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Neue Konsumwelten in Polen

Die Entwicklung der Shopping-Center in Warschau

©2005 Diplomarbeit 101 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Zusammenfassung:
Shopping-Center gelten als Symbole der Konsumgesellschaft. Die Existenz von solchen Orten der Konsumtion in einem Land, das noch vor zwanzig Jahren vom allgegenwärtigen Mangel geprägt war, kündet daher von grundlegenden und dynamischen gesellschaftlichen Veränderungen. Mit der vorliegenden Arbeit wurde exemplarisch die Entwicklung der Warschauer Shopping-Center im Kontext der sozioökonomischen Veränderungen in Polen untersucht. Dargestellt werden aus geographischer Perspektive sowohl die Herausbildung der Shopping-Center-Struktur Warschaus als Konsumwelt als auch die damit verbundenen Aspekte der raumstrukturellen Entwicklung der polnischen Hauptstadt.
Die Forschungsperspektive der Arbeit richtet sich auf Akteure und Rahmenbedingungen der Shopping-Center-Entwicklung. Es wird ein handlungs- und akteurtheoretisch fundierter Analyserahmen entwickelt, um die Aktivitäten relevanter politischer, administrativer, unternehmerischer und gesellschaftlicher Akteure auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene systematisch analysieren zu können.
Für die Konzentration auf hochrangige Einkaufszentren erwies es sich als notwendig, eine den polnischen bzw. Warschauer Bedingungen angepaßte Definition des Shopping-Center-Begriffes zu entwickeln. Anhand dieser Definition können innerhalb der Stadtgrenzen Warschaus elf hochrangige Shopping-Center identifiziert werden, die innerhalb eines Zeitraums von nur acht Jahren eröffnet wurden. Mit Hilfe umfangreicher eigener statistischer Auswertungen werden die Warschauer Shopping-Center sowohl hinsichtlich ihrer quantitativen und qualitativen Bedeutung für die Einzelhandelsstruktur Warschaus als auch bezüglich ihrer Differenzierung untereinander analysiert. Es zeigt sich, daß Shopping-Center in kurzer Zeit zu einem bedeutenden und akzeptierten Teil der Warschauer Konsumwelt geworden sind. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Shopping-Centern sind bedeutend; das Spektrum reicht von kleinen und spezialisierten bis zu sehr großen Objekten mit umfassenden Angebot. Für die Erklärung des recht unterschiedlichen Erfolgs der untersuchten Shopping-Center werden verschiedene Einflußfaktoren untersucht. Als ein zentrales Erfolgskriterium wurde die Anpassung der internationalen Konzepte an die lokalen Bedürfnisse der Konsumenten identifiziert.
Die eingehende Untersuchung der internationalen, nationalen und kommunalen Rahmenbedingungen für die Entwicklung von Shopping-Centern in Warschau […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Christoph Breit
Neue Konsumwelten in Polen
Die Entwicklung der Shopping-Center in Warschau
ISBN-10: 3-8324-9759-5
ISBN-13: 978-3-8324-9759-0
Druck Diplomica® GmbH, Hamburg, 2006
Zugl. Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin, Deutschland, Diplomarbeit, 2005
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© Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2006
Printed in Germany

Autorenprofil: Christoph Breit
1976
geboren in Blankenburg/Harz
1998-2006
Studium der Geographie, Volkswirtschaftslehre und Soziologie an
der TU Dresden, der Uniwersytet Wroclawski (Wroclaw/Breslau,
Polen) und der HU zu Berlin
2004/05
Forschungsaufenthalt für die Diplomarbeit in Warschau
seit 04/2006 Diplom-Geograph

Vorwort
Die vorliegende Arbeit ist Resultat meiner wissenschaftlichen Beschäftigung mit
Aspekten des Einzelhandels wie auch mit Polen.
Als ich während meines Erasmus-Aufenthalts in Wroclaw (Breslau) im
akademischen Jahr 2001/2002 begann, mich mit Fragen des städtischen
Einzelhandels in Polen zu beschäftigen, war dies eine Reaktion auf die Vielfalt der
Einkaufsmöglichkeiten, die ich in Wroclaw wahrnahm - vom Straßenhandel über die
am Stadtrand gelegenen Einkaufszentren (mit kostenlosem Bustransfer ab
Hauptbahnhof) bis zum gerade eröffneten innerstädtischen Shopping-Center
Galeria Dominikaska ­ der ersten Investition des Hamburger Unternehmens ECE in
Polen.
Die mir nach meinem Aufenthalt in Wroclaw bekannt gewordene Arbeit von Prof.
Dr. Pütz zum ,,Einzelhandel im Transformationsprozeß" und die Möglichkeit, mit
Unterstützung des DAAD (Go East) in der Zeit von November 2004 bis Februar 2005
in Warschau zu forschen, inspirierten mich zur Konzeption meiner Diplomarbeit
über die Warschauer Shopping-Center.
Mein Dank gilt allen, die zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben, u.a. Prof.
Dr. Elmar Kulke und Prof. Dr. Robert Pütz als Betreuer, dem DAAD sowie Herrn
Dannenberg und Herrn Dr. Kinder vom Geographischen Institut der HU zu Berlin
für die Ermöglichung meines Warschauer Forschungsaufenthalts, Herrn dr Wilk und
Herrn dr Grochowski von der Fakultät für Geographie und Regionale Studien der
Universität Warschau für ihre wertvollen Hinweise, Artikel und die
Kartengrundlage, meiner Frau (nicht nur) für die kritische Lektüre meiner Entwürfe,
meiner Familie und meinen Freunden und nicht zuletzt meinen vielen offiziellen
und inoffiziellen Polnischlehrerinnen und -lehrern.
Berlin, November 2005
Christoph Breit
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Inhaltsverzeichnis
1 Neue Konsumwelten in Polen: Einleitung und Fragestellung...8
1.1 Shopping-Center, Stadt und Transformation...8
1.2 Fragestellung, Theoretischer Rahmen und Analysekonzept...10
1.2.1 Fragestellung...10
1.2.2 Analytische Perspektive...10
1.2.3 Ziel der Arbeit...11
1.2.4 Inhalt der Arbeit...11
2 Shopping-Center und Transformationsprozeß: Theorie...12
2.1 Theoretischer Rahmen der Arbeit...12
2.1.1 Handlungstheoretische Grundlage: Handlung und Akteur...12
2.1.2 Transformation...13
2.1.3 Das Transformationskonzept nach Pütz (1998)...14
2.1.4 Das Transformationskonzept dieser Arbeit...16
2.2 Analytisches Konzept der Arbeit...17
2.2.1 Räumliche Ebenen...17
2.2.2 Gesellschaftliche Teilbereiche...17
2.2.3 Zusammenfassung des analytischen Konzepts...18
2.3 Wissenschaftliche Literatur zum Thema der Arbeit...19
2.3.1 Arbeiten zu Shopping-Centern in Polen...19
2.3.2 Arbeiten zu Shopping-Centern in entwickelten Marktwirtschaften...21
2.3.3 Literatur zu aktuellen Entwicklungen im polnischen Einzelhandel...22
2.3.4 Statistische und andere Daten zum polnischen Einzelhandel...25
2.4 Definition des Begriffs Shopping-Center in dieser Arbeit...25
2.4.1 Shopping-Center als Ausdruck schöpferischen Unternehmertums...25
2.4.2 Definition des Begriffs Shopping-Center in der Literatur...26
2.4.3 Probleme der Definition in der polnischen Wissenschaft...26
2.4.4 Eigene Definition...27
3 Die Warschauer Shopping-Center...32
3.1 Identifizierte Shopping-Center...32
3.2 Einordnung der Shopping-Center in den städtischen Kontext...33
3.2.1 Lage der Shopping-Center im Stadtraum...33
3.2.2 Einzelhandelsflächen - Vergleich...34
3.2.3 Einzelhandelsflächen ­ Entwicklung...35
3.3 Differenzierung der Shopping-Center...36
3.3.1 Untersuchte Merkmale der Differenzierung...36
3.3.2 Besucheraufkommen...38
3

3.3.3 Differenzierung nach Verkehrsanbindung...40
3.3.4 Differenzierung der baulich-funktionalen Gestaltung...43
3.3.5 Differenzierung des Angebots...50
3.4 Shopping-Center als Investitionen in vielfältigen Kontexten...55
3.4.1 Die Investition in Shopping-Center als unternehmerischer Prozeß...55
3.4.2 Unternehmerische Akteure: Investoren...55
3.4.3 Marktwahrnehmung...56
3.4.4 Marktanalyse...58
3.4.5 Zivilgesellschaft...77
3.4.6 Fallstudie Zlote Tarasy...81
3.4.7 Fallstudie: Centrum Handlowe Reduta...83
4 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse...88
5 Literaturverzeichnis...90
4

Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Lage der Shopping-Center im Stadtraum...34
Abbildung 2: ÖPNV-Anbindung und Tagesbesucher der Shopping-Center...43
Abbildung 3: Kommerzielle Fläche der Shopping-Center zur Eröffnung...45
Abbildung 4: Kommerzielle Fläche und Tagesbesucher der Shopping-Center...46
Abbildung 5: Reduta: fußläufiger Zugang von der Bushaltestelle (Al.
Jerozolimskie). Der Eingang befindet sich rechts, auf der Höhe des
PKO-Schildes! [Foto: C. Breit 2005]...49
Abbildung 6: Blue City: fußläufiger Zugang von der Bushaltestelle (Al.
Jerozolimskie). Der Eingang befindet sich links. [Foto: C. Breit
2005]...49
Abbildung 7: Differenzierung der Shopping-Center: kommerzielle Fläche,
Angebot...53
Abbildung 8: Differenzierung der Shopping-Center: ÖPNV-Anbindung,
Tagesbesucher, Ausstattung...55
Abbildung 9: Administrative Gliederung Warschaus 1960-1992 [Quelle:
Grochowski o.J. (2004)]...72
Abbildung 10: Administrative Gliederung Warschaus 1993 [Quelle: Grochowski
o.J. (2004)]...73
Abbildung 11: Administrative Gliederung Warschaus 1994-2002 [Quelle:
Grochowski o.J. (2004)]...74
Abbildung 12: Administrative Gliederung Warschaus 2002 [Quelle: Grochowski
o.J. (2004)]...75
Abbildung 13: CH Reduta [Foto: C. Breit 2005]...85
5

Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Analyseschema...19
Tabelle 2: Auswahlkriterien für Shopping-Center in dieser Arbeit...31
Tabelle 3: Basisdaten der Shopping-Center...32
Tabelle 4: Warschau: Stadtteile und Shopping-Center...34
Tabelle 5: Einzelhandelsflächen in Warschau...35
Tabelle 6: Kommerzielle Flächen der Shopping-Center...36
Tabelle 7: Rechenvorschriften zur Ermittlung von Besucherzahlen...38
Tabelle 8: Tagesbesucher der Shopping-Center...39
Tabelle 9: ÖPNV-Anbindung der Shopping-Center...41
Tabelle 10: Flächendaten der Shopping-Center...43
Tabelle 11: Differenzierung der Shopping-Center: Parkplätze...46
Tabelle 12: Gestaltung der Eingangssituationen der Shopping-Center...47
Tabelle 13: Kriterien der Angebotsdifferenzierung der Shopping-Center...50
Tabelle 14: Differenzierung der Shopping-Center: Werte...51
Tabelle 15: Einkommen in Polen im Vergleich...60
Tabelle 16: Einzelhandelsrelevante Kaufkraft...61
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Wichtige Abkürzungen
CBOS
Centrum Badania Opinii Spolecznej
(Meinungsforschungsinstitut)
CH
Centrum Handlowe - Einkaufszentrum
FOC
Factory Outlet Center
GLA
General Lettable Area / General Leaseable Area
GUS
Glówny Urzd Statystyczny - Hauptamt für Statistik
KPH
Kongregacja Przemyslowo-Handlowa (Verband)
PAIiIZ
Polska Agencja Informacji i Inwestycji Zagranicznych -
Polnische Agentur für Information und Auslandsinvestitionen
PAN
Polska Akademia Nauk ­ Polnische Akademie der
Wissenschaften
PKiN
Palac Kultury i Nauki ­ Palast der Kultur und Bildung
(Warschau)
PLN
Polnische Zloty (Internationaler Währungscode)
POHiD
Polska Organizacja Handlu i Dystrybucji (Verband)
PRCH
Polska Rada Centrów Handlowych (Verband)
studium uikzp studium uwarunkowa i kierunków zagospodarowania
przestrzennego ­ Studie zu den Grundlagen und Richtungen
der Flächennutzungsplanung
UEC
Urban Entertainment Center
UW
Uniwersytet Warszawski ­ Universität Warschau
WGiSR
Wydzial Geografii i Studiów Regionalnych ­ Fakultät für
Geographie und Regionale Studien (der Universität Warschau)
wzizt
(decyzja o) warunkach zabudowy i zagospodarowania terenu -
(Festlegung der) Bebauungs- und
Bewirtschaftungsbedingungen einer Fläche
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Christoph Breit
Neue Konsumwelten in Polen
1 Neue Konsumwelten in Polen: Einleitung und Fragestellung
1.1 Shopping-Center, Stadt und Transformation
Shopping-Center gelten als Symbole der Konsumgesellschaft. Die Existenz von
solchen Orten der Konsumtion in einem Land, das noch vor zwanzig Jahren vom
allgegenwärtigen Mangel geprägt war, kündet daher von grundlegenden
gesellschaftlichen Veränderungen. Die dynamische Entwicklung der Shopping-
Center in Polen (und Ostmitteleuropa) hat aber bisher in der Wissenschaft kaum
Aufmerksamkeit gefunden. Mit der vorliegenden Arbeit über die Entwicklung der
Warschauer Shopping-Center wird ein Versuch unternommen, die Herausbildung
dieser neuen Konsumwelten aus geographischer Perspektive darzustellen.
Shopping-Center sind wesentlich mehr als nur eine Anhäufung von Geschäften in
einem Gebäude: Als stadträumlich sichtbare Zeichen des sozioökonomischen
Wandels verändern sie seit einigen Jahren das Erscheinungsbild der
ostmitteleuropäischen Großstädte. Als neue Einkaufsmöglichkeiten beeinflussen
Shopping-Center das Einkaufsverhalten der städtischen Konsumenten. Als
Investitionsobjekte sind sie volkswirtschaftlich relevant, als betriebswirtschaftliches
Konzept prägen sie den Strukturwandel im Einzelhandel. Shopping-Center werden
zu Zwecken der Repräsentation in bestimmte Lebensstile integriert oder als
negativer Einfluß auf die nationale Kultur abgelehnt. Weiterhin sind Shopping-
Center Arbeitgeber, Arbeitsplatzvernichter, Startpunkte für den Markteintritt
ausländischer Einzelhandelsunternehmen, Diskussionspunkte in kommunalen
Parlamenten und vieles mehr. Über ihren unmittelbaren Zweck, Einkaufsstätte zu
sein, hinaus haben Shopping-Center vielfältige weitere intendierte und
unintendierte Eigenschaften.
Bereits diese unvollständige Auflistung möglicher Perspektiven auf Shopping-
Center verweist auf deren komplexen Charakter. Die Vielzahl möglicher Sichtweisen
macht sie zu einem idealen Fokus einer mehrdimensionalen Analyse des
fortgeschrittenen sozioökonomischen Wandels.
Shopping-Center existieren in Polens Städten erst seit wenigen Jahren, sind aber
schon zu einem bedeutenden Element ihrer Einzelhandelsstruktur geworden.
Besonders deutlich wird dies in der Hauptstadt Warschau, wo die Entwicklung
wegen der relativ hohen Kaufkraft der Bevölkerung besonders dynamisch war.
Zwischen dem Bau der ersten, einfachen malls und der Eröffnung eines der größten
Einkaufszentren Kontinentaleuropas ­ dem Centrum Handlowe Arkadia
1
­ liegen
1 Das Arkadia wurde im Oktober 2004 eröffnet und hat eine GLA von mehr als 100.000 m²!
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Christoph Breit
Neue Konsumwelten in Polen
weniger als zehn Jahre! Von einem Nachholprozeß gegenüber westlichen Vorbildern
kann mittlerweile in Warschau nicht mehr grundsätzlich die Rede sein, wie die
Eröffnung des weltweit ersten outlet-store der schwedischen Bekleidungskette H&M
im Warschauer Factory Outlet Center Factory im Januar 2005 zeigt.
Im Warschauer Stadtraum hat der Bau der Shopping-Center einen bedeutenden
Anteil am rasanten Wandel des Stadtbildes. Da auf historische Bausubstanz wegen
der fast vollständigen Zerstörung Warschaus im Zweiten Weltkrieg kaum Rücksicht
genommen werden muß, repräsentieren die baulichen Zeugnisse besonders gut die
Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung in den letzten fünfzehn Jahren - der
Zeit der sogenannten Transformation.
Mit dem Beitritt Polens zur Europäischen Union am 1. Mai 2004 kann die
Transformation Polens, verstanden als Prozeß des Übergangs von der
realsozialistisch-planwirtschaftlichen zur demokratisch-marktwirtschaftlichen
Gesellschaft, als erfolgreich abgeschlossenes gesamtgesellschaftliches Projekt
gelten.
Der für den Beitritt notwendige Anpassungsprozeß verlangte der polnischen
Gesellschaft in den letzten fünfzehn Jahren in allen wesentlichen Teilbereichen
massive Veränderungen ab. Das politische System mußte auf eine neue,
demokratische Grundlage gestellt werden. Es mußte eine funktionierende, EU-
kompatible Verwaltung des Staates, der Regionen und der Kommunen aufgebaut
werden. Die Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Handeln inländischer und
ausländischer Unternehmen waren politisch auszuhandeln und administrativ
umzusetzen. Das Rechtssystem mußte für die Bedürfnisse der Gesellschaft, statt
wie zuvor der herrschenden Partei, umgebaut werden. All diese und noch viele
weitere Veränderungsprozesse hatten zudem ­ wegen und trotz der
Interdependenz der gesellschaftlichen Teilbereiche ­ nahezu gleichzeitig zu
geschehen.
Das Ziel dieser Bemühungen liegt in der in Polen immer wieder beschworenen
Erreichung europäischer Standards. Vorbilder für die diversen Teilbereiche des
neuen institutionellen Systems wurden in allen entwickelten Gesellschaften gesucht
und in bunter Mischung auf polnische realia angewandt. Die so in der
Transformationszeit eingeschlagenen Pfade bestimmen die weitere Entwicklung des
Landes noch weit in die Zukunft hinein. Dies gilt insbesondere für die Gestalt und
Funktion der Städte, die in ihrem funktionalen und städtebaulichen Wandel die
gesellschaftlichen Veränderungen spiegeln. Dazu gehört auch, daß mit den neuen
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Christoph Breit
Neue Konsumwelten in Polen
Verhältnissen neue stadtgestaltende Akteure auftraten, wie die seit 1990 gewählten
kommunalen Selbstverwaltungen oder zivilgesellschaftliche Organisationen. Alle
Bürger gemeinsam sind zudem als Konsumenten durch die Entscheidung über die
aufgesuchten Einkaufsstätten täglich an der Gestaltung der Stadt beteiligt.
1.2 Fragestellung, Theoretischer Rahmen und Analysekonzept
1.2.1 Fragestellung
Die Warschauer Shopping-Center sollen in dieser Arbeit als Ausdruck der in der
Zeit der Transformation von verschiedenen Akteuren in den Städten geschaffenen
neuen sozioökonomischen und städtebaulich-funktionalen Verhältnisse untersucht
werden.
Die Fragestellung dieser Arbeit lautet:
Welche Akteure und Rahmenbedingungen bestimmten die Entwicklung der
Warschauer Shopping-Center?
Aus der Fragestellung wird bereits deutlich, daß Shopping-Center in dieser Arbeit
als Ergebnis der Tätigkeit unterschiedlicher Akteure unter bestimmten Bedingungen
verstanden werden. Es ist der Frage nachzugehen, welche Akteure mit welchen
Zielen unter welchen spezifischen Bedingungen handelten. Die Untersuchung wird
aus Gründen des Erhebungsaufwandes auf die hochrangigen Shopping-Center
renditeorientierter, kapitalstarker unternehmerischer Akteure begrenzt.
1.2.2 Analytische Perspektive
Die dieser Arbeit zugrunde liegende analytische Haltung ist, daß die Entwicklung
der Shopping-Center Warschaus in einem Umfeld der grundlegenden
institutionellen Veränderung zu sehen ist, was zur Folge hat, daß Wissensbestände
aus Gesellschaften mit langfristig stabilen Institutionen nicht direkt und
unhinterfragt übernommen werden können. Diese Perspektive ist die Konsequenz
systematischer eigener Beobachtungen während der beiden mehrmonatigen
Aufenthalte des Autors in Polen sowie umfangreicher Beschäftigung mit
verschiedenen Aspekten der heutigen polnischen Gesellschaft.
Da die akteurtheoretische Bearbeitung von aktuellen Fragen der
Einzelhandelsentwicklung unter den Bedingungen der Transformation bisher kaum
unternommen wurde, hat diese Arbeit explorativen Charakter. Sie ist als Fallstudie
im Sinne von Scharpf (2000: 360, Fußnote 8) angelegt, d.h. es werden geeignet
erscheinende Ansätze unterschiedlicher theoretischer Herkunft kombiniert, um den
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Neue Konsumwelten in Polen
Untersuchungsgegenstand
möglichst
genau
zu
erfassen.
Der
Untersuchungsgegenstand wird zudem eingeschränkt auf bestimmte Shopping-
Center einer Stadt, in der der sozioökonomische Wandel in den letzten fünfzehn
Jahren besonders dynamisch war. Der vergleichsweise hohe wirtschaftliche
Entwicklungsstand Warschaus und die zentrale Bedeutung der Stadt für Politik,
Wissenschaft und Medien in Polen resultieren in einer hohen institutionelle Dichte,
die eine die Forschung erleichternde Informationsdichte generiert.
Eine spezifische Perspektive wurde bei der Begehung, Besichtigung und Nutzung
der Shopping-Center eingenommen ­ die eines Shopping-Center-Besuchers ohne
Pkw, d.h. als Nutzer des Warschauer ÖPNV (siehe dazu Kapitel 3.3.1).
1.2.3 Ziel der Arbeit
Die Entwicklung der Shopping-Center Warschaus soll mit Hilfe akteurzentrierter
sozialwissenschaftlicher Forschungsansätze als Ausdruck der Transformation
wichtiger Teilbereiche der polnischen Gesellschaft nachvollziehbar werden. Es
sollen Entwicklungspfade, die die raumstrukturelle und sozioökonomische
Wirklichkeit Warschaus langfristig prägen, aufgezeigt werden. Damit wird ein
Beitrag zur geographischen Handelsforschung geleistet, der zugleich als
stadtgeographische Arbeit sowie als Beitrag zur Transformationsforschung gesehen
werden kann.
1.2.4 Inhalt der Arbeit
Um die oben aufgeführten Ziele dieser Arbeit inhaltlich umzusetzen, wird zuerst
ein theoretisches und analytisches Gerüst erarbeitet, das die Analyse strukturiert.
Daran schließt sich ein Überblick über den Stand der wissenschaftlichen Literatur
an. Die Notwendigkeit der Eingrenzung der Menge zu analysierender Shopping-
Center wird durch eine eigene Definition umgesetzt.
Anschließend wird die Bedeutung der Shopping-Center für den Warschauer
Einzelhandel kurz dargestellt. Die Differenzierung der identifizierten Warschauer
Shopping-Center wird ausführlich unter verschiedenen Aspekten untersucht.
Es folgt die die Auswertung von Dokumenten zu den wirtschaftlichen, politischen,
planerischen und gesellschaftlichen Kontexten der Shopping-Center-Entwicklung,
die sich an einem idealtypischen Entwicklungsprozeß orientiert.
Konkret wird mit einer Fallstudie auf Kontroversen um ein in Bau befindliches
innerstädtisches Shopping-Center eingegangen. Mit einer weiteren Fallstudie wird
die Entstehung eines der ersten Warschauer Shopping-Center als komplexe
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Christoph Breit
Neue Konsumwelten in Polen
Interaktion von Akteuren der lokalen, nationalen und internationalen Ebene
dargestellt.
2 Shopping-Center und Transformationsprozeß: Theorie
2.1 Theoretischer Rahmen der Arbeit
Shopping-Center sollen in dieser Arbeit als planvoll geschaffene und vermittelte
sozioökonomische, organisatorische und baulich-materielle Produkte
interessengeleitet handelnder Akteure verstanden werden. Die Umstände, unter
denen die Akteure ihre Handlungen planen, aushandeln und umsetzen, werden
durch die Bedingungen einer Gesellschaft in Transformation wesentlich bestimmt.
Um die zentralen Begriffe Akteur, Handlung und Transformation für diese Arbeit
nutzbar zu machen, sind sie zunächst theoretisch zu diskutieren, ihr begrifflicher
Gehalt ist für diese Arbeit festzulegen.
2.1.1 Handlungstheoretische Grundlage: Handlung und Akteur
Diese Arbeit beruht auf der Grundannahme der sozialwissenschaftlichen
Handlungstheorie, daß Gesellschaft und gesellschaftliche Prozesse ,,von
menschlichen Tätigkeiten aus zu erforschen sind" (Werlen 2000: 313). Anders
ausgedrückt ist Gesellschaft das Ergebnis der Summe der Handlungen aller
einzelnen Akteure. Die sozialgeographische Perspektive interessiert sich zudem
dafür, wie ,,Geographie von Subjekten hergestellt wird, was sie für wen bedeutet
und inwiefern ihre Herstellungs-, Nutzungs- und Reproduktionslogiken mit
gesellschaftspolitisch akzeptierten Standards zu vereinbaren sind" (ebd.: 312).
Geographie ist hier zu verstehen als Anordnungsmuster von Objekten und
Artefakten in ihrer sozial hergestellten und vermittelten Kontextualität (vgl. ebd.:
311f).
Handlung wird von Werlen (2000: 313) als ,,menschliche Tätigkeit im Sinne eines
intentionalen Aktes begriffen, bei dessen Konstitution sowohl sozial-kulturelle,
subjektive wie auch physisch-materielle Komponenten bedeutsam sind".
Handelnde bzw.
Akteure
sind durch ,,ihre Handlungsorientierungen
(Wahrnehmungen und Präferenzen) und ihre Fähigkeiten charakterisiert" (Scharpf
2000: 95). Während Handelnde für Werlen (2000: 313f) immer Individuen, ,,nicht
aber ein Kollektiv, ein Staat oder eine soziale Gruppe" sind, weist Scharpf (2000: 96)
darauf hin, daß Individuen ,,rechtlich und faktisch häufig im Namen und Interesse
einer anderen Person, einer größeren Gruppe oder einer Organisation" handeln.
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Christoph Breit
Neue Konsumwelten in Polen
Eine Ansammlung von Individuen wird von Scharpf (2000: 97ff) zunächst allgemein
als komplexer Akteur bezeichnet und dann weiter differenziert in aggregierte,
kollektive und korporative Akteure. Komplexe Akteure lassen sich dann als
handelnde Subjekte oberhalb der individuellen Ebene auffassen, wenn ,,die
beteiligten Individuen die Absicht haben, ein gemeinsames Produkt zu schaffen
oder ein gemeinsames Ziel zu erreichen" (ebd.: 101). Der weiteren, von Scharpf
betriebenen Differenzierung wird nicht gefolgt, denn: ,,Empirisch gibt es keine klare
Trennlinie zwischen den analytisch definierten Kategorien der korporativen und
kollektiven Akteure oder zwischen den verschiedenen Arten kollektiver Akteure."
(ebd.: 106).
In dieser Arbeit wird der Begriff des Akteurs in einer vereinfachten Form benutzt ­
entsprechend einem kollektiven Akteur im Sinne von Scharpf, der zielorientiert
bzw. produktorientiert handelt.
2.1.2 Transformation
Der umfassende Wandel der Gesellschaften Ost- und Mitteleuropas seit 1989 wird
von vielen Disziplinen innerhalb der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
aufmerksam beobachtet. Entsprechend vielfältig sind die zur Erklärung der
beobachteten Vorgänge genutzten theoretischen Ansätze. Dem entsprechen
unterschiedliche Begriffe, die genutzt werden, um die Gesamtheit der
Veränderungsprozesse zu erfassen und sie von anderen Entwicklungen
abzugrenzen. Der Begriff Transformation etablierte sich in den 1990er Jahren als
Konsens ,,einer Mehrheit von Wissenschaftlern", die Transformation als
,,Sammelbegriff für die Charakterisierung der Umbruchprozesse in den vormals
sozialistischen Staaten verwendet" (Pütz 1998: 55).
Als dominierende Ansätze in der Transformationsforschung werden von Pütz (ebd.)
die neoklassische Denkrichtung der Wirtschaftswissenschaften und die
sozialwissenschaftliche Modernisierungstheorie ausgemacht. Während die
Modernisierungstheorie die Notwendigkeit ausdifferenzierter gesellschaftlicher
Funktionssysteme für langfristig stabile Gesellschaften unter den Bedingungen der
Moderne betont, liegt der Kern der neoklassischen Modelle in der Idee des
Gleichgewichts, das kontinuierlich durch Markttransaktionen hergestellt wird. Beide
Vorstellungen wurden in der Anfangsphase der Transformation handlungsleitend
wirksam, denn auf ihrer Grundlage wurden von den Reformregierungen und ihren
Beratern Zielvorstellungen formuliert und Handlungsprioritäten abgeleitet.
Der unerwartet schleppende Verlauf der Transformation führte zur Kritik an den
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Christoph Breit
Neue Konsumwelten in Polen
zu optimistischen Vorstellungen über den schnellen Erfolg der Transformation
sowie an den Ansätzen selbst (ebd.: 60). Zwei für die von Pütz angestrebte Analyse
der Einzelhandelsentwicklung wesentliche Defizite der Modernisierungstheorie sind
die ungenügende Analysefähigkeit auf der Ebene konkreter Handlungsstrategien
und die ,,Ausblendung internationaler Verflechtungen" (ebd.: 64f). Dabei ist durch
den Eintritt von einem Drittel der Weltbevölkerung in den Standortwettbewerb als
Folge des Zusammenbruchs der sozialistischen Planwirtschaften (Schätzl 2000:
131) auch der marktwirtschaftlich entwickelte Teil der Welt von einschneidenden
Veränderungen betroffen, die unter dem Stichwort Globalisierung breit diskutiert
werden. Vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht haben die entwickelten
marktwirtschaftlich-demokratischen Staaten an Vorbildwirkung verloren. Die
Annäherung an die Vorbilder durch politische Öffnung und wirtschaftliche
Integration veränderte die Handlungsbedingungen der Nachfolger wie auch der
Vorbilder, anstatt die erwartete Konvergenz herbeizuführen.
2.1.3 Das Transformationskonzept nach Pütz (1998)
Um die modernisierungstheoretisch nicht präzise zu fassenden spezifischen
Prozesse unter den Bedingungen der Interdependenz eingehend analysieren zu
können, entwickelte Pütz (1998) ein akteurtheoretisches Transformationskonzept
als ,,Erklärungsrahmen für den Strukturwandel im Einzelhandel" (ebd.: 54ff), das
auf Vorschlägen von Fassmann und Lichtenberger (1995: 230) aufbaut.
Der Grundgedanke dieses Konzepts ist, daß sich Transformation im Spannungsfeld
der interdependenten Teilprozesse
interne Restrukturierung
und
Internationalisierung als resultierender Prozeß konstituiert (Pütz 1998: 73, Abb. 13).
Interne Restrukturierung und Internationalisierung
Der Prozeß der internen Restrukturierung betrifft den Umbau der Institutionen auf
nationaler und lokaler Ebene einschließlich der ,,Anpassungsstrategien der Akteure
hierauf" (ebd.: 73), während der aus der verstärkten Einbindung der
Transformationsstaaten in internationale (wirtschaftliche) Zusammenhänge
folgende strukturelle Anpassungsprozeß innerhalb der Staaten selbst mit dem
Begriff Internationalisierung bezeichnet wird (ebd.: 65). Der Transformationsprozeß
insgesamt bzw. die im Fokus der Untersuchung stehenden ,,Strukturwandlungen im
Einzelhandel" werden handlungstheoretisch verstanden und analysiert - als
,,Ergebnis von Entscheidungen der Akteure des politisch-administrativen Systems,
des Wirtschaftssystems und des sozialen Systems" (ebd.: 66). Durch die Handlungen
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Christoph Breit
Neue Konsumwelten in Polen
der Akteure der gesellschaftlichen Teilsysteme, insbesondere aber des politisch-
administrativen Systems werden Institutionen geschaffen und verändert.
Institution
Den Institutionenbegriff führt Pütz (ebd.: 68) in einem doppelten Sinne ein;
einerseits als ,,Institutionen im Sinne 'sozialer Normen'", wozu beispielsweise das
Rechtssystem, der Marktpreismechanismus oder die Wiederherstellung von privaten
Eigentums- und Verfügungsrechten gezählt werden und andererseits im Sinne von
,,Institutionen als 'Organisationen'". Beide Arten von Institutionen ,,begrenzen die
Handlungsfreiheit der Akteure und strukturieren die Interaktionen zwischen ihnen"
(ebd.).
Der Umbau der Institutionen ist der Kern der Transformation (ebd.: 66). Die
politischen Zielvorstellungen des Umbaus werden zunächst auf nationaler Ebene
durch die Formulierung von Leitlinien präzisiert. Durch die Verabschiedung von
Gesetzen und Strategien wird ein normativer Ordnungsrahmen geschaffen, der Art
und Funktion politisch-administrativer Institutionen festlegt. Der praktische
Aufbau neuer und die Veränderung vorhandener Institutionen erfolgt daraufhin in
einem ,,trial and error"-Prozeß (ebd.: 68), der auch die sich im Laufe der Zeit
wandelnden politischen Vorstellungen zu bestimmten Politikfeldern reflektiert.
Institutionelle Lücke
Da Veränderungsprozesse als Interaktionen handelnder Akteure Zeit benötigen,
kommt es zu Situationen, in denen zwar ein Ordnungsrahmen existiert, nicht
jedoch konkrete einzelrechtliche Regelungen, die zur praktischen Umsetzung
notwendig sind, jedoch erst erarbeitet werden müssen. In solchen Situationen
haben sowohl Entscheidungsträger im politisch-administrativen Bereich als auch
Akteure aus Wirtschaft und Gesellschaft größere Unsicherheit, aber auch größere
Handlungsfreiheit als dies in Gesellschaften mit konsolidierten Institutionen der
Fall ist. Dieses Phänomen bezeichnet Pütz (1998: 68; 2001: 212) im Rahmen seines
Transformationskonzepts als institutionelle Lücke.
Am Beispiel der 1990 neu eingeführten kommunalen Selbstverwaltung wird dies
deutlich. Die Wahlen zu den kommunalen Selbstverwaltungsgremien am 27. Mai
1990 waren die ersten völlig freien Wahlen in der jüngsten Geschichte Polens. Nach
der Euphorie über die gewonnene politische Freiheit folgte bei den frisch gewählten
Räten, die zumeist über keine politische Erfahrung verfügten, die Ernüchterung. Es
mußten auf der Basis unvollständiger oder stark interpretationsbedürftiger Gesetze
eine Vielzahl von Entscheidungen getroffen werden. Das für die Selbstverwaltung
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Christoph Breit
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grundlegende Gesetz über die Gemeindefinanzierung wurde erst am 30.11.1990
erlassen, so daß bis Ende 1990 der alte ,,sozialistische" Haushalt galt (vgl.
migielska 2004).
Entscheidungen über öffentliche und private Investitionen, die unter den
Bedingungen der institutionellen Lücke getroffen wurden, sind von teilweise
langfristiger Wirksamkeit. Sie beeinflussen die Raumstruktur und die Pfade der
Transformation bis heute und in die weitere Zukunft.
Das Konzept der institutionellen Lücke scheint daher besonders geeignet, die
lokalen Aushandlungsprozesse mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen in der Zeit
des Institutionenaufbaus zu erklären. Die in der Zeit der institutionellen Lücke von
Akteuren mit weitreichenden Handlungsspielräumen gefällten Entscheidungen sind
dann als persönliche Präferenzen erklärbar.
2.1.4 Das Transformationskonzept dieser Arbeit
Das von Pütz (1998) für die Analyse des Strukturwandels im Einzelhandel
entwickelte Transformationskonzept (s.o.) erscheint für diese Arbeit besonders
geeignet. Es wird daher grundsätzlich übernommen. So wird Transformation im
akteurtheoretischen Sinn als Prozeß verstanden, der die Summe vieler
interdependenter Handlungen von Akteuren aus Politik, Gesellschaft und Wirtschaft
zusammenfaßt und durch die Teilprozesse interne Restrukturierung und
Internationalisierung analytisch präzisiert werden kann.
Der Begriff der Institution wird in dieser Arbeit abweichend zu Pütz (1998)
festgelegt. Wie von Scharpf (2000: 77) vorgeschlagen, soll ,,das Konzept der
Institutionen auf Regelsysteme (...), die einer Gruppe von Akteuren offenstehende
Handlungsverläufe strukturieren" beschränkt werden. Damit sind jedoch ,,nicht nur
formale rechtliche Regeln (...), die durch das Rechtssystem und den Staatsapparat
sanktioniert sind, sondern auch soziale Normen, die von den Akteuren im
allgemeinen beachtet werden und deren Verletzung durch Reputationsverlust,
soziale Mißbilligung, Entzug von Kooperation und Belohnung oder sogar durch
soziale Ächtung sanktioniert wird" (ebd.) gemeint. Organisationen werden
entsprechend nicht als Institutionen, sondern als Akteure verstanden, die
zielgerichtet bestimmte Interessen verfolgen
2
.
2.2 Analytisches Konzept der Arbeit
Mit dem Transformationskonzept können die Handlungen verschiedener Akteure
2 Eine vergleichbare Definition von Institutionen bzw. Organisationen findet sich bei Werlen (2000: 385).
16

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den Teilprozessen zugeordnet werden. Um die Handlungen und
Handlungsbedingungen bei der Entstehung von Shopping-Centern vertieft
analysieren zu können, werden weitere Unterscheidungen eingeführt. Diese
betreffen die räumlichen Maßstabsebenen der Akteurhandlungen und die
gesellschaftliche Teilbereiche, denen Akteure zugeordnet werden können.
2.2.1 Räumliche Ebenen
Für die Analyse der Handlungen von Akteuren bei der Entwicklung von Shopping-
Centern sind drei räumliche Ebenen von Bedeutung:
·
die
lokale Ebene, die den Kommunen entspricht, denn über
Investitionsentscheidungen wird in den kommunalen Parlamenten beraten und
abgestimmt, auf dem Gebiet einer Kommune (gmina) ist ein Shopping-Center
eindeutig lokalisiert,
·
die nationale Ebene, denn durch nationale Gesetze und Strategien werden die
Rahmenbedingungen wirtschaftlichen Handelns festgelegt,
·
die internationale Ebene, die alles außerhalb des polnischen Staatsgebietes
umfaßt.
Die (politische) Bedeutung der regionalen Ebene in Polen ist bis 1999, als die
regionalen Selbstverwaltungskörperschaften (Kreise - powiat, Plural: powiaty und
Wojewodschaften - województwo, Plural: województwa) eingeführt wurden, sehr
gering gewesen. Die regionalen Selbstverwaltungsorgane haben auch nach 1999 für
die zu analysierenden Prozesse nur geringe Kompetenzen und werden deshalb
vereinfachend zur lokalen Ebene gerechnet.
2.2.2 Gesellschaftliche Teilbereiche
Politik
Akteure des politischen Bereichs sind die gewählten Volksvertreter (politisches
Mandat) auf lokaler und nationaler Ebene und ihre direkten Mitarbeiter/Stäbe sowie
Regierungen, die von Volksvertretern eingesetzt werden. Interessant für die Arbeit
sind z.B. Bürgermeister (burmistrz), Ministerien oder auf Einzelhandelsfragen
spezialisierte Abgeordnete in den nationalen Parlamenten Sejm und Senat.
Administration
Als Administration werden Akteure des öffentlichen Sektors auf den Ebenen:
gmina, powiat, województwo (lokal), Zentralstaat (national) zusammengefaßt, die
Tätigkeiten im öffentlichen Interesse (z.B. Erarbeitung von Strategien,
17

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Investitionsberatung, Entscheidung von Bauanträgen, Umsetzung von Gesetzen)
ausführen und kein politisches Mandat haben.
Unternehmen
Als Unternehmen werden in dieser Arbeit hauptsächlich Akteure aus dem
wirtschaftlichen Bereich verstanden, die im Umfeld der Entwicklung eines
Shopping-Centers von Bedeutung sind. Solche Unternehmen können aus den
Bereichen Entwicklung, Finanzierung, externe Dienstleistung, Bau, Vermarktung,
Betrieb usw. kommen.
Konsumenten
Bürger (bzw. Haushalte) mit finanziellen Ressourcen treffen als Konsumenten mit
der immer wieder neuen Wahl von Einkaufsstätten und der Nachfrage nach
Produkten ständig Entscheidungen, die aggregiert betrachtet das
Konsumentenverhalten darstellen.
Da der Fokus dieser Arbeit auf der Herstellung des Angebots an bestimmten
Einkaufsstätten liegt, werden die Nachfrager in diese Arbeit (nur) zur Darstellung
allgemeiner Trends der Einkommensentwicklung, Nachfrage und Akzeptanz
(moderner Einzelhandelsformate) einbezogen. Dies erscheint jedoch nötig, um die
Motivation
bestimmter
Unternehmen
zur
Vergrößerung
des
Einkaufsstättenangebots durch Shopping-Center-Investitionen nachvollziehen zu
können.
Zivilgesellschaft
Der Begriff Zivilgesellschaft wird in dieser Arbeit verstanden als Sammelbegriff für
Akteure, die sich formell organisieren, um bestimmte politische oder
gesellschaftliche Ziele zu verfolgen. Dies können u.a. sein: Bürgerinitiativen,
Gemeindeverbände, Verbände von Einzelhändlern (Kleinhändler, großflächiger
Einzelhandel), andere Branchenverbände usw. In der Arbeit geht es um solche
zivilgesellschaftlichen Organisationen, die Einfluß auf die Entwicklung der
Einzelhandelsstruktur anstreben.
2.2.3 Zusammenfassung des analytischen Konzepts
In Tabelle 1 sind die Dimensionen und Inhalte der Analyse für diese Arbeit
zusammengefaßt:
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2.3 Wissenschaftliche Literatur zum Thema der Arbeit
Die Entstehung von Shopping-Centern als Investitionsobjekte ausländischer oder
polnischer institutioneller Akteure im Kontext spezifischer nationaler und lokaler
Regulierungen ist bisher noch nicht eingehend wissenschaftlich untersucht worden.
Es gibt aber einige Arbeiten, die sich mit Aspekten dieses Themas befassen und im
folgenden überblicksartig dargestellt werden.
2.3.1 Arbeiten zu Shopping-Centern in Polen
Die dynamische, zugleich noch sehr junge Entwicklung der Shopping-Center in
Polen hat in der geographischen, sozialwissenschaftlichen oder
wirtschaftswissenschaftlichen Forschung außerhalb Polens kaum Beachtung
gefunden. Aber auch an den zahlreichen wirtschaftsgeographischen und
wirtschaftswissenschaftlichen Instituten Polens finden Shopping-Center erst in
jüngster Zeit eine gewisse Aufmerksamkeit. Leider beschränken sich die Arbeiten
oft auf die Darstellung und Kommentierung statistischen Materials - komplexere
analytische Zugänge zum Thema sind selten.
Die interessanteste Arbeit, zugleich die einzige Monographie zu Shopping-Centern
in Polen, ist die Dissertation von Makowski (2003), in der aus der Sicht der
19
Tabelle 1: Analyseschema
Analytisches Schema zur Entwicklung der Shopping Center in Warschau
Prozeß
Interne Restrukturierung
Internationalisierung
Räumliche Ebene
national
international
Politik
Administration
Zivilgesellschaft
Protest bzw. Unterstützung
Protest, Lobbyarbeit
Unternehmen
Konsumenten
lokal (gmina, powiat,
województwo)
Teilbereich der
Gesellschaft
Raumbewirtschaftungspläne,
Dokumente zum
Einzelhandel,
Ratsentscheidungen usw.
Dokumente zum
Einzelhandel,
Rahmengesetzgebung
Raumordnung
Rahmenbedingungen
für internationale
Investitionen
Zuständigkeiten,
Entscheidungsspielräume
Zuständigkeiten,
Entscheidungsspielräume,
Strategiedokumente
Standorte von Shopping-
Centern, Differenzierung
Nationale Marktstrategien der
Unternehmen, Kooperationen,
Transaktionen usw.
Investitions- und
Marktbearbeitungs-
Strategien der
Unternehmen
Einkommensentwicklung,
Nachfrage
Einkommensentwicklung,
Nachfrage

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Soziologie ein Warschauer Shopping-Center - Galeria Mokotów - auf ihre
gesellschaftlichen Bedeutung hin untersucht wird. Seine Ausführungen beginnt
Makowski mit einer ausführlichen Darstellung der Entwicklung der Shopping-
Center in den USA und einer kürzeren Beschreibung der Entwicklungen in
Westeuropa und Polen. Die im zweiten Kapitel erarbeitete theoretische Perspektive
auf das Shopping-Center als gesellschaftliche Institution wird im dritten Kapitel
durch eigene Beobachtungen in der Galeria Mokotów umgesetzt. An den Konzepten
des Soziologen Erwing Goffman orientiert, werden die tatsächlichen Inszenierungen
der verschiedenen Nutzergruppen analysiert und mit den offiziell gewünschten
Verhaltensweisen und Konsummustern kontrastiert. Im Ergebnis sieht Makowski im
Shopping-Center einen Katalysator der Entwicklung der polnischen Gesellschaft hin
zur Konsumgesellschaft westlichen Typs.
Am Warschauer Institut für Binnenmarkt und Konsumtion (IRWiK) beschäftigte sich
Edward Maleszyk in bisher zwei Aufsätzen (1998; 2001) mit polnischen Shopping-
Centern. Der 1998 veröffentlichte Artikel unter dem Titel: ,,Der Anteil des
ausländischen Kapitals an der Entwicklung der Shopping-Center"
3
kann als
Vorarbeit für die Arbeit mit dem Thema: ,,Shopping-Center in Polen ­
Entwicklungsbedingungen und Entwicklungsrichtungen"
4
aus dem Jahr 2001 gelten,
die Teil eines größer angelegten Projektes zur Erforschung der ,,Konzentration und
Integration im Binnenhandel in Polen" ist. Wegen des Mangels an statistischen
Daten wurden eigene Primär- und Sekundärdatenerhebungen durchgeführt
(Maleszyk 2001), auf deren Auswertung die Arbeit beruht. Einleitend wird die
Entwicklung der Shopping-Center in den USA und Westeuropa als Abfolge dreier
aufeinander folgender Generationen dargestellt. Die Entwicklung von Shopping-
Centern nach ,,westlichen Standards" durch ausländische Investoren in Polen
begann laut Maleszyk bereits Anfang der 1990er Jahre, der Durchbruch wird aber
erst 1996/97 gesehen. Als Reaktion darauf sieht er die Strategie polnischer
Investoren, eigene Shopping-Center nach westlichem Vorbild zu bauen. Die bereits
in den 1970er und 1980er Jahren in Polen gebauten orodki handlowe (Shopping-
Center) entsprechen jedoch nicht den definitorischen Anforderungen des Autors, er
bezeichnet sie als kompleksy handlowe (Handelskomplexe). Die Auswertung der
Primärerhebungen, die in der Warschauer und Krakauer Stadtregion sowie dem
oberschlesischen Verdichtungsraum erfolgten, lassen den Autor insgesamt ca. 920
Shopping-Center identifizieren. Da in der verwendeten Definition keine
3 Übersetzung: C. Breit
4 Übersetzung: C. Breit
20

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2005
ISBN (eBook)
9783832497590
ISBN (Paperback)
9783838697598
DOI
10.3239/9783832497590
Dateigröße
1.8 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin – Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät, Geographisches Institut
Erscheinungsdatum
2006 (August)
Note
2,0
Schlagworte
einzelhandel stadtentwicklung einkaufszentren handelsforschung transformation
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