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Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft

Die Online-PR der Parteien im Bundestagswahlkampf 2005

©2006 Diplomarbeit 129 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Kann eine Partei ohne Internet heute noch Wahlen in Deutschland gewinnen? Die Antwort ist eindeutig. Kein politischer Akteur, der sich in der Medienöffentlichkeit einer Informationsgesellschaft bewegt, kann auf eine moderne Kommunikationsstrategie im Internet verzichten. Nicht mehr das Ob, sondern das Wie beschäftigt heute die Strategen in den Parteien.
Der Bundestagswahlkampf 2005 fand unter besonderen Bedingungen statt: Am 22. Mai 2005 überraschte die SPD nach ihrer Wahlniederlage bei der nordrhein-westfälischen Landtagswahl mit der Ankündigung von Neuwahlen. Diese wurden auf den 18. September 2005 angesetzt. Ein auf wenige Wochen verkürzter 'Sprint-Wahlkampf' folgte.
Durch die erzwungene Beschleunigung der Kampagnenplanungen rückte das schnellste und flexibelste Massenmedium in den Blick: das Internet. Als Wahlkampfinstrument der politischen Öffentlichkeitsarbeit wurden an das Internet hohe Erwartungen gestellt: Es sollte trotz des kleinen Zeitfensters einen modernen, innovativen und informativen Wahlkampf ermöglichen. Mit dem Kampagnenmanagement wurden professionelle PR-Agenturen beauftragt. Ob und wie es den professionellen PR-Akteuren gelang, die Potenziale der Online-Kommunikation zur Überzeugung der Wähler für die jeweilige politische Partei zu nutzen, wird die vorliegende Arbeit thematisieren.
Hierbei will die Verfasserin nicht nur eine rein deskriptive, sondern bisweilen auch eine normative Position einnehmen: Neben einer empirischen Untersuchung der Online-Kommunikation im Wahlkampf, also der tatsächlichen Verhältnisse, soll ebenso aufgezeigt werden, wie die politische Internet-PR gestaltet sein sollte, um einen interaktiven Dialog, eine Online-Interaktion zwischen Parteien und Wählern zu ermöglichen.
Problemstellung:
Die im Zentrum der vorliegenden Arbeit stehende Forschungsfrage lautet: Wie nutzten die politischen PR-Akteure im Auftrag der Parteien das Internet zur politischen Öffentlichkeitsarbeit im Bundestagswahlkampf 2005?
Das Ziel ist, mithilfe des Instrumentariums der Akteurstheorie, die Beschreibung und Analyse der Online-Kommunikation der politischen PR-Akteure im Bundestagswahlkampf 2005. Dabei sollen nicht die Wähler bzw. die Wirkung des Online-Campaignings der PR-Akteure auf die Wähler im Mittelpunkt des Interesses stehen. Fokussiert werden die politischen Akteure, die Parteien, und die von den Parteien beauftragten Akteure der politischen Öffentlichkeitsarbeit.
Das Erkenntnisinteresse dieser […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Julia Seimel
Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft.
Die Online-PR der Parteien im Bundestagswahlkampf 2005
ISBN-10: 3-8324-9691-2
ISBN-13: 978-3-8324-9691-3
Druck Diplomica® GmbH, Hamburg, 2006
Zugl. Philipps-Universität Marburg, Marburg, Deutschland, Diplomarbeit, 2006
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© Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2006
Printed in Germany

INHALT
TABELLENVERZEICHNIS ... 1
1 Einleitung ... 2
1.1 Fragestellung und Ziel...2
1.2 Aufbau der Arbeit...3
I THEORETISCHER
TEIL ... 5
2
Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft. Einführung in
Thema und Debatte ... 5
2.1 Begriffsklärungen...6
2.1.1 Politische
Kommunikation...6
2.1.2 Politikvermittlung ...8
2.1.3 Wahlkampf...8
2.1.4 Wahlkampagnen...9
2.2 Mediengesellschaft ­ Rahmenbedingungen im Wandel ...9
2.2.1 Gesellschaftlicher
Wandel ...11
2.2.2 Medialer
Wandel...12
2.3 Wissenschaftlicher Forschungsstand...14
2.4 Amerikanisierung oder Modernisierung der politischen Wahlkom-
munikation? ...17
2.4.1 Merkmale ...17
2.4.1.1 Personalisierung ...18
2.4.1.2 Mediatisierung ...18
2.4.1.3 Professionalisierung ...18
2.4.2 Die
Kontroverse ...19
2.4.3 Wissenschaftlicher
Forschungsstand ...20
3
Theoretische Grundlagen der Analyse politischer Kommunikation... 22
3.1 System- und Handlungstheorie als Erklärungsmodelle politischer
Kommunikation...22
3.1.1 Systemtheoretische
Analyse
politischer Kommunikation ...23
3.1.2
Handlungstheoretische Analyse politischer Kommunikation...24

3.2 Akteurstheoretische Analyse politischer Kommunikation...26
3.2.1
Constraints und binäre Codes ...26
3.2.2
Struktur, Prozess und Funktion politischer Kommunikation...27
3.3 Die akteurstheoretische
Analyse politischer (Online-) PR ...31
4 Politische
Öffentlichkeitsarbeit ... 34
4.1 Begriffsklärung...34
4.1.1
Definitionen von politischer PR...35
4.1.2
Abgrenzung zu politischer Werbung ...37
4.1.3
Abgrenzung zu Propaganda ...38
4.2 Die Entwicklung politischer Öffentlichkeitsarbeit in Deutschland...39
4.3 Politische PR als Kommunikationsinstrument der politischen Akteure ...43
4.3.1 Gesellschaftliche
Funktionen ...43
4.3.2
Aufgaben, Ziele und Instrumente...44
4.4 Wissenschaftlicher Forschungsstand...47
5
Das Internet als neues Medium politischer Public Relations ... 51
5.1 Begriffsklärungen...52
5.1.1 Internet ...52
5.1.2
World Wide Web (WWW) ...54
5.2 Potenziale der politischen Online-Kommunikation ...54
5.2.1 Technisches
Potenzial ...54
5.2.2 Politisches
Potenzial ...55
5.3 Vorteile der politischen Online-Kommunikation...56
5.3.1
Vorteile für die politischen Akteure...56
5.3.2
Vorteile für die Wähler ...58
5.4 Die Wähler im Internet: Wer ist online? ...59
5.5 Politische Online-PR: Die Websites der Parteien ...62
5.6 Wissenschaftlicher Forschungsstand...65
II EMPIRISCHER
TEIL... 69
6 Das
Forschungsdesign... 69
6.1 Konkretisierung der Fragestellung ...69
6.2 Die Analyseeinheiten ...70
6.3 Die Untersuchungsmethode ...71

6.4 Kriterium und Kategorien der Analyse ...72
7 Der
Onlinewahlkampf
2005... 76
7.1 Die Ausgangslage: Korporative PR-Akteure, Wahlkampf-Budgets und
Re-Launches...76
7.1.1
Ausgangslage bei der SPD ...77
7.1.2
Ausgangslage bei der CDU...78
7.1.3
Ausgangslage bei Bündnis 90/ Die Grünen ...79
7.1.4
Ausgangslage bei der FDP ...80
7.1.5
Ausgangslage bei der Linkspartei ...80
7.2 Formate und Elemente des Online-Campaignings 2005...81
7.2.1 Kandidatensites ...81
7.2.2 Online-Mobilisierung...82
7.2.3 Online-Fundraising ...83
7.2.4 Negative
Campaigning...84
7.2.5 Intranets...85
7.2.6 Weblogs ...86
8
Formale Analyse der Parteien-Homepages... 88
8.1 Kategorie Interaktivität ...89
8.2 Kategorie Usabilität...91
8.3 Kategorie Informativität ...92
8.4 Kategorie Multimedialität/ Design...94
8.5 Zusammenfassung und Bewertung der Ergebnisse...96
9
Fazit und Ausblick ... 101
10 Literatur ... 104
11 Internetquellen ... 110
III ANHANG
IV ERKLÄRUNG

1
TABELLENVERZEICHNIS
Tabelle 1 Kommunikationspotenziale des Internets
Tabelle 2 Elemente der Interaktivität auf den Websites der Parteien
Tabelle 3 Elemente der Usabilität auf den Websites der Parteien
Tabelle 4 Elemente der Informativität auf den Websites der Parteien
Tabelle 5 Elemente der Multimedialität/ des Designs auf den Websites der Parteien

1 Einleitung
2
1 Einleitung
,,Kann eine Partei ohne Internet heute noch Wahlen in Deutschland gewinnen? Die Antwort
ist eindeutig. Kein politischer Akteur, der sich in der Medienöffentlichkeit einer Informati-
onsgesellschaft bewegt, kann auf eine moderne Kommunikationsstrategie im Internet ver-
zichten. Nicht mehr das Ob, sondern das Wie beschäftigt heute die Strategen in den Partei-
en" (Boelter/ Cecere 2003: 366).
Der Bundestagswahlkampf 2005 fand unter besonderen Bedingungen statt: Am 22. Mai
2005 überraschte die SPD nach ihrer Wahlniederlage bei der nordrhein-westfälischen
Landtagswahl mit der Ankündigung von Neuwahlen. Diese wurden auf den 18. Sep-
tember 2005 angesetzt. Ein auf wenige Wochen verkürzter ,,Sprint-Wahlkampf" folgte.
Durch die erzwungene Beschleunigung der Kampagnenplanungen rückte das schnellste
und flexibelste Massenmedium in den Blick: das Internet. Als Wahlkampfinstrument
der politischen Öffentlichkeitsarbeit wurden an das Internet hohe Erwartungen gestellt:
Es sollte trotz des kleinen Zeitfensters einen modernen, innovativen und informativen
Wahlkampf ermöglichen. Mit dem Kampagnenmanagement wurden professionelle PR-
Agenturen beauftragt. Ob und wie es den professionellen PR-Akteuren gelang, die Po-
tenziale der Online-Kommunikation zur Überzeugung der Wähler für die jeweilige poli-
tische Partei zu nutzen, wird die vorliegende Arbeit thematisieren.
Hierbei will die Verfasserin nicht nur eine rein deskriptive, sondern bisweilen auch
eine normative Position einnehmen: Neben einer empirischen Untersuchung der Online-
Kommunikation im Wahlkampf, also der tatsächlichen Verhältnisse, soll ebenso aufge-
zeigt werden, wie die politische Internet-PR gestaltet sein sollte, um einen interaktiven
Dialog, eine Online-Interaktion zwischen Parteien und Wählern zu ermöglichen.
1.1 Fragestellung und Ziel
Die im Zentrum der vorliegenden Arbeit stehende Forschungsfrage lautet:
Wie nutzten die politischen PR-Akteure im Auftrag der Parteien das Internet zur politi-
schen Öffentlichkeitsarbeit im Bundestagswahlkampf 2005?
Das Ziel ist, mithilfe des Instrumentariums der Akteurstheorie, die Beschreibung und
Analyse der Online-Kommunikation der politischen PR-Akteure im Bundestags-
wahlkampf 2005. Dabei sollen nicht die Wähler bzw. die Wirkung des Online-
Campaignings der PR-Akteure auf die Wähler im Mittelpunkt des Interesses stehen.

1 Einleitung
3
Fokussiert werden die politischen Akteure, die Parteien, und die von den Parteien be-
auftragten Akteure der politischen Öffentlichkeitsarbeit.
Das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit liegt darin, festzustellen, ob die beauftragten
Öffentlichkeitsarbeiter die Potenziale des Internets zur Überzeugung der Wähler genutzt
haben.
Eine ausführliche Konkretisierung und Eingrenzung der Fragestellung findet zu Be-
ginn des empirischen Teils der Arbeit statt (s. Punkt 6.1).
1.2 Aufbau der Arbeit
Die Arbeit gliedert sich in einen theoretischen und einen empirischen Teil.
Das Kapitel 2 gibt eine Einleitung in das weit gefasste Themengebiet politische
Kommunikation. Hier werden zentrale Begriffe der Arbeit eingegrenzt und geklärt
(2.1). Es folgt eine Beschreibung medialer und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen,
die das Phänomen Mediengesellschaft bedingen (2.2). Nach einem Überblick zum wis-
senschaftlichen Forschungsstand der ,,politischen Kommunikation" (2.3) beschäftigt
sich der letzte Abschnitt des 2. Kapitels mit einer aktuellen Debatte: Sind die Verände-
rungen im Wahlkampfmanagement und die Professionalisierung der beteiligten PR-
Akteure Ergebnisse eines Trends, der als ,,Amerikanisierung" bezeichnet werden kann,
oder findet ein Modernisierungsprozess statt, der in allen westlichen Demokratien beo-
bachtet wird (2.4)? In Kapitel 3 werden die theoretischen Grundlagen der Arbeit, v.a. in
Bezug auf die folgende empirische Untersuchung, gelegt: Zur Analyse der politischen
Online-Kommunikation bietet sich die Akteurstheorie, eine sinnvolle Verknüpfung von
Handlungs- und Systemtheorie, an. Denn: Hierbei können sowohl die systemischen
Strukturen das Handlungsfeldes politische Öffentlichkeitsarbeit als auch das strategi-
sche und zielorientierte Handeln der beteiligten Akteure in den Blick genommen wer-
den. Daraufhin widmet sich Kapitel 4 der politischen Öffentlichkeitsarbeit: Nach einer
Abgrenzung der politischen PR von verwandten Begriffen (4.1) wird die Entwicklung
des Handlungs-, Forschungs- und Berufsfeldes politische Public Relations nachgezeich-
net (4.2). Im folgenden werden sowohl die gesellschaftlichen Funktionen als auch wich-
tige Aufgaben, Ziele und Instrumente dieses Kommunikationsinstruments reflektiert.
Abschließend widmet sich Abschnitt 4.4 dem wissenschaftlichen Forschungsstand. Mit
dem 5. Kapitel schließt sich der theoretische Teil der vorliegenden Arbeit: Hier wird das
Internet als neues Medium politischer Öffentlichkeitsarbeit thematisiert; die Potenziale
sowie die Vorteile (für politische Akteure und Wähler) der politischen Internet-

1 Einleitung
4
Kommunikation werden vorgestellt. Nach Beantwortung der Frage, welche Wählerseg-
mente im Internet überhaupt von den politischen PR-Akteuren erreicht werden können,
wird auf die politische Online-PR im Speziellen eingegangen.
Mit Kapitel 6 wird der empirische Teil der Arbeit eingeleitet. Das Forschungs-
design wird ausführlich dargestellt und begründet. Kapitel 7 dient der Vorstellung des
Internetwahlkampfes 2005: Nach einer Darstellung der Ausgangslage aller untersuchten
Parteien (SPD, CDU, Bündnis 90/ Die Grünen, FDP, Linkspartei) werden die wichtigs-
ten genutzten Web-Formate und -Elemente betrachtet. Nachfolgend findet die formale
Analyse der fünf Parteien­Homepages statt (Kapitel 8): Alle vier operationalisierten
Kategorien des Untersuchungskriteriums Überzeugung werden untersucht. Mit einer
Zusammenfassung und Bewertung der Forschungsergebnisse wird dieser Abschnitt be-
endet. In Kapitel 9 folgt das Fazit der vorliegenden Arbeit. Mit einem Blick in die Zu-
kunft der politischen Online-Kommunikation wird die Arbeit abgeschlossen.

2 Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft. Einführung in Thema und Debatte
5
I
THEORETISCHER TEIL
2 Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft. Einführung
in Thema und Debatte
,,Mehr denn je steht Politik, stehen politische und gesellschaftliche Akteure im Zwang zur
Begründung und Rechtfertigung ihres Handelns. Mehr denn je werden von ihnen kommu-
nikative Leistungen erwartet, wird ihnen `Legitimation durch Kommunikation´ abverlangt,
wird Publizität zur gesellschaftlichen und politischen Eintritts- oder Trumpfkarte" (Sarci-
nelli/ Wissel 1998: 410).
Politik in modernen repräsentativen Demokratien ist zustimmungsabhängig und muss
deshalb öffentlich dargestellt, begründet und gerechtfertigt werden, bedarf also der Le-
gitimation durch Kommunikation (vgl. Sarcinelli 2000: 26). Durch Wahlen nimmt das
Volk, der Souverän, direkt am politischen Partizipationsprozess teil. Für die hierfür nö-
tige Meinungs- und Willensbildung braucht der Wähler Informationen zu den politi-
schen Akteuren, also den Parteien, und ihren Programmen. Diese politischen Informati-
onen müssen kommuniziert und vom Wähler als solche wahrgenommen und beachtet
werden (vgl. Schmitt-Beck 2002: 21). Die Massenmedien werden mehr und mehr zur
Voraussetzung für eine stabile Kommunikation zwischen den politischen Akteuren und
den Wählern (vgl. Jarren/ Donges 2002a: 31). Aus diesem Grunde sind Demokratie und
politische Kommunikation ohne einander nicht denkbar.
1
Die politische Medien-Öffentlichkeit
2
einer modernen Massendemokratie hat mit
der Öffentlichkeit der Antike, der griechischen Agora
3
, nicht mehr viel gemein. Aber
die Politik ist immer noch auf den ,,Marktplatz der Meinungen" (Meckel 2004: 40) an-
gewiesen, auf eine demokratische Streitkultur und Konsensfindung. Politische Kommu-
nikation in der Mediengesellschaft muss sich darum bemühen, die Aufmerksamkeit der
Wählerinnen und Wähler zu gewinnen.
1
Bilgeri und Siedschlag (2004: 13) bezeichnen Kommunikation als ,,die wichtigste Legitimitätsquelle der
Demokratie".
2
Das Paradigma Öffentlichkeit ist ein ,,umstrittener, vieldiskutierter dabei jedoch kaum bestimmbarer
Forschungsgegenstand" (Bieber 1999: 58). Pfetsch und Schmitt-Beck (1994a: 108) definieren Öffentlich-
keit als ,,Raum [...], in dem aufgrund nicht-privater Kommunikationsvorgänge Auffassungen, Vorstellun-
gen und Sichtweisen von Gegenständen der Politik entstehen (und vergehen), die als mehr oder weniger
verbindlich und mehrheitsfähig gelten und nach allgemeinem Dafürhalten ´legitim` sind".
3
Die Agora, meist der zentrale Marktplatz der griechischen Polis, war das Zentrum des öffentlichen, also
v.a. politischen Lebens. Für Kleinsteuber (2000: 42) stellt die Agora einen offenen ,,Raum aktiver politi-
scher Kommunikation" dar.

2 Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft. Einführung in Thema und Debatte
6
2.1 Begriffsklärungen
Gerade aufgrund der interdisziplinären Komplexität und unscharfen Begrifflichkeit des
Untersuchungsgegenstandes ist eine Klärung und Bestimmung zentraler Begriffe der
vorliegenden Arbeit vonnöten.
2.1.1 Politische Kommunikation
Eine allgemein gültige Definition und Systematik von politischer Kommunikation gibt
es nicht. Dies liegt unter anderem an dem interdisziplinären Charakter und an der
,,`Grenzenlosigkeit und Hyperkomplexität´ des Untersuchungsgegenstandes politische
Kommunikation als soziales `Totalphänomen´" (Sarcinelli 2005: 16). Beide Begriffe für
sich, Politik
4
und Kommunikation
5
, stehen für komplexe gesellschaftliche Zusammen-
hänge und werden von unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen mit verschie-
denen Ansätzen und Erkenntnisinteressen erforscht (vgl. Jarren/ Donges 2002a: 20).
In der vorliegenden Diplomarbeit wird die (weite) Definition von Jarren und Donges
(2002a: 22) übernommen: ,,Politische Kommunikation ist der zentrale Mechanismus bei
der Formulierung, Aggregation, Herstellung und Durchsetzung kollektiv bindender Ent-
scheidungen. Insofern ist politische Kommunikation nicht nur Mittel der Politik. Sie ist
selbst auch Politik." Denn politische Kommunikation ist wesentlicher Bestandteil des
Wettbewerbs um politische Macht- und Gestaltungsansprüche
6
und eine der zentralen
Aufgaben von Politik: Die Parteien sind gemäß der Verfassung verpflichtet, die politi-
sche Willensbildung der Wähler zu ermöglichen.
7
Und schließlich will jede Partei ihre
4
In der Politikwissenschaft und der politischen Soziologie wird das Paradigma Politik untergliedert in die
drei Begriffe Polity (formale Dimension: Politik als Institutionen­ und Normengefüge), Politics (verfah-
rensmäßige Dimension: Politik als Prozess) und Policy (inhaltliche Dimension: Politik als Fokussierung
gesellschaftlicher Probleme) (vgl. Jarren/ Donges 2002a: 24f.).
5
,,K. bezeichnet den Austausch von Informationen zwischen zwei oder mehreren Personen. Als elementa-
re Notwendigkeit menschlicher Existenz und wichtigstes soziales Bindemittel kann K. über Sprache,
Mimik, Gestik, durch schriftlichen Austausch, Medien etc. stattfinden. Zu unterscheiden sind a) interper-
sonale K. (unmittelbar und mittelbar zwischen Personen), b) Massen-K. (wenige Journalisten bereiten
Informationen auf, die von vielen Lesern konsumiert werden) und c) Gruppen-K. (innerhalb bestimmter,
organisierter sozialer Gruppen, Verbände, Parteien)" (Internetseite bpb: Kommunikation).
6
Dieser politische Wettbewerb findet sowohl öffentlich als auch nicht-öffentlich statt. Die spannungsge-
ladene Beziehung zwischen den beiden Seiten von Politik, der Herstellung (politischer Prozess) und der
Darstellung (politische Kommunikation), wird in der Wissenschaft kontrovers diskutiert (vgl. z.B. Jarren/
Donges 2002a: 22, Sarcinelli 2005: Kap.7, Pfetsch/ Schmitt-Beck 1994a: 107f., Japp/ Kusche 2004). Wie
Sarcinelli (2005: Vorwort), der konstatiert, Politik sei `pur´, also ohne Kommunikation, nicht zu haben,
geht auch die Verfasserin der vorliegenden Arbeit davon aus, dass Herstellung und Darstellung von Poli-
tik nicht voneinander zu trennen sind.
7
Artikel 21 Grundgesetz (GG): ,,Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit"
(Internetseite bpb: Artikel 21 GG).

2 Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft. Einführung in Thema und Debatte
7
Stimmenanteile am Wahltag maximieren; dies ist nur möglich, wenn sie im Wahlkampf
überzeugende Kommunikationsarbeit geleistet hat.
Bentele (1998: 130) erweitert den Kreis der beteiligten Akteure
8
: Für ihn ist politi-
sche Kommunikation ,,derjenige Teil menschlicher Kommunikation [...], der sich ent-
weder thematisch oder aufgrund der Beteiligung von Akteuren des politischen Systems
der Politik zurechnen lässt." Alle Kommunikationsformen der politischen Akteure so-
wie die Kommunikationshandlungen anderer Akteure, die sich thematisch auf Politik
beziehen, lassen sich in diesem Sinne als politische Kommunikation beschreiben. Die
Ziele ,,de[r, d.V.] komplexen Kommunikationsbeziehungen zwischen politischen Ak-
teuren, Medien und Publikum" (Kluge 2000: 97) liegen v.a. in der Information und Ü-
berzeugung der Wähler.
Die wichtigsten Aufgaben politischer Kommunikation sind:
·
,,Politische Kommunikation soll Politik sichtbar und erfahrbar machen [...].
·
Politische Kommunikation soll Orientierungs-, Vorstellungs- und Deutungsmuster
vermitteln.
·
Politische Kommunikation soll erforderliche Werte- und Konsensformen anbieten.
·
Politische Kommunikation soll Identifikation und einen emotionalen Zugang zum
politischen System ermöglichen.
·
Politische Kommunikation soll die Öffentlichkeit mit Herausforderungen, Themen
und alternativen Gestaltungsmöglichkeiten konfrontieren" (nach Schicha 2003: 3).
Politische Kommunikation findet nicht im luftleeren Raum, sondern entweder auf direk-
tem, unmittelbarem Wege oder indirekt, also vermittelt über das Mediensystem, zwi-
schen den politischen Akteuren oder zwischen politischen Akteuren und Bürgern statt.
Die Medienakteure bestimmen anhand journalistischer Selektionskriterien
9
Rahmen und
Bedingungen der öffentlichen Verkündung politischer Maßnahmen und der Darstellung
politischer Diskussionen und Positionen. Dabei haben sie ,,die Aufgabe zu informieren,
zu analysieren, zu kritisieren und zu kontrollieren" (Woyke 2005: 114). Medienpräsenz
und die Aufmerksamkeit der relevanten Teil-Öffentlichkeiten zu erzielen ist, besonders
8
In Punkt 3.1.2 wird der Begriff des Akteurs näher definiert.
9
Die journalistischen Selektionskriterien sollen die Aufmerksamkeit der Adressaten steuern. Die Medien-
akteure entscheiden anhand von Nachrichtenfaktoren, welche Themen Aufmerksamkeit generieren und
deshalb massenmedial kommuniziert werden und welche nicht. Die wichtigsten Nachrichtenwerte sind
nach Blöbaum (2000: 178) ,,Nähe, Neuigkeit, Aktualität, Relevanz, Ereignishaftigkeit". Gerhards (1994:
89f.) ergänzt die Liste um die Kriterien Konflikt und Negativismus.

2 Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft. Einführung in Thema und Debatte
8
im Wahlkampf, eines der Handlungsziele politischer Akteure. Diese Aufgaben über-
nehmen zunehmend professionelle Politikvermittler, u.a. politische Öffentlichkeitsarbei-
ter, die mehrheitlich hinter den Kulissen der politischen Bühne agieren (s. Punkt 4).
2.1.2 Politikvermittlung
,,Politikvermittlung bezeichnet einen spezifischen Ausschnitt der politischen Kommuni-
kation" (Kluge 2000: 97; Hervorhebung durch d.V.). Hier geht es insbesondere um den
Teil kommunikativer Handlungen, der von den politischen Akteuren ausgeht und an die
politische Öffentlichkeit, direkt oder via Medien, gerichtet ist.
Nach Sarcinelli (2000: 20) wird Politik erst durch die Vermittlung, also die Kom-
munikation über die Massenmedien, für den Rezipienten zur Realität. Und da diese In-
formationsübermittlung in Wahlkampfzeiten über Legitimation bzw. Nicht-
Legitimation von Politik entscheidet, stellt Politikvermittlung im Wahlkampf eine con-
ditio sine qua non dar. Das wichtigste Politikvermittlungsinstrument stellt, neben der
politischen Werbung, die politische Öffentlichkeitsarbeit (s. Punkt 4) dar.
2.1.3 Wahlkampf
Als Wahlkampf bezeichnet Woyke (2005: 110) ,,die politische Auseinandersetzung von
Parteien [...] um Zustimmung des Bürgers zu Personen und Programmen; letztlich um
die politische Herrschaft." Streng genommen findet der Wahlkampf zwischen der Auf-
lösung des alten und der Wahl des neuen Parlaments statt und kann zeitlich in Vorwahl-
kampf und heiße Phase (letzter Monat vor dem Wahltag) eingeteilt werden. ,,In dieser
Zeit verschärft sich die politische Auseinandersetzung zwischen den Parteien, und die
Bürger werden intensiver als sonst angesprochen" (ebd.). Insofern ist Wahlkampf ver-
dichtete politische Kommunikation.
Die drei wichtigsten Funktionen des Wahlkampfes sind die Information, Identifika-
tion und Mobilisierung.
10
Die Bundestagswahlkämpfe werden von den jeweiligen Parteizentralen und ihren
Wahlkampfkommissionen organisiert. Hinzu kommen vermehrt externe Berater wie
Werbe- und PR-Agenturen und Demoskopen, die die strategische Planung und Koordi-
nation aller Aktionen unterstützen.
10
Woyke (2005: 111f.) widmet sich den Wahlkampf-Funktionen ausführlich.

2 Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft. Einführung in Thema und Debatte
9
2.1.4 Wahlkampagnen
Nach Jarren und Donges (2002b: 119) sind Kampagnen zeitlich befristete und thema-
tisch eingegrenzte Kommunikationsstrategien ,,zur Erzeugung öffentlicher Aufmerk-
samkeit, die auf ein Set unterschiedlicher kommunikativer Instrumente und Techniken ­
werbliche und marketingspezifische Mittel und klassische PR-Maßnahmen zurückgrei-
fen." Kampagnen sollen Aufmerksamkeit generieren, Vertrauen schaffen sowie Zu-
stimmung und/ oder Anschlusshandeln erzeugen. Schmitt-Beck (2002: 22) geht auf
Wahlkampagnen direkt ein und definiert diese als ,,organisierte und geplante Kommu-
nikationsaktivitäten, die von Parteien durchgeführt werden, um unter den Wahlberech-
tigten möglichst viel Unterstützung einzuwerben."
2.2 Mediengesellschaft ­ Rahmenbedingungen im Wandel
Nachdem wichtige Begriffe der vorliegenden Arbeit beschrieben und eingegrenzt wur-
den, geht es im Folgenden um das Phänomen Mediengesellschaft.
In den letzten drei Jahrzehnten haben sich in der Bundesrepublik Deutschland weit-
reichende soziokulturelle, politische und mediale Veränderungen vollzogen.
11
Die Ausdifferenzierung moderner Gesellschaften in funktionale Teilsysteme hat da-
zu geführt, dass auch die Bereiche Politik und Medien relativ autonom und mit einer
Eigenlogik und -dynamik agieren (vgl. Gerhards 1994: 82ff.). Die Funktion des politi-
schen Systems besteht in erster Linie darin, kollektiv verbindliche Entscheidungen her-
beizuführen. Das Mediensystem ermöglicht die Herstellung von Öffentlichkeit in einer
komplexen, hoch differenzierten Gesellschaft.
Das enge Zusammenspiel der beiden Teilsysteme liegt auf der einen Seite darin be-
gründet, dass demokratische Politik (da zustimmungsabhängig und deshalb begrün-
dungspflichtig) und die politischen Akteure von den Leistungen des Mediensystems,
also dem Zugang zur Öffentlichkeit und der Verbreitung und Kommentierung politi-
scher Informationen, abhängig sind. Auf der anderen Seite benötigen die Medienakteure
exklusive politische Nachrichten und Hintergrundinformationen, die sie publizieren
können. Die Tausch-Beziehung dieser Teilsysteme ist also von einer wechselseitigen
Abhängigkeit, einer Symbiose, gekennzeichnet (s. Punkt 2.3).
11
Zu den veränderten Rahmenbedingungen äußern sich u.a. Jarren und Donges (2002a: Kap. 1), Tenscher
(2000: 7ff.), Saxer (1998) und Sarcinelli (2005: 33ff.).

2 Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft. Einführung in Thema und Debatte
10
In der Mediengesellschaft sind die Wähler von den politischen Akteuren fast aus-
schließlich indirekt über die Massenmedien
12
zu erreichen und zu mobilisieren. Diese
haben als ,,Mittler im politischen Willensbildungsprozess" (Schulz 1997: 171) eine
Schlüsselfunktion inne.
13
Sie sind also nicht nur Spiegel der Gesellschaft, sondern
gleichzeitig dynamischer Faktor mit politischer Bedeutung für die öffentliche Mei-
nungsbildung (vgl. Sarcinelli 2000: 25).
Der Begriff Mediengesellschaft ist allgegenwärtig und reiht sich ein in die Liste
mehr oder weniger treffender gegenwartsdiagnostischer Schlagworte, die unsere mo-
derne Gesellschaft charakterisieren sollen, wie z.B. Risikogesellschaft (Beck 1986),
Multioptionsgesellschaft (Gross 1994), Erlebnisgesellschaft (Schulze 1992) und Orga-
nisationsgesellschaft (Jäger/ Schimank 2005).
14
Dass es jedoch tatsächlich gerechtfertigt ist, von der modernen deutschen Medien-
gesellschaft zu sprechen, verdeutlicht folgendes:
15
Durchschnittlich genau zehn Stun-
den, so lange wie noch nie, verbrachte der Deutsche im Jahr 2005 täglich vor Fernsehen
oder Radio, mit den Printmedien, im Internet oder mit audiovisuellen Speichermedien.
Der Medienkonsum der deutschen Bürger ist seit 1980 um ca. 75% angestiegen. V.a.
die elektronischen Medien Fernsehen und Hörfunk haben davon profitiert: Ihr Anteil am
gesamten wachsenden Medienkonsum blieb in den letzten 25 Jahren stabil bei rund drei
Vierteln. In den letzten Jahren haben das Internet und die neuen digitalen Speicherme-
dien beachtlich aufgeholt. Sie konnten das Leitmedium Fernsehen aber (noch) nicht
vom Thron stoßen. Einzig die Tageszeitungen haben an Nutzungsdauer und Reichweite
verloren; ihr Anteil am gesamten medialen Budget beträgt nur noch 5% (1980: 11%).
12
,,Als Massenmedien [...] bezeichnet man die technischen Verbreitungsmittel für Massenkommunikation
[...], jener Sonderform zwischenmenschlicher Kommunikation, bei der nach der klassischen Definition
der Kommunikationswissenschaft ein `Kommunikator´ seine Aussagen öffentlich (d.h. prinzipiell jeder-
mann zugänglich), indirekt und einseitig (d.h. ohne die Möglichkeit der Beobachtung der Adressaten) an
ein anonymes, heterogenes und raum-zeitlich verstreutes `Publikum´ richtet." (Internetseite bpb: Mas-
senmedien; Hervorhebung durch d.V.). Mit Massenmedien werden in der vorliegenden Arbeit zum einen
Druckmedien (z.B. Zeitungen und Zeitschriften) bezeichnet, zum anderen elektronische Medien, die sich
wiederum aufteilen lassen in auditive Medien (z.B. Hörfunk) und audio-visuelle Medien (z.B. Fernsehen).
Das elektronische Medium Internet bzw. World Wide Web (WWW) stellt diese traditionelle Definition
vermehrt infrage (s. Punkt 5).
13
Das Bundesverfassungsgericht hat schon in seinem ersten Fernsehurteil die Massenmedien als ,,emi-
nenter Faktor der öffentlichen Meinungsbildung" (Sarcinelli 2005: 35) bezeichnet.
14
Das Buch ,,Mediengesellschaft. Strukturen, Merkmale, Entwicklungsdynamiken" von Imhof et al.
(2004) greift die aktuelle Debatte um diesen sozialwissenschaftlichen Terminus auf.
15
Im folgenden wird die Langzeitstudie ,,Massenkommunikation" von ARD und ZDF zitiert. Im Oktober
2005 wurden die Ergebnisse der neunten Befragungswelle zu Nutzung und Bewertung der Medien veröf-
fentlicht (vgl. Internetseite Media Perspektiven: Langzeitstudie ,,Massenkommunikation").

2 Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft. Einführung in Thema und Debatte
11
Teilhabe an öffentlicher Kommunikation und am gesellschaftlichen Leben sind ohne die
Massenmedien nicht mehr möglich.
16
Die Medien durchdringen alle gesellschaftlichen
Teilbereiche (Mediatisierung) und konstituieren die Gesellschaft maßgeblich mit, indem
sie Öffentlichkeit herstellen (vgl. Jarren/ Donges 2002a: 30). In diesem Zusammenhang
sprechen Sozialwissenschaftler auch von der ,,Informations- und Kommunikationsge-
sellschaft" (vgl. Schäfers 2001: 140ff.).
2.2.1 Gesellschaftlicher Wandel
Die kulturpolitischen Traditionslinien, an denen entlang die großen (Volks-) Parteien
entstehen konnten, sind inzwischen aufgebrochen. Einschneidende Veränderungen in
der politischen Kultur sind zu beobachten: Seit Anfang der 80er Jahre nimmt die Wahl-
beteiligung in der BRD kontinuierlich ab (vgl. Internetseite bpb: Wählerverhalten).
17
Eine wachsende Politik- und Parteienverdrossenheit macht den politischen Akteuren
seit Beginn der 1990er Jahre zu schaffen (vgl. Woyke 2005: 243). Die (großen) Parteien
klagen seitdem auch über Mitgliederschwund und mit einem Rückgang der Parteiidenti-
fikation nimmt die Stammwählerschaft
18
rapide ab.
19
Von der SPD in Auftrag gegebene Studien bestätigen diesen Trend: ,,Als Kernbe-
stand des SPD-Potenzials gelten 13 Prozent (Union: 12 Prozent), 12 Prozent werden als
Randwähler gezählt (Union: 11 Prozent)" (Ristau 2002: 154). Untersuchungen der
(christdemokratisch orientierten) Konrad-Adenauer-Stiftung geben ähnliche Prognosen
ab (vgl. ebd.).
Die alten, traditionell durch das jeweilige soziale Milieu bestimmten Parteibindun-
gen und damit auch die Bereitschaft, sich ehrenamtlich in einer Partei zu engagieren,
schwinden ,,im Laufe des Modernisierungs- und Individualisierungsprozesses" (Röm-
mele 2002: 29). Die Lebenswelten von Parteien und Wählern bezeichnet Ristau (2002:
141) als ,,heute weitgehend entkoppelt". Für den modernen, individualisierten
20
Wähler
16
Für Münch wird ,,Kommunikation ... zum strategischen Spiel, das über Erfolg und Misserfolg von
Individuen, Organisationen, gesellschaftlichen Gruppen und ganzen Gesellschaften entscheidet" (nach
Sarcinelli 2005: 34).
17
Nach Römmele (2002: 28) begannen die Veränderungen im Wählerverhalten in den westeuropäischen
Demokratien bereits in den 1960er Jahren.
18
,,Als Stammwähler werden Wähler bezeichnet, die eine stabile Bindung an `ihre Partei´ aufgebaut ha-
ben, und die daher von anderen Parteien kaum zu erreichen sind" (Woyke 2005: 242; Hervorhebung
durch d.V.).
19
Die Abnahme traditioneller Parteibindungen wird in der Wahlsoziologie mit dem Begriff Dealignment
bezeichnet (vgl. Schmitt-Beck 2002: 33).
20
Nach Schäfers (2001: 206f.) bedeutet Individualisierung, ,,dass Modernisierung einhergeht mit der
Herauslösung der einzelnen aus vielfältigen kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Bindungen."

2 Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft. Einführung in Thema und Debatte
12
stehen vielmehr kurzfristige Kosten-Nutzen-Abwägungen im Vordergrund: ,,Aus relativ
festgefügten Milieus und Parteibindungen, die Wahlentscheidungen der Bürger durch
sozialstrukturelle Variablen relativ gut prognostizierbar machten, sind stärker markt-
förmige Strukturen geworden, auf deren Basis `volatile´ Wähler ihre Optionen kurzfris-
tig, situationsgebunden und spontan realisieren" (Dörner/ Vogt 2002: 33).
Als wesentliche Gründe für diese dramatischen Veränderungen in den soziostruktu-
rellen Milieus sind der Einkommensanstieg seit den 1960er Jahren, die allgemeine Bil-
dungsexpansion und die Tertiärisierung im Wirtschaftssektor, aber auch das immer grö-
ßere Informations- und Medienangebot auszumachen (vgl. Sarcinelli 2000: 24, Schäfers
2001: 300). Im Zuge der Modernisierung entfalten sich neue Bevölkerungsgruppen, die
nicht mehr traditionell in bestimmte soziale Milieus eingebettet sind und die sich des-
halb nicht mehr einer bestimmten Partei zugehörig fühlen (vgl. Römmele 2002: 29).
21
Auf die Verschiebungen in den Wählersegmenten und der daraus resultierenden
großen Wechselwählerschaft
22
(bei Woyke (2005: 242) beträgt sie ein Drittel der Ge-
samtwähler) bzw. Nichtwählerschaft
23
muss sich Politik grundlegend einstellen. Auf
traditionelle Wählermilieus und loyales ,,Nicht-Hinterfragen" können sich die Parteien
schon lange nicht mehr verlassen.
24
Nach Ristau (2002: 141) gibt es ,,ein Prozent an
Politik Hochinteressierte, 10 Prozent Interessierte, 15 Prozent mäßig Interessierte, bis zu
75 Prozent kaum oder gar nicht Interessierte."
25
2.2.2 Medialer Wandel
Seit der Einführung des dualen Rundfunksystems mit dem Aufkommen der privaten
Rundfunkanstalten Mitte der 1980er Jahre hat sich das deutsche Mediensystem weiter
stark ausgeweitet und ausdifferenziert:
26
Aufgrund der Vervielfältigung der Programme
21
Neben diesem sozialen Erklärungsansatz gibt es noch den politischen Ansatz, der bei Römmele (2002:
29f.) weiter ausgeführt wird.
22
,,Als Wechselwähler werden jene Wähler bezeichnet, die bei zwei aufeinander folgenden gleichen
Wahlen [...] für verschiedene Parteien stimmten" (Woyke 2005: 242; Hervorhebung durch d.V.).
23
,,Die Wahlenthaltung ist in zunehmendem Maße das Ergebnis einer bewussten Entscheidung von poli-
tisch informierten Bürgerinnen und Bürgern. Der Anteil der Nichtwähler, die aus Interesselosigkeit oder
Gleichgültigkeit die Wahl meiden, ist gering" (Woyke 2005: 243; Hervorhebung durch d.V.).
24
Das Vertrauen der Wähler in die ,,Problemlösungskompetenz" der Parteien hat in den 90er Jahren dra-
matisch abgenommen (vgl. Woyke 2005: 119).
25
Der von Ristau (2002: 141) konstatierte hohe Anteil an politisch Desinteressierten widerspricht Woy-
kes (2005: 243) Bemerkungen zur Nichtwählerschaft. Diese konträren Sichtweisen verdeutlichen zu-
nächst das bis dato geringe Forschungsinteresse an den deutschen Nichtwählern.
26
Im folgenden wird in erster Linie auf das Leitmedium Fernsehen eingegangen. Von einer fortschreiten-
den Ausdifferenzierung und Kommerzialisierung sind natürlich auch die anderen Massenmedien betrof-
fen. Dem Internet wird ein ganzes Kapitel gewidmet (s. Punkt 5).

2 Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft. Einführung in Thema und Debatte
13
(und damit der verbreiteten Informationen) kämpfen nun unzählige Sender und Pro-
gramme um die Aufmerksamkeit des Massenpublikums. Es kam zu einem ,,Reichwei-
ten- und Autoritätsverlust" (Sarcinelli 2000: 28) der öffentlich-rechtlichen Sendeanstal-
ten, die nun in Konkurrenz zu den privaten, kommerziellen Sendern agieren müssen.
Gleichzeitig findet eine Konzentration der Medienunternehmen statt (vgl. Sarcinelli
2005: 35).
Diese Entwicklungen bleiben natürlich nicht ohne Folgen für das erfolgreiche Ver-
mitteln politischer Botschaften, besonders im Wahlkampf. So stellte Radunski bereits
im Jahr 1996 fest: ,,Aus dem Parteienwahlkampf ist der Fernsehwahlkampf geworden"
(nach Schulz 1997: 184). Das Leitmedium Fernsehen steht im Zentrum der Kampag-
nenplanung jeder Partei: Weil es eine große Reichweite hat, auch die politisch Desinter-
essierten erreicht, aktuell und (nach Ansicht vieler Zuschauer) glaubwürdig ist und auf-
grund seines audiovisuellen Formats viel Spielraum für Inszenierung und Personalisie-
rung lässt (vgl. ebd.).
Als Konsequenzen der quantitativen Ausweitung ergeben sich eine zunehmende
Ökonomisierung bzw. Kommerzialisierung und Liberalisierung des ausdifferenzierten
Medienmarktes.
27
Der harte Wettbewerb der Sender untereinander entspricht der Hand-
lungslogik des Mediensystems: Einschaltquote und Publikumsgeschmack, ökonomische
Kriterien also, werden relevanter bei der Selektion und Aufbereitung von Themen. Un-
terhaltungsformate (Entertainment) garantieren hohe Quoten und verdrängen die politi-
sche Information zunehmend. Da die Parteien in der BRD traditionell kaum über eigene
Medien verfügen, wird es für sie immer schwieriger, den Zugang zum Massenpubli-
kum, den Wählern, zu finden.
So ergibt sich seit den 1990er Jahren die Entwicklung, die Dörner (2001) mit dem
Begriff Politainment zutreffend beschrieben hat: Die politischen Akteure bedienen sich
unterhaltender, leicht konsumierbarer Programmformate (v.a. Talk- und Gameshows),
um im allgemeinen Aufmerksamkeitsgezerre nicht unterzugehen. Dörner und Vogt
(2002: 12) definieren Politainment als ,,eine Form der öffentlichen Kommunikation, in
der politische Themen, Akteure, Prozesse, Deutungsmuster, Identitäten und Sinnent-
würfe im Modus der Unterhaltung zu einer neuen Realität des Politischen montiert wer-
den. Diese neue Realität konstituiert den Erfahrungsraum, in welchem den Bürgern
heutzutage typischerweise Politik zugänglich wird." Besonders während dem Wahl-
27
Nach Jarren und Donges (2002a: 29) lassen sich diese Entwicklungen in allen westeuropäischen Län-
dern empirisch nachweisen.

2 Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft. Einführung in Thema und Debatte
14
kampf bedienen sich die politischen Akteure gerne unterhaltender Kommunikationssti-
le, um zunächst möglichst viel Aufmerksamkeit, dann möglichst große Zustimmung
und im Endeffekt möglichst viele Wählerstimmen und politische Macht zu gewinnen (s.
Punkt 2.4).
Politische Kommunikation findet also heute in einer ,,ebenso konzentrierten wie
hochgradig ausdifferenzierten und mehr und mehr den Gesetzen des Marktes unterlie-
genden elektronischen und Printmedienlandschaft" (Sarcinelli 2005: 30) statt. Mit den
veränderten gesellschaftlichen und medialen Rahmenbedingungen steigt die Bedeutung
der politischen Kommunikation, insbesondere im modernen Wahlkampf (vgl. Schemel
2004: 23). Die politischen Akteure reagieren auf diese komplexen Entwicklungen, die
mit den Begriffen Amerikanisierung oder Modernisierung bezeichnet werden (s. Punkt
2.4), mit der Ausbildung spezialisierter Funktionsrollen: Organisierte und professionelle
PR-Einheiten, die die Interaktionen zwischen politischem System und Mediensystem
bzw. politischer Öffentlichkeit herstellen und gestalten (s. Punkte 3 und 4).
2.3 Wissenschaftlicher Forschungsstand
Die politische Kommunikationsforschung hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem
hochproduktiven, interdisziplinären Forschungsfeld entwickelt.
28
Die beteiligten Dis-
ziplinen sind die Publizistik, Kommunikationswissenschaft, politische Soziologie, Poli-
tikwissenschaft und (Sozial-) Psychologie (vgl. Sarcinelli 2005: Vorwort).
Während man in den 1970er und 1980er Jahren v.a. die Defizite einer politischen
Kommunikationsforschung aufzeigte,
29
hat sich die wissenschaftliche Untersuchung
von Politikvermittlungsprozessen spätestens in den 1990er Jahren endgültig etablieren
können. Auflagenstarke Publikationen wie das Handbuch ,,Politische Kommunikation
in der demokratischen Gesellschaft" von Jarren et al. (1998), der Reader ,,Politikver-
mittlung und Demokratie in der Mediengesellschaft. Beiträge zur politischen Kommu-
nikationskultur" (Sarcinelli 1998) und die zwei Einführungsbände ,,Politische Kommu-
nikation in der Mediengesellschaft" von Jarren und Donges (2002a und b) haben zur
28
Bei der Thematisierung des wissenschaftlichen Forschungsstandes von politischer Kommunikation
konzentriert sich die Verfasserin im Rahmen der vorliegenden Arbeit auf die Situation in der BRD.
Franklin (1994), Newman (1994), Kavanagh (1995), Holbrook (1996), Shea (1996), Butler und Kavanagh
(1997), Schulz (1997), Filzmaier und Plasser (2001), Brunner (2002), Holtz-Bacha (2002), Jarren und
Donges (2002b), Römmele (2002) und Strohmeier (2002) und andere Autoren thematisieren die For-
schungslage in den USA und Großbritannien. Die meisten Untersuchungen behandeln Wahlkampagnen.
29
Dabei ist insbesondere der Politikwissenschaftler Kaase (1986, 1986 (mit Langenbucher) und 1989)
hervorzuheben, der mit seinen Schriften maßgeblich zur Weiterentwicklung der politischen Kommunika-
tionsforschung in Deutschland beigetragen hat.

2 Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft. Einführung in Thema und Debatte
15
Orientierung und wissenschaftlichen Auseinandersetzung in diesem Forschungsfeld
erheblich beigetragen.
Viele Fachzeitschriften aus unterschiedlichen Disziplinen beschäftigen sich weltweit
mit dem Forschungsgebiet politische Kommunikation und veröffentlichen regelmäßig
Beiträge und Studien.
30
Insgesamt ist die politische Kommunikationsforschung geprägt von einer Vorliebe
für das Leitmedium Fernsehen (vgl. Saxer 2000: 33)
31
und einer Konzentration auf die
kommunikativen Sondersituationen moderner Wahl-Kampagnen und ­Kämpfe.
32
Die
Wahlkampfforschung nimmt in der wissenschaftlichen Debatte seit jeher eine Vorreiter-
rolle ein, nicht zuletzt wegen der besonderen kommunikativen Dichte der Politikver-
mittlung im Wahlkampf (vgl. Sarcinelli 2000: 22).
33
Dabei überwiegt die ,,aktualitäts-
zentrierte Perspektive" (Sarcinelli 2005: 23): Untersuchungen über kurzfristige kom-
munikative Sondersituationen (z.B. Wahlkampagnen) werden den aufwendigeren Lang-
zeitstudien (die die Prozessdimension politischer Kommunikation aufzeigen können)
meist vorgezogen (vgl. Saxer 2000: 32f.).
Das führt zwangsläufig zu einer großen Anzahl von mikro-analytischen, punktuellen
Forschungsprojekten,
34
deren Ergebnisse nicht selten einfach auf die Makro-Ebene von
politischer Kommunikation übertragen und mit meist pessimistischen Zukunftsprogno-
sen versehen werden (vgl. Sarcinelli 2005: 22ff.). Sarcinelli (2005: 24) befürchtet eine
,,kurzsichtige Weitsichtigkeit, wenn es um die Einschätzung der politischen Folgen der
Mediatisierung [...] von Politik geht." Jarren und Donges (2002a: 35) beklagen die Ver-
nachlässigung der Organisations- bzw. Akteursstruktur, also der Mesoebene, v.a. inner-
halb der Publizistik und Kommunikationswissenschaft.
Die Veränderungen im Beziehungsgeflecht zwischen politischem und medialem
Teilsystem werden seit längerem kontrovers (und nicht ganz frei von Ideologie) disku-
30
Hier eine kleine Auswahl: "Political Communication", "Communications", "Campaigns and Electi-
ons", "European Journal of Communication", "Journal of Political Communication", "Party Politics",
"International Review of Sociology", "Journal of Communication".
31
Die Printmedien werden, gemessen am vergleichbar höheren Grad der politischen Wissensvermittlung,
eher vernachlässigt.
32
Studien zu den Wahlkämpfen 1998 und 2002 in der BRD bieten u.a. Strohmeier (2002), Brettschneider
et al. (2004), Holtz-Bacha (1999, 2003), Schicha (2003) und Bergmann (2002).
33
Jedoch lassen sich Wahlkampfzeiten und wahlfreie Zeiten in der Mediengesellschaft kaum noch sinn-
voll voneinander abgrenzen (,,Nach der Wahl ist vor der Wahl"), nicht zuletzt aufgrund der häufigen
Kommunal- und Landtagswahlen. Der Kampf um die Aufmerksamkeit der Bürger ist im permanenten
Wahlkampf längst zum politisch-medialen Alltagsgeschäft geworden (vgl. Dörner 2001: 112). Aber im
Wahlkampf werden allgemeine Trends und Entwicklungen der politischen Kommunikation besonders
evident.
34
Die Wirkungsforschung auf der Mikroebene wahlkommunikativer Forschung ist bereits ausführlich
und differenziert beschrieben worden (vgl. Saxer 2000: 42f.).

2 Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft. Einführung in Thema und Debatte
16
tiert: Für Hofmann verkommt die Politik zu einer ,,Sparte der Unterhaltungsindustrie"
(nach Sarcinelli 2000: 23), und Kepplinger (1998) macht eine ,,Demontage der Politik"
aus. Was Meyer (1994) medienkritisch als ,,Transformation des Politischen" bezeichnet,
stellt für Sarcinelli (2000: 23) zunächst eine ,,politische Gewichtsverschiebung" dar:
,,Institutionelle Politik verliert an Gewicht, zugleich kommt dem Medialen, der Politik-
vermittlung, der `Darstellung´ von Politik, wachsende Bedeutung zu" (ebd.).
In der Wissenschaft bestehen also verschiedene Ansichten und Positionen zum Ver-
hältnis von Politik und Medien:
35
Die Vertreter des normativ ausgerichteten Gewalten-
teilungsparadigmas sehen in den Medien eine vom politischen System unabhängige
Instanz politischer Kontrolle, eine 4. Gewalt im Staat (vgl. Jarren/ Donges 2002a: 26).
Das Instrumentalisierungsparadigma dagegen geht von einem ,,Dependenz-Dominanz-
Verhältnis" (ebd.) der beiden Teilsysteme aus; die eine Seite konstatiert eine Übermacht
der Massenmedien, die andere Seite will eine Übermacht des politischen Systems beo-
bachten. Die heute dominierende Sichtweise in der politischen Kommunikationsfor-
schung ist die, dass die komplexen Interaktionen zwischen Medien und Politik ein
Handlungssystem hervorrufen, dass von Interdependenz und Symbiose (s. Punkt 2.2)
gekennzeichnet ist (vgl. Saxer 2000: 41, Jarren/ Donges 2002a: 27).
36
Was wohl in naher Zukunft von der politischen Kommunikationsforschung zu er-
warten ist, sind in erster Linie komplexe Langzeitstudien. Interessant wäre hierbei auch
eine engere Verknüpfung der zwei Seiten politischer Kommunikation, also der medien-
öffentlichen, nach außen gerichteten Darstellungsseite und der bislang oft vernachläs-
sigten Binnenkommunikation der Herstellungsseite von Politik; bislang wurde hier eine
künstliche Trennung aufrecht erhalten. Internationale Vergleichsstudien kommen lang-
sam auf,
37
müssen aber zukünftig in noch größerem Ausmaß verfolgt werden (vgl. Sa-
xer 2000: 32). Empirische Erhebungen zur politischen Kommunikation des politischen
Alltagsgeschäfts wären eine sinnvolle Ergänzung zu den beliebten Wahlkampfstudien.
Ebenso müssen neue Medien wie das Internet, v.a. im Hinblick auf direkte, dialogorien-
tierte Kommunikation zwischen politischen Akteuren und Wählern, verstärkt erforscht
werden. Ein weiteres noch weitgehend unerschlossenes Forschungsfeld sind die (meist
35
Jarren und Donges (2002a: 25ff.) beschäftigen sich ausführlich mit den Paradigmen des Verhältnisses
zwischen Medien und Politik.
36
Sarcinelli (2005: 71) erklärt die Beziehung zwischen Politik- und Mediensystem pragmatisch als ,,eine
oft diskrete symbiotische Beziehung, eine Art Tauschverhältnis mit wechselseitigen Abhängigkeiten.
Publizität wird gegen Information getauscht." Dies konnte er unlängst empirisch untermauern (s. Sarci-
nelli 2005: 71ff.)
37
Zum Beispiel die Studien von Butler und Ranney (1992), Swanson und Mancini (1996), LeDuc et al.
(1996), Schmitt-Beck (2000), Esser und Pfetsch (2003) und Dalton (2005).

2 Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft. Einführung in Thema und Debatte
17
nicht-öffentlichen) Interaktionen zwischen Journalisten, Politikern und politischen Öf-
fentlichkeitsarbeitern.
38
2.4 Amerikanisierung oder Modernisierung der politischen Wahlkom-
munikation?
,,Aus einer modernisierungstheoretischen Position ist die `Amerikanisierung´ Konsequenz
eines anhaltenden Strukturwandels in Politik, Gesellschaft und Medien. Dies führt zu einem
höheren Grad an Professionalisierung und Stabilisierung, der in der fortgeschrittensten me-
dienzentrierten Demokratie, den USA, am weitesten ausgeprägt ist und dementsprechend
als Vorbild dient" (nach Schicha 2003: 37).
Seit Beginn der 1990er Jahre konstatieren Wahlkampfbeobachter einen Wandel der
Wahlkommunikation in Deutschland, der unter dem mediengerechten Schlagwort Ame-
rikanisierung zusammengefasst wird (vgl. Bergmann 2002: 303). Dieser Wandel be-
zeichnet einen Wegfall traditioneller deutscher bzw. westeuropäischer Wahlkampfme-
thoden und eine Übernahme ,,typisch amerikanischer" Kampagnenmerkmale.
Plasser (2000: 53) bezeichnet die USA als ,,Prototyp einer medienzentrierten Demo-
kratie": Permanenter Wahlkampf, Professionalität der Politikberater, Spin Doctors (s.
Punkt 2.4.1) und Demoskopen, starke Nutzung von Inszenierung sowie Negative Cam-
paigning (s. ebd.) und ein weit verbreiterter Negativismus in der politischen Medienbe-
richterstattung prägen besonders im Wahlkampf die politische Kommunikation dort seit
den 70er Jahren (vgl. Bergmann 2002: 302f.). Hinzu kommt eine extreme Ausrichtung
an den Selektions- und Aufmerksamkeitsregeln der Massenmedien, die (abgesehen vom
öffentlich geförderten Sender PBS) gänzlich privat und somit wirtschaftlich organisiert
sind (vgl. Plasser 2000: 57). Für Scammell sind die USA sogar ein "role model of cam-
paigning" (nach Plasser 2000: 60; Hervorhebungen im Original).
2.4.1 Merkmale
Personalisierung, Mediatisierung und Professionalisierung sind zwar auch in Deutsch-
land keine völlig neuen Phänomene politischer Kommunikation,
39
sie haben aber in den
letzten Jahren massiv an Bedeutung gewonnen.
40
38
Hier konnte Sarcinelli (2005: 71f.) mit seinem Forschungsprojekt ,,Politische Inszenierung als symbio-
tische Interaktion" bereits etwas Licht ins Dunkel bringen.
39
Ein Beispiel für die Personalisierung: Der SPD-Slogan im Bundestagswahlkampf 1972 lautete: ,,Willy
wählen!" (vgl. Meckel 2004: 42). Willy Brandt war Kanzlerkandidat der SPD.

2 Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft. Einführung in Thema und Debatte
18
2.4.1.1 Personalisierung
Politische Inhalte und Parteiideologien treten zugunsten der Spitzenkandidaten der Par-
teien in den Hintergrund der Kampagne. Wichtiger werden individuelle Personeneigen-
schaften wie Charisma, Kompetenz und Führungsstärke, aber auch Telegenität und Me-
diengewandtheit. Insbesondere durch den ,,Zeigezwang" des Leitmediums Fernsehen
bestimmt die Professionalität der Selbstdarstellung eines Politikers nicht selten seinen
politischen Erfolg. Die zentralen Botschaften der Parteien sollen durch die politischen
Akteure verkörpert werden. Im Zuge des Personalisierungstrends wird der Wahlkampf
immer mehr zum dramatischen Kandidatenwettstreit ("Horse Race"), wobei der Amts-
inhaber zumeist einen strategischen Vorteil hat. Selbst die Demoskopen konzentrieren
sich in ihren wöchentlichen Meinungsumfragen auf die jeweiligen Kandidaten und ver-
nachlässigen komplexe politische Themen und Inhalte.
2.4.1.2 Mediatisierung
Politische Kommunikation und Politikvermittlung finden heute weitestgehend über die
Massenmedien statt. Deshalb richten die politischen Akteure ihre Wahlkampagnen im-
mer mehr an der Handlungslogik des Mediensystems, dessen Nachrichtenfaktoren und
Formaten, und insbesondere des Fernsehens aus (vgl. Schulz 1997: 189). "How so-
mething is communicated is prior to what is communicated" (Römmele 2002: 31): Jeder
kommunizierte Inhalt muss sich der spezifischen Logik des vermittelnden Mediums
anpassen. Die politische bzw. soziale Wirklichkeit verschmilzt zunehmend mit der Me-
dienrealität (vgl. Jarren/ Donges 2002a: 31).
2.4.1.3 Professionalisierung
Die strategische Planung und Umsetzung der Wahlkampagnen findet zum großen Teil
nicht mehr nur in den Parteizentralen statt, sondern diese wird vermehrt auf berufsmä-
ßige, professionelle Kommunikationsexperten, Medienberater ("Political Consultants")
sowie Werbe- und PR-Agenturen, ausgelagert (vgl. Schulz 1997: 186f.). Deren Haupt-
aufgaben liegen u.a. darin, das Image des Spitzenkandidaten und die Beziehungen zwi-
schen politischer Partei und Medien zu optimieren.
40
Bei den folgenden Ausführungen zu den Merkmalen von Amerikanisierung (2.4.1.1-2.4.1.3) habe ich
mich orientiert an der Internetseite der bpb: Amerikanisierung.

2 Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft. Einführung in Thema und Debatte
19
In den USA (und zunehmend auch in Westeuropa) werden die externen Wahlkampfbe-
rater Spin Doctors
41
genannt; sie sind dafür zuständig, der medialen Berichterstattung
durch gutes Ereignis- und Themenmanagement hinter den Kulissen einen letzten ,,Dreh"
zu geben, diese also im Sinne der jeweiligen Partei zu beeinflussen (vgl. Woyke 2005:
119).
42
Ein weiterer US-Trend, der in Westeuropa langsam Fuß fasst, ist das Negative
Campaigning, der Angriffswahlkampf: Hier geht es nicht darum, die eigenen Positionen
und Ziele positiv herauszustellen, sondern die Schwächen der konkurrierenden Akteure
in den Vordergrund zu rücken. Die Angriffe auf den politischen Gegner sollen die eige-
ne Position stärken. Ein schnelles und angemessenes Reagieren auf die (persönlichen
oder politischen) Attacken des Gegners sind unabdingbar, damit im schnellen Medien-
geschäft die eigene Darstellung (und nicht nur die des Konkurrenten) wahrgenommen
wird.
2.4.2 Die Kontroverse
Eine erbitterte und nicht ganz ideologiefreie Diskussion um die Wahlkampfkommunika-
tion in Deutschland bzw. Westeuropa der jüngsten Zeit spaltet die politische Kommuni-
kationsforschung: Die kritischen Wahlkampfbeobachter, die mit der Amerikanisierung
Verflachung und Entpolitisierung gleichsetzen, stehen denen gegenüber, die von den
modernen, professionellen Methoden und Strategien der Spin Doctors und Political
Consultants schwärmen.
Die lautesten Stimmen in dieser normativ aufgeladene Debatte beklagen den ,,Ver-
fall der politischen Kultur durch zunehmende `Amerikanisierung´ der Politikvermitt-
lung" (Sarcinelli 2000: 19) sowie ,,die Inhaltslosigkeit von Wahlkampagnen, die Reduk-
tion von Politik auf Fernseh-Personality-Shows und Sympathiewettbewerbe wie über-
haupt die Entertainisierung des Politischen" (ebd.).
Aber: Ist die Amerikanisierung wirklich ein Trend der Politik der Moderne? Ist Poli-
tik an sich und insbesondere die Vermittlung von Politik in repräsentativen Demokra-
tien überhaupt möglich ohne Inszenierung und Personalisierung? Wie sah z.B. die öf-
fentliche Darstellung von Politik und politischen Akteuren in der Antike aus? Politik-
vermittlung fand damals anhand der klassischen Rhetorik statt, und Inszenierung auf der
41
Bei Esser (2000: 17) wird der Spin Doctor beschrieben als "someone, especially in politics, who tries to
influence public opinion by putting a favourable bias on information presented to the public or to the
media."
42
Die prominentesten Spin Doctors sind James Carville, George Stephanopoulos und Dick Morris, die
alle Berater von US-Präsident Clinton (1993-2001) waren (vgl. Esser 2000: 20f.).

2 Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft. Einführung in Thema und Debatte
20
politischen Bühne war den Politikern damals auch nicht fremd (vgl. Meckel 2004: 45).
Heute übernehmen die Massenmedien einen Großteil dieser Arbeit.
In diesem Sinne konstatiert Sarcinelli (2005: 28): ,,Natürlich hat sich hier einiges
verändert, was mit der Rolle des Fernsehens und einem verschärften Aufmerksamkeits-
wettbewerb zu tun hat. Aber personalisiert waren alle Bundestagswahlkämpfe. Kandida-
tenduelle hat es auch früher schon gegeben, auch wenn sich Plattformen, Formate und
Wirkungsweisen geändert haben." Auch Wiebusch (2000: 78) stellt fest: ,,Politische
Inszenierungen sind keine neue Erfindung. Es gab sie zu allen Zeiten. Allerdings sind
die Anforderungen an diese Art der Informationsvermittlung gestiegen. Vor allem die
wachsende Macht der Bilder und das enorme Unterhaltungsbombardement via Fernse-
hen hat die Anforderungen an Kommunikationskompetenz und öffentliches Auftreten
maßgeblich verändert." Avenarius (2002: 56) widmet sich den politischen Akteuren:
,,Der Ausdruck `Spin Doctor´ ist neu, die Sache uralt. Seit Jahr und Tag gibt es die enge
Symbiose der Politiker mit ihren Kommunikationsberatern; in Deutschland wie in den
USA. Wenn hier wie anderswo immer wieder von einer `Amerikanisierung´ gesprochen
wird, dann ist dies der Jugendlichkeit der Autoren oder ihrer historischen Halbbildung
geschuldet."
2.4.3 Wissenschaftlicher Forschungsstand
Die wenigen vorliegenden internationalen Vergleichsstudien, u.a. von Swanson und
Mancini (1996) und Farrell (1996), belegen eine forschreitende Professionalisierung,
Personalisierung und Mediatisierung der Politikvermittlung in Westeuropa (vgl. Plasser
2000: 56).
43
Für Deutschland nennt Plasser (ebd.) u.a. die Arbeiten von Pfetsch und
Schmitt-Beck (1994b), Jarren und Bode (1996), Radunski (1996), Schönbach (1996),
Kepplinger (1998), Holtz-Bacha und Kaid (1996) und Donsbach (1996).
44
In der politisch-kommunikationswissenschaftlichen Forschung haben sich seit den
1990er Jahren zwei konträre Meinungen darüber gebildet, wie diese Veränderungen zu
erklären sind: Die Vertreter der diffusionstheoretischen Sichtweise wollen einen ,,ge-
richteten (einseitigen) Konvergenzprozess" (Plasser 2000: 50) von der Wahlkommuni-
kation in den USA hin zu der in Europa ausgemacht haben. Diese Vorstellung eines
43
Weitere Studien zu westeuropäischen Ländern nennt Plasser (2000: 56).
44
Kamps (2000) und Wagner (2005) befassen sich sowohl theoretisch als auch empirisch mit der Ent-
wicklung deutscher Wahlkämpfe unter dem Aspekt der Amerikanisierung und stellen so die aktuelle
wissenschaftliche Diskussion ausführlich dar.

2 Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft. Einführung in Thema und Debatte
21
exogenen Übertragungsprozesses kann mit dem Begriff Amerikanisierung zutreffend
beschrieben werden.
Die Modernisierungstheoretiker dagegen machen den länderimmanenten Struktur-
wandel der Systeme Politik, Gesellschaft und Medien als Quelle einer Professionalisie-
rung der Wahlkommunikation aus, der in den USA früher einsetzte als in Europa (und
anderen Teilen der Welt). Hier werden also endogene Prozesse und eine ungerichtete
Konvergenz für die zunehmende Ähnlichkeit der medienfokussierten amerikanischen
und westeuropäischen Wahlkampfpraxis verantwortlich gemacht (vgl. Plasser 2000:
50f.). Der Begriff Amerikanisierung wird hier durch Modernisierung ersetzt.
Ein wichtiges Argument für die Modernisierungsthese ist: Die strukturellen Rah-
menbedingungen der politischen Systeme in den USA und in Europa bzw. Deutschland
unterscheiden sich grundsätzlich voneinander (vgl. Plasser 2000: 57).
45
Aus diesem
Grund kritisiert Sarcinelli (2000: 29; Hervorhebungen im Original) ,,die unkritische
Übertragung amerikanischer Befunde und die mangelnde Berücksichtigung des spezifi-
schen politischkulturellen Kontextes europäischer Systeme."
Da also nur von punktuellen Überschneidungen der politischen Wettbewerbs-
bedingungen in den USA und Westeuropa ausgegangen werden kann, ist eine komplette
Übernahme amerikanischer Wahlkampfmethoden nicht anzunehmen. Der Begriff Ame-
rikanisierung führt in die Irre, da die entsprechenden Veränderungen zwar in den USA
am stärksten ausgeprägt sind, jedoch in allen westlichen Demokratien beobachtet wer-
den. Der Begriff Modernisierung beschreibt die Entwicklungen in der Wahlkampf-
kommunikation einzelner Länder wesentlich adäquater: Er berücksichtigt den Wandel
der politischen, gesellschaftlichen und medialen Strukturbedingungen (vgl. Bergmann
2002: 311f.) und die fortschreitende Professionalisierung des Managements politischer
Kommunikation.
Nachdem eine umfassende Einführung in das Themengebiet der vorliegenden Arbeit
gegeben wurde, dient das folgende Kapitel der theoretischen Rahmensetzung.
45
Plasser et al. (1999) verglichen die Wahlkommunikation 16 europäischer Länder mit der in den USA
und konnten nur punktuelle Übereinstimmungen der institutionellen Rahmenbedingungen ausmachen.
Demnach herrscht in Europa mehrheitlich noch das traditionelle parteienzentrierte und staatlich finanzier-
te Wahlkampfmodell vor. Daraus schließt Plasser (2000: 57f.): ,,Blickt man auf die institutionellen Rah-
menbedingungen, dann sind einer `Amerikanisierung´ des politischen Wettbewerbs in Europa enge Gren-
zen gesetzt [...]".

3 Theoretische Grundlagen der Analyse politischer Kommunikation
22
3 Theoretische Grundlagen der Analyse politischer Kommunikation
,,Nur Systeme zu betrachten, verschließt freilich den Blick auf den Mikrokosmos sozialer
Wirklichkeit. Wenn Kommunikation, wie auch Systemtheoretiker Luhmannscher Prägung
konzedieren, nur durch strukturelle Kopplung an das individuelle Bewusstsein von Men-
schen möglich wird, müssen psychische Systeme Gegenstand einer sozialwissenschaftli-
chen Analyse von [...] Öffentlichkeitsarbeit bleiben. Statt individuelle Akteure auszugren-
zen, ist eine Annäherung system- und akteurbezogener Denkansätze erforderlich, ohne die
Einsicht in die operative Geschlossenheit von Sinnsystemen preiszugeben" (Löffelholz
2000: 207).
In der vorliegenden Diplomarbeit wird den neueren sozialwissenschaftlichen Versuchen
nachgegangen, System- und Handlungstheorie sinnvoll miteinander zu verbinden.
46
Die
so genannten Akteurstheorien
47
arbeiten zwar mit dem systemtheoretischen Begriffsap-
parat, stellen aber das Handeln der beteiligten Akteure in das Zentrum ihrer Analyse
(vgl. Jarren/ Donges 2002a: 71). Dabei spielen Variablen wie Ziele, Interessen, Präfe-
renzen, Strategien und situationsgebundenes Verhalten eine zentrale Rolle. Sinn und
Zweck dieses Ansatzes ist es, die Vorteile beider Beschreibungsinstrumente zu nutzen
und die Defizite gegeneinander aufzuheben.
Der im folgenden dargelegte theoretische Rahmen soll im empirischen Teil der Ar-
beit als Instrument und Werkzeug zur Erklärung des Handelns der politischen PR-
Akteure dienen.
3.1 System- und Handlungstheorie als Erklärungsmodelle politischer Kommuni-
kation
Die Soziologie kann auf eine große Palette unterschiedlicher Theorieansätze und Analy-
semodelle zur Erklärung sozialer Tatbestände
48
zurückgreifen. Die zwei großen sozial-
wissenschaftlichen Paradigmen, die Handlungs- und die Systemtheorie,
49
vereinigen
46
Dabei sind besonders die Arbeiten von Schimank (v.a. 1996, 1999 (mit Volkmann), 2002) hervorzuhe-
ben. Die Verfasserin orientiert sich bei der Theoriebildung jedoch v.a. an dem Text ,,Politische Öffent-
lichkeit. Ein system- und akteurstheoretischer Bestimmungsversuch" von Gerhards (1994).
47
Hier wird die Synthese von Makro- und Mikroanalyse Akteurstheorie (wie auch z.B. bei Jarren und
Donges 2002a: 60ff.) genannt, um die Abgrenzung zu mikroanalytischen Ansätzen deutlich zu machen.
Schimank (1996) und Gerhards (1994) dagegen bezeichnen die mikroanalytischen Erklärungsansätze
(hier: Handlungstheorie) als Akteurstheorie.
48
In seiner klassischen Definition soziologischer Tatbestände konstatiert Durkheim (nach Jarren/ Donges
2002a: 68): ,,Sie bestehen in besonderen Arten des Handelns, Denkens und Fühlens, die außerhalb der
Einzelnen stehen und mit zwingender Gewalt ausgestattet sind, kraft deren sie sich ihnen aufdrängen."
49
Schimank (1996: 205) beschreibt diesen theoretischen Dualismus als "the two sociologies": Das eine
Paradigma beschreibe "social action", das andere das "social system".

3 Theoretische Grundlagen der Analyse politischer Kommunikation
23
unter sich jeweils wieder unterschiedliche Ansätze (vgl. Gerhards 1994: 78f.).
50
Beide
Erklärungsinstrumente befassen sich auch mit Fragen der politischen Kommunikation,
wobei jeweils unterschiedliche Fragestellungen auf verschiedenen Analyseebenen ver-
folgt werden.
3.1.1 Systemtheoretische Analyse politischer Kommunikation
Die allgemeine (Luhmannsche) Systemtheorie untersucht auf der Makroebene die Struk-
turen und Funktionen moderner gesellschaftlicher Teilsysteme
51
, die die Handlungen
der Akteure und Individuen determinieren, um abstrakte und gesamtgesellschaftlich
gültige Hypothesen zu entwickeln (vgl. Jarren/ Donges 2002a: 45).
52
Die systemtheoretische Analyse politischer Kommunikation ist in der Lage, die
Herausbildung hochgradig spezialisierter medialer und politischer Teilsysteme und de-
ren komplexe Interdependenzen zu berücksichtigen. Aus systemtheoretischer Perspekti-
ve sind die Massenmedien wie auch das politische System ein eigenes soziales System
mit eigener Systemlogik und Funktion.
Öffentlichkeit, die v.a. durch das Mediensystem (Medienöffentlichkeit) hergestellt
wird, kann als intermediäres
53
System der gegenseitigen Beobachtung der Akteure ver-
standen werden. Über Öffentlichkeit findet politische Kommunikation und Meinungs-
bildung statt. Die Hauptfunktion von Öffentlichkeit besteht also in der Selbst- und
Fremdbeobachtung der gesellschaftlichen Teilsysteme (vgl. Sarcinelli 2005: 34).
54
Nach Luhmanns Ansatz selbstreferentieller Systeme (Autopoiesis) ist Kommunika-
tion das Grundelement, aus dem soziale Systeme bestehen (vgl. Jarren/ Donges 2002a:
57). Kommunikation ist nicht einfach ein Prozess der Übertragung von A nach B, son-
dern lässt sich in einen Selektionsprozess von Information, Mitteilung und Verstehen
aufspalten, und ,,nur dann, wenn auf Kommunikation eine Kommunikation (die soge-
50
Bei Schäfers (2001: 340-361) werden die bedeutendsten soziologischen Theorien ausführlich erläutert.
51
,,Als System wird eine Menge von untereinander abhängigen Elementen und Beziehungen verstanden.
Dabei handelt es sich um eine theoretische Konstruktion" (Jarren/ Donges 2002a: 46; Hervorhebung
durch d.V.).
52
Die Systemtheorien können in die Kategorien Strukturfunktionalismus (Parsons), Funktionsstruktura-
lismus (Luhmann), Autopoiesis (Luhmann) und Interpenetration (Münch) eingeteilt werden (vgl. Jarren/
Donges 2002a: 46). Für die Analyse von politischer Kommunikation ist wohl die Systemtheorie Luh-
mannscher Prägung am bedeutendsten.
53
Intermediär bedeutet hier, dass die Öffentlichkeit in erster Linie eine Vermittlungsfunktion zwischen
den einzelnen Teilsystemen erfüllt.
54
In diesem Sinne konstatiert Löffelholz (2000: 203): ,,Öffentlichkeit ist im Zuge der funktionalen Diffe-
renzierung der Gesellschaft entstanden, um die wechselseitige Beobachtung von Sinnsystemen zu ermög-
lichen und deren Fähigkeiten zur Selbstbeobachtung zu erhöhen."

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2006
ISBN (eBook)
9783832496913
ISBN (Paperback)
9783838696911
Dateigröße
2 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Philipps-Universität Marburg – Gesellschaftswissenschaften und Philosophie, Soziologie
Note
1,3
Schlagworte
public relations wahlkampf politik akteurstheorie
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Titel: Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft
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