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Embedded Journalists - zukunftsweisende Strategie in der Kriegsberichterstattung oder fragwürdige Wirklichkeitskonstruktion für die Medien?

Eine Analyse von Ursprüngen, Zielen, Merkmalen, Implikationen, Nutzen und Problemen von "Embedding" am Beispiel des Irak-Krieges 2003.

©2005 Magisterarbeit 209 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Am Abend des 20. März 2003, zur besten Sendezeit im US-Fernsehen, beginnt der lang angedrohte und umstrittene Feldzug der USA, Großbritanniens, Australiens sowie weiterer Länder der von US-Präsident Bush gegründeten „Koalition der Willigen“ gegen den Irak.
Panzer und Militärfahrzeuge rücken von Kuwait aus in den Irak vor - ihr Ziel: die Hauptstadt Bagdad - ihre Mission: der Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein, der verdächtigt wird, im Besitz von gefährlichen Massenvernichtungswaffen zu sein. Raketen werden abgeschossen, Bomben aus Kampfflugzeugen abgeworfen, irakische Panzer explodieren, irakische Soldaten schwenken die weiße Fahne und knien mit hinter dem Kopf verschränkten Armen vor den Koalitionssoldaten nieder. Der Fernsehzuschauer ist bei all diesen Ereignissen live dabei, mitten im Geschehen sozusagen. Krieg bestimmt den Fernsehalltag der nächsten sechs Wochen auf allen Kanälen. Fast alle großen Fernsehstationen rund um den Globus sind bei diesem Medienspektakel hautnah dabei - von CNN, Fox News, BBC, Sky News, RTL, SAT.1, n24, ARD und ZDF bis hin zu den arabischen Fernsehsendern Al Dschasira, Al Arabija, Abu Dhabi TV, die erstmals im Irak-Krieg 2003 eine ernstzunehmende Konkurrenz für die westlichen Medien darstellen und eine völlig verschiedene Sichtweise des Krieges präsentieren. Die Nachrichtenmedien berichten pausenlos. Soviel Informationen wie in diesem Krieg hatten die Zuschauer in keinem Krieg zuvor zu verarbeiten.
Möglich wurde diese Informationsflut vor allem durch den Strategiewechsel der US-Regierung in ihrem Umgang mit den Medien im Krieg. Waren die vergangenen zwanzig Jahre von einer tiefen Feindschaft zwischen Militär und Medien sowie einer Medienstrategie der Informationsverknappung und des Fernhaltens der Reporter vom Kampfgebiet gekennzeichnet, so verfolgte die US-Regierung im Irak-Krieg eine vollkommen entgegen gesetzte, aktive Medienstrategie des Informationsmanagements, die die Fernsehsender mit den so dringend benötigten Informationen und Bildern vom Schlachtfeld versorgen sollte. Wesentlicher Bestandteil dieser Strategie war das Konzept des embedded journalism, bei dem Reporter direkt mit den Soldaten im Kriegsgebiet unterwegs sind und von dort berichten. Das Konzept ist zwar nicht neu, wurde aber im Irak-Krieg 2003 erstmals organisiert und in größerem Umfang angewandt.
Nie zuvor waren Journalisten in einem Krieg mit ausdrücklicher Genehmigung des Militärs so nah am Geschehen und […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Sandra Dietrich
Embedded Journalists - zukunftsweisende Strategie in der Kriegsberichterstattung
oder fragwürdige Wirklichkeitskonstruktion für die Medien?
Eine Analyse von Ursprüngen, Zielen, Merkmalen, Implikationen, Nutzen und Problemen
von "Embedding" am Beispiel des Irak-Krieges 2003.
ISBN-10: 3-8324-9677-7
ISBN-13: 978-3-8324-9677-7
Druck Diplomica® GmbH, Hamburg, 2006
Zugl. Hochschule für Bildende Künste und Technische Universität, Braunschweig,
Deutschland, Magisterarbeit, 2005
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http://www.diplom.de, Hamburg 2006
Printed in Germany

INHALTSVERZEICHNIS
III
INHALTSVERZEICHNIS
Abbildungsverzeichnis...VII
Tabellenverzeichnis...VIII
1. Einleitung... 1
1.1. Fragestellung...
3
1.2. Vorgehensweise... 4
2. Terminologie... 6
2.1. Definition des Begriffs ,,Kriegsberichterstattung"... 6
2.2. Relevanzkriterien der Kriegsberichterstattung... 8
2.3. Qualität in der Kriegsberichterstattung... 10
2.4. Definition des Begriffs ,,Objektivität"... 11
2.5. Definition des Begriffs ,,Zensur"... 14
3. Historiographie der Kriegsberichterstattung... 16
3.1. Anfänge der Kriegsberichterstattung...16
3.2. Der Krim-Krieg ­ der ,,erste Pressekrieg"...18
3.3. Der amerikanische Sezessionskrieg... 21
3.4. Das ,,Goldene Zeitalter" der Kriegsberichterstattung... 25
3.5.
Kriegsberichterstattung
im
Ersten
Weltkrieg...
29
3.6. Kriegsberichterstattung im Zweiten Weltkrieg... 34
3.7. Vietnam ­ der ,,erste Fernsehkrieg"... 38
3.8.
Falkland-Krieg,
Grenada-Invasion und Panama-Konflikt... 41
3.9. Golfkrieg 1991 ­ der ,,erste Live-Krieg"... 43
3.10. Kriegsberichterstattung im Irak-Krieg 2003... 47
3.11. Krieg und Medien ­ eine Symbiose... 53
3.12. Friedensjournalismus als Alternative zum Kriegsjournalismus... 54

INHALTSVERZEICHNIS
IV
4. Das Konzept des ,,Embedded journalism" im Irak-Krieg 2003 ... 58
4.1. Definition des Begriffs embedded journalism ... 59
4.2.
Merkmale
des
embedded journalism ... 62
4.2.1.
Prozess
der
Einbettung...62
4.2.2. Rechte und Pflichten von embedded journalists... 64
4.2.3.
Informationsbeschaffung
von
embedded journalists... 68
4.3. Ursprung und Hintergründe des Konzepts embedded journalism...69
4.3.1. Vorläufer von embedded journalists... 69
4.3.2. Prozess und Gründe der Entstehung von embedding...72
4.4.
Ziele
von
embedding ...75
4.5.
Bedeutung
von
embedded journalists in der Irak-Berichterstattung...77
4.6. Rezeption der Berichterstattung von embedded journalists...81
4.7.
Probleme
des
embedded journalism ...85
4.7.1. Sicherheit der Journalisten... 85
4.7.2. Unterschiedliche Behandlung von Journalisten... 87
4.7.3.
Distanzverlust...
89
4.7.4.
Restriktionen...95
4.7.5.
Fehlender
Überblick...
98
4.8.
Nutzen
des
embedded journalism...100
4.9.
Reality-War-TV...102
4.10. Schlussfolgerungen für die empirischen Analysen... 107
5. Methodik der empirischen Analysen... 111
5.1.
Befragung
von
embedded journalists...111
5.1.1. Auswahl der Stichprobe...111
5.1.2. Auswahl der Befragungsmethode...112
5.1.3.
Konzeption
des
Fragebogens...113
5.1.4. Durchführung der Befragung...114
5.1.5. Auswertung der Befragung...115
5.2. Befragung von Rezipienten... 115
5.2.1. Auswahl der Stichprobe...115
5.2.2. Auswahl der Befragungsmethode... 116
5.2.3. Konzeption des Fragebogens ...117
5.2.4. Durchführung der Befragung...118
5.2.5. Auswertung der Befragung...119

INHALTSVERZEICHNIS
V
6. Präsentation der Ergebnisse... 121
6.1. Ergebnisse der Befragung von embedded journalists... 121
6.1.1.
Informationsbeschaffung
der
embedded journalists... 121
6.1.2. Freiheit der Berichterstattung der embedded journalists...122
6.1.3.
Einhaltung
journalistischer Standards... 125
6.1.4. Vor- und Nachteile von embedding...129
6.1.5.
Friedensjournalistischer
Beitrag der eingebetteten Journalisten... 131
6.1.6.
Zukunftspotential
von
embedded journalism... 131
6.2. Ergebnisse der Befragung von Rezipienten...132
6.2.1. Mediennutzung während des Irak-Krieges 2003...133
6.2.2. Kenntnis des Konzepts embedded journalism...141
6.2.3.
Freiheit
und
Unabhängigkeit der Berichterstattung von embeds...143
6.2.4. Informationsgewinn und Glaubwürdigkeit der Berichterstattung...145
6.2.5. Vermittlung der Kriegsrealität durch eingebettete Journalisten...147
6.2.6.
Friedensjournalistischer
Beitrag der eingebetteten Journalisten...149
6.2.7.
Zukunftspotential
von
embedded journalism...151
7. Diskussion der Ergebnisse... 155
7.1. Erfolg von embedding aus Sicht von eingebetteten Journalisten ... 155
7.1.1.
Informationsbeschaffung
der
embedded journalists... 155
7.1.2. Freiheit der Berichterstattung der embedded journalists...156
7.1.3.
Einhaltung
journalistischer
Standards...
157
7.1.4.
Friedensjournalistischer
Beitrag der eingebetteten Journalisten... 158
7.1.5.
Zukunftspotential
von
embedded journalism... 159
7.1.6. Erfolgsbewertung aus Sicht von embedded journalists...159
7.2.
Erfolg
von
embedding aus Sicht von Rezipienten ...161
7.2.1.
Freiheit
und
Unabhängigkeit der Berichterstattung von embeds... 161
7.2.2. Informationsgewinn und Glaubwürdigkeit der Berichterstattung...161
7.2.3. Vermittlung der Kriegsrealität durch eingebettete Journalisten...162
7.2.4.
Friedensjournalistischer
Beitrag der eingebetteten Journalisten... 163
7.2.5.
Zukunftspotential
von
embedded journalism... 164
7.2.6. Erfolgsbewertung aus Sicht von Rezipienten...164
8. Fazit ... 167

INHALTSVERZEICHNIS
VI
Literaturverzeichnis... 170
Anhang... 180
Anhang I: Grundregeln für embedded journalists...180
Anhang II: Befragung von embedded journalists...192
A. E-Mail-Fragebogen in Deutsch... 192
B. E-Mail-Fragebogen in Englisch... 194
Anhang III: Online-Fragebogen zur Befragung von Rezipienten...196
Anhang IV: Auswertung der Rezipientenbefragung... 199

ABBILDUNGSVERZEICHNIS
VII
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Abbildung
1 Herkunft der Korrespondentenbeiträge im Irak-Krieg... 79
2 Erwartungen
britischer
Fernsehzuschauer an die Inhalte
der
Fernsehberichterstattung...
83
3 Bevorzugte Reporterformen britischer Fernsehzuschauer... 84
4 Nutzungshäufigkeiten Fernsehen nach Gruppen von befragten Studierenden...134
5 Nutzungshäufigkeiten Printmedien nach Gruppen von befragten Studierenden...135
6 Nutzungshäufigkeiten Radio nach Gruppen von befragten Studierenden...135
7 Nutzungshäufigkeiten Gespräche mit Verwandten/Bekannten nach Gruppen
von befragten Studierenden...136
8 Nutzungshäufigkeiten
Internet
nach Gruppen von befragten Studierenden...136
9 Geschätzter
täglicher
Zeitaufwand für die Fernsehberichterstattung
über den Irak-Krieg 2003 nach Gruppen von befragten Studierenden...137
10 Nutzungshäufigkeit des Fernsehsenders ARD nach Gruppen
von befragten Studierenden...138
11 Nutzungshäufigkeit des Fernsehsenders ZDF nach Gruppen
von befragten Studierenden...139
12 Nutzungshäufigkeit des Fernsehsenders RTL nach Gruppen
von befragten Studierenden...139
13 Nutzungshäufigkeit des Fernsehsenders SAT.1 nach Gruppen
von befragten Studierenden...140
14 Nutzungshäufigkeit des Fernsehsenders BBCworld nach Gruppen
von befragten Studierenden...141
15 Nutzungshäufigkeit des Fernsehsenders CNNinternational nach Gruppen
von befragten Studierenden...141
16 Kenntnis des Konzepts embedded journalism nach Gruppen
von befragten Studierenden...142
17 Verfolgung der Berichterstattung von embedded journalists
nach Gruppen von befragten Studierenden... 144

TABELLENVERZEICHNIS VIII
TABELLENVERZEICHNIS
Tabelle
1 Journalistische Rollen in der britischen Fernsehberichterstattung
über den Irak-Krieg in Prozent...77
2 Journalistische Rollen in der deutschen Fernsehberichterstattung
über den Irak-Krieg... 79
3 Bewertung
von
embedded journalists durch amerikanische Fernsehzuschauer... 82
4 Interesse an der Berichterstattung über den Irak-Krieg 2003 nach Gruppen
von befragten Studierenden...138
5 Cronbachs alpha zur Reliabilitätsanalyse der Items 29, 30, 32...144
6 Reliabilitätsanalyse der Items 29, 30, 32...145
7 Binomialtest der zusammengefassten Items 29, 30, 32... 145
8 Einfaktorielle ANOVA der Items 29, 30, 32... 146
9 Cronbachs alpha zur Reliabilitätsanalyse der Items 39, 41, 43, 47...146
10 Reliabilitätsanalyse der Items 39, 41, 43, 47... 147
11 Binomialtest der zusammengefassten Items 39, 41, 43, 47...147
12 Einfaktorielle ANOVA der Items 39, 41, 43, 47...148
13 Cronbachs alpha zur Reliabilitätsanalyse der Items 31, 42, 45, 46...148
14 Reliabilitätsanalyse der Items 31, 42, 45, 46...149
15 Binomialtest der zusammengefassten Items 31, 42, 45, 46...149
16 Einfaktorielle ANOVA der Items 31, 42, 45, 46...150
17 Häufigkeiten zum Chi-Quadrat-Einzeltest des Items 44... 150
18 Chi-Quadrat des Items 44...151
19 Einfaktorielle ANOVA des Items 44... 152
20 Häufigkeiten zum Chi-Quadrat-Einzeltest des Items 33... 152
21 Chi-Quadrat des Items 33...153
22 Einfaktorielle ANOVA des Items 33... 153
23 Häufigkeiten zum Chi-Quadrat-Einzeltest des Items 53... 154
24 Chi-Quadrat des Items 53...154
25 Einfaktorielle ANOVA des Items 53...155

1. EINLEITUNG
1
1.
EINLEITUNG
Am Abend des 20. März 2003, zur besten Sendezeit im US-Fernsehen, beginnt der lang
angedrohte und umstrittene Feldzug der USA, Großbritanniens, Australiens sowie
weiterer Länder der von US-Präsident Bush gegründeten ,,Koalition der Willigen"
1
gegen den Irak.
Panzer und Militärfahrzeuge rücken von Kuwait aus in den Irak vor - ihr Ziel: die
Hauptstadt Bagdad - ihre Mission: der Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein,
der verdächtigt wird, im Besitz von gefährlichen Massenvernichtungswaffen zu sein.
Raketen werden abgeschossen, Bomben aus Kampfflugzeugen abgeworfen, irakische
Panzer explodieren, irakische Soldaten schwenken die weiße Fahne und knien mit
hinter dem Kopf verschränkten Armen vor den Koalitionssoldaten nieder. Der
Fernsehzuschauer ist bei all diesen Ereignissen live dabei, mitten im Geschehen
sozusagen. Krieg bestimmt den Fernsehalltag der nächsten sechs Wochen auf allen
Kanälen. Fast alle großen Fernsehstationen rund um den Globus sind bei diesem
Medienspektakel hautnah dabei - von CNN, Fox News, BBC, Sky News, RTL, SAT.1,
n24, ARD und ZDF bis hin zu den arabischen Fernsehsendern Al Dschasira, Al Arabija,
Abu Dhabi TV, die erstmals im Irak-Krieg 2003 eine ernstzunehmende Konkurrenz für
die westlichen Medien darstellen und eine völlig verschiedene Sichtweise des Krieges
präsentieren. Die Nachrichtenmedien berichten pausenlos. Soviel Informationen wie in
diesem Krieg hatten die Zuschauer in keinem Krieg zuvor zu verarbeiten.
Möglich wurde diese Informationsflut vor allem durch den Strategiewechsel der US-
Regierung in ihrem Umgang mit den Medien im Krieg. Waren die vergangenen
zwanzig Jahre von einer tiefen Feindschaft zwischen Militär und Medien sowie einer
Medienstrategie der Informationsverknappung und des Fernhaltens der Reporter vom
Kampfgebiet gekennzeichnet, so verfolgte die US-Regierung im Irak-Krieg eine
vollkommen entgegen gesetzte, aktive Medienstrategie des Informationsmanagements,
die die Fernsehsender mit den so dringend benötigten Informationen und Bildern vom
Schlachtfeld versorgen sollte. Wesentlicher Bestandteil dieser Strategie war das
Konzept des embedded journalism, bei dem Reporter direkt mit den Soldaten im
Kriegsgebiet unterwegs sind und von dort berichten. Das Konzept ist zwar nicht neu,
wurde aber im Irak-Krieg 2003 erstmals organisiert und in größerem Umfang
angewandt.
1
Als ,,Coalition of the Willing" wurde von US-Präsident Bush das Bündnis jener 40 Staaten bezeichnet,
die die USA in ihrem Bestreben, den Irak anzugreifen, militärisch oder finanziell unterstützten.

1. EINLEITUNG
2
Nie zuvor waren Journalisten in einem Krieg mit ausdrücklicher Genehmigung des
Militärs so nah am Geschehen und noch nie zuvor gab es so viele Berichte von der
Front wie im Irak-Krieg. Dennoch wurde das Einbetten von Reportern in das Militär
heftig diskutiert. Kritiker warnten, dass die eingebetteten Journalisten unter der Zensur
des US-Militärs stehen und als Sprachrohr der US-Regierung fungieren würden. Ihre
Berichte würden einer Sportberichterstattung ähneln, einseitige Perspektiven
produzieren und den Krieg verherrlichen, lauteten die Vorwürfe. Befürworter des
Konzepts priesen embedding als einzigartige Augenzeugenschaft für Kriegsereignisse,
die den Zuschauern in Echtzeit faszinierende Bilder und Berichte von der Front sowie
einmalige Einblicke in die Realität des Krieges bieten würde. Die Meinungen der
Medienkritiker beiderseitig des Atlantiks waren äußerst divergierend.
Für das US-Militär hingegen war das Konzept des embedded journalism ein voller
Erfolg. Das Militär hätte seine Verpflichtung, den Medien Zugang zum Kampfgebiet zu
ermöglichen, erfüllt und zugleich militärische Informationen geheim halten können.
Zudem seien die Falschinformationen und Propaganda des irakischen Regimes mithilfe
von eingebetteten Journalisten aufgedeckt worden. Ansehen und Glaubwürdigkeit des
US-Militärs in der Öffentlichkeit seien durch die meist positive Berichterstattung der
embedded journalists gestiegen. (vgl. Paul/Kim 2004: 35-61) Die Pentagon-Sprecherin
Victoria Clarke erklärte somit nach Ende der Hauptkampfhandlungen des Irak-Krieges,
dass embedding ein großer Erfolg gewesen sei und auch in zukünftigen Konflikten als
Medienstrategie eingesetzt werden solle.
Nun eröffnet sich die Frage, ob das Konzept des embedded journalism ausschließlich
als Erfolg für das Militär angesehen werden kann oder ob embedding zugleich auch für
den Journalismus sowie für die Rezipienten der Berichterstattung als erfolgreich
einzustufen ist.
Ziel dieser Arbeit ist es demnach, die Ursprünge, Merkmale und Ziele sowie die
Bedeutung der Medienstrategie des embedded journalism in der Irak-
Kriegsberichterstattung zu analysieren und die Vor- und Nachteile, die sich aus diesem
Konzept für die Kriegsberichterstattung ergeben, herauszuarbeiten. Am Schluss der
Arbeit soll eine Einschätzung des Erfolgs oder Misserfolgs von embedding im Hinblick
auf die Ansprüche von Journalisten und Rezipienten an eine Konfliktberichterstattung
möglich sein.

1. EINLEITUNG
3
1.1. Fragestellung
In der vorliegenden Arbeit soll folgende Fragestellung untersucht werden:
Kann das Konzept des embedded journalism aus Sicht von Journalisten und Rezipienten
als Erfolg gewertet werden?
Da Erfolg eine schwer zu messende Variable ist, sollen im Folgenden Kriterien
aufgestellt werden, anhand derer der Erfolg oder Misserfolg des Konzepts gemessen
werden soll. Untergliedert wird die Hauptfrage dazu in zwei Teilfragen:
1. Beurteilen eingebettete Journalisten das Konzept des embedded journalism als
erfolgreich für die Berichterstattung über Konflikte?
Die Beantwortung dieser Teilfrage sollen folgende Kriterien zur Beurteilung des Erfolgs
aus Sicht der eingebetteten Reporter ermöglichen:
· Zugang der eingebetteten Journalisten zum Konfliktgebiet
· Sicherheit der eingebetteten Journalisten
· Informationsbeschaffung der embedded journalists
· Freiheit der Berichterstattung der embedded journalists
· Einhaltung journalistischer Standards
· Friedensjournalistischer Beitrag der eingebetteten Journalisten
· Zukunftspotential von embedded journalism
Die zweite Teilfrage bezieht sich auf die Sichtweise der Rezipienten der
Fernsehberichterstattung über den Irak-Krieg 2003:
2. Beurteilen Rezipienten das Konzept des embedded journalism als Erfolg für die
Berichterstattung über Konflikte?
Zur Beantwortung dieser Teilfrage sollen folgende Kriterien die Auffassung der
Rezipienten zum Erfolg des embedded journalism widerspiegeln:
· Freiheit und Unabhängigkeit der Berichterstattung von embeds
· Informationsgewinn und Glaubwürdigkeit der Berichterstattung
· Vermittlung der Kriegsrealität durch eingebettete Journalisten
· Friedensjournalistischer Beitrag der eingebetteten Journalisten
· Zukunftspotential von embedded journalism

1. EINLEITUNG
4
Die genannten Kriterien ergaben sich durch Überlegungen, welche Ansprüche
Korrespondenten in Kriegsgebieten an ihre journalistische Arbeitsweise haben sowie
welche Anforderungen Rezipienten vermutlich an eine Konfliktberichterstattung stellen
würden.
1.2. Vorgehensweise
Die vorliegende Arbeit gliedert sich in zwei Teile: einen theoretischen Teil und einen
empirischen Teil. Im theoretischen Teil der Arbeit sollen zunächst Begrifflichkeiten
erläutert werden, die im Zusammenhang mit Kriegsberichterstattung und Journalismus
stehen und für das weitere Verständnis der Arbeit von Bedeutung sind.
Darauf folgt im dritten Kapitel ein historischer Abriss der wichtigsten Entwicklungen in
der Kriegsberichterstattung von den Anfängen bis zum Irak-Krieg 2003. Dabei wird die
Geschichte der Kriegsberichterstattung anhand der Konflikte und kriegerischen
Auseinandersetzungen nachgezeichnet, die in Bezug auf Zugang zum Kampfgeschehen,
militärische Restriktionen, Entwicklung neuer Kommunikationstechnologien, Aktualität
der Berichte sowie Folgen für die Beziehung zwischen Militär und Medien
entscheidende Einschnitte und Veränderungen für den Kriegsjournalismus darstellen.
Die Kenntnis dieser Wendepunkte in der Geschichte der Kriegsberichterstattung soll
zum besseren Verständnis des Entstehungsprozesses des Konzepts embedded
journalism als neue Entwicklungsstufe im Verhältnis Medien - Militär beitragen.
Im vierten Kapitel der Arbeit soll das Konzept des embedded journalism in seinen
Grundzügen vorgestellt und analysiert werden. Ausgehend von einer Definition und
Abgrenzung des Begriffs soll dabei auf Merkmale, Ursprung und Hintergründe, Ziele,
Bedeutung der embedded journalists in der Irak-Berichterstattung, Rezeption der
Berichterstattung von eingebetteten Reportern sowie auf Probleme und Nutzen des
embedded journalism eingegangen werden. Den Abschluss dieses Kapitels und somit
auch des theoretischen Teils der Arbeit bilden die Schlussfolgerungen für die
empirischen Analysen.
Zur Beurteilung der aufgestellten Kriterien der beiden Teilfragen dieser Arbeit sollen
zwei empirische Analysen durchgeführt werden. Die Befragung von eingebetteten
Reportern über ihre Arbeitsbedingungen und Berichterstattung im Irak-Krieg 2003 soll
dabei die Beantwortung der ersten Teilfrage ermöglichen. Zur Beantwortung der
zweiten Teilfrage sollen Rezipienten, speziell Studierende der Medienwissenschaften

1. EINLEITUNG
5
und Journalistik zu ihren Einstellungen gegenüber dem Konzept embedded journalism
befragt werden.
Die Vorgehensweise bei der Auswahl der Stichproben, Konstruktion der Fragebögen
sowie bei den Datenerhebungen und Datenauswertungen dieser beiden Befragungen soll
deshalb im Kapitel Methodik erläutert werden.
Daran anschließend sollen die Ergebnisse beider Befragungen präsentiert und diskutiert
werden, um letztendlich die beiden Teilfragen beantworten zu können.
Im Fazit sollen die wichtigsten Ergebnisse dieser Arbeit zusammengefasst, die
Hauptfragestellung der Arbeit beantwortet sowie ein Ausblick auf eine mögliche
weiterführende Untersuchung zu diesem Thema gegeben werden.

2. TERMINOLOGIE
6
2. TERMINOLOGIE
Im Folgenden sollen wichtige Begriffe im Zusammenhang mit der Berichterstattung
über Kriege definiert und näher erläutert werden.
2.1. Definition des Begriffs ,,Kriegsberichterstattung"
Unter Kriegsberichterstattung
2
versteht der Brockhaus ,,die Berichterstattung über
kriegerische Ereignisse in Presse, Film, Hörfunk und Fernsehen" (Brockhaus 1999).
Dabei unterscheidet er zwischen amtlicher und nichtamtlicher Kriegsberichterstattung.
Die amtliche Kriegsberichterstattung erfolgt durch die Bekanntgabe von offiziellen
Informationen über das kriegerische Ereignis durch die militärische Führung und kann
Teil der psychologischen Kriegführung sein. Beispiele für die amtliche
Kriegsberichterstattung sind die täglichen Heeresberichte im ersten Weltkrieg und die
militärischen Pressekonferenzen
3
in den modernen Kriegen.
Die nichtamtliche Kriegsberichterstattung hingegen hängt laut Brockhaus von der
publizistischen Praxis, vom jeweiligen Medium und von den politischen und
militärischen Umständen der Krieg führenden Länder ab. ,,Die publizistischen
Freiheiten werden durch kriegsrechtliche Bestimmungen über die Bewegungsfreiheit
der Kriegsberichterstatter und über die Zensur ihrer Arbeiten eingeschränkt." (Bockhaus
1999) Die nichtamtliche Kriegsberichterstattung obliegt demnach den Medien und kann
als eine Sonderform des Journalismus betrachtet werden. Sie ist abzugrenzen von der
psychologischen Kriegführung, die auch als Propaganda bezeichnet werden kann, und
von Public Relations, der Öffentlichkeitsarbeit. Diese beiden publizistischen Formen
zielen auf eine einseitige und systematische Beeinflussung der Einstellungen und
Meinungen der Öffentlichkeit mit Hilfe der Massenmedien. Dabei versucht Propaganda,
im Sinne von Kriegspropaganda, vor allem die Zivilbevölkerung der kriegsgegnerischen
Seite sowie den Kriegsgegner selbst und seine Streitkräfte zu beeinflussen. Public
Relations im Rahmen eines Krieges hingegen soll Sympathien, Verständnis und
moralische Unterstützung der eigenen Bevölkerung für den Krieg gewinnen.
2
Die Begriffe Kriegsberichterstattung, Kriegsjournalismus, Krisenberichterstattung und
Konfliktberichterstattung werden in dieser Arbeit synonym verwendet.
3
auch ,,Briefings" genannt

2. TERMINOLOGIE
7
Nichtamtliche Kriegsberichterstattung meint die Vermittlung von Informationen über
die kriegerische Auseinandersetzung an die Öffentlichkeit, wobei eine Beeinflussung
der Öffentlichkeit durch die Kriegsberichterstatter
4
vermieden werden soll.
Laut Foggensteiner sind Kriegsberichterstatter ,,Journalisten, die die Öffentlichkeit aus
Krisengebieten informieren" (Foggensteiner 1993: 30). Der deutsche Rechtsanwalt
Heinrich Robinson war der erste, der für sich in Anspruch nahm, Kriegsberichterstatter
zu sein. Er reiste 1807 für die Londoner Times an die Elbe, um über Napoleons Sieg
über die Russen bei Friedland zu schreiben, setzte aber für seinen Bericht keinen Fuß
auf das Schlachtfeld. Aus diesem Grund spricht Foggensteiner William Howard
Russell, der 1854 für die Londonder Times über den Krim-Krieg berichtete, zu, der erste
Kriegsberichterstatter zu sein. In der Argumentation Foggensteiners ist ein wesentliches
Merkmal eines Kriegsberichterstatters enthalten: nur Journalisten, die aus dem
Kriegsgebiet berichten, sind Kriegsberichterstatter. Dabei unterscheidet Foggensteiner
drei Gruppen von Kriegsberichterstattern: ,,so genannte Hotelberichterstatter, deren
bevorzugter Aufenthaltsort ­ wie schon der Name sagt ­ ihr Hotel ist" (Foggensteiner
1993: 51), ,,Journalisten und Fotografen, die bis an den Ort des Geschehens fahren, um
ihre Reportagen im sicheren Abstand von der Front, aber doch in ihrer Nähe zu
recherchieren" (Foggensteiner 1993: 52) und als dritte Gruppe die Frontreporter, die in
seinen Augen ,,todessüchtige Haudegen" sind und ,,dort auf der Lauer liegen, wo
gestorben wird ­ im Schützengraben an der Front" (Foggensteiner 1993: 52). Die
meisten Kriegsberichterstatter rechnet er der zweiten Gruppe zu. Sie sind ,,Reporter am
Fensterbrett des Krieges", die versuchen, menschliche Tragödien aufzuzeigen und dabei
den Krieg nicht zur Sensation verkommen zu lassen.
Der Begriff des Kriegsberichterstatters in dieser Arbeit schließt sich der Sichtweise
Foggensteiners an und identifiziert ebenfalls drei Gruppen von Kriegsberichterstattern:
1. Frontreporter, 2. Reporter in großen Städten des bekriegten Landes und 3. Reporter,
die auf eigenes Risiko durch das bekriegte Land reisen und modern auch unilaterals
5
genannt werden.
Dementsprechend soll dieser Arbeit folgende Definition des Begriffs
Kriegsberichterstatter zugrunde gelegt werden: Kriegsberichterstatter sind Journalisten,
die sich für die Dauer eines Krieges und darüber hinaus im Krisengebiet aufhalten, um
Informationen über Ereignisse des Krieges zu recherchieren, zu selektieren, zu
4
Mit der maskulinen Form ,,Kriegsberichterstatter" soll auch die feminine Form der
,,Kriegsberichterstatterin" gemeint sein. Jedoch soll in dieser Arbeit auf eine Ausformulierung beider
Formen aus Vereinfachungsgründen verzichtet werden.
5
Englisch: Alleingänger

2. TERMINOLOGIE
8
analysieren und für die Verbreitung über die Massenmedien in Ton, Schrift oder Bild
aufzubereiten.
Für den Begriff der Kriegsberichterstattung im Sinne dieser Arbeit soll folgende
Definition gelten: ,,Kriegsberichterstattung bezeichnet `alle journalistischen
Operationen und Konstruktionen, die Krieg und/oder kriegsbezogene Ereignisse
thematisieren bzw. deren Thematisierung vorbereiten'." (Staiger 2003 zitiert nach
Löffelholz 2004: 49). Dabei wird Kriegsberichterstattung nicht auf den zeitlichen
Rahmen eines Krieges festgelegt, sondern auch die journalistische Kriegsthematisierung
vor und nach einem Krieg soll in diese Definition eingeschlossen sein.
2.2. Relevanzkriterien der Kriegsberichterstattung
In der Literatur herrscht einstimmig die Meinung vor, dass Kriege ein Lieblingsthema
der Medien sind und dass Kriege, über die nicht in den Medien berichtet wird, auch in
der Wahrnehmung der Rezipienten nicht stattfinden.
6
Warum aber wird über den einen
Krieg ausführlich in den Medien berichtet, während andere Kriege von den Medien
überhaupt nicht wahrgenommen werden?
Zu beantworten ist diese Frage mit den Relevanzkriterien der Kriegsberichterstattung.
Relevanzkriterien, auch Nachrichtenfaktoren genannt, bezeichnen die Gesichtspunkte,
nach denen Journalisten auswählen, ob ein Ereignis oder Thema berichtenswert
erscheint oder nicht. Nach Löffelholz wird die Selektion von Nachrichten von zwanzig
Nachrichtenfaktoren beeinflusst.
7
Für die Entscheidung, über welchen Krieg berichtet
wird, spielen vor allem folgende Faktoren eine Rolle: der Grad der Betroffenheit des
eigenen Landes, die Beteiligung von Elite-Nationen, die Möglichkeit einer
Anschlusskommunikation an berichtete Ereignisse im Inland, der Grad der
Überraschung, der Grad der kulturellen, politischen und ökonomischen Distanz zu den
sich bekriegenden Ländern, die Möglichkeit der Personalisierung des Krieges sowie,
insbesondere beim Fernsehen, die Möglichkeit der ausreichenden Visualisierung des
Krieges. Des Weiteren spielen die Zugangsmöglichkeit der Journalisten zum
Kriegsgebiet sowie die Bereitschaft der Kriegsparteien zur Informationsvermittlung eine
große Rolle bei der Selektion von Kriegen (vgl. Löffelholz 1993b: 19ff.).
Der Irak-Krieg 2003 war demnach ein Ereignis ersten Ranges für das Fernsehen. Es
waren Elite-Nationen (vor allem die USA und Großbritannien) an dem Krieg beteiligt.
6
Vgl. u. a. Löffelholz 1993b: 19ff., Zöllner 2001: 8ff., Bilke 2002: 59ff.
7
Die Faktoren zur Nachrichtenselektion sind erstmals in Galtung/Ruge 1963 aufgestellt worden.

2. TERMINOLOGIE
9
Bereits im Vorfeld des Krieges wurde heftig darüber diskutiert, ob er geführt werden
sollte oder nicht. In diesem Zusammenhang war auch Deutschland mit involviert, da es
die Unterstützung der USA in ihrem Vorhaben, den Irak anzugreifen, abgelehnt hat. Der
Krieg kam zwar somit für die deutschen Medien nicht mehr überraschend, bietet dafür
aber bis zum heutigen Tage die Möglichkeit der Anschlusskommunikation. Es vergeht
kaum ein Tag, an dem nicht in den Nachrichten über Ereignisse im Irak berichtet wird.
Hinzu kommt, dass bereits im Vorfeld des Krieges eine Personalisierung stattfand:
George W. Bush gegen Saddam Hussein. Laut Bilke soll diese Personalisierung des
Krieges die Identifikation der Rezipienten mit den Akteuren ermöglichen und zugleich
die Einordnung struktureller Zusammenhänge verhindern (vgl. Bilke 2002: 59f.).
Der Zugang der Medien zum Kriegsgebiet war im Irak-Krieg 2003 im Vergleich zu
anderen Kriegen ebenfalls ausgesprochen gut, da die US-Regierung den Medien die
Möglichkeit des ,,Einbettens" in die amerikanischen und britischen Truppen bot. Die
Visualisierung des Krieges wurde durch die, im Vergleich zum Golfkrieg 1991,
verbesserte Satellitenausrüstung der Kriegsberichterstatter und die damit verbundenen
Live-Bilder von der Front auf ein Höchstmaß ausgedehnt.
Bilke fügt noch hinzu, dass auch der Grad der Emotionalität des Krieges und dabei vor
allem die Emotionalität der Bilder ein weiterer Faktor für die Berichterstattung über
Kriege darstellt. Ob ein Krieg als berichtenswert eingestuft wird oder nicht, hängt
zudem von organisatorischen und technologischen Zwängen ab. Organisatorische
Zwänge sind z. B. die Vorauswahl und Arbeitsteilung durch Agenturen und
Redaktionen. Nur Nachrichten, die, zumindest im Vorfeld eines Krieges, von den
Nachrichtenagenturen weitergegeben werden, können auch zu einem Thema in den
Redaktionen werden. Dort wird dann im vermeintlichen Publikumsinteresse
entschieden, ob über ein Ereignis berichtet wird oder nicht. Ein technischer Zwang kann
z. B. die Möglichkeit der Fernsehübertragung aus dem bekriegten Gebiet sein (vgl.
Bilke 2002: 59f.).
Je mehr Selektionskriterien ein Krieg erfüllt, desto höher sind seine Chancen, dass über
ihn in den Medien berichtet wird. Das bedeutet aber auch, dass Kriege, die nicht unter
die genannten Kriterien fallen oder nur sehr wenige davon erfüllen, wie z. B. jahrelange
Bürgerkriege in Afrika, in der Medienberichterstattung und somit auch in der
Wahrnehmung der Öffentlichkeit vernachlässigt werden.

2. TERMINOLOGIE
10
2.3. Qualität in der Kriegsberichterstattung
Um den nachfolgenden historischen Abriss der Kriegsberichterstattung verstehen zu
können, ist es noch wichtig, zu klären, was im Allgemeinen unter Qualität in der
Kriegsberichterstattung verstanden werden soll.
Der Begriff Qualität hat je nach Anwendungsgebiet vielfältige Bedeutungen und kann
auch im Journalismus nicht klar umrissen werden. Qualität ist u. a. abhängig vom
jeweiligen Medium, vom Selbstverständnis der Journalisten, von der Funktion des
Journalismus, vom Publikum sowie vom Genre und von der Aktualität des Mediums
(vgl. Gleich 2003: 139).
Mögliche Kriterien, an denen Qualität im Journalismus gemessen werden kann, sind
laut Gleich die allgemeinen Professionalitätsstandards des Journalismus. Dazu gehören
Aktualität, sowohl zeitliche als auch Problemaktualität, Komplexitätsreduktion
(Faktentreue, Vereinfachung, Verständlichkeit), Originalität zum Leseanreiz,
Transparenz, Reflexivität (Offenlegen der Berichterstattungsbedingungen,
Quellenkritik) und Objektivität. Zur Objektivität zählt Gleich Kriterien wie die
Beachtung der Nachrichtenfaktoren, die Trennung von Nachricht und Meinung, eine
Vielfalt an Perspektiven sowie Fairness, Ausgewogenheit und die Vermittlung von
Hintergrundinformationen (vgl. Gleich 2003: 139).
Die Initiative für Qualität im Journalismus des Deutschen Journalistenverbandes
8
hat
ebenfalls einen Katalog mit Kriterien für die Beurteilung von Qualität im Journalismus
aufgestellt. Hiernach sollen Journalisten bei ihrer Berichterstattung unter anderem die
Menschenwürde achten, die Grundsätze der deutschen Pressekodizes einhalten sowie
ihre journalistische Unabhängigkeit bewahren. Selbstkontrolle und kritische Reflexion
sollen ebenfalls zur Qualität im Journalismus beitragen. Des Weiteren sollen
Journalisten in ihrer Wahrnehmung und Wiedergabe von Informationen präzise sein und
ihren Berichten eine fundierte Recherche zugrunde legen. Journalisten sind vorrangig
der Öffentlichkeit verpflichtet. Sie haben die Aufgabe, zur demokratischen
Meinungsbildung beizutragen und müssen somit ihr Auflagen- und Quotendenken dem
öffentlichen Auftrag der Informationsvermittlung unterordnen. ,,Sachverhalte und
Ereignisse sind nicht interessengebunden zu vermitteln, sondern distanziert, sachgerecht
und umfassend, die Vielfalt der Meinungen berücksichtigend." (Dähn 2001)
Diese Qualitätskriterien sollen Journalisten bei ihrer Arbeit immer beachten. Doch
gerade in Kriegszeiten werden an Journalisten noch höhere Anforderungen gestellt als
8
im Folgenden DJV genannt

2. TERMINOLOGIE
11
dies in Friedenszeiten der Fall ist, da die mediale Vermittlung von Kriegen meist eine
eigene Realität besitzt. ,,Jeder Kriegsberichterstatter ist auf Informationen angewiesen,
weiß aber auch, dass jeder Informant ein Eigeninteresse hat und dass Informationen
manipuliert und gefälscht werden." (Rettich 2004)
Deshalb muss jede Informationsquelle sorgfältig geprüft werden. Zudem wird der
Objektivität der Kriegsberichterstatter eine hohe Bedeutung zugesprochen, da
Objektivität ein maßgebliches Kriterium für die Glaubwürdigkeit der
Kriegsberichterstattung beim Publikum darstellt. Deshalb soll im folgenden Abschnitt
der Begriff der Objektivität näher beleuchtet werden.
2.4. Definition des Begriffs ,,Objektivität"
Der Begriff ,,Objektivität" ist im Allgemeinen ein ,,erkenntnistheoretischer Begriff für
die überindividuelle, unabhängig von einzelnen Subjekt bestehende Wahrheit eines
bestehenden Gegenstandes oder Sachverhaltes" (Brockhaus 1999). Objektivität der
Berichterstattung ist ein zentrales Anliegen des Journalismus und in den gesetzlichen
Bestimmungen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sowie im journalistischen
Pressekodex fest verankert. In der Literatur wird dieser Begriff jedoch heftig diskutiert.
Von La Roche verbindet mit Objektivität das richtige Beschreiben der Wirklichkeit
9
.
Als Merkmale von objektiver Berichterstattung nennt er die Achtung vor der Wahrheit -
d. h. also die Fakten (Namen, Alter, Zitate, usw.) müssen stimmen, Journalisten sollen
bei der Beschaffung und Weitergabe von Fakten gewissenhaft und sorgfältig arbeiten ­
die Vollständigkeit der Informationen, das Vermeiden von Kommentaren und
Wertungen sowie das Vermeiden von falschen Kopplungen mit anderen Tatsachen. Von
La Roche unterscheidet zwei verschiedene Objektivitäten: die äußere und die innere
Objektivität. Die äußere Objektivität ist durch die Befolgung der oben genannten
journalistischen Normen gewährleistet, d.h. sie ist die Objektivität, die jeder Journalist
leisten kann und muss. Die innere Objektivität hingegen ist die Beschreibung von
Wirklichkeit unabhängig von einer bestimmten Weltanschauung. Sie ist demzufolge ein
Ideal, das es zwar anzustreben gilt, das aber nie ganz erreicht werden kann, da jeder
Journalist mit bestimmten kulturellen und gesellschaftlichen Werten aufgewachsen ist
9
Auf eine ausführliche theoretische Diskussion des Begriffs ,,Wirklichkeit" bzw. ,,Realität" soll an dieser
Stelle verzichtet werden, da dies den Rahmen der Arbeit überschreiten würde. Es soll nur darauf
hingewiesen werden, dass dieser Begriff in der Literatur ebenfalls kontrovers diskutiert wird, da es nicht
die eine Wirklichkeit gibt. Vielmehr ist Wirklichkeit ebenfalls von subjektiven Empfindungen und
Eindrücken abhängig.

2. TERMINOLOGIE
12
und diese verinnerlicht hat. Die Beschreibung der Wirklichkeit in seinen Berichten
unterliegt somit immer subjektiven Einflüssen (vgl. La Roche 2003: 117-127).
Weischenberg stimmt in dieser Position mit von La Roche überein. Er ist der Ansicht,
dass es bei dem Begriff ,,Objektivität" im Journalismus ,,nicht in erster Linie um
Wahrheitsfindung, sondern um die Anwendung bestimmter professioneller und
institutioneller Routinen [geht], welche sich an Formalien, Organisationsstrukturen und
Einstellungsmustern der Akteure orientieren" (Weischenberg 2001: 22). Diese
professionellen und institutionellen Routinen definiert er noch näher: objektive
Berichterstattung bedeutet vor allem, ,,dass die Journalistinnen und Journalisten eine
möglichst unparteiische Darstellung von den Ereignissen geben sollen. Eigene
Wertungen sind unzulässig; die Präsentation soll faktenorientiert sein" (Weischenberg
2001: 18).
Ähnlicher Meinung ist auch Hagen: er interpretiert Objektivität ebenfalls in dem Sinn,
dass die Medien professionelle Regeln anwenden, ,,bei denen Konsens besteht, dass sie
dem Ziel einer von möglichst vielen als wahr akzeptierbaren Berichterstattung dienen"
(Hagen 1995: 52). Dabei hat er fünf Objektivitätskriterien erstellt, die sich in der
journalistischen Praxis als allgemein gültig erwiesen haben: Richtigkeit, Transparenz,
Sachlichkeit, Ausgewogenheit und Vielfalt der Berichterstattung. Richtigkeit bedeutet
hierbei Faktentreue, Wahrheit und Genauigkeit, d. h. also keine Verfälschung von
Tatsachen. Transparenz soll die Angabe und Beurteilung von Informationsquellen der
Journalisten beinhalten. Sachlichkeit bedeutet Neutralität und Unparteilichkeit der
Berichterstattung sowie die Trennung von Nachricht und Meinung. Ausgewogenheit
meint, dass dem Publikum gegenläufige Positionen nahe gebracht werden sollen.
Vielfalt bezieht sich sowohl auf die Präsentation verschiedener Meinungen und
Personen zu einem Thema als auch auf die Berichterstattung über vielfältige Themen.
10
Marchal hingegen ist der Ansicht, dass es die Objektivität im Journalismus nicht gibt.
Objektivität, und damit Wahrheit, hängen immer von der ,,intersubjektiven
Vereinbarung über die Art der Wirklichkeitskonstruktion" (Marchal 1995: 105-110)
zwischen Journalist und Rezipient in der jeweiligen Gesellschaft ab. Das Problem dabei
ist nur, dass die Rezipienten nichts von dieser intersubjektiven Vereinbarung wissen.
Der durchschnittliche Rezipient, so argumentiert Marchal, liest und schaut in der Regel
mit anderen Kriterien als den Objektivitätskriterien der Journalisten, nämlich gerade mit
10
Hagen ist zwar der Ansicht, dass diese Kriterien zur Objektivität der journalistischen Berichterstattung
beitragen, jedoch stellt er zugleich die Machbarkeit der Einhaltung sowie die Messbarkeit der
Objektivitätskriterien in Frage. Zur genauen Untersuchung dieser Fragestellung siehe: Hagen 1995: 53ff.

2. TERMINOLOGIE
13
denen nach Wahrheit und Realitätsnähe. Gerade im Fernsehen wird bei den Zuschauern
ein Gefühl von Augenzeugenschaft erzeugt und dass, was die Journalisten den
Zuschauern an Fakten präsentieren zur unmittelbaren Realität für die Rezipienten. Dies
ist jedoch für Marchal eine trügerische Augenzeugenschaft des Fernsehens, da die
Rezipienten nichts über die Produktionsbedingungen der Bilder wissen. Deshalb
plädiert er dafür, dass objektive Berichterstattung ,,in erster Linie die Vermittlung selbst
objektivierbar macht" (Marchal 1995: 108), d. h. die Wirklichkeitskonstruktion jeder
Berichterstattung sollte sich selbst thematisieren. Dies ist gerade in der
Kriegsberichterstattung wichtig, da dort ,,die Vermutung von so genannter `Wahrheit'
nach bestem Wissen und Gewissen in kritischem Maße auf vielfältige Weise
beeinträchtigt wird und zwar von der Nachrichtenbeschaffung bis hin zur
Schlussredaktion" (Marchal 1995: 110). Die Kriegsberichterstatter sind demnach den
Rezipienten Rechenschaft schuldig. Diese Rechenschaft soll laut Marchal nach der
Maxime ,,veni", ,,vidi", ,,scripsi" abgelegt werden, d. h. Journalisten im Kriegsgebiet
sollen den Ort ihres Aufenthalts nennen und ihre persönlichen Einschränkungen vor Ort
darstellen; sie sollen die Probleme der Informationsbeschaffung und ihrer
Wahrnehmungsbeschränkung thematisieren und sie sollen ,,über die Hintergründe und
Bedingtheiten der eigenen Wirklichkeitskonstruktion" reflektieren (Marchal 1995: 110).
Ähnliche Probleme von Objektivität in Kriegsgebieten ergeben sich auch für Gleich.
Krieg ist seiner Meinung nach immer von Propaganda und Kriegsberichterstattung
immer von Zensur begleitet, so dass es Journalisten in Kriegen besonders schwer fällt,
objektiv, im Sinne von unparteilich zu sein. ,,Die Logik des Krieges steht dem
Objektivitätskriterium des Journalismus daher entgegen." (Gleich 2003: 146) Er erklärt
diese Behauptung damit, dass es für Journalisten, nicht nur in Kriegszeiten, unmöglich
ist, die Realität vollständig zu beobachten und zu beschreiben. Zum anderen wird die
Aufmerksamkeit der Journalisten nur auf Nutzen bringende Aspekte der Realität
gerichtet. Hinzu kommt, dass die meisten Journalisten in Kriegen eine bestimmte Sache
vertreten, also parteiisch sind. Auch Kunczik ist der Ansicht, dass es keine objektive
Berichterstattung in Kriegszeiten gibt, ,,weil die Beeinflussung von Nachrichten eine
Notwendigkeit sei, wenn man einen Krieg gewinnen will" (Kunczik 1995: 87-104).
Deshalb sieht er objektive Kriegsberichterstattung auch nicht als Aufgabe der
Journalisten an, sondern als Aufgabe der Aufarbeitung durch Historiker.
Der Objektivitätsbegriff in dieser Arbeit soll diese radikale Position Gleichs und
Kuncziks nicht vertreten, sondern vielmehr soll davon ausgegangen werden, dass auch

2. TERMINOLOGIE
14
Kriegsberichterstatter bei ihrer Informationsbeschaffung und Informationsvermittlung
die anerkannten Objektivitätskriterien zu beachten haben.
Unter Objektivität soll in dieser Arbeit in Anlehnung an Weischenberg und Hagen
deshalb die Verpflichtung zu einer möglichst unverzerrten und unparteiischen
Darstellung der Wirklichkeit unter Beachtung der journalistischen Kriterien
Richtigkeit, Sachlichkeit, Ausgewogenheit, Vielfalt und Transparenz bei der
Informationsbeschaffung und der Präsentation der Informationen verstanden werden.
Der Kriegsberichterstatter wird als Vermittler zwischen den Geschehnissen im
Kriegsgebiet und den Rezipienten angesehen, dessen Aufgabe es ist, die Rezipienten
mit wahrheitsgetreuen Informationen zu versorgen, mit denen sie sich selbständig eine
Meinung über die Ereignisse bilden können.
2.5. Definition des Begriffs ,,Zensur"
Der Begriff ,,Zensur"
11
wurde im vorherigen Abschnitt bereits erwähnt und soll an
dieser Stelle im Kontext der Kriegsberichterstattung definiert werden.
Foggensteiner liefert hierbei die grundlegende Definition für diese Arbeit: ,,Zensur ­
oder auch `Sicherheitsüberprüfung', wie Militärs dazu sagen ­ ist die staatliche oder
militärische Überwachung, Überprüfung und Unterdrückung oder Einschränkung von
Veröffentlichungen in Zeitungen, im Rundfunk und Fernsehen mit dem Ziel,
unerwünschte Äußerungen oder Darstellungen zu verhindern, um die Meinung der
Nachrichtenkonsumenten in einseitiger Weise zu beeinflussen. Das Recht der
Öffentlichkeit auf Information wird dann durch die Regierungsverantwortung
eingeschränkt." (Foggensteiner 1993: 73) Zensur hat es, bis auf wenige Ausnahmen, in
der Kriegsberichterstattung immer gegeben und wird es auch weiterhin geben. Gründe
für die Einführung einer Zensur in Kriegen liegen zum einen in sicherheitspolitischen
Bedenken, wie der Angst vor Spionage des Gegners, die durch Kriegsberichterstattung
ohne Zensur erleichtert wird, und der Notwendigkeit, militärische Strategien wie
Truppenstärke, -konzentration und -bewegung vor dem Feind geheim zu halten. Zum
anderen spielen auch propagandistische Gründe eine Rolle. Zensur kann zum Beispiel
zur Täuschung des Gegners beitragen, die Moral in der eigenen Truppe und in der
eigenen Bevölkerung aufrechterhalten sowie das Ansehen des Militärs in der
Öffentlichkeit stärken. So wurde den US-Medien im Vietnam-Krieg von der US-
11
Der Begriff ,,Zensur" stammt aus dem Lateinischen (censura = Prüfung, Beurteilung, censere =
zensieren) und geht ursprünglich auf die Steuereinschätzung oder Bewertung der steuerpflichtigen und
wehrpflichtigen römischen Bürger durch einen censor (ein römisches Amt) zurück.

2. TERMINOLOGIE
15
Regierung vorgeworfen, durch ihre Kriegsberichterstattung die Unterstützung der
eigenen Bevölkerung für den Krieg unterlaufen und somit zur Niederlage der US-
Truppen in Vietnam beigetragen zu haben. In diesem Krieg hatte die US-Regierung von
der Einführung einer Zensur weitestgehend abgesehen.
Weischenberg spricht in diesem Zusammenhang von negativer und positiver Zensur
(vgl. Weischenberg 1993: 70). Negative oder auch direkte Zensur ist gleichzusetzen mit
Nachrichtenunterdrückung, d. h. Zensur beschränkt sich in diesem Zusammenhang auf
das Zurückhalten von Bild-, Ton- oder Textmaterial. Beispiele für eine solche Form der
Zensur in der Kriegsberichterstattung sind das Verhängen von Nachrichtensperren, die
Kontrolle von geplanten Veröffentlichungen durch Militärs sowie die Behinderung von
Journalisten bei ihrer Arbeit im Kriegsgebiet.
Positive oder auch indirekte Zensur meint Nachrichtenlenkung, d. h. es werden
vermeintliche Nachrichten, die sich später als falsch herausstellen, von Regierungen
oder PR-Agenturen, die von Regierungen beauftragt wurden, in Umlauf gebracht. Die
indirekte Zensur versucht, durch die Vermittlung oder Herausgabe von
Informationsmaterial die Art und Weise der Kriegsberichterstattung zu beeinflussen.
Beispiele für indirekte Zensur sind vorformulierte Presseinformationen oder
vorgefertigte Bildmaterialien, die zum Abdruck herausgegeben werden und dann,
mangels Informationen aus dem Kriegsgebiet, von den Medien unkritisch übernommen
werden. Die Form der indirekten Zensur wird heutzutage in Kriegen häufiger
angewandt als die der direkten Zensur (vgl. Weischenberg 1993: 70).
Als weitere Form der Zensur von Informationen kann man die Selbstzensur der
Journalisten definieren, die auch als ,,Schere im Kopf" bezeichnet wird. Damit ist
gemeint, dass Journalisten die Informationen, die sie recherchiert haben, bewusst oder
unbewusst auf eventuelle Folgen der Berichterstattung prüfen, um einer Ausweisung
aus dem Kriegsgebiet oder sogar einem Verlust des Arbeitsplatzes vorzubeugen.
Kriegsberichterstatter neigen dazu, mit der Medienmeinung im eigenen Land auf Linie
zu bleiben. Zudem fällt der Selbstzensur ,,alles zum Opfer, was in den Augen der
Journalisten lediglich dazu angetan ist, den Voyeurismus abartiger Konsumenten zu
befriedigen" (Foggensteiner 1993: 78). So bleibt beim Erscheinen oder Senden des
Berichts nur noch ein kleiner Teil der Informationen übrig, die der
Kriegsberichterstatter ursprünglich recherchiert hatte.

3. HISTORIOGRAPHIE DER KRIEGSBERICHTERSTATTUNG
16
3. HISTORIOGRAPHIE DER KRIEGSBERICHTERSTATTUNG
,,Die Geschichte der Kriegsberichterstattung ist eine Wechselwirkung aus
Nachrichtentechnologie und Zensur" schreibt Foggensteiner. ,,Immer schon hing es
davon ab, wie lange eine Nachricht vom Ereignis bis zu den Lesern brauchte, und wie
viel Information von den Militärs freigegeben wurde." (Foggensteiner 1993: 31).
Sowohl die Entwicklung der Technik der Nachrichtenübertragung und später der
Bildübertragung als auch die verschiedenen Zensurmaßnahmen von Militär und Politik
markieren entscheidende Zäsuren in der Kriegsberichterstattung. Im Folgenden soll
deshalb die Geschichte der Kriegsberichterstattung anhand ausgewählter Kriege, die für
Veränderungen in der Art der medialen Vermittlung von Kriegen und im Bereich der
Zensur sorgten, nachgezeichnet werden.
3.1. Anfänge der Kriegsberichterstattung
Berichte aus Kriegen existieren seit die Menschen Kriege führen. In der Antike
berichteten meist Feldherrn, heimkehrende Soldaten und Chronisten über ihre
Erlebnisse aus den Kriegen. So gilt Alexander der Große als Schöpfer der ersten
Kriegsberichterstattereinheit. Er führte bei seinen Feldzügen Schreiber mit, die über
seine Kriegserfolge berichteten und die Berichte nach Makedonien an den Hof
überbrachten, um sie dort zu vervielfältigen und in der Bevölkerung zu verbreiten. Sein
Ruf als erfolgreicher Feldherr eilte ihm daher voraus und brachte ihm großen Zulauf
von kampfbereiten Männern zu seiner Armee (vgl. Kunczik 1995: 87-103;
Dominikowski 1993: 33-37). Weitere Beispiele für Berichte über Kriege in der Antike
liefern die Historiker Herodot, Thukydides und Xenophon. Herodot berichtete in seinem
Geschichtswerk Historien über die Perserkriege zu Beginn des 5. Jahrhunderts v. Chr.
und Thukydides, der als der bedeutendste Geschichtsschreiber der Antike gilt, gelangte
durch sein Werk Der Peloponnesische Krieg zu großer Berühmtheit (vgl. Wikipedia
2004a). Der Athener Xenophon begleitete als Offizier den Zug der Zehntausend im
Kampf gegen den persischen König Artaxerxes II. und schrieb in seinem Werk
Anabasis seine Kriegserlebnisse nieder (vgl. Foggensteiner 1993: 29-45). Im Gegensatz
zu den meist künstlerischen und rhetorischen Epen der Geschichtsschreiber verfasste
Julius Cäsar sein Werk Commentarii belli Galici über seinen Feldzug gegen Gallien
sehr tatsachenorientiert, so dass man der Schrift nicht nur historische, sondern auch
genaue geografische Fakten entnehmen kann. Cäsar verfasste das Werk jedoch mit dem

3. HISTORIOGRAPHIE DER KRIEGSBERICHTERSTATTUNG
17
Ziel, seinen Feldzug zu rechtfertigen und sich als ruhmreicher Feldherr für den weiteren
Aufstieg in der römischen Politik zu qualifizieren (vgl. Wikipedia 2004b).
Die Kriegsberichte in der Antike entsprachen jedoch nicht immer der Wahrheit, so dass
die Beeinflussung der öffentlichen Meinung und die Desinformation des Gegners schon
damals primäre Ziele der Berichterstattung über Kriege waren.
Mit der Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg im Jahre 1445 und der
Entstehung von periodischen Zeitungen
12
während des Dreißigjährigen Krieges nahm
die Berichterstattung über Kriege völlig neue Dimensionen an. Zum einen erhöhte sich
die Nachfrage der Bevölkerung nach Nachrichten aus dem Krieg mit dem steigenden
Medienangebot drastisch und vor allem dann, wenn sich die Menschen durch einen
Krieg im eigenen Lande oder in einem Nachbarland bedroht sahen (vgl. Wilke 1995:
21-35). Zum anderen erkannte auch die Politik den Einfluss der entstehenden Medien
auf die öffentliche Meinung und deren Bedeutung für die Kriegführung und den
Kriegsausgang. Aus diesem Grund führte Napoleon Bonaparte für die Berichterstattung
über seine Feldzüge nach Italien (1796/97) und Ägypten (1798/99) Armeezeitungen
13
ein und beschäftigte Schreiber, um über seine Siege zu berichten. Er gab persönliche
Anweisungen, wie und worüber in den Zeitungen berichtet werden sollte. Im
Mittelpunkt der Berichte standen sein eigenes Feldherrengenie und seine militärischen
Erfolge. Er versuchte, mit der Berichterstattung nicht nur seine eigene Bevölkerung,
sondern auch die Zivilbevölkerung seiner Gegner zu beeinflussen. Die Armeezeitungen
verbreiteten noch während seiner Niederlage im Russlandfeldzug 1812/13 die
Siegespropaganda der napoleonischen Truppen, so dass die Zeitungen in der
Bevölkerung unglaubwürdig wurden.
In dieser Zeit kristallisierte sich auch bereits ein Problem heraus, dass bis zum heutigen
Tage die Kriegsberichterstattung prägt: die problematische Beziehung zwischen Medien
und Militär in Kriegszeiten. Der bedeutendste britische Heerführer der napoleonischen
Zeit und spätere Premierminister Großbritanniens, der Herzog von Wellington, ,,schrieb
in einem Brief vom 21. Dezember 1809, die Zeitungen würden so detailliert über den
Krieg berichten, dass der Gegner exakte Informationen über die Zahl der Regimenter,
deren Stellung, Bewaffnung und Kampfmoral bekommen würde" (Kunczik 1995: 90).
12
Zu den ersten, so genannten ,,neuen Zeitungen" gehören der Wolfenbütteler Aviso und der Straßburger
Relatio, die beide 1609 gegründet wurden und zunächst wöchentlich erschienen. Als die erste deutsche
Tageszeitung gilt die Leipziger Einkommende Zeitung, die 1650 entstand und sechsmal wöchentlich
erschien. (vgl. Foggensteiner 1993: 29-45)
13
Zu Beginn des Italienfeldzugs gründete er die Courrier de l'armée d'Italie und ließ dann, finanziert
durch Kriegsbeute, ein zweites, La France vue de l'armée d'Italie und ein drittes Blatt Journal de
Bonaparte et des hommes vertueux folgen (vgl. Bächtiger 1996).

3. HISTORIOGRAPHIE DER KRIEGSBERICHTERSTATTUNG
18
Wie noch zu zeigen sein wird, ist dieses Argument der Hauptgrund für die Einführung
einer Zensur in Kriegszeiten geworden.
3.2. Der Krim-Krieg ­ der ,,erste Pressekrieg"
Eine erste Zäsur, nicht nur in der Geschichte der Kriegsberichterstattung, sondern auch
für die Kriegführung, stellt der Krim-Krieg dar. Es gab zwei wesentliche technische
Neuerungen: den Einsatz der Eisenbahn, um Soldaten und Material schneller zu
transportieren, und die Fotografie, die es ermöglichte, Personen und Gegenstände so
abzubilden, wie sie in der Realität erschienen.
Die Kriegserklärung Großbritanniens an Russland im März 1854 wurde von den Briten
euphorisch aufgenommen. Zum einen hatte Großbritannien seit der gewonnenen
Schlacht von Waterloo gegen Napoleon im Jahre 1813 keinen Krieg mehr geführt. Zum
anderen galt die britische Armee immer noch als die mächtigste Armee der Welt. Diese
Tatsachen führten dazu, dass die britische Bevölkerung hungrig nach Informationen aus
dem Krim-Krieg war. Die Londoner Zeitung Times, damals die auflagenstärkste und
einflussreichste Zeitung in Großbritannien
14
, beauftragte zunächst, wie damals immer
noch üblich, einen jungen Offizier mit der Berichterstattung über den Krieg. Die Times
merkte aber schnell, dass diese traditionelle Methode der Berichterstattung den
gewachsenen Ansprüchen ihrer Leserschaft nicht mehr entsprach. Die Nachrichten von
der Front drangen nicht schnell genug nach London durch und waren zudem nur sehr
ausschnitthaft und einseitig. Die Hauptaufgabe des Offiziers war ja in erster Linie zu
kämpfen und nicht zu schreiben (vgl. Beham 1996: 11-24). Um dem Verlangen der
Bevölkerung nach Neuigkeiten aus dem Krieg dennoch gerecht zu werden, entschied
der Chefredakteur der Times, John Delane, seinen bisherigen Parlamentsreporter
William Howard Russell auf die Krim zu schicken, um aus dem Krieg zu berichten.
Russell war von diesem Gedanken zunächst nicht begeistert, da er eine Familie zu
versorgen hatte, doch erschien ihm diese journalistische Herausforderung so
verlockend, dass er den Auftrag annahm. Damit war eine vom Militär weitgehend
unabhängige Kriegsberichterstattung
15
geboren. Russell wurde zunächst nach Malta
14
Mitte des 19. Jahrhunderts hatte die Times mit 40.000 Lesern doppelt so viele Leser wie alle anderen
britischen Zeitungen zusammen. Der überwiegende Teil der Leserschaft war sehr gebildet und hatte einen
dementsprechend großen politischen Einfluss.
15
Es gab zwar bereits im mexikanisch-amerikanischen Krieg 1846/47 und im spanischen Bürgerkrieg
1834-39 unabhängige Kriegsberichterstatter (vgl. Young/Jesser 1997: 20-22), jedoch ging Russel als der
erste professionelle Kriegsberichterstatter in die Geschichte ein, da er zum einen mit seiner
Berichterstattung über den Krim-Krieg journalistische Standards setzte und zum anderen die Probleme
der modernen Kriegsberichterstattung thematisierte.

3. HISTORIOGRAPHIE DER KRIEGSBERICHTERSTATTUNG
19
geschickt. Von dort aus segelte er mit den britischen Truppen nach Gallipoli und später
weiter auf die Krim. In seinen Depeschen an seinen Redakteur Delane berichtete
Russell bald von dem desolaten Zustand der britischen Armee. Sie seien schlecht
ausgerüstet und vorbereitet, unorganisiert und unter der Würde Großbritanniens (vgl.
Knightley 2004a: 1-17). Delane veröffentlichte die Berichte zunächst nicht, da er
befürchtete, dass die Times in der Öffentlichkeit unpatriotisch wirken würde. Er zeigte
sie aber den Mitgliedern im britischen Kabinett. Die Zeitung London Daily News hatte
indessen ebenfalls einen Korrespondenten namens Edwin Lawrence Godkin auf die
Krim geschickt und veröffentlichte die Berichte über die Missstände in der britischen
Armee. Die Times sah sich nun gezwungen, die kritischen Berichte Russells doch zu
veröffentlichen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Delane entschärfte die Berichte
allerdings, in dem er sie nur in Verbindung mit einem politischen Kommentar
veröffentlichte (vgl. Beham 1996: 11-24). Trotz dieser Entschärfung war die britische
Öffentlichkeit aufgebracht über den Zustand ihrer Armee, was dazu führte, dass das
Militär alles daran setzte, die Kriegsberichterstatter von der Front fern zu halten und
Russell jegliche Unterstützung seitens des Militärs versagt wurde. Obwohl er nun auf
sich allein gestellt war und keinen Zugang zum Schlachtfeld hatte, ließ er sich nicht
entmutigen und suchte nach einem Weg, trotzdem Informationen von der Front zu
bekommen. Er beschloss, jeden Soldaten und Offizier, der von der Schlacht
zurückkehrte, zu den Ereignissen zu befragen. Jedoch musste er bald feststellen, dass
sich die Berichte der Augenzeugen teilweise widersprachen, was ihn die Frage stellen
ließ, ob er überhaupt über Ereignisse berichten könne, die er selbst nie gesehen hatte.
16
Russell hatte sich selbst zum Ziel gesetzt, objektiv über die Geschehnisse zu berichten.
Im Oktober 1854 berichtete er von einer Schlacht, die die Briten verloren hatten und in
der 500 von ursprünglich 700 Soldaten innerhalb von weniger als zwanzig Minuten
ums Leben kamen. Des Weiteren kritisierte er die Kompetenz des alternden
Hauptkommandeurs Lord Raglan, der noch nie eine so große Armee angeführt hatte und
berichtete abermals über die schlechten hygienischen Zustände und die katastrophale
medizinische Versorgung der Soldaten
17
. Die Veröffentlichung dieser Berichte setzte
die britische Regierung unter Druck, so dass sie ein Korps von Krankenschwestern auf
die Krim sandte (vgl. Knightley 2004a: 1-17). Im Januar 1855 dankte die Regierung
Aberdeen schließlich ab.
16
Diesem Problem der mangelnden Augenzeugenschaft sehen sich Kriegsberichterstatter auch heute noch
gegenüber.
17
Tatsächlich starben im Krim-Krieg weitaus mehr Soldaten an Cholera und Malaria als im Kampf.

3. HISTORIOGRAPHIE DER KRIEGSBERICHTERSTATTUNG
20
Raglan hingegen beklagte sich beim britischen Justizminister darüber, dass Russell in
seinen Berichten Details wie Truppenstärke, -position und verfügbare Mengen an
Schießpulver bekannt geben würde und damit dem russischen Zaren Nikolaus nützen
und die Sicherheit der britischen Truppen gefährden würde. Tatsächlich dauerte die
Übermittlung von Russells Depeschen nach London drei Wochen, da sie noch per
Postkutsche, Eisenbahn und Schiff transportiert werden mussten
18
. Als der russische
Befehlshaber in Sewastopol nach dem Krieg befragt wurde, ob ihm die Berichte der
Times genutzt hätten, erwiderte dieser, dass er aus der Times nichts erfahren hätte, was
er nicht sowieso schon wusste (vgl. Knightley 2004a: 1-17).
Um das Vertrauen der Bevölkerung zurück zu gewinnen, entsandte der britische Prinz
Albert den Maler Roger Fenton auf die Krim. Er sollte das neue Medium Fotografie
19
einsetzen, um das Bild der britischen Armee in der Öffentlichkeit zu verbessern. Fenton
hatte die Anweisung, saubere Fotos vom Krieg zu liefern und die Öffentlichkeit damit
zu beruhigen. Diesen Auftrag erfüllte er vortrefflich, denn er fotografierte nur fröhliche
Soldaten und gut aussehende Offiziere beim Essen, Trinken und Rauchen sowie
eroberte Festungen, nachdem die Leichen beseitigt worden waren. Zudem konnte
Fenton zu diesem Zeitpunkt nur Fotos von unbewegten Personen und Gegenständen
aufnehmen, da die Belichtungszeit des Filmmaterials noch zu lang war. Fentons 350
Fotografien konnten zwar noch nicht in Zeitungen abgedruckt werden, da dies erst ab
dem Jahr 1880 mit der Erfindung der Autotypie möglich wurde. Die Fotos wurden aber
in Ausstellungen propagandistisch eingesetzt. Sie vermittelten ein wenig authentisches
Bild vom Krieg auf der Krim, da sie keine Schlachtszenen zeigten (vgl. Dominikowski
1993: 37-39).
Als weitere Maßnahme, um kritische Kriegsberichte wie die von Russell in Zukunft zu
verhindern, wurde im Februar 1856, kurz vor Ende des Krieges, von der neuen
britischen Regierung ein Präzedenzfall für alle folgenden Kriege geschaffen: die
Militärzensur wurde erstmals eingeführt. Sie verbot die Bekanntgabe von
kriegswichtigen Details, die dem Feind nützlich sein könnten und erlaubte es dem
Militär, Korrespondenten, die gegen die Zensur verstießen, des Schlachtfeldes zu
verweisen und sie nach Hause zurück zu schicken.
18
Zwar gab es die Telegrafie bereits, die die Nachrichtenübermittlung beschleunigte. Jedoch waren die
Verbindungen während des Krim-Krieges in Europa noch nicht flächendeckend verfügbar, so dass der
Telegraf nur bedingt zum Einsatz kam (vgl. Dominikowski 1993: 37-39).
19
Die Versuche von Niecèphore Niépce, Louis Daguerre und William Henry Fox Talbot in der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts führten schließlich zur Erfindung der Fotografie als Ersatz für die Malerei, die
die Natur nur nachahmte, während die Fotografie sie real abbildete.

3. HISTORIOGRAPHIE DER KRIEGSBERICHTERSTATTUNG
21
Als Großbritannien und Russland Ende März 1856 Frieden schlossen, hatten Regierung,
Militär und Medien erkannt, dass sie aufeinander angewiesen sind: die Medien wollen
möglichst objektiv berichten und brauchen zuverlässige Kriegsnachrichten, um dem
Informationsanspruch ihrer Leser gerecht zu werden, während Militär und Regierung
eine ,,gute" Presse benötigen, um die Unterstützung der Öffentlichkeit für ihre
Kriegsstrategie zu gewährleisten und deshalb auch nicht vor einer Manipulation der
Medien zurückschrecken. Diese komplizierte Beziehung zwischen Militär und Medien
offenbarte die wesentlichen Triebkräfte der Kriegsberichterstattung: die macht-
politischen Interessen von Regierung und Militär, die Partizipationsinteressen der
Bevölkerung und das Profitinteresse der Medien (vgl. Dominikowski 1993: 37-39).
Schließlich hatten die Zeitungsverleger erkannt, dass sich in Kriegszeiten die Auflagen
ihrer Zeitungen
20
und somit ihr Gewinn enorm steigern ließen, was bereits im nächsten
bedeutenden Krieg, dem amerikanischen Sezessionskrieg, zum Konkurrenzkampf unter
den Zeitungen führen sollte.
3.3. Der amerikanische Sezessionskrieg
Im amerikanischen Sezessionskrieg, der von 1861 bis 1865 zwischen den Nord- und
den Südstaaten der USA tobte, erfuhren die Medien zum ersten Mal das volle Ausmaß
der Manipulation durch Regierungen und Militär. Diese hatten den Nutzen der Medien
für ihre Interessen und kriegspolitischen Ziele inzwischen erkannt und wussten, wie sie
die Zeitungen für ihre Zwecke einspannen konnten.
Noch nie zuvor hatten so viele Kriegsreporter von einem Krieg berichtet wie im
Sezessionskrieg. Für die Nordstaaten berichteten 500 Kriegsreporter, wovon der New
York Herald schon allein 63 Reporter auf dem Schlachtfeld beschäftigte. Dennoch war
die Qualität der Kriegsberichterstattung noch nie so schlecht wie in diesem Krieg (vgl.
Knightley 2004a: 19-41). Ein Grund dafür war sicherlich der Einsatz einer technischen
Neuerung, die bereits 1837 von dem Amerikaner Samuel Morse erfunden worden war:
des Telegrafen. Der Telegraf wurde zwar erstmals bereits im Krim-Krieg eingesetzt, um
Kriegsnachrichten schneller zu übermitteln. Jedoch war Europa zu diesem Zeitpunkt
noch nicht so gut mit Telegrafenleitungen ausgestattet wie Amerika zu Beginn des
Sezessionskrieges
21
. Die amerikanischen Zeitungen hatten schnell das Potential des
20
Die Londoner Times konnte mithilfe ihres kritischen Kriegsberichterstatters Russell ihre Auflage
während des Krim-Krieges um ein Drittel erhöhen.
21
Allein im Osten der USA waren insgesamt 50.000 Meilen Übertragungsstrecke in Gebrauch, obwohl
die Benutzung der Leitungen ziemlich teuer war (vgl. Knightley 2004a: 19-41).

3. HISTORIOGRAPHIE DER KRIEGSBERICHTERSTATTUNG
22
Telegrafen erkannt. Bisher konnten Nachrichten nur so schnell transportiert werden, wie
ein Mensch sich fortbewegen konnte, also, um es mit Postmans Worten zu formulieren,
,,so schnell, wie ein Eisenbahnzug fahren konnte, nämlich, um es noch genauer zu
sagen, etwa 55 Kilometer in der Stunde" (Postman 1988: 83), so dass es meist mehrere
Tage oder sogar Wochen dauerte, bis die Informationen in den Zeitungen erschienen.
Der Telegraf jedoch verlieh dem Begriff Aktualität eine vollkommen neue Dimension.
Die Bevölkerung konnte bereits am nächsten Tag in den Zeitungen lesen, was sich am
Tag zuvor ereignet hatte. Dies führte aber zu einer Reihe neuer Probleme. Nicht nur die
Schnelligkeit, sondern auch die Menge der Nachrichten nahm enorm zu und der Wert
einer Information maß sich nun nicht mehr an ihrer Funktion für soziales und
politisches Handeln, wie dies in Amerika bis dahin üblich war
22
, sondern nur an ihrer
Neuheit, Interessantheit und Sensationalität. Information wurde zu einer Ware, die man
kaufen und verkaufen konnte. Die Folge war ein starker Konkurrenzkampf der
Zeitungen untereinander, die erkannt hatten, dass sich mit schnellen Informationen die
Auflagen enorm steigern ließen
23
. Der Erfolg einer Zeitung hing ,,nicht mehr von der
Qualität und Nützlichkeit der Meldungen ab, die sie lieferten, sondern davon, wie viele
Informationen sie aus welchen Entfernungen in welchem Tempo herbeischaffen
konnten" (Postman 1988: 87). Dies begünstigte die Entstehung einer neuen Art von
Presse: der Boulevardpresse oder auch ,,Yellow Press", deren Ziel es war und noch
heute ist, ihren Lesern möglichst schnell und noch vor der Konkurrenz die neuesten und
exklusivsten Meldungen zu liefern. Dieser Aktualitätsdruck führte dazu, dass die
Kriegsberichterstatter nicht in erster Linie an Wahrheit, sondern an Informationen
interessiert waren. Sie wurden von ihren Redaktionen so unter Druck gesetzt, dass sie
auch über Gerüchte berichteten, um überhaupt etwas berichten zu können (vgl. Beham
1996: 11-24). Viele Reporter wurden zudem nur auf das Schlachtfeld geschickt, weil sie
in der Lage waren, einen Telegrafen zu bedienen. Ihr Handwerk im Journalismus jedoch
beherrschten sie nicht (vgl. Beham 1996: 11-24). Da die meisten Kriegsreporter jung,
unerfahren und unterbezahlt waren und zudem schnell zu Ruhm und Ehre gelangen
wollten, ließen sie sich auf Geschäfte mit Offizieren ein oder verbündeten sich mit
Politikern der Nordstaaten, so dass eine parteiische Berichterstattung in den
Tageszeitungen begünstigt wurde (vgl. Knightley 2004a: 19-41). Nur einige wenige
Kriegsberichterstatter berichteten von der sinnlosen und blutigen Seite des Krieges. Im
22
Zur Bedeutung von Informationen, politischen Reden und Büchern für das politische und soziale
Handeln der amerikanischen Bevölkerung und der Veränderung durch neue Medien wie Telegraf und
Fernseher siehe Postman 1988.
23
Die New Yorker Zeitungen konnten während des Sezessionskrieges ihre Auflagen verfünffachen. (vgl.
Beham 1996: 11-24)

3. HISTORIOGRAPHIE DER KRIEGSBERICHTERSTATTUNG
23
ersten Kriegsjahr konnten solche kritischen Berichte in den Zeitungen der Nordstaaten
auch noch veröffentlicht werden, da die zu Beginn des Krieges eingeführte Zensur bei
einer so großen Anzahl an Reportern nicht effektiv genug kontrolliert werden konnte.
Im Jahre 1862 versuchte der Kriegsminister der Nordstaaten, Edwin M. Stanton, die
Zensur zu verschärfen, in dem er Redakteure und Journalisten verhaften ließ, die die
Interessen der Nordstaaten in ihren Zeitungen nicht unterstützten. Er ging sogar soweit,
dass er einen Reporter erschießen ließ, nur weil dieser seinen Bericht nicht zensieren
lassen wollte. Da ihm die strikte Zensur der Presse jedoch noch nicht weit genug ging,
gab Stanton ab 1864 ein tägliches Kriegsbulletin
24
heraus, welches der Presse zugespielt
wurde, um eine einseitige Berichterstattung im Sinne der Nordstaaten zu garantieren.
Während die Presse der Nordstaaten zwar kommerzialisiert war, jedoch noch relativ
vielfältig über den Sezessionskrieg berichtete, verfiel die Presse der Südstaaten in eine
einseitige Propaganda. Die Kriegsberichterstattung der Südstaatenpresse war stets
optimistisch, auch wenn die Truppen der Nordstaaten bereits vor der Haustür standen.
Es wurden Opferzahlen und Kriegsverläufe zugunsten der Südstaatenarmee manipuliert
und über Eroberungen von Städten im Norden der USA berichtet, die während des
gesamten Krieges nicht angegriffen worden waren. Die Kriegsberichterstatter blieben in
ihren Berichten immer auf der Propagandalinie der konföderierten Regierung Thomas
Jeffersons (vgl. Knightley 2004a: 19-41, Beham 1996: 11-24). Die Ursachen für diese
einseitige Berichterstattung, die sich auch im Umfang nicht mit dem Norden messen
konnte, liegen zum einen darin, dass die Presse der Südstaaten ca. um 30 Jahre
zurückgeblieben war. Es gab fast nur wöchentlich erscheinende Zeitungen, lediglich
eine täglich erscheinende Zeitung, die New Orleans Picayune, die aber nur eine geringe
Auflage von 6000 Stück pro Tag hatte. Die Korrespondenten, die für die Zeitungen
arbeiteten, waren keine ausgebildeten Journalisten, sondern dienten meist den
Offizieren der Armee und berichteten in ähnlicher Weise wie zu Beginn des Krim-
Krieges. Aufgrund des mangelnden Personals war die Südstaatenpresse abhängig von
Nachrichtenagenturen
25
, die jedoch noch in den Kinderschuhen steckten (vgl. Knightley
2004a: 19-41). Zum anderen wurden Patriotismus und Loyalität gegenüber der eigenen
Seite von den Reportern meist höher bewertet als die Einhaltung journalistischer
Standards wie Trennung von Nachricht und Meinung und neutrale Berichterstattung
(vgl. Dominikowski 1993: 39).
24
Eine Praxis, die in den folgenden Kriegen weiter verfeinert wurde und bis zum heutigen Tage in
militärischen Pressebriefings fortgesetzt wird.
25
Die bedeutendste amerikanische Nachrichtenagentur, die Associated Press, wurde zwar bereits 1848
gegründet, hatte aber noch mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen.

3. HISTORIOGRAPHIE DER KRIEGSBERICHTERSTATTUNG
24
Obwohl die Berichterstattung über den Sezessionskrieg in den Südstaaten ideologisiert
und in den Nordstaaten von den Profitinteressen der Zeitungsverleger und vom
Heldentum der Kriegsberichterstatter beherrscht war, war diese Art der
Berichterstattung allemal besser als das korrupte und verzerrte Bild des Krieges, das
von der britischen Presse und insbesondere von der Times vermittelt wurde. Die
britische Presse ließ sich nicht nur von den Propagandakampagnen der Nord- und
Südstaatenregierungen beeinflussen
26
, sondern war auch selbst noch parteiisch.
Großbritannien sympathisierte mit dem amerikanischen Süden, da 75 Prozent der
britischen Textilindustrie und ein Fünftel der britischen Bevölkerung direkt oder
indirekt von den Baumwollplantagen der Südstaaten abhängig waren. Diese Tatsachen
spiegelten sich auch in der Kriegsberichterstattung der bedeutendsten Tageszeitung, der
Times wider. Die Times sandte ihren berühmten Kriegsreporter William Howard
Russell, dessen Ansehen seit dem Krim-Krieg enorm gestiegen war, in die
amerikanischen Nordstaaten. Russell, der persönlich mit den Nordstaaten
sympathisierte, da er für die Abschaffung der Sklaverei war, tat, was er immer tat: er
berichtete äußerst objektiv über das, was er sah und kritisierte sowohl die Nord- als
auch die Südstaaten. Dies gefiel weder den beiden Kriegsparteien, noch seiner
Heimatredaktion, so dass er an Ansehen verlor und von der Times so stark unter Druck
gesetzt wurde, dass er schließlich Anfang des Jahres 1862 zurück nach London fuhr.
Sein Nachfolger wurde Charles Mackay, der zugunsten der Südstaaten und somit ganz
im Sinne der Times berichtete. Als jedoch der Präsident der Nordstaaten, Abraham
Lincoln, die Proklamation der Sklavenbefreiung ausrief, die am 1. Januar 1863 in Kraft
trat, und sich abzeichnete, dass die Südstaaten den Krieg verlieren würden, änderte die
Times ihre politische Strategie und unterstützte von nun an die Nordstaaten. Mackay
verlor seinen Job mit der Begründung, dass er ein einseitiges und verzerrtes Bild von
den Absichten der Südstaaten gegeben hätte. Die scheinbare Neutralität der britischen
Presse hatte zum Ende des Krieges drei wesentliche Ergebnisse zur Folge. Zum einen
bekam die britische Bevölkerung einen vorurteilsbehafteten und falschen Eindruck des
amerikanischen Sezessionskrieges. Zum anderen war das Verhältnis zwischen den USA
und Großbritannien von einem lang anhaltenden gegenseitigen Misstrauen geprägt (vgl.
Knightley 2004a: 19-41). Drittens hatte sich die Kriegsberichterstattung endgültig als
26
Die Nordstaaten entsandten Korrespondenten nach Großbritannien, die heimlich Berichte für die
britische Presse schrieben, um so die britische Regierung an einer Intervention zugunsten der Südstaaten
zu hindern. Die Südstaaten versuchten die britischen Journalisten direkt zu beeinflussen, gerade um eine
solche Intervention hervorzurufen.

3. HISTORIOGRAPHIE DER KRIEGSBERICHTERSTATTUNG
25
eigenständige Form des Journalismus etabliert, so dass sie bereit war, in ihr ,,Goldenes
Zeitalter" einzutreten.
3.4. Das ,,Goldene Zeitalter" der Kriegsberichterstattung
Die Zeit vom Ende des amerikanischen Sezessionskrieges 1865 bis zum Beginn des
ersten Weltkrieges 1914 wird als das ,,Goldene Zeitalter"
27
der Kriegsberichterstattung
bezeichnet. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war reich an militärischen
Auseinandersetzungen, vor allem in den europäischen Kolonien, so dass Krieg meist
,,das Bild eines fernen und fremden Abenteuers annahm" (Dominikowski 1993: 39).
Die Eroberung der Kolonien führte wiederum zum wirtschaftlichen Aufschwung in den
Groß- und Kolonialmächten. Auch die Massenpresse erlebte einen enormen
Aufschwung
28
durch die Berichterstattung über die vielen Kriege, denn die Nachfrage
der Bevölkerung aus den Kolonialmächten nach Kriegsnachrichten war ungebrochen
hoch. Kriegsberichterstatter wurden als Helden angesehen, die eine ,,Aura von
Abenteuerromantik" (Beham 1996: 22) umgab, wobei die Grenze zwischen Journalist
und Soldat manchmal auch fließend war (vgl. Knightley 2004a: 43-81). Hinzu kam,
dass der Ausbau von Telegrafennetzen vorangetrieben wurde und die Arbeit der
Kriegsberichterstatter erleichterte. Das neue Medium Fotografie konnte durch die
Erfindung der Autotypie im Jahre 1880 ebenfalls für die Massenpresse genutzt werden,
d. h. Fotografien konnten nun nicht mehr nur in Ausstellungen betrachtet, sondern in
Zeitungen abgedruckt werden
29
. Aufgrund der versäumten Einführung einer
organisierten, politisch-militärischen Zensur und der Tatsache, dass die meisten Kriege
weit entfernt von der Heimat stattfanden, konnten die Kriegsberichterstatter meist über
alles berichten, worüber sie berichten wollten. Zudem entdeckten Politik und Militär,
trotz der Ereignisse auf der Krim und im amerikanischen Sezessionskrieg, nur sehr
langsam das Potential der Massenmedien ,,als Mittel der Massenerziehung und
-beeinflussung" (Beham 1996: 23). Trotz dieser Freiheiten schrieben die wenigsten
Kriegsberichterstatter in dieser ,,Goldenen Zeit" die Wahrheit über Ereignisse in
Kriegen oder kritisierten die Art der Kriegführung. Sie berichteten zwar über den Tod
von Tausenden von Menschen, stellten aber den Krieg selbst niemals in Frage. Ihnen
27
Bei Young/Jesser dauert das ,,Goldene Zeitalter" der Kriegsberichterstattung von 1860 bis 1910, d. h.
er zählt den amerikanischen Sezessionskrieg bereits zum ,,Goldenen Zeitalter" (vgl. Young/Jesser 1997:
24-31).
28
In Großbritannien verdoppelte sich die Zahl der Zeitungen in dem Zeitraum von 1880 bis 1890 (vgl.
Knightley 2004a: 43-81).
29
Bis dahin wurden Zeitungen von so genannten ,,war artists" mit Schlachtszenen illustriert.

3. HISTORIOGRAPHIE DER KRIEGSBERICHTERSTATTUNG
26
ging es nur darum, möglichst als erster einen ,,scoop"
30
gelandet zu haben. Die meisten
Kriegsberichterstatter in dieser Zeit sahen Krieg als "a big factor in the joy of living"
(Knightley 2004a: 47).
Mit zunehmenden Erfahrungen des Militärs mit der Presse nahmen organisierte Zensur,
Zugangsbeschränkungen und Beeinflussung der Kriegsberichterstatter zu. Im
preußischen-französisch Krieg 1870/71 wurden alle drei Maßnahmen zur Kontrolle und
Lenkung der Presse erstmals in größerem Umfang praktiziert. Da Frankreich auf den
Krieg schlecht vorbereitet war, ordnete die französische Regierung eine strikte Zensur
ihrer Korrespondenten an. Des Weiteren ließ sie keine ausländischen Berichterstatter
auf französischer Seite zu, da Napoleon III. befürchtete, ausländische und somit neutrale
Journalisten könnten militärische Defizite aufdecken, die französische Reporter nicht
aufdecken oder aus Angst vor Verlust ihrer Akkreditierung nicht berichten würden (vgl.
Young/Jesser 1997: 24-31). Deutschland hingegen erließ zwar bereits bei der
Mobilmachung für deutsche Journalisten ein Verbot, ,,über militärische Geheimnisse
sowie über militärische Bewegungen und Vorbereitungen zu berichten" (Beham 1996:
23), jedoch hatte der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck den Wert einer
freundlich gesinnten Presse erkannt und erlaubte u. a. den britischen Kriegsbericht-
erstattern William Howard Russell und Archibald Forbes, die deutschen Truppen
während des Krieges zu begleiten. Großbritannien, obwohl sehr interessiert am Krieg,
wollte neutral bleiben und zunächst keine Kriegsberichterstatter erlauben, weil diese nur
von deutscher Seite berichten konnten und es somit um seine Neutralität fürchtete. Erst
als der Chefredakteur der Times, John Delane, dagegen protestierte, ließ die britische
Regierung die Kriegsberichterstatter doch nach Deutschland reisen. Forbes setzte
während des Krieges neue technologische Standards, in dem er seine Berichte innerhalb
von 24 Stunden nach dem Ereignis bereits nach London sandte. Damit kam ein neuer
Aktualitätsdruck auf die Kriegsberichterstatter zu, dem sich Russell nicht mehr
gewachsen sah. Er sandte seine Berichte lieber mit dem Kurier nach London, was zwar
bedeutete, dass sie viel später dort ankamen, ihm jedoch mehr Zeit zum Schreiben
seiner ausführlichen Berichte ließ. Dem neuen Schreibstil nach dem Schema ,,wer-wie-
was-wo-wann-warum", der sich durch die Nutzung des Telegrafen zur
Nachrichtenübermittlung herausbildete, konnte Russell nichts abgewinnen, so dass der
preußisch-französische Krieg der letzte sein sollte, aus dem er berichtete. Trotz aller
Neuerungen in der Berichterstattung hatte die Presse nur wenig gelernt: die
30
,,`Scoop' kommt aus dem Englischen und bedeutet soviel wie Erstmeldung, Exklusivmeldung oder
Knüller." (Beham 1996: 11)

3. HISTORIOGRAPHIE DER KRIEGSBERICHTERSTATTUNG
27
Berichterstattung in der französischen Presse war von einer einseitigen, optimistischen
und patriotischen Stimmung geprägt, während die deutsche Berichterstattung über den
Krieg einer Manipulation durch die Regierung unterlag, um den Sieg der deutschen
Armee zu beschleunigen (vgl. Young/Jesser 1997: 24-31).
Ein Bespiel für das Profitinteresse der amerikanischen Boulevardzeitungen lieferte der
spanisch-amerikanische Krieg im Jahre 1898. Die US-amerikanischen Korrespondenten
berichteten bereits seit zwei Jahren über die Unabhängigkeitskämpfe der kubanischen
Bevölkerung gegen die spanische Kolonialmacht. Die Zeitungsinhaber William
Randolph Hearst (New York Journal) und Joseph Pulitzer (The New York World)
standen schon seit einiger Zeit miteinander im Konkurrenzkampf um die höchste
Auflage. Hearst war zudem der Ansicht, dass die USA den Unabhängigkeitskampf der
Kubaner unterstützen sollte und tat daher alles, um die öffentliche Meinung ebenfalls in
diese Richtung zu beeinflussen. Er erfand zusammen mit seinem Korrespondenten
Richard Harding Davis Geschichten über Gräueltaten der Spanier an der kubanischen
Bevölkerung und sandte den Fotografen Frederic Femington nach Kuba, der die
entsprechenden Fotos liefern sollte. Zu diesem Zeitpunkt waren die Kämpfe gerade
abgeflaut, so dass Femington zurückkehren wollte, da er nichts zu tun hatte. Daraufhin
telegrafierte Hearst seinen berühmten Satz: "Please remain. You furnish pictures. I will
furnish war." (Knightley 2004a: 58). Als einige Tage später im Hafen von Havanna das
amerikanische Kriegsschiff Maine explodierte, nahm Hearst den Vorfall zum Anlass, in
seiner Zeitung gleich am darauf folgenden Tag Spanien eines Angriffs gegen die USA
zu beschuldigen und somit eine ,,Befreit-Kuba-Kampagne" zu starten, die vor allem den
Zweck hatte, mithilfe einer amerikanischen Kriegsbeteiligung die Auflage des New
York Journal zu steigern. Obwohl die Spanier ein Komitee beauftragt hatten, dass den
Vorfall untersuchen sollte und sich später herausstellte, dass nicht ein spanischer
Angriff, sondern die mitgeführte Munition an Bord der Maine für die Explosion
verantwortlich war, erklärte die USA, aufgrund der Zeitungsmeldung Hearsts, den
Spaniern den Krieg. Damit hatte Hearst seinem Fotografen den versprochenen
Krieg geliefert. Aus dem spanisch-amerikanischen Krieg berichteten 200
Kriegsberichterstatter, allein 25 von ihnen schrieben für das New York Journal.
Hearst konnte mithilfe des Krieges seine Auflage in Schwindel erregende Höhen treiben
und andere Zeitungsverleger wollten es ihm gleich tun. So schickten sie berühmte
Korrespondenten nach Kuba und lieferten sich regelrechte Kämpfe um die größte Titel-
Schlagzeile, um die Aufmerksamkeit der Leser zu erhalten. Als der Krieg sich dem
Ende neigte und alle Zeitungsverleger reich geworden waren, verblieben nur noch neun

3. HISTORIOGRAPHIE DER KRIEGSBERICHTERSTATTUNG
28
Reporter auf Kuba (vgl. Knightley 2004a: 43-66). Dieser Krieg war somit vollkommen
von der Boulevardpresse dominiert.
Zum Beginn des 20. Jahrhunderts hatten Politik und Militär die Wirkungskraft der
Medien erkannt und verschärften ihre Zensur- und Kontrollmaßnahmen. So war die
Berichterstattung über den Burenkrieg 1899-1902 von einer strikten Militärzensur, dem
Aufzwingen der militärischen Sichtweise und rigorosen Strafmaßnahmen gegen
Journalisten, die die Militärbeschränkungen nicht einhielten, gekennzeichnet.
Das Ende des ,,Goldenen Zeitalters" der Kriegsberichterstattung wurde von dem
russisch-japanischen Krieg 1904/05 eingeleitet. Um über den Krieg zu berichten,
warteten zu Beginn des Krieges schon allein in Tokio 100 Journalisten auf ihre
Akkreditierung. Da Japan keine Erfahrung im Umgang mit Kriegsjournalisten hatte,
führten sie das Exklusiv-Visum ein, das noch bis zum heutigen Tage als Mittel der
Zugangsbeschränkung von Journalisten verwendet wird. Die Botschafter der einzelnen
Länder mussten sich im Namen der Korrespondenten um ein Visum bewerben. Dabei
gingen die Anträge gelegentlich in der japanischen Bürokratie verloren, so dass
lediglich 20 ausländische Korrespondenten zur Berichterstattung über den Krieg
zugelassen wurden. Den wenigen Kriegsberichterstattern wurde zudem eine rigorose
Zensur auferlegt und sie durften sich an der Front nicht frei bewegen. Die japanische
Presse hingegen wurde in großer Anzahl zum Kriegsschauplatz zugelassen, jedoch
wurden ihre Berichte ebenfalls streng zensiert (vgl. Young/Jesser 1997: 24-31). Die
Berichterstattung über diesen Krieg war somit von einer einseitigen und patriotischen
japanischen Sichtweise geprägt. Das Militär hatte in diesem Krieg gelernt, wie wirksam
eine absolute Zugangsbeschränkung der Journalisten zum Kriegsschauplatz sein kann.
Die meisten ausländischen Kriegsberichterstatter reisten schon bald wegen der strengen
Zensurbestimmungen ab, so dass nur noch ein Kriegsberichterstatter, der Italiener Luigi
Barzini und zwei Agenturkorrespondenten an der Front verblieben. Die Agenturreporter
mussten im japanischen Hauptquartier verbleiben, während Luigi Barzini, der immer
sehr objektiv und wahrheitsgemäß berichtete, sich an der Frontlinie relativ frei bewegen
konnte. Er arbeitete zwar unter sehr schlechten Bedingungen, berichtete aber über
auffallende, kriegstaktische Neuerungen. Zum einen gab es keine geografisch-
überschaubaren Schlachtfelder mehr, vielmehr dehnte sich die japanisch-russische
Frontlinie auf 150 Kilometer Länge aus. Zum anderen registrierte Barzini ein
Anwachsen der Artillerie
31
und den erstmaligen Einsatz von Giftgas. Dies deutete alles
31
Bisher war man der Auffassung, dass die Infanterie kriegsentscheidend sei. Jedoch änderte sich diese
Auffassung bereits im preußisch-französischen Krieg zugunsten der Artillerie.

3. HISTORIOGRAPHIE DER KRIEGSBERICHTERSTATTUNG
29
darauf hin, dass nicht nur die Kriegsberichterstattung in den folgenden Kriegen vor neue
Herausforderungen gestellt werden würde, sondern dass sich auch die bisher bekannte
Art der Kriegführung stark veränderte, wie der Erste Weltkrieg beweisen sollte.
3.5. Kriegsberichterstattung im Ersten Weltkrieg
Mit dem Ersten Weltkrieg brach ein neues Zeitalter in Kriegführung und
Kriegsberichterstattung an. ,,Der `Massen'krieg wurde zum `Massen'sterben und die
`Massen'medien wurden ­ in einer neuen Qualität ­ zu Instrumenten der
`Massen'propaganda: Der Staat bemächtigte sich der Medien.", so beschreibt
Dominikowksi die grundlegenden Veränderungen (Dominikowski 1993: 39). Von
Kriegsberichterstattung im herkömmlichen Sinn konnte man während des Ersten
Weltkrieges nicht sprechen, denn was sich in den Zeitungen in Großbritannien,
Frankreich, Deutschland und den USA widerspiegelte, war nicht die Wahrheit über den
Fortgang des Krieges, sondern reine Propaganda der jeweiligen Regierungen. Lügen,
Manipulation und Desinformation sowie Presselenkung und Pressekontrolle waren
charakteristisch für die Berichterstattung über den Ersten Weltkrieg. Nicht umsonst
wurde im Jahre 1917 von US-Senator Hiram Johnson der berühmte Satz geprägt: ,,Das
erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit" (Johnson zitiert nach: Schrader 2002: 46f.).
Bereits mit Beginn des Krieges wurde in Deutschland, Frankreich und Großbritannien
die Pressefreiheit
32
aufgehoben und eine strenge Militärzensur eingeführt. Die
Zeitungen durften nur das schreiben, was die Regierungen ihnen als wahr verkauften
und das waren meist die ,,Wahrheiten", die den Kriegszielen der jeweiligen Regierung
dienten. Über militärisch bedeutende Informationen wie Truppen- und
Schiffsbewegungen und den Zustand der eigenen, kriegswichtigen Industrie sowie über
politische Differenzen im Inland durfte auf keiner Seite berichtet werden.
In Deutschland bekam jede Zeitung tägliche Anweisungen, über was sie berichten
durfte und welche Berichte verboten waren. Generaloberst von Moltke erklärte die
Presse bereits im August 1914 zum ,,unentbehrlichen Mittel der Kriegführung" (von
Moltke zitiert nach: Beham 1996: 36). Die Nachrichtenagentur Wolff's Telegraphen-
Büro wurde zur Oberzensurstelle erklärt und ihre Berichte mussten unverändert und
unkommentiert in den Zeitungen abgedruckt werden. Journalisten, die sich
widersetzten, wurden verhaftet. Die deutschen Kriegsberichterstatter hatten Frontverbot.
32
Die Pressefreiheit in Deutschland war vom deutschen Reichskanzler Otto von Bismarck im Mai 1874
im Reichspressegesetz gesetzlich festgeschrieben worden.

3. HISTORIOGRAPHIE DER KRIEGSBERICHTERSTATTUNG
30
Sie erhielten ihre ,,Informationen" auf einer zweimal wöchentlich stattfindenden
Pressekonferenz des deutschen Kriegspresseamtes, ihrer einzigen Nachrichtenquelle.
(vgl. Knightley 2004a: 90ff.) Ausländische Kriegberichterstatter aus neutralen Ländern,
wie zum Beispiel den USA, wurden in der ersten Kriegsphase, als Deutschland noch
militärische Erfolge verzeichnen konnte, von der deutschen Regierung eingeladen, über
den Krieg von deutscher Seite aus zu berichten. Man begleitete die ausländischen
Korrespondenten zum Kampfgeschehen und unterstützte sie, wo man konnte, um die
neutralen Länder in ihrer Meinung zugunsten der Deutschen zu beeinflussen. Mit
Kriegseintritt der USA im April 1917, die letztendlich zur deutschen Kriegsniederlage
führte, hatten aber auch ausländische Korrespondenten Frontverbot. Die Pressepolitik
der deutschen Regierung setzte auf die Wirkung des Verschweigens von Niederlagen
und Verlusten auf deutscher Seite und auf die Vermittlung von deutscher Überlegenheit.
Dies führte dazu, dass die deutsche Bevölkerung einen Schock erlitt, als sich die
Diskrepanz zwischen der Zeitungsberichterstattung über den Krieg und der Realität
langsam offenbarte (vgl. Dominikowski 1993: 39-42).
In Großbritannien sollte der Pressezugang zum Kriegsschauplatz zu Beginn des Krieges
nach dem Vorbild der japanischen Zugangsbeschränkung im russisch-japanischen Krieg
1904 geregelt werden. Doch als General Kitchener, der bereits im Burenkrieg mit allen
Mitteln versuchte, die Kriegsberichterstatter von der Front abzuhalten, im August 1914
zum Kriegsminister ernannt wurde, wurde den britischen Journalisten der Zugang zur
Front gänzlich verwehrt. Kein Korrespondent sollte vom Krieg berichten und jeder
Journalist, der an der Front angetroffen wurde, wurde verhaftet und seines Reisepasses
entledigt. In den ersten Kriegswochen gab es somit in Großbritannien so gut wie keine
Kriegsberichterstattung. Lediglich zwei Korrespondenten gelang es, über die ersten
britischen Verluste und Niederlagen, vor allem von der Marneschlacht zu berichten und
diese Berichte auch zu veröffentlichen: Times-Korrespondent Arthur Moore und Daily
Mail-Korrespondent Hamilton Fyfe
33
. Als die Berichte in den beiden britischen
Zeitungen erschienen, mahnte Kitchener die Times und die Daily Mail als unpatriotisch
ab und versuchte die Berichte für seine Propaganda zu nutzen, in dem er die britische
Bevölkerung dazu aufrief, sich nun erst recht freiwillig für den Krieg zu melden. In der
Konsequenz wurde ein Offizier (Colonal Ernest Swinton) damit beauftragt,
,,Augenzeugenberichte"
34
von der französischen Front zu schreiben, um sie der Presse
33
Diese beiden Kriegsberichterstatter waren ein Paradebeispiel für die Gruppe der unilaterals (engl.:
Alleingänger), die das Militär ignorierten und auf eigene Faust recherchierten.
34
Diese ,,Augenzeugenberichte" verschwiegen Niederlagen und Verluste. Swinton hatte genaue
Anweisungen von der britischen Regierung, was er schreiben durfte und was nicht (vgl. Young/Jesser

3. HISTORIOGRAPHIE DER KRIEGSBERICHTERSTATTUNG
31
zuzuleiten (vgl. Young/Jesser 1997: 31-35, Knightley 2004a: 83-146). Jedoch
befriedigte diese Art der Berichterstattung weder die Bevölkerung noch die Presse, so
dass die britische Regierung unter Druck geriet. Als Resultat erlaubte sie im Mai 1915
sechs Korrespondenten, die britischen Truppen in Frankreich zu begleiten
35
. Die
Reporter wurden in die Armee integriert, mussten Soldatenuniformen tragen und hatten
den Rang eines Hauptmanns. Zudem wurden sie ständig von einem Offizier begleitet,
der sogar ihre privaten Briefe lesen durfte, und standen unter einer strengen Zensur. Sie
durften zum Beispiel nicht über Namen und Positionen von Regimenten und erst recht
nicht über das Wetter berichten, da es aus militärischer Sicht für den Feind hätte
nützlich sein können. Einer der sechs Reporter schrieb später in seinen Memoiren: "We
identified ourselves absolutely with the Armies in the field ... We wiped out of our
minds all thought of personal scoops and all temptation to write one word which make
the task of officers and men more difficult or dangerous. There was no need of
censorship of our despatches. We were our own censors." (zitiert nach: Knightley
2004a: 103). Die Berichte der Korrespondenten wurden an das GHQ
36
telegrafiert und
von dort an die britischen Zeitungen verteilt, die die Berichte nicht mehr verändern
durften. Mit dieser Art der Kriegsberichterstattung konnte die britische Regierung
mehrere Ziele verwirklichen. Zum einen konnte die Öffentlichkeit mit optimistischen
und ruhmreichen Berichten von der Front versorgt werden, die die Kriegsbegeisterung
der Briten aufrecht erhielt und die Rekrutierung von Soldaten vorantrieb. Zum anderen
konnten so Fehler in der Kriegführung verheimlicht und das Militär vor öffentlicher
Kritik bewahrt werden (vgl. Knightley 2004a: 83-146). Folge der britischen
Kriegsberichterstattung zum Ende des Ersten Weltkrieges war, dass die Medien in der
Bevölkerung ihre Glaubwürdigkeit verloren hatten, da die Menschen bisher immer
geglaubt hatten, was in den Zeitungen stand und nun eines Besseren belehrt wurden.
Sowohl die britische und französische als auch die deutsche Berichterstattung über den
Ersten Weltkrieg waren größtenteils von der Propagandamaschinerie der jeweiligen
Regierung vereinnahmt. Als die deutschen Truppen zu Beginn des Krieges in Belgien
einmarschierten und dabei ca. 5000 Zivilsten ums Leben kamen, nahmen die alliierten
Regierungen dies zum Anlass, eine umfassende Propagandakampagne gegen die
1997: 31-35). Ein ähnliches System wurde auch in Frankreich während des Ersten Weltkrieges
praktiziert: jedem Regiment wurde ein Informationsoffizier zur Seite gestellt, der für die französische
Regierung ,,Augenzeugenberichte" von der Front verfasste.
35
Diese Art der Akkreditierung war zu diesem Zeitpunkt ein Novum und kann als eine frühe Form des im
Irak-Krieg 2003 praktizierten embeddings von Journalisten in die Armee bezeichnet werden, worauf in
Kapitel 4 näher eingegangen wird.
36
englische Abkürzung für General Head Quarter (Generalhauptquartier)

3. HISTORIOGRAPHIE DER KRIEGSBERICHTERSTATTUNG
32
Deutschen zu starten
37
. In den beteiligten Regierungen wurden Informations- bzw.
Propagandaministerien eingerichtet, die in erster Linie die Aufgabe hatten, maßlos
übertriebene Berichte über vermeintliche Gräueltaten der deutschen Soldaten an der
belgischen Zivilbevölkerung zu verbreiten, um die Deutschen zu dämonisieren und als
ein Volk von Barbaren darzustellen. So entstanden gefälschte Bilder und Berichte über
abgehackte Kinderhände, abgeschnittene Frauenbrüste, Vergewaltigungen, Folterungen
und Massaker an der belgischen Zivilbevölkerung. Diese Bilder und Berichte wurden an
die Presse weitergegeben und hatten vor allem drei wesentliche Ziele. Erstens sollte in
der eigenen Bevölkerung Hass gegen die Deutschen geschürt werden, um die Menschen
auf Kampf und Durchhalten einzustellen und Soldaten für die Front zu rekrutieren.
Zweitens sollte die Aufnahme von Kriegsanleihen gefördert werden, um den Krieg
finanzieren zu können. Und drittens sollte, vor allem von britischer Seite aus, die USA
als bis dahin neutraler Staat antideutsch beeinflusst werden, um einen US-
amerikanischen Kriegseintritt herbeizuführen (vgl. Schrader 2002: 46f., Knightley
2004a: 83-146). Die französischen und britischen Zeitungen übernahmen diese
,,Kriegsnachrichten" meist unkritisch. Die deutsche Regierung
38
wehrte sich vergeblich
gegen die Vorwürfe, hatte aber bei weitem nicht einen so umfangreichen
Propagandaapparat wie die alliierten Regierungen, so dass die meisten angeblichen
Gräueltaten erst einige Jahre nach Kriegsende dementiert werden konnten.
Die US-amerikanische Presse berichtete in der Anfangsphase des ersten Weltkrieges
zunächst neutral und bemühte sich die Wahrheit zu schreiben. US-Präsident Thomas
Woodrow Wilson beschwerte sich sogar bei der britischen Regierung über die
Behinderung amerikanischer Kriegsberichterstatter bei ihrer Pflichterfüllung. Die
beiden amerikanischen Nachrichtenagenturen Associated Press und United Press
entlarvten die Gräuelgeschichten aus britischen, französischen und belgischen
Zeitungsberichten als Lügen, die sich nicht auf wahre Begebenheiten zurückführen
ließen. Im britischen Propagandabüro wurde indes eine US-Abteilung eingerichtet, die
Informationsveranstaltungen und Frontbesichtigungen für die amerikanischen
Kriegsberichterstatter durchführte und versuchte, auf amerikanische Meinungsführer
Einfluss zu nehmen, um den US-Medien eine pro-britische Sichtweise aufzudrängen.
Die britische Propagandakampagne hatte enormen Erfolg in den USA, denn im April
1917 herrschte in der gesamten US-Gesellschaft eine antideutsche Stimmung, die
37
In Großbritannien war der größte Teil der Bevölkerung zunächst gegen den Krieg, so dass der
britischen Regierung dieses Ereignis sehr gelegen kam, um die britische Kriegsmoral zu steigern und
Menschen für die Front und die Kriegsindustrie zu rekrutieren (vgl. Knightley 2004a: 83-146).
38
Auch die deutsche Propaganda verbreitete Gräueltaten vor allem über die russischen Truppen, um die
deutsche Bevölkerung zum Kämpfen zu motivieren.

3. HISTORIOGRAPHIE DER KRIEGSBERICHTERSTATTUNG
33
letztendlich zum Kriegseintritt der USA am 6. April 1917 führte. Nun wurde auch in
den USA ein Propagandabüro gegründet, das Committee on Public Information, dessen
Aufgabe es war, US-Soldaten für den Krieg zu rekrutieren. Die amerikanische
Regierung schickte ca. 75.000 Redner in 5.000 amerikanische Städte, um die
Bevölkerung zu mobilisieren. Es wurde ein enormer Propagandaaufwand betrieben, in
dem sich auch die Londoner Times und die London Daily Mail sowie soziale
Organisationen wie das Rote Kreuz engagierten. Die US-Regierung ordnete an, dass
amerikanische Kriegsberichterstatter die Truppen nur begleiten durften, wenn sie für
ihre Zulassung 1.000 US-Dollar zahlten und zusätzlich eine Kaution in Höhe von
10.000 US-Dollar hinterlegten, die einbehalten wurde, wenn die Journalisten gegen
die strengen Zensurbestimmungen verstießen. Auch die amerikanischen
Kriegsberichterstatter konnten sich somit seit Kriegseintritt der USA nicht mehr frei im
Kriegsgebiet bewegen und ihre Berichterstattung war von britischer und amerikanischer
Propaganda beeinflusst (vgl. Beham 1996: 25-41, Dominikowski 1993: 39-42).
Als Fazit für den Ersten Weltkrieg lässt sich festhalten, dass die Kriegberichterstattung
in allen beteiligten Ländern ein geschöntes Bild vom Krieg verbreitete und sich in
bisher noch nie da gewesenem Maße in die Propagandapolitik der jeweiligen
Regierungen einspannen ließ. Es wurden Zahlen und Fakten gefälscht, Niederlagen in
Siege umgewandelt, die Verluste der eigenen Seite gemindert und die der Gegenseite
übertrieben und die Medien veröffentlichten diese Berichte unhinterfragt. Ziel aller
beteiligten Regierungen war die Verschleierung der Realität, nämlich, dass in diesem
Massenkrieg 10 Millionen Menschen starben, 21 Millionen Menschen verwundet
wurden und Europa größtenteils verwüstet wurde. Obwohl die neu eingeführte
Funktechnik
39
die Kommunikation sowohl des Militärs als auch der Kriegsbericht-
erstatter bereits entschieden verbesserte, kann man den Medien im Ersten Weltkrieg auf
allen beteiligten Seiten massives Versagen bescheinigen, da sie angesichts der
Kombination von Kriegspropaganda, Militärzensur und Patriotismus in der
Bevölkerung offensichtlich machtlos waren und zur Verschärfung des Krieges beitrugen
(vgl. Young/Jesser 1997: 31-35).
39
Eine Reihe von Erfindungen durch Guglielmo Marconi und Ferdinand Braun ermöglichte im Ersten
Weltkrieg erstmals den Einsatz der Funktelegrafie, also der Übertragung von Nachrichten durch
elektromagnetische Wellen, in größerem Umfang. Zunächst wurde die Technik vor allem für die
militärische Kommunikation eingesetzt. Im Zweiten Weltkrieg bekam die weiterentwickelte Funktechnik
im Rundfunk ihre massenmediale Bedeutung.

3. HISTORIOGRAPHIE DER KRIEGSBERICHTERSTATTUNG
34
3.6. Kriegsberichterstattung im Zweiten Weltkrieg
Im Zweiten Weltkrieg erreichte die Einspannung der Medien für politische Interessen
und Propaganda, vor allem in Deutschland, einen erneuten Höhepunkt. Bereits im
Vorfeld des Krieges wuchs der institutionelle Aufwand zur Medienlenkung in
Deutschland schon beträchtlich. Kurz nach der Machtübernahme Adolf Hitlers im
Januar 1933 gründete sein Propagandaminister Joseph Goebbels das Ministerium für
Volksaufklärung und Propaganda. Medien und Kultur wurden gleich geschaltet und
man begann mit einer intensiven ,,Propaganda durch Wort, Bild, Film und Ton" (Beham
1996: 56), die in erster Linie auf die Psychologie und Stimmung der, seit dem Ersten
Weltkrieg zutiefst gedemütigten, deutschen Bevölkerung zielte. Unablässig wurden
Hass und Ängste geschürt, die letztendlich in blindem Vertrauen in den Führer und der
Kriegsbereitschaft des deutschen Volkes gipfelten. Um die Massen zu manipulieren und
zu mobilisieren, setzte man zwei neue Medien ein: den Film und den Rundfunk. Die
suggestive Wirkung des Films hatte man bereits im Ersten Weltkrieg
40
erkannt, obschon
der Film zu dieser Zeit noch stumm war und somit noch nicht der natürlichen audio-
visuellen Wahrnehmung seiner Zuschauer entsprach. Mit der Erfindung des
Lichttonverfahrens Mitte der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts und der
Weiterentwicklung zum Magnettonverfahren in den dreißiger Jahren waren auch die
auditiven Grundlagen für die Produktion von nationalsozialistischen Wochenschauen
und Filmen als Mittel der Massenbeeinflussung geschaffen. Vor allem Leni Riefenstahls
Filme, Triumph des Willens (1935) und Olympia ­ Fest der Völker/Fest der Schönheit
(1938), sind in diesem Zusammenhang bis zum heutigen Tag umstritten, da diesen
beiden monumentalen Filmen immer wieder vorgeworfen wird, sie würden die
nationalsozialistische Ideologie glorifizieren
41
(vgl. Monaco 2000: 307). Während des
Zweiten Weltkrieges wurden 5 Millionen Meter Film für Wochenschauen
aufgenommen, von denen nur ein Bruchteil verwendet wurde, der sowohl die deutsche
Bevölkerung als auch das Ausland mit Berichten über die militärischen Erfolge der
deutschen Wehrmacht versorgen und die Stärke des Militärs demonstrieren sollte (vgl.
Beham 1996: 54ff.). Um die nationalsozialistische Propaganda durch Ansprachen an
das Volk in jeden deutschen Haushalt übertragen zu können, bedienten sich Hitler und
40
Bereits im Ersten Weltkrieg wurden regelmäßig Wochenschauen produziert, um die deutsche
Bevölkerung zum Durchhalten zu bewegen. Jedoch hatte man zu dieser Zeit den Tonfilm noch nicht
erfunden, so dass die Wochenschauen durch Sprecher kommentiert werden mussten, um die Bilder in den
richtigen Kontext zu setzen.
41
Beide Werke wurden von den Nazis finanziert. Leni Riefenstahl beteuerte bis zu ihrem Tod im Jahr
2003 immer wieder, dass ihre Filme ästhetische Dokumentarfilme und keine Nazi-Propaganda seien.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2005
ISBN (eBook)
9783832496777
ISBN (Paperback)
9783838696775
DOI
10.3239/9783832496777
Dateigröße
2 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Hochschule für Bildende Künste Braunschweig – Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Sozialwissenschaften
Erscheinungsdatum
2006 (Juli)
Note
1,0
Schlagworte
kriegsjournalismus medienberichterstattung friedensjournalismus kriegsreporter reality
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Titel: Embedded Journalists - zukunftsweisende Strategie in der Kriegsberichterstattung oder fragwürdige Wirklichkeitskonstruktion für die Medien?
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