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Beitrag zur Leistungssteigerung von Personenverkehrsanlagen

Aspekte des Einsatzes, der Gestaltung und Bemessung von Zwillingsbahnsteigen

©2005 Diplomarbeit 165 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Zusammenfassung:
Eisenbahnfahrzeuge sind grundsätzlich Zweirichtungsfahrzeuge, die das Ein- und Aussteigen an beiden Fahrzeugseiten gestatten. Die traditionelle Gestaltung und Anordnung von Gleisanlagen und Bahnsteigen wird allerdings seit Jahrzehnten durch den zeitgleich einseitigen Fahrgastwechsel geprägt. Großereignisse, wie der Weltjugendtag 2005 in Köln, die bevorstehende Fußball-WM in Deutschland und ebenso der tägliche Berufsverkehr, können zur enormen Auslastung einer Verkehrsanlage führen, bei der kritische Situationen eintreten, Gleise länger als vorgesehen besetzt bleiben, Züge nicht rechtzeitig abfahren können, gar ausfallen oder Fahrgäste zurück bleiben müssen.
Anlass dieser Diplomarbeit war daher die Untersuchung von Zwillingsbahnsteigen – so nennt man die Zuordnung von zwei Bahnsteigkanten zu einem Bahnsteiggleis – als ein Mittel zur Leistungssteigerung bzw. zur Vermeidung der erwähnten kritischen Situationen. Unter diesem Aspekt wurden verkehrliche und betriebliche, aber auch technische Gesichtspunkte, wie die heute üblichen Technologien der Zugabfertigung und der Fahrgastinformation, erörtert, bewertet und zugleich Hinweise und Empfehlungen zur Bemessung von Zwillingsbahnsteigen dargelegt.
Mit der Anordnung von zwei Bahnsteigkanten zu einem Bahnsteiggleis ergeben sich, einschließlich der traditionellen einseitigen Anordnung, insgesamt drei Grundvarianten der Verteilung der Fahrgastströme auf den Bahnsteigen:
- Variante 1: Traditionelle Anordnung – Eine Bahnsteigkante je Bahnsteiggleis.
- Variante 2: Zwillingsbahnsteig – Trennung der Fahrgastströme.
- Variante 3: Zwillingsbahnsteig – Vermischung der Fahrgastströme.
In einem ausführlichen Leistungsvergleich wird auf die wesentlichen Vor- und Nachteile dieser aufgeführten Varianten und mögliche Anwendungsgebiete eingegangen sowie der Nachweis der Reduzierung an Fahrgastwechselzeit erbracht. Es kann somit im günstigsten Fall die Zeit für das Ein- und Aussteigen der Fahrgäste um bis zu 48 % verringert oder – im Gegensatz dazu – bei sonst üblichen Haltezeiten der Züge die Zahl der ein- und aussteigenden Fahrgäste nahezu verdoppelt werden. Es besteht damit die Möglichkeit, Taktzeiten zu verdichten, ohne dass zusätzliche Fahrzeuge oder mehr Personal zum Einsatz kommen müssen.
Die grundsätzliche Erörterung des Themas Zwillingsbahnsteig ist in dieser Arbeit mit dem Fallbeispiel der S-Bahnsteige des Bahnhofs in Warnemünde ergänzt worden. Diese verknüpfen auf vorteilhafte […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 9496
Müller, Ronny: Beitrag zur Leistungssteigerung von Personenverkehrsanlagen - Aspekte
des Einsatzes, der Gestaltung und Bemessung von Zwillingsbahnsteigen
Druck Diplomica GmbH, Hamburg, 2006
Zugl.: Brandenburgische Technische Universität Cottbus, Diplomarbeit, 2005
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2006
Printed in Germany



Inhaltsverzeichnis
I
Inhaltsverzeichnis
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS... -III-
FORMELZEICHENVERZEICHNIS... -V-
ABBILDUNGSVERZEICHNIS... -VI-
TABELLENVERZEICHNIS... -VIII-
1
Einleitung... - 1 -
2
Entwicklung Zwillingsbahnsteig ... - 3 -
2.1
Geschichtlicher Rückblick ... - 3 -
2.2
Beispiele bestehender Anlagen... - 5 -
2.2.1
Spanien: Metro in Barcelona ... - 5 -
2.2.2
Spanien: Metro in Madrid ... - 7 -
2.2.3
Italien: Metro in Mailand ... - 7 -
2.2.4
S-Bahn München: Hauptbahnhof, Stachus, Marienplatz... - 8 -
2.2.5
S-Bahn Berlin: Warschauer Straße ... - 10 -
3
Fahrgastwechsel und seine Einflussfaktoren ... - 12 -
3.1
Bedeutung ... - 12 -
3.2
Komponente Fahrgast... - 13 -
3.2.1
Geschlecht und Alter... - 13 -
3.2.2
Mobilitätsbehinderte Fahrgäste ... - 15 -
3.3
Komponente Feste Anlage... - 18 -
3.3.1
Gestaltung... - 18 -
3.3.2
Bahnsteighöhe ... - 23 -
3.4
Komponente Fahrzeug... - 26 -
3.4.1
Anforderungen der Eisenbahnunternehmen und Kunden ... - 26 -
3.4.2
Gestaltung der Fahrzeuge ... - 26 -
3.5
Komponente Betrieb... - 34 -
3.5.1
Umlaufzeit, Fahrzeit, Haltezeit, Wendezeit ... - 34 -
3.5.2
Einfluss der Haltezeit ... - 35 -

Inhaltsverzeichnis
II
4
Aspekte eines Zwillingsbahnsteiges ... - 40 -
4.1
Modell... - 40 -
4.2
Leistungsbetrachtung ... - 41 -
4.2.1
Möglichkeiten der Bahnsteiganordnung und Fahrgastverteilung... - 41 -
4.2.2
Leistungsvergleich der Grundvarianten 1 bis 3 ... - 44 -
4.2.3
Ungleichmäßige Fahrgastverteilung... - 57 -
4.2.4
Anwendungsbeispiel ... - 60 -
4.3
Bauliche und technische Aspekte ... - 62 -
4.3.1
Einleitung ... - 62 -
4.3.2
Fahrgastinformation ... - 63 -
4.3.3
Bahnsteigbreite- und Ausstattung, Bezeichnung der Bahnsteige... - 68 -
4.3.4
Seitenselektive Türsteuerung (SST) ... - 74 -
4.4
Betriebliche Aspekte... - 78 -
4.4.1
Einfluss des Zwillingsbahnsteiges auf die Fahrplankonstruktion... - 78 -
4.4.2
Zugabfertigung ... - 84 -
4.4.3
Sicherheit im Bahnsteiggleisbereich ... - 91 -
4.5
Aspekte der Anwendung und Mehrkostenaufwand ... - 93 -
4.5.1
Wesentliche Anwendungsfälle ... - 93 -
4.5.2
Mehrkostenaufwand... - 95 -
5
Entwurf: Bahnhof Warnemünde ... - 100 -
5.1
Einleitung ... - 100 -
5.2
Hintergrund S-Bahn Rostock... - 100 -
5.2.1
Geschichte ... - 100 -
5.2.2
Bedeutung S-Bahn für Warnemünde ... - 103 -
5.2.3
Bahnhof Warnemünde ... - 104 -
5.3
Entwurf ... - 107 -
5.3.1
Betriebliche Maßnahmen bei hohem Fahrgastandrang ... - 107 -
5.3.2
Mittelbahnsteig 2/3 ... - 110 -
5.3.3
Optionaler Außenbahnsteig 1a... - 119 -
6
Fazit... - 120 -
Literatur- und Quellenverzeichnis ... - 122 -

Abkürzungsverzeichnis
III
Abkürzungsverzeichnis
ATM
Azienda Trasporti Milanesi
BAG-SPNV
Bundesarbeitsgemeinschaft der Aufgabenträger im SPNV
Bf Bahnhof
BGG Behindertengleichstellungsgesetz
BR Baureihe
DB Deutsche
Bundesbahn
DB AG
Deutsche Bahn AG
DIN
Deutsche Industrie Norm
DR Deutsche
Reichsbahn
EBA Eisenbahn-Bundesamt
EBO
Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung
EFZ Europäisches
Fahrplanzentrum
ELA Elektroakustische
Lautsprecheranlage
FIA Fahrgastinformationsanlage
GG Grundgesetz
Hbf Hauptbahnhof
HOAI
Honorarordnung für Architekten und Ingenieure
Hp Haltepunkt
ICE
Inter City Express
KiN
Kundenbetreuer im Nahverkehr
LCD Liquid-Crystal-Display
LED Leuchtdioden
O-Bus Oberleitungsbus
ÖPNV Öffentlicher
Personennahverkehr
RIS Reisenden-Informations-System

Abkürzungsverzeichnis
IV
SAT
Selbstabfertigung durch den Triebfahrzeugführer
SBB Schweizerische
Bundesbahnen
SO Schienenoberkante
SPNV Schienenpersonennahverkehr
StVZO Straßen-Verkehrs-Zulassungs-Ordnung
SST Seitenselektive
Türsteuerung
Tf Triebfahrzeugführer
UIC
Union Internationale des Chemins de Fer
ULF Ultra-Low-Floor
UVV Unfallverhütungsvorschriften
VAG Nürnberg
Verkehrs-Aktiengesellschaft Nürnberg
ZAT
Zugabfertigung durch den Triebwagenführer

Formelzeichenverzeichnis
V
Formelzeichenverzeichnis
A
Anzahl der aussteigenden Fahrgäste an der Einzeltür [P]
a
B
Abstand der Gleisachse von der Bahnsteigkante [m]
b
Min
Bahnsteigmindestbreite
[m]
b
G
Größe des Gefahrenbereiches auf dem Bahnsteig [m]
b
S
Größe des Gefahrenbereiches [m]
b
T
Lichte Breite der Treppe zwischen den Wangen [m]
E
Anzahl der einsteigenden Fahrgäste an der Einzeltür [P]
F
Fahrgastwechselzahl an der Einzeltür [P]
h
Bstg
Höhe des Bahnsteiges über SO [m]
h
Fhz
Höhe des Fahrzeugbodens im Türbereich [m]
I
T,b
Türbreite
[m]
I
T,v
Einstiegshöhe
[m]
n
Theoretischer Leistungsfaktor Zwillingsbahnsteig
n
Fhz
Anzahl der einzusetzenden Wagenzüge [-]
T Taktzeit
[s]
t
bi
Beförderungszeit zwischen den Linienendpunkten [s]
t
h,f,i
Erwartungswert der Fahrgastwechselzeit an der Einzeltür [s]
t
w,i
Wendezeit in i [s]
U Umlaufzeit
[s]
v
Geschwindigkeit [m/s], [km/h]
w
Breite der Treppenwange [m]

Abbildungsverzeichnis
VI
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1
Bahnhof Warnemünde während der Hanse-Sail 2005... - 2 -
Abbildung 2
Personenwagen ,,Hannibal" eingesetzt auf der Strecke Budweis ­ Linz [42] ... - 3 -
Abbildung 3
Querschnitt durch den Bahnhof
Sagrera
der Metro Barcelona [44]... - 5 -
Abbildung 4
Typische Bahnsteiganordnung der Metro in Barcelona [55] ... - 6 -
Abbildung 5
Querschnitt durch eine Station der Münchner S-Bahn [32] ...- 8 -
Abbildung 6
Station
Hauptbahnhof
der Münchner S-Bahn ...- 9 -
Abbildung 7
Station
Stachus (Karlsplatz)
der Münchner S-Bahn... - 9 -
Abbildung 8
Zwillingsbahnsteig S-Bahnhof
Warschauer Straße
in Berlin ...- 10 -
Abbildung 9
Blick auf eine beidseitig geöffnete S-Bahn am Bahnhof
Warschauer Straße
...- 11 -
Abbildung 10
Beteiligte Komponenten am Fahrgastwechsel...- 12 -
Abbildung 11
Alterspyramide der Bundesrepublik Deutschland, Stand 2001 [7]...- 13 -
Abbildung 12
Verlauf der Fußgängergeschwindigkeiten in Funktion vom Lebensalter [65] ...- 14 -
Abbildung 13
Fahrgastverteilung in Abhängigkeit der Bahnsteigbreite ...- 18 -
Abbildung 14
Bushaltestelle mit Busbucht in Randlage ...- 19 -
Abbildung 15
Straßenbahnhaltestelle in Mittellage ...- 19 -
Abbildung 16
Bf der Eisenbahn, Zugang zu den Bahnsteigen durch eine Unterführung ...- 20 -
Abbildung 17
Inselbahnsteig mit zwei Zugängen in den jeweiligen Viertelpunkten ...- 20 -
Abbildung 18
Fahrgastverteilung bei höhengleichem Zugang über Querbahnsteig ...- 22 -
Abbildung 19
Bahnsteig 2 des Bahnhofes in Warnemünde...- 22 -
Abbildung 20
Anteile unterschiedlicher Bahnsteighöhen an Stationen im Netz der DB AG [14]..- 23 -
Abbildung 21
Bewertung von Stufenhöhen/Spaltbreiten für Rollstuhlfahrer [14] ...- 24 -
Abbildung 22
Großer Höhenunterschied...- 25 -
Abbildung 23
Große Spaltbreite ...- 25 -
Abbildung 24
Halbautomatische Türöffnung nach Bedienung durch den Fahrgast...- 27 -
Abbildung 25
Manuelle Türöffnung durch den Fahrgast notwendig...- 27 -
Abbildung 26
Viertelzug der Berliner S-Bahn, BR 481/482 [10]...- 28 -
Abbildung 27
Triebzug ET 423 der Münchner S-Bahn [12],[13] ...- 28 -
Abbildung 28
Desiro Mainline DD EMU, Regionalverkehr und S-Bahn (Zürich) [57] ...- 28 -
Abbildung 29
Doppelstock-Steuerwagen DB-AG, Regionalverkehr und S-Bahn-Verkehr [12] ...- 29 -
Abbildung 30
ICE3 ­ Mittelwagen, BR 403.8 / 406.8 [49] ...- 29 -
Abbildung 31
Vergleich eines Fahrzeugeinstieges mittels Stufen und ohne Stufen...- 30 -
Abbildung 32
Innenraumanzeige von Linie / Fahrtziel in einem Doppelstockwagen der DB AG .- 31 -
Abbildung 33
Kurzgelenktriebwagen KT-NF6 mit eingeschobenem Niederflurmittelteil [34]...- 32 -
Abbildung 34
Längsanordnung der Sitzplätze, U-Bahn Berlin Serie HK [12] ...- 33 -
Abbildung 35
Komponenten der Umlaufzeit...- 34 -
Abbildung 36
Verkehrliche und betriebliche Faktoren der Haltezeit ...- 35 -

Abbildungsverzeichnis
VII
Abbildung 37
Fahrgastverteilung in Abhängigkeit der Grundvarianten...- 41 -
Abbildung 38
Untergliederung der
Grundvariante 3
...- 42 -
Abbildung 39
Beginn einer Sportveranstaltung ­ Verstärkter Fahrgastausstieg ...- 43 -
Abbildung 40
Senkung Fahrgastwechselzeit [in %] in Abhängigkeit der Fahrgastverteilung ...- 58 -
Abbildung 41
Leistungsfaktor Zwillingsbahnsteig in Abhängigkeit der Fahrgastverteilung...- 58 -
Abbildung 42
Prinzip einer vollautomatischen Fahrgastinformation ...- 63 -
Abbildung 43
Gesperrter Bahnhofszugang der Münchner S-Bahn, Station
Hauptbahnhof
...- 66 -
Abbildung 44
Flachbildschirm im Fahrzeug zur Fahrgastinformation [40],[51] ...- 67 -
Abbildung 45
Mindestbreite eines Mittelbahnsteiges ...- 69 -
Abbildung 46
Grundmaße Fußgänger und mobilitätsbehinderte Fahrgäste [15],[38],[51]...- 70 -
Abbildung 47
Zeitversetztes Öffnen der Fahrzeugtüren an einem Zwillingsbahnsteig ...- 76 -
Abbildung 48
Auszug Gleisplan Hbf Leipzig ...- 79 -
Abbildung 49
Taktfahrplan für zwei Züge n
1
, n
2
zwischen Bf A und Bf B...- 82 -
Abbildung 50
Liniennetz S-Bahn Rostock ...- 102 -
Abbildung 51
ÖPNV-Anbindung Warnemünde ...- 103 -
Abbildung 52
Unmaßstäblich verzerrter Gleisplan Bf Warnemünde...- 105 -
Abbildung 53
Auszug Sonderfahrplan der S-Bahn Rostock zur Hanse-Sail 2005 [62]...- 108 -
Abbildung 54
Hoher Personalaufwand während der Hanse-Sail 2005 ...- 109 -
Abbildung 55
Schematische Darstellung Mittelbahnsteig 2/3 ...- 111 -
Abbildung 56
Perspektivische Darstellung Mittelbahnsteig 2/3...- 111 -
Abbildung 57
Funktionsbereiche Mittelbahnsteig 2/3 - Platzbedarf sitzende Person [40] ...- 114 -
Abbildung 58
Schwergewichtsfundamente der Fahrleitungsmasten ...- 115 -
Abbildung 59
Festgelegtes Gleis Bf Lübbenau ...- 117 -
Abbildung 60
Schematische Darstellung mit Außenbahnsteig 1a ...- 119 -

Tabellenverzeichnis
VIII
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1
Anteil und Entwicklung der Älteren an der Gesamtbevölkerung [8] ...- 14 -
Tabelle 2
Eingangsgrößen der Bemessung der Fahrgastwechselzeit t
h,f
nach [65]...- 44 -
Tabelle 3
Zusammenfassung Türabstände durchschnittlich kleiner 10m ...- 53 -
Tabelle 4
Zusammenfassung Türabstände durchschnittlich größer 10m ...- 53 -
Tabelle 5
Senkung Fahrgastwechselzeit in Abhängigkeit der Fahrgastverteilung...- 57 -
Tabelle 6
Fahrgastwechselzeit an der Einzeltür,
Grundvariante 1
...- 60 -
Tabelle 7
Theoretische Fahrgastwechselzeit Zwillingsbahnsteig,
Grundvariante 3
...- 61 -
Tabelle 8
Basis- und Zusatzbausteine für RIS [35] ...- 65 -
Tabelle 9
Gefahrenbereich b
S
in Abhängigkeit der Geschwindigkeit [20] ...- 70 -
Tabelle 10
Mindestbreite von Bahnsteigen ...- 72 -
Tabelle 11
Elemente der Bahnsteigausstattung...- 73 -
Tabelle 12
Vor- und Nachteile eines zeitversetzten / zeitgleichen Öffnens der Türen ...- 77 -
Tabelle 13
Matrix der Umsteigebeziehungen ...- 80 -
Tabelle 14
Bewertungskriterien der Umsteigebeziehungen...- 80 -
Tabelle 15
Bewertete Qualität ohne Nutzung der Gepäckbahnsteige ...- 81 -
Tabelle 16
Bewertete Qualität mit Nutzung der Gepäckbahnsteige ...- 81 -
Tabelle 17
Verfahren der Zugabfertigung, Eignung und Maßnahmen...- 90 -
Tabelle 18
Sicherung des Gleisbereiches, Eignung Zwillingsbahnsteig ...- 93 -
Tabelle 19
Kostengruppen Bahnsteigbau [27] ...- 96 -

Kapitel 1: Einleitung
- 1 -
Müller, Ronny, 9602555
BTU Cottbus, Lehrstuhl Eisenbahnwesen, Prof. Dr.-Ing. Thiel
1 Einleitung
Der Personenverkehr in Deutschland wird bis zum Jahr 2015, ausgehend vom Jahr
1997, um 20% zunehmen
[33]
. Mit diesem Wachstum ist im identischen Zeitraum
eine annähernd stagnierende Bevölkerungsentwicklung verbunden. Die Dominanz
dieser Mobilitätshebung bildet hierbei der Straßen- und Luftverkehr. Der wachsende
Mobilitätswunsch von Privatpersonen und der Wirtschaft ist zugleich mit dem An-
spruch eines verantwortungsbewussten Umganges mit der Umwelt verbunden. Um
diesen Aspekten gerecht werden zu können, gehen heutige Verkehrskonzepte von
einer Verknüpfung der unterschiedlichen Verkehrsträger gemäß ihrer individuellen
Stärken aus. Der Verkehr ist, infolge des durch die Verbrennung fossiler Energie-
träger ausgestoßenen Treibhausgases Kohlenstoffdioxid, einer der größten Verursa-
cher der globalen Klimaerwärmung. Dessen Folgen treten aktuell immer häufiger in
den Fokus der Öffentlichkeit. Als Beispiele sollen hierfür nur die verheerenden Hurri-
kane ,,Katrina", ,,Rita" und ,,Wilma" im Herbst des Jahres 2005 in Mittelamerika ge-
nannt sein. Die gegenwärtige Debatte über die hohen Feinstaubbelastungen in deut-
schen Großstädten, dessen gesundheitsschädigende Einwirkung auf das Herzkreis-
laufsystem und die Atemwege des Menschen, sind nur ein weiteres Beispiel für die
Aktualität der Forderung nach einem schonenderen Umgang mit der Umwelt. Die
Eisenbahn zählt im Vergleich zum Straßen- und Luftverkehr zu den ökologischsten
Verkehrsträgern. Im Bereich der Deutschen Bahn AG werden bereits heute rund
90% der Verkehrsleistungen mit umweltfreundlichen Elektroantrieben erbracht
[18]
.
Die Befriedigung der wachsenden Mobilitätsanforderungen von Bevölkerung und
Wirtschaft, steht im Kontrast zu den begrenzt vorhandenen Flächen für den Ausbau
der Verkehrsinfrastruktur. Die Optimierung der Schnittstellen zwischen den unter-
schiedlichen Verkehrsträgern im Personenverkehr, wie Straßen- und Schienen-
verkehr, Schifffahrt und Luftverkehr, kann zu einer Ausschöpfung noch unverbrauch-
ter Potenziale führen. Im Schienenverkehr zählt hierzu die Erhöhung des Leistungs-
potenzials von Personenverkehrsanlagen. Vornehmlich im öffentlichen Schienen-
personennahverkehr (SPNV), mit seinen charakteristischen kurzen Stationsabstän-
den, aber auch im Fernverkehr, kann durch eine Senkung der Haltezeiten die Leis-
tungsfähigkeit einer Personenverkehrsanlage verbessert werden.

Kapitel 1: Einleitung
- 2 -
Müller, Ronny, 9602555
BTU Cottbus, Lehrstuhl Eisenbahnwesen, Prof. Dr.-Ing. Thiel
Abbildung 1 Bahnhof Warnemünde während der Hanse-Sail 2005
Traditionell werden Bahnsteige an Gleisanlagen nur zu einer Seite angeordnet. Der
Fahrgastwechsel findet demnach ebenso einseitig statt. Großereignisse wie der
Weltjugendtag 2005 in Köln, die jährliche Hanse-Sail in Warnemünde (Abbildung 1),
die bevorstehende Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland, aber auch der
tägliche Berufsverkehr, können einen Bahnsteig zu einer hochgradigen Auslastung
bringen. Es existieren Bahnanlagen, an denen eine totale Zugfüllung und Zugleerung
stattfindet. Für eine Entflechtung stark auftretender Verkehrsströme, einer Verbesse-
rung der Qualität für Fahrgast und Eisenbahnunternehmen, ist die Anordnung je ei-
nes Bahnsteiges an beiden Seiten eines Gleises, als Option zur Leistungssteigerung
einer Personenverkehrsanlage zu hinterfragen und näher zu erörtern.
Anlass dieser Diplomarbeit soll die Untersuchung von Zwillingsbahnsteigen als Mittel
der Leistungssteigerung von Personenverkehrsanlagen sein. Unter einem Zwillings-
bahnsteig wird die Anordnung von zwei Bahnsteigkanten zu einem Bahnsteiggleis
verstanden, welche einen zeitgleichen Fahrgastwechsel zu beiden Fahrzeugseiten
gestatten. Die Abhandlung der betrieblichen, baulichen und technischen Gesichts-
punkte soll mit einem Beispiel, einem Entwurf für den Bahnhof Warnemünde ergänzt
werden. Ziel und Abschluss der Arbeit soll der Nachweis der Gebrauchsfähigkeit und
Leistungsfähigkeit von Zwillingsbahnsteigen sein. Weiter sollen mit dieser Arbeit Hin-
weise und Empfehlungen zu dessen Bemessung und Gestaltung gegeben werden.

Kapitel 2: Entwicklung Zwillingsbahnsteig
- 3 -
Müller, Ronny, 9602555
BTU Cottbus, Lehrstuhl Eisenbahnwesen, Prof. Dr.-Ing. Thiel
2 Entwicklung
Zwillingsbahnsteig
2.1 Geschichtlicher Rückblick
Die Pferdeeisenbahn ist ein auf Schienen basierendes und von Pferden gezogenes
Verkehrsmittel. Sie gilt als technischer Vorläufer der uns in ihrer heutigen Form be-
kannten Eisenbahn. Die erste Pferdeeisenbahn auf dem europäischen Festland ver-
lief zwischen Budweis und Linz in Österreich und wurde 1827 in Betrieb genommen.
Maßgeblich sollte diese Verbindung dem Transport von Gütern dienen. Im Jahr 1832
wurde, motiviert durch den Erfolg der Stockton-Darlington-Bahn, mit der Aufnahme
des Personenverkehrs begonnen. Waren es in den Anfangszeiten auf Bestellung
veranstaltete Fahrten, so wurde 1834 ein erster fahrplanmäßiger Ausflugsverkehr
eingerichtet [25
],
[42
].
Abbildung 2
Personenwagen ,,Hannibal" eingesetzt auf der Strecke Budweis ­ Linz
[42
]
Der Ein- und Ausstieg für die Reisenden in die Personenwagen erfolgte beidseitig.
Es fand ein Fahrgastwechsel unter Nutzung der Türen beider Fahrzeugseiten statt.
Die Epoche der Pferdeeisenbahn war jedoch nur von kurzer Dauer. Im Jahr 1872
wurde der Betrieb auf erwähnter Strecke wieder eingestellt. Ursache war die zeit-
gleiche und rasche Entwicklung der Dampfeisenbahn. Mit der Umstellung von tieri-
scher auf mechanische Zugkraft konnten größere Massen mit höheren Geschwindig-
keiten über längere Wegstrecken bewegt werden. Hiermit verbunden verschwand
auch der beidseitige Fahrgastwechsel. Aus betrieblichen, sicherheitstechnischen und
wirtschaftlichen Gründen ordnete man den Bahnhofsgleisen, in den schnell wach-
senden Personenverkehrsanlagen, nur jeweils eine Bahnsteigkante zu.

Kapitel 2: Entwicklung Zwillingsbahnsteig
- 4 -
Müller, Ronny, 9602555
BTU Cottbus, Lehrstuhl Eisenbahnwesen, Prof. Dr.-Ing. Thiel
Für ein möglichst angenehmes Reisen konnten Fahrgäste ihr Gepäck im Bahnhof an
Gepäckschaltern aufgeben. Von hier wurde dieses zu den Zügen gebracht und ver-
laden. Das Verladen erfolgte jedoch nicht immer auf der Längsseite des Zuges,
welche die Fahrgäste für den Ein- und Ausstieg nutzten. An einigen Bahnhöfen
wurden zur zweiten ungenutzten Fahrzeugseite Gepäckbahnsteige angeordnet.
Am Leipziger Hauptbahnhof konnte die nicht offizielle Nutzung eines Gepäckbahn-
steiges für den Fahrgastwechsel bereits zu Zeiten der Leipziger Messe in der DDR
beobachtet werden. Viele Fahrgäste aus den ankommenden und oftmals überfüllten
Zügen nutzten die Fahrzeugseite an den vorhandenen Gepäckbahnsteigen, um
schneller aussteigen zu können. Aussteigende Reisende machten ohne jede Fahr-
gastinformation im Zug oder auf dem Bahnsteig vom Vorhandensein der zweiten
Bahnsteigkante bewusst Gebrauch, um den Fahrzeugausstieg für sich persönlich zu
beschleunigen. Dieses Verhalten zeigt anschaulich die Akzeptanz einer zweiten
Bahnsteigkante beim Fahrgast und dessen Verlangen das gewählte Transportmittel
auf dem schnellsten möglichen Weg betreten und verlassen zu können.
Im Jahr 1968 beschreibt Prof. Joachim Fiedler die Möglichkeit des Einsatzes von
Zwillingsbahnsteigen, um die Haltezeit von Zügen zu reduzieren. Diese Form der
Bahnsteiganordnung soll als Maßnahme zur Steuerung der Haltezeit dienen, die
durch die Verteilung der Fahrgäste auf dem Bahnsteig und der gegenseitigen Be-
hinderung der ein- und aussteigenden Fahrgäste stark beeinflusst wird.
,,Außerordentlich störend wirkt sich das ungeduldige Verhalten einsteigbereiter Fahr-
gäste aus, die ­ sich um die Türen scharend ­ die aussteigenden Reisenden be-
hindern oder sich sogar den vorzeitigen Einstieg durch einen der beiden Türteile er-
zwingen; die Haltezeit wird dadurch beträchtlich verlängert. Als Abhilfe wurde mehr-
fach angeregt, jedes Gleis beiderseits an Zwillingsbahnsteige zu führen, sodass bei-
spielsweise nach links ausgestiegen und von rechts eingestiegen werden kann.
Schon seit etwa zehn Jahren ist von dieser Möglichkeit in verschiedenen Unter-
grundstationen in Madrid und Barcelona Gebrauch gemacht worden."
[24]
Der primäre Einsatz eines Zwillingsbahnsteiges bei der Eisenbahn ist im spanischen
Nahverkehrssystem auszumachen. Im Folgenden werden Beispiele für vorhandene
Anlagen von Zwillingsbahnsteigen in Nahverkehrssystemen in Spanien, Italien und
Deutschland aufgezeigt.

Kapitel 2: Entwicklung Zwillingsbahnsteig
- 5 -
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BTU Cottbus, Lehrstuhl Eisenbahnwesen, Prof. Dr.-Ing. Thiel
2.2 Beispiele bestehender Anlagen
2.2.1 Spanien: Metro in Barcelona
In Barcelona, der zweitgrößten Stadt Spaniens, leben 1,6 Millionen Einwohner. Das
gesamte Einzugsgebiet der katalonischen Metropole zählt insgesamt drei Millionen
Menschen. Die Metro Barcelona wurde offiziell am 30. Dezember 1924 eröffnet.
Wie die meisten spanischen Großstädte erfuhr auch Barcelona in den fünfziger Jah-
ren des letzten Jahrhunderts einen bedeutsamen Bevölkerungsanstieg durch zahl-
reiche Einwanderer aus allen Teilen Spaniens. Um den damit verbundenen zuneh-
menden Fahrgastandrang an den bestehenden 90m langen Bahnsteigen bewältigen
zu können, entschied man sich an bestimmten Stationen für die Anordnung von drei
Bahnsteigen an zwei Gleisen. Die ursprüngliche Idee war es, dass von den Seiten-
bahnsteigen die Fahrgäste zusteigen und zu den Mittelbahnsteigen aussteigen soll-
ten. Mittels dieser Trennung sollte eine gegenseitige Behinderung der ein- und aus-
steigenden Fahrgäste vermieden werden und schließlich eine Verringerung der Hal-
tezeiten erreicht werden
[55]
.
15,920
3,000
2,960
4,000
2,960
3,000
[m]
Abbildung 3
Querschnitt durch den Bahnhof Sagrera der Metro Barcelona
[44]
Die Breite der Außenbahnsteige für die zusteigenden Fahrgäste beträgt in diesem
Beispiel (Abbildung 3) drei Meter. Für die Breite des Mittelbahnsteiges der ausstei-
genden Fahrgäste wurden vier Meter gewählt.

Kapitel 2: Entwicklung Zwillingsbahnsteig
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BTU Cottbus, Lehrstuhl Eisenbahnwesen, Prof. Dr.-Ing. Thiel
Abbildung 4
Typische Bahnsteiganordnung der Metro in Barcelona
[55]
Heute öffnen die Fahrzeugtüren der Metro in Barcelona an beiden Fahrzeugseiten
gleichzeitig. Die Reisenden können nach individueller Wahl am Mittelbahnsteig oder
den Seitenbahnsteigen ein- und aussteigen [55]. Ursachen dieser Entwicklung sind
möglicherweise nicht nur eine mangelhafte Fahrgastinformation auf den Bahnsteigen
und im Fahrzeug, sondern gleichermaßen die psychologische Wirkung der zusätzlich
vorhandenen Bahnsteigkante auf den Reisenden. Warum sollte sich der ausstei-
gende Fahrgast geduldig mit den anderen Fahrgästen ausschließlich durch die Türen
einer Fahrzeugseite drängen, wenn andererseits die Türen der Fahrzeugseite für die
zusteigenden Fahrgäste gleichfalls geöffnet sind? Folgerichtig nutzt der ausstei-
gende Reisende auch diese Türen für einen schnelleren Ausstieg. Eine Optimierung
der Haltezeit wird nicht infolge einer Trennung der Fahrgastströme, sondern mittels
einer Vermischung der Fahrgastströme und deren Verteilung auf beide Bahnsteige
erzielt.
Der Zwillingsbahnsteig hat sich in den letzten Jahrzehnten in Barcelona bewährt und
wird vorwiegend an Stationen mit starken Fahrgastströmen angewendet
[32], [55]
.
Dies sind insbesondere Stationen, die Übergänge zu anderen Linien der Metro und
weiteren Verkehrsmitteln ermöglichen.

Kapitel 2: Entwicklung Zwillingsbahnsteig
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2.2.2 Spanien: Metro in Madrid
Die spanische Hauptstadt Madrid und ihr Einzugsgebiet zählen insgesamt fünf Mil-
lionen Einwohner. Gegründet wurde die Metro der Stadt Madrid am 17.Oktober 1919.
Ihr Streckennetz zählt nach London und Moskau zu den größten in Europa.
Madrid hatte von 1950 bis 1960 eine vergleichbare Bevölkerungsentwicklung wie
Barcelona zu verzeichnen. Aus den Regionen Andalusien, Extremadura und Galicien
zogen zahlreiche Menschen in die industrialisierten Großstädte. Die gleichermaßen
ansteigenden Fahrgastzahlen der Metro erforderten einen Ausbau des Strecken-
netzes und eine Optimierung der vorhandenen Anlagen
[55].
Ebenso wie in Barce-
lona wurden zahlreichen Stationen in Madrid, zu je zwei Gleisen drei Bahnsteig-
kanten zugeordnet, um nicht nur einen schnelleren Fahrgastwechsel zu ermöglichen,
sondern auch die Flächen des vorhandenen, beengten Bahnsteigraumes möglichst
optimal für eine größtmögliche Anzahl an Fahrgästen zu nutzen.
2.2.3 Italien: Metro in Mailand
Die Hauptstadt der Provinz Mailand und der Region Lombardei ist nach Rom die
zweitgrößte Stadt Italiens. Infolge der günstigen Lage an den Knoten wichtiger Ver-
kehrswege ist Mailand jedoch die wichtigste Industrie- und Handelsstadt des Landes.
Der öffentliche Personenverkehr wird von der
Azienda Trasporti Milanesi
(ATM) ge-
tragen und ist verantwortlich für Bus, O-Bus, Straßenbahn und Metro. Dass von der
ATM erfasste Einzugsgebiet erstreckt sich auf eine Fläche von 1.380km², in welchem
2,848 Millionen Einwohner leben
[2]
. Das Netz der Mailänder Metro setzt sich aus
drei Linien zusammen, wobei jede Linie durch eine unterschiedliche Leitfarbe ge-
kennzeichnet ist (M1­Rot; M2­Grün; M3­Gelb). Die Stationen der gelben Linie sind,
wie diese der roten und grünen Linie, mit Seiten- oder Mittelbahnsteigen ausgestat-
tet. Eine Ausnahme stellt die Endstation
San Donato
der gelben Linie dar. Diese
weist drei Gleise mit zwei Seitenbahnsteigen und einem Mittelbahnsteig auf
[31]
.
Anstelle eines Zwillingsbahnsteiges wird desgleichen von der
Spanischen oder Mai-
länder Bahnsteigform
gesprochen
.

Kapitel 2: Entwicklung Zwillingsbahnsteig
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2.2.4 S-Bahn München: Hauptbahnhof, Stachus, Marienplatz
Angesichts der positiven Erfahrungen, welche die Metro in Barcelona mit Zwillings-
bahnsteigen sammeln konnte, entschied man sich in München Ende der fünfziger
und Anfang der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts die S-Bahnhöfe
Hauptbahnhof, Stachus (Karlsplatz) und Marienplatz mit einer ebenso leistungs-
fähigen Bahnsteiganordnung zu gestalten
[32]
. Die genannten drei Stationen liegen
dicht konzentriert zueinander und stellen die wichtigsten Umsteigepunkte im Mün-
chener Nahverkehrssystem dar. An diesen Bahnanlagen werden das Umland der
Stadt (S-Bahn) und der Stadtkern (U-Bahn) miteinander verknüpft.
Im Berufsverkehr warten die Fahrgäste auf den Mittelbahnsteigen oftmals so dicht
gedrängt, dass es den Reisenden hier praktisch unmöglich ist, den Bahnsteig von
einem Ende zum anderen zu durchqueren. Aussteigende Fahrgäste aus ankom-
menden Zügen haben an diesen Stationen keine andere Möglichkeit als den Zug
zum ,,leeren" Außenbahnsteig zu verlassen.
In München wird von der Trennung der
Fahrgastströme Gebrauch gemacht. Zusteigende Fahrgäste werden über den Mittel-
bahnsteig in den Zug geführt. Aussteigende Fahrgäste verlassen den Zug dagegen
über den Außenbahnsteig (Abbildung 5 bis Abbildung 7).
4,550
3,300
9,000
3,300
4,850
[m]
Abbildung 5
Querschnitt durch eine Station der Münchner S-Bahn
[32]

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Abbildung 6
Station Hauptbahnhof der Münchner S-Bahn
Abbildung 7
Station Stachus (Karlsplatz) der Münchner S-Bahn
Ein Betreten des Außenbahnsteiges über den Bahnhofszugang ist in der Regel nicht
möglich. Personal der S-Bahn hindert Reisende an dessen Zugang und informiert
diese über den Mittelbahnsteig als Zugang zu den Zügen. In den verkehrenden
S-Bahnen werden die ankommenden Fahrgäste mittels einer akustischen Fahrgast-
information darauf hingewiesen, zu welcher Seite der Ausstieg erfolgen soll (,,Nächs-
ter Halt... . Umsteigemöglichkeit zu ... . Bitte rechts aussteigen!").
Alle drei genannten Stationen liegen im Verkehrsnetz der S-Bahn direkt aneinander.
Die Stationen Hauptbahnhof und Stachus liegen sogar so dicht beieinander, dass mit
bloßem Auge vom Hauptbahnhof ausgehend, durch den Tunnel die Station Stachus
erblickt werden kann. Die geringe Stationsentfernung, ihre hohe verkehrliche Be-
deutung für die Verknüpfung von Umland und der Stadt München, die Ermöglichung
geringer Taktzeiten, bedingen einen schnellen Fahrgastwechsel. Aus diesem Grund
wurde in München der Gebrauch von Zwillingsbahnsteigen beschlossen.

Kapitel 2: Entwicklung Zwillingsbahnsteig
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2.2.5 S-Bahn Berlin: Warschauer Straße
Im Gegensatz zu den bereits dargestellten Beispielen von Barcelona, Madrid und
München hat der Einsatz eines Zwillingsbahnsteiges am S-Bahnhof Warschauer
Straße in Berlin anderweitige Ursachen.
Die S-Bahn Berlin hatte in der DDR eine hohe verkehrliche Bedeutung. Nahezu die
Hälfte aller Beförderungsleistungen im öffentlichen Personennahverkehr wurde durch
die S-Bahn bedient. Der Neubau großer Wohnkomplexe im Nordosten der Stadt, in
den siebziger und achtziger Jahren, ließ die Nachfrage an Beförderungsleistungen
stark ansteigen. Die Kehranlagen der S-Bahn im Ostbahnhof und der Friedrichstraße
waren jedoch bereits vollständig ausgelastet. Aus diesem Grund entschloss man sich
am S-Bahnhof Warschauer Straße, welcher sich eine Station vor dem Ostbahnhof
befindet, das vorhandene äußerste Gleis als Bahnhofsgleis zu nutzen. Mit dem Bau
eines neuen Mittelbahnsteiges entstand ein mittleres Bahnsteiggleis, welches zu
beiden Seiten eine Bahnsteigkante aufweist ­ ein Zwillingsbahnsteig. Seit dem
22.Dezember 1986 wird dieses Bahnsteiggleis für haltende und weiterfahrende
S-Bahnzüge sowie als Wendegleis der S-Bahn genutzt
[10]
.
Abbildung 8
Zwillingsbahnsteig S-Bahnhof Warschauer Straße in Berlin

Kapitel 2: Entwicklung Zwillingsbahnsteig
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Abbildung 9
Blick auf eine beidseitig geöffnete S-Bahn am Bahnhof Warschauer Straße
Die Türen der S-Bahnzüge am S-Bahnhof Warschauer Straße öffnen an beiden
Fahrzeugseiten gleichzeitig. Fahrgäste können von jeder Fahrzeugseite zusteigen
und zu jeder Fahrzeugseite aussteigen. Es ist keine Trennung der einsteigenden und
aussteigenden Fahrgäste vorgesehen.
Problematisch am S-Bahnhof Warschauer Straße ist die fehlende Fahrgastinfor-
mation in den Zügen für die ankommenden Fahrgäste, welche in andere S-Bahn-
Linien umsteigen möchten. Steigen diese zur ,,falschen" Bahnsteigseite aus, so
haben sie nur die Möglichkeit, entweder zügig den Zug zu durchqueren, oder einen
langen und beschwerlichen Fußweg über eine provisorische Treppenanlage zurück-
zulegen, um auf die gewünschte Bahnsteigseite zu gelangen. Insbesondere für
mobilitätsbehinderte Menschen ist dies eine beinahe unlösbare Aufgabe. Der
S-Bahnhof Warschauer Straße verfügt über keine Aufzüge, Rampen oder Fahr-
treppen als Zugang zu den Bahnsteigen. Es bleibt infolgedessen für mobilitätsbehin-
derte Reisende nur die Möglichkeit die Hilfe anderer anzunehmen oder auf den
nächsten Zug zu warten, um diesen schließlich als Querung zum gewünschten
Bahnsteig zu nutzen. Diese Situation steht in einem konträren Verhältnis zum
Komfortgedanken und der Zufriedenheit der Fahrgäste.
Die Sanierung des Bahnhofes und der Bau eines neuen Empfangsgebäudes sollen
voraussichtlich vom Jahr 2008 bis 2010 erfolgen und werden den gegenwärtigen,
provisorischen Zustand beseitigen. Nach Abschluss dieser Maßnahmen wird der
S-Bahnhof Warschauer Straße keinen Zwillingsbahnsteig mehr aufweisen.

Kapitel 3: Fahrgastwechsel und seine Einflussfaktoren
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3 Fahrgastwechsel und seine Einflussfaktoren
3.1 Bedeutung
Für eine gezielte Leistungssteigerung von Personenverkehrsanlagen ist es not-
wendig, die den Fahrgastwechsel beeinflussenden Faktoren zu kennen. Eine Be-
schränkung der Betrachtung auf einzelne Faktoren wird nicht zum gewünschten
Optimierungsziel führen. Aus diesem Grund ist es wichtig die einzelnen Faktoren mit
ihren Beziehungen untereinander zu kennen und diese aufeinander abzustimmen.
In diesem Kapitel wird auf die Einflussfaktoren und ihre Bedeutung eingegangen. Für
eine weitergehende und sehr ausführliche Betrachtung, der am Fahrgastwechsel
beteiligten Systemkomponenten, sei auf die Dissertation ,,Der Fahrgastwechsel im
öffentlichen Personenverkehr" von Prof. Dr. Ulrich Weidmann verwiesen
[65]
.
Beteiligte Komponenten am
Fahrgastwechsel
Fahrgast
Fahrzeug
Feste Anlage
Betrieb
Abbildung 10 Beteiligte Komponenten am Fahrgastwechsel
Die Dauer des Fahrgastwechsels ist in erster Linie abhängig vom Übergang des
Fahrgastes zwischen den Komponenten Fahrzeug und Fester Anlage. Der Fahrgast
begibt sich von seiner Position auf der Festen Anlage in das Fahrzeug und sucht sich
darin einen geeigneten Platz. An seiner Zielstation verlässt er das Fahrzeug und be-
gibt sich wieder auf den Bahnsteig. Die körperliche Leistungsfähigkeit des einzelnen
Fahrgastes, die Gestaltung der Bahnsteige und diese der Fahrzeuge stehen in un-
mittelbarer Abhängigkeit zueinander und beeinflussen die Dauer des Fahrgastwech-
sels nachhaltig.

Kapitel 3: Fahrgastwechsel und seine Einflussfaktoren
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3.2 Komponente Fahrgast
3.2.1 Geschlecht und Alter
In der Bundesrepublik Deutschland leben 82,501 Millionen Menschen (Stand 31. De-
zember 2004). 40,354 Millionen sind davon männlichen und 42,147 Millionen weib-
lichen Geschlechts. Dies entspricht einem Verhältnis von 48,91 Prozent Männern zu
51,09 Prozent Frauen
[58]
.
Abbildung 11 Alterspyramide der Bundesrepublik Deutschland, Stand 2001
[7]
Die körperliche Leistungsfähigkeit von Frauen ist geringer als jene von Männern.
Frauen haben mit 36 Prozent des Körpergewichts eine geringere Muskelmasse, als
Männer mit 42 Prozent.
Ihre Muskelkraft entspricht in etwa zwei Dritteln eines
Mannes im gleichen Alter
[1]
. Nach
[65]
beträgt die mittlere Gehgeschwindigkeit von
Frauen 1,27m/s und die für Männer 1,41m/s. Eine exakte Trennung nach dem Ge-
schlecht als Einfluss auf den Fahrgastwechsel ist in der Praxis nahezu unmöglich.
Für die Betrachtung der Gehgeschwindigkeit wird deshalb ein Mittelwert von 1,34m/s
angenommen
[65]
.

Kapitel 3: Fahrgastwechsel und seine Einflussfaktoren
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Abbildung 12 Verlauf der Fußgängergeschwindigkeiten in Funktion vom Lebensalter
[65]
Das Maximum seiner körperlichen Leistungsfähigkeit erreicht der Mensch im Alter
von zwanzig Jahren. Anschließend bildet sich diese wieder zurück. Bis zum Alter von
65 Jahren hat sich die Muskelkraft des Menschen um ungefähr 20 Prozent zurück-
gebildet. Dieser Verlust an Leistungsfähigkeit ist eng mit der Rückentwicklung des
Bewegungsapparates und damit einem Absinken der Gehgeschwindigkeit im Alter
verbunden (Abbildung 12).
Die Lebenserwartung in Deutschland ist in den letzten Jahren angestiegen, wohin-
gegen seit 1965 eine stabil niedrige Geburtenquote zu verzeichnen ist
[7]
. Der Anteil
der Älteren an der Gesamtbevölkerung nimmt einen immer größer werdenden Stel-
lenwert ein und ist in die Leistungsbetrachtung von Personenverkehrsanlagen ver-
stärkt einzubeziehen (Tabelle 1).
1910
2000
2050
Anteil der unter 20-jährigen an der
Gesamtbevölkerung
44% 21% 16%
Anteil der über 60-jährigen an der
Gesamtbevölkerung
8% 23% 33%
Tabelle 1
Anteil und Entwicklung der Älteren an der Gesamtbevölkerung
[8]

Kapitel 3: Fahrgastwechsel und seine Einflussfaktoren
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3.2.2 Mobilitätsbehinderte
Fahrgäste
Von großer Bedeutung ist die Betrachtung des Anteils der mobilitätseingeschränkten
Fahrgäste am Gesamtkollektiv. Diese verfügen aus einem bestimmten Grund nicht
über die Beweglichkeit und Leistungsfähigkeit einer gesunden, erwachsenen Person.
Der Fahrzeugeinstieg, die Zugänglichkeit der Personenverkehrsanlagen, das Pro-
blem der unterschiedlichen Bahnsteighöhen, führen insbesondere in dieser Kunden-
gruppe zu einem erheblichen Attraktivitätsnachteil gegenüber dem motorisierten In-
dividualverkehr.
Mobilitätsbehinderte Reisende werden in drei Hauptgruppen unterteilt
[46]
:
Behinderte Menschen im engeren Sinn
- Körperbehinderte
Menschen
- Sehbehinderte
Menschen
- Hörbehinderte
Menschen
- Geistig behinderte Menschen
Menschen mit altersbedingter Mobilitätseinschränkung
- Kinder
- Ältere
Menschen
Menschen mit reisebedingter Mobilitätseinschränkung
- Fahrgäste mit Gepäck
- Fahrgäste mit Kinderwagen
- Fahrgäste mit Fahrrädern
- Fahrgäste mit Hunden
- Werdende
Mütter
- Ortsunkundige
Menschen
Der Anteil mobilitätsbehinderter Fahrgäste entspricht in etwa einem Drittel der Ge-
samtbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland
[4]
. Nach
[29]
wird sogar von ei-
nem Anteil ausgegangen, der zwischen 35 und 45 Prozent liegt. Die Wünsche und
Anforderungen dieser prozentual sehr großen Kundengruppe, in Bezug auf die bau-
liche Gestaltung von Anlage und Fahrzeug, sind für eine optimale Ausschöpfung die-
ses Fahrgastpotenzials verstärkt zu beachten.

Kapitel 3: Fahrgastwechsel und seine Einflussfaktoren
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Der Gesetzgeber berücksichtigt die Belange behinderter Menschen in verschiedenen
Gesetzen und Regelwerken.
Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland
GG Artikel 3, Absatz 3 [Gleichheit vor dem Gesetz]
,,... Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden."
Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Artikel 3, Absatz 3 wurde im Jahr
1994 um obigen Satz erweitert. Diese Erweiterung macht deutlich, dass eine Aus-
grenzung Behinderter in der Gesellschaft nicht zulässig ist und nicht toleriert wird.
Eisenbahn- Bau- und Betriebsordnung (EBO)
EBO §2, Absatz 3 [Allgemeine Anforderungen]
,,Die Vorschriften dieser Verordnung sind so anzuwenden, dass die Benutzung
der Bahnanlagen und Fahrzeuge durch behinderte Menschen und alte Men-
schen sowie Kinder und sonstige Personen mit Nutzungsschwierigkeiten ohne
besondere Erschwernis ermöglicht wird. Die Eisenbahnen sind verpflichtet, zu
diesem Zweck Programme zur Gestaltung von Bahnanlagen und Fahrzeugen
zu erstellen, mit dem Ziel, eine möglichst weit reichende Barrierefreiheit für
deren Nutzung zu erreichen. Dies schließt die Aufstellung eines Betriebspro-
gramms mit den entsprechenden Fahrzeugen ein, deren Einstellung in den
jeweiligen Zug bekannt zu machen ist. Die Aufstellung der Programme erfolgt
nach Anhörung der Spitzenorganisationen von Verbänden, die nach § 13 Abs.
3 des Behindertengleichstellungsgesetzes anerkannt sind. Die Eisenbahnen
übersenden die Programme über ihre Aufsichtsbehörden an das für das Ziel-
vereinbarungsregister zuständige Bundesministerium. Die zuständigen Auf-
sichtsbehörden können von den Sätzen 2 und 3 Ausnahmen zulassen."
[59]
Die Barrierefreiheit als Instrument um die Zugänglichkeit von Bahnanlagen und Fahr-
zeugen für mobilitätseingeschränkte Personen zu erleichtern, ist das Kernstück des
obigen Absatzes. Eisenbahnunternehmen haben hierzu die Pflicht, Programme in
Zusammenarbeit mit anerkannten Behindertenverbänden zu erarbeiten. Diese sind
jedoch nicht genehmigungspflichtig. Der Umfang, der Inhalt und die Art der Um-
setzung der Programme lässt die EBO weitestgehend offen. Damit ist den Eisen-
bahnen ein maximaler Spielraum bei der Gestaltung der Bahnanlagen und Fahr-
zeuge gegeben. Die Möglichkeit der Ausnahme, von der im letzten Satz des Ab-
satzes Gebrauch gemacht wird, bietet beispielsweise die Eventualität von der Bar-
rierefreiheit bei der Darstellung von Museumsbahnen abzusehen
[30]
.

Kapitel 3: Fahrgastwechsel und seine Einflussfaktoren
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Behindertengleichstellungsgesetz (BGG)
BGG §1 [Gesetzesziel]
,,Ziel dieses Gesetzes ist es, die Benachteiligung von behinderten Menschen
zu beseitigen und zu verhindern sowie die gleichberechtigte Teilhabe von be-
hinderten Menschen am Leben in der Gesellschaft zu gewährleisten und ih-
nen eine selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen. Dabei wird be-
sonderen Bedürfnissen Rechnung getragen."
BGG §4 [Barrierefreiheit]
,,Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische
Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische
und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie an-
dere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für behinderte Menschen in der all-
gemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne
fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind."
Das ,,Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen und zur Änderung anderer
Gesetze" (Behindertengleichstellungsgesetz - BGG) vom 27.April 2002, wurde mit
dem Ziel des Rechts auf Barrierefreiheit und der Gleichstellung behinderter Men-
schen in der Gesellschaft verabschiedet. Der Gesetzgeber hat im BGG §4 den Be-
griff der Barrierefreiheit definiert und dabei das traditionelle Verständnis der Barriere-
freiheit erweitert. Nicht nur die Beseitigung räumlicher Hindernisse, auch die Beseiti-
gung akustischer und optischer Hindernisse wird nun berücksichtigt.
Weitere wichtige Gesetze und Vorschriften, welche die Rechte von Behinderten in
der Gesellschaft stützen, sind:
Sozialgesetzbuch, Buch IX
Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, §3
Landesbehindertengleichstellungsgesetz
DIN 18024 ­ Barrierefreies Bauen
Psychologisch wichtig für Behinderte ist ihre Selbstbestimmung. Sie empfinden es
zumeist als unangenehm, auf fremde Hilfe angewiesen zu sein. Sie wollen ihr Ziel
selbstständig erreichen. Der öffentliche Verkehr ist für viele Behinderte dabei ein
wichtiges gesellschaftliches Integrationsinstrument. Im Mittelpunkt der gesamten An-
strengungen steht nicht nur die Fürsorge und Versorgung von behinderten Men-
schen, sondern auch ihr Anspruch am gesellschaftlichen Leben gleichberechtigt teil-
zunehmen. Die Barrierefreiheit gilt als das wichtigste Instrument für die Selbst-
bestimmung mobilitätseingeschränkter Personen im öffentlichen Verkehr.

Kapitel 3: Fahrgastwechsel und seine Einflussfaktoren
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3.3 Komponente Feste Anlage
3.3.1 Gestaltung
Die Verteilung der wartenden Fahrgäste über die gesamte Bahnsteiglänge hat grund-
legenden Einfluss auf die Dauer der Haltezeit. Infolge einer gleichmäßigen Fahrgast-
verteilung wird eine ebenso gleichmäßige Auslastung aller Fahrzeugtüren eines
Zuges erreicht. Die Haltezeit wird minimal. Verteilen sich die Fahrgäste dagegen un-
gleichmäßig, so kommt es zu Pulkbildungen in bestimmten Bereichen des Bahn-
steiges. Dies sind beispielsweise die Zugänge, Sitzmöglichkeiten oder Ticketauto-
maten. Einzelne Fahrzeugtüren werden stärker belastet und die Haltezeit steigt an.
Das Ziel einer ausgewogenen Verteilung der Fahrgäste über die gesamte Bahnsteig-
länge muss bereits in der Planung einer Personenverkehrsanlage, durch die richtige
Ausnutzung der Gestaltungsfaktoren (Bahnsteigbreite, -Zugänge und -Ausstattung)
gesteuert werden.
Bahnsteigbreite
Mit der Bahnsteigbreite wird Einfluss auf die Verteilung der Fahrgäste genommen. Ist
diese überdimensioniert kann es zu besagten Pulkbildungen, einer ungleichmäßigen
Fahrgastverteilung kommen (Abbildung 13). Die Bahnsteigbreite muss in Abhängig-
keit des zu erwartenden Fahrgastaufkommens, der Art und Anzahl der Bahnsteig-
zugänge und dem Flächenbedarf der Bahnsteigausstattung bestimmt werden.
b
1
b
2
L
1
= L
2
und b
1
b
2
L
1
L
2
Ungleichmäßige Fahrgastverteilung
Gleichmäßige Fahrgastverteilung
Abbildung 13 Fahrgastverteilung in Abhängigkeit der Bahnsteigbreite

Kapitel 3: Fahrgastwechsel und seine Einflussfaktoren
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Art, Lage und Anzahl der Bahnsteigzugänge- und Abgänge
Im straßenabhängigen, öffentlichen Nahverkehr (Bus, Straßenbahn) befinden sich
die einzelnen Haltestellen weitgehend in Randlage (Abbildung 14). Es gibt keine ge-
kennzeichneten, vorgeschriebenen Zugänge zum Haltestellenbereich. Es existieren
unendlich viele Zugänge. Eine Ausnahme bilden Haltestellen in Insellage, welche mit
fest definierten Zugängen ausgestattet sind (Abbildung 15). Charakteristisch für Hal-
testellen straßenabhängiger Systeme ist das niveaugleiche Queren der jeweiligen
Infrastruktur durch den Fahrgast.
Abbildung 14 Bushaltestelle mit Busbucht in Randlage
Abbildung 15 Straßenbahnhaltestelle in Mittellage

Kapitel 3: Fahrgastwechsel und seine Einflussfaktoren
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Straßenunabhängige Systeme, wie die Eisenbahn, besitzen im Gegensatz hierzu nur
wenige fest definierte Zugänge. Ihre Lage orientiert sich nach der jeweiligen Örtlich-
keit. Oft ist nur eine Überführung oder Unterführung in Flucht des Empfangsgebäu-
des angeordnet (Abbildung 16). Aus Sicherheitsgründen sind diese Zugänge niveau-
frei ausgebildet. Der Fahrgast erreicht den Bahnsteig nur durch Nutzung einer
Treppe, Rampe, Fahrtreppe oder eines Aufzuges. Ausnahmen bilden die Zungen-
bahnsteige eines Kopfbahnhofes. Hier erreichen die Fahrgäste die Bahnsteige
niveaugleich über einen Querbahnsteig an der Kopfseite.
Abbildung 16 Bf der Eisenbahn, Zugang zu den Bahnsteigen durch eine Unterführung
Bei der Wahl der Lage der Bahnsteigzugänge ist zusätzlich das Fahrgastverhalten zu
beachten. Dabei lassen sich zwei Erscheinungen beobachten
[23]:
Die Türen eines Zuges in der Nähe der Zugänge werden verstärkt genutzt.
Ortskundige Fahrgäste steigen in den Teil des Zuges, vom dem Sie an ih-
rer Zielstation den kürzesten Weg zu den Ausgängen haben.
Nach
[64]
sind bei straßenunabhängigen Schienenverkehrssystemen für eine gleich-
mäßige Türbenutzung mindestens zwei Zugänge, vorzugsweise in den Viertel-
punkten erforderlich (Abbildung 17).
Abbildung 17 Inselbahnsteig mit zwei Zugängen in den jeweiligen Viertelpunkten

Kapitel 3: Fahrgastwechsel und seine Einflussfaktoren
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Bahnsteigausstattung
Die Verteilung der Fahrgäste über die gesamte Bahnsteiglänge lässt sich über des-
sen Ausstattung steuern. Dazu zählen Wetterschutzeinrichtungen, Sitzmöglichkeiten,
Fahrkartentautomaten, Informationstafeln (Fahrplanaushang, Orts- und Umgebungs-
pläne, ÖPNV-Netzplan), Kioske und kleinere Ausstattungselemente wie zum Beispiel
Abfallbehälter und Raucherbereiche.
Beispielhaft ist hierfür das Anbringen einer Wetterschutzeinrichtung. Übersteigt die
vorhandene Bahnsteiglänge die tatsächlich vorkommenden Zuglängen beträchtlich
und wird zudem eine Bahnsteigüberdachung in einer Länge angebracht, welche
auch der maximal vorkommenden Zuglänge entspricht, so können die Fahrgäste mit
dieser Maßnahme bereits indirekt in den gewünschten Bereich des Zughaltes geführt
werden. Kehrt man dies aber nun um, das heißt, die Wetterschutzeinrichtung wird
nicht über die gesamte Bahnsteiglänge angebracht und haltende Züge nutzen die
vorhandene Bahnsteiglänge dagegen vollständig aus, so führt dies zu einer un-
gleichmäßigen Fahrgastverteilung und zu einer Verlängerung der Haltezeit. Ein Bei-
spiel hierfür ist der Bahnhof in Warnemünde. Im Regelbetrieb setzen sich die Züge
der verkehrenden S-Bahn aus einem Doppelstock-Steuerwagen, zwei Doppelstock-
Mittelwagen und einem Triebfahrzeug der Baureihe 143 zusammen. Auf diese Zug-
länge ist auch die Bahnsteigüberdachung angepasst. Bei erhöhten Fahrgastauf-
kommen, bei Segelregatten oder der Hanse-Sail werden diese Züge durch zwei zu-
sätzliche Doppelstock-Mittelwagen verstärkt. Als Folge der ungenügenden Bahn-
steigüberdachung wird von den Fahrgästen nur der Bahnsteigbereich mit Über-
dachung angenommen. Der in Abbildung 19 dargestellte hintere Teil des Bahn-
steiges ohne Überdachung bleibt dagegen unbenutzt. Mittels Lautsprecherdurch-
sagen auf dem Bahnsteig (,,Bitte nutzen sie auch den hinteren Teil des Bahn-
steiges!") wird dann versucht diesem Fahrgastverhalten entgegenzuwirken.
Neben der Bahnsteigausstattung nimmt in diesem gewählten Beispiel auch der
Bahnsteigzugang wesentlichen Einfluss auf die Fahrgastverteilung. Der nur einzige
und höhengleiche Zugang am Querbahnsteig führt zu einer Konzentration der Fahr-
gäste am Bahnsteigzugang. Vereinfacht lässt sich die Abnahme der Fahrgastver-
teilung auf dem Bahnsteig mittels eines linearen Verlaufes darstellen (Abbildung 18).

Kapitel 3: Fahrgastwechsel und seine Einflussfaktoren
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Q
u
er
b
ahns
te
ig
Zuglänge
Länge Bahnsteigüberdachung
Zugang
Idealisierte Verteilung der Fahrgäste auf dem Bahnsteig
2
Bahnsteigüberdachung
Abbildung 18 Fahrgastverteilung bei höhengleichem Zugang über Querbahnsteig
Abbildung 19 Bahnsteig 2 des Bahnhofes in Warnemünde

Kapitel 3: Fahrgastwechsel und seine Einflussfaktoren
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3.3.2 Bahnsteighöhe
Für eine möglichst geringe Fahrgastwechselzeit ist ein stufenfreier Einstieg anzu-
streben. Rechtliche Grundlagen für die Festlegung der Bahnsteighöhe von Eisen-
bahnen in Deutschland sind die EBO, hier §13 und das Merkblatt 741 des Internatio-
nalen Eisenbahnverbandes UIC
[60]
, für Bahnsteige welche durch Züge des inter-
nationalen Verkehrs bedient werden.
EBO §13, Absatz 1 [Bahnsteige, Rampen]
,,Bei Neubauten oder umfassenden Umbauten von Personenbahnsteigen sollen
in der Regel die Bahnsteigkanten auf eine Höhe von 0,76 m über Schienen-
oberkante gelegt werden; Höhen von unter 0,38 m und über 0,96 m sind un-
zulässig. Bahnsteige, an denen ausschließlich Stadtschnellbahnen halten,
sollen auf eine Höhe von 0,96 m über Schienenoberkante gelegt werden. In
Gleisbogen ist auf die Überhöhung Rücksicht zu nehmen."
[59]
UIC Merkblatt 741, Punkt 2.1.1 [Höhe über Schienenoberkante (SO)]
,,Die Nennhöhe der Bahnsteigkanten beträgt 550mm über SO."
[60]
Die EBO lässt bei der Wahl der Bahnsteighöhe in der Planung einen Spielraum von
380mm bis 960mm. Hierbei ist die richtige Abstimmung zwischen Bahnsteighöhe und
den verkehrenden Schienenfahrzeugen von Bedeutung, sodass ein möglichst stufen-
freier Fahrzeugeinstieg ermöglicht werden kann. Heute angewendete Standardhöhen
in Deutschland liegen bei 380 / 550 / 760 / 960mm
[37], [65]
. Diese Höhen sind durch
Festlegungen in früheren Betriebsordnungen begründet.
Abbildung 20 Anteile unterschiedlicher Bahnsteighöhen an Stationen im Netz der DB AG
[14]

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2005
ISBN (eBook)
9783832494964
ISBN (Paperback)
9783838694962
Dateigröße
4.7 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Brandenburgische Technische Universität Cottbus – Fakultät 2: Architektur, Bauingenieurwesen und Stadtplanung, Verkehrswesen
Note
1,3
Schlagworte
haltezeit bahnsteiganordnung fahrgastwechselzeit fahrgatsverteilung zugabfertigung
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Titel: Beitrag zur Leistungssteigerung von Personenverkehrsanlagen
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