht in der Adoleszenz erst am Anfang und er-
streckt sich oft über das ganze Leben hinweg. Es darf nicht der Eindruck
erweckt werden, dass Identitätsreife fortwährendes Eigentum ist, weil
Rückschritte je nach Lebenssituation durchaus möglich sind. Identität voll-
zieht sich nicht zwangsweise in allen Bereichen. So kann sie in der
Berufsfindung erreicht werden bei gleichzeitigem Fehlen religiöser und
politischer Standpunkte. Nach Erikson ist hauptsächlich eine nicht
vorhandene Berufsidentität für den Jugendlichen belastend. In diesem
Bereich kann am ehesten eine Identitätsdiffusion je nach individuellem
Empfinden der inneren Diskrepanz stattfinden. (Vgl. Fend (1991), S. 19
und Erikson (1959), S. 110)
Bisher betrachtete ich die Entwicklungsaufgabe der Ablösung von den El-
tern als einen wesentlichen Beitrag zur Identitätsentwicklung. Die Ablö-
sungsprozesse sind Folge der Autonomiebestrebungen. Der Wandel der
Eltern-Kind-Beziehungen zielt auf das Abbrechen einseitiger Abhängigkeit
von den autoritativen Eltern und damit auf die Unabhängigkeit des
Jugendlichen ab. Geht damit ein Bruch familiärer Beziehungen einher?
Immerhin ist zu bedenken, dass im Sinne Eriksons Identitätsprobleme un-
vermeidlich sind, falls es dem Heranwachsenden nicht gelingt, eine
Unabhängigkeit von den Eltern zu erreichen.
Zum einen ist die Emanzipation von den Eltern und das damit verbundene
Aufgeben der Kindheitsidentität für den Heranwachsenden problematisch.
Zum anderen erweist sich die Entscheidung gegen die Eltern insofern als
schwierig, als der von ihnen ausgehende Schutz gleichzeitig weitreichend
wegfällt (vgl. Kohlendorfer (1994), S. 17). Es ist nicht nur die Sicherheit,
durch die sich Jugendliche zu den Eltern hingezogen fühlen. Sie sehen
sich in der Regel während der Adoleszenz nach wie vor mit ihnen verbun-
den. Aus dem bisherigen Verlauf der familiären Verhältnisse heraus sind
sie weiterhin an guten Beziehungen zu ihnen interessiert und empfinden

2. Die Bedeutung des Wandels der Eltern-Kind-Beziehungen im Jugendalter
16
diese als wichtig (vgl. Peters (1986), S. 103f.). Schließlich gewährt die Zu-
neigung und Vertraulichkeit in der Familie dem einzelnen Jugendlichen die
Möglichkeit, das Elternhaus als einen Ort zu betrachten, ,,[...] wo er sich
entspannen kann, sich sozusagen ,gehenlassen' kann, und wo er gele-
gentlich reizbar sein kann, sich beklagen und sich wie ein Kind benehmen
kann, was er sich vor seinen Altersgenossen oder vor Erwachsenen au-
ßerhalb des Elternhauses nicht erlauben würde" (Jersild (1946), zit. nach
Ausubel (1979), S. 232). Deshalb existiert nicht nur der Wunsch nach Un-
abhängigkeit bzw. Ablösung, sondern gleichzeitig nach Bezogenheit bzw.
Verbundenheit.
Angestrebte Autonomie und bleibende Zuneigung sind insofern vereinbar,
als Jugendliche die Unabhängigkeit innerhalb der Bindung beabsichtigen.
So erschließt sich die eigentliche Aufgabe der Adoleszenten in der Not-
wendigkeit, eine neue Definition der Beziehung, in der sie den Eltern
gleichberechtigt sind, zu organisieren und umzusetzen. Die Umgestaltung
bzw. die Transformation der Eltern-Kind-Beziehungen unterliegt der Be-
deutung, partnerschaftliche Bedingungen zwischen Eltern und ihren her-
anreifenden Kindern zu schaffen, so dass einseitige Autorität sich in beid-
seitigen Respekt wandelt. Dies verläuft überwiegend über Gespräche und
Konfliktsituationen bzw. Neuverhandlungen, in denen die Autonomieab-
sichten mit einfließen. Die Heranreifenden wollen ihre Stimme berücksich-
tigt wissen und Entscheidungsrecht haben. Die Motive Ablösung und Ver-
bundenheit können als eine ambivalente Entwicklungsaufgabe zusam-
mengefasst werden. Wenn es gelingt, sie zu vereinen, ist die Transforma-
tion erfolgreich und eine positive Beziehung kann entstehen. (Vgl. Peters
(1986), S. 103f.) Damit sich jedoch zwischen Eltern und Kindern eine Ba-
lance einspielen kann, ist die Mitwirkung der Eltern erforderlich, worauf ich
noch zu sprechen komme.
Das Bedürfnis nach Nähe und Autonomie kann durchaus unterschiedlich
gewichtet sein und sich im Entwicklungsverlauf polarisieren: Einerseits
können die Heranwachsenden signalisieren, dass ihre Eltern sie in Ruhe
lassen sollen. Ihre Gesprächsbereitschaft ist nur gering. Diese ausgepräg-

2. Die Bedeutung des Wandels der Eltern-Kind-Beziehungen im Jugendalter
17
te Unabhängigkeitsbestrebung ist oft das Ergebnis mangelnder Zuwen-
dung oder einer zu großen Eindringung der Eltern in die Privatatmosphäre
ihrer Kinder. Außerdem kann der Wunsch nach Verbundenheit abgestrit-
ten werden. Die Jugendlichen leugnen ihre Zuneigung aus Angst vor Ver-
letzung. Andererseits ist es denkbar, dass sie sich stark an ihre Eltern
orientieren, da sie ihrem Schutz nicht entfliehen wollen oder Angst haben,
sie zu enttäuschen. (Vgl. Fend (2000), S. 301f.)
Peters (1986) beschreibt unter Hinzuziehung der Studien von Gillgigan
(1984) Unterschiede im Hinblick auf die Geschlechter: Für Männer erweist
sich das Eingehen und Pflegen von Beziehungen als problematisch, wobei
Frauen eher Ablöseschwierigkeiten zeigen. Es lässt sich der Schluss zie-
hen, dass auch geschlechtsspezifische Hintergründe die unterschiedliche
Gewichtung von Distanzierung und Bezogenheit beeinflussen. Söhne wol-
len sich eher aus dem familiären Umfeld ablösen. Töchtern ist eine stärke-
re Umwandlung der Beziehungen zu den Eltern wichtig. (Vgl. Peters
(1986), S. 104)
Im Großen und Ganzen besteht bei beiden Geschlechtern eine Kontinuität
der emotionalen Nähe zu den Eltern. Der Wunsch nach Unabhängigkeit
bezieht sich auf individuelle Entscheidungsspielräume und Wertesysteme
und nicht auf die Loslösung des Bandes zwischen Eltern und Heranwach-
senden. Das anfängliche Zitat von Herbert, der Jugendliche müsse sich
psychologisch von den Eltern befreien, bedarf einer engeren Einordnung.
Nichtsdestotrotz stellt Peters (1986) heraus, dass bis in die 80er Jahre die
Forschungen sich darauf beliefen, dass die familiäre Bindung gekappt
werden müsse. Dies sei die Bedingung für ein unabhängiges Leben der
Jugendlichen von den Eltern. Nach empirischen Forschungen fühlen sich
allerdings Jugendliche fortwährend den Eltern verbunden und wollen den
Kontakt zu ihnen aufrechterhalten. Daher beschreibt der Aspekt Ablösung
nur unzureichend den Wandel in den familiären Beziehungen. Das Einflie-
ßen des Faktors Verbundenheit bietet eine ,,erweiterte Sichtweise" (Peters
(1986), S. 105).

3. Veränderungen in den Eltern-Kind-Diskussionen
18
3. Veränderungen in den Eltern-Kind-Diskussionen
In diesem Kapitel beziehe ich mich konkret auf den Autonomieaspekt, der
sich innerhalb familiärer Beziehungen durch kontroverse Eltern-Kind-
Gespräche manifestiert. Anhand der Analyse von bevorzugten Konflikt-
themen kann man auf die Bereiche schließen, in denen Jugendliche Auto-
nomie erwerben wollen. Die Relevanz bestimmter Themen lässt sich au-
ßerhalb des Konfliktgeschehens ebenso durch ihr Vorkommen in
Gesprächen ermitteln. Auf diese Weise ist es zusätzlich möglich, erste
Schlüsse auf die Bedeutung der Eltern für bestimmte Lebensbereiche zu
ziehen. Resümierend erläutere ich zum Wandel der Eltern-Kind-
Diskussionen allgemeine Veränderungen in den Gesprächs- und Konflikt-
themen. So beschränke ich mich nur auf das Auftreten von Konflikten und
vernachlässige die Einflüsse auf das Verhältnis zwischen Eltern und Kind,
um nicht zu sehr von der Handlungs- in die Beziehungsebene überzuge-
hen. Auf Konfliktauswirkungen komme ich gesondert im Kapitel 5.4 zu
sprechen.
Mit Hilfe empirischer Ergebnisse aus dem Konstanzer Längsschnitt bezie-
he ich mich im Folgenden hauptsächlich auf den Übergang in die Adoles-
zenz bis zum 16. Lebensjahr. Im Zuge der biologischen, kognitiven und
sozialen Veränderungen im Übergang vom Kind zum Jugendlichen wer-
den gravierende Änderungen in den Eltern-Kind-Diskussionen in dieser
Phase erwartet. Die Heranreifenden beginnen aus den Autoritätsbezie-
hungen zu den Eltern herauszutreten.
Der Aufbau des Kapitels gliedert sich wie folgt: Zunächst beschreibe ich,
inwiefern sich bestimmte Gesprächsthemen jährlich in ihrer Häufigkeit än-
dern und lege danach den Schwerpunkt auf das Konfliktgeschehen. Hier-
zu stelle ich einleitend allgemeine Sachverhalte in den Eltern-Kind-
Konflikten dar, die zum grundlegenden Verständnis des innerfamiliären
Konfliktgeschehens beitragen. Die anschließende Analyse des Dissens-
vorkommens während der Frühadoleszenz gibt Aufschluss darüber, wie
sehr diese Phase mit Konflikten behaftet ist. In den folgenden Unterkapi-

3. Veränderungen in den Eltern-Kind-Diskussionen
19
teln 3.2.3 bis 3.2.5 beleuchte ich aus der Perspektive der Jugendlichen
und der Eltern die Veränderungen in der Gewichtung ausgewählter Kon-
fliktthemen. Im Vergleich der elterlichen und jugendlichen Konfliktwelt lässt
sich aufzeigen, wie sehr die jeweiligen Beteiligten bestimmten Themen
Bedeutung beimessen.
3.1 Veränderungen bezüglich der Gesprächsthemen
Abb. 1 : Gesprächshäufigkeit von 13 bis 16 Jahren
(aus: Fend, Helmut (1998): Eltern und Freunde. Bern. S. 105)
Die Abbildung 1 stellt die jährliche Häufigkeit von ausgewählten Ge-
sprächsthemen zwischen Eltern und Kindern dar, und zwar aus der Per-
spektive der 13- bis 16-Jährigen. Demnach diskutieren im gesamten Zeit-
raum Jungen und Mädchen mit den Eltern am häufigsten über die Schule.
Diese wird nach Fend (1998) durch eine höhere Schulform noch stärker in
den Vordergrund gerückt. Der Prozentsatz zu den Themen Zukunftspläne
und Berufsvorstellungen wächst von 13 bis 15 Jahren von ca. 33 % auf
etwa 45 % an. Sie bekommen für Haupt- und Realschüler sowie deren El-
tern eine wachsende Bedeutung, und zwar in Familien mit Hauptschülern
bis zur Berufswahl im 9. Schuljahr (15 Jahre) und in Familien mit Real-

3. Veränderungen in den Eltern-Kind-Diskussionen
20
schülern entsprechend ein Jahr später. Dagegen besteht bei Schülern von
Gymnasien und deren Eltern noch wenig Diskussionsbedarf, weil der Ab-
schluss noch in weiter Zukunft liegt. Bei ihnen liegt der Prozentsatz in der
9. Schulstufe bei etwa 29 %. Das an Abb. 1 ablesbare Abfallen der Pro-
zentsätze für Zukunftspläne und Berufsvorstellungen vom 15. zum 16. Le-
bensjahr hängt mit dem Erreichen des Abschlusses der Hauptschüler zu-
sammen. (Vgl. Fend (1998), S. 100)
Religiöse Fragen sind in dem untersuchten Zeitraum in der Familie wenig
relevant. Dagegen wird erwartungsgemäß viel über die Freizeitgestaltung
gesprochen. Zwischen 13 und 16 Jahren sinkt die Gesprächshäufigkeit zu
diesem Thema jedoch von ca. 53 % auf ca. 42 % ab. Dies kann daran lie-
gen, dass mit der Zielsetzung nach guten Schulabschlüssen, Jugendliche
der Freizeit einen geringeren Stellenwert zuordnen. Ferner möchten Eltern
die Selbstständigkeit ihrer Kinder fördern, indem sie ihnen die Freizeitge-
staltung selbst überlassen, so dass ihrerseits weniger Interaktionsbedarf
besteht. Es ist nahe liegend, dass Jugendliche die zugestandene Autono-
mie nutzen und ihre Freizeit zunehmend eigenständig gestalten können.
Weiterhin wird während der Jugendzeit immer weniger gemeinsame Frei-
zeit geplant (vgl. Fend (2000), S. 279). Daraus lässt sich ein Bedeutungs-
verlust der Eltern als Freizeitpartner folgern. Wie ich an anderer Stelle
noch aufzeigen werde, verbringen Jugendliche während der Pubertät ihre
Freizeit im höheren Maße mit Gleichaltrigen. Wenngleich Eltern ihre Rele-
vanz nicht nur als Freizeitberater, sondern auch als Freizeitpartner verlie-
ren, suchen die Jugendlichen nachhaltig bei den bedeutsamen Themen
Schule, Berufswahl und Zukunftsplanung das hilfreiche Gespräch mit ih-
ren Eltern. Hieraus lässt sich schließen, dass Eltern bei ernsten Angele-
genheiten nach wie vor eine bezeichnende Rolle als Bezugsperson spie-
len. (Vgl. Fend (1998), S. 106) Im Kapitel 5.2 gehe ich auf die Bedeutung
der Eltern als Beratungsinstanz detaillierter ein.
Zu geschlechtsspezifischen Unterschieden bezüglich der Gesprächsinten-
sität gibt die Abb. 2 Auskunft. Hier wurden die in Abb. 1 aufgeführten
Items zusammengefasst, um für jedes Alter Mittelwerte zu errechnen.

3. Veränderungen in den Eltern-Kind-Diskussionen
21
Abb. 2 : Gesprächsintensität
(aus: Fend, Helmut (1990). Vom Kind zum Jugendlichen. Bern. S. 98)
Auffällig ist, dass bei der Entwicklung der Gesprächsintensität von Jungen
und Mädchen zu differenzieren ist. Bei Ersteren ist sie im 13. und 14. Le-
bensjahr annähernd gleich bleibend und fällt anschließend ab. Für Letzte-
re ist diesbezüglich eine Zunahme zum 14. Lebensjahr zu verzeichnen,
wonach jährlich die Mittelwerte linear absinken. Insgesamt reden Mädchen
mehr in der Familie als Jungen. In Anbetracht der Spannweite der Skala
bewegen sich diese Abnahmen in einem kleinen Bereich (etwa zwischen
den Mittelwerten 11 und 12), so dass während des Älterwerdens die
Kommunikationsdichte relativ stabil bleibt.
Die Beziehung zwischen Eltern und Jugendlichen wird in der Adoleszenz
über Gespräche neu ausgehandelt. Da ihre Meinungen häufig uneins sind,
kommt es zu offenen Konflikten, denen ich mich im Folgenden zuwende.

3. Veränderungen in den Eltern-Kind-Diskussionen
22
3.2 Veränderungen bezüglich der Konflikte
3.2.1 Hintergründe und Besonderheiten zu den Konflikten zwischen
Eltern und Jugendlichen
Für die Analyse der jeweiligen Konfliktthemen ist eine nähere Untersu-
chung der allgemeinen Charakteristika von innerfamiliären Konflikten
sinnvoll. Hieraus wird ersichtlich, was die jeweilige Situation der Beteilig-
ten zum Spezifischen der Eltern-Kind-Konflikte beiträgt.
Bei einem Dissens bestehen zwischen den Parteien unvereinbare Ziele
bzw. Bedürfnisse, die sie durchsetzen wollen. Das Bedürfnis der Jugendli-
chen besteht in der Erweiterung ihrer Autonomie. Während des Transfor-
mationsprozesses geht es ihnen um den Erwerb einer gleichberechtigten
Beziehung, für die sie mit ihren Eltern bestehende Rechte und Pflichten
neu aushandeln müssen. Auf dem Weg zum Erwachsenenstatus definie-
ren sie via Selbsterziehung immer neue Standpunkte und Regeln. Die El-
tern spüren, dass die Jugendlichen aus dem elterlichen Einfluss heraus-
wachsen wollen und deuten die Veränderung mit ihrem Autoritätsverlust.
Allerdings sehen sie in ihren heranwachsenden Söhnen bzw. Töchtern
immer noch das Kind. Diese Wahrnehmung sowie unterschwellige Rivali-
tätsgefühle gegen das Emanzipationsverhalten unterstützen die Tendenz,
dem Heranwachsenden gegenüber autoritär zu erscheinen. (Vgl. Ausubel
(1979), S. 226) Zwar nimmt die Inanspruchnahme von Einfluss und die
Wahrnehmung des Jugendlichen als Kind während der Adoleszenz ab,
trotzdem bleiben Konflikte bestehen, deren Bedeutungsspektrum von un-
wichtig über interessant bis verletzend und brisant reicht. Je stärker der
Konflikt ist, umso mehr ist der Wille vorherrschend, Autonomie zu gewin-
nen. Dissense drücken nicht nur die Distanzierung der Jugendlichen von
der Welt der Erwachsenen aus, sie sind Symbole des Nachlassens der el-
terlichen Autorität, der ,,[...] Veränderung der Machtdimension in der
Familiendynamik [...]" (Storch (1994), S. 92).
Als Jugendlicher von den Erwachsenen nicht als solcher akzeptiert zu
werden und in dem Versuch, den Erwachsenenstatus zu erringen, belä-

3. Veränderungen in den Eltern-Kind-Diskussionen
23
chelt zu werden, wirkt auf die jungen Menschen verletzend. Sie fühlen sich
oftmals unverstanden und ziehen sich aus der Welt der Erwachsenen zu-
rück. Aus ihrer Sicht sind die Eltern Vertreter der Erwachsenen, die ihnen
die Teilnahme an deren Gesellschaft erschweren. So erhöht allein diese
soziale Position der Eltern das Konfliktpotential der Kinder. Zusätzlich ver-
fügt die Gleichaltrigengruppe über einen erheblichen Einfluss auf die
Wahrnehmung der Eltern: Während der Adoleszenz wird der eigene Sta-
tus vorwiegend über die entgegengebrachte Anerkennung der Peer-Group
definiert. Um bei den Altersgenossen zu bestehen, ist der Jugendliche ge-
rade dazu verpflichtet, die stereotype Einstellung gegen die Erwachsenen
und damit gegen die Eltern anzunehmen. Die Altersgenossen tragen somit
dazu bei, die elterliche Autorität verstärkt in Frage zu stellen. (Vgl. Ausubel
(1979), S. 228f.)
In der Frühadoleszenz geht mit dem verstärkten Selbstständigkeitsstreben
eine veränderte Interpretation der elterlichen Erwartungen einher. Nach
Fend (2000) werden sie häufig als Fragen des persönlichen Einstellungs-
bereiches umgedeutet. So empfinden Eltern die Themen Aufräumen und
Kleidung keineswegs wie ihre Kinder als individuelle Angelegenheit. Eltern
erwarten eher Rücksicht in Bezug auf die Familienmoral, wohingegen Ju-
gendliche ihre eigene Identität entwickeln wollen und dafür Konflikte in
Kauf nehmen. (Vgl. Fend (2000), S. 283)
Fend (1998) kategorisiert die Formen der Konfliktlösungen zwischen El-
tern und Jugendlichen mittels Studien von Laursen (1993), wonach beide
sich zu 50 % aus dem Wege gehen, zu 37 % die Kinder sich unterwerfen
und nur zu 23 % Kompromisse geschlossen werden. Interessant ist, dass
gegenüber Gleichaltrigen höhere Prozentsätze für Kompromisse ausge-
sagt werden. Der konstruktivere Kommunikationsstil beruht auf der Labili-
tät der Peer-Beziehungen. Die Jugendlichen sind sich bewusst, dass Kon-
flikte auch zum Beziehungsabbruch führen können. Bei Eltern ist dies nur
begrenzt zu berücksichtigen, weshalb die entsprechenden Auseinander-
setzungen mitunter intensiver sind. Laursen konstatiert bei Müttern ein
signifikant hohes und bei Vätern ein niedriges Vorkommen von Konflikten

3. Veränderungen in den Eltern-Kind-Diskussionen
24
mit den pubertierenden Kindern. (Vgl. Fend (1998), S. 106f.) Ein Grund
hierfür könnte in der Aussage von Ausubel (1979) zu finden sein, dass die
Mütter in der Adoleszenz restriktiver und besorgter als die Väter seien,
welche sich weniger einmischten, gleichgültiger und eher mit sich selber
beschäftigt seien (vgl. Ausubel (1979), S. 227).
Die oft vorkommende Vehemenz, mit der die Beteiligten die Konflikte füh-
ren, deutet auf negative Seiten hin. Mit der Intensität der Dispute steigt auf
Dauer die Wahrscheinlichkeit, dass es weniger um Sachlichkeit als auf
das Einnehmen einer konträren Position als Selbstzweck geht. Es scheint,
als würden die Jugendlichen sich in schwierigen Diskussionen bewusst
den Eltern verschließen, wenn sie die Richtigkeit deren Argumente erah-
nen oder sich mit sachlichem Kommunikationsstil nicht durchsetzen kön-
nen. Durch die Versteifung auf den entgegengesetzten Standpunkt müs-
sen sie vor ihren Eltern keine Schwäche und ihrer Emanzipation keinen
Rückschritt zugestehen. (Vgl. Fend (1998), S. 126)
Einerseits können Konflikte in einer gefährlichen Verbissenheit geführt
werden; andererseits werden sie auch vermieden. Konfliktvermeidung ist
ein Phänomen, das beide Seiten betrifft. Es besteht zwar ein Zusammen-
hang zwischen einem sinkenden restriktiven Erziehungsstil und einer er-
folgreichen Emanzipation, aber ein übermäßiges Fehlen von elterlichen
Beschränkungen wirkt sich dennoch negativ auf die Entwicklung der Kin-
der aus. Wenn Eltern zu sehr nachgeben und Konflikten aus dem Weg
gehen, werden sie ihrer Verantwortung nicht gerecht. Den Heranwach-
senden fehlt eine gewisse Orientierung und Sicherheit. An dieser Stelle
wird deutlich, dass Erziehung eine gewisse Balance erfordert zwischen
aktiver Mitgestaltung und dem Tolerieren der Selbsterziehung. Auch Ju-
gendliche können dazu tendieren, Konflikte zu vermeiden: Bei ihnen er-
höht sich die Schwelle zur Konfliktbereitschaft durch den Respekt vor den
Eltern, der Furcht vor Vergeltung sowie das Empfinden von Schuld und
Verlustängsten. Es hängt in erster Linie von ihrem Selbstbewusstsein ab,
ob sie mit ihren Eltern die Konfrontation austragen oder nicht. Je geringer

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2003
ISBN (eBook)
9783832497606
ISBN (Paperback)
9783838697604
DOI
10.3239/9783832497606
Dateigröße
1.9 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Osnabrück – Erziehungs- und Kulturwissenschaften
Erscheinungsdatum
2006 (August)
Note
2,0
Schlagworte
adoleszenz erziehungshilfen elternhaus gleichaltrige peer group
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