Das Nachbarsprachenmodell in der Praxis
Einstellungen und Motivation zum Erlernen der 2. Fremdsprache, untersucht am binationalen / bilingualen Augustum-Annen-Gymnasium Görlitz
©2006
Magisterarbeit
144 Seiten
Zusammenfassung
Inhaltsangabe:Einleitung:
Das Ziel der vorliegenden Arbeit besteht darin, die Motivation zum Erlernen der polnischen bzw. deutschen Sprache im binationalen-bilingualen Zweig des Augustum-Annen-Gymnasiums Görlitz zu erforschen sowie die Motivation im Sachfachunterricht mit bilingualen Modulen.
Bilingualer Unterricht findet heutzutage immer mehr Zuspruch. Mit dieser Arbeit soll aufgezeigt werden, welche Einstellung die deutschen/polnischen Schüler zum binat.-biling. Bildungszweig haben und inwieweit die Kontakte zu Polen bzw. Deutschland einen Einfluss auf die Sprachwahl hatten.
Im Weiteren soll untersucht werden, wie die Schüler selbst als Teilnehmende ihren Unterricht beurteilen, welche Schwierigkeiten der bilinguale Sachfachunterricht mit sich bringt und welche Vorteile sie darin sehen. Darüber hinaus sollte in Erfahrung gebracht werden, ob bilingualer Unterricht auch das Verhalten und Interessen der Schüler beeinflusst, sie beispielsweise dazu ermutigt, Kontakte mit polnischen/deutschen Gleichaltrigen zu suchen oder polnische/deutsche Medien zu nutzen.
Im Blick auf das gemeinsame Lernen der deutschen und polnischen Schüler in einem Klassenzimmer war für diese Studie auch von Interesse, welchen Einfluss dieser Faktor auf die Einstellungen der anderen gegenüber ausübt.
Die vorliegende Arbeit besteht aus sieben Kapiteln, wobei das erste und das letzte Kapitel der Einleitung bzw. der Zusammenfassung vorbehalten sind. Der Einleitung ist das Vorwort vorangestellt.
Im zweiten Kapitel werden bildungspolitische Rahmenbedingungen für das Erlernen von Fremdsprachen sowie verschiedene Aspekte der Vermittlung von Mehrsprachigkeit in Grenzregionen (das Nachbarsprachenmodell) erörtert. Das 3. Kapitel stellt eine komprimierte Skizze der Entwicklung und Struktur der bilingualen Bildungsangebote in Deutsch-Polnischem Kontext dar. Der theoretische Teil zur Bildungspolitik, unter besonderer Berücksichtigung der Grenzregion Görlitz erklärt, weswegen es bilinguale Bildungsgänge überhaupt gibt.
Schwerpunkt des Theorieteils ist das darauf folgende Kapitel zur Motivationsforschung, in dem sowohl unterschiedliche Motivationskonzeptionen für den Fremdsprachenunterricht als auch Motivationen der Lerner für die Verwendung einer Fremdsprache im Sachfachunterricht in Bezug auf verschiedene Fachliteratur analysiert werden. Daraus ergeben sich die theoretischen Grundlagen für die nachfolgende empirische Untersuchung der Motive und Einstellungen.
Darauf folgt die […]
Das Ziel der vorliegenden Arbeit besteht darin, die Motivation zum Erlernen der polnischen bzw. deutschen Sprache im binationalen-bilingualen Zweig des Augustum-Annen-Gymnasiums Görlitz zu erforschen sowie die Motivation im Sachfachunterricht mit bilingualen Modulen.
Bilingualer Unterricht findet heutzutage immer mehr Zuspruch. Mit dieser Arbeit soll aufgezeigt werden, welche Einstellung die deutschen/polnischen Schüler zum binat.-biling. Bildungszweig haben und inwieweit die Kontakte zu Polen bzw. Deutschland einen Einfluss auf die Sprachwahl hatten.
Im Weiteren soll untersucht werden, wie die Schüler selbst als Teilnehmende ihren Unterricht beurteilen, welche Schwierigkeiten der bilinguale Sachfachunterricht mit sich bringt und welche Vorteile sie darin sehen. Darüber hinaus sollte in Erfahrung gebracht werden, ob bilingualer Unterricht auch das Verhalten und Interessen der Schüler beeinflusst, sie beispielsweise dazu ermutigt, Kontakte mit polnischen/deutschen Gleichaltrigen zu suchen oder polnische/deutsche Medien zu nutzen.
Im Blick auf das gemeinsame Lernen der deutschen und polnischen Schüler in einem Klassenzimmer war für diese Studie auch von Interesse, welchen Einfluss dieser Faktor auf die Einstellungen der anderen gegenüber ausübt.
Die vorliegende Arbeit besteht aus sieben Kapiteln, wobei das erste und das letzte Kapitel der Einleitung bzw. der Zusammenfassung vorbehalten sind. Der Einleitung ist das Vorwort vorangestellt.
Im zweiten Kapitel werden bildungspolitische Rahmenbedingungen für das Erlernen von Fremdsprachen sowie verschiedene Aspekte der Vermittlung von Mehrsprachigkeit in Grenzregionen (das Nachbarsprachenmodell) erörtert. Das 3. Kapitel stellt eine komprimierte Skizze der Entwicklung und Struktur der bilingualen Bildungsangebote in Deutsch-Polnischem Kontext dar. Der theoretische Teil zur Bildungspolitik, unter besonderer Berücksichtigung der Grenzregion Görlitz erklärt, weswegen es bilinguale Bildungsgänge überhaupt gibt.
Schwerpunkt des Theorieteils ist das darauf folgende Kapitel zur Motivationsforschung, in dem sowohl unterschiedliche Motivationskonzeptionen für den Fremdsprachenunterricht als auch Motivationen der Lerner für die Verwendung einer Fremdsprache im Sachfachunterricht in Bezug auf verschiedene Fachliteratur analysiert werden. Daraus ergeben sich die theoretischen Grundlagen für die nachfolgende empirische Untersuchung der Motive und Einstellungen.
Darauf folgt die […]
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
2
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort
4
1.
Einleitung
6
1.1.
Zielsetzung
6
1.2.
Inhaltliche Leitlinien der Arbeit
6
1.3.
Methodisches Vorgehen
8
2.
Förderung der Mehrsprachigkeit in Europa
9
2.1.
Bildungspolitische Rahmenbedingungen für das Erlernen
von Fremdsprachen
10
2.1.1. Stellung der Sprachen in den Lehrplänen der Europäischen Union
10
2.1.2. Fremdsprachenunterricht an deutschen und polnischen Schulen
13
2.2.
Das Nachbarsprachenmodell als einer der Wege zur Sicherung
der Mehrsprachigkeit in Europa
17
3.
Vermittlung von Mehrsprachigkeit im Rahmen bilingualer
Bildungsgänge
22
3.1. Begriffsbestimmungen
22
3.2. Ziele und Motive für die Einrichtung bilingualer Angebote
23
3.3. Bilinguale Bildungsgänge in Deutschland und in Polen
26
3.3.1. Gestaltung und Struktur des bilingualen Lernens in Deutschland
26
3.3.2. Gestaltung und Struktur des bilingualen Lernens in Polen
28
3.4.
Desiderata und Perspektiven
30
4.
Motivationsforschung im Fremdsprachenunterricht
34
4.1. Klärung der Begriffe: Motiv, Motivation und Einstellung
34
4.2. Motivationskonzeptionen für den Fremdsprachenunterricht
38
4.3. Motivation der Lerner zur Verwendung einer Fremdsprache im
Sachfachunterricht
47
3
5.
Empirische Untersuchung am Augustum-Annen-Gymnasium Görlitz
49
5.1.
Vorstellen der Schule
49
5.1.1. Entwicklung des binationalen Bildungsganges
49
5.1.2. Zugangsvoraussetzungen und Aufnahmeprüfung
50
5.1.3. Struktur des binationalen-bilingualen Bildungsganges Polnisch
(Sekundarstufe I und II)
51
5.1.4. Unterrichtsergänzende Angebote
53
5.2.
Fragestellungen und Hypothesen der Untersuchung
55
5.3. Methoden der Untersuchung
57
5.3.1. Schriftliche Befragung
57
5.3.2. Auswahl der Stichprobe
58
5.3.3. Durchführung der Befragung
59
6.
Untersuchungsergebnisse
60
6.1.
Einstellungen der polnischen und deutschen Schüler zum Besuch
des binationalen-bilingualen Zweiges (Fragen im Bereich A)
60
6.2. Gründe für die Sprachwahl (Fragen im Bereich B)
64
6.3. Einschätzung des Gebrauchs der Fremdsprache im Sachfachunterricht
(Fragen im Bereich C)
69
6.4.
Zusammenhang zwischen der Berufsvorstellung der Schüler und dem
Besuch des binationalen-bilingualen Zweiges respektive Motivation zum
Erlernen der polnischen bzw. deutschen Sprache (Fragen im Bereich D) 77
7.
Resümee und Diskussion der Ergebnisse der Erhebung
79
Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen
88
Verzeichnis der Abkürzungen
90
Literaturverzeichnis
91
Anhang
4
,,Nichts ist so mächtig,
wie eine Idee,
deren Zeit gekommen ist"
Victor Hugo
Vorwort
Anlass dieser Arbeit ist die in den letzten Jahren gestiegene Bedeutung des bilingualen
Unterrichts an Schulen und das damit verbundene Forschungsinteresse an dieser
Unterrichtsform in Deutschland und in Europa. So wächst in den letzten Jahrzehnten
zum einen die Anzahl der Schulen mit bilingualem Angebot, zum anderen die Zahl der
Beiträge in fachwissenschaftlichen Zeitschriften der Fremdsprachen und Sachfächer.
Die Gründung des ersten bilingualen deutsch-polnischen Bildungsganges am Augustum-
Annen-Gymnasium Görlitz
brachte mich auf die Idee, in meiner Magisterarbeit das
Thema ,,Das Nachbarsprachenmodell in der Praxis" zu bearbeiten. Das Erlernen der
polnischen Sprache kommt der bildungspolitischen Forderung der Europäischen Union
(EU) nach Mehrsprachigkeit unter besonderer Beachtung der jeweiligen
Nachbarsprachen entgegen. Die Beherrschung der polnischen Sprache ermöglicht den
Schülern sowohl den Zugang zu einer modernen Fremdsprache als auch zum
erweiterten slawischen Sprach- und Kulturraum.
Dazu kamen kürzlich weitere Ereignisse, die meine Aufmerksamkeit auf die
Beziehungen zwischen den beiden benachbarten Ländern richteten. Gleichzeitig erregte
dies großes Interesse auf internationaler Ebene. Als Beispiel sei hier die Verkündung
des Deutsch-Polnischen Jahres 2005 - 2006 genannt. Am 30.04.2005 wurde das
Deutsch- Polnische Jahr durch die Präsidenten der beiden Länder eröffnet. Damit
verknüpft ist die Hoffnung den Beziehungen der beiden Staaten neue Impulse zu
verleihen.
Weitere Anregungen für mein Vorhaben erhielt ich aus der Bewerbung Görlitz als
,,Kulturhauptstadt Europas 2010", was im Moment nicht nur in Görlitz, sondern in der
gesamten Bundesrepublik Deutschland für Diskussionen sorgt. Dabei war für mich
nicht primär die Frage nach dem Nutzen des Titels und dem möglichen Erfolg des
Vorhabens entscheidend, wie sie beispielsweise von der Bevölkerung ebenso häufig wie
aus den Kreisen der Politik gestellt wurde, sondern eher die damit zusammenhängende
grenzüberschreitende Entwicklung dieser Region.
5
Wie Raasch richtig bemerkt, sind die Grenzen Narben der Geschichte. Das Ziel beim
Sprachenlernen im Grenzgebiet ist nicht nur,
die Nähe der Grenze zu nutzen, um die
Sprachkompetenz zu verbessern, sondern auch ,,Türen und Herzen zu öffnen und das
heißt, eine Sprachkompetenz zu entwickeln, die es ermöglicht, aus der Nachbarschaft
ein nachbarliches Verhältnis zu machen, Grenzen abzubauen."
1
Aus diesen Gründen habe ich den einzigartigen deutsch-polnischen Bildungsgang am
Augustum-Annen-Gymnasium Görlitz
zu meiner Betrachtung herangezogen und die
Motivation der Schüler zum Erlernen der Sprache des Nachbarlandes untersucht. Diese
Aufgabe sollte meinem Wunsch nach einem aktuellen, sowie zukunftsorientierten Blick
auf die länderübergreifenden deutsch-polnischen
Bildungsprojekte sowie meinem
Interesse an der Vermittlung von Mehrsprachigkeit im Rahmen bilingualer
Bildungsgänge entgegenkommen.
1
2003, 36.
6
1.
Einleitung
1.1.
Zielsetzung
Das Ziel der vorliegenden Arbeit besteht darin, die Motivation zum Erlernen der
polnischen bzw. deutschen Sprache im binationalen-bilingualen
2
Zweig des Augustum-
Annen-Gymnasiums Görlitz
zu erforschen sowie die Motivation im Sachfachunterricht
mit bilingualen Modulen.
Bilingualer Unterricht findet heutzutage immer mehr Zuspruch.
3
Mit dieser Arbeit soll
aufgezeigt werden, welche Einstellung die deutschen/polnischen Schüler
4
zum binat.-
biling. Bildungszweig haben und inwieweit die Kontakte zu Polen bzw. Deutschland
einen Einfluss auf die Sprachwahl hatten.
Im Weiteren soll untersucht werden, wie die Schüler selbst als Teilnehmende ihren
Unterricht beurteilen, welche Schwierigkeiten der bilinguale Sachfachunterricht mit
sich bringt und welche Vorteile sie darin sehen. Darüber hinaus sollte in Erfahrung
gebracht werden, ob bilingualer Unterricht auch das Verhalten und Interessen der
Schüler
beeinflusst,
sie
beispielsweise
dazu
ermutigt,
Kontakte
mit
polnischen/deutschen Gleichaltrigen zu suchen oder polnische/deutsche Medien zu
nutzen.
Im Blick auf das gemeinsame Lernen der deutschen und polnischen Schüler in einem
Klassenzimmer war für diese Studie auch von Interesse, welchen Einfluss dieser Faktor
auf die Einstellungen der anderen gegenüber ausübt.
1.2.
Inhaltliche Leitlinien der Arbeit
Die vorliegende Arbeit besteht aus sieben Kapiteln, wobei das erste und das letzte
Kapitel der Einleitung bzw. der Zusammenfassung vorbehalten sind. Der Einleitung ist
das Vorwort vorangestellt.
Im zweiten Kapitel werden bildungspolitische Rahmenbedingungen für das Erlernen
von Fremdsprachen sowie verschiedene Aspekte der Vermittlung von Mehrsprachigkeit
2
Im Weiteren abgekürzt als binat.-biling.
3
Vgl. Wildhage 2000, 212.
7
in Grenzregionen (das Nachbarsprachenmodell) erörtert. Das 3. Kapitel stellt eine
komprimierte Skizze der Entwicklung und Struktur der bilingualen Bildungsangebote in
Deutsch-Polnischem Kontext dar. Der theoretische Teil zur Bildungspolitik, unter
besonderer Berücksichtigung der Grenzregion Görlitz erklärt, weswegen es bilinguale
Bildungsgänge überhaupt gibt.
Schwerpunkt des Theorieteils ist das darauf folgende Kapitel zur Motivationsforschung,
in
dem
sowohl
unterschiedliche
Motivationskonzeptionen
für
den
Fremdsprachenunterricht als auch Motivationen der Lerner für die Verwendung einer
Fremdsprache im Sachfachunterricht in Bezug auf verschiedene Fachliteratur analysiert
werden. Daraus ergeben sich die theoretischen Grundlagen für die nachfolgende
empirische Untersuchung der Motive und Einstellungen.
Darauf folgt die Beschreibung und ausführliche Darstellung der eigentlichen
Untersuchungen (5. Kapitel). Die empirische Analyse beinhaltet die explizite Erklärung
und Begründung der Untersuchungsfragen und Untersuchungsmethoden, denen die
Vorstellung der Schule Augustum-Annen-Gymnasium Görlitz vorangestellt wird.
Eine kritische Prüfung und Bewertung der Untersuchungsergebnisse und deren
Rückschlusse auf die Motivation und Einstellungen im bilingualen Sachfachunterricht
bilden den Abschluss der Arbeit.
Einen Anspruch auf Vollständigkeit bezüglich der inhaltlichen Kapazität sowie
hinsichtlich einer Plausibilität der festgestellten Ergebnisse kann diese Arbeit nicht
erheben. Insofern versteht sie sich als eine Teilleistung zu einer komplexen
Sprachlernmotivationsforschung von internationalem Ausmaß. Nach der Auswertung
des Materials im Schlusskapitel soll sie jedoch einen Beitrag zur Diskussion um die
Motivation beim Fremdsprachenerwerb sowie um Erfahrungen im bilingualen Modul
leisten.
4
Die in dieser Magisterarbeit verwendeten Personen- und Funktionsbezeichnungen sind
geschlechtsneutral zu verstehen. Auf die durchgängige Verwendung der weiblichen und
männlichen Form wird aus stilistischen Gründen verzichtet.
8
1.3.
Methodisches Vorgehen
Bei der Untersuchung werden in Anlehnung an Albert/Koster und Lamnek folgende
Methoden angewandt:
Die Vorgehensweise im theoretischen Teil beruht auf einer Auswertung der
vorhandenen Materialien und Literatur zu den Themen der Sprachpolitik, der Struktur
der bilingualen Bildungsgänge in Deutschland und in Polen und der aktuellen
Motivationsforschung, die als theoretische Grundsteine der vorliegenden
Auseinandersetzung angesehen werden.
Im empirischen Teil wird die Methode der schriftlichen Befragung eingesetzt. Als
Instrument zu deren Umsetzung wird ein Fragebogen mit offenen und geschlossenen,
direkten und indirekten Fragen entwickelt. Bei der Wahl der Stichprobe wird das
Quotenverfahren angewandt, das heißt, die Probanden wurden nach bestimmten, für die
Untersuchung relevanten Merkmalen (Sprache: Deutsch/Polnisch sowie altes/neues
Entwicklungskonzept des biling.-binat. Bildungsganges) ausgewählt. Die methodische
Herangehensweise dieser Studie ist qualitativ. Die Auswertung der Ergebnisse dieser
qualitativen Studie ist entsprechend interpretativ. Die Erhebungsdaten zur Motivation
und Einstellung erfolgen in einer tabellarischen Zusammenfassung.
9
2.
Förderung der Mehrsprachigkeit in Europa
.
Im vereinigten Europa werden zunehmend Menschen unterschiedlicher nationaler,
kultureller und sprachlicher Herkunft miteinander leben und arbeiten. Die steigende
Bedeutung des Lernens fremder Sprachen ist die wichtigste und folgenreichste
inhaltliche Veränderung in der Schule von heute. Viele Menschen können sich heute
noch gar nicht vorstellen, dass man in naher Zukunft sowohl im Alltag als auch im
Beruf ohne eine zweite oder dritte Sprache nicht mehr auskommen wird.
Wenn man die Fremdsprachenkenntnisse der Europäer näher betrachtet, stellt man fest,
dass 74% von ihnen keine zweite Fremdsprache sprechen und 92% keine dritte
Fremdsprache. 47% der Befragten sprechen außer ihrer Muttersprache keine andere
Sprache.
5
Jedoch sind viele Befragten der Ansicht, dass jeder eine Fremdsprache
beherrschen sollte (71%). Die am meisten gesprochene Fremdsprache ist mit großem
Abstand Englisch (41%), dann Französisch (19%), Deutsch (10%) und Spanisch (7%).
Etwa ein Fünftel der Europäer (22%) glaubt nicht ,,gut in Sprachen" zu sein. Das größte
Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten haben Dänen, Griechen und Luxemburger. Am
wenigsten trauen sich Franzosen und Deutschen zu. Die Gründe, die die europäischen
Bürger abhalten, eine Fremdsprache zu erlernen, sind laut der Eurobarometer-Umfrage
an erster Stelle Zeitmangel (34%), woran sich mangelnde Motivation anschließt (31%).
Entmutigend, vor allem in den Ländern Südeuropas, wirken außerdem die Kosten der
Sprachkurse.
6
Mit dem Ziel, die Bürger der Europäischen Union zum Erlernen mehrerer Sprachen
anzuregen, wurde das Europäische Jahr der Sprachen 2001 eröffnet. Seine zentralen
Anliegen waren:
- Vertiefung des Bewusstseins, welchen Reichtum die sprachliche Vielfalt in der
Europäischen Union darstellt,
- Förderung der Sprachenvielfalt,
5
Hinter diesem Durchschnittswert verbergen sich jedoch deutliche Unterschiede zwischen
Luxemburg (nur 2% der Luxemburger sprechen nur ihre Muttersprache) und dem Vereinigten
Königreich (66% der Briten sprechen keine andere Sprache als ihre Muttersprache).
6
Im Dezember 2000 wurden 16 000 Bürger der EU nach ihren Sprachkenntnissen gefragt, d. h.
nach ihren Ansichten zum Nutzen vom Sprachkenntnissen und nach ihrem Wunsch, andere
Sprachen zu sprechen. Im Internet unter: http://www.sprachen.ac.at/download/eurobar.pdf
10
- Aufklärung einer möglichst großen Zahl von Menschen, welche Vorteile die
Beherrschung mehrerer Sprachen bietet,
- Anregung zur lebenslangen Aneignung von Sprachkenntnissen,
- Sammeln und Verbreiten von Informationen, die den Sprachunterricht und das
Erlernen von Fremdsprachen betreffen.
7
Ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Förderung der Mehrsprachigkeit ist der alljährlich
am 26. September stattfindende Europäische Tag der Sprachen.
8
Er dient vorrangig der
Erinnerung an die Zielsetzungen des Europäischen Jahres der Sprachen 2001 und der
Fortführung seiner Ideen.
2.1.
Bildungspolitische Rahmenbedingungen für das Erlernen von
Fremdsprachen
Das Ziel der Europäischen Sprachenpolitik ist das Erlernen von zwei Sprachen außer
der Muttersprache. Alle Bürger sollen sich bemühen, in einem lebensbegleitenden
Prozess ihre Sprachkenntnisse zu festigen, zu nutzen, zu erweitern und sie anderen zur
Verfügung zu stellen.
9
Nun verläuft die Umsetzung dieses Zieles in jedem europäischen
Länd unterschiedlich.
2.1.1.
Stellung der Sprachen in den Lehrplänen der Europäischen Union
In Anbetracht der Tatsache, dass die junge Generation über deutlich mehr
Fremdsprachenkenntnisse als die ältere verfügt (Tab.1), schließt man auf die Zunahme
des Fremdsprachenunterrichts sowohl in öffentlichen als auch in privaten Schulen.
Tab. 1: Fremdsprachenkenntnisse nach Altersgruppen
10
7
Beschluss Nr. 1934/2000/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juli 2000
über das Europäische Jahr der Sprachen 2001 [Amtsblatt L 232 vom 14.9.2001].
8
Beschluss des Ministerkomitees des Europarates.
9
Weißbuch der EU (1995): Auf dem Weg zur kognitiven Gesellschaft: Allgemeines Ziel Nr. 4.
10
Quelle: Europäische Union (Publikation zum Europäischen Jahr der Sprachen) in: Kelz 2002, 8.
Anteil der EU-Bevölkerung, die eine oder mehr Fremdsprachen sprechen kann
15 bis 24 Jahre
62%
25 bis 39 Jahre
52%
40 bis 54 Jahre
39%
55 Jahre und älter
31%
Durchschnitt
44%
11
Laut der Europäischen Eurydice-Informationsstelle setzt der obligatorische
Fremdsprachenunterricht immer früher ein. In fast allen Staaten sind die Schüler bereits
im Primarbereich verpflichtet, eine Fremdsprache zu lernen. In mehreren Staaten gilt
dies sogar bereits ab dem ersten Schuljahr:
Abb. 1: Fremdsprachen als Pflicht- oder Wahlpflichtfach nach den Vorgaben der zentralen bzw.
obersten Bildungsbehörden und Alter der Schüler bei Beginn und Ende des
Fremdsprachenunterrichts Elementar-, Primar- und allgemein bildender Sekundarbereich
2002/2003
11
11
Quelle: Eurydice; Länderkürzel in Abkürzungsverzeichnis.
12
Gemäß den Lehrplänen haben alle Schüler in der überwiegenden Mehrzahl der Staaten
die Möglichkeit, im Laufe der Schulpflicht mindestens zwei Fremdsprachen zu
erlernen. In rund zwanzig Staaten müssen sie sogar mindestens ein Schuljahr lang
Unterricht in zwei Fremdsprachen erhalten.
12
Trotz der oben genannten Möglichkeit
liegt der Prozentsatz der Schüler, die im allgemein bildenden Sekundarbereich I
mindestens zwei Fremdsprachen erlernen, in der Mehrzahl der Staaten unter 50%.
Aus den statistischen Daten zu den in der Schule erlernten Sprachen wird deutlich, dass
der weitaus größte Anteil des Fremdsprachenunterrichts auf nur wenige dieser Sprachen
entfällt. So stellen in den meisten der Staaten die Sprachen Englisch, Französisch,
Deutsch, Spanisch und Russisch über 95% aller von den Schülern erlernten Sprachen.
Die Anteile der Schüler, die Russisch als Fremdsprache lernen, sind in den baltischen
Staaten am größten. In geringerem Umfang wird diese Sprache auch in Finnland, Polen
und Bulgarien unterrichtet.
13
In fast allen Staaten ist Englisch die meistgelernte Sprache und dieser Prozentsatz steigt
sowohl im Primarbereich als auch im Sekundarbereich weiter an. In dreizehn
europäischen Staaten sind die Schüler verpflichtet, während ihrer Schulzeit Englisch zu
lernen, in manchen Staaten müssen sie dies auch in den höheren Jahrgangsstufen
(Sekundarbereich II). In all diesen Staaten liegt der Prozentsatz der Schüler, die im
Sekundarbereich Englisch lernen, damit zwangsläufig über 90%. Aber auch in den
meisten anderen Staaten entscheidet sich der Großteil der Schüler für diese Sprache -
auch hier liegt der Prozentsatz der Englischschüler fast ausnahmslos bei rund 90%. Als
zweite Fremdsprache dominieren in der Regel Deutsch oder Französisch. Sowohl in den
nordischen als auch in den mittel- und osteuropäischen Staaten wird als zweite
Fremdsprache überwiegend Deutsch unterrichtet, während sich das Französische in den
südeuropäischen Staaten, insbesondere in den Staaten des romanischen Sprachraums,
etablierte.
14
12
Damit werden in den Lehrplänen die Empfehlungen der Staats- und Regierungschefs der EU zur
Förderung der Aneignung von Grundkenntnissen, insbesondere durch Fremdsprachenunterricht
in mindestens zwei Sprachen vom jüngsten Kindesalter an, berücksichtigt (Tagung des
Europäischen Rates in Barcelona 2002).
13
Die Wahl des Russischen als Fremdsprache ist zum Teil auf den Einfluss der Eltern, zum Teil
aber auch auf den Mangel an für andere Sprachen qualifizierten
Lehrkräften zurückzuführen.
14
Vgl. Eurydice 2005, 9-11, 24.
13
Unter Berücksichtigung der Charakteristika der Bildungssysteme in der Bundesrepublik
Deutschland (BRD) und in der Republik Polen (RP) wird im Folgenden die Situation
des Fremdsprachenunterrichts an polnischen und deutschen Schulen erläutert.
2.1.2.
Fremdsprachenunterricht an deutschen und polnischen Schulen
In der Bundesrepublik Deutschland dauert die Vollzeitschulpflicht in den meisten
Ländern (allgemeine Schulpflicht) 9 Jahre, in 4 Ländern 10 Jahre, und die
anschließende Teilzeitschulpflicht (Berufsschulpflicht) 3 Jahre. Die Durchlässigkeit
zwischen den Schularten und die Anerkennung der Schulabschlüsse sind bei Erfüllung
der zwischen den Ländern vereinbarten Voraussetzungen grundsätzlich gewährleistet.
Eine ausführliche Darstellung der Grundstruktur des Bildungswesens in der BRD ist
dem Anhang zu entnehmen.
15
Das Sprachangebot ist in Deutschland besonders breit gefächert. Laut einem Bericht der
KMK
16
stehen in den einzelnen Ländern vor allem die in den Eingangsklassen der
weiterführenden allgemein bildenden Schulen unterrichteten Sprachen (z.B. Englisch,
Französisch) zur Wahl, in Grenzgebieten vor allem die Sprache des Nachbarlandes (z.B.
Polnisch, Tschechisch, Dänisch, Niederländisch) sowie Sprachen, die im
Siedlungsgebiet von Minderheiten (z.B. Sorbisch/Wendisch) oder von ausländischen
Mitbürgern gesprochen werden (z.B. Italienisch, Russisch, Türkisch).
In fast allen Ländern der BRD wird bereits eine flächendeckende Versorgung mit
Fremdsprachenunterricht im Pflichtbereich der Klassen 3 und 4 gesichert. Darüber
hinaus bieten zahlreiche Länder zusätzlich Fremdsprachenunterricht in den
Jahrgangsstufen 1 und 2 an, so als Begegnungssprache, Modellversuch bzw.
Schulversuch, als Angebot an ausgewählten Standorten, als Arbeitsgemeinschaft,
Schulprojekt, bilinguale Klasse oder sogar als flächendeckenden Pflichtunterricht.
17
Die Entwicklung des Fremdsprachenlernens in den deutschen Grundschulen ist in den
letzten Jahren durch eine gewisse Dynamik gekennzeichnet. Fremdsprachenlernen soll
in der Grundschule immer stärker als Normalität verstanden und gestaltet werden und
ist demzufolge in eine schulartübergreifende Gesamtkonzeption einzubinden.
15
Vgl. Anhang: 5. Grundstruktur des Bildungswesens in der Bundesrepublik Deutschland
16
Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der BRD 2005, 3-4.
17
Ebd. 4.
14
Gemeinsam mit allen Fachlehrplänen trat im Schuljahr 2004/2005 in Sachsen für die
Grundschule ein neuer Lehrplan Intensives Sprachenlernen in Kraft.
18
Die Tabelle 2 gibt einen anschaulichen Überblick über das Fremdsprachenlernen. Mit
Blick auf die EU Osterweiterung wird in Sachsen besonderer Wert auf die Förderung
der Nachbarsprachen gelegt, vor allem in den Grenzregionen. Neben dem für alle
Schüler verbindlichen Englischunterricht
19
besteht in der Grundschule an ausgewählten
Standorten ein zusätzliches Angebot zum Erlernen von Polnisch, Tschechisch oder
Französisch, wobei die Einbeziehung weiterer Fremdsprachen grundsätzlich möglich
ist. Eine Weiterführung der jeweiligen Sprache nach der Grundschule wird
grundsätzlich angestrebt. Das Intensive Sprachenlernen ist Bestandteil der sächsischen
Fremdsprachenkonzeption.
Schulart
Fremdsprachenunterricht
Beginn der 1. FS Englisch (verbindlich für alle Schüler ab Klassenstufe 3)
Grundschule
Angebot für Intensives Sprachenlernen
an ausgewählten Standorten, Einheit von Kl. 1 - 4 (Kl. 1/2 mit 1 Ustd./Wo., Kl.
3/4 mit 3 Ustd./Wo.), ergebnisorientierter Unterricht nach LP ab Klassenstufe
3 (zz. Französisch, Polnisch, Tschechisch)
Schule zur Lernförderung
Beginn der FS Englisch in Klassenstufe 5
Mittelschule
Fortführung der 1. FS Englisch aus der Grundschule (abschlussbezogen ab
Kl. 5)
4. FS (abschlussorientiert ab Kl. 7)
Neigungskurse 1- oder 2-jährig
Gymnasium Sek I
Fortführung der 1. FS Englisch aus der Grundschule
Zusatzangebot zur Förderung sprachlich begabter Schüler an ausgewählten
Schulen
Beginn der 2. FS (Kl. 6 - 10)
Beginn der 3. FS (Kl. 8 - 10)
Gymnasiale Oberstufe
Fortführung mindestens einer FS
Tab. 2: Fremdsprachenlernen in Sachsen
20
Das polnische Bildungssystem
befindet sich seit dem Ende der kommunistischen
Herrschaft 1989 im Umbruch. Verschiedene bildungspolitische Reformen sind unter
ökonomischen Krisenbedingungen eingeleitet worden. 1999 trat in der RP die
Bildungsreform in Kraft und mit ihr ein neues Bildungssystem:
21
Nach Kindergarten
und Vorschule treten die Kinder mit 7 Jahren in die Grundschule ein, die sie 6 Jahre
18
Sächsisches Staatsministerium für Kultus (19.05.2004): Intensives Sprachenlernen. [Online].
19
Bisher mussten sich Schüler in der Grundschule alternativ für oder gegen eine Fremdsprache
entscheiden.
20
PONTES
Bildungsforum 06.10.2004, 9. [Online]
15
besuchen. Darauf folgt ein 3-jähriger Abschnitt am Gymnasium, das aber nicht mit dem
deutschen Gymnasium vergleichbar ist (der Besuch ist in Polen für alle Schüler
obligatorisch). Nach dem Gymnasium, mit ca. 16 Jahren, endet für die polnischen
Schüler die Schulpflicht. Danach kann zwischen dem Besuch eines Profillyzeums, das
zum Abitur führt, oder einer Ausbildung an einer Berufsschule gewählt werden. 2002
wurde in Polen die Zentralabiturprüfung eingeführt, d.h. die schriftlichen
Abiturprüfungen werden extern gestellt und begutachtet. Anders als in der BRD findet
in Polen die Berufsausbildung nicht im dualen System statt, d.h. es ist eine rein
schulische Berufsausbildung mit berufstheoretischem und -praktischem Unterricht.
Abiturienten haben einerseits die Möglichkeit, eine mittlere berufliche Qualifikation an
einer dafür vorgesehenen Schule zu erwerben oder aber ein Studium an einer
Universität, Fachhochschule oder Beruflichen Hochschule aufzunehmen. Das Studium
an staatlichen polnischen Hochschulen ist in der Regel gebührenfrei.
22
Der Sprachunterricht unterliegt auch in der RP grundlegenden Veränderungen.
Entsprechend der Fremdsprachenkenntnisanalyse
23
beherrschen 56% der polnischen
Bevölkerung keine Fremdsprache, 23% der Übrigen sprechen Russisch, 17% Englisch,
14% Deutsch, 2% Französisch und 4% andere Sprachen. Bei der Analyse der
Sprachkenntnisse in Bezug auf das Alter der Befragten zeigt sich, dass 54% der jungen
Leute (18-24 J.) Englisch sprechen. Deutsch hat sich als zweitpopulärste Fremdsprache
etabliert (22%) und danach folgt Russisch mit 13%. In der Bevölkerungsgruppe von 25
bis 34 Jahren sind die Unterschiede zwischen den drei Sprachen sehr gering: Englisch
21%, Deutsch und Russisch je 19%. Im Alter über 35 Jahre ist Russisch dominant.
Dieser Sprachkenntniszustand ist auf die Richtlinien des polnischen Bildungssystems
zurückzuführen.
Die Bildungsreform hat die Position des Fremdsprachenunterrichts wesentlich verstärkt.
Die Grundschule beginnt ab Klasse 4 mit dem obligatorischen Unterricht in der ersten
Fremdsprache. Er wird im Gymnasium (Jahrgangsstufen 79) und im Lyzeum bis zum
Abitur in Klasse 12 fortgesetzt. Unabhängig davon darf die Schulleitung jeder
21
Vgl. Anhang: 4. Grundstruktur des Bildungswesens in Polen
22
Bei der Betrachtung des polnischen Bildungssystem spielt auch der nichtstaatliche
Bildungssektor eine große Rolle: So existierten im Schuljahr 1999/2000 bereits über 2200
Privatschulen. An privaten Hochschulen waren im Studienjahr 1999/2000 etwa 400.000 der 1,4
Millionen eingeschriebenen Studenten immatrikuliert (Vgl. Kretschmar 2002, 6).
23
CBOP 2004, 2. [Online]
16
Grundschule bereits ab der ersten Klasse Fremdsprachenunterricht anbieten, wenn die
finanzielle Situation der Schule das erlaubt. Im Laufe ihrer 12-jährigen Schulausbildung
haben die Schüler nun auf jeden Fall insgesamt 33 WS in der ersten Fremdsprache
(zuerst nur 24) und mindestens 12 WS in der zweiten Fremdsprache. Englisch ist auch
in Polen die am häufigsten gewählte 1. Fremdsprache, Deutsch hat sich als
zweitpopulärste Fremdsprache durchgesetzt, ihr folgen Russisch und Französisch (Abb.
2).
Abb. 2: Pupils and students studying foreign languages in schools for children and youth and in post -
secondary schools
24
24
Quelle: GUS, 10: Excluding spezial schools in 2000/01 school year. b) from 2003/2004 school
year onwards data include only education during the hours, which are at the disposal of
17
In der Fachliteratur, die sich mit der Problematik der Mehrsprachigkeit beschäftigt,
stehen immer wieder folgende Fragen im Mittelpunkt: Wie wird man mehrsprachig?
Welche Sprachenfolge sollte berücksichtigt werden? Welche Sprachen soll man
wählen?
25
Da der europäische Kontinent eine Vielfalt an Sprachen aufweist, muss sich
die Sprachenpolitik der EU an dieser Vielfalt und an der Stellung der Sprachen
innerhalb der Union orientieren. Um Antworten auf die oben genannten Fragen zu
erhalten, werden verschiedene Lösungsmodelle zur Sicherung der Mehrsprachigkeit
entwickelt.
26
Im folgenden Abschnitt werden Perspektiven und Chancen des
Nachbarsprachenmodells in Bezug auf das deutsch-polnische Grenzgebiet analysiert.
2.2.
Das Nachbarsprachenmodell als einer der Wege zur Sicherung der
Mehrsprachigkeit in Europa
Die Grenzregionen sind spezifisches Bedingungsfeld für die Mehrsprachigkeit. So
erhöht die Unterstützung des Unterrichts der Nachbarsprache in grenznahen Gebieten
einerseits die Attraktivität dieser Grenzregion für Unternehmensgründungen und
Investitionen, führt sie andererseits zur Überwindung und zum Abbau von Vorurteilen.
Darüber hinaus erleichtert sie die Alltagskommunikation. ,,Grenzen [...] haben nicht
nur eine ,begrenzende' Wirkung, sondern können stets auch Anlaß zu ihrer
Überschreitung geben."
27
Die Förderung des Polnischunterrichts an den Schulen in der Bundesrepublik
Deutschland ist Gegenstand verschiedener Gemeinsamer Erklärungen und Verträge
zwischen der polnischen und deutschen Seite, bei deren Umsetzung sich Gremien und
Einrichtungen gerade in jüngster Zeit verstärkt um den weiteren Ausbau und die
Gestaltung des Polnischunterrichts bemühen.
Dennoch ist es erschreckend, zu beobachten, wie van den Bergh
28
andeutet, dass die
Jugendlichen von heute ,,die Sprache ihrer Nachbarn" nicht mehr verstehen. Zum
Vergleich: im Schuljahr 2000/2001 lernten in Deutschland insgesamt 4848 Schüler
headpersons; in 2000/01 scholl year additional education conducted by schools, foundations
etc. 8. [Online]
25
Vgl. Christ 2003a; De Florio-Hansen 2003; Ehrhart 2004; van den Bergh 1997 u.a.
26
Die wichtigsten Modelle zur Sicherung der Mehrsprachigkeit sind: das Lingua franca Modell
(auch Leitsprachenmodell, z. B. das Englische), das Plansprachenmodell (z. B. Esperanto), das
Latein Modell, das Modell der rezeptiven Mehrsprachigkeit, das Nachbarsprachenmodell
(Begegnungssprachen), das Modell der selektiven Multilingualismus.
27
Bahr / Schröder: Expertise zum Themenbereich ,Sprache(n) und Grenzen', 8.
18
Polnisch - die Zahl der Deutsch lernenden polnischen Schüler betrug 2.275.600
(schulpflichtiger Unterricht) und 130.200 (zusätzlicher Unterricht).
29
Tendenzen der Entwicklung des Polnischunterrichts in der BRD kann man dem Bericht
der KMK entnehmen
30
:
1990/1991
1995/1996
2000/2001
Baden-Württemberg
-
-
6
Bayern
-
-
23
Berlin
-
25
305
Brandenburg
-
381
1030
Bremen
-
200
259
Hamburg
-
256
222
Hessen
209
9
45
Mecklenburg-Vorpommern
-
90
244
Niedersachsen
-
22
256
Nordrhein-Westfalen
-
227
1859
Rheinland-Pfalz
70
-
1
Saarland
-
-
-
Sachsen
-
152
598
Sachsen-Anhalt
-
-
-
Schleswig-Holstein
-
-
-
Thüringen
-
-
-
Tab. 3: Zahl der Polnisch lernenden Schüler im Schuljahr
Laut diesem Bericht wächst in den meisten Ländern die Zahl der Polnisch lernenden
Schüler, was zweifellos eine fortschrittliche Entfaltung des Polnischunterrichts
dokumentiert.
Darüber hinaus entwickeln sich die deutsch-polnischen Schulpartnerschaften sehr
positiv, vor allem in den Grenzregionen. So bestehen in Mecklenburg-Vorpommern 49
Schulpartnerschaften, in Brandenburg 231 (im Jahr 2002/2003), in Sachsen 71 und in
Berlin 60.
31
28
1997, 5.
29
Vgl. Abb. 2
30
Bericht KMK (12.12.2003), 15. Online in Internet:
http://www.kmk.org/doc/publ/Situation_Polnischunterricht.pdf
31
Ebd. 15 18. Von den insgesamt 778 Schulpartnerschaften (gesamt in BRD) sind allein 441 in
den an Polen grenzenden Bundesländern von registriert, einschließlich Berlin.
19
Trotz ungünstiger Voraussetzungen
32
kann von einer positiven Entwicklung der
deutsch-polnischen Zusammenarbeit in den vergangenen Jahren gesprochen werden.
33
Das bestätigen sowohl die Gründung mehrerer Euroregionen als auch viele gemeinsame
Projekte wie beispielsweise Projekte zur Stadtentwicklung (in Görlitz/Zgorzelec bzw.
Frankfurt a.O./Slubice), zum Umwelt- und Naturschutz (z. B. Naturpark Unteres
Odertal), Projekte im Bildungssektor (Schulpartnerschaften) und in Medien
(Zusammenwirken von Zeitungsredaktionen beiderseits der Oder). Aber auch
angesichts dieser unbestreitbaren Erfolge besteht jedoch kein Grund zur Euphorie, kann,
wie die Autoren fortsetzen, ,,von einer ,von unten' gewachsenen Euroregion noch nicht
gesprochen werden."
34
Während in Polen Kenntnisse über Deutschland und deutsche Sprachfertigkeiten recht
verbreitet sind, beschränkt sich ein entsprechendes Angebot auf deutscher Seite nur auf
vereinzelte Schulen. Die Statistiken zeigen, dass an polnischen Schulen rund 2,6
Millionen Schüler Deutsch lernen. Hierzulande lernen aber nur 4700 Kinder Polnisch.
Auch unter den Studenten ist die Neugier auf Polen nicht sehr verbreitet. Nur 2100
Deutsche wagten sich im Studienjahr 2002/2003 mit den von der EU geförderten
Erasmus-Programmen in den näheren Osten. Umgekehrt kamen aber 16.600 polnische
Studenten für ein Auslandssemester nach Deutschland.
35
Wie auch van den Bergh
hervorhebt, lernte man in
kleineren Sprachgebieten immer schon die großen Sprachen,
umgekehrt jedoch war dies nicht der Fall. Das Erlernen der so genannten ,,kleineren"
Sprachen als Fremdsprache geschah bis vor kurzem nur sehr marginal.
36
Die Notwendigkeit des Erlernens der Nachbarsprache in Grenzregionen wurde zum
Thema der Frankfurter (a.O.) Konferenz am 27.-28.08.2004: Zur Konzeption der
,Nachbarschaftssprachen' in Grenzregionen im europäischen Vergleich
.
37
Das
Resümee der Diskussion kann in folgenden Gedanken zusammengefasst werden:
- Empfohlene Sprachenfolge: Muttersprache plus Nachbarsprache plus Englisch
und wenn möglich weitere Sprachen.
32
,,Seit mehr als einem Jahrtausend haben Deutsche und Polen eine gemeinsame Geschichte. Vor
allem die katastrophalen Ereignisse des 20. Jahrhunderts haben tiefe Gräben in die
nachbarschaftlichen Beziehungen gerissen. Erst mit der Neuordnung Europas seit 1989 wurde
eine Annährung zwischen den Menschen wieder möglich." (Wancerz-Gluza 2003, Deckblatt)
33
Vgl. Bahr / Schröder 1998, 3.
34
Ebd. 14.
35
Vgl. Bonstein: Die Zeit. 05.02.2004, Nr. 7.
36
Vgl. 1997, 5.
20
- Die Relevanz der Beherrschung der Sprache des Nachbarlandes wird besonders
deutlich im Rahmen des täglichen grenzüberschreitenden Personenverkehrs,
Einkaufstourismus sowie der Nutzung der Dienstleistungen im Nachbarland, der
grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Kooperation und der Zusammenarbeit
von Personen, Organisationen, Institutionen, Schulen, Verwaltungseinrichtungen
etc.
- Die Begrenzung der Mehrsprachigkeit auf das Erlernen einer allen gemeinsamen
Verständigungssprache (lingua franca z. B. Englisch) führt zur Zerstörung der
kulturellen und sprachlichen Vielfalt sowie zur Ignoranz der besonderen
regionalen Bedingungen und verwehrt den unmittelbaren Nachbarn die
Anerkennung.
- Mehrsprachigkeit ist verhältnismäßig leicht zu erzielen, wenn man so früh wie
möglich mit dem Fremdsprachenlernen beginnt. Bereits in den Kindergärten
kann und soll man sich spielerisch mit der Nachbarsprache beschäftigen. In den
Grundschulen der Grenzregion soll die Möglichkeit geschaffen werden, ab der
ersten Klasse mit dem Erlernen der Nachbarsprache (zusätzlich, also außerhalb
der Sprachenfolge) zu beginnen. Das schadet nicht beim späteren
Englischlernen. In allen weiterführenden Schulen der Grenzregion soll es
möglich sein, die Nachbarsprache als Fremdsprache zu wählen.
Weitere interessante Überlegungen zur Förderung der Nachbarsprachen in
Grenzregionen entstanden während des 2. Pontes Bildungsforums 2004
38
unter dem
Leitgedanken: Lerne die Sprache des Nachbarn. Einer der wichtigsten Aspekte besteht
in der Notwendigkeit der Kontinuität beim Fremdsprachenlernen. Um
Polnischunterricht als ein gleichberechtigtes Fach in der Schule zu etablieren, muss
deshalb vor allem die Durchgängigkeit des Unterrichts ab der Grundschule bis zum
Abschluss (Mittelschule, Gymnasium) gewährleistet werden. Dazu gehört auch eine
37
Online in Internet: http://www.dpg-brandenburg.de/nachbarsprache.htm
38
PONTES
(lateinisch ,,Brücken) ist eines der insgesamt ca. 75 Projekte des Programms
,,Lernende Regionen Förderung von Netzwerken"
des Bundesministeriums für Bildung und
Forschung (BMBF). Die PONTES - Region umfasst die drei, unmittelbar an der Grenze zu den
EU-Beitrittsländern Polen und Tschechien gelegenen Gebietskörperschaften: Landkreis Löbau-
Zittau, Kreisfreie Stadt Görlitz, Niederschlesischer Oberlausitzkreis sowie die angrenzenden
polnischen und tschechischen Gebiete der Euroregion Neiße-Nisa-Nysa. Am 6.10.2004 wurden
mehrere Workshops unter dem Motto: Lerne die Sprache des Nachbarn durchgeführt, unter der
Schirmherrschaft des Sächsischen Staatsministers für Kultus, Prof. Dr. Karls Mannsfeld. Online:
http://www.pontes-pontes.de/file/Dokumente/bildungsforum_6_10_04/Doku_061004_Web.pdf
21
dementsprechende finanzielle Ausstattung des Unterrichts, beispielsweise der Einsatz
der Lehrer und entsprechender Lehrmaterialien
39
.
Daraus ergeben sich auch deutliche Konsequenzen für die Lehrenden selbst. Erstens
sollte der Einsatz für muttersprachige Lehrer über einen längeren Zeitraum erfolgen.
Zweitens
ist
die
Frage
der
Organisation
und
Durchführung
von
Fortbildungsmaßnahmen für deutsche Lehrer im Bereich der Sprache und Landeskunde
Polen
40
neu zu durchdenken.
Wichtig ist gleichfalls die edukative Zusammenarbeit mit den Eltern, vor allem
hinsichtlich der Transparenz und des Aufklärens darüber, dass das Erlernen der
Nachbarsprache kein Hindernis für das Erlernen der englischen Sprache als lingua
franca ist.
Das Erlernen der Sprache des Nachbarlandes in Grenzregionen erfolgt am besten und
wirksamsten in partnerschaftlicher Zusammenarbeit zwischen den Schulen der
Nachbarländer. Bilinguale Bildungsgänge, besonders in grenznahen Gebieten, können
dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Auch der polnische Linguist Iluk
41
weist darauf
hin, dass der Fremdsprachenunterricht in der herkömmlichen Form den heutigen
bildungspolitischen Anforderungen nicht mehr gerecht wird, da er die
Kommunikationsfähigkeit der Lernenden nicht ausreichend fördert. Das Training dieser
Fähigkeit sollte das Ziel des bilingualen Sachfachunterrichts sein.
39
Es ist ein eklatantes Defizit an Lehr- und Lernmaterial festzustellen. Während es für die großen
Sprachen heute schon eine Auswahl multimedialer Lehr- und Lernmaterialien gibt, ist es dem
Sprachlehrer für die ,,kleinen" Sprachen selbst überlassen, entsprechende Quellen zu einem
zielorientierten Material zusammenzutragen. Die selbständige Vorbereitung einer Lehreinheit
aus Internet, Audio- und Videomedien erfordert einen signifikant höheren Aufwand als die
Vorbereitung mit vorhandenem Material. Deswegen ist die Erarbeitung von Lehrbüchern und
Lernmaterialien für Polnisch als Fremdsprache von großer Relevanz.
40
Bei der Lehrerfortbildung ist das Spezifikum der Fremdsprachendidaktik für Grenzregionen zu
berücksichtigen. Das Ziel für Fremdsprachenunterricht ist es laut Raasch (2002, 199): ,,die
jeweilige Nachbarregion zu thematisieren, um sie ,interessant' zu machen; Inhalte wie die
historischen Hintergründe, die soziale Situation, die wirtschaftlichen Zukunftsperspektiven, die
politische aber auch die sprachliche Situation können Neugier wecken, dieses Nachbarland nicht
nur als Durchreiseland zu sehen."
41
Vgl. 2000, 9.
22
3.
Vermittlung von Mehrsprachigkeit im Rahmen bilingualer
Bildungsgänge
3.1.
Begriffsbestimmungen
Als eine der markantesten Schwierigkeiten in der Zweitsprachenerwerbsforschung
dürfte die Uneinheitlichkeit der in der einschlägigen Literatur verwendeten
Terminologie und Begrifflichkeit gelten. Dennoch ist verständlich, dass ein
pädagogisches Konzept, das sich in mehreren Ländern weitgehend independent
entwickelte, nicht von Anfang an eine allseits gleichermaßen akzeptierte Begrifflichkeit
beinhalten kann.
Unter mehrsprachigen Bildungsgängen werden laut Wolff Unterrichtsansätze
verstanden, in welchen Sachfächer in einer Fremdsprache unterrichtet werden.
42
Der
Schwerpunkt des Unterrichts liegt bei diesen Ansätzen auf der Verbindung zwischen
sprachlicher und fachlicher Kompetenz. Charakteristisch ist dabei, dass die fremde
Sprache als Unterrichtsmedium verwendet wird.
43
Im allgemeinen Sprachgebrauch hat sich in Deutschland der Begriff bilingualer
Sachfachunterricht
etabliert. In der Fachliteratur stößt diese Bezeichnung jedoch immer
wieder auf Kritik. In Anbetracht der Tatsache, dass sie einen Unterricht bezeichnet, der
tatsächlich vorwiegend einsprachig in einer Fremdsprache gehalten wird und somit
keine wirkliche Bilingualität vorweist, ist sie in soziolinguistischer Hinsicht unpräzis.
44
Wie Hoffmann richtig bemerkt, trägt die Nähe des Begriffs zu zwei verwandten
Unterrichtungsformen, dem Immersionsunterricht und der bilingualen Erziehung
(bilingual education) zur weiteren Kritik am Sprachgebrauch bilingual bei.
45
42
Vgl. 2002b, 253.
43
Die Integration von Inhalt und Sprache bedeutet für das fremdsprachlichunterrichtete Sachfach
die Verwendung der Fremdsprache als Arbeitssprache. Ausgangs- und Bezugspunkt didaktischer
Planung ist damit zuerst die Fachdidaktik des Sachfaches, dennoch die Arbeitssprache auch zum
Inhalt des Unterrichts gemacht werden kann und soll, wenn die Notwendigkeit dafür besteht
(Vgl. Wolff 1997, 170).
44
Vgl. Niemeier 2002, 28.
45
Immersion bezeichnet die Unterrichtung in einigen bis hin zu allen Schulfächern in einer
Sprache, die für die Schüler eine Zweitsprache darstellt, die aber zugleich auch allgemeine
Schul- bzw. Umgebungssprache ist. Bilinguale Erziehung bezeichnet gewöhnlich die
Unterrichtung von Kindern eingesessener, regionaler Sprachminderheiten sowohl in der
offiziellen Landes- wie auch der jeweiligen Minderheitensprache (Vgl. 2003, 6-7).
23
In der fremdsprachendidaktischen Literatur findet man auch Bezeichnungen wie
fremdsprachiger Sachfachunterricht
und fremdsprachlicher Sachfachunterricht
46
.
Dabei impliziert das entsprechende Suffix unterschiedliche Zielvorstellungen:
fremdsprachiger Unterricht
bedeutet ,,in einer fremden Sprache gehaltener Unterricht",
fremdsprachlicher Unterricht
hingegen ,,über eine Fremdsprache gehaltener
Unterricht"
47
. Trotz terminologischer Differenzierung werden in der Fachliteratur in
Bezug auf den bilingualen Unterricht beide Adjektive zur Beschreibung herangezogen.
In den letzten Jahren hat sich für diese Ansätze im englischen und französischen
Sprachraum ein Begriff etabliert, der in immer stärkerem Maße Verwendung findet und
sich unter Fremdsprachendidaktikern großer Beliebtheit erfreut: Content and Language
Integrated Learning
(abgekürzt eng. CLIL und frz. EMILE). Inzwischen wird versucht,
den englischen Begriff CLIL ins Deutsche zu übertragen. Beispielsweise bezeichnet
Wolff CLIL als Inhaltsbezogenes Fremdsprachenlernen.
48
Ungeachtet der Kritik hat sich der Begriff bilingualer Sachfachunterricht dennoch als
Bezeichnung einer in Deutschland und einigen europäischen Staaten verbreiteten
Unterrichtsform durchgesetzt, in der ein oder mehrere Sachfächer in einer Sprache
unterrichtet werden, die weder die allgemeine Schulsprache noch die Umgebungs- bzw.
Landessprache und demzufolge eine Fremdsprache im schulischen Verständnis ist. In
dieser Bedeutung wird der Begriff bilingualer Sachfachunterricht im Weiteren
verwendet. Er
überwiegt nicht nur in Schüler-, Eltern- und Lehrerkreisen, sondern auch
in bundesdeutschen Debatten bis hin zu kultusministeriellen
Verordnungen.
3.2.
Ziele und Motive für die Einrichtung bilingualer Angebote
Mit der Einrichtung der bilingualen Angebote verbinden die Schulen und
Kultusministerien bestimmte Erwartungen und Intentionen. Die unterschiedlichen
Zielsetzungen lassen sich aus verschiedenartigen Schul- und Unterrichtssituationen
herleiten. Dennoch wird generell für einen ungesteuerten Spracherwerb plädiert, der im
Rahmen des bilingualen Unterrichts jederzeit ohne besondere Fokussierung auf Sprache
und sprachliche Form stattfinden kann. Die Hoffnung auf erheblichen Zugewinn
46
Eine begriffliche Klärung findet man z.B. bei Weller 1993.
47
Einerseits wird die Sprache auf einer ,,Objektebene" behandelt, andererseits auf einer
,,Metaebene".
48
2002c, 168.
24
fremdsprachlicher Kompetenzen ist und bleibt eines der wesentlichen Motive zur
Teilnahme an bilingualen Unterrichtsangeboten.
49
Die Dissertation von Weber enthält einen Überblick über Adressaten, Methoden und
Ziele der einzelnen bilingualen Konzeptionen.
50
Laut Weber stimmt der bilinguale
Unterricht in der BRD am ehesten mit der Konzeption bilingual immersion education
(Abb. 3) überein. Für die bundesdeutsche Konzeption des bilingualen Zweiges sind
ebenso der verstärkte Fremdsprachenunterricht, die zunehmende Erteilung von
Fachunterricht in der Fremdsprache und die Integration von muttersprachlichen und
fremdsprachlichen Schülern im Klassenverband repräsentativ.
Modell
Adressaten
Methode
Ziel
transitional bilingual
education
allochthone
Schüler
Unterricht in der Fremdsprache; nur
gelegentlich Erklärungen in der
Muttersprache
Übernahme der
Fremdsprache unter
Aufgabe der MS
Maintenance
bilingual education
allochthone
Schüler
Aufteilung des Schultages in eine
mutter- und fremdsprachliche
Sequenz
Weiterentwicklung von
mutter- und
fremdsprachlicher
Kompetenz
Bilingual immersion
education
autochthone
und z.T.
allochthone
Schüler
Erweiterter Fremdsprachenunterricht
;
Fachunterricht in der Fremdsprache
Kanada: hoher Fremdsprachenanteil zu
Beginn; später Fachunterricht zweisprachig
BRD: sukzessiver Anstieg des
Fremdsprachenanteils am Fachunterricht
Annähernde
Zweisprachigkeit,
interkulturelle/internationale
Kompetenz, transnationale
Kommunikationsfähigkeit
Abb.3: Überblick über Adressaten, Methoden und Ziele der einzelnen bilingualen Konzeptionen
Eine umfassende Analyse und Zwischenbilanz der Entwicklung der bilingualen
Bildungsansätze in Deutschland wurde zum Thema des Beitrages von Thürmann.
51
Die
Linguistin stützt sich dabei auf mehrjährige Erfahrungen mit deutsch-englischen und
deutsch-französischen Bildungsgängen und hat die Argumente zusammengestellt (Tab.
4), die den Einsatz bilingualer Angebote bestätigen.
Wie diese Ergebnisse zeigen, beachten die Schulen die spezifischen Wirkungen der
Verwendung einer Fremdsprache als Arbeitssprache in Sachfächern zu wenig. Die
Sensibilität dafür, dass über bilinguales Lernen fachsprachliche Kompetenzen in der
Fremdsprache entwickelt werden können, die sich sonst in der Schule auf anderem
49
Vgl. Vollmer 2002b; Vollmer 2004; Wolff 2002d.
50
Vgl. 1993, 26ff.
25
Wege kaum herstellen lassen, wird entweder wenig wahrgenommen oder in ihrer
argumentativen Wirkung für die Schulöffentlichkeit nicht sehr hoch eingeschätzt. Bei
Einrichtung bilingualer Bildungsgänge spielen allgemeine Kommunikationsfähigkeit,
Förderung beruflicher Chancen oder Einstellung auf Internationalisierung der
Lebenswelten an den Schulen eine immer größere Rolle.
Erwartete positive Effekte (Gesamt %)
· ,,Europa Kompetenzen" (15,97)
· Chancen in Studium und Beruf (15,28)
· Kommunikationsfähigkeit / allgemeine Sprachkompetenz (15,28)
· Interkulturelle Kompetenzen (11,11)
· Schulprogramm, -profil, pädagogische Innovationen (6,25)
· Standort (5,56)
· Kommunikative Reichweite, Fremdsprache als Weltsprache (5,56)
· Landeskundliche, zielkulturelle Kenntnisse (4,17)
· Spezielle, fachsprachliche Sprachkompetenzen (3,47)
· Annähernde Zweisprachigkeit (3,47)
· Verständnis des Partnerlandes (2,78)
· Fähigkeit und Bereitschaft zur Mobilität (2,78)
· Übergang zu weiterführenden Schulen (2,08)
· Fächerübergreifendes Lernen (2,08)
· Doppelter Schulabschluss (2,08)
· Vorteile im Wettbewerb mit anderen Schulen (0,69)
· Mädchenförderung (0,69)
· Erziehung zur Mehrsprachigkeit (0,69)
Tab. 4: Motive zur Einrichtung bilingualer Angebote
Interessant sind dabei die Unterschiede der Motive für die Einrichtung bilingualer
deutsch-englischer und deutsch-französischer Bildungsangebote. Englisch als
Arbeitssprache orientiert sich vorwiegend an der Funktion des Englischen als lingua
franca
, zielt demnach auf globale Kommunikation und interkulturelle Kompetenzen.
Französisch als Arbeitssprache ist hingegen stärker dem Verständnis des Partnerlandes
und der Partnerkultur verpflichtet und strebt vorwiegend annähernde Zweisprachigkeit
an.
Die Konzentration auf das Partnerland hat auch der Sprachforscher Mäsch in seinen
Beiträgen wiederholt akzentuiert und als wichtigste Ziele des bilingualen
Sachfachunterrichts ,,[...] die Schaffung einer kooperativen, auf Verständigung und
Annäherung zielenden emotional positiven Einstellung zu unserem Nachbarvolk und
51
Vgl. 2000, 479-480.
26
seinen Kulturkreis"
52
sowie die fremdsprachliche Kompetenz für Beruf und Studium
hervorgehoben.
Die vorliegende Studie wurde in Deutschland im bilingualen Bildungsgang mit
polnischen Deutsch- und deutschen Polnischlernern durchgeführt. Zum besseren
Verständnis werden zunächst einige grundsätzliche Informationen zu diesem speziellen
Forschungskontext, zur Gestaltung und Struktur des bilingualen Lernens in der BRD
und in Polen, gegeben.
3.3. Bilinguale Bildungsgänge in Deutschland und in Polen
Bilinguale Bildungsgänge, deren Status und Stellung von Staat zu Staat variieren, sind
in den meisten europäischen Ländern Teil des regulären Bildungsangebotes, wenn auch
derzeit nur für eine Minderheit der Schüler.
Laut Wolff sind die Tendenzen im Hinblick auf die sprachliche Umgebung der
jeweiligen Schule interessant. In einem von der EU unterstützen Forschungsprojekt
wird versucht, den gegenwärtigen Stand des bilingualen Lernens in Europa umfassend
darzustellen. Die Untersuchungen zeigen eindeutig, dass in mehr als einem Drittel aller
Fälle in der Nachbarschaft der Schule eine andere Sprache als die Muttersprache der
Schüler gesprochen wird. Eine mehrsprachige Umgebung trägt offenbar zur Förderung
des CLIL-Angebotes an der Schule bei.
53
Diese Entwicklungstendenz war auch Anlass
für die Bildung der ersten bilingualen Züge in Deutschland (Kapitel 3.3.1.) und ist
ebenso in der gegenwärtigen Sprachenpolitik der BRD präsent, wie die Gründung des
deutsch-polnischen Bildungsganges am Augustum-Annen-Gymnasium Görlitz (Kapitel
5.1.) bzw. die bilinguale deutsch-tschechische Ausbildung am Friedrich-Schiller
Gymnasium Pirna beweist.
3.3.1.
Gestaltung und Struktur des bilingualen Lernens in Deutschland
Seit über 30 Jahren wird bilingualer Unterricht in den einzelnen Bundesländern in
unterschiedlichen Modellen und Ausprägungen realisiert.
54
Entstanden ist er Ende der
sechziger Jahre im Gefolge des deutsch-französischen Kooperationsvertrages
55
von
52
1981, 24.
53
Vgl. Wolff 2002a, 7 9.
54
Eine Vorreiterrolle spielt hier seit jeher das Land Nordrhein-Westfalen, dessen Empfehlungen
für den bilingualen Unterricht für alle Bundesländer richtungweisend sind.
55
Sog. Elysée -Vertrag
27
1963 mit der Intention, über das Verstehen der jeweils anderen Sprache und Kultur zur
Verständigung der beiden Nachbarvölker beizutragen.
Gemäß Beschluss vom 11.10.1991 versteht die Kultusministerkonferenz die bilingualen
Züge zugleich als Beitrag zur Begabtenförderung im fremdsprachlichen Bereich. Neben
dem Englischen und Französischen, also in den beiden am weitesten verbreiteten
Schulfremdsprachen, werden in einigen Bundesländern bilinguale Bildungsgänge in den
Sprachen Italienisch, Spanisch, Niederländisch, Polnisch, Tschechisch und Russisch
angeboten.
Das bilinguale Lehren und Lernen hat sich in der Bundesrepublik Deutschland etabliert
und beträchtlich an Umfang zugenommen. Statistiken zeigen, dass 1991/1992 bereits 67
deutsch-englische und 52 deutsch-französische Züge in jeweils 9 Bundesländern,
daneben 2 deutsch-spanische und 2 deutsch-russische Züge in Berlin und Nordrhein-
Westfalen, sowie 2 deutsch-italienische und ein deutsch-niederländischer Zug in
Nordrhein-Westfalen funktionierten und dass im Schuljahr 1995/1996 bereits über 220
bilinguale Züge existierten.
56
In einer im Jahr 1999 von der Kultusministerkonferenz
vorgelegten Übersicht sind 393 Schulen mit bilingualem Zug (darunter 366 des
Sekundarbereiches) vermerkt.
57
Zurzeit gibt es über 400 Schulen mit bilingualem
Unterricht in Deutschland.
Dabei zeigt sich im Hinblick auf die Organisationsstruktur eine Tendenz zur Anbindung
der bilingualen Bildungsgänge an die erste Fremdsprache. Ein kontinuierliches
Nebeneinander und Miteinander von Fremdsprachenunterricht und Sachfachunterricht
in der Fremdsprache kennzeichnet die Struktur der bilingualen Züge, wobei das
Sachfach - nach einem zweijährigen Vorlauf in den Klassen 5 und 6 mit verstärktem
Fremdsprachenunterricht - in der Regel in Jahrgangsstufe 7 einsetzt.
Das erste Sachfach in Klasse 7 ist in der Regel Erdkunde, bei Englisch als Sprache des
bilingualen Zuges ist auch Biologie in nennenswertem Umfang vertreten. Im Verlauf
der Schulzeit kommen die Fächer Politik bzw. Geschichte und Sozialkunde/
Gemeinschaftskunde/Gesellschaftslehre hinzu. Im Durchschnitt ist von einem Angebot
von zwei Sachfächern auszugehen, die gleichzeitig oder auch alternierend geführt
56
Vgl. Wolff 1997, 171.
28
werden. In einigen Ländern gehören drei Sachfächer zum bilingualen Bildungsgang.
Die Wahl der fremdsprachlich geführten Sachfächer hängt einerseits von den Zielen des
Bildungsganges ab und steht andererseits im Zusammenhang mit den personellen
Möglichkeiten. Nach dem Ablegen des Abiturs mit jeweils einer Prüfung in der
Fremdsprache und im fremdsprachlich geführten Sachfach erhalten die Schüler als
Bestätigung einen sog. bilingualen Vermerk auf dem Abiturzeugnis.
58
In den
Grenzregionen zu Frankreich haben Schüler zusätzlich Gelegenheit, parallel das
deutsche Abitur und das französische baccalauréat abzulegen.
59
Wie die Entwicklung zeigt, haben in den letzten zehn Jahren immer mehr deutsche
Sekundarschulen ihr Interesse signalisiert, auch bilinguale Kurse anzubieten. Das
Modell wird von Schülern und Eltern allgemein wohlwollend anerkannt.
60
3.3.2.
Gestaltung und Struktur des bilingualen Lernens in Polen
Mit dem bilingualen Lernen wurde im polnischen Schulsystem 1991 begonnen. Das
wachsende Interesse an den zweisprachigen Unterrichtsformen in Europa führte dazu,
dass in den ausgewählten Lyzeen in Warschau, Krakau, Kattowitz, Lissa, Radom und
Posen die ersten bilingualen Klassen mit den Arbeitssprachen Französisch, Deutsch und
Englisch entstanden.
61
1999 wurde dieses Modell bereits in 16 polnischen Lyzeen und
in einigen Grundschulen verwirklicht. Jedoch ist ein bedeutender Zuwachs an
bilingualen Unterrichtsformen aufgrund des Mangels an entsprechenden Lehrkräften
nicht möglich.
62
Im Hinblick auf die konzeptionellen Rahmenbedingungen wird das in Polen realisierte
Modell folgendermaßen charakterisiert: Das bilinguale Lernen dauert im Lyzeum fünf
Jahre (statt wie regulär vier). Die sog. Nullklasse ist ein extrem intensiver
Fremdsprachenkurs: außer Polnisch, Mathe, Geschichte und Sport haben die Lernenden
18-20 WS Fremdsprachenunterricht. Ab der ersten Klasse beginnt der bilinguale
Sachfachunterricht. Die Schüler wählen unter Mathematik, Physik, Biologie, Erdkunde
57
Stand vom 01.08.1998 (Sekretariat 1999)
58
Vgl. Christ 1996, 90 92.
59
Vgl. Niemeier 2002, 38.
60
Ebd.
61
Vgl. Iluk 2000a, 28.
62
2002 gab es in Polen 30 bilinguale Klassen mit der Arbeitssprache Deutsch (Vgl. Multaska
2002c , 93-94).
29
und Informatik drei Fächer aus, in denen zweisprachig unterrichtet wird. Das
Lehrprogramm muss mit dem für diese Fächer geltenden Stoffpensum im polnischen
Schulsystem übereinstimmen. Das Stundenpensum kann in bilingualen Klassen um
eine WS erhöht werden. Fremdsprachige Lehrwerke werden im Sachfachunterricht
jedoch nur als Hilfsmaterialien verwendet.
63
Zum Erlangen des bilingualen Abiturs
gehört außer einer Fremdsprache das bilinguale Sachfach, das von den Lernenden
kontinuierlich drei Jahre lang besucht wird. Im zweisprachigen Bildungsgang besteht
die Möglichkeit, zusätzlich eine Sprachprüfung abzulegen.
64
Vor dem Beginn bilingualer Bildungsgänge besuchen die Schüler ein Jahr lang einen
Vorbereitungskurs mit 18-20 WS, welcher einem Zeitlimit von 720 Stunden entspricht.
Dieses Zeitlimit für eine Fremdsprache steht in Polen während der ganzen Bildungszeit
im Lyzeum zur Verfügung. Dem vom polnischen Bildungsministerium genehmigten
Lehrplan
65
ist zu entnehmen, dass in dem sog. Nulljahr genau der selbe Lernstoff zu
vermitteln ist, für den in den nicht bilingualen Klassen eine vierjährige Bildungszeit
vorgesehen ist. Damit sind die Anforderungen für die Lernenden im Nulljahr sehr hoch
und die schwächeren Schüler sind oft nicht in der Lage, diese Leistungen zu erbringen.
Der Hauptmangel dieses Lehrplans besteht laut Iluk vor allem darin, dass er ,,nicht
deutlich genug diejenigen sprachlichen Fertigkeiten und Fähigkeiten fokussiert, die bei
der Entnahme und Versprachlichung von Fachinhalten im bilingualen Bildungsgang
unentbehrlich sind."
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Damit meint der Autor die produktive Beherrschung bestimmter
grammatischer Phänomene bzw. bestimmte Sprachhandlungen, wie beispielsweise
Beschreiben, Definieren, Bewerten, Schlussfolgern, Anstellen von Synthesen,
Interpretieren von Diagrammen und Tabellen etc. Das Lernen in dem Nulljahr ist nicht
eine Einführung in das Sachfach, in dem in Zukunft bilingual unterrichtet wird.
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Das Nulljahr findet im Gymnasium statt. Die neue, seit 1. September 1999 geltende
Schulreform bezieht den bilingualen Bildungsgang sowohl in Lyzeen als auch an den
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Vgl. Iluk 2000a, 29ff.
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In Lyzeen mit der Arbeitssprache Deutsch heißt es ,,Deutsches Sprachdiplom". 1997 haben die
ersten bilingualen Klassen an den Prüfungen zum Deutschen Sprachdiplomen der KMK (Stufe
II) teilgenommen und sich damit ihre zum Studium an einer deutschen Universität erforderlichen
Sprachkenntnisse bestätigen lassen. (Vgl. Begegnung, 1/97, 32 [Online])
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Kode: DKO-4014-15/96/97
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entstandenen Gymnasien ein. Die Vorlaufspause wird in der 7. Klasse eingesetzt, und
die Schüler verlieren dann kein Lernjahr, wie es bei der Nullklasse der Fall ist. Eine
Fremdsprache ist in bilingualen Klassen die 2. Arbeitssprache. Laut ministerieller
Verordnung wird die 2. Arbeitssprache drei Jahre lang jeweils 18 WS unterrichtet. In
dieser Zeit sollen die Schüler auf Besonderheiten des bilingualen Sachfachunterrichts
vorbereitet werden.
Im Rahmen einer MOBIDIC Studie wurden polnische Schüler zu ihren Gründen zum
Besuch des bilingualen Unterrichts befragt. Für 70% der Befragten war der
Fremdsprachenerwerb von Priorität und der interkulturelle Aspekt rangierte weit
dahinter.
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Im Gesamtüberblick sind die Ergebnisse im bilingualen Lernen in Polen noch nicht
zufriedenstellend.
Die
bisherigen
Erfahrungen
und
der
kontinuierliche
Popularitätszuwachs lassen jedoch den Schluss zu, dass sich diese Unterrichtsform
künftig rascher entwickeln wird.
Grundsätzlich wird der bilinguale Unterricht in den Schulen sowohl von den Linguisten
als auch von den Schülern selbst positiv angenommen.
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Inwieweit können jedoch die
besonderen Unterrichtsmethoden als eine der wichtigsten Errungenschaften der
deutschen und europäischen Schullandschaft in den letzten Jahren betrachtet werden? In
den folgenden Abschnitten werden einige Problemstellungen und offene Fragen
bezüglich des bilingualen Unterrichts diskutiert.
3.4.
Desiderata und Perspektiven
Angesichts fehlender Erfahrungen und zu geringer bewährter didaktischer
Vorstellungen wirft der Erwerb von Mehrsprachigkeit im Rahmen bilingualer
Bildungsgänge in vielen Ländern zahlreiche organisatorische Probleme und
methodische Widersprüche auf, die zu Missverständnissen und Verwirrung beitragen.
Die Integration von Sprache und Inhalt im bilingualen Sachfach erfordert bestimmte
konzeptionelle Veränderungen des Unterrichts. Mehrere Philologen sehen ein
66
2000b, 5.
67
In der BRD ist man sich dieser Tatsache zwar bewusst, aber bisher gelang es nicht, konkrete
Lehrpläne dafür zu entwickeln.
68
MOBIDIC, 23 [Online].
69
Vgl. Thürmann 2000, Wolff 2002a.
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grundlegendes Problem zum einen darin, dass es gegenwärtig und auch in den nächsten
Jahren nicht genug Lehrkräfte gibt, die einen bilingualen Sachfachunterricht
durchführen können.
70
In den meisten europäischen Ländern gibt es nur sog. Ein-Fach-
Lehrer und der Sachfach- oder Fremdsprachenlehrer übernimmt die jeweils anderen
Aufgaben ohne spezifische Ausbildung mit. Dabei ist die zusätzliche Ausbildung zum
Sprach- oder Sachfachlehrer ein kostenaufwendiges Projekt, das sich sicher kaum ein
Land leisten kann.
Als zweites den pädagogischen Kontext betreffendes Problem heben die Philologen den
Mangel an erforderlichen Unterrichtsmaterialien hervor. Für das bilinguale Sachfach
wird größtenteils Unterrichtsstoff aus den Ländern bezogen, in welchen die
Unterrichtssprache die offizielle Sprache ist. Dabei entsprechen die aus dem Zielland
stammenden Materialien oft nicht dem eigenen Lehrplan, ist das authentische Material
meist nicht didaktisiert und oft sprachlich zu schwierig. Viele Lehrer entwickeln selbst
Unterrichtsmaterialien, tauschen sie mit anderen Lehrern oder nutzen muttersprachliche
Lehrwerke für das Sachfach in der Fremdsprache.
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Vollmer und Lenz weisen auf ein weiteres Desideratum hin. Für sie stellt sich die Frage,
nach welchen Kriterien und mit welcher Gewichtung Inhalt und sprachliche
Realisierung im bilingualen Unterricht beurteilt werden sollen? Fraglich ist, ob sich die
beiden Aspekte überhaupt trennen lassen bzw. ob für den bilingualen Unterricht nur die
fachlich-inhaltliche Seite der Leistung wichtig ist.
72
Nur in wenigen Bundesländern
gibt es explizite Leistungsmessungs- und Bewertungsvorschriften. In diesen Ländern
sind für die Bewertung in den in der Fremdsprache durchgeführten Sachfächern
fachliche Kenntnisse und Leistungen ausschlaggebend
, so wie es auch für den auf
Deutsch erteilten Sachfachunterricht gilt. Dies spiegelt sich laut Vollmer auch in der
allgemeinen Praxis wider.
Bilinguale Bildungsgänge sind aus den sog. Eliteschulen entstanden und werden daher
oft angesehen als ,,Privileg für eine schmale Lernergruppe, die den erhöhten
Anforderungen sprachlich und intellektuell genügen kann."
73
Ohne die Bereitschaft zu
70
Vgl. Thürmann 2000; Iluk 2000b; Wolff 2002b.
71
Ebd.
72
Vgl. Vollmer 2002a; Lenz 2004.
73
Iluk 2000b, 8-9.
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Originalausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2006
- ISBN (eBook)
- 9783956360442
- ISBN (Paperback)
- 9783832496883
- Dateigröße
- 1.2 MB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Technische Universität Dresden – Fakultät für Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaften, Germanistik
- Note
- 1,3
- Schlagworte
- mehrsprachigkeit motivationsforschung spachenpolitik
- Produktsicherheit
- Diplom.de