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Schulgewalt, Bullying und Internet

Eine explorative Onlinestudie

©2005 Diplomarbeit 194 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
In der vorliegenden Arbeit geht es nun konkret um die Rolle des Internet als (Hilfs-) Medium für die Schulgewalt- und Bullyingproblematik. Der Theorieteil gliedert sich dementsprechend in zwei große zentrale Bereiche. Einen zu „Schulgewalt und Bullying“ und einen zum „Internet“. Dort soll der jeweilige Wissenstand zu diesen Themen zusammengefasst und transparent gemacht werden. Der empirische Teil dieser Arbeit umfasst, daran anschließend, eine hypothesengenerierende (Vor-) Studie. Ziel dieser ist die Sondierung wichtiger Aspekte der Thematik „Schulgewalt und Internet“. Diese sollen eruiert werden, um so ein Weiterkommen in diesem Forschungsfeld zu ermöglichen.
Da es bisher keine dem Autor bekannte spezifische Forschung zu diesem Zusammenhang gibt, soll hier eine weiterführende Exploration stattfinden, deren Zweck u.a. die Erschließung und Öffnung des Forschungsfeldes darstellt. Aufgrund der Größe des Feldes und seiner vielen möglichen Aspekte, konnten im Rahmen dieser Arbeit nur einige Schwerpunkte bzw. Zugangsbereiche und Fragen ausgewählt werden. Die Arbeit verwirklicht die Ziele der Exploration und Hypothesengenerierung mit Hilfe einer qualitativen Onlinebefragung und deren anschließenden inhaltsanalytischen Auswertung. Befragt werden die Nutzer entsprechender Internetangebote in ihrer Rolle als Experten.
Im ersten Teil der Theorie, Kapitel 2, werden zunächst maßgebliche theoretische Grundlagen zur Schulgewaltproblematik vermittelt. Erst einmal werden der Gewaltbegriff und das bearbeitete Themenfeld definiert und abgegrenzt. Schließlich folgt ein Überblick über den aktuellen Forschungsstand zu Gewalt an Schulen, zu Häufigkeiten, Erscheinungsformen, Ursachen und Risikofaktoren. Danach wird die Situation der Schulgewaltforschung kritisch beleuchtet.
Abschließend wird auf das Feld der Gewaltprävention zunächst allgemein und schließlich in Bezug zur aktuellen Situation hinsichtlich Schule eingegangen. Im zweiten Teil der Theorie, Kapitel 3, steht das Internet im Mittelpunkt. Es geht u.a. um dessen Möglichkeiten und Grenzen als so genanntes „neues Medium“. Hier finden sich eine Gegenstandsdefinition, eine kurze Skizzierung seiner Geschichte und Dienste, außerdem die Darstellung von Nutzerstatistiken und -charakteristika. Weiterhin werden die Möglichkeiten des Internets als Informations-, Kommunikation-, Publikationsplattform sowie als Hilfs- und Selbsthilfeangebot skizziert. Abschließend wird die Situation des Internet […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


I N H A L T S V E R Z E I C H N I S
1. EINLEITUNG UND RELEVANZ DES THEMAS ... 1
1.1
A
USGANGSLAGE
... 1
1.2
A
UFBAU UND
Z
IELE DER
A
RBEIT
... 5
2. SCHULGEWALT UND BULLYING... 8
2.1.
D
EFINITION UND
A
BGRENZUNG DES
T
HEMENFELDES
... 10
2.2.
A
KTUELLE
S
ITUATION
,
H
ÄUFIGKEITEN UND
E
RSCHEINUNGSFORMEN
... 18
2.3.
U
RSACHEN UND
R
ISIKOFAKTOREN
... 28
2.4.
K
RITISCHE
B
ETRACHTUNG DER
S
CHULGEWALTFORSCHUNG
... 42
2.5.
F
OLGERUNGEN FÜR DIE
G
EWALTPRÄVENTION
... 46
3. DAS INTERNET ... 62
3.1.
D
EFINITION UND
G
ESCHICHTE
... 63
3.2.
I
NTERNETDIENSTE IM
Ü
BERBLICK
... 65
3.3.
D
ER
I
NTERNETNUTZER
-
STATISTISCH
... 68
3.4.
D
ER
I
NTERNETNUTZER
-
C
HARAKTERISTIKA
... 71
3.5.
D
AS
I
NTERNET ALS
I
NFORMATIONS
-,
K
OMMUNIKATIONS
-
UND
P
UBLIKATIONSPLATTFORM
... 73
3.6.
D
AS
I
NTERNET ALS
H
ILFSANGEBOT UND
M
ÖGLICHKEIT ZUR
S
ELBSTHILFE
... 81
3.7.
K
RITISCHE
B
ETRACHTUNG ZUM
I
NTERNET
-
M
ÖGLICHKEITEN
,
G
RENZEN UND
A
USBLICK
... 83
4. FRAGESTELLUNGEN UND ZIELE DER UNTERSUCHUNG ... 89
5. EINE STUDIE ZU SCHULGEWALT, BULLYING UND INTERNET... 92
5.1.
E
RHEBUNGSMETHODE UND
U
NTERSUCHUNGSDESIGN
... 92
5.2.
D
AS
E
RHEBUNGSINSTRUMENT
... 96
5.3.
D
IE
S
TICHPROBE
... 108
5.4.
V
ORGEHEN
,
D
URCHFÜHRUNG UND
B
ESONDERHEITEN DER
S
TUDIE
... 111
6. DATENAUSWERTUNG UND ERGEBNISDARSTELLUNG... 114
6.1.
E
RLÄUTERUNG DER
D
ATENAUSWERTUNGSMETHODE
... 114
6.2.
A
USWERTUNG DER ERHOBENEN QUALITATIVEN
D
ATEN
... 122
6.3.
D
ESKRIPTIVE
E
RGEBNISDARSTELLUNG
... 126
6.4.
R
ÜCKBEZUG ZU DEN
Z
IELEN DER
A
RBEIT
­
H
YPOTHESENBILDUNG
... 146
7. ZUSAMMENFASSENDE SCHLUSSBETRACHTUNG UND AUSBLICK... 151
8. LITERATURVERZEICHNIS... 154
9. ANHANG ... 167
A
NHANG
A:
I
NTRODUCTIONS
-S
EITEN
... 168
A
NHANG
B:
O
NLINE
-F
RAGEBÖGEN
... 170
A
NHANG
C:
A
NSCHREIBEN DER
V
ERLINKUNGSANFRAGE
... 175
A
NHANG
D:
A
USWERTUNGSTABELLEN DER
I
NFORMATIONSFRAGEN
... 176

1. Einleitung und Relevanz des Themas
1
1. Einleitung und Relevanz des Themas
Vor der Schule wartete Thomas auf Jens. ,,Hey, du dicke Sau, wie viel
Geld hat deine Mutti dir heute mitgegeben? Ich denke, du solltest eine
Diät machen!". Die Kinder um Thomas fingen an zu lachen und
beschimpften Jens. Jens selbst versuchte, so schnell wie möglich an der
Gruppe vorbeizugehen. ,Ich werde einfach versuchen, auf den Boden zu
schauen, damit niemand auf mich aufmerksam wird', sagte er sich selbst.
Thomas, der die Gruppe mittlerweile verlassen hatte, holte Jens ein, um
ihn zu bedrängen. ,,Komm, lass' uns hier herüber gehen, wo wir alleine
sind". Hinter der nächsten Ecke schlug Thomas Jens in den Magen, ,,so,
du dicke Sau! Das hast du verdient!". Jens krümmte sich und rang nach
Atem; er zeigte keinen Widerstand. Das passierte Jens schon viele Male,
da Thomas ihn schon oft vor anderen blamierte und ihn trat oder schlug.
Jens sorgte sich jeden Tag und hatte Angst vor dem täglichen Gang zur
Schule ­ dieser wurde für ihn zur Qual. Noch nicht einmal während der
Schulstunde konnte er sicher sein vor Thomas und seinen Freunden. Vor
allem, dass sie ihn nachäfften, wie zum Beispiel im Sportunterricht, und
sich vor den Mädchen über ihn lustig machten, demütigte ihn. Und in den
Pausen wurde Jens geschnitten; eigentlich war es egal ob er da war oder
nicht. Niemand spielte oder redete mit ihm, niemand wollte ihn dabei
haben. Thomas und seine Clique warfen ihm zwar vereinzelte Blicke zu,
jedoch nur aus Verachtung. Das Tuscheln über ihn vernahm Jens schon
gar nicht mehr. Wie froh wäre er nur, schon zu Hause zu sein, endlich
Wochenende ­ nur noch sechs Wochen, bis zu den Sommerferien. Jens
wusste einfach nicht, wie er diese Zeit herumkriegen sollte...er
verzweifelte immer mehr.... (Scheithauer, Hayer & Petermann, 2003, S.13)
1.1 Ausgangslage
,,Kaum ein Thema betrifft uns unmittelbarer, wühlt Gefühle wie Angst, Abscheu,
Ohnmacht, aber auch Wut und Machtphantasien so stark auf wie das Thema

1. Einleitung und Relevanz des Themas
2
Gewalt. Praktische wie theoretische Erklärungen und Ratschläge [...] füllen ganze
Bibliotheken und durchmischen unser Denken und Handeln" (Hurrelmann, Rixius
& Schirp, 1999, S.8). Man kann davon ausgehen, dass es Bullying und Gewalt
unter Schülern bereits gibt seitdem Schulen existieren. Es handelt sich zweifellos
um ein ,,sehr altes Phänomen. Die Tatsache, dass einige Kinder häufig und
systematisch von anderen Kindern gemobbt und angegriffen werden, wurde in
Werken der Literatur beschrieben, und viele Erwachsene haben selbst
Erfahrungen aus ihrer eigenen Schulzeit" (Olweus, 2002, S.15). Auch heutzutage
ist die Problematik noch immer sehr aktuell und wichtig. Die Folgen für alle
Beteiligten, sowohl Täter als auch Opfer, können schwerwiegend sein, vor allem
bei schweren und länger andauernden Übergriffen (vgl. z.B. Craig & Harel, 2004;
Olweus, 2002; Scheithauer et al., 2003; Smith, Pepler & Rigby, 2004).
Im Zuge gesellschaftlicher Veränderungen im Laufe des 20. Jahrhunderts wurden
zunehmend Diskriminierung und ,,das Schikanieren und Viktimisieren, ganz
gleich aus welchen Gründen oder in welchem Kontext [...] als inakzeptabel
angesehen" (Scheithauer et al., 2003, S.9). Damit in Zusammenhang scheint auch
eine zunehmende Fokussierung der Forschung, vor allem seit den 90er Jahren, auf
Bullying und Gewalt in Schulen zu stehen (vgl. Scheithauer et al., 2003; Smith, et
al., 2004). Kaum ein anderes schulisches Thema hat in dieser Zeit die mediale und
öffentliche Aufmerksamkeit so stark auf sich gelenkt wie das der ,,Gewalt an
Schulen". ,,Zugleich avancierte die Gewaltfrage aber auch in den
Problemartikulationen der Schulpraxis zu einem zentralen Thema" (Holtappels,
Heitmeyer, Melzer & Tillmann, 2004, S.7; vgl. auch Tillmann, 2004).
Mittlerweile kann ein relativ differenziertes Bild, vor allem über
Erscheinungsformen und Häufigkeiten sowie über Opfer- und Tätermerkmale,
gezeichnet werden (vgl. z.B. Melzer, Schubarth & Ehninger, 2004; Rauchfleisch,
1996; Scheithauer et al., 2003; Schubarth, 2000; Tillmann, 2004). Man weiß
Vieles, denn zahlreiche wissenschaftliche Studien zum Problemfeld ,,Schule und
Gewalt" wurden ,,innerhalb der letzten 25 Jahre" (Scheithauer et al., 2003, S.9;
vgl. z.B. auch Smith et al., 2004) durchgeführt. Weiterhin wurden auch eine ganze
Reihe von Präventions- und Interventionskonzepten entwickelt (vgl. z.B. Melzer
et al., 2004; Olweus, 2002; Scheithauer et al., 2003; Schubarth, 2000).

1. Einleitung und Relevanz des Themas
3
Gewalt unter Kindern und Jugendlichen ist nun allerdings keinesfalls ein auf
Deutschland beschränktes, sondern vielmehr ein internationales Phänomen. Dies
zeigen die Diskussionen zu Schulgewalt und Jugendkriminalität in vielen anderen
Ländern. ,,Ganz offensichtlich gibt es - trotz aller Differenziertheit der Probleme
[...] - eine Reihe übergreifender Entwicklungen, die eine stärkere
gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Gewaltproblematik notwendig
machen" (Schubarth, 2000, S.12; vgl. auch Craig & Harel, 2004; Olweus, 2004;
Scheithauer et al., 2003). Gewalt in der Schule, und damit auch eng verwandte
Themen wie Jugendgewalt und Jugendkriminalität, haben in den vergangenen
Jahren in den verschiedensten Ländern (z.B. USA, Deutschland, Dänemark,
Großbritannien, Finnland, Norwegen, Portugal etc.) im Blickpunkt des
öffentlichen Interesses gestanden. Inzwischen gibt es ,,deutliche Anzeichen für ein
zunehmendes gesellschaftliches Interesse ebenso wie ein Forschungsinteresse an
Täter-Opfer-Problemen in verschiedenen Teilen der Welt" (Olweus 2004, S.281;
vgl. Melzer et al., 2004, S.82; Scheithauer et al., 2003).
Die Kinder und Jugendlichen von Heute sind die Erwachsenen von Morgen.
Gewalt ist somit ein gesamtgesellschaftlich zu verantwortendes Problem und
betrifft nicht nur Kinder und Jugendliche allein (vgl. Schubarth 2000, S.10f.).
Zutreffend zitiert Feltes (2004) dazu den Kultursoziologen Norbert Elias: ,,'Wenn
die Gesellschaft den Menschen der heranwachsenden Generation eine kreative
Sinnerfüllung versagt, dann finden sie schließlich ihre Erfüllung in der
Zerstörung.' Norbert Elias, Studien über die Deutschen, Frankfurt 1989" (S.6).
Aber was hat das alles nun mit dem Internet zu tun? Welche Rolle spielt dieses
Medium in dem beschriebenen Kontext der Schulgewalt?
Vieles an Information und Wissen zum Thema Schulgewalt und Bullying ist
vorhanden. Somit liegt die Problematik weniger bei diesem Punkt, als vielmehr
bei dem Aspekt des Transports von Wissen und Theorie in die Praxis zu den
Betroffenen. Und natürlich letztendlich auch an der Umsetzung dieses Wissens:

1. Einleitung und Relevanz des Themas
4
Wenn wir die wissenschaftliche Literatur zum Thema Gewalt sichten, ist
es erschreckend festzustellen, dass wir über eine Fülle von
Forschungsresultaten verfügen, daß wir diese aber nur äußerst wenig
nutzen. Mit dem Hinweis auf die mangelnde Nutzung meine ich zweierlei:
Zum einen werden viele Befunde nur im innerfachlichen Bereich diskutiert
und gelangen nicht zur Kenntnis der breiten Öffentlichkeit, obwohl dies
von ganz großer Bedeutung wäre. Zum anderen sind viele
Forschungsresultate nicht in der ihnen gebührenden Weise für die Praxis
nutzbar gemacht worden. (Rauchfleisch 1996, S.241; vgl. auch Schubarth,
2000)
An dieser Stelle bietet sich vor allem das Internet an. Das Internet hat als so
bezeichnetes ,,neues Medium" in den letzten Jahren international zunehmend an
Bedeutung gewonnen. Es ,,stellt ein mächtiges und differenziertes Informations-
und Kommunikationsmedium dar, dem es gelungen ist, in wenigen Jahren so weit
Erfolg zu haben, dass die Benutzerzahl exponentiell ansteigt" (Ott & Eichenberg
2002, 2003). Nur um einen kurzen Eindruck davon zu vermitteln: Die Anzahl der
Internet-Nutzer beträgt weltweit knapp 1 Milliarde, die Anzahl der täglich
verschickten E-Mails liegt bei weltweit über 31 Milliarden und die Anzahl der
Webseiten bei mehr als 6 Milliarden (vgl. z.B. Eichenberg 2004).
Auch speziell zum Thema Schulgewalt bzw. Bullying und dessen Prävention
finden sich heute (wie auch in den letzten Jahren) unzählige Ressourcen im Netz.
Vieles an Wissen und Information ist dort vorhanden (z.B. über Fakten,
Häufigkeiten, Probleme, Ursachen, Hilfsangebote, Kontaktadressen), viele
(Kommunikations-) Angebote sind gegeben. Diese Inhalte könnten vor allem für
in diese Problematik involvierte Personen und Gruppen, wie Lehrer, Schüler,
Eltern etc., von großer Bedeutung sein. Für sie bietet das Internet in seiner
Funktion als Informations-, Kommunikations- und Publikationsplattform,
hinsichtlich Schulgewalt, Bullying und diesbezüglicher Präventionsarbeit,
potentiell viele Möglichkeiten und großen Nutzen. In ganz Europa und auch
weltweit stehen verstärkt mehr Konzepte und Programme, Materialien und
Webseiten zur Verfügung, die sich mit Gewalt und Gewaltprävention in der
Schule auseinander setzen. So scheint es für Praktiker mittlerweile weniger ein

1. Einleitung und Relevanz des Themas
5
Problem zu sein Informationen zum Thema zu finden, als vielmehr aus der Fülle
von Material auszuwählen. Insbesondere unter dem Gesichtspunkt von Qualität
und Brauchbarkeit des Angebotes gibt es große Unterschiede (vgl. z.B. T. Jäger,
Bradley, Rasmussen, 2003).
Das Internet ist ein niedrigschwelliges Angebot und besitzt nicht zuletzt deshalb
vermutlich eine wichtige Funktion zur Hilfe und Selbsthilfe in Zusammenhang
mit der genannten Gewaltproblematik. Eindeutige Vorteile dieses Mediums liegen
z.B. in einer weitgehenden Wahrung von Anonymität, wodurch evtl.
Schwellenängste abgebaut werden; in der räumlichen und zeitlichen
Unabhängigkeit des Angebotes und dem somit länderübergreifenden globalen
Charakter; der Möglichkeit auf einfache Weise Gleichgesinnte zu finden, sich mit
Anderen auszutauschen, voneinander zu lernen, Rückhalt zu bekommen und zu
sehen, dass man mit seinen Problemen nicht alleine ist; oder der Chance mit
relativ geringem Aufwand, unkompliziert, schnell und kostengünstig Zugriff zu
erhalten (vgl. z.B. Eichenberg, 2004; Lehmann, 1999). Das Internet weist
anscheinend alle Möglichkeiten auf, um ein wichtiges Bindeglied und Hilfsmittel
zwischen dem Wissen über Schulgewalt bzw. Bullying und den in der Praxis
Betroffenen zu sein.
1.2 Aufbau und Ziele der Arbeit
In der vorliegenden Arbeit geht es nun konkret um die Rolle des Internet als
(Hilfs-) Medium für die Schulgewalt- und Bullyingproblematik. Der Theorieteil
gliedert sich dementsprechend in zwei große zentrale Bereiche. Einen zu
,,Schulgewalt und Bullying" und einen zum ,,Internet". Dort soll der jeweilige
Wissenstand zu diesen Themen zusammengefasst und transparent gemacht
werden. Der empirische Teil dieser Arbeit umfasst, daran anschließend, eine
hypothesengenerierende (Vor-) Studie. Ziel dieser ist die Sondierung wichtiger
Aspekte der Thematik ,,Schulgewalt und Internet". Diese sollen eruiert werden,
um so ein Weiterkommen in diesem Forschungsfeld zu ermöglichen. Da es bisher
keine dem Autor bekannte spezifische Forschung zu diesem Zusammenhang gibt,
soll hier eine weiterführende Exploration stattfinden, deren Zweck u.a. die
Erschließung und Öffnung des Forschungsfeldes darstellt. Aufgrund der Größe

1. Einleitung und Relevanz des Themas
6
des Feldes und seiner vielen möglichen Aspekte, konnten im Rahmen dieser
Arbeit nur einige Schwerpunkte bzw. Zugangsbereiche und Fragen ausgewählt
werden. Die Arbeit verwirklicht die Ziele der Exploration und
Hypothesengenerierung mit Hilfe einer qualitativen Onlinebefragung und deren
anschließenden inhaltsanalytischen Auswertung. Befragt werden die Nutzer
entsprechender Internetangebote in ihrer Rolle als Experten.
Im ersten Teil der Theorie, Kapitel 2, werden zunächst maßgebliche theoretische
Grundlagen zur Schulgewaltproblematik vermittelt. Erst einmal werden der
Gewaltbegriff und das bearbeitete Themenfeld definiert und abgegrenzt.
Schließlich folgt ein Überblick über den aktuellen Forschungsstand zu Gewalt an
Schulen, zu Häufigkeiten, Erscheinungsformen, Ursachen und Risikofaktoren.
Danach wird die Situation der Schulgewaltforschung kritisch beleuchtet.
Abschließend wird auf das Feld der Gewaltprävention zunächst allgemein und
schließlich in Bezug zur aktuellen Situation hinsichtlich Schule eingegangen.
Im zweiten Teil der Theorie, Kapitel 3, steht das Internet im Mittelpunkt. Es geht
u.a. um dessen Möglichkeiten und Grenzen als so genanntes ,,neues Medium".
Hier finden sich eine Gegenstandsdefinition, eine kurze Skizzierung seiner
Geschichte und Dienste, außerdem die Darstellung von Nutzerstatistiken und -
charakteristika. Weiterhin werden die Möglichkeiten des Internets als
Informations-, Kommunikation-, Publikationsplattform sowie als Hilfs- und
Selbsthilfeangebot skizziert. Abschließend wird die Situation des Internet kritisch
betrachtet und ein Resümee gezogen.
Kapitel 4 beschäftigt sich im Anschluss an die theoretischen Kapitel explizit mit
den Zielen und Fragestellungen der durchgeführten empirischen Untersuchung.
Im darauf folgenden empirischen Teil, Kapitel 5, folgt die Darstellung der
explorativen Onlinestudie. Es finden sich dort nähere Erläuterungen zur
Datenerhebungsmethode, dem verwendeten Erhebungsinstrument, der Stichprobe
und der konkreten Umsetzung und Durchführung der Untersuchung.

1. Einleitung und Relevanz des Themas
7
Anschließend werden, in Kapitel 6, das verwendete Auswertungsinstrument und
die Auswertung der Daten beschrieben sowie die Ergebnisse entsprechend den
Zielen der Untersuchung zusammenfassend vorgestellt und diskutiert. Es folgt
weiterhin eine umfassende Interpretation der Resultate mit weiterführenden
Fragestellungen bzw. Hypothesen.
In Kapitel 7 findet abschließend eine zusammenfassende kritische
Gesamtbetrachtung dieser Arbeit, der durchgeführten Studie sowie ihrer
übergreifenden Ergebnisse und Probleme statt. Zudem wird ein Ausblick mit
weiterführenden Überlegungen skizziert.
Kapitel 8 enthält ein umfassendes Literaturverzeichnis bezüglich der verwendeten
Quellen, Kapitel 9 den Anhang, mit den im Inhaltsverzeichnis aufgeführten
Materialien.

2. Schulgewalt und Bullying
8
2. Schulgewalt und Bullying
Dieser erste Teil zu den theoretischen Grundlagen der Arbeit gibt einen Überblick
über die Forschung zu Schulgewalt bzw. in diesem Rahmen auch zu Bullying. Im
Blickfeld liegt vor allem die deutsche Forschung, welche exemplarisch dargestellt
wird, ohne dabei jedoch eine Bezugnahme zu einer internationalen Perspektive
aus den Augen zu verlieren. Auch das Internet besitzt schließlich eindeutig
globalen Charakter. Die momentane Situation und der Forschungsstand werden
kritisch beleuchtet und dargestellt. Wichtiges elementares Hintergrundwissen zu
dieser Arbeit wird gegeben. Dieser erste Teil der Theorie gliedert sich dazu in
fünf Kapitel.
Das erste Kapitel (2.1) dieses Abschnitts, ,,Definition und Abgrenzung des
Themenfeldes", beschäftigt sich mit der Definition, Spezifizierung und
Abgrenzung wichtiger Begriffe wie ,,Gewalt", ,,Aggression" und ,,Bullying".
Darauf folgend wird auf den Unterschied zwischen wissenschaftlichem und
subjektivem alltäglichen Verständnis von Gewalt eingegangen. Dies ist vor allem
auch für dementsprechend zu findende Inhalte im Internet von Bedeutung.
Abschließend findet eine kurze Einordnung von ,,Gewalt an Schulen" in den
Kontext allgemeiner Gewaltforschung statt.
Im zweiten Kapitel (2.2), ,,Aktuelle Situation, Häufigkeiten und
Erscheinungsformen", werden wichtige Ergebnisse empirischer Studien
vorgestellt. Zunächst wird zur näheren Beleuchtung der aktuellen Situation die in
Literatur, Medien und öffentlicher Diskussion häufig auftauchende Frage nach
einem Anstieg und einer Verschlimmerung der Gewaltsituation diskutiert.
Gegenüberstellend wird hierbei auch kurz auf die Jugendgewalt im Allgemeinen
eingegangen, und außerdem Bezug zu Ergebnissen der internationalen Forschung
genommen. Letztendlich werden daran anschließend wichtige von der Forschung
aufgezeigte Tendenzen und Ergebnisse zu Häufigkeiten und Erscheinungsformen
von Schulgewalt resümiert, um auf diese Weise einen Überblick über den
aktuellen Forschungsstand zu geben.

2. Schulgewalt und Bullying
9
Kapitel Nummer drei (2.3), ,,Ursachen und Risikofaktoren", beleuchtet
vorhandenes Wissen und Ergebnisse zu Ursachen und Risikofaktoren von Gewalt.
Zunächst werden in kurzer tabellarischer Form theoretische Ansätze zur
Entstehung von Gewalt aufgezeigt. Dann werden wichtige Einflussbereiche und
Risikofaktoren zu Gewalt aufgewiesen und näher erläutert. Auf dieser Illustration
wichtiger empirischer Ergebnisse der Schulgewaltforschung liegt auch das
Hauptaugenmerk dieses Kapitels. Mögliche Ursachen und Risikofaktoren zu
kennen, die für die Entstehung von Gewalt mit verantwortlich sein können, ist ein
wichtiger Schritte auf dem Weg zur Prävention und zur Einleitung von
Gegenmaßnahmen.
Das vierte Kapitel (2.4), ,,Kritische Betrachtung der Schulgewaltforschung", setzt
sich ganz spezifisch mit Gesichtspunkten und Situation der Schulgewaltforschung
auseinander. Ausgehend von einer kurzen Skizzierung der allgemeinen
Entwicklung wird kritisch auf methodische Aspekte, Lücken und Schwachstellen
vorhandener Studien eingegangen. Hauptsächlicher Bezugspunkt liegt auch hier
wieder exemplarisch bei der Situation der deutschen Forschung, wobei jedoch
auch internationale Verhältnisse angesprochen werden.
Abschließend im fünften Kapitel (2.5) zum Aspekt der Schulgewalt,
,,Folgerungen für die Gewaltprävention", wird auf Folgerungen und
Konsequenzen für Gegenmaßnahmen eingegangen. Es knüpft hierbei an die ersten
vier Kapitel an. Zunächst werden wichtige Begriffe, wie ,,Prävention" bzw.
,,Gewaltprävention" und ,,Intervention", definiert und abgegrenzt. Anschließend
werden verschiedene Möglichkeiten der Systematisierung und Klassifikation von
Maßnahmen gegen Gewalt und Bullying dargestellt. Dann wird auf die
vorhandenen Theorien mit Blick auf gewaltpräventive Folgerungen eingegangen
und beispielhaft ein kurzer Überblick über verschiedene umfassendere
Programme und Konzepte für die Schule gegeben. Diskutiert wird auch die Frage:
,,Was sind wichtige Prinzipien erfolgreicher Gewaltprävention?". Danach wird
kritisch auf die aktuelle Situation der Präventionsarbeit zu sprechen gekommen.
Der Aspekt der Gewaltprävention stellt u.a. vermutlich eine wichtige Verbindung
und Schnittstelle zum Internet dar. Betroffene suchen Hilfe, das Internet bietet

2. Schulgewalt und Bullying
10
z.B. Information und Hinweise zu Maßnahmen und Projekten oder auch die
Möglichkeit des kommunikativen Austausches mit anderen.
Insgesamt wird in diesem ersten Teil der Theorie auch ein Eindruck dazu
vermittelt, welche Informationen beispielsweise zum Thema ,,Schulgewalt und
Bullying" im Internet potentiell überhaupt zu finden sind. Diese Thematik stellt
den zentralen Hintergrund der vorliegenden Arbeit und wird somit auch am
ausführlichsten behandelt. So soll nicht zuletzt auch eine Vorstellung über
Bedeutsamkeit und Komplexität dieses Gegenstands geliefert werden. Allgemein
wurden die Inhalte weitgehend auf ausgewählte wichtige Aspekte beschränkt.
2.1. Definition und Abgrenzung des Themenfeldes
Bevor man sich mit dem Thema Schulgewalt bzw. Bullying auseinandersetzt
müssen zunächst die verwendeten Begrifflichkeiten geklärt werden. Durch die
doch z.T. sehr unterschiedliche Nutzung des Gewaltbegriffes in Wissenschaft,
Alltag und auch im Internet, kann es leicht zu Missverständnissen kommen.
National wie auch international gibt es oft keine Einheitlichkeit oder
Übereinstimmung (vgl. z.B. Melzer et al., 2004).
Handlungszusammenhänge, die mit dem Begriff ,,Gewalt" etikettiert werden, sind
vielfältig. Entsprechend vielfältig sind auch die auftauchenden Definitionen von
Gewalt. Gewalt hat nicht immer nur etwas mit "Schlagen" oder
"Körperverletzung" zu tun - Gewalt können wir auf vielerlei andere Art
anwenden. Merten (1999, S. 21) strukturiert den Gewaltbegriff beispielsweise in
folgende dichotome Systematik:
·
personelle vs. strukturelle Gewalt
·
physische vs. psychische Gewalt
·
legitime vs. illegitime Gewalt
·
individuelle vs. kollektive Gewalt
·
expressive vs. instrumentelle Gewalt
·
intentionale vs. nicht-intentionale Gewalt
·
manifeste vs. latente Gewalt

2. Schulgewalt und Bullying
11
Anhand dieser Begriffsexplikation lässt sich leicht dessen Komplexität erkennen.
Wichtig für einen Vergleich von Studien, oder für Diskussionen und
Erläuterungen zum Thema, ist aufgrund unterschiedlichster
Verwendungsmöglichkeiten ,,die eindeutige Definition des Gewaltbegriffs, von
der sowohl Theorien bzw. Erklärungsmodelle als auch Handlungsempfehlungen
abhängig sind" (Nezel, 2002, S.15). Dies ist eine notwendige Voraussetzung wenn
über Häufigkeiten, Ursachen und Folgerungen für Intervention und Prävention
diskutiert wird, ins Besondere in internationalem Kontext (vlg. z.B. Amado et al.,
2002).
Bereits seit den Anfangszeiten der Forschung gibt es in den beteiligten
Fachgebieten heftige Auseinandersetzungen um den wissenschaftlichen
Gewaltbegriff. Eine gelegentlich stattfindende Verkürzung des
Begriffsverständnisses auf die körperliche Ebene wird beispielsweise stark
kritisiert. Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, ,,dass Gewalt in der Schule
und auch im gesellschaftlichen und beruflichen Alltag vorrangig durch andere
Handlungsformen bestimmt wird, insbesondere durch psychische und verbale
Aggressionen in Schulen und Jugendszenen" (Melzer et al., 2004, S.51). Ein
weiterer Streitpunkt stellt auch der Begriff der ,,strukturellen Gewalt" dar. Einige
Forscher halten an ihm fest, andere kritisieren ihn (vgl. Melzer et al., 2004, S.51).
Viele Autoren fassen das, was sie untersuchen wollen, unter dem Begriff der
,,Gewalt" zusammen. Darunter fallen z.T. sehr unterschiedliche Geschehnisse wie
z.B. ,,Lächerlichmachen", ,,Beschimpfung", ,,schwere Körperverletzung",
,,Erpressen". Hier stellt z.B. Krumm (2004) die Frage, ob der Gewaltbegriff
wirklich geeigneter ist als Begriffe wie ,,abweichendes" oder ,,auffälliges
Verhalten" (S.66). ,,Gewalt wird [...] für ganz unterschiedliche Sachverhalte
gebraucht und jede Person empfindet ,Gewalt' anders" (Feltes, 2003).
Nichtsdestotrotz wird die Verwendung dieses Begriffes in der vorliegenden Arbeit
als sinnvoll erachtet und daran festgehalten. Vor allem auch, da durch die
Verwendung eines ,,zentralen analytischen Termini" die verschiedenen Facetten
und Ebenen des Begriffs integriert werden können und außerdem nicht so leicht
aus den Augen verloren werden (vgl. Melzer et al., 2004, S.81).

2. Schulgewalt und Bullying
12
Wenn man versucht den Begriff der ,,Gewalt" und den der ,,Aggression" (engl.:
aggression; lat.: aggredior, aggredi = herangehen, auf jemanden oder etwas
zugehen) voneinander abzugrenzen, finden sich in der Forschung
unterschiedliche, sowohl synonyme als auch differenzierte, Verwendungen. In der
wissenschaftlichen Diskussion um Aggression und Gewalt wurden teilweise
verschiedene und sogar einander widersprüchliche Konzepte formuliert (vgl. z.B.
Amado et al., 2002; Rauchfleisch 1996). Nach Schubarth (2000) werden die
Begriffe ,,Aggression" und ,,Gewalt" zunehmend synonym verwendet, wobei ,,der
Gewaltbegriff (als Teilmenge besonders extremer Aggression) in der
wissenschaftlichen Tradition dem Aggressionsbegriff untergeordnet ist" (S.11).
Die Abgrenzung bzw. Verwendung der beiden Begriffe ist jedoch auch abhängig
vom jeweiligen Forschungsgebiet, in dem eine Studie durchgeführt wird (vgl.
Schäfer & Korn, 2001): In psychologischen Studien wird Gewalt vorwiegend als
Unterform von Aggression verstanden. In erziehungswissenschaftlicher
Forschung, entgegengesetzt dazu, betrachtet man Aggression meist als eine
Unterform von Gewalt. In soziologischem bzw. kriminologischem Kontext
letztendlich definiert man Gewalt ganz allgemein als abweichendes Verhalten
(vgl. z.B. T. Jäger, 2002; Schubarth, 2000).
In dieser vorliegenden Arbeit versteht sich Gewalt, entsprechend der
psychologischen Perspektive, als eine Unterform von Aggression. Aggression
wird definiert als ,,eine intendierte Handlung mit dem Ziel anderen körperlichen
oder psychischen Schmerz zuzufügen" (Aronson, 2004, S.440) bzw. einen
anderen zu schädigen. ,,Schädigen [...] kann sich sowohl auf Personen als auch
auf Gegenstände beziehen, die einer anderen Person gehören" (Scheithauer et al.,
2003, S.18; vgl. auch Lösel, Bliesener und Averbeck, 2004; Rauchfleisch, 1996,
S.11). Überschneidungen von Aggressions- und Gewaltbegriff finden sich beim
intentionalen Aspekt der zielgerichteten Austeilung schädigender Reize. ,,Wobei
es im Fall von Gewalt um ausgeübte oder glaubwürdig angedrohte physische und
psychische Aggression geht, die sich in gezielter Weise gegen ein Objekt (Mensch
oder Gegenstand) richtet" (Rauchfleisch, 1996, S.12; vgl. z.B. auch Scheithauer et
al., 2003, S.18). Wichtig ist bei der Verwendung des Gewaltbegriffes, in
Abgrenzung zum Aggressionsbegriff, das Bestehen eines Machtgefälles zwischen

2. Schulgewalt und Bullying
13
Täter und Opfer. Es muss bei der Verwendung des Gewaltbegriffes ein
Ungleichgewicht der Kräfte bestehen (vgl. Olweus, 2002). Das bedeutet, eine
körperlich oder sozial stärkere Person bedroht oder schädigt eine körperlich oder
sozial schwächere (vgl. z.B. Scheithauer et al., 2003, S.18). Der Begriff der
,,Schulgewalt" leitet sich dementsprechend vom allgemeinen Gewaltbegriff ab
und bezieht sich ganz speziell auf ,,Gewalt im schulischen Kontext".
Mittlerweile gibt es sehr viele Untersuchungen und noch mehr Literatur zum
Thema ,,Schule und Gewalt". Im Rahmen der öffentlichen Debatte über Gewalt an
Schulen beachtet man oftmals nur ,,jene schwerwiegenden Formen [...], die
absolut gesehen relativ selten auftreten. ,Mildere' oder subtilere Ausdrucksformen
von Gewalt unter Schülern werden hingegen weitaus seltener betrachtet und
zuweilen erst gar nicht berücksichtigt. ,Bullying' (engl.: Bully = brutaler Kerl)
unter Schülern stellt eine dieser ,milderen' Gewaltformen dar" (Scheithauer et al.,
2003, S.11). ,,Mild" bedeutet allerdings in diesem Zusammenhang nicht harmlos.
Auch diese Form von Gewalt geht mit massiven Schädigungen und Belastungen
für die Betroffenen einher (vgl. z.B. Renges, o.J.; Scheithauer et al., 2003; Smith
et al., 2004). Die Begriffe ,,Bullying" bzw. ,,Mobbing" spielen in der
internationalen Diskussion der Schulgewaltforschung ,,als spezifische Aspekte
personaler Gewalt eine wichtige Rolle" (Melzer et al., 2004, S.44; vgl. auch
Scheithauer et al., 2003). Sie werden im Zusammenhang mit Gewalt in der Schule
in den vergangenen Jahren zunehmend, statt des Gewaltbegriffes, verwandt.
Wenn von Schulgewalt die Rede ist, findet der Begriff des "Bullying" oft
synonyme Verwendung. ,,,Bullying' oder ,Mobbing' kennzeichnet eine
Verhaltensweise, die sich nur teilweise mit ,Gewalt' überschneidet und deren
Schwerpunkt vor allem auf Gruppenaktivitäten liegt" (T. Jäger, 2002; vgl. auch
Scheithauer et al., 2003). In Abgrenzung zum Gewaltbegriff umfasst Bullying
weiterhin auch den über einen längeren Zeitraum andauernden
Wiederholungsaspekt (vgl. Scheithauer et al., 2003, S.18). Einig ist man sich
zudem, dass Bullying immer negatives oder schädigendes Verhalten mit
einschließt, und meistens wird auch hier übereinstimmend von einem
Ungleichgewicht der Kräfte ausgegangen. ,,It is common to distinguish between
physical, verbal, and indirect forms of bullying [...] Sexual and racial harassment

2. Schulgewalt und Bullying
14
are sometimes viewed as types of bullying" (Rigby, Smith und Pepler, 2004,
S.5f.).
Was explizite Forschungen angeht, so spielt Bullying in der bisherigen
schulbezogenen Gewaltforschung in Deutschland nur eine untergeordnete Rolle.
Dennoch wird es in vielen Studien, eingebettet in das weit gefasste Konstrukt der
Gewalt, miterfasst. In der Regel werden Gewalt, Aggression und Bullying oft
nicht genau voneinander abgegrenzt (vgl. Scheithauer et al., 2003, S.14).
,,Unabhängig von der schulischen Gewaltforschung in Deutschland, existiert auf
internationaler Ebene eine eigenständige Forschungstradition zum Bullying"
(Scheithauer et al., 2003, S.14).
Es folgen nun einige beispielhaft ausgewählte Definitionen zu ,,Gewalt" und
,,Mobbing" bzw. ,,Bullying":
Gewalt: "The intentional use of physical force or power, threatened or
actual, against oneself, another person, or against a group or community,
that either results in or has a high likelihood of resulting in injury, death,
psychological harm, mal-development, or deprivation" (WHO, 1999, S.2).
Gewalt: Als Gewalt kann ,,jede ausgeführte oder angedrohte Handlung
(einschließlich Duldung oder Unterlassung) bezeichnet werden, die mit
der Absicht oder der perzipierten Absicht ausgeführt wird, eine andere
Person psychisch oder physisch zu schädigen" (Melzer et al., 2004, S.44).
Gewalt: Gewalt ist zu verstehen als ,,zielgerichtete, direkte Schädigung
von Menschen durch Menschen beziehungsweise als körperlicher Angriff
auf Sachen" (Merten, 1999, S. 62).
Gewalt/Mobbing: ,,Ein Schüler oder eine Schülerin ist Gewalt ausgesetzt
oder wird gemobbt, wenn er oder sie wiederholt und über eine längere
Zeit den negativen Handlungen eines/einer oder mehrerer anderer Schüler
oder Schülerinnen ausgesetzt ist. Negative Handlungen können begangen
werden:

2. Schulgewalt und Bullying
15
-
mit Worten (verbal); z.B.: Drohen, Spotten, Hänseln und
Beschimpfen
-
durch Körperkontakt; z.B.: Schlagen, Stoßen, Treten, Kneifen oder
Festhalten
-
ohne Worte oder Körperkontakt; z.B.: Fratzenschneiden,
schmutzige Gesten, Ausschluß aus einer Gruppe, Weigerung, den
Wünschen eines anderen entgegen zu kommen.
Der Begriff des Mobbing wird nicht gebraucht, wenn zwei Schüler bzw.
Schülerinnen, die körperlich bzw. seelisch etwa gleich stark sind,
miteinander kämpfen oder streiten. Es muß also immer ein
Ungleichgewicht der Kräfte vorliegen" (Hanewinkel & Knaack, 2004, S.
300; vgl. Amado et al., 2002; Hanewinkel & Knaack, 1997; T. Jäger,
2002; Olweus, 2002, 2004).
Mobbing: ,,Mobbing ist eine Form offener und/oder subtiler Gewalt gegen
Personen über längere Zeit mit dem Ziel der sozialen Ausgrenzung. Es
kann sich dabei um verbale und/oder physische Gewalt handeln" (Renges,
o.J.).
Mobbing/Bullying: Mobbing, oder auch Bullying, meint eine besondere
Ausprägungsform von Gewalt, eine spezifische Art der Opfer-Täter-
Beziehung (vgl. Klewin, Tillmann, Weingart, 2002).
Bullying: ,,Bullying weist [...] große Überschneidungen zum Aggressions-
(z.B. Schadenszufügung, körperliche Übergriffe) bzw. Gewaltbegriff auf
(Ungleichgewicht in der Stärke [...]), beschreibt jedoch bestimmte
Phänomene, die darüber hinausgehen, nämlich wiederholt ausgeführte
Handlungen eines breiten Verhaltensspektrums, ausgehend von einer oder
mehreren Personen über einen längeren Zeitraum" (Scheithauer et al.,
2003, S.19; vgl. Lösel, 2004).
Kritisch bei den hier aufgeführten Definitionen bleibt anzumerken, dass z.B. der
Aspekt der strukturellen Gewalt nicht mit berücksichtigt wird. Bezugspunkt liegt

2. Schulgewalt und Bullying
16
bei dem beschriebenen Begriffsverständnis weitgehend bei personeller Gewalt
(vgl. Mertens Begriffsexplikation zu Beginn dieses Kapitels).
Melzer et al. (2004) plädieren, mit Blick auf mögliche abweichende und
antisoziale Verhaltensweisen von Schülern, dafür, den Gewaltbegriff
grundsätzlich nicht zu eng zu fassen (vgl. S.78). ,,Es ist nützlich, zwischen
unmittelbarer Gewalt - mit verhältnismäßig offenen Angriffen gegen das Opfer -
und mittelbarer Gewalt in Form gesellschaftlicher Ausgrenzung und
absichtlichem Ausschluß zu unterscheiden. Es ist wichtig auf die zweite, weniger
sichtbare Form der Gewalt zu achten" (Olweus, 2002, S.22).
Abbildung 1 soll die Zusammenhänge zwischen Aggression, Gewalt, Schulgewalt
und Bullying nochmals abschließend verdeutlichen.
Abbildung 1: Zusammenhänge zwischen Aggression, Gewalt, Schulgewalt und
Bullying (entnommen aus Scheithauer et al., 2003, S.19, Abbildung 2.1)
Weiterhin wird nun in diesem Kapitel auf das alltägliche (und somit mutmaßlich
auch für einen großen Teil der Internetnutzer relevante) Verständnis von Gewalt
eingegangen. Hier zeigen sich einige Unterschiede zu wissenschaftlichen
Definitionen. ,,Gewalt hat in der Alltagssprache heutzutage einen durchgängig
negativen Bedeutungsgehalt und wird als Bezeichnung für soziale
Handlungsweisen und Phänomene verwendet, die als gesellschaftlich inopportun
gelten. Historisch betrachtet besaß ,Gewalt' aber durchaus auch positive
Aggression
Gewalt
Bullying
Schulgewalt

2. Schulgewalt und Bullying
17
Bedeutungszuschreibungen" (Melzer et al., 2004, S.45). Meist wird Gewalt im
Alltag ,,mit körperlichen Übergriffen oder kriminellem Verhalten assoziiert" (T.
Jäger, 2002).
In Bezug auf die Schule ist das Gewaltverständnis von Schülern, im Vergleich zu
Lehrern und Schulleitern, eher eng gefasst. Verbale Gewalt z.B. wird von
Schülern oft nicht als solche gesehen, von Lehrern hingegen schon (vgl. Melzer et
al., 2004, S.73). Die Problematik liegt hier vor allem darin, dass durch die
unterschiedlichen Auffassungen von Gewalt durch verschiedene Schüler- und
Lehrergruppen grundsätzliche Kommunikationsprobleme bestehen. Insbesondere
dann, wenn einige ein bestimmtes Verhalten für ,,normal" halten, welches andere
bereits als ,,aggressiv" bzw. ,,gewalttätig" einordnen (vgl. Melzer et al., 2004,
S.43). So ist es dringend notwendig, ,,in jedem Gespräch über auftretende
Konflikte und bei Beginn von Maßnahmen der Gewaltprävention oder -
intervention die leitenden Werte bzw. die Definitionen von Gewalt bei den
Konfliktparteien bzw. Adressaten zu klären" (Melzer et al., 2004, S.72). Dies gilt
ebenfalls für computervermittelte (Online-)Kommunikation. Auch Hurrelmann et
al. (1999) verdeutlichen anhand von einigen exemplarischen Beispielen aus der
Praxis, ,,dass die Sichtweise der Beteiligten und Betroffenen wichtig sind, um zu
klären, was passiert ist und welche Schlussfolgerungen wir aus unseren
Wahrnehmungen ziehen" (S.69). Es zeigen sich hier beispielsweise auch
geschlechtsspezifische Unterschiede sowie Unterschiede zwischen den
Schulformen. Das Gewaltverständnis von Mädchen ist, so wie das von
Gymnasiasten, tendenziell eher weiter gefasst als das von Jungen, bzw.
Mittelschülern (vgl. Melzer et al., S.74ff.). Auch Täter und Opfer sind sich nicht
immer einig, ,,ob eine Handlung Gewalt war oder nicht" (Melzer et al., 2004,
S.44). Demnach ist eine Differenzierung der Perspektiven notwendig. Nach
Melzer et al. (2004) genügt für die Bestimmung von Gewalt die Wahrnehmung
einer auf Schädigung ausgerichteten Absicht des Täters durch das Opfer (vgl.
S.44).
Als Fazit bleibt zu betonen, dass die Definition von Aggression und Gewalt stark
vom Bezugsrahmen der Beurteiler abhängig ist (vgl. Lösel, 2004, S.138). Vorsicht
ist deshalb auch geboten, alle Verhaltensweisen nach oberflächlicher Betrachtung

2. Schulgewalt und Bullying
18
in einen Topf zu werfen, und so z.B. spielerisches Verhalten mit Gewalt zu
verwechseln, vor allem auch da ein wichtiges Bestimmungsstück von ,,Spiel" das
,,so-tun-als-ob" darstellt (vgl. Einsiedler, 1999; Scheithauer et al., 2003, S.97).
In dieser Arbeit wird das Thema ,,Schule und Gewalt", in Anlehnung an
Schubarth (2000, S.10) als Unterthema von ,,Jugend und Gewalt" eingeordnet.
Die vorliegende Arbeit wird sich dementsprechend, in ihrer Thematik bezüglich
Gewalt, hauptsächlich auf den Bereich der (personalen) ,,Gewalt in der Schule"
bzw. ,,Bullying" beschränken. Natürlich gibt es Gewalt auch in vielen anderen,
sich z.T. mit der Schulgewaltthematik auch überschneidenden, Bereichen und mit
unterschiedlichen Ausprägungen: z.B. Gewalt in der Familie, Gewalt gegen
Kinder, Gewalt gegen (Ehe-) Frauen, fremdenfeindliche und rassistische Gewalt,
sexuelle Gewalt oder Mobbing am Arbeitsplatz. Auch zu diesen Bereichen finden
sich selbstverständlich potentiell hilfreiche Materialien und Angebote im Internet.
2.2. Aktuelle Situation, Häufigkeiten und Erscheinungsformen
Kinder und Jugendliche können heute fast im gleichen Ausmaß wie
Erwachsene die Vorteile einer reichen Wohlfahrtsgesellschaft genießen,
aber sie tragen ganz offensichtlich auch zunehmend die psychosozialen
,,Kosten" der modernen Lebensweise [...]. Nach aktuellen
Überblicksstudien müssen wir davon ausgehen, dass 10 bis 12 % der
Kinder im Schulalter an psychischen Störungen vor allem in den
Bereichen Leistung, Emotion und Sozialkontakt leiden. Dazu gehören auch
aggressive und gewalthaltige Verhaltensweisen. (Hurrelmann, 1999, S.11)
Wie im vorherigen Kapitel deutlich wurde, gibt es weder in Deutschland noch
international einen einheitlichen Gewaltbegriff. Diese ,,Begriffsvielfalt" dürfte
sich mit großer Wahrscheinlichkeit auch bei diesbezüglich auffindbaren
Angeboten und Inhalten im Internet widerspiegeln. Darüber hinaus werden bei
verschiedenen Studien oft auch unterschiedliche Erhebungsmethoden und -
instrumente angewandt. Die Ergebnisse sind daher nur sehr eingeschränkt
vergleichbar, was bei der Interpretation von Daten unbedingt beachtet werden

2. Schulgewalt und Bullying
19
sollte (vgl. z.B. T. Jäger, 2002; Schubarth, 2000; vgl. Kapitel 2.4 der vorliegenden
Arbeit). ,,Aufgrund der partiellen Überlappung von Bullying und Gewalt [...] ist
[...] davon auszugehen, dass die angeführten Studien zur Gewalt an Schulen
implizit Verhaltensphänomene miterfasst haben, die Bullying [...] umschreiben"
(Scheithauer et al., 2003, S.24). Die folgenden Ausführungen beziehen sich somit
allgemein auf ,,Gewalt an Schulen" und subsumieren hierbei weitgehend auch
Bullying. Sie stellen, so ist anzunehmen, zudem die Hintergrundsituation für in
die Problematik involvierte Gruppen, und somit auch für Internetnutzer von
diesbezüglichen Online-Angeboten, da.
Zu der in der Öffentlichkeit immer wieder von neuem auftauchenden Frage, ob
die Gewalt nun zugenommen hat oder nicht, schreibt Rixius (1999): ,,Jeder kann
aus Erfahrung, aber auch von Erzählungen, Fernsehbildern und Zeitungsberichten
etwas beisteuern. Das führt sehr schnell zu dem Eindruck, dass in den letzten
Jahren ,alles viel schlimmer geworden' ist" (S.8). Auch nicht zuletzt dank
medialer Berichterstattung spektakulärer Fälle (bekanntestes Beispiel hierzu: Das
Schulmassaker in Erfurt), ,,ist in der deutschen Öffentlichkeit der Eindruck
entstanden, die Gewalt an Schulen habe in den letzten Jahren und Jahrzehnten
drastisch zugenommen" (Klewin et al. 2002, S.1094; vgl. Schäfer & Korn, 2001).
Oft finden sich in den Medien jedoch auch übertriebene Darstellungen
sensationeller Einzelfälle (vgl. Feltes, 2003, 2004; vgl. Schäfer & Korn, 2001).
Gewalt besitzt Unterhaltungswert und soll Quoten bringen (vgl. Aronson, 2004,
S.477; Kunczik, 1998, 194ff.). So kann natürlich sehr leicht ein verzerrtes Bild
entstehen. Wichtig sind deshalb wissenschaftlich fundierte Untersuchungen, um
möglichst eindeutige und gesicherte Aussagen machen zu können. Das ,,Verrohen
der Jugend" wird immerhin, dann wenn die ältere über die jüngere Generation
spricht, schon seit etwa 4.000 Jahren beklagt (vgl. Schäfer & Korn, 2001).
Möchte man nun die Frage eindeutig beantworten, ob die Gewalt tatsächlich
zugenommen hat, so liegt das Hauptproblem bei der unsicheren Datenlage (vgl.
Schubarth, 2000, S.76). Hilfskonstruktionen sind notwendig um Aussagen treffen
zu können (vgl. Kapitel 2.4). Wissenschaftliche Vergleiche zwischen heute und
den 50ern oder 80ern sind schwierig. Entsprechend eindeutige Untersuchungen
fehlen. Systematische Studien wurden erst in den frühen 70er Jahren, fast

2. Schulgewalt und Bullying
20
ausschließlich in Skandinavien, durchgeführt. Erst Ende der 80er Jahre, Anfang
der 90er Jahre schließlich auch in anderen Ländern (vgl. z.B. Olweus 2002, S.15).
,,Gewalt in der Schule" beschäftigt heute nun schon seit vielen Jahren
Wissenschaft und Praxis und ,,[f]ast übereinstimmend wurde festgestellt, dass das
Ausmaß der Gewalt an Schulen nicht dramatisch und nicht so alarmierend sei,
wie es die Medienberichte vermuten lassen. Gleichzeitig wurde aber auch betont,
dass das Thema ernstgenommen werden müsse" (Schubarth, 2000, S.73; vgl.
Feltes, 2003, 2004; T. Jäger, Bradley & Rasmussen, 2003, S.4; Melzer et al.,
2004, S.95; Schäfer & Korn, 2001). ,,[D]ie Situation an deutschen Schulen [muss]
rationaler diskutiert und stark entdramatisiert betrachtet werden [...]. Dies gilt vor
allem auch deshalb, weil sich die Funktion und die Rolle der Schule in den letzten
Jahren dramatisch verändert hat" (Feltes, 2003; vgl. Holtappels, Heitmeyer,
Melzer & Tillmann, 2004).
Kaum etwas deutet [...] auf eine dramatische allgemeine Zunahme von
Gewalt im Schulbereich hin. Vielmehr spricht einiges dafür, dass von der
Zunahme einige Schultypen stärker betroffen sind als andere [...]. Letzten
Aufschluss über eine Gewaltzunahme können jedoch erst
Längsschnittuntersuchungen geben, d.h. Beobachtungen der
Gewaltsituationen über einen längeren Zeitraum hinweg, die gegenwärtig
noch nicht vorliegen. (T. Jäger, 2002; vgl. Rixius & Sturzenhecker, 1999;
Schäfer & Korn, 2001; Melzer et al., 2004; vgl. Kapitel 2.4 der
vorliegenden Arbeit)
Ein Anstieg von Gewalt an deutschen Schulen, nach Darstellung der Medien
,,gewaltig", nach der Forschung ,,leicht", ist zumindest umstritten (vgl. Schäfer &
Korn, 2001). Schubarth (2000) kommt zu dem Ergebnis: ,,Insgesamt lassen die
Studien den Schluß zu, dass die Gewalt zugenommen hat, wenngleich auch nur
leicht und nicht so dramatisch wie in den Medien dargestellt" (S.77). Hurrelmann
(1999) resümiert, dass es bisher keine wissenschaftlich gesicherten Belege dafür
gibt, ,,dass wir es bei der Mehrzahl von Schülern mit einer Zunahme von
aggressiven Handlungen zu tun haben, aber alle Befunde deuten auf eine
Verschärfung der Intensität von Gewalthandlungen bei einer Minderheit der
Kinder und Jugendlichen hin" (S.12). Melzer et al. (2004) kommen nach dem

2. Schulgewalt und Bullying
21
Ausloten von Forschungsbefunden und subjektiven Einschätzungen zu der
abschließenden Betrachtung, ,,dass sich die Gewaltproblematik an deutschen
Schulen insgesamt spürbar, in sozialen Brennpunkten und unteren Schulformen
deutlich verstärkt hat. Es scheint so, dass das Gewaltausmaß in den 80er und 90er
Jahren angestiegen und auf diesem Niveau bis heute konstant geblieben ist"
(S.95). Feltes (2003) wiederum differenziert, in Anschluss an Schütz, Todt &
Busch (2002), zwischen entwicklungstypischer Aggression, welche nicht
zugenommen zu haben scheint, und zwischen einzelnen Intensivtätern bzw.
,Bullies'.
Im Gegensatz zu den eher quantitativen Untersuchungen zeigen qualitative
Arbeiten, dass die Gewalt in der subjektiven Wahrnehmung von Lehrern und
Schülern eindeutig zugenommen hat. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die
subjektiven Wahrnehmungen nicht zwangsläufig auch den objektiven
Gegebenheiten entsprechen (vgl. z.B. Feltes, 2003). Besorgt zeigen sich
Schulleiter und Lehrer von Grundschulen z.B. ,,über das sinken der
Hemmschwelle und das in ihrer Beobachtung angestiegene Gewaltverhalten"
(Schäfer & Korn, 2001; vgl. Tillmann, Holler-Nowitzki, Holtappels, Meier &
Popp, 1999). Möglicherweise hat aber auch ,,weniger die Gewalt an Schulen als
vielmehr die Sensibilisierung gegenüber diesem Problem zugenommen"
(Schubarth, 2000, S.76; vgl. Greszik, Hering, Euler, 1995, S.282; Melzer et al.,
2004, S.20).
Eindeutiger dagegen scheint die Situation bei Jugendgewalt im Allgemeinen zu
sein. Hier ist, so geben viele Studien an, europaweit eine Zunahme festzustellen.
Auch durch neuere kriminologische Forschung wird ein Anstieg der Jugendgewalt
belegt (vgl. z.B. T. Jäger, 2002; Pfeiffer & Wetzels, 1999; Schubarth, 2000, S.82).
Zu bedenken ist dabei jedoch, dass diese Zahlen zum Teil auch auf eine
erhöhte Anzeigebereitschaft in der Bevölkerung zurückgehen. Darüber
hinaus können Statistiken auch durch eine Reihe anderer Faktoren
beeinflusst werden, wie z.B. Veränderungen in der juristischen Definition
von Gewalt, einer erhöhten Aufmerksamkeit der Medien oder sogar
veränderten Erfassungsmethoden bei der Polizei. (T. Jäger, 2002)

2. Schulgewalt und Bullying
22
Im Allgemeinen sind die Opfer von Jugendgewalt andere Jugendliche, so die
Ergebnisse europäischer Studien (vgl. Pfeiffer, 1998, S.1).
Was die Schule angeht, so resümiert Schubarth (2000), ,,dass die überwiegende
Mehrheit der Schüler bzw. Jugendlichen nicht ,gewalttätig' oder ,gewaltbereit'
sei. Nur eine relativ kleine Minderheit sei zum potentiellen ,gewaltbereiten'
Täterkreis zu zählen" (S.78). ,,Daneben gibt es aber ein Kontinuum, das größere
Anteile von Schülergruppen aufweist, die verschiedene, meist weniger harte
Gewalthandlungen gelegentlich begehen bzw. der Gewalt gegenüber billigend
oder indifferent sind" (Schubarth, 2000, S.81). Es besteht ein differenziertes
Täter-Opfer-Gefüge, wobei sich Täter- und Opferstatus nicht gegenseitig
ausschließen (vgl. Melzer et al., 2004, S. 104; Olweus, 2002; Scheithauer et al,
2003, S.44). Gewalttäter bzw. Gewaltopfer zu sein kann eine lange Zeit, oft viele
Jahre lang, andauern (vgl. Olweus, 2002, S.38). In Deutschland berichten
zwischen 5 und 11% der Schüler von regelmäßigen Opfer- bzw.
Tätererfahrungen. Noch häufiger sind Berichte zu unregelmäßigen Opfer- und
Tätererfahrungen (vgl. z.B. Scheithauer et al., 2003, S.39).
Betrachtet man weitere Ergebnisse der Forschung nun im Einzelnen, so zeigen
sich folgende Tendenzen der Forschungsergebnisse zu ,,Gewalt an der Schule":
Erscheinungsformen von Gewalt:
Unstrittig ist, dass psychische und verbale Gewaltformen zwischen Schülern (wie
z.B. spotten, beschimpfen, auslachen, beleidigen) die am stärksten verbreitete
schulische Gewaltform sind (vgl. z.B. Klewin et al., 2002; S.1093; Schäfer &
Korn, 2001; Scheithauer at al., 2003, S.43). Sie ,,werden als Form oder Vorform
von Gewalt betrachtet, die häufig Ausgangspunkt weiterer, härterer
Gewalthandlungen sind. Auf eine solche Spirale bzw. Eskalation gewalttätigen
Verhaltens wird in vielen Studien hingewiesen" (Schubarth, 2000, S.82; vgl. z.B.
T. Jäger, 2002). Nach Melzer et al. (2004) gibt es einen deutlichen empirischen
Zusammenhang zwischen verschiedenen Gewaltformen sowie zwischen
gewaltbezogenen Einstellungen und den Rechtfertigungen entsprechenden
Verhaltens (vgl. S.104). Allgemein gilt: ,,Je härter die Gewaltform, desto weniger

2. Schulgewalt und Bullying
23
tritt sie auf" (Schubarth, 2000, S.86f.; vgl. Klewin et al., 2002, S.1093). ,,'Härtere'
Formen schulischer Gewalt (z.B. Anwendung von Waffen, Erpressung, schwere
Prügelei) kommen selten vor" (Melzer et al., 2004, S.103). Kriminelle, und somit
auch strafrechtlich relevante Delikte, sind somit eher untypisch für Gewalt an
Schulen (vgl. z.B. T. Jäger, 2002; Schäfer & Korn, 2001). Zur Rangfolge weiterer
Gewaltformen im Anschluss an verbale Gewalt (z.B. körperliche Angriffe,
Vandalismus, sexuelle Belästigung oder Erpressung) gibt es keine einheitlichen
Befunde (vgl. z.B. Schubarth, 2000, S.83).
,,Auffallend ist, dass bis auf wenige Ausnahmen die Gewalt seitens der Lehrkräfte
gegenüber den Schülern ausgeblendet wird. Gewalt, vor allem in psychischer
Form, gehört jedoch zum aktiven Handlungsrepertoire vieler Lehrer" (Schubarth,
2000, S.84; vgl. z.B. auch Scheithauer et al., 2003, S.57ff.).
Unterschiede zwischen Schulen:
Schulen unterscheiden sich in ihrer Gewaltbelastung sehr stark voneinander.
Verschiedenen Schulformen und Schülergruppen sind unterschiedlich stark
betroffen (vgl. Schäfer & Korn, 2001; Schubarth, 2000, S.77). ,,Eine Hierarchie
dieser Schulformen (Sonderschule für Lernbehinderte, Hauptschule, Realschule,
Gymnasium) und das damit verbundene Sozialprestige bilden sich recht
ungebrochen in den Zahlen zur Gewalthäufigkeit ab" (Klewin, 2002, S.1095; vgl.
Schubarth, 2000, S.87; Schwind, Roitsch, Ahlborn & Gielen, 1997).
Solche Angaben dürfen allerdings nicht undifferenziert betrachtet werden. Die
verschiedenen Schulformen sind zwar durchaus unterschiedlich belastet, was
jedoch nicht zuletzt auch von ihrem Einzugsgebiet abhängt. Auch gibt es
innerhalb einer Schulform bereits große Differenzen und Schwankungen, welche
sich zum einen auf die soziale Rekrutierung der Schüler und zum anderen auch
auf die jeweilig vorherrschende Schulkultur zurückführen lassen (vgl. Melzer et
al., 2004, S.105).
Geschlecht:
,,Jungen sind für Gewalt anfälliger als Mädchen, sie billigen Gewalt eher, sind
gewaltbereiter und üben auch eher Gewalthandlungen aus" (Schubarth, 2000,

2. Schulgewalt und Bullying
24
S.87; vgl. Klewin et al., 2002, S.1093; Pfeiffer, 1998, S.2). Die Unterschiede
nehmen hierbei mit der Härte der Gewalt zu und sind somit bei verbalen Formen
deutlich geringer als bei körperlichen (vgl. Melzer et al., 2004, S.89; Scheithauer
et al., 2003, S.49ff.). Nach Renges (o.J.) wenden Jungen häufiger physische
Gewalt an, oder machen ihre Mitschüler offen fertig, während Mädchen eher
subtile Formen bevorzugen. ,,Offen aggressives Verhalten scheint mit der
männlichen Rolle übereinzustimmen, der weiblichen aber zu widersprechen" (vgl.
Schäfer & Korn, 2001). Mädchen und Jungen berichten allerdings gleichermaßen,
dass auch Mädchen in physische Auseinandersetzungen eingebunden seien (vgl.
Popp, 1999; Schäfer & Korn, 2001). Obwohl sich Mädchen selber eher nicht als
Aggressionsauslöser sehen, geben männliche Jugendliche an, ,,von weiblichen
Jugendlichen zu Gewalttätigkeiten provoziert oder angestachelt worden zu sein"
(Feltes, 2003).
Popp (1999) merkt zu diesen Ergebnissen insgesamt kritisch an, dass die in der
Regel als Querschnittanalysen konzipierten Erhebungsinstrumente untauglich
seien, ,,das subtile Zusammenspiel von Jungen und Mädchen im Verlauf
aggressiver Handlungen auf[zu]spüren" (S.222).
Alter:
Eine große Rolle spielt auch das Alter (bzw. die Jahrgangsstufe) im Hinblick auf
schulische Gewalt. ,,Als ein erhöhtes Risikoalter kristallisiert sich dabei die
Altersstufe der 12- bis 15jährigen, also die 7. bis 9. Jahrgangsstufe heraus"
(Schubarth, 2000, S.88; vgl. z.B. T. Jäger, 2002). Hier scheint eine Art
,,Gewaltspitze" zu liegen, nach der die Menge körperlicher Gewalthandlungen
dann schließlich wieder abnimmt (vgl. Klewin et al., 2002, S.1093; Schäfer &
Korn, 2001). Verbale Gewaltformen dagegen scheinen mit zunehmendem Alter,
im Vergleich zu körperlichen, an Bedeutung zu gewinnen (vgl. Scheithauer et al.,
2003, S.54). ,,Mobbing scheint in allen Altersstufen vorzukommen" (Renges,
o.J.). Die Gründe für Mobbing sind allerdings altersstufenabhängig different und
reichen von ,,körperlichen Unzulänglichkeiten", über ,,Mode- und
Verhaltensnormen" bis zu ,,Konkurrenzdruck" (vgl. z.B. Renges, o.J.). Bereits in
Kindergärten und Grundschulen ist die Bullyingproblematik sichtbar (vgl.
Scheithauer et al., 2003, S.53).

2. Schulgewalt und Bullying
25
Orte der Gewalt:
,,Da die Schule ein streng kontrollierter Raum ist, in dem körperliche Aggression
normalerweise sofort geahndet wird, findet [physische] Gewalt eher in der
Freizeit statt. Verbalattacken dagegen erleben vier Fünftel aller Schüler
regelmäßig" (Possemeyer, 2004). Nach Olweus (2002) wurden Schüler, die auf
dem Schulweg gemobbt wurden, es mehrheitlich auch in der Schule. ,,Die Schule
ist zweifellos der Ort, an dem am meisten gemobbt wird" (Olweus, 2002, S.32).
Bedeutsam für Gewalt in der Schule sind somit aber nicht nur innerschulische
sondern auch außerschulische Räume.
Schulweg und Pausenhof sind z.B. nach einer Befragung von Schülern/-
innen eines Gymnasiums im Ruhrgebiet der Ort, wo Kinder und
Jugendliche heute sagen: ,,Da habe ich Angst vor Gewalt" oder ,,dort bin
ich schon mal verkloppt, bedroht, massiv belästigt worden". Auch die
Fahrten mit den öffentlichen Verkehrsmitteln gelten als ,,gewaltbesetzt".
(Rixius & Sturzenhecker, 1999, S.72)
Ein steigendes Unsicherheitsgefühl von Schülern zeigt sich in der Reihenfolge:
Klassenraum, Pause, Schulweg (vlg. Schwind et al., 1997, 2004). Was Bullying
angeht, so sind die direkten Formen eher auf dem Schulhof, die Indirekten
hingegen eher im Klassenraum zu beobachten (vgl. Scheithauer et al., 2003,
S.84).
Zum Einfluß von Region, Orts-, Schul- oder Klassengröße sind nur wenige, und
keinesfalls gesicherte, Erkenntnisse vorhanden (vgl. Schubarth, 2000, S.90).
,,Nicht bestätigt wurde die häufig zu hörende Einschätzung, in städtischen
Schulen gebe es mehr Gewalt als in ländlichen, in großen Schulen mehr als in
kleinen" (Klewin et al., 2002, S.1093; vgl. Olweus, 2002). Auch wurden in
,,vorliegenden vergleichenden Untersuchungen [...] keine substanziellen
Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern festgestellt" (Schäfer &
Korn, 2001). Schubarth (2000) verweist allerdings generell auf einen ,,engen
Zusammenhang von schulischer Gewalt und außerschulischer Delinquenz" (S.94;
vgl. z.B. auch Craig & Harel, 2004).

2. Schulgewalt und Bullying
26
Internationale Forschung:
,,Die Verhältnisse in den europäischen Nachbarländern scheinen den in
Deutschland herrschenden sehr ähnlich zu sein, obwohl, wie eingangs betont,
systematisch und breit angelegte Vergleichsstudien bezüglich des
Sozialverhaltens der Schüler nicht vorliegen" (Melzer et al., 2004, S.84; vgl. z.B.
Olweus, 2002). In der internationalen Forschung gibt es nach Amado et al. (2002),
vor allem für Dänemark, Finnland, Deutschland, Portugal und England, folgende
gemeinsame Tendenzen:
·
Obwohl Gewalt und Bullying, schon ein normaler Bestandteil des
Schullebens sind, kommen wirklich ernsthaft strafrechtlich relevante
Delikte sehr selten vor.
·
Die typische Form von Schulgewalt ist die verbale Gewalt.
·
Die meisten Studien zeigen einen Anstieg von Gewalt während der Mitte
80er bzw. frühen 90er Jahre.
·
Der Anstieg von Schulgewalt ist jedoch geringer als der von Jugendgewalt
im Allgemeinen.
·
In allen Ländern wird Jugendgewalt zunehmend von den Medien
aufgegriffen und publik gemacht.
Bezüglich internationaler Zahlen zu Häufigkeiten, fallen allerdings große
Schwankungen der Ergebnisse auf. Die Zahlen sind sehr heterogen (vlg. Craig &
Harel, 2004; Scheithauer et al., 2003). Es gibt bemerkenswert breite
geographische und länderabhängige Differenzen. Diese sollten jedoch, nicht
zuletzt wegen diverser methodischer Probleme bei diesbezüglichen
internationalen Vergleichsstudien, mit Vorsicht betrachtet werden (vlg. Craig &
Harel, 2004; Scheithauer et al., 2003, S.42). Ungefähr 11% aller befragten
Jugendlichen aus 35 verschiedenen Ländern berichten in der ,,Health Behaviour in
School-aged Children" (HBSC) Studie davon während der letzten paar Monate
mehrmals Opfer von Bullying in der Schule geworden zu sein. Dabei gibt es
entsprechend große regionale (2-36%) und altersabhängige (4-36%)
Schwankungen (vgl. Craig & Harel, 2004, S.137).

2. Schulgewalt und Bullying
27
Insgesamt sind in allen Ländern die Zahlen für die Anwendung von Bullying und
körperlicher Gewalt zwar für Jungen höher als für Mädchen, generell aber
bedeutet das nicht unbedingt, dass diese aggressiver wären. Möglicherweise
bevorzugen Mädchen auch mehr indirekte und verstecktere Aggressionen (vgl.
Craig & Harel, 2004, S.142). Im Gegensatz zu diesen eindeutigen
Geschlechtsdifferenzen bei der Täterrolle, sind die Zahlen hinsichtlich der
Opferrolle nicht so stringent (vgl. Craig & Harel, 2004, S.142).
Insgesamt lassen sich zwischen verschiedenen Ländern (vor allem auch bezüglich
den weniger ,,westlich-europäisch orientierten") weitere, jeweils spezifisch
gesellschafts-, kultur- und schulbedingte, Unterschiede und Ausprägungen der
Problematik annehmen (vgl. z.B. Craig & Harel, 2004; Klewin et al., 2002). Im
Rahmen dieser Arbeit kann aus Platzgründen allerdings nicht weiter darauf
eingegangen werden.
Einheitliche historische Daten für jedes europäische Land gibt es keine. Generell
sollten genannte Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit Vorsicht betrachtet
werden da, nicht nur innerhalb sondern auch zwischen verschiedenen Ländern,
unterschiedliche Verwendungen des Gewaltbegriffs und unterschiedliche
methodische Herangehensweisen benutzt wurden (vgl. z.B. Amado et al., 2002;
Craig & Harel, 2004); Pfeiffer, 1998; Scheithauer et al., 2003, S.42; Schubarth,
2000; vgl. Kapitel 2.4 der vorliegenden Arbeit). Verschiedene detaillierte und auf
einzelne Länder bezogene Berichte findet sich z.B. auch im Internet unter:
http://www.gold.ac.uk/connect/countryreports.html
(Stand 20.11.2005).
Resümee:
Bezeichnend ist in einer abschließenden Betrachtung, dass in keinem Land
parallel zur Jugendgewalt ein Anstieg der Erwachsenengewalt zu verzeichnen
war. Somit kann der Anstieg der Gewalt Jugendlicher also nicht einfach als Teil
eines generellen Trends zum Anstieg der allgemeinen Gewaltrate interpretiert
werden (vgl. Pfeiffer 1998, S.1f.). Die vorliegenden Zahlen zu regelmäßigen
Bullying- und Gewaltvorfällen geben Anstoß zur Besorgnis über die möglichen
Folgen für die Betroffenen. Zudem lassen sie ein nicht unerhebliches potentielles
Interesse an Internetangeboten zu dieser Thematik vermuten.

2. Schulgewalt und Bullying
28
Der Gesamttenor der Untersuchungen ist, dass es einen enormen
Handlungsbedarf zur Gewaltprävention in Schulen gibt, dass aber die
psychischen und verbalen Formen der Schüleraggression [...] überwiegen,
dass neben den Täter- und Opfertypen, die in allen Schulklassen in
Erscheinung treten, im Durchschnitt die Mehrzahl der Schüler nicht an
Gewaltaktionen beteiligt bzw. in sie involviert ist. (Melzer et al., 2004, S.
104)
Festgestellt wurde, dass über alle Gewaltformen hinweg der
Schulformzugehörigkeit, der Geschlechtszugehörigkeit und der Jahrgangsstufe
große Bedeutung zukommt. ,,Die Pubertät spielt eine wichtige Rolle, noch
gravierender sind aber die Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen sowie die
mit der schulischen Selektion verbundenen Probleme, die sich auf das
Gewaltvorkommen am stärksten auswirken" (Melzer et al., 2004, S.112).
Insgesamt lassen sich viele Befunde der Schulstudien auch durch entsprechende
Jugendstudien bestätigen (vgl. Schubarth, 2000, S.95).
Ausgehend von dieser Darstellung zu Häufigkeiten und aktueller Situation, wird
im nun folgenden Kapitel der Frage nach Ursachen und Risikobedingungen
nachgegangen.
2.3. Ursachen und Risikofaktoren
Die Frage nach den Ursachen für Gewalt ist, neben Untersuchungen zu ihrem
Ausmaß, ein zentraler Schwerpunkt vorliegender Studien. Diesbezügliche
Kenntnisse zu besitzen kann helfen entsprechende Vorfälle zu Verstehen und
Erklärungen dafür zu finden. Somit werden auch wichtige Hinweise für möglichst
optimale Präventions- und Gegenmaßnahmen geliefert. Nicht zuletzt deswegen ist
auch davon auszugehen, dass vor allem involvierte Gruppen bzw. thematisch
interessierte Internetnutzer ein essentielles Interesse an entsprechenden
Ergebnissen und den daraus resultierenden Folgerungen besitzen.

2. Schulgewalt und Bullying
29
,,Gewalt in der Schule ist - wie Jugendgewalt insgesamt - ein sozialer Sachverhalt,
der von verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen mit sehr unterschiedlichen
Theorieansätzen betrachtet wird" (Klewin et al., 2002, S.1079). Dabei lassen sich,
in Abhängigkeit von inhaltlicher Zielsetzung und methodischer
Herangehensweise, unterschiedliche Tendenzen feststellen (vgl. Schubarth, 2000,
S.95). Einen Überblick über wissenschaftliche Theorien zu Ursachen von Gewalt
und Aggression gibt beispielsweise Schubarth (2000) (s. dazu Tabelle 1).
Tabelle 1: Wissenschaftliche Theorien zu Ursachen von Gewalt und Aggression
Theorie
Kurzcharakteristik
Triebtheorien
Aggression wird auf spontane Impulse im menschlichen
Organismus zurückgeführt
Frustrationstheorien
Aggression entsteht reaktiv durch Frustration
Lerntheorien
Aggression beruht auf Lernvorgängen
Kognitive Motivationstheorie
Aggression als Folge der Interaktion von Person und Situation
bzw. eines Aggressionsmotivs
Psychoanalytische Theorien
Aggression als Ausdruck komplizierter Störungen der
gesamten Persönlichkeit (z.B. Traumatisierung in d. Kindheit)
Soziobiologische Theorien
Aggression als Folge biologischer Vorgänge im Organismus
Anomietheorie
Abweichendes Verhalten entsteht durch ,,Anpassung" an die
widersprüchlichen kulturellen Ziele und sozialstrukturellen
Verhältnisse
Subkulturtheorie
Abweichendes Verhalten als ,,Anpassung" an Anforderungen
der Gesamtkultur und Subkultur
Theorien differentiellen
Lernens
Abweichendes Verhalten wird in Abhängigkeit von
Bezugspersonen und Situationen erlernt
Etikettierungstheorien
Abweichendes Verhalten entsteht durch gesellschaftliche
Definitions- und Zuschreibungsprozesse
Entwicklungspsychologische
Ansätze
Aggression ist abhängig vom kognitiven, moralischen und
psychosozialen Entwicklungsstand
Entscheidungstheorie
Aggression als Entscheidung für den Gebrauch von
Zwangsgewalt
Schulbezogener psychoanaly-
tischer Ansatz
Gewalt als Folge gescheiterter schulischer Anerkennung
Individualisierungstheorie
Gewalt als Folge von Modernisierungsprozessen und damit
verbundenen Erfahrungen von Desintegration und
Verunsicherung
Schulbezogener
Anomieansatz
Gewalt als Folge der anomischen Struktur der Schule
Handlungstheorie
Devianz als soziales Handeln, um Mangellagen zu verarbeiten
Selbstkontrollansatz
Delinquenz als Folge mangelnder Selbstkontrolle
Materialistisch-
interaktionistischer Ansatz
Delinquenz als eine Folge von durch Macht beeinflusster
Zuschreibung
Zwei-Komponenten-Modell
Aggression als Form der Bewältigung von Streß
Geschlechts-spezifische
Ansätze
Gewalt als Form männlicher Lebensbewältigung und als
,,gelebte Männlichkeit"
Sozialisations- theoretischer
Ansatz
Gewalt als Form ,,produktiver Realitätsverarbeitung",
Nichtpassung von Kompetenzen und gesellschaftlichen
Anforderungen
Schulbezogener sozialökologi-
scher Ansatz
Gewalt als Verarbeitungsform der Beziehungen zwischen
schulischer Umwelt und Schüler
(entnommen aus Schubarth, 2000, S.64f., Tab. 1.1)

2. Schulgewalt und Bullying
30
Tabelle 1 stellt nur eine knappe Übersicht zu wissenschaftlichen Theorien zur
Entstehung von Gewalt dar. Es wird deutlich, dass es nicht die eine Erklärung
oder die Theorie gibt, sondern eine Reihe möglicher Ansätze. ,,Erst die Vielfalt
der Perspektiven wird dem komplexen Phänomen ,Gewalt' gerecht" (Schubarth,
2000, S.62). Jede Theorie hat ihren spezifischen Erklärungswert, es gibt viele
Unterschiede und auch Gemeinsamkeiten (vgl. Schubarth, 2000). Im Rahmen
dieser Arbeit kann allerdings nicht weiter auf diese Theorien eingegangen werden.
Für detaillierte Erläuterungen siehe z.B. Schubarth (2000). Im Folgenden finden
sich nun die wichtigsten Ergebnisse empirischer Untersuchungen zu
risikoerhöhenden Bedingungen hinsichtlich Schulgewalt und Bullying.
Hurrelmann (1999) schreibt: ,,Aggressive und gewalttätige Jugendliche werden
nicht als solche geboren, sondern im Laufe ihrer Lebensgeschichte, ihrer
Sozialisation, zu solchen gemacht" (S.13). Doch wie werden Jugendliche derartig
beeinflusst? Welche Faktoren gibt es? Gewalttätiges Verhalten lässt sich nicht auf
eine einzelne Ursache zurückführen und ,,nicht in einzelnen Bedingungen
auffinden" (Scheithauer et al., 2003, S.7).
Man geht heute vielmehr davon aus, dass an der Entwicklung von
gewalttätigem Verhalten eine Reihe von Ursachen bzw.
Entstehungsbedingungen beteiligt ist, die in ihrem Zusammenwirken die
Entwicklung von gewalttätigem Verhalten begünstigen. Kommen bei
einem Kind oder Jugendlichen mehrere solcher ungünstiger Bedingungen
zusammen, so erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass der Betreffende ein
von aggressivem und gewalttätigem Verhalten geprägtes Verhaltensmuster
entwickelt. (T. Jäger, 2002)
Die verschiedenen Ursachenbündel stehen hierbei in komplexer Interaktion
miteinander. Eine Verallgemeinerung dahingehend, dass beim Auftreten
bestimmter Faktoren zwangsläufig auch gewalttätiges oder aggressives Verhalten
auftreten muss, kann nicht gemacht werden. Risikofaktoren für gewalttätiges
Verhalten beziehen sich immer nur auf eine Erhöhung von Wahrscheinlichkeiten.

2. Schulgewalt und Bullying
31
In diesem Sinne kann man eigentlich auch nicht von ,,Ursachen" an sich sprechen
(vgl. Scheithauer et al., 2003, S.71).
Im Bezug auf menschliches Verhalten kommt Laura Baker (2002) nach der
Zusammenfassung der wichtigsten internationalen verhaltensgenetischen Studien
zu dem Ergebnis, dass
antisoziales Verhalten und Aggression beim Menschen ,,eindeutig sowohl
auf Anlage als auch auf Umwelt zurückzuführen (sind). (...) Zudem
scheinen die Umweltfaktoren selbst den Grad des genetischen Einflusses
zu modifizieren" (ebd. S.751). [...] Im Übrigen wird durch eine
Dichotomisierung dieser Begriffe [Anlage vs. Umwelt] ein dritter Faktor
ausgeblendet, der bei Heranwachsenden im Zuge ihrer Entwicklung immer
bedeutsamer wird: die Selbstkompetenz. (Melzer et al., 2004, S.19)
Es ist also von einer einfachen, kausalen und linear bedingten, Wirkungsannahme
abzusehen und stattdessen von multikausalen Einflüssen, d.h. einem
,,Zusammenfließen mehrerer Einflussfaktoren" (Melzer et al., 2004, S.18), die in
wechselseitiger Beeinflussung stehen, auszugehen. ,,Gewaltkarrieren sind
hochkompliziert. Um sie zu verstehen, müssen wir biologische Dispositionen,
psychologische, situative und soziale Faktoren zusammenbringen" (Lösel, F.,
zitiert nach Possemeyer, 2004). Mit zunehmenden Erfolgen und Fortschritten der
Forschung erweitert sich auch das Verständnis von Gewalt und Bullying.
Betrachtet man subjektive Einschätzungen zu Ursachen von Schulgewalt so zeigt
sich, dass befragte Erwachsene die Ursachen für Gewalt in der Schule und den
gesellschaftlichen Verhältnissen (z.B. Medien, Wertewandel, familiäre und
soziale Probleme) sehen. Schüler dagegen betonen Aspekte wie ,,Suche nach
Anerkennung", ,,Ärger und Kummer zuhause", ,,Feindseligkeit gegenüber
Ausländern" und ,,Freude an der Gewalt" (vgl. Feltes, 2003).
In den vergangenen Jahren konnten nun vor allem die in Abbildung 2
dargestellten Faktoren für gewalttätiges Verhalten herausgearbeitet werden (vgl.
z.B. R.S. Jäger, 1999, S.239; T. Jäger, 2002).

2. Schulgewalt und Bullying
32
Abbildung 2: Einflussfaktoren für aggressives und gewalttätiges Verhalten
Bedeutsam ist hierbei, vor allem mit Blick auf gewaltpräventive Maßnahmen,
dass für alle ,,Risikobereiche gilt, dass eine entsprechende gegenteilige
Ausprägung als potentieller Schutzfaktor geltend gemacht werden kann" (Melzer
et al., 2004, S.84). Eine gute Übersicht zu weiteren risikomildernden Faktoren
findet sich z.B. bei Scheithauer et al. (2003, S.87).
Im Folgenden wird nun konkreter auf die einzelnen Faktoren eingegangen und ein
Überblick über empirische Fakten gegeben. Dabei geht es überwiegend um
Bedingungen, die die Wahrscheinlichkeit für Gewaltverhalten erhöhen. Weiterhin
gibt es natürlich auch eine ganze Reihe von Faktoren und risikoerhöhenden
Bedingungen in allen genannten Bereichen, die eine Opferrolle begünstigen.
Ausführungen dazu finden sich z.B. bei Scheithauer et al. (2003) oder Olweus
(2002). Aus Platzgründen wird im Rahmen dieser Arbeit auf diese nicht weiter
eingegangen und der Schwerpunkt vornehmlich auf die Täterrolle gelegt.
Familie:
Ein erster bedeutsamer Faktor für aggressives Schülerverhalten ist das
,,Familienklima" (vgl. Melzer et al., 2004, S.132). ,,Dass eine problematische
Familiensozialisation einen Risikofaktor für abweichendes Verhalten und eine
gelingende primäre Sozialisation einen protektiven Faktor darstellt, wird in vielen
Studien nicht nur behauptet, sondern auch empirisch zweifelsfrei belegt" (Melzer
et al., 2004, S.128). Die familiale Sozialisationserfahrung ist zwar nicht die
GEWALT
Familie
Schule
Freizeit
Persönlichkeit
Gesellschaft

2. Schulgewalt und Bullying
33
wichtigste, im Kontext eines umfassenden Modells aber, eine wichtige
Erklärungsvariable (vgl. Melzer et al., 2004, S.130). Von Melzer et al. (2004), in
Bezugnahme auf Olweus (1997), werden deutlich als Einflüsse des
Familienkontextes mit großer Relevanz betont: ,,[D]ie emotionale Beziehung zur
ersten Bezugsperson während der frühen Kindheit, das billigende Verhalten der
Erziehungsberechtigten bei Aggressionen der Kinder gegenüber Geschwistern,
anderen Kindern oder Erwachsenen und die ,Anwendung von machtbetonten
Erziehungsmethoden [...]'(Olweus 1997, S.290)" (Melzer et al., 2004, S.130; vgl.
Klewin et al., 2002; Schäfer & Korn, 2001; Schubarth, 2000).
Nach Schubarth (2000) erweist sich im Bereich der Familie vor allem ein
restriktiver Erziehungsstil als besonderer Risikofaktor. Dieser ist vermehrt in
einfachen sozialen Schichten vorzufinden (vgl. S.96). Vor allem Jugendliche, die
von ihren Eltern als Kind geschlagen oder misshandelt wurden, sind mit größerer
Wahrscheinlichkeit gewalttätig als andere (Pfeiffer & Wetzels, 1999, S.12; vgl. T.
Jäger, 2002; Possemeyer, 2004). Gewalterfahrungen der Kinder und Jugendlichen
im Elternhaus können sowohl am eigenen Leib, als auch durch Beobachten von
erwachsenen Vorbildern gemacht werden (vgl. Schäfer & Korn, 2001).
Das bedeutet [im Umkehrschluss], dass Kinder, die sich zu Hause wohl
fühlen, die der Unterstützung durch die Eltern gewiss sind, die in einem
,,Verhandlungshaushalt" leben und ihre Kinder ebenso erziehen würden,
wie ihre Eltern sie erzogen haben, im Durchschnitt ein positiveres
Sozialverhalten zeigen und letztlich auch einen besseren Schulerfolg für
sich verbuchen können [...]. Unsere Studien zeigen, dass durch den
Familienkontext insbesondere personale Faktoren wie ,,Selbstkonzept" und
,,Aggressionsbereitschaft" beeinflusst werden und diese wiederum das
soziale Verhalten - auch in außerfamilialen Kommunikationssituationen -
steuern. (Melzer et al., 2004, S.133)
Familie stellt also, zusammenfassend betrachtet, einen nachweisbaren
Einflussfaktor für aggressives Schülerverhalten dar. Die Zusammenhänge
zwischen Familiensituation und Gewalthandeln sind jedoch komplex. Ein
,,bestimmtes Verhalten der Eltern, das auf den ersten Blick als absichtsvoll und

2. Schulgewalt und Bullying
34
schädigend erscheint, [mag] eine vielleicht hilflose Reaktion der Eltern" (Melzer
et al., 2004, S.137) darstellen. Bedingt durch gesellschaftlichen strukturellen
Wandel ist in einer großen Zahl von Familien heute ,,eine zuverlässige physische,
psychische und soziale Pflege der Kinder mit einem stabilen emotionalen Kontakt
und einer umfassenden Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse ohne zuverlässige
Hilfe von außen nicht sicher gewährleistet" (Hurrelmann, 1999, S.18). Diese fehlt
häufig, da die Kinderbetreuung in unserem Kulturraum weitgehend auf die ,,weit
zurückgedrängte ,Hausfrauen-Familie' abgestellt ist" (Hurrelmann, 1999, S.18).
Schule:
Für viele Kinder und Jugendliche in unserer Gesellschaft spielt die Schule eine
wesentliche Rolle in ihrem Alltags- und Sozialleben (vgl. Feltes, 2003). ,,Durch
Schulzeitverlängerung und Qualifikationssteigerung ist die Schule zunehmend zu
einem zentralen Lebensfeld junger Menschen geworden, in dem sie große Teile
des Tages verbringen" (Hurrelmann, 1999, S.15; vgl. Scheithauer et al., 2003).
Gewalt schwappt nicht einfach nur von außen in die Schule hinein, sondern die
Schule trägt auch mit durch ihre innere Ausgestaltung zur Entstehung
entsprechender schädlicher Handlungsformen dazu bei (vgl. Melzer et al., 2004,
S.148).
Gliedern lassen sich die schulspezifischen Einflussbereiche folgendermaßen (vgl.
Scheithauer et al., 2003, S.84):
1.
Strukturell organisatorische Rahmenbedingungen, wie Schulgröße, -form,
-standort, Räumlichkeiten oder Merkmale von Schülergruppe und
Lehrerkollegium,
2.
Aspekte der Lernkultur, wie curriculare Strukturen oder die herrschende
didaktisch-methodische Qualität,
3.
Kennzeichen des Schulklimas als Faktoren schulischer Umwelt (z.B.
Erwartungsmuster, Interaktionsstile, Beziehungsstrukturen) und Marker
schulspezifischer Atmosphäre mit einem hohen Maß an Gestaltung- und
Identifikationspotential (Wir-Gefühl).
Schubarth (2000) verweist betreffend schulischer Bedingungen und Faktoren
insbesondere auf den großen Einfluß, den ,,Schul- und Lernkultur auf das

2. Schulgewalt und Bullying
35
Gewaltniveau haben. Relevante Einflußfaktoren sind dabei vor allem die
Lehrerprofessionalität, das Lehrer-Schüler-Verhältnis, die Möglichkeiten zur
Partizipation an Schulen, ein schülerorientierter Unterricht und
außerunterrichtliche Angebote" (S.98). Melzer et al. (2004) betonen von den
verschiedenen Aspekten der Schulkultur die Lehrerprofessionalität als den, mit
Abstand, wichtigsten (vgl. Melzer et al., 2004, S.151). Es ist belegt, dass es ,,einen
gesicherten Zusammenhang zwischen aggressivem Lehrerverhalten und durch
Schüler verübte Gewalt gibt" (Melzer et al., 2004, S.148). ,,Sowohl abwertendes
als auch etikettierendes Lehrerhandeln, z.B. Blamieren eines Schülers vor der
Klasse oder pauschale Verdächtigungen auffälliger Schüler, wirken verstärkend
auf Gewalt" (Melzer et al., 2004, S.146). Weitere Faktoren, welche eng mit
Gewaltverhalten zusammenhängen sind z.B. fehlende Anerkennung bei
Mitschülern oder scharfe Konkurrenz zwischen Heranwachsenden (vgl. Klewin et
al., 2002, S.1095). Von Schäfer & Korn (2001) werden zudem als potentielle
Ursachen für Gewalt folgende weitere innerschulische Faktoren aufgeführt:
·
,,pädagogische Qualität der innerschulischen Lern- und
Erziehungsumwelt",
·
,,schwindende Erziehungskompetenz der Lehrer",
·
,,zu starke Betonung von Aspekten der Wissensvermittlung bei
Vernachlässigen einer werteorientierten Bildung, dadurch schlechtes
Lehrer-Schüler-Verhältnis",
·
,,Lehrer sind dem Phänomen ,Gewalt zwischen Schülern' nicht
gewachsen".
,,Ist eine Schule ausschließlich auf Qualifikation, Selektion und bildungsmäßige
Integration der Schüler ausgerichtet und ,vergisst' dabei die Förderung sozialer
Verhaltensweisen bewusst oder unbewusst, dann spielt sie eine wesentliche Rolle
im Kriminalisierungs- und Deklassierungsprozess von Kindern und Jugendlichen"
(Feltes, 2003). Durch hohen Leistungsdruck kommt ,,Existenzangst [...] bei
Schülern zum Vorschein, verbunden mit egoistischen Erfolgsperspektiven, einem
praktizierten ,Recht des Stärkeren', negativem Sozialklima, Frustrationen und
Aggressionen. Wo keine Zukunftsperspektive ersichtlich ist, verfallen Schüler in
Lethargie, Desinteresse, Aggression" (Feltes, 2003; vgl. Schubarth, 2000).

2. Schulgewalt und Bullying
36
Dementsprechend erweist sich ein gutes Schulklima auch als bedeutungsvolle
Größe für ein gesundes Aufwachsen (vgl. Feltes, 2003). Wobei hier immer die
jeweils subjektive Wahrnehmung der Situation durch die Betroffenen
entscheidend ist. ,,In den Klassen, in denen weniger Gewalt vorkommt, ist die
Lehrerprofessionalität hoch, das Klassengefüge intakt, es bestehen
überdurchschnittliche Beteiligungsmöglichkeiten für die Schüler, die
Schülerbefindlichkeit ist positiv, d.h. die Schüler haben weniger Leistungsangst
und gehen gern zur Schule" (Melzer et al., 2004, S.145f.). ,,Eine dem Schüler
zugewandte Unterrichtskultur in Verbindung mit einem guten
Unterstützungssystem führt über vermehrte Schulfreude und Motivation bzw. ein
gestärktes Selbstkonzept zu weniger psychosomatischen Beschwerden und zu
einer Verminderung abweichender Verhaltensweisen" (Melzer et al., 2004,
S.146). Aus diesem Grund besteht letztendlich auch ein enger Zusammenhang
zwischen Gewaltprävention und der Schulqualität bzw. Schulentwicklung (vgl.
Schubarth, 2000, S.116). Die Schule kann zwar ,,dämpfend" und ,,abfedernd" auf
Gewalt wirken kann - ihr Einfluß ist jedoch begrenzt (vgl. Schubarth, 2000, S.99).
Gewalt ist letztendlich eine ,,soziale Krankheit" der ganzen Gesellschaft und darf
deshalb nicht isoliert auf eine einzelne Institution, wie z.B. die Schule,
zurückgeführt werden (vgl. Hurrelmann, 1999, S.11).
Nach Feltes (2003) verstärkt Schule weiterhin indirekt bestehende soziale
Benachteiligungen, da ,,die Art der Schullaufbahn und der Schulerfolg stark von
der Sozialschicht der Eltern abhängen [...]. Sie erzeugt und verfestigt
abweichendes Verhalten, indem sie Aufstiegs- und Qualifikationschancen
beschneidet" (S.13). Relevant ist hier also auch der ,,familiale und ökonomisch-
sozialstrukturelle Kontext" (Hurrelmann, 1999, S.13) als Ausgangspunkt für
Gewalt bei Schülern. Die vor allem auf den Haupt- und Sonderschulen zu
findende und immer dichter werdende Konzentration von Kindern aus
problematischen sozialen Verhältnissen z.B. ,,hat dort zu einer massiven
Ankurbelung der Gewaltspirale geführt" (Tillmann, K.J., zitiert nach Possemeyer,
2004; vgl. auch Kapitel 2.2 der vorliegenden Arbeit).

2. Schulgewalt und Bullying
37
Freizeit:
Hier sind vor allem zwei Einflussbereiche aufzuführen: den der Medien und den
der Peer-Group (vgl. z.B. Funk & Passenberger, 2004; Klewin et al., 2002,
S.1095).
Zunächst zu den Medien, deren Einfluß oft als ein wichtiger außerschulischer
Risikofaktor herausgestellt wird (vgl. Schubarth, 2000, S.97). Die Medien sind
mittlerweile zu einem wichtigen Bestandteil unseres Lebens geworden. Es besteht
sogar die Annahme, dass ,,der Einfluss von Eltern und Lehrern in vielen
Alltagssituationen ab[nimmt], weil die Kinder ihre Deutungs- und
Handlungsmuster vermehrt u.a. durch den Medienkonsum entwickeln" (Melzer et
al., 2004, S.141). Hinsichtlich Gewalt lassen die Befunde nach Melzer et al.
(2004, S.143) zwei Interpretationen zu:
1.
,,Ein problematischer Medienkonsum trägt zu einer Erhöhung des
Aggressionspotentials bei, evtl. dadurch, dass die Hemmschwelle für die
eigene Gewaltanwendung gesenkt wird"
2.
,,Kinder und Jugendliche, die aus anderen Gründen aggressiver und
gewalttätiger sind, haben eine stärkere Neigung zum Konsum von
Gewaltfilmen".
Wie man aus medienpsychologischer Forschung weiß, wirkt sich gehäufter
Gewaltkonsum weniger direkt, vielmehr indirekt aus. Die
Wirkungswahrscheinlichkeit ist dabei umso größer, je weniger konkrete
Erfahrungen in der entsprechenden Alltagssituation vorliegen. Entsprechend
besteht ein negatives Wirkungsrisiko insbesondere für jüngere Kinder. Das
Betrachten bleibt zwar für viele Zuschauer folgenlos, für entsprechend
vorbelastete Gruppen aber eben nicht. Entscheidend sind also mitunter die
weiteren gesellschaftlichen Randbedingungen und Variabeln zur Persönlichkeit,
Lebenskontext, Entwicklungsstand, Basis- und Medienkompetenz, usw. (vgl.
Gleich, 2004; Kunczik, 1998; Merten, 1999). ,,[V]ieles deutet tatsächlich darauf
hin, dass nicht die Medien die entscheidenden Signale setzen, sondern das
unmittelbare Umfeld" (Feltes, 2003).

2. Schulgewalt und Bullying
38
,,Auf die große Rolle der Freizeitgruppen und gruppendynamischer Prozesse bei
der Anbahnung von Gewalttaten wird ebenfalls in verschiedenen Studien
hingewiesen" (Schubarth, 2000, S.94; vgl. T. Jäger, 2002; Pfeiffer & Wetzels,
1999). Da sich vor allem aggressive Werthaltungen der Peer-Gruppe als
gewaltbegünstigend erweisen (vgl. Schubarth, 2000, S.97), ist ,,[n]icht die
Gruppenzugehörigkeit an sich [...] gewaltfördernd, sondern die Zugehörigkeit zu
aggressiven und intoleranten Gruppen. Als Gegenstück zur Isolation senkt die
Gruppenzugehörigkeit die Wahrscheinlichkeit der Viktimisierung bei den
personenbezogenen Angriffen" (Melzer et al., 2004, S.140).
Erstens haben die Täter-Opfer-Analysen ergeben, dass Isolation und
fehlende soziale Einbindung in den Klassenverband und die
Gleichaltrigengruppe charakteristische Merkmale für den Opferstatus sind.
Zweitens können die Taten von Einzelnen oder Gruppen im schulischen
und außerschulischen Raum verübt werden, wobei die Gewaltorientierung
der Gleichaltrigen ein Verstärkungsfaktor sein kann. Drittens stellt u.U.
auch die Binnenstruktur einer Gruppe (z.B. eine von Intoleranz geprägte
Interaktion) im Sinne der Autoritarismus-Hypothese einen Risikofaktor für
Gewalthandeln dar. (Melzer et al., 2004, S.138f.)
Die Aggressivität der Gruppe scheint somit auch weniger primäre Ursache als
vielmehr ein Verstärkungsfaktor zu sein (vgl. Melzer et al., 2004, S.140). Melzer
et al. (2004) betonen weiterhin die Rolle von Drogen im Zusammenhang mit
Peers. Abweichendes Verhalten in seinen verschiedenen Formen lässt sich als
,,Ausdruck fehlgeleiteten Bewältigungshandelns [verstehen], das in der Regel
durch individuelle Überforderung und mangelnde Unterstützung entsteht; es kann
,nach innen' (z.B. psychische und mentale Probleme) und ,nach außen' (z.B.
aggressives Verhalten) oder ,ausweichend' (z.B. durch Drogenkonsum) gerichtet
werden" (S.144).
Gesellschaft:
Nach Erkenntnissen kriminologischer Forschung erhöht sich ,,das Risiko der
Entstehung von Jugendgewalt drastisch [...], wenn zwei von den folgenden drei
Faktoren zusammentreffen: die Erfahrung innerfamiliärer Gewalt, gravierende

2. Schulgewalt und Bullying
39
soziale Benachteiligung der Familie und schlechte Zukunftschancen des
Jugendlichen" (Schubarth, 2000, S.102; vgl. Pfeiffer & Wetzels, 1999). Da
Kriminalität generell mit sozialökonomischen Bedingungen korreliert, ist es keine
Überraschung, dass Jugendgewalt ebenso mit diesen verbunden ist. In den meisten
europäischen Studien steht ein Anstieg der Jugendgewaltrate in engem
Zusammenhang mit einer steigenden Arbeitslosigkeit und Armutsrate. Dennoch
sind Faktoren wie die soziale Integration und der sozialökonomische Status
natürlich keine alleinigen Ursachen für das Eingebundensein des Einzelnen in
Gewalttaten. Eine größere Gemeinsamkeit unter den Beteiligten zeigt sich immer
noch z.B. in der Alltäglichkeit von Gewalt in der Herkunftsfamilie (vgl. Pfeiffer,
1998, S.2; Schubarth, 2000). ,,Die bloße Schichtzugehörigkeit als
Individualmerkmal lässt keine Prognosen für Gewaltverhalten zu; Effekte treten
erst in Verbindung von Sozialstruktur und entsprechenden
Sozialisationserfahrungen mit schulischen Selektions- und
Differenzierungsprozessen auf" (Melzer et al., 2004, S.150).
,,Neben - und im Zusammenhang mit - Veränderungen in den verschiedenen
Feldern der Sozialisation werden als mögliche Ursachenfaktoren [für
Schulgewalt] in vielen Studien auch gesamtgesellschaftliche Wandlungsprozesse
angeführt [...] wobei die Wahrnehmung, Interpretation und subjektive Bewertung
der eigenen Lebenssituation wichtige moderierende Faktoren darstellen"
(Schubarth, 2000, S.101). ,,Gesamtgesellschaftliche Wandlungsprozesse" meint in
diesem Bezug z.B.: eine Zunahme von Konkurrenzbeziehungen,
Verunsicherungen des Einzelnen durch Individualisierungsprozesse,
Desorientierung und Desintegration durch Wertepluralität, Auseinanderdriften
zwischen Anspruch und Realität der Lebensgestaltung etc. (vgl. Schubarth, 2000,
S.101).
Persönlichkeit:
Eine weitere wichtige Rolle hinsichtlich risikoerhöhender Bedingungen spielen
Persönlichkeitsmerkmale wie z.B. Aggessionsbereitschaft, Stimulationsbedarf
oder Gewissenhaftigkeit. Solche personalen Merkmale stehen mit anderen
Einflüssen, wie z.B. familialer oder schulischer Erziehung, in engem
wechselseitigem Verhältnis (vgl. Schubarth, 2000, S.97). Zentral ist hier jeweils

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2005
ISBN (eBook)
9783956360169
ISBN (Paperback)
9783832496289
Dateigröße
1.2 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Koblenz-Landau – Erziehungswissenschaften, Erziehungswissenschaft
Erscheinungsdatum
2006 (Juni)
Note
2,0
Schlagworte
gewalt gewaltprävention onlinemedien medien mobbing
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Titel: Schulgewalt, Bullying und Internet
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