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Die neue NATO - Der Wandel der Allianz

©2006 Magisterarbeit 91 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Problemstellung:
Das Ende des Kalten Krieges und die damit verbundene tief greifende Veränderung der Sicherheitslage hatte auch auf das bis dato als prägendes Element der Weltpolitik fungierende Verteidigungsbündnis NATO tief greifende Auswirkungen. Die Auflösung des Warschauer Paktes brachte den Wegfall des einstigen Feindes mit sich und ließ die Frage nach der Zukunft des kollektiven Verteidigungsbündnisses NATO aufkommen. Was sollte aus ihr werden? Sollte sie fortbestehen oder, wie Kritiker forderten, sich auflösen, da ihre Existenzberechtigung nun weggefallen war? Im Falle des Fortbestehens waren viele Fragen zu beantworten, etwa nach der eigenen Legitimation, der Anpassung des Bündnisses an die neue Situation und etwa der Frage nach ihrer Neuorganisation.
Wie so oft brachte aber auch die rasche und dramatische Veränderung der weltpolitischen Lage mit ihren vielen Konflikten nach dem Kalten Krieg die NATO schnell unter Zugzwang – aber auch die Möglichkeit, sich aufgrund neuer Konfliktpotentiale neu zu definieren und zu beweisen.
In meiner Arbeit mit dem Titel „Die neue NATO - Der Wandel der Allianz“ werden diese und noch weitere Fragen behandelt und diskutiert. Es sollen die aktuellen, soweit es im Rahmen der Bearbeitung an Aktualität möglich war, Problemfelder der Entwicklung der NATO thematisiert werden. Zudem wird ein Ausblick auf mögliche Entwicklungen gegeben, wobei selbstverständlich anzumerken ist, dass dieser Punkt spekulativ gehalten werden musste.
Gang der Untersuchung:
Der Leser soll zunächst in die Thematik NATO eingeführt werden und anhand eines Überblicks über die Organisationsstruktur und die Entwicklung der NATO seit ihrem Bestehen bis hin zum Ende des Kalten Krieges in die Zusammenhänge der Thematik eingeführt werden.
Dabei soll der historische Teil, der der Organisationsstruktur folgt, nicht bloß die Historie aufzeigen, sondern anhand ausgewählter Krisen und Zerreißproben des Bündnisses dessen Anpassungsfähigkeit darstellen. Auch dienen diese Kapitel dem Verständnis des darauf folgenden Hauptteils.
Dieser beschäftigt sich mit Fragen wie der Entwicklung der NATO nach dem Ende des Kalten Krieges, der Rechtfertigung des Fortbestands des Bündnisses und den Anpassungsanstrengungen des Bündnisses an die neuen weltpolitischen Rahmenbedingungen und wodurch diese beeinflusst worden sind.
Dabei soll der Fokus auf wichtigen Ereignissen wie dem Kosovo-Krieg, dem 11. September, dem Irakkrieg, den Osterweiterungsrunden […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis:
Inhaltsverzeichnis:... 2
Abkürzungsverzeichnis: ... 4
Tabellen- und Abbildungsverzeichnis:... 6
1 Einleitung ... 7
2
Aufbau und Organisation der NATO ... 9
2.1
Die politische Organisationsstruktur der NATO... 10
2.2
Die militärische Organisationsstruktur der NATO ... 12
3
Die Entwicklung der NATO von den Anfängen bis zum Ende des Kalten Krieges... 18
3.1 Die
Gründungsjahre ... 19
3.2
Der Beginn des Kalten Krieges ... 22
3.3
Die Entspannungspolitik bis zum NATO-Doppelbeschluss ... 24
3.4
Die 80er Jahre... 27
3.5
Das Ende des Kalten Krieges ... 29
4
Die Diskussion um die ,,neue NATO" ... 31
4.1
Die NATO nach Ende des Kalten Krieges... 31
4.1.1
Die erste Phase ... 34
4.1.2
Die zweite Phase ... 36
4.1.3
Die dritte Phase ... 39
4.2
Die erste Erweiterungsrunde ... 42
4.3
Die Umsetzung des neuen strategischen Konzepts im Kosovo-Krieg ... 44
4.4
Das Verhältnis zu Russland in der Frage der Osterweiterung... 49
4.5
Der 11. September und die Folgen... 52
4.6
Der NATO-Gipfel in Prag im November 2002... 55
4.7
Die zweite Runde der Erweiterung ... 56
4.8
Der Irakkrieg und das Engagement in Afghanistan ... 60
4.9
Der NATO-Gipfel in Istanbul im Juni 2004 ... 62

5
Die Europäische Außen- und Sicherheitspolitik und die NATO ... 64
5.1
Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungsidentität (ESVI) ... 66
5.2
ERRF und Combined Joint Task Forces (CJTF)... 69
5.3
Die Rückkehr Frankreichs... 70
6 Zusammenfassung
und
Ausblick... 73
Quellen ­ und Literaturverzeichnis: ... 76
Anhang ... 85

Abkürzungsverzeichnis:
ABC-Waffen = Atomare Biologische Chemische Waffen
ABM = Anti-Ballistic Missiles
ACCHAN = Allied Command Channel (Alliierter Kommandobereich Ärmelkanal)
ACLANT = Allied Command Atlantic
ACE = Allied Command Europe
ACT = Allied Command Transformation
AF = Augmentation Forces
ARRC = Allied Rapid Reaction Corps
CIVCOM = Ausschuss für zivile Aspekte des Krisenmanagements
CJTF = Combined Joint Task Forces
DPC = Defence Planning Committee
ESVI = Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitische Identität
ESVP = Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik
EU = Europäische Union
EUFOR = European Force
EUMC = EU-Militärausschuss
EUMS = EU-Militärstab
GASP = Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU
GUS = Gemeinschaft Unabhängiger Staaten
IMS = Integrierter Internationaler Militärstab
ISAF = International Security Assistance Force
JFC = Joint Force Commandos
KPdSU = Kommunistische Partei der Sowjetunion
KSE = Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa
KSZE = Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
LANDJUT = Allied Land Forces Schleswig-Holstein and Jutland
MAP = Membership Action Plan
MC = Military Committee
MDF = Main Defence Forces
MND/C = Multi National Division-Central
MOEL = Mittel- und Osteuropäische Länder
NAKR = Nordatlantischer Kooperationsrat

NATO = North Atlantic Treaty Organisation
NPG = Nuclear Planning Group
NRF = NATO Response Force
OSZE = Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
OTAN = l'Organisation du Traité de l'Atlantique Nord
PCC = Prague Capability Commitment
PfP = Partnerschaft für den Frieden
PJC = Permanent Joint Council
PSK = Politisches und Sicherheitspolitisches Komitee
RF = Intermediate and Rapid Reaction Forces
SACEUR = Supreme Allied Commander Europe
SACLANT = Supreme Allied Commander Atlantic
SDI = Strategic Defence Initiative
SALT = Strategic Arms Limitation Talks
SFOR = Stabilization Force
SHAPE = Supreme Headquarters Allied Powers Europe
UdSSR = Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken
UN(O) = United Nations (Organization)
WEU = Westeuropäische Union
WP = Warschauer Pakt

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis:
Abbildung 1: Die zivile und militärische Struktur der NATO... 14
Abbildung 2: Übersichtskarte: Neustrukturierung der Hauptquartiere und NATO-
Mitgliedsstaaten... 17
Abbildung 3: Übersicht über die 26 Mitgliedsstaaten der NATO inkl. der zweiten
Beitrittsrunde:... 57
Abbildung 4: Institutionelle Aspekte der ESVP... 67

7
1 Einleitung
,,Die NATO ist aus den transatlantischen Beziehungen überhaupt
nicht mehr wegzudenken. Der Fortbestand der Allianz hängt daher
auch nicht vom Vorhandensein der Ost-West-Konfrontation ab, son-
dern ist Ausdruck der gemeinsamen langfristigen Sicherheitsinteres-
sen der Bündnismitglieder. Sie haben mit gemeinsamen Bedrohungen
zu kämpfen, vor allem mit Terrorismus, ´failed states` und der
Verbreitung von Massenvernichtungswaffen."
1
Jaap de Hoop Scheffer, NATO-Generalsekretär
Diese Worte des derzeitigen NATO-Generalsekretärs Jaap de Hoop Scheffer bringen das
neue NATO-Selbstverständnis deutlich zum Ausdruck. Hatten viele Beobachter nach dem
Ende des Kalten Krieges und dem Wegfall des Warschauer Pakts als ehemaligem Feind der
NATO ihr baldiges Ende vorhergesagt, so überrascht der Fortbestand der NATO auch an-
derthalb Jahrzehnte nach Beendigung des Ost-West-Konflikts. Scheffers Ansicht nach sei
,,die NATO nun einmal kein Bündnis im hergebrachten Sinne"
2
, sondern eher als eine ,,um-
fassende Sicherheitsgemeinschaft"
3
zu verstehen.
Fakt ist, die weltpolitische Lage hat sich seit Anfang der 90er Jahre dramatisch gewandelt.
War es früher der Kalte Krieg, der die Welt zu einem großen Teil in zwei Machtsphären ein-
geteilt hatte und, trotz konventioneller wie nuklearer Aufrüstung für eine gewisse Stabilität
sorgte, so führte dessen Ende in ein ebenso großes Machtvakuum. Die Hoffnung, die Welt
würde nun in eine Ära des Friedens eintreten, sollte jedoch sehr schnell getrübt werden.
Neue, mehr lokal ausgerichtete Krisen und Konflikte wie der im sich auflösenden Jugosla-
wien stattfindende Krieg ließen die Gedanken an eine sich stabilisierende Welt schnell wie-
der verschwinden. Wir sind von einem ,,Kalten Krieg zum heißen Frieden"
4
übergegangen
1
Zeitgespräch mit Jaap de Hoop Scheffer, In: Poltische Studien Nr.399, Januar/Februar 2005, S.8; Jaap de
Hoop Scheffer hält seit Januar 2004 als Nachfolger des Briten George Robertson das Amt des NATO-
Generalsekretärs inne.
2
Ebd.
3
Ebd.
4
Farwick, Dieter, Brigadegeneral, Aufgaben und Ziele der neuen NATO-Strategie ­ Tagung der Evangeli-
schen Akademie Bad Boll, 11.-13-2.2000, In: Epd-Dokumentation Nr.28/2000: Die neue NATO-Strategie
auf dem Prüfstand, Evangelischer Pressedienst, Frankfurt am Main 2000, S.7.

8
und auch die NATO fühlte sich von dieser Entwicklung zunehmend bedroht. Heutzutage
existieren viele kleinere und mittlere Konfliktherde, die sich aus ethnischen, religiösen, wirt-
schaftlichen, sozialen sowie machtpolitischen Faktoren zusammensetzen. Nicht zuletzt der
11. September und der damit einhergehende und auch heute noch aktuelle Terrorismus erfor-
dern eine Reaktion des Westens und damit auch der NATO. Doch der Terrorismus agiert im
Verborgenen, nahezu Unsichtbaren ­ er greift nicht von einem souveränen Territorium aus
an, welches man mit einem konventionellen Krieg zur Kapitulation zwingen könnte. Sind
dadurch klassische Militärkräfte wie Panzer, Flugzeugträger und Atomwaffen, die im Kalten
Krieg noch ihre Berechtigung gehabt haben mögen, überhaupt noch notwendig? Und ist da-
durch nicht auch die Existenz der NATO in Frage zu stellen?
Vorliegende Arbeit will der Entwicklung der NATO seit ihrem Bestehen und der Diskussion
um das neue Verständnis der NATO nach dem Ende des Kalten Krieges Rechnung tragen.
Der Leser soll zunächst in die Thematik NATO eingeführt werden und anhand eines Über-
blicks über die Organisationsstruktur und die Entwicklung der NATO seit ihrem Bestehen bis
hin zum Ende des Kalten Krieges in die Zusammenhänge der Thematik eingeführt werden.
Dabei soll der historische Teil, der der Organisationsstruktur folgt, nicht bloß die Historie
aufzeigen, sondern anhand ausgewählter Krisen und Zerreißproben des Bündnisses dessen
Anpassungsfähigkeit darstellen. Auch dienen diese Kapitel dem Verständnis des darauf fol-
genden Hauptteils.
Dieser beschäftigt sich mit Fragen wie der Entwicklung der NATO nach dem Ende des Kal-
ten Krieges, der Rechtfertigung des Fortbestands des Bündnisses und den Anpassungsan-
strengungen des Bündnisses an die neuen weltpolitischen Rahmenbedingungen und wodurch
diese beeinflusst worden sind.
Dabei soll der Fokus auf wichtigen Ereignissen wie dem Kosovo-Krieg, dem 11. September,
dem Irakkrieg, den Osterweiterungsrunden und anderen Einflüssen liegen. Ferner soll das
Verhältnis zu Russland, insbesondere in Hinblick auf die Osterweiterung, nähere Erklärung
finden. Es soll aufgezeigt werden, wie diese Ereignisse Einfluss in die NATO gefunden ha-
ben und wie daraus Veränderungen im Selbstverständnis der NATO, ihrer Vorgehensweise
und in den Strukturen entstanden sind.
Ein eigenes Kapitel beschäftigt sich schließlich mit der Frage des Aufbaus einer Europäi-
schen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die eine nicht unerhebliche Überschneidung mit
den Interessen der NATO aufweist.
Den Abschluss der Arbeit bilden eine Zusammenfassung der Ergebnisse sowie einige Ge-
danken über die Zukunft der NATO. Ist die NATO nun als ein Instrument der Sicherheitspo-

9
litik wirklich nicht mehr wegzudenken, wie es Herr Scheffer in eingangs erwähntem Zitat
sieht? Oder ist die NATO mittlerweile nicht mehr als ein harmloser Papiertiger, der zwar
noch ab und zu seine Zähne zu zeigen versucht, aber über kurz oder lang von der weltpoliti-
schen Bühne verschwinden wird?
2 Aufbau und Organisation der NATO
Die NATO stellt eine internationale Organisation dar, deren Prinzip das der mulilateralen,
intergouvernementalen Zusammenarbeit ist. Dies bedeutet, dass zwar zwischen den dem
Bündnis angehörenden Staaten eine enge Zusammenarbeit besteht, diese aber keine direkten
Souveränitätsrechte an das Bündnis abgegeben haben. Damit ist die NATO keine supranatio-
nale Organisation, wie es etwa in diversen Bereichen die Europäische Union (EU) ist, son-
dern eine Organisation, die sich in allen Fragen einen einvernehmlichen Konsens auferlegen
muss.
5
Diese multilaterale Organisationsstruktur bedingt allerdings für die Zusammenarbeit der be-
teiligten Staaten festgelegte Prinzipien, nach denen die Zusammenarbeit erfolgen soll, wie
auch gemeinsamer Organe, die die Organisation steuern.
6
Als momentane Mitglieder fungieren, nach den Gründungsmitgliedern
7
Belgien, Dänemark,
Frankreich, Großbritannien, Island, Italien, Kanada, Luxemburg, den Niederlanden, Norwe-
gen, Portugal und den USA (alle 1949), auch Griechenland und die Türkei (1952), Deutsch-
land (1955), Spanien (1982), Polen, Tschechien und Ungarn (1999). Am 2. April 2004 traten
noch Estland, Lettland, Litauen, die Slowakei, Slowenien, Bulgarien und Rumänien der Nato
bei.
8
Die Struktur der Nato gliedert sich in einen zivilen sowie einen militärischen Teil. Jeder Na-
to-Mitgliedsstaat ist zwar Mitglied der politischen Organisation, gehört aber nicht zwangsläu-
fig dem militärischen Teil der Nato an. So sind Frankreich, Spanien und Island der militäri-
schen Organisation nicht vollständig angeschlossen. Frankreich stieg aus der militärischen
Organisation 1966 aus, da unter de Gaulle eine eher nationale Ausrichtung der Verteidigung
einsetzte. Spanien wiederum gehörte nach einem 1984 abgehaltenen Volksentscheid noch
5
Vgl. Varwick, Johannes, Woyke, Wichard, NATO 2000 - Transatlantische Sicherheit im Wandel, Opladen
1999, S.59.
6
Vgl., Ebd., S.60.
7
In Klammern das jeweilige Jahr des Beitritts.
8
Vgl. Security Through Partnership, NATO Public Diplomacy Division (Hg.), Brüssel 2005. Siehe hierzu
auch Kapitel 4.7, in dem die zweite Runde der NATO-Osterweiterung spezifisch behandelt wird.

10
nicht zu ganzen Teilen der integrierten Militärstruktur an, war aber in die kollektive Verteidi-
gungsplanung, den Militärausschuss und die nukleare Planungsgruppe eingebunden. 1999
erfolgte dann die Wiedereingliederung Spaniens in die militärische Struktur der NATO.
9
Island ist aufgrund fehlender militärischer Kapazitäten kein Mitglied der militärischen Struk-
tur, unterstützt diese aber durch die Bereitstellung des Stützpunktes Keflavik.
10
2.1 Die politische Organisationsstruktur der NATO
Die NATO ist ein Bündnis, das sich durch verschiedene Charakteristika auszeichnet. Zum
einen ist die NATO eine ,,internationale Einrichtung, besitzt aber keine Hoheitsrechte. Sie ist
ein Bündnis souveräner Staaten, die außen- und verteidigungspolitische Fragen selbständig
und unabhängig beurteilen und lösen."
11
Relevant ist dies insbesondere für die Entscheidung
über einen möglichen Verteidigungsfall und eine Kriegserklärung.
Zum anderen funktioniert die NATO als Militärpakt nach dem Prinzip der kollektiven Ver-
teidigung, will aber kein System kollektiver Sicherheit sein, wie es von Art. 52 ff. der UN-
Charta als regionale Möglichkeit vorgesehen ist. Somit besteht innerhalb der NATO keine
automatische Beistandsverpflichtung. Im Falle eines Angriffs auf das Bündnis beschließt
nach Art. 5 des Nordatlantikvertrages jedes Mitglied für sich selbst, welche Maßnahmen es
als notwendig erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Vertragsgebietes wiederherzu-
stellen und zu erhalten.
12
Des Weiteren schreibt der Nordatlantikvertrag vor, dass die Mitglieder eine ständige Organi-
sation des Nordatlantikvertrags einrichten. In Artikel 9 des Vertrags heißt es, dass ein Rat
dergestalt zu gründen sei, dass er jederzeit schnell zusammentreten kann.
13
Bei Bedarf wer-
den dann nachgeordnete Stellen eingerichtet, wie etwa der Verteidigungsausschuss. Somit ist
die institutionelle Struktur der Nato nicht im Detail vertraglich festgelegt, sondern kann den
durchaus wechselnden Aufgaben und Funktionen des Bündnisses angepasst werden.
14
Wie
sich noch zeigen wird ist dies insbesondere für die Zeit nach der Auflösung der Sowjetunion
und des Warschauer Pakts (WP) von Bedeutung, als die NATO erhebliche Anpassungsbe-
9
Vgl. Der Brockhaus in fünf Bänden, Band 4, Leipzig 2000, S.3206.
10
Vgl. Varwick, Johannes, Woyke, Wichard, NATO 2000 - Transatlantische Sicherheit im Wandel, Opladen
1999, S.63.
11
Lutz, Dieter S., Lexikon: Rüstung, Frieden, Sicherheit, München 1987, S. 226.
12
Vgl. Siedschlag, Alexander, NATO meets the Post-strategic Condition, Münster 1998, S.45.
13
Vgl. Anhang dieser Arbeit: Der Nordatlantikvertrag, Art.9.
14
Vgl. Varwick/Woyke, S.63.

11
mühungen zeigte. Aber auch schon in der Zeit davor musste die NATO immer wieder ihr
Konzept der jeweiligen Lage anpassen.
Mitnichten ist die NATO aber ein rein militärisch ausgeprägtes Bündnis. Vielmehr ist ihr
Hauptprinzip das der Politik. Das bedeutet, dass die militärische Organisation der politischen
Führung untergeordnet ist ­ Beschlüsse werden nicht von Militärs getroffen, sondern von
Politikern. Zudem ist die NATO in ihrem geographischen Geltungsbereich eingeschränkt,
auch wenn dieser sich durch die NATO-Osterweiterung stark ausgeweitet hat.
15
Wenn, wie im Falle der NATO mit ihren mittlerweile 26 NATO-Mitgliedern, souveräne
Staaten ,,in einem die nationale Souveränität derart unmittelbar berührenden Politikfeld wie
der Sicherheitspolitik eine gemeinsame Politik formulieren und umsetzen wollen, setzt dies
voraus, dass alle Mitgliedsstaaten umfassend über Politik und Strategie ihrer Partner infor-
miert sind und über diese beraten können."
16
Daher liegt es nahe, dass die NATO zu diesem
Zweck eigene Organe betreibt, die die Kommunikation untereinander erleichtern sollen.
Dazu schuf man als oberstes Organ den NATO-Rat, auch Nordatlantikrat genannt, dessen
Hauptaufgabe die Unterstützung der mittlerweile 26 Mitglieder
17
bei der Durchführung des
Vertrags ist. Der Rat kann sowohl auf der Ebene der Regierungschefs, der Außen- und Ver-
teidigungsminister sowie der ständigen Vertreter tagen. Seine Beschlüsse werden im Kon-
sensverfahren durchgeführt, was insbesondere den kleineren Mitgliedsstaaten ein nicht uner-
hebliches Mitbestimmungspotential bei den Entscheidungsprozessen der NATO ermöglicht.
Die Außen- und Verteidigungsminister treffen sich zweimal im Jahr, jeweils im Frühjahr und
im Herbst, zu regelmäßigen Sitzungen, während sich die Stellvertreter ­ in der Regel sind das
die Abgesandten der einzelnen NATO-Mitgliedsstaaten ­ zu wöchentlichen Tagungen tref-
fen.
18
Der Verteidigungsplanungsausschuss (Defence Planning Committee / DPC) befasst sich mit
Fragen der Verteidigung. Er unterstützt die Militärbehörden der NATO in beratender Funkti-
on und hat in seinem Verantwortungsbereich die gleichen Aufgaben wie der Rat.
19
Um das Nuklearpotenzial der NATO und dessen Entwicklung kümmern sich die Verteidi-
gungsminister der Nuklear- und Nichtnuklearstaaten, mit Ausnahme Frankreichs, in der Nuk-
learen Planungsgruppe (Nuclear Planning Group / NPG). Auch wenn das Festhalten an einer
15
Vgl. Lutz, Dieter S., Lexikon: Rüstung, Frieden, Sicherheit, München 1987, S. 226.
16
Ebd.
17
Nach der zweiten Erweiterungsrunde 2004 umfasst die Allianz nun 26 Mitglieder.
18
Vgl. Varwick, Johannes, Woyke, Wichard, NATO 2000 - Transatlantische Sicherheit im Wandel, Opladen
1999, S.67.
19
Vgl. Ebd.

12
Nukleardoktrin durchaus kritisch gesehen wird, ist die NATO der Auffassung, weiterhin an
einem Nukleararsenal zu Abschreckungszwecken festhalten zu müssen.
20
Als Exekutivorgan der NATO fungiert das Generalsekretariat mit Sitz in Brüssel. Brüssel ist
zugleich das politische Hauptquartier mit ständigem Sitz des Rates und Zentrum der nationa-
len Delegationen, wichtiger Ausschüsse, zahlreicher NATO-Behörden sowie des internatio-
nalen Stabes.
21
Generalsekretär seit Januar 2004 ist der Niederländer Jaap de Hoop Scheffer.
Er wird von den Regierungen der Mitgliedsstaaten ernannt und ist als Vorsitzender des Nord-
atlantikrates, des Verteidigungsplanungsausschusses, der Nuklearen Planungsgruppe und
anderer hochrangiger Ausschüsse verantwortlich für die Konsensbildung unter den Mit-
gliedsstaaten und wird in der Regel auf vier Jahre gewählt. Dabei wird er bei der Erledigung
der Tagesgeschäfte von einem internationalen Expertenstab und anderen Beamten aus den
NATO-Ländern unterstützt.
22
Der NATO-Generalsekretär dient als Sprachrohr des Bündnis-
ses und ist im Lauf der Zeit mehr und mehr zu einem international einflussreichen und poli-
tisch bedeutsamen Akteur gewachsen.
23
Die Arbeit des Generalsekretärs ist dabei nicht unbe-
dingt mit einer großen Machtfülle ausgestattet. Vielmehr ist der Generalsekretär mehr ein
Vermittler oder Moderator, der den Mitgliedern die Richtung weist und erst dann seine
Machtfülle erhält, wenn durch die Mitgliedsstaaten eine Entscheidung gefallen ist und er die-
se mit voller Wirkung vertreten kann.
24
2.2 Die militärische Organisationsstruktur der NATO
Als Pendant zum zivilen Bereich existiert innerhalb der NATO eine militärische Organisati-
onsstruktur. Darin bildet der Militärausschuss (Military Committee / MC) die höchste Instanz
des Bündnisses. Er bildet sich durch die Stabschefs aller Bündnismitglieder, wobei Island
einen zivilen Abgesandten als Beobachter entsenden kann. Die Stabschefs tagen in diesem
Ausschuss mindestens zweimal im Jahr und sind dafür zuständig, die für die kollektive Ver-
teidigung des NATO-Vertragsgebietes notwendigen Handlungsanweisungen auszuarbeiten.
25
20
Vgl. http://www.nato.int/docu/other/de/handbook.pdf, S.66.
21
Vgl. Varwick, Johannes, Woyke, Wichard, NATO 2000 - Transatlantische Sicherheit im Wandel, Opladen
1999, S.69.
22
Vgl. Die NATO im 21. Jahrhundert, NATO Public Diplomacy Division (Hg.), Brüssel 2004, S.11.
23
Vgl. Varwick/Woyke, S.69.
24
Vgl. Pinzler, Petra, Riedel, Annette, Keine Konkurrenz. Ein Gespräch mit George Robertson, Generalsekre-
tär der NATO, in: http://www.zeit.de/2003/45/robertson_inter?page=all; Robertson beschreibt darin kurz
vor Niederlegung seines Amtes u.a. die Wahrnehmung des eigenen Postens und seiner Aufgaben.
25
Vgl. Varwick/Woyke, S.73.

13
Der Militärausschuss dient als grundlegende Basis für die militärische Konsultation des Ge-
neralsekretärs, des Nordatlantikrats, der DPC sowie der NPG. Geleitet wird er von einem
Präsidenten, der im jährlichen Wechsel in der Reihenfolge des englischen Alphabets von den
Mitgliedstaaten ernannt wird. Die Stabschefs bestimmen zusätzlich noch einen Vorsitzenden,
der für drei Jahre gewählt wird und sich um die Amtsgeschäfte kümmert und zugleich obers-
ter militärischer Wortführer ist.
26
Tagt der Militärausschuss nicht, so wird die Arbeit vom
Ständigen Militärausschuss wahrgenommen.
27
Um die Beschlüsse des Militärausschusses leichter durchführen zu können schuf man den
Integrierten Internationalen Militärstab (IMS) ­ ein aus Offizieren, Unteroffizieren und
Mannschaften bestehendes Gremium. Dieses leistet, neben der Unterstützung des Militär-
stabs, auch bei der Entwicklung von Plänen, der Durchführung von Untersuchungen und der
Beratung anderer Bündnisinstitutionen wichtige Arbeit.
28
1994 und 1997 erfuhr die Struktur der NATO bereits erste größere Reformen, die in der
Kommandostrukturreform von Juni 2003 gipfelten. Mit Zielsetzung einer schlankeren, effek-
tiveren und flexibleren Struktur verzichtete man auf das dritte Hauptquartier Ärmelkanal
(ACCHAN). Von nun an ist ACO (Allied Command Operations) in Mons, Belgien, mit sei-
nem Hauptquartier SHAPE (Supreme Headquarters Allied Powers Europe) für alle Operatio-
nen der Allianz verantwortlich. Geleitet wird es vom Oberbefehlshaber der NATO-Truppen
für Europa SACEUR (Supreme Allied Command Europe)
29
. In gleichem Atemzug schuf man
auch eine große Menge an Hauptquartieren unterhalb von ACO ab und etablierte neue Kom-
mandos wie etwa JFC (Joint Force Commandos), die für die zukünftigen CJTF (Combined
Joint Task Forces)
30
zuständig sein sollen.
In Norfolk, Virginia, schuf man das neue strategische Kommando für die Transformation des
Bündnisses, ACT (Allied Command Transformation) genannt. ACT ist seitdem für die Be-
aufsichtigung der Transformation des Bündnisses zuständig und soll sich in diesem Zusam-
menhang auch um die Verbesserung der militärischen Leistungsfähigkeit, der Ausarbeitung
und Probe von neuen Doktrinen und der Einschätzung neuer Konzepte kümmern. Dabei soll
es die Einführung neuer Konzepte erleichtern und die Interoperabilität der Allianz voranbrin-
gen.
31
26
Vgl. NATO-Handbuch , Nato Information Service (Hg.), Brüssel 1993, S.108-109.
27
Vgl. Varwick, Johannes, Woyke, Wichard, NATO 2000 - Transatlantische Sicherheit im Wandel, Opladen
1999, S.73.
28
Vgl. Ebd.
29
Traditionell ein US-General. Momentan ist dies General James L. Jones.
30
Siehe hierzu auch Kapitel 5.2.
31
Vgl. Briefing 12/2004, NATO Public Information Services (Hg.), Brüssel 2004, S.10-11.

14
Mit dieser Umstrukturierung gelang es, eine im Vergleich zur veralteten Struktur aus dem
Kalten Krieg wesentlich flexiblere Struktur zu errichten, die im Falle einer weiteren NATO-
Erweiterung die Aufnahme neuer Mitgliedsstaaten ohne weitere größere Umstrukturierungen
möglich machen sollte. So erforderte etwa der Beitritt der drei neuen Kandidaten Polen,
Tschechien und Ungarn 1999 keine zusätzlichen Hauptquartiere.
32
Abbildung 1: Die zivile und militärische Struktur der NATO
(Quelle: Eigene Anfertigung unter Vorlage aus: Online-Ausgabe des NATO-Handbuchs
2001: http://www.nato.int/docu/other/de/handbook.pdf, S.594)
Aufgrund der neuen Erfordernisse im internationalen Umfeld wurden der NATO seit Been-
digung des Kalten Krieges gewaltige Anstrengungen zur Reform und Umstrukturierung ab-
verlangt, um in Zukunft neben der eigentlichen Aufgabe der Bündnisverteidigung insbeson-
dere Operationen auf der Ebene des Krisenmanagements durchführen zu können. Dadurch
haben sich die Streitkräftestrukturen, neben einer drastischen Reduzierung des Streitkräfte-
umfangs, in großem Umfang geändert. Die wichtigste Änderung stellt das Konzept der Alli-
ierten Streitkräftekommandos CJTF dar. Darin sollen militärische Kapazitäten geschaffen
werden, die zwar trennbar sind, jedoch nicht getrennt sein sollen. Diese können sowohl von
der NATO als auch der Westeuropäischen Union (WEU) genutzt werden. Auch schuf man
32
Vgl. Varwick, Johannes, Woyke, Wichard, NATO 2000 - Transatlantische Sicherheit im Wandel, Opladen
1999, S.77.

15
eine Unterscheidung der der NATO zur Verfügung stehenden Teile von Streitkräften, die
sich in folgende Teile aufgliedern:
·
Hauptverteidigungskräfte (Main Defence Forces / MDF).
·
Ergänzungskräfte (Augmentation Forces / AF).
·
Sofortige und schnelle Krisenreaktionsstreitkräfte (Intermediate and Rapid Reaction
Forces/ RF).
33
Die Hauptverteidigungskräfte entsprechen dabei am ehesten dem Bild, das man von den
Streitkräften der NATO aus den Tagen des Kalten Krieges kennt. Sie bestehen aus der klassi-
schen Komponente der Luft-, Land- und Seestreitkräfte und sind hauptsächlich für die Bünd-
nisverteidigung vorgesehen, können aber auch zur Krisenbewältigung oder zur Verstärkung
größerer interregionaler Einsätze herangezogen werden.
Die Ergänzungskräfte, die sich nach Einsatzbereitschaft und Verfügbarkeit unterscheiden,
können auf unterschiedliche Art und Weise im gesamten NATO-Gebiet zur Abschreckung,
Verteidigung oder Krisenbewältigung eingesetzt werden.
Die Krisenreaktionskräfte stellen die eigentliche Neuerung innerhalb des Bündnisses dar.
Diese setzen sich aus den drei Teilstreitkräften Land, Luft und See zusammen und bilden
eine multinationale Truppe, die, ständig präsent und einsatzbereit, die neuen Aufgaben des
Bündnisses auf der Ebene der Krisenbeherrschung wahrnimmt. Die einzelnen Nationen stel-
len der NATO dafür ausgewählte Truppenkontingente zur Verfügung, die sich ständig in
einer sehr hohen Einsatzbereitschaft befinden. So ist gewährleistet, dass das Bündnis in der
Lage ist, im Krisenfall innerhalb weniger Tage Truppen in jeden Teil des Vertragsgebietes
verlegen zu können.
34
Des Weiteren gibt es noch diverse ,,integrierte Verbände" ­ multinationale Truppenverbände
verschiedener Konstellationen, die der NATO angegliedert sind. Diese symbolisieren die
wachsende Bedeutung multinationaler Truppenkontingente der Allianz, die durch die neue
Struktur der Streitkräfte weiter gefördert wird. Ein paar Beispiele für multinationale Trup-
penkontingente wären:
33
Vgl. Varwick, Johannes, Woyke, Wichard, NATO 2000 - Transatlantische Sicherheit im Wandel, Opladen
1999, S.77.
34
Vgl. Varwick/Woyke, S.78.

16
·
Schnelles Krisenreaktionskorps des Alliierten Kommandobereichs Europa (ARRC):
Sitz in Mönchengladbach, innerhalb von wenigen Tagen einsatzbereit, zugehörig zu
den Krisenreaktionskräften des Bündnisses; Mitglieder sind Verbände von 14 Natio-
nen des Bündnisses.
·
Multinationale Division Mitte (MND/C): Sitz in Heidelberg, bestehend aus Einheiten
Deutschlands, Belgiens, den Niederlanden und Großbritanniens.
·
Deutsch-Dänisches Korps (LANDJUT): bereits seit 1962 bestehendes Korps.
·
Deutsch-Polnisch-Dänisches Korps Nord-Ost: geplanter Sitz im polnischen Stettin.
35
Eindeutig erkennbar ist damit eine zunehmende Multilateralisierung innerhalb der NATO,
die auch eine politische Aussage mit sich bringt. So setzen diese Kooperationen eine enge
Vernetzung von Politik und Militär voraus, bringen gleichzeitig aber neue Möglichkeiten der
Zusammenarbeit mit sich. Ein weiterer Vorteil multinationaler Verbände sind die Kosten:
Multinationale Verbände bringen politische, strukturelle und materielle Vorteile mit sich und
werden, in Zeiten zunehmender Ressourcenknappheit, die militärpolitisch sinnvollste Lösung
sein, auch wenn sie nicht ganz so schlagkräftig sein mögen, wie es rein national organisierte
Streitkräfte sind.
36
Jedoch kann man bei den NATO-Streitkräften niemals von integrierten Streitkräften im Sinne
einer gemeinsamen NATO-Armee sprechen, da ,,in der gemeinsamen Verteidigungsplanung
[...] strikt auf die nationale Souveränität der Mitgliedsstaaten geachtet"
37
wird. Theoretisch
sollte dies Alleingänge von Mitgliedsstaaten unwahrscheinlicher machen. Jedoch sind es in
der Praxis gerade die USA, die, insbesondere im Irak-Krieg, diesem Ansatz wenig Beachtung
schenken.
35
Vgl. Varwick, Johannes, Woyke, Wichard, NATO 2000 - Transatlantische Sicherheit im Wandel, Opladen
1999, Ebd., S.79.
36
Vgl. Ebd., S.80.
37
Ebd., S.80.

17
Abbildung 2: Übersichtskarte: Neustrukturierung der Hauptquartiere und NATO-Mitgliedsstaaten
(Quelle: Briefing 08/2005, NATO Public Information Services Hg., Brüssel 2005)
Was bedeutet nun diese durchaus massive Umgestaltung der militärischen Strukturen der
NATO? Das Bündnis soll damit für die gleichzeitige Durchführung seiner alten Aufgaben
sowie der Reaktion auf die neuen Erfordernisse präpariert werden. Doch reicht dazu eine,
wenn auch umfassende, Umstrukturierung bestehender Strukturen? Die offiziellen NATO-
Quellen und Publikationen zeichnen selbstverständlich ein positives Bild dieser Reformen
und verlautbaren gerne, die NATO wäre damit auf die Erfordernisse und Herausforderungen
unserer Zeit bestens vorbereitet. Doch gibt es auch genug kritische Stimmen, die diese An-
sicht hinterfragen, wie es gleichwohl auch positive Meinungen darüber gibt.
Welcher Entwicklungen es jedoch bedurfte, um die NATO vor die Herausforderung einer
grundlegenden Reform zu stellen, sollen die nächsten Kapitel näher beleuchten. Darin wird
dem Leser mittels eines kurzen, knapp gehaltenen geschichtlichen Abrisses die Entwicklung
der NATO von ihrer Gründung bis zum Ende des Kalten Krieges aufgezeigt. Dabei soll,

18
wenn es nötig erscheint, der Fokus immer wieder auf Streitpunkte, Diskussionen und Zer-
reißproben innerhalb des Bündnisses gelegt werden, um die Reformfähigkeit und den Anpas-
sungswillen der NATO aufzuzeigen. Dies ist wichtig für das Verständnis der NATO nach
dem Ende des Kalten Krieges, da die NATO, wie viele Leute vielleicht denken mögen, wäh-
rend des Kalten Krieges mitnichten ein monolithischer Block war, der starr und unbeweglich,
aber effektiv, dem Warschauer Pakt gegenübergestellt war und durch das Gleichgewicht der
Mächte für Frieden und Stabilität sorgte.
Die Krise der NATO, die sich nach der Auflösung des Warschauer Pakts und dessen Folgen,
Anfang der 90er Jahre konsolidiert hatte, soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich auch
schon in der früheren Geschichte des Bündnisses Krisen abgezeichnet haben, die die NATO
stellenweise an den Rand der Auflösung drängte.
In folgenden Kapiteln soll die Entwicklung der NATO in der Zeit vor den Umwälzungen in
Osteuropa näher dargestellt werden. Dabei sollen diese Krisen innerhalb des Bündnisses ei-
nen zentralen Punkt darstellen, um zu zeigen, dass sie schon oft genug in der Situation war,
eine schwierige Lage zu meistern und zu demonstrieren, wie die NATO darauf reagieren
konnte.
Dabei soll, wie es in der wissenschaftlichen Diskussion zum größten Teil auch gehandhabt
wird, die Entwicklung der NATO in verschiedenen Phasen aufgezeigt werden.
38
3 Die Entwicklung der NATO von den Anfängen bis zum
Ende des Kalten Krieges
Die Entstehungsgeschichte der NATO ist sehr eng mit dem Beginn der Ausbreitung des
kommunistischen Machtbereichs durch die Sowjetunion nach dem Sieg über das Dritte Reich
verbunden.
39
So war nach dem Krieg das Bündnis zwischen Roosevelt, Churchill und Stalin,
das den zweiten Weltkrieg beendet hatte und von Anfang an von einer brüchigen Zusammen-
arbeit geprägt gewesen war, zerbrochen. Ebenso schnell kristallisierten sich dann nach dem
Krieg auch die ideologischen und machtpolitischen Differenzen zwischen westlichen Sie-
germächten auf der einen, und der Sowjetunion auf der anderen Seite heraus.
40
38
Der Einteilung in Phasen folgen etwa: Nohlen, Dieter, Kleines Lexikon der Politik, München 2001, S.325-
326, Varwick, Johannes, Woyke, Wichard, NATO 2000 ­ Transatlantische Sicherheit im Wandel, Opladen
1999, ab S.47.
39
Vgl. Der Brockhaus in fünf Bänden, Leipzig 2000, S.3207.
40
Vgl. www.weltpolitik.net/1.

19
Daher soll im folgenden Kapitel die Entwicklung der NATO, die durch obige Ausgangslage
ja erst entstanden ist, einmal näher skizziert werden. Dabei sollen auch wichtige Stationen in
der Entwicklung des Bündnisses beleuchtet werden, die die schon immer vorhandene Re-
formfähigkeit der NATO in Krisenzeiten aufzeigen. Auch muss man sich bei der Entwick-
lung der NATO immer vor Augen halten, dass sie unter einem großen Einfluss der USA
stand und auch heute noch steht.
41
3.1 Die Gründungsjahre
Bereits vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs kam es am 26. Juni 1945 zur Gründung der
Vereinten Nationen (UN) in San Francisco durch die Vertreter von 50 Nationen. Dabei sollte
diese ,,Weltfriedensgemeinschaft [...] als Nachfolgerin des glücklosen Völkerbundes das
Konzept der ,,Einen Welt" verwirklichen und zukünftige militärische Auseinandersetzungen
damit unmöglich machen."
42
Dabei wurde den UN-Mitgliedsstaaten das prinzipielle Recht
auf individuelle wie auch kollektive Selbstverteidigung zugesprochen, worauf sich alsbald
erste Regionalpakte wie die 1945 konstituierte Araberliga oder die ab 1947 bestehende Orga-
nisation Amerikanischer Staaten (OAS) gründeten, um dieses Recht auf Selbstverteidigung in
die Tat umzusetzen. Wie sich zeigen wird berief sich die NATO bei ihrer Gründung im Jahr
1949 auf ebendieses Recht.
43
Als die Sowjetunion alsbald begann, die von ihnen besetzte Zone Deutschlands von den an-
deren Zonen abzutrennen und sich gleichzeitig die Truppenstärke der Roten Armee im Ge-
gensatz zu den Demobilisierungsanstrengungen des Westens nicht verringerte und die Sow-
jetunion damit ein wesentlich höheres Streitkräftepotential innehielt, verbreitete sich im Wes-
ten die Angst vor einer kommunistischen Machtausweitung.
44
In diesem Zusammenhang fiel in einer Rede Winston Churchills, der kurz nach Ende des
Kriegs als englischer Premier abgewählt worden war, der Begriff des ,,Kalten Krieges", als er
am 5. März 1946 in Fulton, Missouri die aufkommende kommunistische Gefahr prophezeite:
41
Vgl. Calleo, David P., Die Zukunft der westlichen Allianz ­ Die NATO nach dem Zeitalter amerikanischer
Hegemonie, Stuttgart 1989, S.41.
42
Woyke, Wichard, Die NATO in den siebziger Jahren, Hannover 1976, S.10.
43
Ebd., S.12.
44
Vgl. www.weltpolitik.net/2.

20
"Ein Schatten ist auf die Erde gefallen, die erst vor kurzem durch den
Sieg der Alliierten hell erleuchtet worden ist. Niemand weiß, was
Sowjetrussland und die kommunistische internationale Organisation
in der nächsten Zukunft zu tun gedenken oder was für
Grenzen ihren expansionistischen und Bekehrungstendenzen gesetzt
sind, wenn ihnen überhaupt Grenzen gesetzt sind. [...] Von Stettin an
der Ostsee bis hinunter nach Triest an der Adria ist ein ´Eiserner
Vorhang` über den Kontinent gezogen."
45
Ab 1947 erhöhte die Sowjetunion ihren Druck auf ihre Einflusssphäre in Europa. Insbesonde-
re in Griechenland prallten die Interessen der Kommunisten und des Westens aufeinander.
Zudem wurde in den Jahren 1947/48 eine aktive Unterstützung von Streikbewegungen in
Frankreich und Italien durch die Sowjetunion offensichtlich.
46
Angesichts dieses sowjeti-
schen Vorgehens formulierte US-Präsident Truman die nach ihm bekannt gewordene Tru-
man-Doktrin, die besagte, dass ,,die USA Griechenland und der Türkei sowie allen ´freien
Völkern` Unterstützung zusicherten."
47
Auch George F. Kennan, amerikanischer Diplomat und Russlandexperte, warnte im so ge-
nannten ,,Langen Telegramm" von Moskau aus seine Landsleute vor einer weiteren Ausdeh-
nung des sowjetischen Machtbereichs. Er war der Meinung, die UdSSR würde weder einen
Modus vivendi mit den USA anstreben noch die Ideale der UNO respektieren.
48
Im Juni 1947 folgte die Ankündigung des Marshallplans, welcher den durch den Krieg ge-
schwächten europäischen Staaten finanzielle Hilfe gewähren sollte, um diese weniger anfäl-
lig für den kommunistischen Einfluss zu machen. Die USA betrieben damit eine Politik der
Stabilisierung Europas, da sie Westeuropa als ihre strategische Sicherheitszone betrachteten
und sie auf die sowjetische Expansion in Osteuropa reagieren mussten.
49
Allerdings war eine sowjetische Reaktion darauf nun unvermeidbar. So entwickelte der Le-
ningrader Parteisekretär Shdanow die ,,Zwei-Lager-Theorie", nach der sich nach Ende des
Krieges zwei Lager gegenüberstanden: Auf der einen Seite das ,,imperialistische und antide-
mokratische Lager" unter der Vorherrschaft der Vereinigten Staaten, und, auf der anderen
45
www.weltpolitik.net/2.
46
Vgl. Ebd.
47
Varwick, Johannes, Woyke, Wichard, NATO 2000 ­ Transatlantische Sicherheit im Wandel, Opladen
1999, S. 16.
48
Vgl. www.weltpolitik.net/2.
49
Vgl. Schlösser, Marie-Helene, Die Entstehungsgeschichte der NATO bis zum Beitritt der Bundesrepublik
Deutschland, Frankfurt am Main 1985, S.17.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2006
ISBN (eBook)
9783956360480
ISBN (Paperback)
9783832496968
Dateigröße
896 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Augsburg – Philosophisch-Sozialwissenschaftliche Fakultät
Note
2,0
Schlagworte
sicherheitspolitik verteidigungspolitik nordatlantikvertrag verteidigungsbündnis politik
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