Risiken im Einkauf
Ihre Analyse, Bewertung und Behandlung unter besonderer Berücksichtigung ökonomischer und rechtlicher Aspekte
Zusammenfassung
Mit Beschaffungsvorgängen sind in praktisch jeder Unternehmung stets auch Risiken verbunden. Durch neue Aktivitäten wie global sourcing und erhöhte Anforderungen an die Versorgungssicherheit durch Just-in-time- und Supply-Chain-Konzepte, haben sich aber bestehende Risiken vergrößert und es sind neue Risiken in der Beschaffung entstanden. Zudem setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass im Handeln des Einkaufs große Potenziale für den Unternehmungsertrag liegen. Für die Beherrschung von Risiken ist neben ihrer Identifikation und angemessenen Behandlung auch eine strategische Planung erforderlich. Beschaffungs- und Absatzseitig haben Unternehmungen tagtäglich auf die Herausforderungen der sich rasch wandelnden Märkte zu reagieren. Ein Risikomanagementsystem reagiert auf die Veränderungen der Märkte und ist mittlerweile schon allein hinsichtlich der Sicherung des Unternehmungserfolgs unabdingbar geworden.
In den fünf Kapiteln dieser Arbeit wird nach einer Einführung in die Problemstellung der Risikobegriff und der Risikomanagementprozess allgemein erläutert, ferner werden im Einzelnen spezielle Risiken in der Beschaffung von Gütern im engen materialwirtschaftlichen Sinne (Roh-, Hilfs-, Betriebsstoffe, Handelswaren) hinsichtlich ihrer praktischen Implikation untersucht und ihre Behandlungsmöglichkeiten dargestellt sowie praktische Handlungsempfehlungen für die Beschaffung in einer Unternehmung gegeben. Schließlich werden die Ergebnisse noch einmal zusammengefasst und ein Ausblick auf zukünftige Entwicklungen dargelegt.
Ein besonderer Augenmerk ist auf die Risikobehandlungsmöglichkeiten hinsichtlich der vertraglichen Gestaltung von Lieferbeziehungen unter den deutschen und internationalen rechtlichen Vorschriften gerichtet. Diese Arbeit erhebt nicht den Anspruch, die Konsultation eines Juristen für die Klärung rechtlicher Problemstellungen zu ersetzen, aber es sollen einige ausgewählte, für die Beschaffung wichtige juristische Kernpunkte dargestellt werden. Hierbei wird unterstellt, dass sowohl die beschaffende Unternehmung als auch die Lieferanten Kaufleute (im Sinne des HGB) sind.
Zusammenfassung:
Diese Diplomarbeit befasst sich mit typischen Risiken, die mit nationalen und internationalen Einkaufsvorgängen einer deutschen Unternehmung verbunden sind, ihren Einfluss auf Unternehmungsziele, zeigt ihre Quellen und ordnet sie in ein unternehmungsweites Risikomanagementsystem ein und stellt allgemeine und […]
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung / Abstract
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Symbolverzeichnis
1. Einleitung
2. Risikomanagement
2.1 Der Risikobegriff
2.2 Der Risikomanagementprozess
2.3 Unternehmungsziele
2.4 Risikokultur
2.5 Identifikation von Risiken
2.6 Risikobewertung
2.7 Risikomatrix
2.8 Risikobehandlung
2.8.1 Ursachenbezogenes Handeln
2.8.2 Auswirkungsbezogenes Handeln
2.8.3 Rechtliche Aspekte
2.8.4 Wirtschaftlichkeitsüberlegungen der Risikobehandlung
2.9 Strategische Aspekte
2.9.1 Frühwarnung
2.9.2 Benchmarking
2.9.3 Kennzahlen
3. Risikomanagement im Einkauf
3.1 Beschaffungsziele
3.2 Beschaffung als Ertragspotentialfaktor
3.3 Einkaufsrisiken
3.3.1 Unternehmungsinterne Einkaufsrisiken
3.3.2 Unternehmungsexterne Beschaffungsrisiken
3.3.3 Hybride Beschaffungsrisiken
3.4 Übersicht häufiger Einkaufsrisiken
4. Behandlung von Einkaufsrisiken
4.1 Mythos „Verhandlungsmacht“
4.2 Behandlung unternehmungsinterner Einkaufsrisiken
4.3 Behandlung unternehmungsexterner Einkaufsrisiken
4.4 Behandlung hybrider Einkaufsrisiken
4.5 Eignung der jeweiligen Behandlungsmöglichkeiten
5. Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Eidesstattliche Versicherung
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abb. 2-1 Der Risikomanagementprozess
Abb. 2-2 Der Beschaffungsprozess
Abb. 2-3 Risikomatrix
Abb. 2-4 Risikobehandlungsmethoden
Abb. 2-5 Kosten präventiven vs. kurativen Handelns
Abb. 3-1 Vertragliche Beziehungen zwischen Lieferant, Beschaffer und Unternehmung
Tabellenverzeichnis
Tab. 3-1 Einkaufsrisiken
Tab. 4-1 Behandlung von Einkaufsrisiken
Symbolverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
Mit Beschaffungsvorgängen sind in praktisch jeder Unternehmung stets auch Risiken verbunden.[1] Durch neue Aktivitäten wie global sourcing und erhöhte Anforderungen an die Versorgungssicherheit durch Just-in-time- und Supply-Chain- Konzepte, haben sich aber bestehende Risiken vergrößert und es sind neue Risiken in der Beschaffung entstanden.[2] Zudem setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass im Handeln des Einkaufs große Potenziale für den Unternehmungsertrag liegen. Für die Beherrschung von Risiken ist neben ihrer Identifikation und angemessenen Behandlung auch eine strategische Planung erforderlich. Beschaffungs- und Absatzseitig haben Unternehmungen tagtäglich auf die Herausforderungen der sich rasch wandelnden Märkte zu reagieren. Ein Risikomanagementsystem reagiert auf die Veränderungen der Märkte und ist mittlerweile schon allein hinsichtlich der Sicherung des Unternehmungserfolgs unabdingbar geworden.
In den fünf Kapiteln dieser Arbeit wird nach einer Einführung in die Problemstellung der Risikobegriff und der Risikomanagementprozess allgemein erläutert, ferner werden im Einzelnen spezielle Risiken in der Beschaffung von Gütern im engen materialwirtschaftlichen Sinne (Roh-, Hilfs-, Betriebsstoffe, Handelswaren) hinsichtlich ihrer praktischen Implikation untersucht und ihre Behandlungsmöglichkeiten dargestellt sowie praktische Handlungsempfehlungen für die Beschaffung in einer Unternehmung gegeben. Schließlich werden die Ergebnisse noch einmal zusammengefasst und ein Ausblick auf zukünftige Entwicklungen dargelegt.
Ein besonderer Augenmerk ist auf die Risikobehandlungsmöglichkeiten hinsichtlich der vertraglichen Gestaltung von Lieferbeziehungen unter den deutschen und internationalen rechtlichen Vorschriften gerichtet. Diese Arbeit erhebt nicht den Anspruch, die Konsultation eines Juristen für die Klärung rechtlicher Problemstellungen zu ersetzen, aber es sollen einige ausgewählte, für die Beschaffung wichtige juristische Kernpunkte dargestellt werden. Hierbei wird unterstellt, dass sowohl die beschaffende Unternehmung als auch die Lieferanten Kaufleute (im Sinne des HGB) sind.
2. Risikomanagement
2.1 Der Risikobegriff
Unter einem Risiko wird im Allgemeinen das Eintreten eines ungünstigen, ungewollten und nachteiligen Zustandes verstanden. Risiko resultiert auch aus einem Informationsdefizit und der Ungewissheit über die Zukunft, von der es nicht möglich ist, sie stets zutreffend vorherzusehen.[3] Monetär bewertet ergibt das Risiko den Schaden, der entsteht, wenn eine bestimmte Situation eintritt - auch im Sinne eines Wagnisses.[4]
Mathematisch kann ein Risiko als eine Multiplikation der Faktoren Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenhöhe dargestellt werden:[5]
(1) Risiko = Eintrittswahrscheinlichkeit x Schadenhöhe
Zur Erreichung eines Ziels ist es in der Regel notwendig, ein Risiko einzugehen und häufig korrelieren Ertragsmöglichkeiten und Risiko, d. h. mit einem hohen Ertrag ist oft auch großes Risiko verbunden.[6] Wünschenswert – wenn auch zugleich völlig realitätsfern – wäre es, einen Ertrag erzielen zu wollen, ohne sich auf jegliches Risiko einzulassen. Daher ist das bewusste Eingehen von Risiken in der Praxis unvermeidbar. Wenig sinnvoll wäre es jedoch, ein vergleichsweise großes Risiko einzugehen, um bestenfalls nur einen kleinen Ertrag zu erzielen,[7] und insbesondere die Art und Höhe eines Risikos nicht zu berücksichtigen sowie sich möglichen Risiken überhaupt nicht bewusst zu sein.[8]
Nachfolgend wird unter dem Begriff Risiko die Gefährdung, Unternehmungsziele nicht oder nur zu einem geringeren Grad als möglich und gewünscht zu erreichen, verstanden. Alles, was die Erreichung der Ziele gefährdet, stellt somit Risiko dar.[9]
2.2 Der Risikomanagementprozess
Vorstände von Aktiengesellschaften sind per § 91 II AktG, der durch das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) vom 27.04.1998 in das Aktiengesetz (AktG) eingefügt wurde, explizit verpflichtet, ein unternehmungsweites Überwachungs- und Frühwarnsystem (s. u.) einzurichten, damit Entwicklungen, die den Fortbestand der Gesellschaft bedrohen, früh erkannt werden können.[10] Aber auch ohne verpflichtet zu sein, ist ein solches auch für KMU wichtig, um Risiken erkennen und operative Verluste vermeiden zu können.
Hasenzahl beschreibt den Risikomanagementprozess in der Beschaffung als einen „systematischen und kontinuierlichen Prozess um Risikopotenziale innerhalb der Beschaffungskette effektiv und effizient zu identifizieren, Umfang und Eintrittswahrscheinlichkeit zu quantifizieren und geeignete Maßnahmen festzulegen. Diese Maßnahmen dienen dazu, kritische Beschaffungsrisiken zu vermeiden, zu vermindern, zu übernehmen oder deren Folgen auf die Lieferanten zu übertragen.“[11]
Wie auch in Abb. 2-1 gezeigt wird, ist der Risikomanagementprozess somit ein in sich geschlossener Regelkreis, der aus den Komponenten Risikoidentifikation, Risikoanalyse, Risikobewertung, Risikobehandlung und Risikoüberwachung besteht und der turnusmäßig wiederholt werden muss.[12] Als Ergebnis sollen Risiken verstanden, berechen- und kontrollierbar werden.[13]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2-1: Der Risikomanagementprozess (Quelle: UBS (2001), S. 13)
2.3 Unternehmungsziele
In der Regel setzt sich jede Unternehmung bestimmte Ziele und ist bemüht, diese zu erreichen. Ihre Art und Anzahl können für jede Unternehmung höchst unterschiedlich sein. Zwei Ziele sind jedoch bei vielen Unternehmungen zu finden: Das Bestreben, einen (maximalen) Gewinn (bzw. zumindest keine Verluste) zu erzielen und den Fortbestand als eigenständige Unternehmung zu sichern.[14] Eine der wichtigsten Aufgaben des Managements ist, dafür zu sorgen, dass die gesetzten Ziele erreicht werden. Dazu wird sich üblicherweise eines Regelkreises, dem Managementprozess, bedient. Den Unternehmungszielen untergeordnet sind die Ziele der einzelnen Organisationseinheiten. In Kap. 3.1 werden die Ziele der Beschaffungsabteilung betrachtet.
2.4 Risikokultur
Der Grad der jeweiligen Risikobereitschaft[15] von Unternehmungen und ihrer Anteilseigner ist verschieden und liegt in einem Kontinuum zwischen vollständiger Risikoaversion und vollständiger Risikofreudigkeit.[16] Hierbei ist jedoch festzuhalten, dass weder Risikoaversion noch Risikofreudigkeit für sich genommen etwas Positives oder Negatives sind. In Abhängigkeit von der individuellen Risikobereitschaft wird die Unternehmung aber bereit sein mehr oder weniger Risiko zu tragen und unterschiedliche Sicherungsinstrumente (s. u.) für ihre Behandlung verwenden.[17]
2.5 Identifikation von Risiken
Die Erkennung von bestehenden und zukünftigen potentiellen Risiken ist für ein erfolgreiches Risikomanagement unerlässlich.[18] Auf eine Unternehmung wirken mannigfache Einflüsse (wie Beschaffungs-, Absatz-, Kapitelmärkte, Technologie(wandel), Mitbewerber, Naturereignisse, Politik und Recht etc.) ein, die sämtlich jeweils Quellen von Risiken sein können.[19] Risiken lassen sich u. a. anhand der von der Unternehmung benötigten Ressourcen[20] und der Analyse von Abläufen erkennen. Im Falle der Beschaffungsrisiken eignet sich dazu in erster Linie der Beschaffungsprozess. Aber auch die Betrachtung der Beschaffungsorganisation, der Umwelt, die Früherkennung etc. sind durchaus zweckmäßig. Letztere insbesondere für die präventive Risikoidentifikation.[21]
Abb. 2-2 zeigt exemplarisch einen Beschaffungsprozess.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2-2: Der Beschaffungsprozess (Quelle: Hasenzahl (2003), Folie 25)
Die Risikoidentifikation kann als Risikoinventur im Rahmen regelmäßig stattfindender, sog. Risiko-Workshops (mit einer Gruppe bestehend aus Unternehmungsleitern und ‑mitarbeitern) sowie bei Risiko- Audits mit externen Beratern (z. B. Wirtschaftsprüfungsgesellschaften) erfolgen.[22] Dazu ist eine systematische Top-Down-Vorgehensweise geeignet, bei der zunächst allgemeinere Risiken identifiziert werden, die den Bestand der Unternehmung bedrohen, und in weiteren Schritten bereichs- und prozessbezogene sowie weitere Risiken ermittelt.[23] Wichtig ist dabei aber in jedem Fall, dass bestehende und zukünftige Risiken möglichst genau und vollständig erfasst werden und dass dieser Prozess regelmäßig wiederholt wird um neue Risiken zu entdecken und die Bewertung der bereits identifizierten zu überprüfen.[24]
2.6 Risikobewertung
Sind die bestehenden und zukünftigen Risiken identifiziert, ist es notwendig, sie als nächstes im Hinblick auf ihre voraussichtlichen Eintrittswahrscheinlichkeiten und Schadenhöhen zu bewerten. Als Einheiten für die Eintrittswahrscheinlichkeiten bieten sich je nach Praktikabilität Prozentwerte von 0 ‑ 100 %, Häufigkeiten je Zeitraum (z. B. ein Mal in drei Jahren) oder Kategorien wie niedrig, mittel, hoch an. Diese Einheiten lassen sich bei Erfordernis transformieren: Eine Häufigkeit von einem Mal in 10 Jahren entspricht einer jährlichen Eintrittswahrscheinlichkeit von 10 % (oder dem Wert 0,1). Die Praxis zeigt, dass in Risiko-Workshops die Frage nach den Eintrittshäufigkeiten zuverlässigere Werte als eine Schätzung der unmittelbaren Eintrittswahrscheinlichkeit bewirkt.[25] Die Kategorien niedrig, mittel, hoch lassen sich wiederum durch die drei Klassen 0 ‑ 33,3 %, 33,4 ‑ 66,6 %, 66,7 % ‑ 100 % bilden. Die Schadenhöhe kann als geschätzter Wert in Währungseinheiten oder auch in Kategorien (wie unwesentlich, klein, mittel, groß, existenzbedrohend etc.) angegeben werden.[26]
Hierzu ein Beispiel: Unterstellt man einen Schaden (z. B. durch eine Überschwemmung), der regelmäßig alle fünf Jahre vorkommt und jeweils einen ausschließlich materiellen Schaden in Höhe von 80.000 € verursacht, kann dies als sicheres Ereignis mit einer jährlichen Schadenshöhe von 16.000 € aufgefasst werden.[27]
Interessant in diesem Zusammenhang sind die ökonomischen Wirkungen dieser Erkenntnis: Unter Umständen schätzt eine Versicherung unter Zugrundelegung des ihr zur Verfügung stehenden Wissens die Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenhöhe anders ein als die Unternehmung.[28] Sollte die jährliche Prämie für eine Versicherung[29] geringer sein als die errechneten 16.000 €, bietet sich eine Versicherung an. Falls sie höher ist, wäre es nicht wirtschaftlich, die Versicherung abzuschließen, und der Betrag kann als zwangsläufig entstehende Kosten von der Unternehmung selbst übernommen (akzeptiert) werden. Vorbeugende Maßnahmen wie ein verbesserter Brandschutz rentieren sich gleichfalls nur, wenn sie auf die Jahre verteilt keine höheren jährlichen Kosten (z. B. Abschreibungen) verursachen als der errechnete Vergleichswert.
Zur besseren Übersicht sollte nach der Aufstellung der bewerteten Risiken zudem eine Visualisierung der identifizierten Risiken erfolgen. Dazu bietet sich die Risikomatrix[30] an.
2.7 Risikomatrix
Mit Hilfe der Risikomatrix werden die Risiken grafisch dargestellt. In der Horizontalen steht die Eintrittswahrscheinlichkeit, in der Vertikalen die Schadenshöhe – jeweils vom Ursprung links unten ausgehend nach oben und rechts mit zunehmender Höhe. Ob dabei nun eine 3 x 3‑, 4 x 4‑, 5 x 5‑ (oder gar eine rechteckige, z. B. 3 x 4‑) Matrix gebildet wird, ist nebensächlich und unterliegt der Praktikabilität und den Präferenzen der jeweiligen Unternehmung.[31]
Durch die Risikomatrix kann zur Verdeutlichung eine Akzeptanzlinie gezogen werden. Diese gibt an, welche Risiken die Unternehmung bereit ist, selber zu tragen (z. B. 1 Mio. €). Der Verlauf der Akzeptanzlinie kann gerade (linear), konkav oder konvex zum Ursprung, oder gestuft sein. Sie muss nicht unbedingt in der linken oberen Ecke beginnen und in der rechten unteren Ecke enden, muss aber zwingend vollständig und ununterbrochen von der linken Kante bis zur rechten Kante verlaufen, damit eine klare Aussage erkennbar ist.
Abbildung 2-3 zeigt exemplarisch eine Risikomatrix mit drei Risiken in einer 5 x 5-Matrix:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2-3: Risikomatrix (In Anlehnung an Wolf/Runzheimer (2003), S. 82)
2.8 Risikobehandlung
Grundsätzlich gibt es verschiedene Strategien, Risiken zu begegnen:[32] Es ist möglich, manche Risiken im Voraus vollständig vermeiden oder zumindest zu verringern (ursachenbezogenes Handeln[33]), oder die Auswirkungen im Eintrittsfall reduzieren (auswirkungsbezogenes Handeln[34]). Abbildung 2-4 zeigt eine Auflistung der Risikobehandlungsmethoden:[35]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2-4: Risikobehandlungsmethoden
Die Wahl der jeweils geeignetsten Methode hängt von der eigenen Risikoneigung (s. o.), den zu beschaffenden Gütern, der Unternehmungsumwelt, Marktsituation, den zur Verfügung stehenden Handlungsalternativen, den mit ihr verbundenen Kosten und Vorteilen etc. ab. Kompatible Risikobehandlungsmethoden können auch miteinander kombiniert werden, was dann als Risikomanagement-Mix bezeichnet wird.[36] Beispiele dazu sind eine teilweise Überwälzung eines Risikos per Versicherung und die Akzeptanz des Rests (als Selbstbehalt) oder die Erstattung eines Teils der vom Lieferanten bezahlten Prämien bsp. für Transportversicherungen. Bei der Entscheidung für eine bestimmte Vorgehensweise muss aber berücksichtigt werden, ob nicht vielleicht strategische Nachteile oder Risiken für andere Bereiche (wie vor- und nachgelagerte Stufen einer über mehrere Unternehmungen übergreifende Supply-Chain- oder unternehmungsinternen Prozesskette) schaffen oder verstärken (Fehlerfortpflanzungs- bzw. Peitscheneffekt).[37]
2.8.1 Ursachenbezogenes Handeln
Durch ursachenbezogenes Handeln wird versucht, etwas an den Ursachen eines Risikos zu verändern, um im Voraus (ex ante) weitestgehend oder vollständig auszuschließen, dass ein bestimmtes Ereignis eintritt. In der Risikomatrix wird dies c. p. als Linksverschiebung eines Risikos deutlich.[38]
Oft lässt sich durch ursachenbezogenes Handeln mit geringerem Aufwand eine große Auswirkung (Schaden) verhindern. Die folgende Grafik verdeutlicht diesen Zusammenhang:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2-5: Kosten präventiven vs. kurativen Handelns (Quelle: Matzenbacher/Bertsch/Christe et al. (1999), S. 8)
Als Beispiel seien hier die bei einer Chemiefabrik vergleichsweise geringen Kosten, die durch den Einbau einer Entlüftungsanlage zur Absaugung entzündlicher Dämpfe entstehen vs. den hohen Gesamtkosten einer Explosion genannt.
Zu den ursachenbezogenen Risikostrategien gehören die Risikovermeidung und die Risikoverminderung.
2.8.1.1 Risikovermeidung
Durch Risikovermeidung wird verhindert, dass ein bestimmtes Risiko eintritt.[39] Mit anderen Worten: Die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Risikos wird auf Null gebracht. Demnach ist die Höhe eines potenziellen Schadens irrelevant, da er ohnehin nicht eintritt. Die Risikovermeidung ist aber oft ungeeignet, Störungen kurzfristig zu beseitigen, und schwierig, wenn die Ursachen außerhalb der Unternehmung bedingt liegen.[40] Sie kommt ferner in Betracht, wenn eine Risikoabsicherungsmöglichkeit nicht besteht und die Risiken der Unternehmung zu groß für eine Risikoübernahme erscheinen.[41]
Ein Beispiel für die Risikovermeidung ist der Verzicht auf die Beschaffung aus dem Ausland: Falls nur im Inland beschafft wird, ist das Währungsrisiko damit beseitigt.[42]
2.8.1.2 Risikoverminderung
Die Risikoverminderung ist darauf ausgerichtet, mittels entsprechender Maßnahmen, welche die Ursachen und der Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Risikos betreffen, zu verringern.[43] Selbst bei einer unveränderten Schadenhöhe wird auf diese Weise eine Verringerung des Gesamtrisikos erreicht.
2.8.2 Auswirkungsbezogenes Handeln
Auswirkungsbezogenes Handeln zielt darauf, die unerwünschten Folgen (z. B. die monetäre Schadenshöhe) im Falle des Eintritts eines Ereignisses zu minimieren. In der Risikomatrix wird dies c. p. als Verschiebung nach unten sichtbar.[44] An der Eintrittswahrscheinlichkeit ändert sich jedoch nichts.
Zu den auswirkungsbezogenen Handlungsalternativen gehören die Risikoüberwälzung, Risikodiversifikation, Risikotransformation, Risikokompensation und Risikoübernahme[45].
2.8.2.1 Risikoüberwälzung
Die Überwälzung bedeutet, dass ein Risiko von einem Dritten getragen wird. Dieser „Dritte“ kann z. B. ein Lieferant, Kunde oder eine Versicherung sein.[46] Genau betrachtet, bestehen auch überwälzte Risiken fort; ihre Auswirkungen bringen aber keinen Schaden mehr für die Unternehmung. Eine Risikoüberwälzung stellt auch der Fall dar, wenn vereinbart wurde, dass der Lieferant eine dafür erforderliche Versicherungsprämie bezahlen muss.
Sinnvoll erscheint eine regelmäßigen Überwälzung von Risiken, die mit großen Auswirkungen bzw. Schadensummen (existenzbedrohende Risiken) verbunden sind, durch Versicherungen, auch wenn sie nur geringen Eintrittswahrscheinlichkeiten haben.[47]
2.8.2.2 Risikodiversifikation
Bei der Risikodiversifikation werden Risiken zerteilt[48] (z. B. durch Beschaffung einer benötigten Menge auf mehreren Beschaffungsmärkten bzw. Lieferanten oder auch durch sukzessive Versendung kleinerer Lose einer größeren Lieferung, um das Risiko der Beschädigung und eines Untergangs der gesamten Gütermenge während des Transports zu verringern) oder durch eine Aufteilung des Risikos auf mehrere Unternehmungen wie z. B. bei Bildung einer Einkaufsgemeinschaft.[49]
Nachteilig an der Risikodiversifikation kann dabei sein, dass mit ihr das eigentliche Risiko für die Unternehmung nicht vollständig, sondern nur anteilig verringert wird und dass die Gefahr vergleichsweise höherer Kosten und der Vergrößerung anderer Risiken besteht: Wenn gleiche Eintrittswahrscheinlichkeiten unterstellt werden, ist das kumulierte Risiko des Verlusts eines Teils einer in n Teile zerlegten Lieferung n mal so hoch, als wenn sie als eine einzige Sendung verschickt würde.
2.8.2.3 Risikotransformation
Mittels Risikotransformation wird ein Risiko vollständig durch ein anderes ersetzt. Beispielsweise bei einer Änderung der Fakturierung von Fremdwährung in die inländische Währung. Auf diese Weise wird zwar das Wechselkursrisiko eliminiert, dafür gibt es jetzt aber das Risiko schwankender Einkaufspreise.
Eine Risikotransformation ist sinnvoll, wenn ein Risiko in ein anderes Risiko mit geringerer Eintrittswahrscheinlichkeit oder Schadenhöhe transformiert werden kann, ohne dass dabei vergleichsweise höhere Kosten entstehen.
2.8.2.4 Risikokompensation
Bei der Risikokompensation trägt die Unternehmung ein Risiko selbst (ähnlich der Risikoübernahme), baut aber eine entsprechende Gegenposition zum Risiko auf (z. B. Hedging mit Futures, Optionsscheinen, Swaps zur Absicherung gegen steigende Wechselkurse).[50] Sie ist für Risiken mit geringen bis mittleren Eintrittswahrscheinlichen und Schadenshöhen geeignet, bringt aber immer den Nachteil mit sich, dass Kosten für die Gegenposition anfallen.
2.8.2.5 Risikoübernahme
Problematisch kann die Risikoübernahme sein, bei der die Unternehmung ein Risiko in voller Höhe ohne jeglichen Schutz selbst trägt.[51] Dies stellt eine Extremposition[52] dar und wird vermutlich angewendet, wenn sich keine andere Möglichkeit bietet, weil bsp. keine Versicherungsunternehmung bereit ist, das Risiko zu versichern oder bei niedrigen Eintrittswahrscheinlichkeiten und Schadenhöhen. Eventuell ist die Bildung von Rückstellungen und Rücklagen nach den handels- und steuerrechtlichen Vorschriften angebracht.[53]
2.8.3 Rechtliche Aspekte
Als Behandlungsmöglichkeit gegen Risiken bietet sich auch im Voraus eine genaue Vertragsgestaltung mit Lieferanten an, die sowohl auf die Ursachen als auch die Auswirkungen von Risiken gerichtet sein können. Im folgenden werden einige Aspekte aufgeführt, die dabei besonders berücksichtigt werden sollten.
2.8.3.1 Vertragsfreiheit
Nach deutschem Recht hat jede natürliche und juristische Person[54] das Recht der Privatautonomie. Dieses wird aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 I GG) abgeleitet und sichert jeder Person die freie Wahl zu, ob und mit wem sie Verträge abschließen (Abschlussfreiheit) oder aufheben (Aufhebungsfreiheit) möchte, in welcher Form sie dies tun möchte (Formfreiheit) und die Freiheit, den Inhalt der Verträge zu bestimmen (Inhaltsfreiheit), sofern nicht zwingende gesetzliche Bestimmungen die Vertragsfreiheit beschränken und die Verträge auch nicht gegen gesetzliche Verbote oder die guten Sitten verstoßen (Art. 2 I GG, §§ 134, 138 BGB).[55]
Grundsätzlich ist ein Vertrag eine Übereinkunft von zwei (oder mehreren) gleichlautenden Willenserklärungen. Zwar können viele Verträge auch mündlich geschlossen werden, aus Gründen der Beweisbarkeit im Streitfall empfiehlt es sich jedoch immer, Verträge schriftlich abzufassen. Und unerlässlich für die Vertragsverhandlungen, für evtl. spätere Haftungsfragen und Mängelrügen (auch für Zahlungen) usw. ist immer, genau zu wissen, wer der jeweilige Vertragspartner ist, d. h. in wessen Namen und Rechnung gehandelt wird, sowie zu prüfen, ob überhaupt ein Vertrag wirksam zustande gekommen ist.[56]
2.8.3.2 Gerichte vs. Schiedsverfahren
Bei Vorliegen von Streitigkeiten mit einem Lieferanten steht der Unternehmung grundsätzlich die zivile ordentliche Gerichtsbarkeit im Inland und im Land der Sitzes des betreffenden Lieferanten zur Verfügung, die der Unternehmung bei berechtigten Ansprüchen auch zu ihrem Recht verhelfen dürfte. Aber der Gang zu einem Gericht ist oft mit vielen Nachteile verbunden: So sind Gerichtsverfahren, die über mehrere Instanzen gehen, oft langwierig, relativ teuer und öffentlich. Selbst wenn mit dem Lieferanten vereinbart wurde, dass deutsches Recht gelten soll, was immer empfehlenswert ist, kann es sein, dass man vor ein ausländisches Gericht gehen muss, wobei Reisespesen und Kosten für Korrespondenzanwälte anfallen. Es ist jedoch fraglich, ob das Rechtssystem im Land des Lieferanten hinsichtlich Objektivität und Integrität mit dem gewohnten, deutschen Rechtssystem vergleichbar ist.
Anstelle des Klagewegs bieten sich Schiedsgerichte an. Ihre Rechtsgrundlage bilden die §§ 1025 ff. ZPO. Je nach Sitz und Wunsch der Verhandlungspartner kann ein deutsches Schiedsgericht oder – wenn auch mit höheren Kosten verbunden – ein ausländisches Schiedsgericht, z. B. das der internationalen Handelskammer in Paris, gewählt werden. Sinnvoll ist mit dem Lieferer zu vereinbaren, dass nur ein Schiedsgerichtsverfahren zur Klärung der Streitigkeiten durchgeführt wird und dass die Entscheidung des Schiedsgerichts in ihrer ersten und einzigen Instanz bindend, und damit auch vollstreckbar (gem. § 1055 ZPO i. V. m. §§ 1060 I, 1062 I Nr. 4 ZPO)[57], für beide Vertragsparteien ist (Schiedsklausel)[58]. Das hat mehrere Vorteile: Zum einen sind die Verfahren kürzer und erheblich preiswerter als an ordentlichen, zivilen Gerichten. Zum anderen herrscht Vertraulichkeit: Die Öffentlichkeit – und damit auch Wettbewerber – erfahren nichts von dem Verfahren und seinen verhandelten Details. Als Verhandlungssprache sollte eine von der Unternehmung bevorzugte Sprache gewählt werden. Und wenn keine explizite Vereinbarung über die Anzahl der Richter getroffen wird, gelten drei Richter als vereinbart.[59]
2.8.3.3 Vertragsstrafe vs. Schadenersatz
Durch eine Vertragsstrafe (Pönale) verpflichtet sich ein Vertragspartner bei einem genau definierten Verstoß gegen Vertragsbestimmungen (z. B. verspätete, unvollständige oder mangelhafte Lieferung) eine Strafe in festgelegter Höhe zu bezahlen (§§ 339 ff. BGB). Diese sollte vertraglich ausgehandelt und fixiert werden sowie möglichst der tatsächlich entstandenen Schadenhöhe entsprechen, denn ist sie zu gering, muss der Fehlbetrag als Schadenersatz – und den damit verbundenen Nachteilen (s. o.) – eingeklagt werden. Ein Vertragspartner (z. B. ein Lieferant) kann sich auch zur Zahlung einer Vertragsstrafe bei Verschulden eines Dritten (z. B. eines Transporteurs) verpflichten. Eine Gegenklage auf Herabsetzung einer Vertragsstrafe ist für einen Kaufmann gemäß § 348 HGB nicht möglich. Jedoch kann eine Vertragsstrafenklausel unwirksam sein, wenn eine Vertragspartei unangemessen benachteiligt wird.[60]
Entsteht ein Schaden, so ist der Verursacher aus gesetzlichem bzw. vertraglichem Schuldverhältnis zum Schadenersatz verpflichtet.[61] Für die Durchsetzung des Anspruches müssen aber der Verursacher und die genaue Schadenshöhe ermittelt werden. Beides ist in der Praxis oft nicht einfach realisierbar. Zudem sind vor allem immaterielle Vermögensschäden (z. B. Imageschaden, Vertrauensverlust von Kunden) schwierig quantifizierbar. Bei einer Vertragsstrafe muss ein Schaden nicht nachgewiesen werden, sogar nicht einmal entstanden sein und muss unabhängig vom Verschulden des Lieferanten gezahlt werden.[62]
2.8.3.4 Rechtswahl
Die Vertragspartien können das Recht, das Verträgen zugrunde liegen soll, frei aushandeln. Die Privatautonomie berechtigt sie dazu. Dies wird für internationale Verträge durch Art. 27 EGBGB bekräftigt. Sollte für solche Verträge nicht vereinbart worden sein, welchem Recht sie unterliegen sollen, bestimmt sich das anzuwendende Recht nach Art. 28 EGBGB in Abhängigkeit mit der engsten Verbindung derjenigen Partei, welche die charakteristische Leistung zu erbringen hat. Bei internationalen Beschaffungsverträgen ist das i. d. R. das Recht des Landes, in dem der Verkäufer seinen Sitz hat.[63] Aus Sicht der Unternehmung ist es zur Vermeidung von Rechtsunsicherheiten und Unwägbarkeiten eines ihr nicht bekannten Rechtssystems[64] vorteilhaft, deutsches Recht zu vereinbaren.
Unter dem Begriff „deutsches Recht“ werden alle in Deutschland gültigen Rechtsvorschriften verstanden, und das sind nicht nur deutsche Gesetzbücher wie das BGB, HGB u. ä., sondern auch sämtliche von der Bundesrepublik Deutschland durch völkerrechtliche Verträge akzeptierten Rechtsnormen wie EG/EU-Recht, von der EU mit Drittstaaten geschlossene Abkommen und UN-Konventionen wie CISG[65] (Convention on Contracts for the International Sale of Goods).[66] Letzteres besitzt große Bedeutung für internationale Kaufverträge, und es wird automatisch Vertragsbestandteil, wenn mindestens eine Vertragspartei ihren Sitz in einem Staat hat, der dieses Übereinkommen ratifiziert hat und ihre Anwendung nicht explizit (s. u.) im Vertrag ausgeschlossen wurde.[67]
Grundsätzlich sind internationale Übereinkommen zu begrüßen, da sie zu einer weltweiten Rechtsharmonisierung und damit zu mehr Rechtssicherheit führen.[68] Die Anwendung von CISG ist aber für eine deutsche Unternehmung nachteilig, weil einige Artikel die Unternehmung schlechter stellen, als wenn sie einen Vertrag nach den Normen der deutschen Gesetzbücher abschließen würde.[69]
So ist z. B. der Rücktritt (entspr. § 323 BGB) vom Vertrag nach Lieferung des Guts nur innerhalb den engen Grenzen des Art. 49 II CISG möglich. Und ohne individuelle Vereinbarung ist der Erfüllungsort für die Zahlung des Kaufpreises nach Art. 57 I lit. a CISG der Sitz des Verkäufers. Damit verbunden sind nicht nur Kosten und Transferrisiken der Zahlung, sondern es erfolgt auch eine implizite Verlagerung des Gerichtsstands für evtl. Rechtsstreitigkeiten mit dem Verkäufer wegen Vertragsverletzungen auf seinen Sitz.[70] Außerdem ist nach CISG eine vorherige Mahnung des Verkäufers bei Vertragsverletzungen des Käufers nicht erforderlich; Ansprüche kann der Verkäufer unmittelbar geltend machen.[71] Besser gestellt wird ein deutscher Käufer jedoch durch Art. 39 I CISG, der ihm im Vergleich zu § 377 I HGB eine längere Rügezeit einräumt.[72]
Ein teilweiser oder vollständiger Ausschluss des CISG kann nach seinem Art. 6 rechtsgültig bewirkt werden, wenn er unmissverständlich mit einer Opt-Out -Klausel wie „Es gilt deutsches Recht unter Ausschluss des UN-Kaufrechts CISG.“ formuliert wird.[73]
2.8.4 Wirtschaftlichkeitsüberlegungen der Risikobehandlung
Bei der Auswahl der zur Verfügung stehenden Risikobehandlungsoptionen muss darauf geachtet werden, dass die dadurch entstehenden Kosten für Versicherungen, Finanzderivate u. a. (auch Opportunitätskosten) den monetär bewerteten Nutzen (der eigentlichen Risikominimierung) nicht übersteigen. Oft sind die Kosten umso höher, je größer die Risikoreduktion ist.
Zur Erreichung optimaler Konditionen dürften außerdem Verhandlungen mit Lieferanten unerlässlich sein. Da Verhandlungen aber in jedem Fall Zeit in Anspruch nehmen und damit Kosten (als Anbahnungskosten) sowie ggf. zusätzlich Reisekosten verursachen, ist eine Wirtschaftlichkeitsüberlegung unter Berücksichtigung der Tatsache, dass selbst mittelgroße Unternehmungen oft mehrere Tausend Güter von einer Vielzahl von Lieferanten beziehen müssen, wieviel Zeit man aufwenden kann, um noch eine weitere Verbesserung von Vertragskonditionen zu erhalten, angebracht.
2.9 Strategische Aspekte
Strategisches Risikomanagement soll frühzeitig die Marktposition und den Fortbestand der Unternehmung bedrohende Entwicklungen erkennen.[74] Es hat also eine andere Aufgabe als das operative Risikomanagement.[75] Ein wichtiges Mittel für das strategische Risikomanagement ist die Frühwarnung, auf die im folgenden eingegangen wird.[76]
2.9.1 Frühwarnung
Mit einem Frühwarnsystem können sich abzeichnende, langsam entwickelnde zukünftige Veränderungen im strategischen Bereich erkannt und bewertet werden. Je früher diese Entwicklungen bemerkt werden, desto eher lassen sich Handlungsstrategien entwickeln.[77] Anfangs sind es nur geringe, schwierig erkennbare Signale. Je deutlicher diese Signale jedoch sind, desto unausweichlicher kommt es zu einem Wandel. Wenn diese Zeichen zu spät erkannt werden und man vor einer Entwicklung überrascht wird, bleiben nur noch begrenzte Handlungsspielräume und wenig Reaktionszeit. Unter Umständen haben Unternehmungen, die diese Signale frühzeitiger erkannt und sich entsprechend darauf eingestellt haben, nun einen großen Wettbewerbsvorteil erzielt.[78] Für die Früherkennung können auch Lieferantenaudits und Benchmarking[79] dienen, um durch Abweichungen von einem Planungssoll z. B. einen schleichenden Qualitätsverfall eines Lieferanten zu entdecken.[80] Aber auch für ein Frühwarnsystem gilt, dass es einer Kosten-/Nutzen-Analyse unterzogen wird.[81]
[...]
[1] Vgl. Hoeve/Schweizer (2001), S. 103.
[2] Vgl. Melzer-Ridinger (2000), S. 182.
[3] Vgl. Helten/Bittel/Liebwein (2000), S. 158 ff.
[4] Vgl. Biermann (2002), S. 105; Hoeve/Schweizer (2001), S. 106.
[5] Vgl. UBS (2001), S. 7.
[6] Insoweit liegen in Risiken auch Chancen.
[7] Vgl. Koppelmann (2004), S. 412; UBS (2001), S. 12.
[8] Vgl. UBS (2001), S. 4; Matzenbacher/Bertsch/Christe et al. (1999), S. 6.
[9] Vgl. Koppelmann (2004), S. 404; Zsidisin (2001), S. 2.
[10] Vgl. Füser/Gleißner/Meier (1999), S. 753; Hornung/Reichmann/Diederichs (1999), S. 317 f.
[11] Hasenzahl (2003), F. 9; ähnlich Koppelmann (2004), S. 405.
[12] Die Definition des Risikomanagementprozesses ist in der Literatur nicht einheitlich: Wittmann stellt ihn bsp. als Prozess aus den Komponenten Risikoidentifikation, Risikobewertung, Risikosteuerung und Risiko-Reporting dar. Vgl. Wittmann (2000), S. 805 ff.
[13] Vgl. Wolf/Runzheimer (2003), S. 32.
[14] Vgl. Koppelmann (2004), S. 109 ff.
[15] Sie wird auch als Risikoneigung bezeichnet.
[16] Vgl. UBS (2001), S. 4 f.
[17] Vgl. Diederichs/Form/Reichmann (2004), S. 191.
[18] Vgl. Coenen (2004), S. 98 f.; Wolf/Runzheimer (2003), S. 41.
[19] Vgl. Diederichs/Form/Reichmann (2004), S. 189 ff.; Wolf/Runzheimer (2003), S. 203; Schönbächler (2001), S. 148 f.
[20] Vgl. Füser/Gleißner/Meier (1999), S. 753.
[21] Vgl. Wolf/Runzheimer (2003), S. 27, 52 ff.
[22] Vgl. Koppelmann (2004), S. 406 ff.; Wolf/Runzheimer (2003), S. 112 ff.
[23] Vgl. Füser/Gleißner/Meier (1999), S. 754.
[24] Vgl. Matzenbacher/Bertsch/Christe et al. (1999), S. 18.
[25] Vgl. Füser/Gleißner/Meier (1999), S. 755.
[26] Vgl. Coenen (2004), S. 99; Leidinger (2002), S. 247, Matzenbacher/Bertsch/Christe et al. (1999), S. 19.
[27] Vgl. auch Füser/Gleißner/Meier (1999), S. 755.
[28] Erkennbar liegen hier Agency-Probleme (s. u.) vor: Die Unternehmung ist hierbei der Agent und die Versicherungsgesellschaft der Principal.
[29] Die regelmäßige Zahlung der Versicherungsprämie kann ebenfalls als ein sicheres Ereignis aufgefasst werden.
[30] Diese wird auch Risikoportfolio oder Risiko-Map genannt.
[31] Vgl. Coenen (2004), S. 99; Matzenbacher/Bertsch/Christe et al. (1999), S. 20.
So könnte es eine Unternehmung vorziehen, die Achsen zu vertauschen. Vgl. Freidank (2000), S. 744 f.
[32] Vgl. Hasenzahl (2003), F. 10.
[33] Dies wird auch als präventives Handeln bezeichnet.
[34] Auch kuratives Handeln genannt.
[35] Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es noch die Möglichkeiten der Risikovergrößerung (vgl. Hoeve/Schweizer (2001), S. 112 f.) und eine weitere – allzu menschliche – Art gibt, mit Risiken umzugehen, die im Sinne einer vollständigen Betrachtung aller Risikobehandlungsmöglichkeiten nicht ausgeblendet werden darf: Es ist die Risikoverdrängung. Hierbei möchte man sich gewissen Risiken (z. B. durch einen Unfall zu verunglücken oder einen Herzinfarkt zu erleiden; oder eine plötzliche Betriebsschließung) nicht gewahr werden und verdrängt sie – trotz ihres Bestehens. Dies darf aber im wirtschaftlichen Handeln keine Rolle spielen; vielmehr muss vom going-concern ausgegangen werden, weil sonst aufgrund des Grübelns über diese Risiken jegliche Entscheidung blockiert würde. Sie wird in der betriebswirtschaftlichen Literatur daher nicht erwähnt, und soll auch im folgenden nicht weiter betrachtet werden.
[36] Vgl. Wolf/Runzheimer (2003), S. 96 f.; Baetge/Jerschensky (1999), S. 173.
[37] Vgl. Melzer-Ridinger (2000), S. 187.
[38] Vgl. UBS (2001), S. 22, Füser/Gleißner/Meier (1999), S. 756.
[39] Vgl. Melzer-Ridinger (2001a), S. 45; Melzer-Ridinger (2000), S. 184.
[40] Vgl. Melzer-Ridinger (2000), S. 184.
[41] Vgl. Matschke/Olbricht (2000), S. 72
[42] Man nimmt sich damit aber auch die Chancen, die einem Bezug aus dem Ausland verbunden sind (z. B. günstigere Einkaufspreise). Vgl. Koppelmann (2004), S. 414.
[43] Melzer-Ridinger fasst die Risikovermeidung und die ‑verminderung zusammen. (Vgl. Melzer-Ridinger (2000), S. 184.) Das erscheint jedoch als eine zu starke Vereinfachung, denn entweder ist die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Risikos gleich oder ungleich (m. a. W. größer als) Null.
[44] Vgl. UBS (2001), S. 22, Füser/Gleißner/Meier (1999), S. 756.
[45] Diese wird auch als Risikoakzeptanz bezeichnet.
[46] Matschke/Olbricht bezeichnen die entgeltliche Risikoüberwälzung als Risikoübertragung. Vgl. Matschke/Olbricht (2000), S. 73 f.
[47] Vgl. UBS (2001), S. 22.
Im Privatbereich findet dies seine Entsprechung durch Lebens- und Unfallversicherungen.
[48] Daher wird sie gelegentlich als Risikoteilung bezeichnet. Vgl. Matschke/Olbricht (2000), S. 73.
[49] Eine Versicherungsunternehmung ist das klassische Beispiel eines Risikoteilers. Bestehende Risiken werden auf eine große Anzahl von Risikoübernehmern (der Versichertengemeinschaft) verteilt.
[50] Vgl. Matschke/Olbrich (2000), S. 74, 142 ff.; Füser/Gleißner/Meier (1999), S. 757.
[51] Vgl. Matschke/Olbricht (2000), S. 72.
[52] Vgl. Koppelmann (2004), S. 414.
[53] Vgl. Kalhöfer/Rücker (2002), S. 433 ff.
[54] Körperschaften öffentlichen Rechts und Kapitalgesellschaften wie GmbH, AG sind Beispiele für juristische Personen. Vgl. Klunzinger (2001), S. 26 ff.
[55] Vgl. Klunzinger (2001), S. 55 ff, 75 f.; o. V. (2004), S. 1.
[56] Vgl. Klunzinger (2001), S. 58 ff., 69, 73 ff., 277 ff.
[57] Vgl. Berger (2004), S. 1.
[58] Sollte dies bei der Vertragsausgestaltung versäumt worden sein, kann es jederzeit nachgeholt werden, wenn es einvernehmlich erfolgt.
[59] Vgl. Herdegen (2003), S. 113.
[60] Vgl. Krimphove (2002), S. 10; Melzer-Ridinger (2001b), S. 50.
[61] Unter anderem nach den §§ 823, 280 ff. BGB. Vgl. Klunzinger (2001), S. 171 ff., 209 ff.
[62] Vgl. Melzer-Ridinger (2001b), S. 50; Melzer-Ridinger (2000), S. 195.
[63] Vgl. Schünemann (2002), S. 265 f.
[64] Vgl. Herdegen (2003), S. 179.
[65] Da dieses Übereinkommen 1980 in Wien getroffen wurde, wird es manchmal auch als Wiener Abkommen oder Wiener UN-Kaufrecht bezeichnet. Gebräuchlicher ist aber mittlerweile die Bezeichnung CISG. Vgl. Herdegen (2003), S. 180.
[66] Vgl. Herdegen (2003), S. 12 f., 24 f., 184 f.
[67] Vgl. Herdegen (2003), S. 180 ff.
[68] Vgl. Herdegen (2003), S. 179.
[69] Schünemann begrüßt hingegen grundsätzlich aus Rechtsvereinfachungsgründen das CISG, ohne die Implikationen des CISG tiefergehend zu analysieren, kritisiert jedoch fehlende sachenrechtliche Regelungen in ihm. Vgl. Schünemann (2002), S. 266.
[70] Vgl. Herdegen (2003), S. 189.
[71] Vgl. Herdegen (2003), S. 189.
[72] Vgl. Herdegen (2003), S. 187.
[73] Vgl. Herdegen (2003), S. 183 ff.
[74] Vgl. Hahn/Krystek (2000), S. 83 ff.; Füser/Gleißner/Meier (1999), S. 753.
[75] Vgl. Elfgen (2002), S. 207.
[76] Vgl. Elfgen (2002), S. 209.
[77] Vgl. Koppelmann (2004), S. 368; Wolf/Runzheimer (2003), S. 23; Hahn/Krystek (2000), S. 76.
[78] Vgl. UBS (2001), S. 15; Hahn/Krystek (2000), S. 86 ff.
[79] Vgl. UBS (2001), S. 17.
[80] Vgl. Bötzel/Lührs/Rechtsteiner/Wittig (2004), S. 21.
[81] Vgl. Wolf/Runzheimer (2003), S. 162.
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Originalausgabe
- Jahr
- 2004
- ISBN (eBook)
- 9783832494650
- ISBN (Paperback)
- 9783838694658
- DOI
- 10.3239/9783832494650
- Dateigröße
- 570 KB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Universität Duisburg-Essen – Wirtschaftswissenschaften
- Erscheinungsdatum
- 2006 (März)
- Note
- 2,7
- Schlagworte
- controlling beschaffung risikomanagement verhandlung risiko