Salutogenetische Beratung in der Praxis
Die wissenschaftliche Begleitung eines Modellprojekts
					
	
		©2005
		Magisterarbeit
		
			
				156 Seiten
			
		
	
				
				
					
						
					
				
				
				
				
			Zusammenfassung
			
				Inhaltsangabe:Einleitung:	
Angesichts der sich immer weiter verteuernden Krankenkassen und einer millionenschweren Ärzte- und vor allem Apparatemedizin auf der einen Seite, demgegenüber eine wachsende Zahl oft chronisch kranker Menschen auf der anderen Seite, denen diese Medizin oft nicht zu der gewünschten Verbesserung und Genesung verhelfen kann, ist es an der Zeit, nach sinnvollen Alternativen zu fragen. Dabei kann es hilfreich sein, völlig neue Perspektiven im Diskurs über Gesundheit auszuloten und auch praktisch neue Wege zu gehen.
Dass Körper und seelische Verfassung eng zusammen hängen, ist mittlerweile eine sehr verbreitete Auffassung. Es gibt bereits verschiedene Ansätze, mit dieser Erkenntnis umzugehen, doch haben bisher wenige davon Eingang in die medizinische Versorgung durch z.B. Krankenkassen gefunden. Diese Arbeit beschäftigt sich mit wissenschaftlich fundierten ganzheitlichen Gesundheitsberatungen, welche auf dem gesundheitswissenschaftlichen Ansatz der Salutogenese sowie den Erkenntnissen des systemischen Ansatzes der Lösungsorientierten Beratung und Kurzzeittherapie beruhen.
Nach den Versuchen der WHO, Gesundheit neu und unabhängig von Krankheit zu definieren, und verschiedenen anderen Ansätzen, hat Aaron Antonovsky, ein israelischer Medizinsoziologe, einen neuen theoretischen und empirischen Forschungsansatz zum Gesundheitsbegriff und der Auffassung über Gesundheitserhaltung von Menschen vorgelegt. Seine Theorie der Salutogenese (lat.: salveo bedeutet gesund sein, genero bedeutet erschaffen; demnach kann dieser Begriff in etwa übersetzt werden mit Gesundheitsentstehung), stellt ein zentrales Element dieser Arbeit dar, auf das theoretisch wie auch praktisch aufgebaut wird.
Antonovsky geht davon aus, dass alles Lebendige dem Verfall ausgesetzt ist und Leben demnach einen beständigen Widerstand gegen diesen Verfall darstellt. Er stellt die wissenschaftliche Frage nach Faktoren für Gesundheit, unabhängig vom Konzept der Krankheit und Heilung, und entdeckt bestimmte, psychologisch verankerte Widerstandsressourcen, die er in seinem Konzept des Kohärenzgefühls darstellt. Krankheit und Gesundheit werden dabei als Kontinuum gesehen und niemals als absolute Werte. Gesundheit erhaltend ist, was eine Person in diesem Kontinuum mehr zum gesunden Pol hintendieren lässt.
Diese Arbeit begleitet ein wissenschaftliches Forschungsteam bei der Frage, ob und inwieweit man durch (lösungsorientierte) Beratungsgespräche gezielt […]
	Angesichts der sich immer weiter verteuernden Krankenkassen und einer millionenschweren Ärzte- und vor allem Apparatemedizin auf der einen Seite, demgegenüber eine wachsende Zahl oft chronisch kranker Menschen auf der anderen Seite, denen diese Medizin oft nicht zu der gewünschten Verbesserung und Genesung verhelfen kann, ist es an der Zeit, nach sinnvollen Alternativen zu fragen. Dabei kann es hilfreich sein, völlig neue Perspektiven im Diskurs über Gesundheit auszuloten und auch praktisch neue Wege zu gehen.
Dass Körper und seelische Verfassung eng zusammen hängen, ist mittlerweile eine sehr verbreitete Auffassung. Es gibt bereits verschiedene Ansätze, mit dieser Erkenntnis umzugehen, doch haben bisher wenige davon Eingang in die medizinische Versorgung durch z.B. Krankenkassen gefunden. Diese Arbeit beschäftigt sich mit wissenschaftlich fundierten ganzheitlichen Gesundheitsberatungen, welche auf dem gesundheitswissenschaftlichen Ansatz der Salutogenese sowie den Erkenntnissen des systemischen Ansatzes der Lösungsorientierten Beratung und Kurzzeittherapie beruhen.
Nach den Versuchen der WHO, Gesundheit neu und unabhängig von Krankheit zu definieren, und verschiedenen anderen Ansätzen, hat Aaron Antonovsky, ein israelischer Medizinsoziologe, einen neuen theoretischen und empirischen Forschungsansatz zum Gesundheitsbegriff und der Auffassung über Gesundheitserhaltung von Menschen vorgelegt. Seine Theorie der Salutogenese (lat.: salveo bedeutet gesund sein, genero bedeutet erschaffen; demnach kann dieser Begriff in etwa übersetzt werden mit Gesundheitsentstehung), stellt ein zentrales Element dieser Arbeit dar, auf das theoretisch wie auch praktisch aufgebaut wird.
Antonovsky geht davon aus, dass alles Lebendige dem Verfall ausgesetzt ist und Leben demnach einen beständigen Widerstand gegen diesen Verfall darstellt. Er stellt die wissenschaftliche Frage nach Faktoren für Gesundheit, unabhängig vom Konzept der Krankheit und Heilung, und entdeckt bestimmte, psychologisch verankerte Widerstandsressourcen, die er in seinem Konzept des Kohärenzgefühls darstellt. Krankheit und Gesundheit werden dabei als Kontinuum gesehen und niemals als absolute Werte. Gesundheit erhaltend ist, was eine Person in diesem Kontinuum mehr zum gesunden Pol hintendieren lässt.
Diese Arbeit begleitet ein wissenschaftliches Forschungsteam bei der Frage, ob und inwieweit man durch (lösungsorientierte) Beratungsgespräche gezielt […]
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Jutta Müller 
Salutogenetische Beratung in der Praxis 
Die wissenschaftliche Begleitung eines Modellprojekts 
ISBN-10: 3-8324-9675-0 
ISBN-13: 978-3-8324-9675-3 
Druck Diplomica® GmbH, Hamburg, 2006 
Zugl. Eberhard-Karls-Universität Tübingen, Tübingen, Deutschland, Magisterarbeit, 2005 
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2
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gemäß  aus  Veröffentlichungen  oder  aus  anderweitigen  fremden  Äußerungen
entnommen wurden, habe ich als solche kenntlich gemacht.
Datum: August 2005
Unterschrift:
(Jutta Müller)
3
I. Einleitung
...5
II. Theorieteil
...7
1. Aaron Antonvosky und die Theorie der Salutogenese
...7
1.1 Entstehungshintergrund
...7
1.2 Theorie der Salutogenese
...8
1.3 Begriff des Kohärenzgefühls bzw. des ,,SOC"
...8
1.4 Stressoren in der Salutogenese
...11
1.5 Auswirkungen des SOC auf die Gesundheit
...15
1.6 Erstellung und Validität des SOC-Tests nach Antonovsky
...17
2. Salutogenese im wissenschaftlichen Diskurs
...18
2.1 Verwandte Konzepte zur Salutogenese
...18
2.2 Forschungsstand zum Kohärenzgefühl
...18
2.3 Kritik am Instrument des SOC-Fragebogens
...21
2.4 neuere Forschungen zum Kohärenzgefühl in der Biografie
...22
3. Konzept der lösungsorientierten Beratung
...27
3.1 Theoretischer Hintergrund
...27
3.2 Textfokussierung statt Interpretation
...28
3.3 Die Konstruktion von Problemen und Lösungen
...29
3.4 Lösungsorientierte Techniken
...31
3.5 Therapeutische Interventionen
...33
3.6 Bezug zur Salutogenetischen Beratung
...35
3.7 Die Wirkprinzipien nach Grawe
...35
3.7.1 Die vier therapeutischen Wirkprinzipien nach Grawe
...36
3.7.2 Zentrale Perspektiven in der Therapie
...37
4. Situation der Alleinerziehenden
...38
III. Empirie
...42
1. Projektbeschreibung und Methoden
...42
1.1 Ansatz des Forschungsteams Salutogenetische Beratung
...42
1.2 Dokumentation des Forschungsprozesses
...44
1.3 Methoden
...50
1.3.1 Explorationsforschung
...50
1.3.2 Das Problemzentrierte Interview
...52
1.3.3 Qualitative Inhaltsanalyse
...53
1.3.4 Konversationsanalyse
...54
4
2. Auswertung von sechs Interviews mit Alleinerziehenden
...56
2.1 Entstehung und Zweck der Interviews
...56
2.2 Tabellarische Auswertung der Interviews
...57
2.3 Vergleich zwischen Interviews und Fragebogen
...64
3. Auswertung der Beratungen mit Frau X und Frau Y
...67
3.1 Auswertung der Beratung mit Frau X
...67
3.1.1. Kohärenzgefühl von Frau X
...67
3.1.1.1 Tabellarische Auswertung
...67
3.1.1.2 Informationen zu Frau X aus dem Fragebogen
...68
3.1.1.3 Analyse des Kohärenzgefühls von Frau X
...68
3.1.2 Interaktion zwischen Beraterin und Frau X
...75
3.1.2.1 Schematisierte Widergabe des Gesprächsverlaufes
...75
3.1.2.2 Beschreibung des Beratungsgespräches mit Frau X
...77
3.1.2.3 Auswertung und Nachbefragung zu der Beratung mit Frau X
...79
3.2 Auswertung der Beratung mit Frau Y
...82
3.2.1 Kohärenzgefühl von Frau Y
...82
3.2.1.1 Tabellarische Auswertung
...82
3.2.1.2 Informationen zu Frau Y aus dem Fragebogen
...83
3.2.1.3 Analyse des Kohärenzgefühls von Frau Y
...83
3.2.2 Interaktion zwischen Beraterin und Frau Y
...89
3.2.2.1 Schematisierte Widergabe des Gesprächsverlaufes
...89
3.2.2.2 Beschreibung des Beratungsgespräches mit Frau Y
...93
3.2.2.3 Auswertung und Nachbefragung zu der Beratung mit Frau Y
...95
3.3  Ergebnisse aus beiden Beratungsgesprächen
...99
IV. Fazit, Ausblick und Bedeutung für die Sozialpädagogik
...100
1. Darstellung der Ergebnisse aus den bisherigen Beratungen und Ausblick
auf zukünftige Vorgehensweisen
...100
2. Salutogenese und Salutogenetische Beratung im Kontext der
Sozialpädagogik
...105
Anhang
...110
5
I. Einleitung
Angesichts  der  sich  immer  weiter  verteuernden  Krankenkassen  und  einer  millionen-
schweren  Ärzte-  und  vor  allem  Apparatemedizin  auf  der  einen  Seite,  demgegenüber
eine  wachsende  Zahl  oft  chronisch  kranker  Menschen  auf  der  anderen  Seite,  denen
diese  Medizin  oft  nicht  zu  der  gewünschten  Verbesserung  und  Genesung  verhelfen
kann, ist es an der Zeit, nach sinnvollen Alternativen zu fragen. Dabei kann es hilfreich
sein,  völlig  neue  Perspektiven  im  Diskurs  über  Gesundheit  auszuloten  und  auch
praktisch neue Wege zu gehen. Dieser Prozess hat tatsächlich schon begonnen, er ist
nur noch nicht so weit verbreitet. Nach den Versuchen der WHO, Gesundheit neu und
unabhängig  von  Krankheit  zu  definieren,  und  verschiedenen  anderen  Ansätzen,  hat
Aaron  Antonovsky,  ein  israelischer  Medizinsoziologe,  einen  neuen  theoretischen  und
empirischen  Forschungsansatz  zum  Gesundheitsbegriff  und  der  Auffassung  über
Gesundheitserhaltung von Menschen vorgelegt. Seine Theorie der Salutogenese (lat.:
,,salveo" bedeutet ,,gesund sein", ,,genero" bedeutet ,,erschaffen"; demnach kann dieser
Begriff  in  etwa  übersetzt  werden  mit  ,,Gesundheitsentstehung"),  stellt  ein  zentrales
Element dieser Arbeit dar, auf das theoretisch wie auch praktisch aufgebaut wird.
Diese  Arbeit  begleitet  ein  wissenschaftliches  Forschungsteam  bei  der  Frage,  ob  und
inwieweit man durch Beratungsgespräche Gesundheit bzw. die Fähigkeit zur Gesund-
heit  stärken  kann  im  Sinne  von  Antonovskys  Theorie  der  Salutogenese,  mit  dem
zentralen  Element  des  Kohärenzgefühls  (vgl.  Kap.  II.1.3).  Ziel  der  Arbeit  ist  die
theoretische  Fundierung,  kritische  Begleitung  und  Dokumentation  für  den  Beginn
dieses Forschungsprozesses, mit vorsichtiger Zwischenbilanz.
Wie können Menschen trotz  aller  Widrigkeiten  des  Lebens  gesund  bleiben,  bzw.  sich
ihre Gesundheit erhalten? Was für individuelle Strategien gibt es? Ist es möglich, diese
in einem Gespräch herauszuhören und darüber hinaus beratend hilfreich einzugreifen,
wo  sie  versagen?  Lassen  sich  diese  individuellen  Konzepte  und  Handlungsweisen
durch  geeignete  Vorschläge  in  einer  Weise  stärken,  dass  die  Fähigkeiten  zum
Umgang mit Schwierigkeiten im Leben allgemein, und mit Gesundheit im Besonderen,
verbessert  werden  können?  Diese  Fragen  stellen  wir  uns  in  theoretischer  und
praktischer  Forschungsarbeit.  In  Beratungsgesprächen  wird  der  Versuch  unternom-
men,  die  jeweils  individuellen  Strategien  einer  Person,  ihr  Leben  zu  meistern  und
dabei  gesund  zu  bleiben,  zu  erkennen.  In  einem  zweiten  Schritt  sollen  diese  meist
unbewussten  Strategien  der  beratenen  Person  zurückgespiegelt  werden,  so  dass  ihr
dabei  deren  positive  Elemente  ins  Bewusstsein  kommen  und  ihre  Fähigkeiten  und
Widerstandsressourcen  gestärkt  werden.  Es  kann  auch  notwendig  sein,  gemeinsam
neue  gesundheitsrelevante  Strategien  und  Verhaltensweisen  zu  erarbeiten;  hierzu
werden  Techniken  aus  der  Lösungsorientierten  Beratung  eingesetzt.  Sollte  dieser
6
Ansatz  erfolgreich  sein,  könnte  er  als  neues  Konzept  im  Zuge  der  Veränderungen
unseres Gesundheitssystems eingesetzt werden.
In  der  hier  beschriebenen  Forschungsarbeit  wurde  ein  Beratungsangebot  speziell  für
alleinerziehende  Mütter  gemacht.  Diese  Zielgruppe  erscheint  geeignet,  weil  sie
Menschen  mit  starken  und  verschiedenartigen  Belastungen  beinhaltet,  die  allein
aufgrund ihrer schwierigen Lage und der Verantwortung für die Kinder Lösungsstrate-
gien  für  ihr  Leben  finden  müssen  und  dabei  auch  selbst  gesund  bleiben  müssen,  da
sie  es  sich  oftmals  gar  nicht  leisten  können,  krank  zu  werden.  Es  wird  also  ange-
nommen,  dass  diese  Frauen  mehr  oder  weniger  bewusst  schon  funktionierende
Strategien  für  sich  gefunden  haben,  die  sich  möglicherweise  in  einem  Beratungsge-
spräch herausfinden und optimieren lassen. Für den Fall, dass dieses Projekt Erfolge
zeigt,  liegt  es  auf  der  Hand  darüber  nachzudenken,  wie  auch  anderen  speziellen
Gruppen mit Hilfe einer solchen ,,Salutogenetischen Beratung" geholfen werden kann,
so  zum  Beispiel  Senioren,  Drogenabhängigen,  Jugendlichen  in  der  Adoleszenz  oder
speziellen Berufsgruppen. Diese Ideen gehen jedoch weit über die vorliegende Arbeit
hinaus, in der die ersten Versuche unserer Forschung dargestellt werden.
Im  Folgenden  wird  im  Theorieteil  (II.)  zuerst  die  Theorie  der  Salutogenese  und  die
dazu  relevante  Forschung  dargestellt  (Kap.  II.1-II.2).  In  einem  zweiten  Abschnitt  wird
der Ansatz der lösungsorientierten Beratung erläutert, der verwendet wurde (Kap. II.3).
Einen Einblick in die Problematik der Zielgruppe der  Alleinerziehenden gibt Kap. II.4.
Im darauf folgenden Empirischen Teil (III.) wird der Verlauf des Forschungsprozesses
dokumentiert  (Kap.  III.1),  verwendete  Methoden  werden  beschrieben  (Kap.  III.2),  und
es werden einige Kurzinterviews ausgewertet (Kap. III.3). Dann werden die zwei ersten
geführten Beratungsgespräche nach folgenden Gesichtspunkten analysiert: Zum einen
wird  das  ,,Kohärenzgefühl"  (vgl.  Kap.  II.1.2)  der  Beratenen  aus  den  Beratungs-
gesprächen extrahiert, zum anderen wird die Beratungssituation nach Verlauf, verwen-
deten  Methoden  und  Rückmeldungen  ausgewertet.  Im  Schlussteil  (IV.)  wird  ein  Fazit
über  die  Wirksamkeit  der  Beratungen  gezogen,  und  es  wird  ein  Ausblick  über  das
weitere Vorgehen des Forschungsteams gegeben (Kap. IV.1). Danach wird der Bezug
zur  Sozialpädagogik  hergestellt  (Kap.  IV.2).  Im  Anhang  befinden  sich  die  Trans-
kriptionen der Beratungsgespräche sowie die verwendeten Fragebögen.
7
II. Theorieteil
1. Aaron Antonvosky und die Theorie der Salutogenese
1.1 Entstehungshintergrund
Aaron  Antonovsky  wurde  1923  in  Brooklyn  geboren.  Nach  seinem  Dienst  für  die  US-
Armee  im  Zweiten  Weltkrieg  studierte  er  Soziologie,  mit  Schwerpunkt  Medizin-
soziologie, an der Yale-Universität, wo er 1952 mit M.A. und 1955 mit Ph.D. abschloss.
Nach  Tätigkeit  in  Unterricht  und  Forschung  in  den  USA  und  Teheran  emigrierte  er
1960  nach  Israel  und  arbeitete  in  Jerusalem  weiter  als  Medizinsoziologe  am  dortigen
Institut für angewandte Sozialforschung.
Durch seine Forschungen im Gesundheitsbereich kam er mit Juden in Kontakt, welche
die nationalsozialistischen Konzentrationslager gesundheitlich gut überstanden hatten.
Diese  erstaunliche  Tatsache  brachte  Antonovsky  zu  der  zentralen  Frage,  was  Men-
schen gesund erhält bzw. welche Faktoren dazu führen, dass manche Menschen trotz
solcher  Widrigkeiten  gesund  bleiben,  und  damit  zu  seiner  ersten  salutogenetischen
Orientierung.  Mit  dieser  Frage  als  Ansatzpunkt  suchte  er  nach  generalisierten  Wider-
standsressourcen, die helfen, mit Stressoren umzugehen. Daraus entwickelte sich ein
völlig  neues  Verständnis  für  Gesundheit,  unabhängig  von  Krankheit.  In  einer  weiter-
führenden Frage beschäftigte er sich mit der Tatsache, dass alle Materie der Entropie
unterworfen  ist.  ,,Die  grundsätzliche  Annahme  von  Hererostase,  Unordnung  und  dem
ständigen  Druck  in  Richtung  auf  zunehmende  Entropie  als  dem  prototypischen
Charakteristikum  des lebenden  Organismus"  (Antonovsky  1997,  S.  22)  stehe  in  kras-
sem  Gegensatz  zur  pathogenetischen  Orientierung,  welche  das  Gesunde  als  normal
definiert  und  von  selbstregulierenden,  homöostatischen  Prozessen  ausgeht.  Des
Weiteren postuliert Antonovsky in seiner Theorie ein Kontinuum zwischen Gesundheit
und  Krankheit,  welches  diese  Begriffe  nicht  als  dichotom,  sondern  als  fließende
Übergänge  beurteilt.  Jeder  lebende  Mensch  trägt  sowohl  kranke  als  auch  gesunde
Anteile  in  unterschiedlicher  Ausprägung  in  sich,  somit  kann  Gesundung  als  eine
Verschiebung  der  Konstitution  hin  zum  gesunden  Pol  auf  einem  Kontinuum  gesehen
werden. In diesem Prozess wirkt die gesamte Lebensgeschichte eines Menschen mit.
Die  salutogenetische  Perspektive  ermöglicht  einen  neuen  Blickwinkel  sowohl  für  die
Forschung  als  auch  in  der  Praxis,  in  dem  das  Augenmerk  auf  Sonderfälle  gerichtet
wird,  z.B.  auf  spontane  Gesundung  und  deren  Ursachen,  unabhängig  von  krank-
machenden  Bedingungen.  Solche  krankmachenden  Bedingungen  oder  Stressoren
können  aus  salutogenetischer  Perspektive  sogar  eine  positive  gesundheitliche  Wir-
kung haben, dann nämlich, wenn sie bewältigt werden und die gelungene Bewältigung
8
den Organismus stärkt. Antonovsky wünscht sich mit diesem Denkansatz zudem eine
Öffnung  ,,für  die  Kooperation  von  biologischen  und  psychosozialen  Wissenschaften"
(ebd. 1997, S. 27).
1.2 Theorie der Salutogenese
Kernpunkte  der  Salutogenetischen  Orientierung  nach  Antonovsky  sind  demnach
folgende: Das fundamentale Postulat der Heterostase, in dem Prozesse von Altern und
Entropie als natürlich bzw. als Kerncharakteristika aller lebenden Organismen gesehen
werden. Daraus folgen laut Antonovsky folgende Thesen (vgl. ebd. 1997, S. 29-30):
·
  Das  Bestehen  eines  multidimensionalen  Gesundheits-Krankheits-Kontinuums
statt  dichotomer  Klassifizierung  als  ,,gesund"  oder  ,,krank".  Lebende  Organis-
men haben demnach immer sowohl kranke als auch gesunde Anteile in sich.
·
  Die Notwendigkeit einer holistischen Gesamtsicht auf den Menschen und seine
(Lebens-  sowie  auch  Krankheits-)Geschichte,  statt  Konzentration  auf  Krank-
heiten und Symptome.
·
  Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen Copingressourcen, d.h. Faktoren oder
Verhaltensweisen, die zum Pol der Gesundheit führen, und nicht Stressoren.
·
  Stressoren  gelten  als  allgegenwärtig  und  daher  normal;  sie  sind  Herausfor-
derungen, die zu erfolgreicher Bewältigung führen können.
·
  Die  Suche  nach  Quellen  von  negativer  Entropie,  d.h.  Fähigkeit  zur  Resistenz,
und aktiver Adaptation des Organismus an seine Umwelt.
·
  Der  Blick  in  wissenschaftlichen  Daten  richtet  sich  auf  Abweichungen,  beson-
ders  auf  positive  Ausnahmen,  mit  der  Frage  nach  Faktoren  für  den  erfolg-
reichen Widerstand gegenüber Stressoren.
Anhand  von  51  unstrukturierten  Tiefeninterviews  zur  Frage,  was  Menschen  gesund
erhält,  filterte  Antonovsky  drei  wichtige  Komponenten  heraus,  die  er  mit  erfolgreicher
Gesunderhaltung  in  Verbindung  brachte.  Diese  Qualitäten  befähigen  Menschen,  mit
Stressoren adäquat umzugehen, sie zu bewältigen und daran zu erstarken.
1.3 Begriff des Kohärenzgefühls bzw. des ,,SOC"
Antonovsky  nannte  diese  drei  Komponenten,  die  für  ihn  als  roter  Faden  aus  den
Interviews  sichtbar  wurden,  Verstehbarkeit,  Handhabbarkeit  und  Bedeutsamkeit.  Da
sie sich gegenseitig beeinflussen und sich aufeinander beziehen, verdichtete er sie im
Begriff des Kohärenzgefühls (original: Sense of Coherence; SOC), welches er wie folgt
definiert:
9
,,Das  SOC (Kohärenzgefühl) ist eine globale Orientierung, die ausdrückt, in welchem
Ausmaß  man  ein  durchdringendes,  andauerndes  und  dennoch  dynamisches  Gefühl
des Vertrauens hat, dass
·
  die  Stimuli,  die  sich  im  Verlauf  des  Lebens  aus  der  inneren  und  äußeren
Umgebung ergeben, strukturiert, vorhersehbar und erklärbar sind;
·
  einem  die  Ressourcen  zur  Verfügung  stehen,  um  den  Anforderungen,  den
diese Stimuli stellen, zu begegnen;
·
  diese  Anforderungen  Herausforderungen  sind,  die  Anstrengung  und  Engage-
ment lohnen." (Antonovsky 1997, S. 36)
Im  Folgenden  wird  die  Bedeutung  der  einzelnen  Komponenten  nach  Antonovsky
genauer erläutert:
Verstehbarkeit:  Die  Stimuli  oder  Erlebnisse  im  Leben  einer  Person  erscheinen  ihr
kognitiv  sinnvoll,  geordnet,  konsistent,  strukturiert,  vorhersehbar,  als  klare  Infor-
mationen.  Und  nicht  als  chaotisch,  willkürlich,  zufällig  oder  unerklärlich.  Diese
Komponente ist rein kognitiver Natur.
Handhabbarkeit:  Die  Fähigkeit,  die  Realität  beurteilen  zu  können  und  der  feste
Glaube, dass ,,die Dinge sich so gut entwickeln, wie vernünftigerweise erwartet werden
kann" (Antonovsky 1979, S. 123, zit. n. ebd. 1997, S. 34). Schlimmstenfalls lassen sich
die Ereignisse ertragen. Hier drückt sich eine emotionale Fähigkeit zu Vertrauen aus;
das  Vertrauen  gilt  der  eigenen  Handlungsfähigkeit  und  der  Erwartung  ans  Leben.
Dazu  gehört  es,  genügend  Ressourcen  zur  Verfügung  (d.h.  unter  eigener  Kontrolle
oder unter der Kontrolle nahe stehender Personen, denen man vertraut), zu haben, um
kommenden  Anforderungen  begegnen  zu  können.  -  Schwächend  dagegen  ist  das
Gefühl,  ein  ,,Pechvogel"  zu  sein,  sich  in  der  Opferrolle  oder  vom  Leben  ungerecht
behandelt  zu  fühlen.  Diese  Komponente  hat  sowohl  kognitive  als  auch  emotionale
Anteile.
Bedeutsamkeit: Die Qualität, einen Lebensbereich zu haben oder sich zu erschaffen,
der  einem  am  Herzen  liegt,  wofür  es  sich  zu  leben  lohnt,  der  (auch  emotional)  ,,Sinn
macht".  Dieser  Bereich  erscheint  subjektiv  lohnend  für  Engagement  und  emotionale
Investition. Ereignisse in diesem Bereich werden als Herausforderung gesehen, um ein
selbst gesetztes Ziel zu erreichen. Man verpflichtet sich und setzt sich  emotional  und
engagiert  dafür  ein.  Auch  negative  Ereignisse  werden  angenommen,  es  wird  ihnen
eine  Bedeutung  beigemessen  und  das  Möglichste  getan,  um  sie  mit  Würde  zu  über-
winden. Diese Komponente enthält emotionale bzw. motivationale Elemente.
10
Diese  dritte  Komponente,  die  Bedeutsamkeit,  spielt  eine  herausragende  Rolle.  Denn
ohne Interesse an einem Teil der Welt fehlt die Motivation, um diese Welt zu verstehen
oder  über  sie  zu  verfügen.  Besteht  jedoch  starkes  Interesse,  Einfluss  in  einem
gewählten Bereich auszuüben, den die Person für ,,wert" hält, um sich zu engagieren,
so  wird  diese  Person  motiviert  sein,  sich  auch  angestrengt  um  die  anderen  beiden
Komponenten zu bemühen, und sie daher ebenfalls entwickeln.
Um  ein  starkes  Kohärenzgefühl  zu  besitzen,  muss  also  nicht  die  gesamte  Welt
verstehbar,  handhabbar  und  bedeutsam  erscheinen;  hierfür  reicht  ein  Ausschnitt,  auf
den  man  sich  beschränkt.  In  diesem  Ausschnitt  sollten  jedoch  folgende  Bereiche
enthalten  sein:  Eigene  Gefühle,  wichtige  Beziehungen,  die  Haupttätigkeit  sowie
existentielle  menschliche  Fragen  (z.B.  nach  dem  Tod,  unvermeidbarem  Scheitern,
persönlichen  Fehlern,  Konflikten  und  Isolation).  Der  gewählte  bedeutsame  Ausschnitt
kann im Lauf des Lebens variieren und kann auch flexibel verschoben werden,  wenn
ein Bereich außer Kontrolle gerät oder an Wichtigkeit verliert.
Diese  drei  Komponenten  hängen  also  miteinander  zusammen  bzw.  beeinflussen  und
bedingen  einander,  daher  wird  die  Gesamtheit  dieses  Konstrukts  ,,Kohärenzgefühl"
(bzw. ,,SOC") genannt.
Allerdings  erscheint  Antonovsky  der  Glaube,  wirklich  alles  im  Leben  sei  verstehbar,
lösbar und sinnhaft, doch wieder unrealistisch und deshalb ebenfalls anfällig für Entro-
pie. Er sieht eine solche Ausprägung als Folge von kurzfristigem Enthusiasmus für ein
bestimmtes  Glaubenssystem,  z.B.  in  einer  Sekte.  Dies  folge  nicht  aus  einem  starken
Selbst  mit  stabiler  Identität  und  flexiblen  Strategien,  sondern  aus  einer
(angenommenen) Identität, der ein schwaches und daher unflexibles Selbst zugrunde
liege,  welches  Ängste  kompensiere  und  daher  keine  Zweifel  zulassen  könne.  Ein
starkes  SOC  dagegen  beinhaltet  eine  Balance  zwischen  dem  Erhalt  bestehender
Regeln  und  Strukturen,  und  flexibler  Offenheit  gegenüber  neuem  Input  mit  dem
Vertrauen,  dass  dieser  in  die  vorhandene  Struktur  integriert  werden  kann  (vgl.  ebd.
1997, S. 40-43).
Außer  diesen  Komponenten  des  Kohärenzgefühls  gibt  es  zudem  noch  andere
Faktoren,  welche  die  Gesundheit  beeinflussen  können  (z.B.  äußere  Umwelteinflüsse
wie  Unfälle,  Vergiftung  usw.).  Daher  ist  der  SOC  kein  Allheilmittel  oder  umfassender
Schutz, sondern als eine Art Stärkung des Lebenswillens zu verstehen.
11
1.4 Stressoren in der Salutogenese
Stressoren werden von Antonovsky definiert als ,,Herausforderungen, für die es keine
unmittelbar  verfügbaren  oder  automatisch  adaptiven  Reaktionen  gibt"  (Antonovsky
1979, S. 72, zit. n. ebd. 1997, S. 43), die deshalb einen Spannungszustand erzeugen
und  unvorhergesehene  Gefahren  mit  sich  bringen  können.  ,,Zusammengefasst  kann
ein Stressor somit als ein Merkmal definiert werden, das Entropie in das System bringt,
das  heißt  eine  Lebenserfahrung,  die  durch  Inkonsistenz,  Unter-  oder  Überforderung
und  fehlende  Teilhabe  an  Entscheidungsprozessen  charakterisiert  ist"  (ebd.  1997,  S.
44). Hierbei unterscheidet Antonovsky drei Formen von Stressoren: chronische Stres-
soren,  kritische  Lebensereignisse  sowie  alltägliche  Widrigkeiten.  Er  macht  auf  den
Zusammenhang  von  Stressoren  und  Ressourcen  (um  dem  Stressor  zu  begegnen)
aufmerksam,  in  der  Form,  dass  ein  Mangel  an  Ressourcen  (z.B.  materieller  Art)  zu
einem Stressor wird oder werden kann. Letztlich fallen somit Stressor und Ressource
in vielen Fällen zu einer Qualität zusammen, deren Stärke oder Schwäche über ihren
Wert für den Betroffenen entscheidet.
Die  Fähigkeit  einer  Person,  sich  hinsichtlich  verschiedener  Aspekte  (Z.B.  Reichtum,
Ichstärke, kulturelle Stabilität usw.) auf je einem Kontinuum bzw. einer Skala möglichst
hoch zu platzieren, gilt als ihre Fähigkeit,  Widerstandsressourcen  zu  erschließen.  Ein
Mangel  an  solchen  Fähigkeiten  hätte  Widerstandsdefizite  im  jeweiligen  Bereich  zur
Folge. Deshalb kann man laut Antonovsky (je nach den vorhandenen oder fehlenden
Fähigkeiten)  von  generalisierten  Widerstandsressourcen-Widerstandsdefiziten  (kurz
GRR-GRD) sprechen (vgl. ebd. 1997, S. 43-46).
Zudem  ist  für  die  salutogenetische  Orientierung  die  Unterscheidung  zwischen
Spannungs- und Stresszustand wichtig; dieser Unterschied liegt allein im Umgang des
Individuums  mit  der  Situation  bzw.  seiner  Fähigkeit,  die  Spannung  aufzulösen.
Stresshafte Lebensereignisse gelten grundsätzlich neutral als ,,Anforderungen, auf die
es  keine  unmittelbar  verfügbaren  und  automatisch  adaptiven  Reaktionen  gibt"  (ebd.
1997,  S.  124).  Das  kann  z.B.  Geburten,  Tode,  Veränderungen  im  Beruf  oder  im
Beziehungsleben,  oder  andere  Probleme  bedeuten.  ,,Spannung  bedeutet  damit  das
Erkennen  im  Gehirn,  dass  ein  Bedürfnis  unerfüllt  ist,  dass  man  einer  Forderung
nachkommen muss, dass man etwas tun muss, um ein Ziel zu erreichen" (ebd. 1997,
S.  125).  Diese  Spannung  führt  zu  der  zweifachen  Frage:  ,,Was  soll  ich  tun?  Was  bin
ich  wert?"  Versagt  das  Individuum  und  wird  aus  einer  solchen  Anforderung  eine
schwächende Lebenserfahrung, so wird auch das SOC geschwächt und wir haben es
mit einem Widerstandsdefizit zu tun; besteht das Individuum die Anforderung und baut
Spannung  ab,  so  haben  wir  es  mit  einer  Stärkung  des  Vertrauens  in  die  eigenen
Widerstandsressourcen zu tun, welche wiederum das SOC stärken.
12
Bewertung von und Umgang mit Stressoren:
Im  Laufe  seiner  Forschungsarbeit  findet  Antonovsky  verschiedene  Formen  und
Bedeutungen,  die  ein  Stressor  im  Leben  eines  Menschen  haben  kann.  Einmal  gilt
seine  schon  in  seinem  ersten  Werk  gegebene  Definition  als  ,,Herausforderungen,  für
die  es  keine  unmittelbar  verfügbaren  oder  automatisch  adaptiven  Reaktionen  gibt"
(Antonovsky 1979, S. 72, zit. n. ebd. 1997, S. 43); zudem erzeugen Stressoren ,,einen
Spannungszustand"  (ebd.  S.  43),  sie  können  ,,eine  Vielzahl  an  unvorhergesehenen
Erfahrungen  mit  sich  bringen.  Demzufolge  führen  sie  zwangsläufig  zu  einer
signifikanten  Schwächung  des  eigenen  SOC",  oder  der  Stressor  entsteht  mehr  von
innen  aufgrund  von  ,,Abwesenheit  einiger  generalisierter  Widerstandsressourcen
(GRRs)" (Antnovsky 1979, S. 119, zit. n. ebd. 1997, S. 43). Antonovsky folgert weiter,
dass  bestimmt  geartete,  nämlich  bewältigbare  Stressoren  als  Voraussetzung  dienen,
um generalisierte Widerstandsressourcen überhaupt zu entwickeln und auf sie später
zu vertrauen. Gemäß der Volksweisheit, man wachse mit seinen Aufgaben, brauchen
Widerstandsressourcen  erst  Widerstände,  um  als  solche  erfahren  zu  werden.  Die
Definition,  dass  Widerstandsressourcen  gekennzeichnet  sind  durch  ,,Konsistenz,
Partizipation an der Gestaltung des Outcomes und eine Balance zwischen Überlastung
und Unterforderung" (ebd. 1997, S. 43), gilt somit auch für Stressoren. Daher erweitert
Antonovsky  dieses  Konzept  auf  eines  von  ,,übergeordneten  psychosozialen
generalisierten  Widerstandsressourcen-Widerstandsdefiziten"  (auch  bezeichnet  als
,,GRD-GRR"; ebd. S. 44). So wird der Umgang mit äußeren Stressoren bestimmt von
verschiedenen  inneren  Fähigkeiten,  welche  auch  je  auf  einem  Kontinuum  dargestellt
werden können.
Antonovsky stützt sich in seinen Überlegungen zur Bewertung von Stressoren auf die
Stressforschung des Psychologen Lazarus, wobei Antonovskys Begriff von Stressoren
über  deren  nur  schädliche,  bedrohliche  Wirkung  hinausgeht  und  jeden  neuen  Reiz,
auch  positive  oder  irrelevante,  einbezieht.  ,,Das  Versäumnis,  die  Definition  der
Stressoren auf alle Stimuli auszuweiten, die herausfordern, unabhängig davon, ob sie
als  gefährdend  eingeschätzt  werden,  unterliegt  dem  weit  verbreiteten  Versäumnis,
zwischen  Spannung  und  Stressor  zu  unterscheiden  (und  rührt  von  einer  pathogenen
Orientierung)."  (ebd.  S.  125).  So  gibt  ein  Stressor  nach  Antonovsky  auch  die
Möglichkeit zu positiver Bewältigung, welche wiederum stärkend auf das SOC wirkt.
Im  Folgenden  werden  die  Stadien  der  Bewertung  eines  Stressors  in  einem  von
Antonovsky erweiterten Konzept nach Lazarus beschrieben:
13
1. 
primäre  Bewertung-I:
  (Definition):  Im  Gehirn  wird  ein  Stimulus  als  Stressor
oder  Nicht-Stressor  definiert.  Wird  er  als  Stressor  definiert,  entsteht  daraus
Spannung,  die  sich  in  ansteigenden  psychophysiologischen  Aktivitäten  und
Emotionen  manifestiert.  Hier  operiert  das  SOC  als  erster  Mechanismus  durch
Definition: Personen mit starkem SOC  definieren  den  Stimulus  eher  als  Nicht-
Stressor,  während  er  für  Personen  mit  schwachem  SOC  schon  als  Stressor
empfunden wird; diese reagieren mit Anspannung.
2. 
primäre  Bewertung-II:
  (Beurteilung):  Ein  Stimulus  wurde  als  Stressor  wahr-
genommen.  (Es  gibt  Stimuli,  die  jeder  Mensch  unabhängig  vom  SOC  als
Stressor  erlebt).  Nun  erfolgt  die  Beurteilung,  ob  der  Stressor  ,,für  das  eigene
Wohlbefinden bedrohlich, günstig oder irrelevant" (ebd. S. 126) ist bzw. ob das
Problem  lösbar  erscheint.  So  kann  der  Stressor  von  Personen  mit  starkem
SOC als ,,nicht-Stressor" umdefiniert und Spannung abgebaut werden.
3. 
primäre Bewertung-III:
 Die Stärke des SOC beeinflusst unser Urteil über die
Gefährlichkeit  des  Stressors;  dieser  Prozess  erfordert  Emotionsregulierung:
Stressoren  erfordern  Anpassung  und  lösen  verschiedene  Emotionen  aus;
selbst  die  Spannung  positiv  bewerteter  Stressoren  muss  abgebaut  werden.
Besser  erforscht  ist  der  Abbau  negativer  Spannung.  Auch  hier  unterscheiden
sich  Personen  mit  einem  starken  oder  schwachen  SOC:  ein  gefährdender
Stressor  mit  unangenehmen  Emotionen  kann  etwa  bei  starkem  SOC  Traurig-
keit,  Furcht,  Schmerz,  Wut,  Schuld  und  Sorge  auslösen,  bei  einer  Person  mit
schwachem  SOC  entstehen  zusätzlich  diffuse  Emotionen  von  Verzweiflung,
Scham,  Verlassenheit,  Ausgeliefertheit  und  Verwirrung,  so  dass  letztere
paralysiert  und  ohne  Handlungsbasis  verbleiben.  Mit  einem  starken  SOC
bleiben  die  Probleme  klarer  verstehbar,  es  werden  spezifische  Copingmecha-
nismen freigesetzt und der Situation wird Ordnung und Bedeutung verliehen. Ist
das  SOC  schwach,  so  können  unbewusst  gesteuerte  Abwehr-  oder  Flucht-
mechanismen  einsetzen.  Die  Person  mit  einem  starken  SOC  mobilisiert  von
Beginn  an  Ressourcen,  indem  sie  die  generalisierte  Erwartung  an  die  Welt
stellt,  dass  Stressoren  bedeutsam  und  verstehbar  sind  und  Engagement  sich
lohnt;  daraus  folgt  eine  motivationale  und  kognitive  Handlungsbasis.
Demgegenüber bleibt die Person mit schwachem SOC verwirrt und neigt dazu,
von Beginn an aufzugeben (vgl. ebd. S. 124-130).
4. 
Sekundäre  Bewertung:
  Die  nun  erfolgende  Auflösung  von  Spannung  wird
erreicht  durch  Finden  einer  geeigneten  Auswahl  von  Coping-Strategien  aus
dem  Repertoire  der  Möglichkeiten.  ,,Die  Person  mit  einem  starken  SOC  wählt
die  Copingstrategie  aus,  die  am  geeignetsten  scheint,  mit  dem  Stressor
14
umzugehen,  dem  sie  sich  gegenüber  sieht."  (ebd.  S.  130).  Dies  beinhaltet
keinen  bestimmten  Copingstil,  sondern  aus  den  generalisierten  Widerstands-
ressourcen  wird  die  günstigste  Kombination  gewählt.  Hier  wird  die  Bedeut-
samkeitskomponente  wichtig:  Die  Auseinandersetzung  muss  sich  lohnen  und
daher  zur  Herausforderung  werden.  Der  Schaden  muss  minimal  gehalten  und
der Schmerz gelindert werden im Hinblick auf eine lohnende Zukunft.
Möglichkeiten zur Auflösung der Spannung:
·
  Umdefinieren  der  Bedeutung  des  Stressors  bzw.  dessen,  was  im  eigenen
Leben  bedeutsam  ist  (mit  der  Gefahr  der  Selbsttäuschung);  dies  ist  nicht
möglich für zentrale Bereiche menschlichen Lebens.
·
  Untersuchen  des  Problems  auf  dessen  Art,  Natur  und  Sinn  hin,  um  das
Chaos  in  Ordnung  und  Klarheit  zu  verwandeln  und  handhabbarer  zu
machen (anstatt es als unvermeidlich hinzunehmen und aufzugeben).
·
  Konzentration  auf  die  Lösung  durch  instrumentelle  Parameter  (Frage  nach
Ressourcen,  bei  starkem  SOC)  statt  nur  emotionaler  Parameter  (Umgang
mit den negativen Gefühlen dazu, bei schwachem SOC).
Der beschriebene Prozess kann in Sekundenschnelle und unbewusst ablaufen,
und  die  Auswahl  der  Strategie  wird  von  einer  Vielzahl  von  Komponenten
abhängen,  wie  u.  a.  von  Moralvorstellungen  und  kulturellem  Kontext.  Hierbei
muss  berücksichtigt  werden,  dass  dieselbe  Copingstrategie  in  einem  Fall
erfolgreich  sein,  in  einem  anderen  Fall  jedoch  fehlschlagen  kann,  so  dass  die
flexible, situationsangepasste Wahl für einen hohen SOC erforderlich ist. Jede
als  festgelegte  Vorgehensweise  angewandte  Copingstrategie  wird  sich  laut
Antonovsky  mit  der  Zeit  selbst  zerstören,  denn  es  gibt  sehr  unterschiedliche
Situationen und nicht alles ist machbar.
5. 
Tertiäre  Bewertung:
  die  Entscheidungen  aus  der  sekundären  Bewertung
werden in die Realität umgesetzt. Nun wird sichtbar, ob die Wahl hilfreich war:
Ist die Auswahl der Copingstrategien von Erfolg gekrönt, oder schlägt sie fehl?
Das  Feedback  erfolgt  aus  dem  Leben  und  zeigt  die  Konsequenzen  und
Ergebnisse der Einschätzung und der Coping-Handlungen.
Antonovsky warnt davor, das SOC nicht als ,,Wunderwaffe" (Antonovsky 1997, S. 138)
zu  sehen.  ,,Abgesehen  davon,  dass  nur  wenige  von  uns  ein  sehr  starkes,
authentisches  SOC  haben,  sind  viele  Probleme  im  Leben  hartnäckig  und  einer
vollständigen Lösung nicht zugänglich, wie stark das SOC auch immer sein mag. Was
ich  annehme  ist,  dass  Personen  mit  einem  starken  SOC  sich  bei  der  Bewältigung
dieser  Probleme  besser  bewähren  als  solche  mit  einem  schwachen  SOC;  dass  sie,
15
wenn es für ein Problem keine Lösung gibt, angemessener mit ihm weiterleben können
und  das  sie  fähig  sein  werden,  ihr  Leben  mit  geringerem  Schmerz  zu  führen."  (ebd.
1997, S. 138)
Dass  Stressoren,  die  auf  das  eigene  Wohlbefinden  wirken,  Emotionen  aufwühlen,
steht für Antonovsky außer Frage; dies liege in der Natur des Menschen. Der Einfluss
des  SOC  mache  sich  jedoch  bemerkbar  in  der  Art  und  dem  Umgang  mit  Emotionen.
Laut Antonovsky kann man Emotionen bzw. Gefühle unterscheiden in solche mit einer
Grundstruktur von Aufregung, Herausforderung und Hoffnung (mit starkem SOC), oder
Apathie,  Hoffnungslosigkeit  und  Frust  (mit  schwachem  SOC).  Wichtig  sei  zudem  die
Zielgerichtetheit  der  Emotion,  d.h.  die  Emotion  ist  an  ein  eindeutiges  Ziel  gebunden.
Furcht  oder  Ärger  beispielsweise  sind  mit  konkreten  Konsequenzen  verbunden  und
der  Situation  angemessen.  Diese  stehen  bei  Personen  mit  starkem  SOC  im  Vorder-
grund,  während  diffuse  Emotionen  (unbestimmte  Angst;  das  Gefühl  ,,Pech"  zu  haben
bzw.  benachteiligt  im  Leben  zu  sein;  Unbehagen  etc.)  eher  bei  Personen  mit
schwachem SOC zu erwarten sind. Da diese Emotion weniger an konkrete Situationen
gebunden  sind,  sind  sie  unbewusster,  schwerer  zu  orten,  auszudrücken  und
abzubauen.  Ähnlich  ist  der  Umgang  mit  Schuldgefühlen:  Personen  mit  starkem  SOC
haben konkrete Vorstellungen über Situationen und beschuldigen, wenn angemessen
und  nötig,  Personen  oder  Sachverhalte  zur  eigenen  Entlastung  außen;  andererseits
können  sie  auch  eigene  Fehler  eingestehen.  Bei  schwachem  SOC  wird  infolge
Verunsicherung  eher  die  Schuld  nur  bei  sich,  oder  nur  außen  gesucht;  Gefühle  sind
diffuser  und  werden  eher  unterdrückt  oder  abgewehrt.  Insgesamt  übernehmen
Personen  mit  starkem  SOC  eher  Verantwortung  für  ihre  Gefühle.  Wenn  sie  Fehler
machen,  beschuldigen  sie  an  sich  selbst  nur  konkrete  Verhaltensweisen  und  nicht
ihren gesamten Charakter. Sie fühlen intensiv, drücken diese Emotionen angemessen
aus  und  suchen  dann  instrumentelle  Bewältigungsstrategien,  um  die  Spannung
abzubauen (vgl. ebd. S. 139-140).
1.5 Auswirkungen des SOC auf die Gesundheit
Wie wirken das SOC und Copingstrategien sich auf körperliche Gesundheit aus? Eine
Vermutung  legt  nahe,  dass  ein  hoher  SOC  stressmindernd  wirkt,  d.h.  Spannung  aus
äußeren  Ereignissen  weniger  wahrscheinlich  bzw.  weniger  stark  zu  subjektiv
empfundenem  Stress  ungewandelt  wird.  Antonovsky  geht  von  der  These  aus,  ,,dass
Stressoren pathogen sind, wenn sie nicht angemessen bewältigt werden" (Antonovsky
1997, S. 141), dass jedoch erfolgreiches Coping von Stressoren gesundheitsförderlich
sei. Deshalb wirkten Stressoren auf die Gesundheit nicht negativ per sé, sondern nur
im  Fall  von  missglücktem  bzw.  ungenügendem  Copingverhalten;  andernfalls  wirkten
16
sie  förderlich  auf  die  Gesundheit.  Diese  Gedanken  stehen  bei  Antonovsky  noch  als
Hypothesen  im  Raum;  er  fordert  weitere  Forschung  über  den  Zusammenhang
zwischen SOC, Coping und Gesundheit.
Ein  weiterer  Zusammenhang  von  SOC,  Coping  und  Gesundheit  könnte  gesehen
werden  in  unmittelbarem  Gesundheitsverhalten  nach  dem  derzeitigen  Kenntnisstand,
dies  wären  z.B.  gesundheitswirksame  Gewohnheiten  in  den  stereotypen  Bereichen
Rauchen,  Trinken,  Bewegung  und  Ernährung,  sowie  adaptives  Verhalten  zur  Scha-
densbegrenzung,  wie  das  frühe  Aufsuchen  von  Professionellen  und  Compliance-
verhalten.  Dieses  Verhalten  weist  Antonovsky  jedoch  als  ,,weitaus  stärker  durch
soziokulturelle und kulturelle Faktoren als durch die persönliche Weltsicht determiniert"
(ebd.  S.  141)  zurück;  es  könnte  z.B.  eher  durch  Schichtzugehörigkeit  als  durch  den
SOC bedingt sein. Dennoch kann auch die Orientierung an instrumentellen Lösungen
bei  starkem  SOC  solches  Verhalten  begünstigen.  Laut  Antonovsky  gibt  es  jedoch
direktere Bezüge zwischen SOC und Gesundheit.
Aktuelle  Forschungen  über  Psychoneuroimmunologie,  das  Zentrale  Nervensystem,
Neuroendokrinologie,  Verhaltenstherapie  und  den  Prozess  des  Copings  lassen
Vermutungen  über  tiefgreifende  Verbindungen  zwischen  Handeln  und  Gesundheits-
zustand  zu.  Er  zieht  verschiedenste  Studien  heran  und  geht  in  einer  vorsichtigen
Hypothese  davon  aus,  dass  ,,die  Stärke  des  SOC  direkte  physiologische  Konsequen-
zen hat und dadurch den Gesundheitsstatus beeinflusst." (ebd. 1997, S. 142).
Anhand  dieser  Forschungen  folgert  er  u.  a.,  dass  der  Erholungszeitraum  nach  einem
Spannungszustand  für  die  Folgen  entscheidend  sei.  Nur  wenn  Spannung  missachtet
oder verzerrt wird, oder keine angemessenen Ressourcen zur Verfügung stehen, setze
schädigender  Stress  ein.  Hier  agiert  das  SOC  als  Vermeidung  von  Disregulation,
indem  Feedbackschleifen  zwischen  Körperbotschaften  und  Gehirn  aufmerksam
geprüft  werden,  um  dann  geeignet  zu  reagieren.  Zudem  müssen  die  beiden
Gehirnhälften (rechts eher emotional, links eher rational) für eine Lösung ausgewogen
zusammen  arbeiten  (parallel  dazu  ist  die  emotional-kognitive  Komponente  der
Sinnhaftigkeit nur in gemeinsamer Arbeit beider Gehirnhälften erreichbar).
Antonovsky  entwickelt  seine  theoretischen  Zusammenhänge  anhand  der  Forschung
weiter  bis  zu  der  These,  ,,das  SOC  könnte  ein  zugrunde  liegendes  biologisches
Substrat  widerspiegeln"  (ebd.  S.  147).  Somit  wäre  das  SOC  nicht  nur  auf  der
psychischen  Ebene  wirksam,  sondern  auch  im  Organismus  selbst  als  inhärentes
System.  Er  wäre  eine  Determinante  für  ,,Transformation  von  Chaos  in  Ordnung  in
einem beliebigen System" (ebd. S. 148), d.h. auf verschiedenen Ebenen. Der aktuelle
physische Gesundheitszustand stellt in diesem Modell wiederum eine Form der GRR-
GRD dar und drückt die Stärke des SOC mit aus.
17
Antonovsky  wünscht  sich  zu  all  diesen  theoretischen  Überlegungen  dringend  weitere
Erforschung  der  Zusammenhänge  in  interdisziplinärer  Zusammenarbeit  von  Sozial-
und Naturwissenschaftlern.
1.6 Erstellung und Validität des SOC-Tests nach Antonovsky
Antonovskys Intention war, einen validen Fragebogen als Messinstrument für den SOC
zu  schaffen,  der  für  verschiedene  Forschungsanliegen  gültig  sein  sollte  und    darüber
hinaus  eine  globale  Orientierung  bzw.  Weltsicht  messen  sollte.  Die  Items  für  den
Fragebogen  wurden  auf  Basis  der  Aussagen  und  Sprachformen  der  51  Interviewten
herausgefiltert;  weiter  wurden  sie  mit  dem  Facetten-Design  von  Guttmann  in  ihrem
Aussagegehalt systematisch variiert (vgl. Antonovsky 1997, S. 80-82). Auf diese Weise
erhielt  Antonovsky  Aussagen,  die  als  grundlegende  Lebensüberzeugungen  gelten
können,  und  entwickelte  daraus  sowohl  die  drei  beschriebenen  SOC-Komponenten,
als  auch  ein  Messinstrument  dafür,  die  SOC-Skala.  Anschließend  wurde  der
Fragebogen  überarbeitet,  mit  anderen  Fragebögen  verglichen  (u.  a.  mit  Angstskalen
auf  negative  Korrelation  hin)  und  mehrfach  überprüft.  In  dem  daraus  entstandenen
Fragebogen  wird  nun  mit  29  Items  (oder,  in  einer  Kurzform,  mit  nur  13  Items)  direkt
nach bestimmten Lebenserfahrungen oder Haltungen gefragt; die Befragten geben die
eigene subjektive Einschätzung ihrer Reaktion auf einer Skala von eins bis sieben an
(vgl. ebd. S. 79-88; BzGA 2001, S. 40, siehe SOC-Test im Anhang). Es wird nach der
Komponente  Verstehbarkeit  mit  elf  Items,  nach  der  Komponente  Handhabbarkeit  mit
zehn  Items  und  nach  der  Bedeutsamkeitskomponente  mit  acht  Items  gefragt;
allerdings  lassen  sich  diese  Teilkonstrukte  mit  Faktorenanalytischen  Überprüfungen
nicht  einzeln  auswerten  und  in  Beziehung  setzen;  sie  sollten  nach  Antonovsky
gemeinsam als ,,Generalfaktor SOC" gelten (Antonovsky 1997, S. 88-89).
Diese  Skala  liegt  inzwischen  in  mehreren  Sprachen  vor;  so  auch  in  einer  noch  nicht
standardisierten deutschen Form (vgl. BzGA 2001, S. 40-41).  Antonovsky ist von der
Validität seines Instruments überzeugt, gleichzeitig gibt er es jedoch der Wissenschaft
zur  Verbesserung  preis  (vgl.  Antonovsky  1997,  S.  85-87).  Ebenfalls  befürwortet  er
,,alternative  Möglichkeiten  zur  legitimen  Messung  des  SOC  und  zur  Überprüfung  des
Modells"  (ebd.  S.  71),  und  schlägt  als  weitere  Methoden  die  phänomenologische  Be-
schreibung der Ethnomethodologie, strukturierte Interviews oder projektive Tests vor.
18
2. Salutogenese im wissenschaftlichen Diskurs
Nach  der  ausführlichen  Darstellung  der  Theorie  der  Salutogenese  möchte  ich  auf
deren  Rezeption  und  Weiterentwicklung,  auch  im  Hinblick  auf  unsere  eigene
Forschung, eingehen.
2.1 Verwandte Konzepte zur Salutogenese
In  der  Psychologie  wurden  verschiedene  Konzepte  über  den  Einfluss  individueller
Eigenschaften  auf  Gesundheit  entwickelt,  welche  interne  (d.h.  dispositionelle,  situ-
ationsspeifisch  veränderbare)  oder  personale  (d.h.  andauernde,  persönlichkeitsbe-
dingte)  Verhaltensweisen  als  ,,interne  oder  personale  Protektivfaktoren"  (BzgA  S.  52)
untersuchen.  Besonders  einige  personale  Konzepte  weisen  starke  Nähe  zum  saluto-
genetischen Modell auf (vgl. BzgA 2001, S. 52-59):
·
  Gesundheitliche  Kontrollüberzeugungen  (Health  Locus  of  Control,  HLOC)
finden sich in der Salutogenese als Kontrolle der Situation in den Komponenten
Verstehbarkeit und Handhabbarkeit wieder.
·
  Selbstwirksamkeitserwartung (Self-efficacy) findet sich in  der  Salutogenese  im
Vertrauen auf die eigene Handhabbarkeit und in gezieltem Einsatz von Coping-
strategien.
·
  Widerstandsfähigkeit  (Hardiness)  findet  sich  in  der  Saltuogenese  in  den
Elementen  Ressourcenorientierung,  Engagement,  Kontrolle  und  in  der  Sicht
auf Veränderungen als Herausforderungen wieder.
·
  Optimismus  (Optimism)  findet  sich  in  der  Salutogenese  als  Zuversicht,  dass
auch zukünftige Krisen gelöst oder bewältigt werden können.
Weitere verwandte Gebiete sind die Stress- und Resilienzforschung. Lazarus' Stress-
modell  ist  ja  bereits  in  Antonovskys  Forschung  vergleichend  eingeflossen;  die
Resilienzforschung  fragt  von  einem  mehr  pathogen  orientierten  Blickwinkel  aus  nach
Gesundheit erhaltenden Faktoren und sieht ihrerseits das Kohärenzgefühl als eine von
vielen  Ressourcen  an  (BzgA  2001,  S.  60-64).  Insgesamt  sind  die  Überschneidungen
der  Konzepte  teilweise  recht  stark,  was  die  Konzepte  wechselseitig  bestätigt,  jedoch
auch eine genaue Abgrenzung erfordert.
2.2 Forschungsstand zum Kohärenzgefühl
Das  Konstrukt  des  SOC  ist  laut  der  von  Alexa  Franke  (deutsche  Übersetzerin  von
Antonovskys  zweitem  Werk)  zusammengetragenen  Forschung  ein  konsistentes  und
vorwiegend  kognitives  Konstrukt,  das  in  hohem  Maß  mit  Komponenten  seelischer
Gesundheit  (wie  Selbstwertgefühl,  Optimismus,  Kontrollüberzeugung)  korreliert;
19
dennoch  sei  es  nicht  mit  anderen  Modellen  identisch  und  daher  als  eigenständiges
Konstrukt anzusehen (vgl. Franke 1997, S. 173).
Eine  hohe  negative  Korrelation  mit  Angst  könnte  die  Eigenständigkeit  des  Konstrukts
in  Frage  stellen;  bezüglich  Copingverhalten  handelt  es  sich  um  ein  übergeordnetes
Konzept (vgl. ebd. S. 172-173). Leider sind weder von Antonovsky noch aus anderen
Studien  Längsschnitt-Untersuchungen  bekannt,  welche  Auskunft  geben  könnten,
inwieweit  das  Kohärenzgefühl  tatsächlich  ein  Leben  lang  konstant  bleibt  (wie  Anto-
novsky  vermutete),  oder  ob  sich  doch  gravierende  Veränderungen  abzeichnen  wür-
den. Laut Franke weist der Vergleich verschiedener Forschungen (mit dem SOC-Test
als  Messinstrument  für  das  Kohärenzgefühl)  auf  folgende  Tendenzen  hin:  Das
Kohärengefühl von Frauen ist niedriger als das von Männern, mit dem Alter steigt das
Kohärenzgefühl  an  (beides  entgegen  Antonovskys  Vermutungen),  und  bei  klinischen
Gruppen  ist  es  niedriger  als  bei  Zufallsstichproben  (vgl.  Franke  1997,  S.177).  Diese
Tendenzen  wiederum  stellen  auch  die  Validität  des  SOC-Fragebogens  als  Messin-
strument in Frage (vgl. Kap. 2.3). Ebenfalls anzuzweifeln sei laut Franke die Globalität
und Stabilität des SOC.
Bengel,  Strittmatter  und  Willmann  stellen  in  der  Expertise  der  BzgA  aktuellere  Daten
zum  Forschungsstand  über  das  Kohärenzgefühl  dar.  Im  Gegensatz  zu  Franke  kom-
men sie zu dem Schluss, dass das Modell der Salutogenese wenig Beachtung im wis-
senschaftlichen  Diskurs  fand,  obwohl  der  ,,neologistische  Begriff"  (BzgA  2001,  S.  42)
der  Salutogenese  bereits  als  neues  Modewort  für  viele  gesundheitswissenschaftliche
Bereiche genutzt werde. Die Herausgeber sind der Ansicht, dass die neue Sichtweise
auf  Gesundheit  und  der  damit  verbundene  Perspektivenwechsel  von  Antonovsky
Anklang  gefunden  haben,  ohne  dass  jedoch  eine  echte  wissenschaftliche  Ausei-
nandersetzung  mit  und  eine  Überprüfung  des  salutogenetischen  Modells  auf  breiter
Basis  stattgefunden  hätte.  So  erfolgten  z.B.  die  wenigen  Forschungen  vor  allem  in
Israel selbst und nicht in den wissenschaftlich einflussreicheren U.S.A.
Da  es  aufgrund  der  Komplexität  nur  sehr  schwer  möglich  wäre,  das  Konzept  als
Ganzes wissenschaftlich zu überprüfen, beschränken sich die vorhandenen Forschun-
gen  vor  allem  auf  Vergleichsstudien,  welche  korrelative  Parameter  zwischen
psychischer  und  physischer  Gesundheit  und  dem  Kohärenzgefühl  messen.  Diese
Studien  können  keine  Ursachenzusammenhänge,  sondern  nur  gegenseitige  oder
übergeordnete Beeinflussung aufzeigen. Oft untersucht wurden z.B. Zusammenhänge
zwischen  SOC  und  körperlicher  oder  psychischer  Gesundheit,  Stresswahrnehmung
und  Coping,  sozialem  Umfeld,  Gesundheitsverhalten  und  demographischen
Persönlichkeitsmerkmalen;  weitere  Studien  beschäftigen  sich  mit  anderen  Einzel-
merkmalen  (z.B.  Selbstwert,  Emotionalität,  Neugier,  Intelligenz,  Flexibilität  und
20
Stabilität  als  Persönlichkeitsmerkmale;  weiter  Suizidalität,  Abwehrmechanismen,
soziale  Erwünschtheit,  Gesundheitsüberzeugungen,  Risikoeinschätzungen;  vgl.  BzgA
2001,  S.  42-43).  Erstaunlicherweise  wurde  bei  all  diesen  Studien  trotz  bestehender
Kritik  am  SOC-Test  dieser  als  Messmethode  für  das  Kohärenzgefühl  eingesetzt;  ein
anderes Mittel wurde bisher nicht entwickelt.
Es existieren einige Studien zum Verhältnis zwischen SOC und Stressbewältigung, so
fühlen  sich  nach  einer  Studie  von  McSherry  und  Holm  (1994)  Probanden  mit  hohem
SOC-Wert  signifikant  weniger  gestresst  als  solche  mit  niedrigem  SOC-Wert;  ebenso
sind physiologisch gemessene Reaktionen auf Stress bei Probanden mit hohem SOC
niedriger  als  bei  anderen.  Nach  weiteren  Studien  erleichtert  ein  hoher  SOC  die
Anpassung  an  schwierige  Lebenssituationen  wie  z.B.  Behinderung  oder  die  Pflege
eines  Angehörigen  (hierzu  ließe  sich  wohl  auch  die  Situation  des  Alleinerziehens
zählen).  Menschen  mit  starkem  Kohärenzgefühl  fühlen  sich  weniger  überlastet  und
sind  eher  in  der  Lage,  der  Situation  einen  Sinn  zu  verleihen,  während  niedrige  SOC-
Werte  allgemein  eher  mit  depressivem  Bewältigungsverhalten,  defensiven  Abwehr-
mechanismen, Hilflosigkeit oder Resignation einhergehen (vgl. BzgA 2001, S. 48).
Dass  der  SOC  mit  sozialen  Beziehungen  zusammenhängt,  zeigen  einige  Studien,  in
denen  der  SOC  mit  der  Anzahl  von  Freunden,  mit  ehelicher  Zufriedenheit  und  mit
sozialer Unterstützung korreliert (vgl. BzgA 2001, S. 48). Dieser Bezug stellte auch für
Antonovsky  eine  von  vielen  Widerstandsfaktoren  dar.  Infrage  steht  dagegen
Antonovskys  Einschätzung  zur  lebenslangen  Stabilität  des  SOC;  hierzu  fehlen  vor
allem  Längsschnittuntersuchungen  (vgl.  Geyer  2002,  S.  76;  Stumpp  2003,  S.  5).
,,Außerdem  wurde  bislang  in  keiner  Untersuchung  in  Bezug  gesetzt,  wie  sich
Kohärenzgefühl  und  kritische  Lebensereignisse  zueinander  verhalten  und  ob  sich
Veränderungen  des  Kohärenzgefühls  durch  Psychotherapie  oder  Beratung  erzielen
lassen" (Stumpp 2003, S. 5).
Wie  Antonovsky  selbst  voraussagte,  fanden  auch  nachfolgende  Studien  keinen
direkten  Zusammenhang  zwischen  SOC  und  gesundheitsbewusstem  Verhalten  wie
z.B.  Sport  zu  treiben  oder  auf  Ernährung  zu  achten.  Verschiedene  Studien  finden
dagegen  einen  Zusammenhang  zwischen  niedrigem  SOC  und  gesundheitsschädi-
gendem  Copingverhalten  wie  z.B.  Suchtmittel-Missbrauch;  diese  Forschungen  sind
jedoch sowohl widersprüchlich als auch dürftig (vgl. BzgA 2001, S. 49-50).
Weitere  Forschungen  ergaben  die  auch  bei  Franke  erwähnten  Zusammenhänge
zwischen SOC und Geschlecht bzw. SOC und Alter, keinen Zusammenhang zwischen
SOC  und  Kulturkreis  (wie  Antonovsky  voraussagte;  jedoch  bei  noch  unzureichender
Forschungslage)  und  keine  klare  Aussage  über  den  Bezug  zwischen  SOC  und
Bildungsstand, wobei der SOC in einer Studie mit dem Ansehen, der Eigenständigkeit
21
und  dem  Einkommen  einer  betrieblichen  oder  geschäftlichen  Position  korrelierte  (vgl.
Franke 1997, S. 177; BzgA 2001, S. 50-52).
Antonovsky  selbst  sieht  sein  Modell  als  Beschreibung  für  die  direkte  Verbindung
zwischen  Lebensorientierung  und  körperlicher  Gesundheit.  Umwege  über  das
Gesundheitsverhalten, psychische Komponenten oder die Verbindung zwischen SOC,
psychischer  Gesundheit  und  Lebenszufriedenheit  bewertet  er  sehr  zurückhaltend.
Nachfolgende Forschungen deuten jedoch auf das Gegenteil hin: Während ein direkter
Zusammenhang  zwischen  dem  Kohärenzgefühl  und  körperlicher  Gesundheit  nicht
eindeutig  feststellbar  ist,  weisen  verschiedene  Studien  zwischen  SOC  und
psychischen  Komponenten  signifikante  Korrelationen  auf;  in  Bezug  auf  Ängstlichkeit
und  Depressivität  sind  sogar  so  große  Übereinstimmungen  zu  finden,  dass  sich  das
Kohärenzgefühl  nur  schwer  davon  abgrenzen  lässt  (vgl.  BZgA  2001,  S.  43-46).
Allerdings  gab  es  bisher  nur  Studien  zum  Kohärenzgefühl  (gemessen  mit  dem  SOC-
Test) in Bezug auf einzelne Bereiche körperlicher Gesundheit; diese Zusammenhänge
müssten in weiteren ,,Studien mit angemessenem Forschungsdesign" (BzGA 2001, S.
46)  genauer  geklärt  werden.  Hierzu  sollte  auch  über  eine  geeignetere,  genauere
Methode zur Messung des individuellen Kohärenzgefühls nachgedacht werden.
2.3 Kritik am Instrument des SOC-Fragebogens
Die  bisher  erfolgten  Forschungen  zur  Salutogenese  beziehen  sich  zum  größten  Teil
auf  das  Kohärenzgefühl,  welches  bisher  gemessen  wurde  mit  dem  von  Antonovsky
erstellten  ,,Fragebogen  zur  Lebensorientierung",  dem  ,,SOC-Test".  Die  testtheoreti-
schen  Anforderungen  an  ein  solches  Messinstrument  sind  in  dieser  Skala  im  Prinzip
erfüllt;  die  Konstruktvalidität  wurde  im  Vergleich  mit  ähnlichen  Konstrukten  als  gültig
befunden. Dennoch weist das Instrument des SOC-Tests ernstzunehmende  Probleme
und  Mängel  auf.  So  werden  sehr  hohe  SOC-Werte  von  Antonovsky  selbst  als
unrealistische Lebenseinschätzung angesehen, welche er wiederum als geschwächtes
oder  unstabiles  Kohärenzgefühl  deutet.  Damit  gibt  es  jedoch  keinen  klar  benannten
,,Idealwert"  (hohe  SOC-Werte  bedeuten  nicht  immer  ein  hohes  Kohärenzgefühl),  was
die  Arbeit  mit  dieser  Skala  erschwert.  Zudem  weisen  die  bei  Franke  (1997,  S.  177)
beschriebenen  Ergebnisse  vieler  Forschungen  darauf  hin,  dass  die  Mittelwerte  des
SOC-Tests  tendenziell  Männern  einen  höheren  SOC-Wert  als  Frauen  und  Älteren
einen  höheren  SOC-Wert  als  jungen  Menschen  zuschreiben;  ob  diese  Werte  die
tatsächlichen Stärke des Kohärenzgefühl ausdrücken oder durch das Messinstrument
bedingt  sind,  ist  nicht  geklärt.  Weiter  wurde  festgestellt,  dass  die  negativen  Korrela-
tionen zu Angst und Depression so hoch sind, dass man fast von einer Konfundierung
sprechen  könnte,  d.h.  die  SOC-Skala  stellt  möglicherweise  deren  Kehrseite  dar.  Die
22
Methode,  mit  korrelativen  Vergleichen  Konstruktvalidität  zu  messen,  wird  ebenfalls
kritisiert, nur gibt es bisher keine bessere Möglichkeit (vgl. BzgA 2001, S. 40-41).
Siegfried  Geyer  (2002,  S.  71-83)  kritisiert  ebenfalls,  dass  der  SOC  zu  eng  mit  den
Maßen  für  Angst  und  Depression  zusammenhänge  und  eigentlich  diese  messe.
Zudem seien Antonovskys Konstrukte und Instrumente zu wenig hinterfragt. Da es fast
nur  Querschnittstudien  zum  SOC  gebe,  liege  kaum  Grundlagenforschung  vor;  die
empirischen  Befunde  zum  SOC  seien  daher  nicht  eindeutig.  Geyer  fordert  eine
Neubearbeitung  der  Messinstrumente  und  die  Untersuchung  des  SOC  auf  zeitliche
Stabilität und Sozialisationsbedingungen; die Operationalisierung des SOC durch den
vorhandenen  Test  stehe  in  Frage:  ,,Hohe  negative  Korrelationen  zwischen  SOC-
Scores und Maßen beeinträchtigter Gesundheit sowie Überschneidungen in den Item-
Formulierungen lassen es fraglich erscheinen, ob das Konstrukt tatsächlich gemessen
wird"  (Geyer  2002,  S.  75).  ,,Als  Hauptproblem  auf  der  empirischen  Ebene  kann  aber
der  Fragebogen  gelten,  dessen  Defizite  eine  komplette  Revision  erforderlich  macht"
(ebd.  S.  80).  Zudem  stellt  Geyer  die  Hypothese  auf,  dass  ein  starker  SOC  nur  in
mittlerer  bis  hoher  Schichtzugehörigkeit  entwickelt  werden  könnte,  wo  entsprechende
Handlungskompetenzen  und  Entscheidungsoptionen  gegeben  seien;  somit  sollte  ,,der
SOC mit steigender sozialer Schichtzugehörigkeit zunehmen" (ebd. S. 78). Er plädiert
für  hinreichende  Grundlagenforschung,  bevor  das  Modell  und  besonders  der  Frage-
bogen zur Anwendung kommen.
Erstaunlicherweise wurde bei fast allen bisherigen Studien trotz bestehender Kritik am
SOC-Test  dieser  als  Meßmethode  für  das  Kohärenzgefühl  eingesetzt;  ein  anderes
Mittel wurde bisher nicht entwickelt.
2.4 neuere Forschungen zum Kohärenzgefühl in der Biografie
Bemühungen um eine gesundheitswissenschaftliche Theoriebildung auf der Grundlage
der  Salutogenese,  welche  der  Komplexität  des  Ansatzes  gerecht  werden  will,  finden
sich  in  der  Biografieforschung  von  Gabriele  Stumpp.  Ihr  Ansatz  ist  es,  in  konsequent
salutogenetischer Sichtweise Biografieforschung zu betreiben durch Interviews mit der
Fragestellung,  was  Menschen  in  ihrem  Leben  gesund  erhält.  Diese  Vorgehensweise
ähnelt  Antonovskys  51  unstrukturierten  Interviews  und  somit  dem  Ausgangspunkt
salutogenetischer Forschung. Dabei stellt sie fest, ,,dass es eben nicht 
die
 Gesundheit
gibt, also nicht eine für alle und noch nicht einmal ein und dieselbe für eine Person zu
allen  Zeiten"  (Stumpp  2003,  S.  1).  Um  Gesundheit  unter  dem  Blickwinkel  der  Saluto-
genese  zu  erforschen,  müsse  erst  eine  vollständigere  Ablösung  der  Gesundheits-
forschung  und  der  praktischen  Arbeit  im  Gesundheitssystem  vom  Paradigma  der
Pathogenese  erfolgen  (vgl.  Faltermaier  1994);  die  Frage  nach  den  Bedingungen  für
23
Gesundheit  müsse  in  den  Vordergrund  rücken.  Außer  dem  Modell  der  Salutogenese
sind  laut  Stumpp  auch  die  Theoriebildung  zu  subjektiven  Gesundheitskonzepten
(Faltermaier  1994;  Flick  1998)  und  das  Konzept  der  sozialen  Repräsentationen
(Herzlich 1973) aufschlussreich für einen Paradigmenwechsel in Richtung Gesundheit.
Hierbei  sollte  Gesundheit  als  Diskurskonstrukt  verstanden  werden,  in  welchem  die
Diskursebenen  ,,gleichermaßen  kooperativ  wie  kritisch  zueinander  in  Bezug  gesetzt
werden" sollten (Stumpp 2003, S. 2).
Subjektive Vorstellungen von Gesundheit beinhalten einen wichtigen Beitrag zum Wis-
sen über Gesundheit sowie über die soziale Konstruktion und Repräsentation von Ge-
sundheit mit deren gesellschaftlicher Rollen- Identitäts- und Geschlechtszugehörigkeit,
sozialen  Zwängen,  gesellschaftlichen  und  historischen  Bedingungen  sowie  anderer-
seits  konstruktive  Möglichkeiten  des  Umgangs  damit  als  ,,Widerstandsfaktoren"  auf
individueller  und  sozialer  Ebene  (vgl.  Faltermaier  1994;  Antonovsky  1997,  S.  91ff).
Inwieweit  soziale  und  individuelle  Ebenen  hier  ineinander  wirken,  ist  ebenfalls  kaum
erforscht.
Auch  in  Antonovskys  Konzept  und  seiner  impliziten  Gesundheitsvorstellung  findet
Stumpp  ,,zwei  zentrale  Perspektiven,  nämlich  die  auf  (Gesundheits-)Biografien  und
subjektive Theorien einerseits sowie jene, welche die Bedingungen der Lebenslagen in
den  Blick  nimmt,  in  denen  diese  Biografien  stattfinden  und  wo  soziale  Repräsen-
tationen von Gesundheit und Krankheit sich niederschlagen" (Stumpp 2003, S. 4).
Die  Salutogenese  bietet  laut  Stumpp  angesichts  der  Probleme  des  traditionellen
Gesundheitssystems  eine  ,,fruchtbare  Rahmentheorie"  mit  komplexen  und  aktuellen
Fragen,  welche  die  interdisziplinäre  Forschung  anregen  und  wichtige  Impulse  geben
kann  (Stumpp  2003,  S.  4;  vgl.  Faltermaier  2000,  S.  186).  Sie  vermutet  die  Ursachen
für die bisher magere theoretische und empirische  Entwicklung  der  Salutogenese  vor
allem  in  Unklarheiten  des  Konzepts,  welche  nicht  systematisch  bearbeitet  worden
seien, so z.B. die Begriffsklärung von ,,Gesundheit" und ,,Krankheit" und deren Zusam-
menhang  mit  dem  Kohärenzgefühl.  Dadurch  werde  die  Operationalisierung  des
Modells für die Empirie erschwert. Ebenfalls problematisch sei die ungenügende Güte
des  SOC-Fragebogens,  welcher  der  Komplexität  der  Theorie  nicht  gerecht  werde
(Stumpp 2003, S. 5).
Eine weitere wichtige, noch ungeklärte Frage ist laut Stumpp, ob das Kohärenzgefühl
wirklich,  wie  von  Antonovsky  angenommen,  vom  frühen  Erwachsenenalter  an  ein
Leben lang stabil bleibt. Bisher hat keine Untersuchung dieser These z.B. in Bezug auf
kritische Lebensereignisse oder in Bezug auf Veränderungen des SOC durch Therapie
bzw.  Beratung  stattgefunden.  Die  Klärung  dieser  Frage  sei  jedoch  für  die  praktische
Anwendung  unerlässlich.  Stumpp  schlägt  vor,  hierzu  die  Methoden  der  Biografie-
24
forschung und Langzeitstudien einzusetzen; darauf aufbauend berichtet sie von ihrem
Forschungsprojekt ,,Biografie und Gesundheit".
Ausgehend von der These, ,,dass eine biografische Untersuchung subjektiver Gesund-
heitstheorien die komplexe Konstruktion von Kohärenz verdeutlichen kann" (ebd. S. 6),
und  in  Bezug  auf  Antonovskys  ausdrücklichen  Hinweis,  außer  dem  SOC-Test  seien
auch andere Möglichkeiten zur Erforschung des SOC zu nutzen (Antonovsky 1997, S.
71),  entscheidet  sie  sich  für  einen  tiefen  Blick  in  Biografien,  um  die  darin  enthaltene
,,Kohärenz" als jeweils individuelle globale Lebensorientierung herauszuarbeiten. Inter-
viewt  wurden  erst  alte  Menschen  und  alleinerziehende  Frauen,  später  zum  Vergleich
auch  chronisch  psychisch  kranke  Männer  und  junge  Frauen  mit  selbstverletzendem
Verhalten; so konnten ,,gesunde" und aus medizinischer Sicht ,,kranke" Menschen aus
salutogenetischer  Perspektive  miteinander  verglichen  werden.  Es  kristallisierten  sich
folgende  Schwerpunkte  heraus:  Art  und  Kontext  der  Definition  von  Gesundheit,  die
Konstruktion  von  Gesundheit  im  Zusammenhang  der  Biografie,  und  Hinweise  auf
gesund  erhaltende  Konstrukte  bzw.  Widerstandsfaktoren  gegen  Belastungen  (vgl.
Stumpp  2003,  S.  6).  Die  Konstrukte  an  sich  zeigten  eine  große  Variationsbreite,  so
dass man sagen kann, jedes Leben hat eine ganz eigene Dynamik und bildet eigene
und  ,,eigensinnige"  Konstrukte,  ,,in  denen  sich  individuelle  Widerstandsfaktoren
verdichten" (ebd. S. 4). Aus diesen Interviews zieht Stumpp (2003, S. 7) den Schluss,
dass  ,,die  biografische  Perspektive  eine  empirisch  wie  theoretisch  relevante
Erweiterung des Kohärenzbegriffs ermöglicht".
Diese  Forschung  bestätigt,  dass  mit  Blickrichtung  auf  Gesundheit  und  deren  Erhalt
andere Antworten erfolgen als auf die Frage nach Krankheit. Alle Befragungen älterer
Menschen  begannen  z.B.  mit  deren  Kindheit,  da  sie  sich  in  ihrem  lebensweltlichen
Kontext  verstanden  wissen  wollen.  ,,Der  historisch-gesellschaftliche  und  sozio-
kulturelle  Kontext  erweist  sich  als  zentrale  Ausgangs-  und  Deutungskategorie  der
subjektiven Erzählungen." (Stumpp 2003, S. 3). Sowohl Gesundheit als auch Krankheit
werden  biografisch  konstruiert  und  müssen  als  voneinander  unabhängige,
eigenständige Größen verstanden werden (vgl. ebd. 2004, S. 7). Hierbei gibt es Unter-
schiede  im  Hinblick  auf  Geschlecht,  Alter,  Lebenslage  und  aktuelle  Krisen;  es  macht
einen  Unterschied,  ob  Probleme  anstehen  oder  bereits  bewältigt  sind.  All  diese
Parameter  beeinflussen  die  spezifischen  Sorgen  und  Stressoren  einer  Person  und
damit  auch  die  Gegenmaßnahmen  bzw.  die  zu  mobilisierenden  Widerstands-
ressourcen  und  prägen,  möglicherweise  langfristig,  das  inhärente  Gesundheits-  und
Lebensverständnis, auf dessen Hintergrund sie zuerst aufbauen. Dies wird deutlich an
den  verschiedenen  untersuchten  Gruppen;  der  SOC  einer  alleinerziehenden  Frau
nach  dem  Trauma  der  Trennung  ist  erschüttert  und  muss  sich  bestenfalls  regene-
25
rieren; drastischer ist es bei chronischen Erkrankungen wie die der psychisch kranken
Männer, welche auf dem Hintergrund der Erkrankung ein neues Selbstverständnis und
auch eine neue Balance im Verhältnis zu Gesundheit finden müssen. Das medizinisch
gesehen  pathogene  Symptom  selbstverletzenden  Verhaltens  erscheint  innerhalb  des
Gesamtkontextes  eines  extrem  schwierigen  Lebenshintergrundes  aus  salutoge-
netischer  Sicht  sogar  gesundheitserhaltend.  So  kann  man  schlussfolgern,  dass,  im
Sinne  von  Antonovskys  Balance  der    Heterostase,  Gesundheit  als  ein  Prozess  ver-
standen  werden  kann,  in  dem  durch  den  Einsatz  von  Widerstandsfaktoren  gegen
belastende  Erfahrungen  immer  wieder  ein  Gleichgewicht  hergestellt  und  verteidigt
werden  muss  (vgl.  ebd.  S.  7-8).  Es  liegt  jedoch  auch  die  Vermutung  nahe,  dass  das
Kohärenzgefühl durchaus auch in späteren Jahren noch veränderbar ist und verändert
wird.
In der Tiefenanalyse der Interviews fand Stumpp (2003, S. 8) so genannte ,,widerspen-
stige  Kernkonstrukte";  dabei  handelt  es  sich  um  Themen  innerhalb  der  subjektiven
Gesundheitstheorie, welche ,,quasi die ,individuelle Begründungslogik' der subjektiven
Theorie" (ebd. S. 8) bilden. Diese ist so eigen, dass sie sich ,,weder in den populären
Gesundheitsvorstellungen  noch  in  Kategorien  von  ,Funktionieren'  oder  ,subjektivem
Wohlbefinden'" finden lässt und nur aus dem individuellen Lebenslauf verstehbar wird.
Nur  so  wird  verständlich,  ,,wieso  Menschen  ähnliche  Belastungen  unterschiedlich  be-
werten und unterschiedlich bewältigen" (ebd. S. 8). Hier vermutet Stumpp den Schlüs-
sel zur ,,subjektiven Gesundheitssteuerung" (ebd. S. 9) auf einer Metaebene, der hilft,
trotz äußerer Widrigkeiten gesund zu bleiben, d.h. Gesundheit immer wieder herzustel-
len. - Die Parallelen zur  Salutogenese  mit  ihrer zentralen  Fragestellung  sind  deutlich.
Aus  dieser  ,,individuelle(n)  Begründungslogik"  entsteht  ein  eigenwilliges  persönliches
Widerstands- und Ressourcenpotential, welches Antonovskys GRR-GRD  sehr  ähnelt;
zudem  weisen  diese  Konstrukte  ,,starke  Parallelen  mit  identitätstheoretischen  Erklä-
rungsansätzen auf" (ebd. S. 9); so dass sich die Frage stellt, inwieweit das Kohärenz-
gefühl  mit  der  Identität  zusammenhängt.  Bisherige  Biografieforschung  ergab,  dass
identitätsrelevanter  Stress  (z.B.  durch  nicht  bewältigte  mangelnde  Anerkennung,
Gewalterfahrungen  oder  Exklusion)  zu  einer  Veränderung  der  Konstrukte  führt  (vgl.
ebd.  S.  9).  Laut  Keupp  unterliegt  die  Identitätsbildung  einer  ständig  neuen  Anpas-
sungsleistung, in der ,,ein prozessual verstandenes Kohärenzprinzip für die Identitäts-
bildung  nicht  zur  Disposition  gestellt  werden  darf"  (Keupp  et.  al.  1999,  S.  246;  vgl.
Höfer  2000).  In  Interviews  mit  Älteren  wurde  jedoch  auch  sichtbar,  das  Identität  und
Kohärenz  zwar  immer  wieder  neu  hergestellt  werden  mussten,  dass  dies  jedoch  um
ein  beständiges  Kernkonstrukt  herum  geschah.  Dieses  Konstrukt  ist  gleichzeitig
einerseits  verknüpft  mit  der  Identität  und  andererseits  in  ,,Interaktion  mit  bestimmten
26
kulturellen und sozialen Strukturmustern" (Stumpp 2003, S. 4). Somit müssten zutiefst
eigene  Erfahrungen  mit  herrschenden  gesellschaftlichen  Ansichten  über  Gesundheit
ausbalanciert werden und hieraus entstehende Paradoxien müssten integriert werden.
Inwieweit  kritische  Lebensereignisse  dieses  Kernkonstrukt  nun  tangieren,  erschüttern
oder  verändern,  eröffnet  ein  neues  Forschungsfeld.  Falls  Identität  und  Kohärenz
wirklich so eng verbunden sind, könnte ein Einfluss auf die Identität auch auf den SOC
wirken; diese Verbindung wiederum könnte sich auch therapeutisch zur Stärkung des
Kohärenzgefühls nutzen lassen.
Wenn  die  von  Stumpp  gefundenen  Konstrukte  tatsächlich  mit  dem  von  Antonovsky
beschriebenen  Kohärenzgefühl  übereinstimmen  sollten,  eröffnete  diese  Vorgehens-
weise  neue  Möglichkeiten  theoretischer  und  empirischer  Forschung,  in  der  das  SOC
als ,,qualitatives Konstrukt" und nicht als ,,quantifizierbare Größe" dargestellt würde, da
es ,,nicht unabhängig von individuellen Kernkonstruktionen verstehbar ist" (ebd. S. 9).
Somit  müssten  auch  die  drei  Komponenten  auf  dieses  individuelle  Konstrukt  reflexiv
rückbezogen  werden.  Im  Gegensatz  zu  ,,relativ  fixen  Skalenwerten"  hinge  das  SOC
dann  ab  ,,von  der  Dynamik  jenes  widerspenstigen  Konstrukts,  das  die  individuellen
Widerstandsressourcen  integriert"  (ebd.  S.  9).  Für  weitere  Forschungen  schlägt
Stumpp vor, durch die Arbeit an Gesundheitsbiografien von verschiedenen Personen-
gruppen noch ,,detaillierter zu klären, wie sich Kohärenz und Identität in ihrer Entwick-
lung  zueinander  verhalten"  (ebd.  S.  9),  und  anstatt  objektivierbarer,  dafür  jedoch
statischer Daten den Blick auf das Prozessgeschehen zu richten, welches ein lebens-
langes  ,,Austarieren  zwischen  der  eigenen  Handlungswirksamkeit  und  der  oftmals
widersprüchlichen und vielfach belasteten Lebenswelt" (ebd. S. 10) einbezieht. Weiter-
hin  fordert  sie,  den  Blick  auf  soziale  Gegebenheiten  mehr  einzubeziehen,  um
,,ungleiche Chancenverteilungen zur Ausbildung und Aufrechterhaltung von Kohärenz"
auszugleichen  und  nicht  einseitig  die  ,,Zuständigkeit  für  (gesundheitliche)  Wider-
standsressourcen"  zu  individualisieren.  Auf  die  Ergebnisse  dieser  Arbeit  baut  die
nunmehr in der vorliegenden Forschung gestellte Frage, ob und inwieweit es möglich
ist,  das  Kohärenzgefühl  bzw.  das  subjektive  Gesundheitsempfinden  in  Beratungs-
gesprächen  herauszuhören,  und  darauf  aufbauend  ,,das  individuelle  Kohärenzgefühl
so zu stärken, dass adäquate, d.h. für die Person jeweils gesündere Strategien für den
Umgang mit den Belastungen gefunden werden können" (ebd. S. 10).
27
3. Konzept der lösungsorientierten Beratung
3.1 Theoretischer Hintergrund
Wie  können  wenige  Beratungsgespräche  bewirken,  dass  das  Kohärenzgefühl    einer
Person  angehoben  wird,  und  ihr  Gesundheitszustand  sowie  ihre  Lebensqualität
verbessert  werden?  Ist  dies  überhaupt  möglich?  Und  falls  es  möglich  ist,  welche
Techniken  könnten  sich  dazu  eignen?  -  Der  systemische  Ansatz  von  lösungs-
orientierter Beratung und Therapie bietet der Ansicht unseres Forschungsteams nach
geeignete  Techniken,  um  Einfluss  zu  nehmen,  wobei  wir  davon  ausgehen,  dass  die
Grenzen  zwischen  Beratung  und  Kurztherapie  fließend  sind.  Dieser  Ansatz  kommt  in
unseren 
Salutogenetischen 
Beratungsgesprächen 
sowohl 
als 
theoretischer
Hintergrund als auch praktisch in Form der Techniken zur Anwendung und soll daher
hier knapp dargestellt werden.
Das  Konzept  der  Kurztherapie  wurde  am  Brief  Family  Therapy  Center  in  Milwaukee,
USA entwickelt; sein Hauptvertreter ist Steve de Shazer. Er orientiert sich vor allem an
der  Hypnotherapie  nach  Milton  Erickson  und  an  der  Systemtheorie,  des  Weiteren  an
Watzlawick,  Haley  und  an  systemischer  Familientherapie.  Beschrieben  werden  die
Erfahrungen  von  gegenseitiger  Supervision  in  einem  Therapeutenteam,  in  dem
Therapeuten verschiedener Schulen gemeinsam und durch gegenseitiges Beobachten
die  effektivsten  Strategien  ihrer  verschiedenen  Ansätze  herausfanden.  Dadurch
entstand ein Set von anwendbaren Techniken, welche zu Veränderungen im Verhalten
von Klienten und in Systemen führen.
In der Systemtheorie ist ein ,,menschliches System" (d.h. ein Beziehungsgeflecht) mehr
als  die  Summe  seiner  Teile.  Es  besteht  aus  Individuen  und  ihren  Beziehungen
untereinander  und  wird  somit  komplex.  ,,Jeder  Teil  des  Systems  ist  mit  den  anderen
Teilen so verbunden, dass eine Änderung in einem Teil eine Änderung in allen Teilen
und damit dem ganzen System verursacht" (Watzlawick u. a. 1967, S. 123, bzw. dt. S.
119,  zit.  n.  de  Shazer  1997,  S.  146).  Demnach  kann  diese  Komplexität  genutzt
werden,  um  durch  eine  kleine  Veränderung  an  einer  Stelle  wie  ein  Welleneffekt  eine
Bewegung  im  ganzen  System  zu  erreichen.  In  der  darauf  folgenden  Neuordnung
können sich gewünschte Lösungen dauerhaft etablieren.
Wie  der  Name  schon  sagt,  wird  der  Fokus  vom  Problem  weg  und  hin  auf  eine
möglichst rasche Lösung gerichtet; in der Regel reichen dazu fünf bis zehn Gespräche
aus.  Dies  soll  jedoch  nicht  einfach  weniger  Zeit  für  dieselben  therapeutischen
Prozesse  bedeuten  oder  eine  rein  zeitliche  Begrenzung  darstellen,  sondern  stellt  ein
Verfahren  dar,  das  es  sich  zur  Aufgabe  macht,  die  Bewältigung  menschlicher
Schwierigkeiten  auf  neue  Weise  anzupacken  und  erfolgreiche  Lösungen  rasch
herbeizuführen.  Der  Therapeut  ähnelt  darin  eher  z.B.  einem  Hausarzt  oder  einem
28
Menschen,  der  ,,den  Tonkopf  einer  hängen  gebliebenen  Schallplatte  kurz  anhebt,  um
ihn in die nächste Rille zu setzen, so dass die Musik des Lebens weiterspielen kann"
(Madelung 1996, S. 89). Die scheinbare Oberflächlichkeit dieses Ansatzes gegenüber
tiefenpsychologischen  Verfahren  begründet  de  Shazer  in  einer  kritischen,  struktu-
ralistischen  Auseinandersetzung  mit  dem  Thema  Sprache  in  Bezug  auf  Tiefen-  und
Oberflächenstruktur  (vgl.  de  Shazer  1998,  S.  34-41).  In  analytischen  Therapiekon-
zepten  wird  davon  ausgegangen,  dass  sich  hinter  der  Oberfläche  eine  ,,verdrängte"
Tiefenstruktur  befindet,  welche  erst  die  vollständige  Bedeutung  der  Oberflächen-
struktur  enthalte.  Demnach  muss  im  therapeutischen  Prozess  nach  dieser
Tiefenstruktur  geforscht    werden,  um  von  dort  aus  das  vom  Klienten  Gesagte  zu
verstehen und dort nach Heilungswegen  zu  suchen.  De  Shazer  bemerkt  nun  kritisch,
dass auch diese Tiefenstruktur unvollständig sein kann, bzw. dass sich sogar in deren
Zentrum  ein  Loch  befinden  könnte.  Der  Therapeut  muss  somit  auf  der  Suche  nach
Lösungen  diese  geheimnisvollen  Tiefen  interpretieren  bzw.  deren  Hintergründe
,,erraten",  was  wiederum  in  einen  endlosen,  unfruchtbaren  Prozess  münden  kann.
Denn  letztlich  gibt  es  laut  de  Shazer  kein  Ende  oder  keinen  Boden  in  dieser
Tiefenstruktur,  auf  dem  eine  Interpretation  mit  Sicherheit  als  endgültig  oder  richtig
verstanden  gelten  kann  (vgl.  ebd.  1998,  S.  38-39).  Demgegenüber  setzt  sich  de
Shazer  intensiv  mit  dem  Thema  Sprache  auseinander,  über  welche  sowohl  die
Oberflächen-  als  auch  die  Tiefenstruktur  kommuniziert  werde.  Worte  beziehen  sich
aufeinander  und  beziehen  ihre  Bedeutung  voneinander  (vgl.  ebd.  S.  42).  Nach  de
Shazer  ist  es  dabei  fraglich,  ob  das  Bezeichnete  tiefer  oder  ,,wahrer"  als  die
Bezeichnung  ist,  und  er  sieht  es  daher  als  ratsam  an,  ,,textfokussiert"  an  der  wahr-
nehmbaren Oberfläche des Gesagten zu bleiben.
3.2 Textfokussierung statt Interpretation
Der  Begriff  ,,Text-fokussiertes  Lesen"  wurde  von  de  Shazer  als  Alternative  zu  dem
problematischeren,  da  vorbelasteten  Begriff  ,,Dekonstruktion"  geprägt  und  bedeutet,
die  innere  Logik  des  Anliegens  eines  Textes  (oder  einer  Erzählung)  aus  dessen
Kategorien- und Wertesystem zu verstehen, d.h. im Anliegen, in der Struktur  und  der
inneren Logik (oder Unlogik) und auch in der Wortwahl des vorgegebenen Materials zu
bleiben  (vgl.  ebd.  1998,  S.  38  und  S.  53-56).  Dies  erfordert  ein  sehr  genaues,
sorgfältiges Lesen, welches ebenfalls beachtet, was im Text z.B. ausgelassen oder nur
am Rande erwähnt wurde. Es darf jedoch nichts in den Text interpretiert werden, das
nicht  im  Sprachgebrauch  des  Textes  selbst  schon  liegt,  d.h.  es  darf  kein  allgemeiner
oder  übergeordneter  Kontext  angenommen  werden.  ,,Jedem  Text  wohnt  die
Möglichkeit  potentiellen  Ver-lesens  durch  Ein-lesen  zusätzlicher  Bedeutung  inne"  (de
29
Shazer  1998,  S.  56),  welche  ein  Leser  aus  seinem  eigenen  Erfahrungshintergrund
mitbringt, und welche mögliche Fehlerquellen im Verständnis darstellen.
Im  Kontrast  dazu  steht  das  ,,Leser-fokussierte  Lesen".  Hier  liest  der  Leser einen  Text
als von außerhalb des Anliegens stehend, aus der Sicht und im Kategoriensystem des
Lesers; diese Haltung wird oft unreflektiert eingenommen. Die beiden Systeme können
jedoch zu sehr verschiedenen  Schlüssen  führen.  Im  ersten  Fall  wird  darauf  geachtet,
was ein Text oder Klient wirklich sagt; im zweiten Fall wird ihm die Interpretation  und
das Weltbild des Lesers oder Zuhörers übergestülpt.
Auf  Beratungssituationen  übertragen,  verlangt  die  Aktivität  der  Beraterin  in  einer
Lösungsorientierten bzw. Salutogenetischen Beratung ein ähnlich genaues, ,,textfokus-
siertes" Zuhören, d.h. das vom Klienten Gesagte wird genau so als ,,wahr" genommen,
wie  es  dargestellt  wird.  Dies  bewirkt  u.  a.  einen  widerstandsfreien  Zugang  zum
Klienten.  Letztlich  gilt,  dass  ein  Berater  durch  Worte  nie  wirklich  den  ganzen
Hintergrund eines Klienten erfassen bzw. verstehen kann, so wie die Situation sich für
den Klienten subjektiv darstellt (vgl. ,,Daher gibt es keine Möglichkeit sicher zu gehen,
dass  wir  uns  genau  das  vorstellen,  was  der  Autor  wirklich  gemeint  hat.";  de  Shazer
1998, S. 56). Dieses Wissen um die eigene Fehlbarkeit im Verstehen jedoch, gepaart
mit  vorurteilslosem  bzw.  nicht-interpretativem  Zuhören,  kann  mehr  Offenheit  ermög-
lichen, um dann passende Lösungen zu finden.
Nach de Shazer sind Worte für den Therapeuten wiederum das Werkzeug, um mit der
vom  Klienten  dargestellten  Welt  zu  arbeiten.  Therapie  als  Konversation  richtet  das
Augenmerk auf Sprache, auf Worte und damit verbundene Implikationen. Sachverhalte
können  durch  kreatives  Missverstehen  und  Umdeuten  geändert  und  mit  Hilfe  von
lösungsorientiertem  Sprachgebrauch  gelöst  werden;  hierzu  kann  der  Therapeut  den
Rahmen  ermöglichen,  in  dem  Klienten  ihre  eigenen  kreativen  Lösungen  kreieren.  So
findet  de  Shazer  z.B.  durch  aufmerksames  Zuhören  die  Ideen  für  ungewöhnliche
Interventionen in den Worten der Klienten selbst (vgl. ebd. S. 51).
3.3 Die Konstruktion von Problemen und Lösungen
Klienten  benennen  Schwierigkeiten  ihres  Lebens  (in  der  Salutogenetischen  Beratung
sind  das  solche,  die  vorwiegend  ihre  Gesundheit  beeinträchtigen).  Diese  stehen  im
Zusammenhang  mit  einem  Verhalten,  welches  durch  das  Weltbild  der  Klienten
zustande gekommen ist. Der Klient befindet sich in der Überzeugung, dass das, was er
bezüglich  der  Schwierigkeiten  zu  tun  beschlossen  hat,  das  einzig  Richtige  und
Logische  gewesen  sei,  und  sieht  keine  andere  Möglichkeit,  als  ,,mehr  desselben
Verhaltens"  zu  zeigen  (Watzlawick  u.  a.,  1974),  weil  die  zweite  Hälfte  des  Entschei-
dungsprozesses  abgelehnt  bzw.  vergessen  wurde  und  eine  lösungsorientierte
30
Umdeutung des Sachverhalts dem Klienten selbst meist nicht mehr möglich ist. Durch
das Hilfesuchen des Klienten wird das Problem jedoch zur Umwandlung freigegeben.
,,Unter  der  Annahme,  dass  Erfahrungen  Bedeutungen  zugeschrieben  werden,  die  die
Art beeinflussen, wie die Welt erlebt wird, ist eine Änderung der Bedeutung auch eine
Änderung  der  Erfahrung"  (Geiling  2002,  S.  79).  Es  ist  nach  de  Shazer  Aufgabe  des
Therapeuten,  passendere  Zusammenhänge  zu  konstruieren  und  so  Wege  zur
Bewältigung  zu  öffnen;  dies  entspricht  einer  Ausweitung  von  Widerstandsfaktoren
(GRR) bei Antonovsky.
 Für  ein  befriedigendes  Ergebnis  müssen  jedoch  erst  die  Ziele  des  Klienten  geklärt
werden.  Zieldefinition  bewirkt  eine  neue  Erwartungshaltung,  in  der  die  Zukunft  eine
gesteigerte positive Bedeutsamkeit für die Gegenwart erhält (diese ist vergleichbar mit
der motivationalen Bedeutsamkeitskomponente des SOC nach Antonovsky). Daher ist
die  Frage,  woran  der  Klient  merkt,  dass  sein  Problem  nicht  mehr  da  ist,  von
Bedeutung. Eine passgenaue Lösung wird erreicht, wenn das Ziel und die Vorgehens-
weise  nicht  vom  Therapeuten,  sondern  vom  Klienten  gesetzt  werden.  Der  Therapeut
leistet hierbei wichtige Hilfestellung, indem er Probleme neu konstruiert, so dass sie zu
einer  Lösung  führen.  Die  Neubewertung  der  Situation  durch  eine  Autorität  wie  den
Therapeuten schafft einen Rahmen, welcher das Aufkommen neuer Erwartungen und
Verhaltensweisen begünstigt (vgl. de Shazer 1997, S. 109). Jede vom Klienten selbst
bewirkte  Veränderung  ist  ein  Anzeichen  für  Passgenauigkeit  und  kann  zur  Lösung
beitragen.  Dieser  Prozess  erfordert  die  Rekonstruktion  des  Problems  aus  dem
beklagten  Sachverhalt,  Kenntnis  über  die  Ziele  des  Klienten  sowie  über  mögliche
Lösungswege.  Eine  spätere  Neukonstruktion  des  Sachverhalts  und  Umdeutung
problematischer Themen erfolgt aus verschiedenen Komponenten wie z.B. Häufigkeit,
Kontext  und  Bedeutung  des  Geschehens,  bestimmten  Verhaltenssequenzen,  der
Kontrollfähigkeit  des  Klienten,  Bezugspersonen  zum  Geschehen,  verantwortlichen
Personen,  Vergangenheit,  Zukunftsbild  und  Erwartungen.  Die  Praktiker  der
Kurztherapie  legen  in  der  Regel  den  Hauptakzent  auf  das  systemische  Konzept  der
Ganzheit:  Der  Therapeut  muss  den  Sachverhalt  plus  mögliche  Lösungen  sehen  und
mit dem Klienten die am besten handhabbare Lösung finden. ,,Die  Veränderung ist ein
interaktioneller Prozess, an dem beide, der Klient und der Therapeut, teilhaben. Sie ist
nicht  etwas,  das  der  Therapeut  dem  Klienten  -  als  einem  passiven  Empfänger  dieser
Leistung - angedeihen ließe" (de Shazer 1997, S. 97).
31
3.4 Lösungsorientierte Techniken
Nach  De  Shazer  gibt  es  drei  einfache  Basisregeln  für  Lösungsorientierte  Therapien
(vgl. Walter / Peller 1999, S. 8):
·
  Wenn etwas nicht kaputt ist, dann repariere es auch nicht.
·
  Wenn du weißt, was funktioniert, mach' mehr davon.
·
  Wenn etwas nicht funktioniert, dann hör' auf damit; mach' etwas ander(e)s.
Für  Bereiche,  die  nicht  funktionieren  und  daher  verändert  werden  sollen,  bietet  de
Shazer  zur  Umstrukturierung  und  Lösung  folgende  Techniken  an,  welche  auch  in  die
Salutogenetische  Beratung  einfließen  werden  (vgl.  de  Shazer  1997,  Kap.  1-8;  de
Shazer 1998):
·
Kooperation:
 Der Klient wird in seinem Anliegen immer als veränderungswillig
und  kooperativ  angenommen  (Abschied  vom  Konzept  des  ,,Widerstandes"
gegenüber Therapie). Der Therapeut bietet dem Klienten kooperatives Verhal-
ten an; in der Folge beantwortet bzw. spiegelt er das Verhalten des Klienten mit
einer  gleichartigen  Reaktion  (,,Tit  for  Tat",  vgl.  de  Shazer  1997,  S.  101-108).
Das  Vertrauen  des  Klienten  wird  gewonnen  durch  Respekt,  Verständnis  und
Anerkennung für seine bisherigen Leistungen und Lösungsversuche; erst wenn
der  Klient  sich  verstanden  fühlt  und  Vertrauen  gewinnt,  kann  ihm  ein  neuer
Weg  vorgeschlagen  werden.  Wichtig  ist,  dass  ,,das  Problem"  als  eigentlicher
Patient angesehen wird, und nicht der Klient als Mensch. Therapeut und Klient
arbeiten  gemeinsam  an  der  Konstruktion  einer  Lösung;  will  der  Klient  eine
mögliche Lösung nicht annehmen, so ist es die falsche.
·
Komplimente:
  Eine  therapeutische  Botschaft  wird  immer  mit  einem
Kompliment  eingeleitet;  dies  kann  Respekt  vor  den  bisherigen  Bewältigungs-
strategien einbeziehen und ebnet gleichzeitig den Weg für etwas Neues.
·
Skalierungsfragen:
  Der  Klient  ordnet  seine  subjektive  Wahrnehmung  in
Bezug auf eine Gegebenheit auf einer (imaginären) Zahlenskala, z.B. von eins
(sehr  schlecht,  miserabel)  bis  zehn  (sehr  gut,  optimal)  ein.  Dies  verdeutlicht
seinen  momentanen  subjektiven  Stand  in  dieser  Angelegenheit.  Subjektives
Empfinden und Gefühlszustände sowie mögliche Fortschritte werden konkret in
Zahlen  ausgedrückt,  und  es  kann  subjektiv  ,,messbar"  auf  Wunschzustände
oder eine Lösung hingearbeitet werden.
·
Kristallkugel-Technik:
 Eine von Milton Erickson übernommene Technik, in der
der Klient in einer leichten Trance in eine imaginäre Kristallkugel schaut, und so
z.B.  in  der  Vergangenheit  positive  Ausnahmen  finden  kann,  um  dann  selbst
eine  positive  Zukunftsvision  zu  entwerfen  und  (Lösungs-)Wege  für  die
Entstehung  dieser  Zukunft  zu  finden.  Der  Therapeut  führt  in  diesen  bildhaften
32
Zustand, begleitet, fragt vorsichtig nach und merkt sich die Geschehnisse und
Lösungshinweise. Abgekürzt beinhaltet diese Technik die Frage, wie denn die
Dinge aussehen werden, wenn das Problem gelöst ist (vgl. Wunderfrage).
·
Wunderfrage:
  Der  Klient  wird  gefragt,  wie  sein  Leben  aussähe,  wenn  wie
durch  Zauberhand  eines  Morgens  alle  seine  Probleme  verschwunden  wären.
Er soll beschreiben, was genau dann anders ist, woran er bzw. sein Umfeld das
merken wird und was er dann Neues zu tun in der Lage ist. Dies lässt sich als
,,Wunder"  leicht  phantasieren.  Die  gefundene  hypothetische  Information  oder
Vision dient als Diagnostik der Problemlage sowie als Zielbild und Orientierung
für  eine  Lösung.  Hierbei  können  sehr  konkrete  Alltagssituationen  heraus-
gearbeitet  werden,  auf  deren  Erreichung  im  Folgenden  (z.B.  durch  Hausauf-
gaben  oder  Dietriche,  s.  u.)  hingearbeitet  wird.  Bereits  die  Konstruktion  und
Erwartung einer Veränderung im therapeutischen Kontext wirkt auf eine Lösung
hin und bewirkt eine neugierige, offene Haltung der Zukunft gegenüber.
·
Konfusions-Technik
:  Der  Therapeut  gesteht  die  eigene  Konfusion  bzw.
Ratlosigkeit angesichts des Problems ein und gibt so dem Klienten die Chance,
aus  sich  selbst  heraus  Klarheit  und  Ziele  zu  entwickeln,  woraus  sich  neue
Lösungen  ergeben  können.  Sie  wirft  den  Klienten  auf  sich  selbst  zurück  und
verhindert, dass der Therapeut ihm etwas überstülpt.
·
Umdeutung  /  Rahmung
:  dem  problematischen  Symptom  wird  eine  neue,
normalisierende oder nützliche Bedeutung zugeschrieben bzw. es wird in einen
neuen  Kontext  gestellt,  so  dass  es  der  Zielerreichung  nicht  weiter  im  Weg
steht,  sondern  indirekt  sogar  zur  Lösung  beitragen  kann  (vergleichbar  dem
,,Reframing" des NLP).
·
Polyokulare  Sichtweise:
  Wenn  mehrere  Therapeuten  mit  einem  Problem
befasst  sind,  hat  jeder  durch  seinen  Erfahrungshintergrund  und  implizite
Annahmen  eine  eigene  Sichtweise  bzw.  entwirft  einen  eigenen  Lageplan  des
Themas und seiner Lösungsmöglichkeiten. Zusammengenommen führt dies zu
einer  mehrdimensionalen  ,,Tiefensicht"  und  kann  zu  kreativen  Lösungen
beitragen,  wenn  die  Beteiligten  offen  für  diese  Verschiedenheiten  sind  und
keine Wertung im Sinne von ,,richtiger" oder ,,falscher" Sicht vornehmen.
·
Ockhams  Regel  bzw.  ,,Rasiermesser":
  Für  ein  Problem  sollte  immer  die
einfachste brauchbare Erklärung oder Lösungsmöglichkeit gefunden werden.
·
Doppelbindung / Seltsame Schleife:
 Der beklagte Sachverhalt stellt sich als
eine Zwickmühle  bzw.  als  verwirrender  Kreislauf  dar,  in  welcher  der  Klient  mit
jeder  möglichen  Wahl  von  Handlung  ein  unerwünschtes  Ergebnis  erzielt  bzw.
erzielen  könnte,  und  sich  daher  handlungsunfähig  fühlt.  Die  Situation  kann
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Originalausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2005
- ISBN (eBook)
- 9783832496753
- ISBN (Paperback)
- 9783838696751
- DOI
- 10.3239/9783832496753
- Dateigröße
- 4.8 MB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Eberhard-Karls-Universität Tübingen – Sozial- und Verhaltenswissenschaften 08, Erziehungswissenschaften
- Erscheinungsdatum
- 2006 (Juli)
- Note
- 1,1
- Schlagworte
- gesundheitsberatung prävention lösungsorientierte beratung alleinerziehende kurzzeittherapie
- Produktsicherheit
- Diplom.de
 
					