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Maßgeschneiderte betriebliche Gesundheitsförderung

Zur praktischen Umsetzung durch Krankenkassen und Unternehmen

©2006 Masterarbeit 102 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Zusammenfassung:
Eine gesunde Volkswirtschaft setzt gesunde Unternehmen voraus. Ein Unternehmen wiederum steht und fällt mit der Gesundheit, d.h. der Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft seines wichtigsten Wertschöpfungsfaktors – dem Mitarbeiter.
Direkt sichtbare oder auch unsichtbare Fehlzeiten durch vorübergehende Ausfälle oder chronische Dauererkrankungen, hohe Fluktuation, geringe Motivation, geringe Kreativität und Dienstleistungsqualität, fehlende emotionale Bindung an das Unternehmen oder innere Kündigung schwächen nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit und den Bestand eines Unternehmens am Markt, sondern belasten die Volkswirtschaft und das Gesundheitssystem insgesamt.
So gehen Modellrechnungen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz aus dem Jahr 1998 davon aus, dass allein in Deutschland die von den Unternehmen für erkrankte Mitarbeiter direkt aufgewendeten Kosten etwa 28,4 Milliarden Euro pro Jahr betragen. Der Schaden durch direkten krankheitsbedingten Produktionsausfall wird auf etwa 45 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt.
Der gesamtwirtschaftliche Schaden, u.a. aufgrund hoher Fehlzeiten, geringer Motivation, Produktivität etc. beläuft sich für das Bundesgebiet auf eine geschätzte Summe zwischen 234 und 245 Milliarden Euro pro Jahr. Maßgeschneiderte Interventionen zur Betrieblichen Gesundheitsförderung unterstützen Unternehmen dabei, die Gesundheit, d.h. Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft ihrer Mitarbeiter zu fördern und zu erhalten, direkte und indirekte Fehlzeiten und somit Krankheitskosten zu senken. Auf bisher noch nicht ausgeschöpftes Präventionspotenzial weisen dabei u.a. Heuchert et al. (1996) hin.
„Die Krankenkasse soll in der Satzung Leistungen zur primären Prävention vorsehen“ (§ 20 SGB V Abs. 1). „Die Krankenkassen können den Arbeitsschutz ergänzende Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung durchführen“ (§ 20 SGB V Abs. 2).
So lautet der gesetzliche Auftrag der Krankenkassen im Rahmen des Sozialgesetzbuches § 20 SGB V, der gleichzeitig ein hohes Potenzial für Unternehmen beinhaltet, maßgeschneiderte Interventionen zur Betrieblichen Gesundheitsförderung mit fachlicher und finanzieller Unterstützung der Krankenkassen in Anspruch zu nehmen und umzusetzen.
Gemäß einer Studie des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziales (BMGS) wurden im Jahr 2002 von den Krankenkassen etwa 45% des gesetzlich vorgesehenen Budgets für Gesundheitsförderung aufgewendet. Die im Jahr 2002 vorgesehene […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 9525
Joder, Karin: Maßgeschneiderte betriebliche Gesundheitsförderung -
Zur praktischen Umsetzung durch Krankenkassen und Unternehmen
Druck Diplomica GmbH, Hamburg, 2006
Zugl.: Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, MA-Thesis / Master, 2006
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2006
Printed in Germany


1
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
1
Abbildungsverzeichnis
4
Tabellenverzeichnis
4
Einleitung
5
Theoretischer Hintergrund
1.
Grundlagen der Betrieblichen Gesundheitsförderung
8
1.1
Bedeutung der Betrieblichen Gesundheitsförderung
8
1.2
Veränderungen der Arbeitsbedingungen
9
1.3
Betriebswirtschaftlicher Aspekt
9
1.4
Volks- und weltwirtschaftlicher Aspekt
12
2.
Rechtliche Rahmenbedingungen der Betrieblichen Gesundheitsförderung 12
2.1
Präventionsorientierte Regelungen im § 20 SGB V
13
2.2
Prävention als gesetzlicher Auftrag und Aufgabe der Krankenkassen 13
2.3
Entwicklung des § 20 SGB V im Zeitverlauf
14
2.3.1
Gesundheitsförderung nach dem Gesundheitsreform-Gesetz 1989-1996 14
2.3.2
Einschränkungen durch das Beitragsentlastungsgesetz 1997-1999
15
2.3.3
Modifizierter Neuanfang ab 2000 durch die GKV-Gesundheitsreform
15
2.4
Freie Wahl der Krankenkassen
16
2.5
Gemeinsame Handlungsfelder der Krankenkassen
16
2.6
Bisherige Umsetzung des § 20 SGB V
17
3.
Präzisierung der Fragestellung
18
Empirischer Teil
4.
Untersuchungsmethoden
19
4.1
Untersuchungsrelevanz
19
4.2
Untersuchungsinstrument
20
4.3
Untersuchungsmaterial
21
4.3.1
Aufbau des Interviewleitfadens
21
4.3.2
Ziele der konkreten Fragestellungen des Interviewleitfadens
22
4.3.2.1 Übereinstimmende Fragestellungen für Krankenkassen und Unternehmen 22
4.3.2.2 Davon abweichende Fragestellungen für Unternehmen
25

2
4.4
Auswahl des Untersuchungskollektivs
26
4.5
Planung der Untersuchung
27
4.6
Durchführung der Untersuchung
27
4.7
Aufarbeitung, Analyse und Darstellung der Daten
28
5.
Darstellung der Ergebnisse
30
5.1
Krankenkassen
30
5.1.1
Zuständigkeiten
30
5.1.2
Bedeutung und Stellenwert der Betrieblichen Gesundheitsförderung
31
5.1.3
Entwicklung der Betrieblichen Gesundheitsförderung seit 2000
33
5.1.4
Kooperation mit Beteiligten
34
5.1.5
Möglichkeiten für Unternehmen
37
5.1.6
Praktische Umsetzung der Betrieblichen Gesundheitsförderung
41
5.1.7
Für BGF hinderliche Faktoren aus Sicht der Krankenkassen
43
5.1.8
Für BGF förderliche Faktoren aus Sicht der Krankenkassen
46
5.1.9
Bedarf für die Zukunft aus Sicht der Krankenkassen
49
5.2
Unternehmen
50
5.2.1
Zuständigkeiten
50
5.2.2
Bedeutung und Stellenwert der Betrieblichen Gesundheitsförderung
51
5.2.3
Entwicklung der Betrieblichen Gesundheitsförderung seit 2000
53
5.2.4
Kooperation mit Beteiligten
55
5.2.5
Information über die Möglichkeiten des § 20 SGB V
56
5.2.6
Praktische Umsetzung der Betrieblichen Gesundheitsförderung
57
5.2.7
Für BGF hinderliche Faktoren aus Sicht der Unternehmen
60
5.2.8
Für BGF förderliche Faktoren aus Sicht der Unternehmen
62
5.2.9
Bedarf für die Zukunft aus Sicht der Unternehmen
65
Schlussfolgernder Teil
6.
Diskussion
67
6.1
Interpretation der Ergebnisse
67
6.1.1
Bedeutung und Stellenwert der Betrieblichen Gesundheitsförderung
67
6.1.2
Entwicklung der Betrieblichen Gesundheitsförderung seit 2000
69
6.1.3
Kooperation mit Beteiligten
69
6.1.4
Möglichkeiten des § 20 SGB V
71
6.1.5
Information über die Möglichkeiten des § 20 SGB V
71
6.1.6
Praktische Umsetzung der Betrieblichen Gesundheitsförderung
72
6.1.7
Für BGF förderliche Faktoren
73

3
6.1.8
Bedarf für die Zukunft
75
6.2
Handlungsempfehlungen für die Praxis
75
6.2.1
Zuständigkeiten
75
6.2.2
Bedeutung und Stellenwert der Betrieblichen Gesundheitsförderung
75
6.2.3
Begrifflichkeit und Definition der Betrieblichen Gesundheitsförderung 76
6.2.4
Management
76
6.2.5
Ressourcen
76
6.2.6
Entwicklung der Betrieblichen Gesundheitsförderung
76
6.2.7
Kooperation mit Beteiligten
77
6.2.8
Gesetzliche Rahmenbedingungen
77
6.2.9
Praktische Umsetzung der Betrieblichen Gesundheitsförderung
78
6.2.10 Bedarf für die Zukunft
79
6.3
Einordnung in den aktuellen Forschungskontext
80
6.4
Weiterführende Untersuchungsempfehlungen
80
6.5
Gesamteinschätzung
80
6.6
Ausblick
81
7.
Zusammenfassung
82
8.
Literaturverzeichnis
86
9.
Eidesstattliche Erklärung
89
10.
Anhangsverzeichnis
90
Anhang

4
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1
An BGF beteiligte Faktoren
74
Tabellenverzeichnis
Tab. 1
Nutzen der BGF
11
Tab. 2
Kernmotivationen für BGF aus Sicht der Krankenkassen
32
Tab. 3
Möglichkeiten zur Umsetzung kasseninitiierter BGF
38
Tab. 4
Für BGF hinderliche Faktoren aus Sicht der Krankenkassen
44
Tab. 5
Für BGF förderliche Faktoren aus Sicht der Krankenkassen
46
Tab. 6
Bedarf für neue Konzepte aus Sicht der Krankenkassen
49
Tab. 7
Kernmotivationen für BGF aus Sicht der Unternehmen
52
Tab. 8
Von Unternehmen umgesetzte Maßnahmen innerhalb der
Handlungsfelder der Krankenkassen
53
Tab. 9
Von Unternehmen umgesetzte Maßnahmen außerhalb der
Handlungsfelder der Krankenkassen
54
Tab. 10
Angebote von Krankenkassen an Unternehmen
(aus Unternehmenssicht)
57
Tab. 11
Für BGF hinderliche Faktoren aus Sicht der Unternehmen
60
Tab. 12
Für BGF förderliche Faktoren aus Sicht der Unternehmen
63
Tab. 13
Bedarf für neue Konzepte aus Sicht der Unternehmen
65
Tab. 14
Bedarf für neue Konzepte aus Sicht der Krankenkassen und
Unternehmen
79

5
Einleitung
Eine gesunde Volkswirtschaft setzt gesunde Unternehmen voraus. Ein Unternehmen
wiederum steht und fällt mit der Gesundheit, d.h. der Leistungsfähigkeit und
Leistungsbereitschaft seines wichtigsten Wertschöpfungsfaktors ­ dem Mitarbeiter.
Direkt sichtbare oder auch unsichtbare Fehlzeiten durch vorübergehende Ausfälle oder
chronische Dauererkrankungen, hohe Fluktuation, geringe Motivation, geringe
Kreativität und Dienstleistungsqualität, fehlende emotionale Bindung an das
Unternehmen oder innere Kündigung schwächen nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit
und den Bestand eines Unternehmens am Markt, sondern belasten die Volkswirtschaft
und das Gesundheitssystem insgesamt.
So gehen Modellrechnungen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz aus dem Jahr 1998
davon aus, dass allein in Deutschland die von den Unternehmen für erkrankte
Mitarbeiter direkt aufgewendeten Kosten etwa 28,4 Milliarden Euro pro Jahr betragen
(Friedel et al., 2002, S. 34 ff.). Der Schaden durch direkten krankheitsbedingten
Produktionsausfall wird auf etwa 45 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt (Kuhn, 1996, S.
131 ff.).
Der gesamtwirtschaftliche Schaden, u.a. aufgrund hoher Fehlzeiten, geringer
Motivation, Produktivität etc. beläuft sich für das Bundesgebiet auf eine geschätzte
Summe zwischen 234 und 245 Milliarden Euro pro Jahr (Gallup, 2004).
Maßgeschneiderte Interventionen zur Betrieblichen Gesundheitsförderung unterstützen
Unternehmen dabei, die Gesundheit, d.h. Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft
ihrer Mitarbeiter zu fördern und zu erhalten, direkte und indirekte Fehlzeiten und somit
Krankheitskosten zu senken (vgl. u.a. Badura, 1999, Bamberg et al., 1998)
.
Auf bisher
noch nicht ausgeschöpftes Präventionspotenzial weisen dabei u.a. Heuchert et al.
(1996) hin.
,,Die Krankenkasse soll in der Satzung Leistungen zur primären Prävention vorsehen"
(§ 20 SGB V Abs. 1). ,,Die Krankenkassen können den Arbeitsschutz ergänzende
Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung durchführen" (§ 20 SGB V Abs.
2).
So lautet der gesetzliche Auftrag der Krankenkassen im Rahmen des Sozialgesetzbu-
ches § 20 SGB V, der gleichzeitig ein hohes Potenzial für Unternehmen beinhaltet,

6
maßgeschneiderte Interventionen zur Betrieblichen Gesundheitsförderung mit
fachlicher und finanzieller Unterstützung der Krankenkassen in Anspruch zu nehmen
und umzusetzen.
Gemäß einer Studie des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziales (BMGS)
wurden im Jahr 2002 von den Krankenkassen etwa 45% des gesetzlich vorgesehenen
Budgets für Gesundheitsförderung aufgewendet. Die im Jahr 2002 vorgesehene
Richtgröße belief sich dabei auf 2,56 pro Jahr pro Versichertem, umgesetzt wurden
gemäß der Studie 1,19 pro Versichertem im Jahr 2002 (BMGS, 2003). Aktuelle
Daten aus dem Jahr 2005 wurden noch nicht veröffentlicht.
Zwar hat sich die Betriebliche Gesundheitsförderung in den letzten drei Jahren weiter
entwickelt, jedoch wird davon ausgegangen, dass das im § 20 SGB V liegende
Gesundheitspotenzial sowohl von Unternehmen als auch von den Krankenkassen
aktuell noch nicht in vollem Umfang ausgeschöpft wird.
,,Auf den ersten Blick scheint das Thema eher unwichtig... Auf den zweiten Blick lohnt
es sich trotz dieses vergleichsweise geringen Umfangs der Ausgaben..., das Thema
,,Prävention durch GKV" mit besonderer Aufmerksamkeit zu beobachten und zu
gestalten. Warum? Das lohnt sich, weil mit dem § 20 SGB V ein zwar sehr, sehr
zaghafter, aber eben erster und richtiger Schritt in jene Richtung getan ist, in der sich
Erfolg oder Misserfolg einer künftigen ,,Gesundheits"-Politik, die diesen Namen
verdient, entscheiden werden. Der Weg von 1.000 Meilen beginnt mit einem ersten
Schritt" (Rosenbrock, 2001).
Ziel der vorliegenden Masterarbeit ist daher, im Rahmen einer Standortbestimmung
einen Einblick in die aktuelle Umsetzung und bisherige Entwicklung der Betrieblichen
Gesundheitsförderung zu erhalten und für die praktische Umsetzung förderliche wie
hinderliche Faktoren herauszufinden. Dabei sollen die Perspektiven sowohl von
Unternehmen als auch von Krankenkassen erfasst und vergleichend gegenübergestellt
werden.
Weiteres Ziel der Studie ist, herauszufinden, in welchem Ausmaß die Möglichkeiten der
kasseninitiierten Betrieblichen Gesundheitsförderung den Unternehmen bekannt sind,
in Anspruch genommen werden und ob die aktuell verfügbaren Präventionsangebote
den tatsächlichen Bedarf aktuell sowie für die Zukunft abbilden.

7
Daraus sollen konkrete Handlungsempfehlungen für eine weitere positive Entwicklung
der Betrieblichen Gesundheitsförderung in der Zukunft abgeleitet werden.
Da es sich bei dieser Studie um eine praxisorientierte empirische Arbeit handelt, wird
der theoretische Hintergrund nur kurz skizziert.
Im theoretischen Teil wird kurz auf die Grundlagen und Bedeutung der Betrieblichen
Gesundheitsförderung eingegangen, bevor die präventionsorientierten Regelungen
und Möglichkeiten der kasseninitiierten Betrieblichen Gesundheitsförderung im § 20
SGB V dargestellt werden.
Aus den vorliegenden Daten zur aktuellen Umsetzung werden die Fragestellungen
abgeleitet, die im darauf folgenden empirischen Teil untersucht werden sollen.
Dazu wird zunächst die Methodik und Durchführung der Datenerhebung und -analyse
erläutert. Im Anschluss werden die Ergebnisse der Befragung vorgestellt und diskutiert.
Daraus werden konkrete Handlungsempfehlungen für die weitere positive Entwicklung
und praktische Umsetzung der Betrieblichen Gesundheitsförderung für die Zukunft
abgeleitet.
Zur vereinfachten Lesbarkeit wurde die männliche Form ,,Mitarbeiter", ,,Experten" etc.
gewählt. Diese Form schließt selbstverständlich alle Mitarbeiterinnen, Expertinnen etc.
ein. Darüber hinaus wird der Begriff ,,Betriebliche Gesundheitsförderung" im Folgenden
mehrfach mit ,,BGF" abgekürzt.

8
Theoretischer Hintergrund
1.
Grundlagen der Betrieblichen Gesundheitsförderung
Gesundheitsförderung im Sinne der Ottawa-Charta der Weltgesundheitsorganisation
,,... zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung
über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu
befähigen." (Ottawa-Charta der Weltgesundheitsorganisation, 1986).
,,Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) umfasst alle gemeinsamen Maßnahmen
von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Gesellschaft zur Verbesserung von Gesundheit
und Wohlbefinden am Arbeitsplatz. Dies kann durch eine Verknüpfung folgender
Ansätze erreicht werden: Verbesserung der Arbeitsorganisation und der Arbeitsbedin-
gungen, Förderung einer aktiven Mitarbeiterbeteiligung, Stärkung persönlicher
Kompetenzen." (Luxemburger Deklaration, 1997).
1.1
Bedeutung der Betrieblichen Gesundheitsförderung
Nachdem
eine
Vielzahl
an
epidemiologischen
und
arbeitspsychologischen
Untersuchungen die Bedeutung der Arbeit für die Gesundheit nachgewiesen hat (vgl.
z.B. Greif et al., 1991, Rosenbrock, 1993), ist der BGF ein besonderer Stellenwert
zuzuordnen.
Zu deren Umsetzung lassen sich Prinzipien ableiten, die als handlungsleitende
normative Zielvorstellungen zu verstehen sind und wie folgt zusammengefasst werden
können:
·
,,Einbeziehung der psychosozialen Aspekte der Gesundheit,
·
Identifizierung und Gestaltung der Merkmale der Arbeit, die das Wohlbefinden
und die Handlungsfähigkeit der Beschäftigten erhöhen,
·
Einbeziehung verhaltens- und verhältnisändernder Angebote,
·
breite Adressatengruppe,
·
Langfristigkeit des Konzeptes,
·
direkte
und
indirekte
Mitbestimmung
im
gesamten
Prozess
der
Gesundheitsförderung." (Bamberg et al., 1998, S. 21)

9
1.2
Veränderungen der Arbeitsbedingungen
Durch den dynamischen Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungs- und
Informationsgesellschaft verändert sich die Arbeitswelt: es entstehen neue Märkte,
Branchen sowie Arbeits- und Organisationsformen, die mit starken Veränderungen der
Belastungen und Anforderungen an den arbeitenden Menschen verbunden sind
(Wieland, 2000). Dabei nimmt der Anteil produktionsorientierter Risiken wie z.B.
riskanter physikalischer oder chemischer Bedingungen ab, während im zunehmenden
Dienstleistungs- und Informationssektor vor allem psychische, mentale und soziale
Arbeitsbelastungen ein stärkeres Gewicht erhalten (vgl. u.a. Badura, 1999, Bamberg et
al., 1998, Kaluza, 2004).
Dazu gehören emotionale Belastungen, die z. B. durch ,,emotionale Dissonanz" bei
Darstellung nicht empfundener oder Unterdrückung empfundener Emotionen
entstehen, was vor allem in pflegerischen, sozialen oder kaufmännisch betreuenden
Berufen verlangt wird (Semmer et al., 2001), aber auch soziale Konflikte und
gesundheitliche Risiken durch Bewegungsmangel, Übergewicht, gesundheits-
schädigende Copingstrategien wie z.B. der übermäßige Konsum von Genussmitteln
(z.B. Alkohol, Nikotin oder illegalen Drogen).
Hohe
Anforderungen
an
die
Veränderungen
in
Unternehmensstrukturen,
gekennzeichnet durch Kundenorientierung, flachere Hierarchien, knappe personelle
Ressourcen, verstärkte Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien,
zunehmende Informations- und Arbeitsdichte etc. erfordern flexible, kreative, hoch
gebildete und motivierte Beschäftigte.
In dem Ausmaß, in dem die Anforderungen an Unternehmen im Rahmen des
ökonomischen Kostendrucks und Wettbewerbsdrucks steigen, steigen auch die
Anforderungen an die Mitarbeiter. Um diesen Anforderungen dauerhaft begegnen zu
können, wird die Gesundheit, d.h. die Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft der
Mitarbeiter immer wichtiger (vgl. u.a. Bamberg et al., 1998, Kaluza, 2004).
1.3
Betriebswirtschaftlicher Aspekt
Direkt sichtbare oder auch unsichtbare Fehlzeiten durch vorübergehende Ausfälle oder
chronische Dauererkrankungen, hohe Fluktuation, geringe Motivation, geringe
Kreativität und Dienstleistungsqualität, fehlende emotionale Bindung an das

10
Unternehmen oder innere Kündigung schwächen die Wettbewerbsfähigkeit und den
Bestand eines Unternehmens am Markt.
So gehen Modellrechnungen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz aus dem Jahr 1998
davon aus, dass allein in Deutschland die von den Unternehmen für arbeitsbedingte
Erkrankungen direkt aufgewendeten Kosten etwa 28,4 Milliarden Euro pro Jahr
betragen.
Arbeitsbedingte Erkrankungen sind Gesundheitsstörungen, die ganz oder teilweise
durch die Arbeitsumstände verursacht werden. Darüber hinaus wurde zwischen
körperlichen und psychischen Belastungen unterschieden. Die Summe setzt sich aus
14,9 Milliarden Euro direkten Kosten für die Krankheitsbehandlung und 13,5 Milliarden
Euro indirekten Kosten zusammen. Zu den indirekten Kosten gehört der Verlust an
Erwerbsjahren durch Arbeitsunfähigkeit. Psychische Arbeitsbelastungen verursachten
11,1 Milliarden Euro direkte und 13,4 Milliarden indirekte Kosten, zusammen also 24,5
Milliarden Gesamtkosten. Die Kosten für Erkrankungen aufgrund körperlicher und
psychischer Belastungen dürfen nicht addiert werden, da eine Erkrankung gleichzeitig
durch körperliche und psychische Arbeitsbelastungen hervorgerufen werden kann. Mit
rund 9,5 Milliarden Euro verursachen Muskel- und Skeletterkrankungen rund ein Drittel
aller arbeitsbedingten Krankheitskosten.
Der Beitrag arbeitsbedingter psychischer Belastungen an diesen ökonomisch
bedeutsamen Erkrankungen ist sehr hoch. Unter Präventionsgesichtspunkten ist zu
bedenken, dass einzelne Belastungsfaktoren nicht gänzlich aus der Arbeitswelt
verbannt werden können. Aber bereits durch die Verringerung der höchsten
psychischen Belastungen wäre etwa jede sechste Arbeitsunfähigkeit durch diese
Erkrankungen zu verhindern. Dadurch ließen sich 1,8 Milliarden Euro direkte und 2,0
Milliarden Euro indirekte Kosten einsparen.
Die vorgestellten Zahlen dürften die tatsächlichen arbeitsbedingten Kosten in
Deutschland eher unterschreiten. Es konnte lediglich eine Auswahl von Belastungs-
faktoren und Erkrankungen untersucht werden. Darüber hinaus wurden nur
vorübergehende Erkrankungen berücksichtigt. Die vorgelegten Zahlen unterstreichen
die Dringlichkeit und das Potenzial von Präventionsmaßnahmen und -programmen in
der Arbeitswelt (Friedel et al., 1998, S. 34 ff.). Auf bisher noch nicht ausgeschöpftes
Präventionspotenzial weisen u.a. Heuchert et al. (1996, S. 458 ff.) hin.

11
Einen betriebswirtschaftlich angemessenen quantitativen Nachweis für den Nutzen der
BGF zu führen, ist angesichts der Komplexität der Wechselwirkungen aller beteiligten
Faktoren bisher noch nicht in zufriedenstellendem Ausmaß möglich.
Während der ,,Verlust durch Krankheit" noch relativ gut quantifizierbar ist, wird der
,,Gewinn durch Gesundheit" meist nur in hypothetisch gesparten Kosten transparent.
So haben Untersuchungen bei DuPont gezeigt, dass jeder in die BGF investierte Dollar
mit einem Gewinn von 1,42 Dollar durch reduzierten Krankenstand honoriert wird
(Hendrix et al., 1995, S. 73 ff.). In wie weit diese Daten auf deutsche Verhältnisse zu
übertragen sind, ist schwer abzuschätzen.
,,Der immaterielle Gewinn von Gesundheit, der sich in einer hohen Identifizierung mit
dem Unternehmen und einer hohen Arbeitsmotivation der Beschäftigten niederschlägt,
findet betriebswirtschaftlich keinen unmittelbar messbaren Niederschlag" (Bamberg et
al., 1998, S. 25).
Bei aller methodischen Schwierigkeit, den betriebswirtschaftlichen Nutzen der BGF
angemessen zu quantifizieren, besteht unter den Anwendern der BGF ein
nachvollziehbares Verständnis über die Vorteile der BGF, die gemäß Tab. 1 wie folgt
zusammengefasst werden können:
Tab. 1: Nutzen der BGF (www.sozialnetz-hessen.de/ergo-online/Vorsorge/BetrieblicheGesundheitsfoer-
derung.htm vom 13.02.2005.)
Nutzen für das Unternehmen
Nutzen für Mitarbeiter
Nutzen für soziale Systeme
Erhöhte Arbeitszufriedenheit und
Arbeitsproduktivität
Weniger
Arbeitsbelastun-
gen
Geringere Inanspruchnahme
der
medizinischen
und
rehabilitativen Leistungen
Langfristige
Senkung
des
Krankenstandes
Verringerte gesundheitliche
Beschwerden
Längeres Berufsleben
Gesteigerte
Produktions-
und
Dienstleistungsqualität
Gesteigertes Wohlbefinden Sicherung der Beiträge in
gesetzlichen Krankenkassen
Verbesserte
betriebliche
Kommunikation und Kooperation
Positives Betriebsklima
Imageaufwertung
für
das
Unternehmen
Mehr Arbeitsfreude
Sinkende Fluktuation
Gesünderes Verhalten in
Betrieb und Freizeit
Gegenseitige Unterstützung
Hohes Selbstwertgefühl

12
1.4
Volks- und weltwirtschaftlicher Aspekt
Neben dem betriebswirtschaftlichen ist auch der volks- und weltwirtschaftliche Aspekt
zu berücksichtigen, denn direkt sichtbare oder auch unsichtbare Fehlzeiten belasten
die deutsche Volkswirtschaft und das Gesundheitssystem sowie die Weltwirtschaft
insgesamt.
So wird der Schaden durch direkten krankheitsbedingten Produktionsausfall
bundesweit auf etwa 45 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt (Kuhn, 1996, S. 131 ff.).
Nach der Gallup-Studie aus dem Jahr 2004 beläuft sich der gesamtwirtschaftliche
Schaden, u.a. aufgrund hoher Fehlzeiten, geringer Motivation, Produktivität etc. für das
deutsche Bundesgebiet auf eine geschätzte Summe zwischen 234 und 245 Milliarden
Euro pro Jahr (Gallup, 2004). Vergleichbare Schätzungen für den weltweiten Schaden
sind der aktuellen Literaturrecherche nicht zu entnehmen.
Im Vergleich dazu nehmen die bundesweiten Ausgaben der gesetzlichen
Krankenkassen für Prävention im Jahr 2004 mit rund 148 Millionen Euro nur einen
geringen Anteil ein (Dokumentation der Spitzenverbände der Krankenkassen, 2004, S.
13 ff.).
Die Höhe der durch Gesundheitsförderung erzielbaren Einsparungen wird auf 20 bis 30
Prozent aller Arbeitsunfähigkeiten geschätzt. Völlig unbekannt ist dabei jedoch, welche
Präventionsaufwendungen zu tätigen wären, um den volkswirtschaftlichen Produktions-
ausfall tatsächlich zu verhindern. Das für eine gezielte Effizienzmessung erforderliche
methodische Instrumentarium liegt heute erst in Grundzügen vor (Thiehoff, 1995, S. 58
ff.).
2.
Rechtliche Rahmenbedingungen der Betrieblichen Gesundheitsförderung
Es bestehen in der Bundesrepublik Deutschland vielfältige gesetzliche Bestimmungen
und Richtlinien, die den rechtlichen Rahmen zur Umsetzung der BGF abstecken.
Auszugsweise seien hier genannt
·
das Betriebsverfassungsgesetz von 1972, zuletzt geändert am 21.09.2005
·
das Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte
der Arbeitssicherheit (ASiG) von 1973, zuletzt geändert am 25.11.2003

13
·
das Gesetz zur Umsetzung der EG-Rahmenrichtlinie Arbeitsschutz und weiterer
Arbeitsschutz-Richtlinien vom 07.08.1996, dort Artikel 1 ,,Gesetz über die
Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der
Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit"
(ArbSchG), zuletzt geändert am 30.07.2004
·
die Bestimmungen zum erweiterten Präventionsauftrag der gesetzlichen
Unfallversicherung im novellierten SGB VII (in der Fassung des Gesetzes zur
Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Renten-
versicherung (RV-Nachhaltigkeitsgesetz) vom 21. Juli 2004) (BGBl. I S. 1791)
·
sowie die Bestimmungen in den § 20, 54 und 63 des Sozialgesetzbuches V in
der Novellierung von 2000 (in der Fassung des Gesetzes zur Sicherung der
nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung
(RV-Nachhaltigkeitsgesetz) vom 21. Juli 2004) (BGBl. I S. 1791).
Aufgrund des bedeutsamen Potenzials für Unternehmen, maßgeschneiderte, d.h.
ganzheitlich orientierte und individuell auf das Unternehmen zugeschnittene
Interventionen der BGF mit fachlicher und finanzieller Unterstützung der Krankenkas-
sen umzusetzen, wird im Folgenden der § 20 Sozialgesetzbuch V hervorgehoben.
2.1
Präventionsorientierte Regelungen im § 20 SGB V
Leistungen zur Gesundheitsförderung wurden erst Ende der 80er Jahre, d.h. zwei
Jahre nach Verabschiedung der Ottawa-Charta und nach freiwilligen mehrjährigen
primärpräventiven Aktivitäten im Bereich der Krankenkassen, gesetzlich verankert (vgl.
Schwartz et al., 1998).
2.2
Prävention als gesetzlicher Auftrag und Aufgabe der Krankenkassen
Zentraler Stellenwert für die primäre Prävention sowie für die Betriebliche
Gesundheitsförderung kommt dem § 20 SGB V zu.
Anzumerken ist, dass der Wortlaut des § 20 SGB V begrifflich nicht unterscheidet
zwischen dem eher krankheitsorientierten Ansatz der Prävention und dem
ressourcenorientierten Ansatz der Gesundheitsförderung. Die beiden Begriffe werden
in den folgenden Ausführungen daher synonym verwendet.

14
,,(1) Die Krankenkasse soll in der Satzung Leistungen zur primären Prävention vorsehen, die die
in den Sätzen 2 und 3 genannten Anforderungen erfüllen. Leistungen zur Primärprävention
sollen den allgemeinen Gesundheitszustand verbessern und insbesondere einen Beitrag zur
Verminderung sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen erbringen. Die
Spitzenverbände der Krankenkassen beschließen gemeinsam und einheitlich unter
Einbeziehung unabhängigen Sachverstandes prioritäre Handlungsfelder und Kriterien für
Leistungen nach Satz 1, insbesondere hinsichtlich Bedarf, Zielgruppen, Zugangswegen,
Inhalten und Methodik.
(2) Die Krankenkassen können den Arbeitsschutz ergänzende Maßnahmen der betrieblichen
Gesundheitsförderung durchführen; Absatz 1 Satz 3 gilt entsprechend. Die Krankenkassen
arbeiten bei der Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren mit den Trägern der
gesetzlichen Unfallversicherung zusammen und unterrichten diese über die Erkenntnisse, die
sie über Zusammenhänge zwischen Erkrankungen und Arbeitsbedingungen gewonnen haben.
Ist anzunehmen, dass bei einem Versicherten eine berufsbedingte gesundheitliche Gefährdung
oder eine Berufskrankheit vorliegt, hat die Krankenkasse dies unverzüglich den für den
Arbeitsschutz zuständigen Stellen und dem Unfallversicherungsträger mitzuteilen.
(3) Die Ausgaben der Krankenkasse für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach den Absätzen
1 und 2 sollen insgesamt im Jahr 2000 für jeden ihrer Versicherten einen Betrag von 2,52 Euro
umfassen; sie sind in den Folgejahren entsprechend der prozentualen Veränderung der
monatlichen Bezugsgröße nach § 18 Abs. 1 des Vierten Buches anzupassen." (§ 20 SGB V
Abs. 1 bis 3, 2000).
So lautet der gesetzliche Auftrag der Krankenkassen im Rahmen des Sozialgesetzbu-
ches § 20 SGB V.
Dieser gesetzliche Auftrag der Krankenkassen beinhaltet gleichzeitig ein hohes
Potenzial für Unternehmen, maßgeschneiderte Interventionen zur Betrieblichen
Gesundheitsförderung fachlich und finanziell durch Krankenkassen unterstützt in
Anspruch zu nehmen und umzusetzen.
2.3
Entwicklung des § 20 SGB V im Zeitverlauf
Aufgrund seines zentralen Stellenwertes bei der kasseninitiierten BGF werden die
Entwicklung des § 20 SGB V und seine gesetzlichen Veränderungen in den
vergangenen Jahren nachfolgend kurz skizziert.
2.3.1 Gesundheitsförderung nach dem Gesundheitsreform-Gesetz 1989-1996
Mit dem Gesundheitsreform-Gesetz (GRG) von 1988 erhielten durch Einführung des §
20 erstmals Maßnahmen zur Gesundheitsförderung einen legalen Einzug in das
Gesundheitssystem.
Gleichzeitig
konnten
die
Krankenkassen
damit
selbst
Leistungserbringer werden. Die sehr offenen Formulierungen im Wortlaut des § 20
eröffneten ihnen ein sehr weites Betätigungsfeld. Im Vordergrund der kassenbezoge-
nen Aktivitäten standen Einzelberatungen und Gruppenangebote vor allem in den

15
Bereichen Ernährung, Bewegung und Stressbewältigung. Darüber hinaus engagierten
sich einzelne Kassenarten in der BGF, die als Gestaltungsleistung freiwillig durch die
Satzungen der einzelnen Kassen beschlossen werden konnte (Schwartz et al., 1998).
2.3.2 Einschränkungen durch das Beitragsentlastungsgesetz 1997-1999
Sieben Jahre nach der Einführung, d.h. 1996, wurde die Gesundheitsförderung in der
gesetzlichen Krankenversicherung im Rahmen des Beitragsentlastungsgesetzes
wieder aus dem Pflichtkatalog der Kassen herausgenommen. Inhaltlich wurde dies mit
dem durch das Gesundheitsstrukturgesetz von 1993 neu etablierten Kassenwettbe-
werb und den daraus resultierenden zunehmend mehr markt- als fachorientierten
Angeboten der BGF durch die Krankenkassen begründet, was umgangssprachlich
auch als ,,Bauchtanzdiskussion" bezeichnet wurde. Tieferer Grund der Streichung der
Gesundheitsförderung waren maßgebliche Einsparungen des Bundes im Bereich der
Sozialleistungen zugunsten der Renten- und Arbeitslosenversicherung sowie der
Pflegeversicherung.
Mit der Abschaffung der Gesundheitsförderung 1997 wurden zahlreiche Mitarbeiter
entlassen oder in andere kassenspezifische Abteilungen übernommen. Während die
Ersatzkassen die präventiven Strukturen fast vollständig abbauten, versuchten andere,
vor allem Kassen mit betrieblicher Ausrichtung, einen Teil ihrer Mitarbeiter zu halten.
Insgesamt führte diese Entwicklung zu einem erheblichen Verlust an Strukturen und
Kompetenz, die nach Wiedereinführung der Primärprävention erst mühsam wieder
aufgebaut werden mussten (Schwartz et al., 1998).
2.3.3 Modifizierter Neuanfang ab 2000 durch die GKV-Gesundheitsreform
Das am 01.01.2000 in Kraft getretene GKV-Gesundheitsreformgesetz weist mit der
Primärprävention als Soll-Leistung den Krankenkassen eine Aufgabe mit stark
verpflichtendem Charakter zu. Die Neufassung des § 20 SGB V ,,Prävention und
Selbsthilfe" versucht mit der ausdrücklichen Ausrichtung am Bedarf, an Zielgruppen,
Methoden und Zugangswegen die Kritik an der Umsetzung und an dem 1989-1996
gültigen § 20 SGB V aufzugreifen, nämlich: Mangel an klaren gesundheitlichen Zielen,
Mangel an Zielgruppenorientierung und zu viel ,,Mittelschichtorientierung" in Marketing,
Methoden und Umsetzung mit dem Ergebnis einer vorrangigen Inanspruchnahme in
der Praxis durch gesundheitsbewusste Versicherte.

16
Mit der Nennung expliziter Anforderungskriterien soll zugleich Konzepten vorrangig
unter Marketingaspekten entgegengewirkt werden. Die Krankenkassen können nun
wieder, wie bereits 1989-1996, Maßnahmen der BGF durchführen. An diese werden
die gleichen Anforderungen gestellt wie an die primäre Prävention. Für beide Bereiche
gibt der Gesetzgeber einen Richtwert von 2,52 Euro pro Versichertem im Jahr 2000
vor. Im Jahr 2005 beträgt die Richtgröße 2,70 Euro pro Versichertem (vgl. § 20 SGB
V). Die Spitzenverbände der Krankenkassen sind nach der Neufassung des § 20 SGB
V aufgefordert, gemeinsam und einheitlich prioritäre Handlungsfelder und Kriterien zur
Umsetzung in den Bereichen der primären Prävention und der BGF auszuarbeiten,
insbesondere hinsichtlich Bedarf, Zielgruppen, Zugangswegen, Inhalten und Methodik.
Mit der Verpflichtung der Kassen zur gemeinsamen Entwicklung von Handlungsemp-
fehlungen sowie der expliziten Nennung qualitätssichernder Kriterien wird versucht,
den Einfluss des Wettbewerbs zu mildern.
2.4
Freie Wahl der Krankenkassen
Seit dem 1.1.1996 können Arbeitnehmer die Krankenkasse frei wählen. An diesem Tag
trat das neue Gesundheitsstrukturgesetz in Kraft. Zurzeit werden etwa 300
verschiedene Krankenkassen gelistet. Diese können vier verschiedenen Kassenarten
zugeordnet werden (vgl. www.krankenkassentarife.de):
1.
Allgemeine Ortskrankenkassen (AOK)
2.
Ersatzkrankenkassen (EK)
3.
Betriebskrankenkassen (BKK)
4.
Innungskrankenkassen (IKK)
2.5
Gemeinsame Handlungsfelder der Krankenkassen
Die gesetzlichen Krankenkassen führen nach § 20 Abs. 2 Sozialgesetzbuch V den
Arbeitsschutz ergänzende Maßnahmen der BGF durch und arbeiten bei der Verhütung
arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren mit den Unfallversicherungsträgern zusammen.
Die Spitzenverbände der Krankenkassen haben sich im Jahr 2000 in einem
gemeinsamen Handlungsleitfaden auf prioritäre Handlungsfelder in der BGF geeinigt.
Diese umfassen die Bereiche:
·
Arbeitsbedingte körperliche Belastungen

17
·
Betriebsverpflegung
·
Psychosozialer Stress
·
Genuss- und Suchtmittelkonsum.
Krankenkassen unterstützen Betriebe und Behörden somit durch:
·
Ermittlung der Risikofaktoren und der Gesundheitspotenziale der Beschäftigten
unter Verwendung der Arbeitsunfähigkeitsanalysen, Gefährdungsbeurteilungen,
Einbeziehung der Betriebsärzte, Befragung der Beschäftigten
·
Gesundheitszirkel
·
Entwicklung eines Konzeptes für verhaltens- und verhältnisbezogene
Maßnahmen der BGF, gemeinsam mit dem Betrieb und gegebenenfalls mit
Unfallversicherungsträgern. Diese Maßnahmen werden von der Krankenkasse
selbst, gegebenenfalls gemeinsam mit den Unfallversicherungsträgern oder von
beauftragten, geeigneten Dienstleistern durchgeführt.
(vgl. Handlungsleitfaden der Spitzenverbände der Krankenkassen zur Umsetzung von
§ 20 Abs. 1 und 2 SGB V vom 21.06.2000, in der Fassung vom 12.09.2003, S. 30).
2.6
Bisherige Umsetzung des § 20 SGB V
Gemäß einer Studie des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziales (BMGS)
wurden im Jahr 2002 von den Krankenkassen etwa 45% des gesetzlich vorgesehenen
Budgets für Gesundheitsförderung aufgewendet. Die im Jahr 2002 vorgesehene
Richtgröße belief sich dabei auf 2,56 pro Jahr pro Versichertem. Umgesetzt wurden
gemäß der Studie 1,19 pro Versichertem im Jahr 2002 (BMGS, 2003). Aktuelle
Daten aus dem Jahr 2005 wurden bisher noch nicht veröffentlicht.
,,Auf den ersten Blick scheint das Thema eher unwichtig... Auf den zweiten Blick lohnt
es sich trotz dieses vergleichsweise geringen Umfangs der Ausgaben..., das Thema
,,Prävention durch GKV" mit besonderer Aufmerksamkeit zu beobachten und zu
gestalten. Warum? Das lohnt sich, weil mit dem § 20 SGB V ein zwar sehr, sehr
zaghafter, aber eben erster und richtiger Schritt in jene Richtung getan ist, in der sich
Erfolg oder Misserfolg einer künftigen ,,Gesundheits"-Politik, die diesen Namen
verdient, entscheiden werden. Der Weg von 1.000 Meilen beginnt mit einem ersten
Schritt..." (Rosenbrock, 2001).

18
3.
Präzisierung der Fragestellung
Zwar hat sich die Betriebliche Gesundheitsförderung in den letzten drei Jahren weiter
entwickelt, jedoch wird davon ausgegangen, dass das im § 20 SGB V liegende
Gesundheitspotenzial sowohl von Unternehmen als auch von Krankenkassen aktuell
noch nicht in vollem Umfang ausgeschöpft wird. Das bedeutet, dass neben dem
individuellen Gesundheitspotenzial für den einzelnen Mitarbeiter auch ein betriebs-,
volks- und weltwirtschaftlich bedeutsames Gesundheitspotenzial, d.h. die Möglichkeit
zur Förderung der Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft, derzeit noch ungenutzt
bleibt.
Somit lauten die konkreten Fragestellungen dieser Untersuchung:
1.
Wie sind Bedeutung und Stellenwert der BGF in der Praxis aktuell
einzuordnen?
2.
Was motiviert Krankenkassen und Unternehmen für ein Engagement in
BGF?
3.
Wie ist die Kooperation der beteiligten Akteure einzuordnen?
4.
Welche Möglichkeiten der kasseninitiierten BGF sind derzeit vorhanden, und
wie bekannt sind diese Möglichkeiten in Unternehmen?
5.
In welchem Ausmaß werden die im § 20 SGB V liegenden Möglichkeiten
aktuell, d.h. im Jahr 2005, ausgeschöpft?
6.
Wie werden diese Möglichkeiten in der Praxis umgesetzt?
7.
Welche förderlichen wie hinderlichen Faktoren bei der praktischen
Umsetzung der BGF werden von Krankenkassen und Unternehmen wahr-
genommen?
8.
Bilden die bereits vorhandenen Angebote zur BGF den tatsächlich
wahrgenommenen Bedarf ab?
9.
Welche Handlungsfelder gewinnen aus Sicht der Experten für die Zukunft an
Bedeutung?
10.
Welche konkreten Handlungsempfehlungen für eine weitere positive
Entwicklung der BGF in der Zukunft können insgesamt abgeleitet werden?
Bei der Auswahl der Fragestellungen handelt es sich nicht um ein theoriegeleitetes
Vorgehen. Vielmehr wurde neben theoretischen Erkenntnissen auf die mehrjährigen
berufspraktischen Erfahrungen der Autorin zurückgegriffen. Die Fragen sind daher
durch einen hohen Praxisbezug gekennzeichnet.

19
Empirischer Teil
4.
Untersuchungsmethoden
Aus
den
Untersuchungsergebnissen
sollen
praktische
Konsequenzen
und
Handlungsempfehlungen
abgeleitet
werden.
Ergebnisse
bereits
vorliegender
Recherchen oder theoretische bzw. allgemeingültige oder normative Aussagen können
in diesem Kontext nur eingeschränkt genutzt werden.
Daher wird zur Bearbeitung der Fragestellungen ein qualitativer Forschungsansatz
gewählt.
Zielgruppe der Untersuchung bilden auf Krankenkassenseite die für die Betriebliche
Gesundheitsförderung zuständigen Führungskräfte, auf Unternehmensseite die für
Betriebliche Gesundheitsförderung zuständigen Experten aus den Bereichen
Management, Personalentwicklung, Betriebsrat und Arbeitsmedizin. Die entsprechen-
den Experten in Krankenkassen und Unternehmen vor Ort besitzen ein breites
Erfahrungswissen über die förderlichen wie hinderlichen Faktoren bei der praktischen
Umsetzung der BGF, aus denen sich konkrete Handlungsempfehlungen für die Praxis
ableiten lassen können.
Als Untersuchungsmethode werden qualitative Leitfadeninterviews eingesetzt.
Qualitative Daten sind gut geeignet, um ,,Aussagen über die in ihrer inneren Vielfalt,
empirischen Breite und vor allem ihrer typischen Strukturiertheit zu treffen, nicht aber
über deren Verteilung bzw. quantitative (numerisch gesicherte) Repräsentativität."
(Liebold & Trinczek, 2002, S. 62).
4.1
Untersuchungsrelevanz
Die Untersuchungsrelevanz ist daraus abzuleiten, als die praktische Umsetzung der
BGF mit der Identifikation ihrer förderlichen wie hinderlichen Faktoren aus Sicht der
Krankenkassen und Unternehmen bisher einer systematischen und wissenschaftlichen
Analyse noch nicht unterzogen wurde. Die praktische Umsetzung der BGF seitens
Krankenkassen und Unternehmen bildet daher den zentralen Kern dieser Arbeit.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2006
ISBN (eBook)
9783832495251
ISBN (Paperback)
9783838695259
DOI
10.3239/9783832495251
Dateigröße
1.1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg – Gesundheitswissenschaft
Erscheinungsdatum
2006 (April)
Note
2,0
Schlagworte
public health gesundheitswissenschaft gesundheitsmanagement mitarbeiter
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