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Ein Experiment zur Wahrnehmung und Zuschreibung von Führungserfolg

©2005 Diplomarbeit 160 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Gang der Untersuchung:
Die Diplomarbeit beinhaltet den theoretischen Hintergrund und ein Experiment zur Wahrnehmung und Zuschreibung von Führungserfolg bzw. Misserfolg. Sie wurde im November 2005 dem Lehrstuhl für Betriebs- und Organisationspsychologie der RWTH Aachen vorgelegt und insgesamt mit der Note 1,3 bewertet.
Im 1. Kapitel wird der theoretische Hintergrund der Arbeit dargestellt. Führung und Führungserfolg wird definiert und Attributionstheorien der Führung vorgestellt. Ein Schwerpunkt liegt auf impliziten Führungstheorien wie kognitiven Theorien der Führung und dem „Romance of Leadership“-Konzept von Meindl. Zum ersten Mal werden diese kognitiven Führungstheorien mit den von Bass postulierten Führungsstilen transformational, transaktional und laissez-faire in Verbindung gebracht. Fazit des theoretischen Hintergrunds: Führungserfolg ist eine Zuschreibungsleistung.
Die Theorie wird anhand von empirischen Befunden in Kapitel 2 belegt. Zahlreiche Studien zeigen, dass Führungskräfte sowohl für negative als auch positive Ereignisse in Organisationen verantwortlich gemacht werden. Die experimentelle Studie dieser Diplomarbeit untersucht den Einfluss des transformationalen, transaktionalen und Laissez-faire Führungsstils auf die Wahrnehmung und Zuschreibung von Erfolgen und Misserfolgen.
72 studentische Versuchspersonen hörten eine Rede einer fiktiven Führungskraft, die einen der drei Führungsstile widerspiegelte. Anschließend erhielten sie eine Rückmeldung über das Ergebnis eines Projekts, welches entweder erfolgreich oder nicht erfolgreich abgeschlossen werden konnte.
Die Aufgabe der Versuchspersonen war es, die Erfolgswahrscheinlichkeit des Projektes und das Führungsverhalten einzuschätzen sowie zu bewerten, in welchem Ausmaß das Projektergebnis auf die Führungskraft, die Mitarbeiter der Projektgruppe, die Aufgabenschwierigkeit, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen oder auf zufällige Einflüsse zurückzuführen ist. Die abhängigen Variablen wurden mit dem Multifactor Leadership Questionnaire (Bass, 1985) und einem zu diesem Zweck entwickelten Attributionsfragebogen erhoben. Der Persönlichkeitsfragebogen NEO-FFI diente als Moderatorvariable und erfasst individuelle Ausprägungen auf den Skalen der Big-Five-Dimensionen.
Die Ergebnisse zeigen, dass Führungskräfte in Organisationen hauptsächlich für Misserfolge und Mitarbeiter hauptsächlich für Erfolge verantwortlich gemacht werden. Transaktionalen Führungskräften werden Erfolge […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 9456
Blatz, Caroline: Ein Experiment zur Wahrnehmung und Zuschreibung von Führungserfolg
Druck Diplomica GmbH, Hamburg, 2006
Zugl.: Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen (RWTH), Diplomarbeit,
2005
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2006
Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
0 Zusammenfassung... 9
1
Allgemeine Charakterisierung des Gegenstands... 10
1.1
Hintergrund und Ziel der Arbeit ... 10
1.2
Führung und Führungserfolg ... 13
1.2.1
Definition von Führung ... 13
1.2.2
Führungserfolg ... 17
1.3
Allgemeine Attributionstheorien ... 19
1.3.1
Attributionstheorien der Führung... 22
1.4
Implizite Führungstheorien ... 25
1.4.1
Kognitive Theorien der Führung... 27
1.4.2
Romance of Leadership ... 28
1.5
Persönlichkeit und Führung... 31
1.6
Transaktionale, transformationale und laissez-faire Führung ... 34
1.6.1
Das "Full Range of Leadership" - Modell... 39
1.7
Symbolische Führung und Impression Management... 40
1.8
Fazit: Führungserfolg als Zuschreibungsleistung ... 42
2
Entwicklung der Fragestellung ... 44
2.1
Befunde der experimentellen Führungsforschung ... 44
2.1.1
Befunde zur Zuschreibung von Führungskompetenz... 44
2.1.2
Befunde zur Attribution von Ergebnissen in Bezug auf charismatische
und transformationale Führung ... 47
2.1.3
Befunde zu extremen Ergebnissen ... 49
2.2
Befunde zu impliziten Theorien von Führung und zur Persönlichkeit der
Geführten ... 51
2.3
Befunde zum Zusammenhang zwischen Führungsstil und Führungserfolg
... 54
2.4
Fragestellung und Hypothesen... 56
3
Methode... 60
3.1
Entscheidung für Forschungsmethodik ... 60
3.1.1
Experimentelles Design und Versuchsplan... 60
3.1.2
Planung des Stichprobenumfangs ... 61
3

3.2
Eingesetzte Erhebungsinstrumente... 63
3.2.1
Einschätzung der Erfolgswahrscheinlichkeit ... 63
3.2.2
Erfassung von Führungsverhalten (MLQ) ... 63
3.2.3
Erfassung der Zuschreibung von Führungserfolg/-misserfolg
(Attributionsfragebogen)... 68
3.2.4
Erfassung von Persönlichkeitseigenschaften (NEO-FFI) ... 69
3.3
Kontext, Entwicklung und Ablauf der Untersuchung... 71
3.3.1
Entwicklung des Experiments ... 71
3.3.2
Ergebnisse der Vortests... 73
3.3.3
Material und Durchführung der Untersuchung ... 74
3.3.4
Stichprobe ... 77
3.4
Auswertungsmethoden... 78
3.4.1
Überprüfung der eingesetzten Instrumente... 79
3.4.2
Manipulationscheck der Bedingungen ... 80
3.4.3
Testen der Hypothesen... 80
4
Ergebnisse ... 82
4.1
Überprüfung des Attributionsfragebogen... 82
4.1.1
Faktorenanalyse... 82
4.1.2
Item und Skalenanalyse... 85
4.2
Ergebnisse zum Manipulationscheck ... 88
4.3
Ergebnisse bezüglich der getesteten Hypothesen ... 91
4.4
Ergänzende regressionsanalytische Untersuchungen... 107
4.5
Fazit... 110
5
Diskussion ... 111
5.1
Bewertung des Attributionsfragebogen als Erhebungsinstrument ... 111
5.2
Bewertung der Hypothesenprüfung ... 112
5.3
Kritische Diskussion der Gültigkeit der Ergebnisse ... 117
5.4
Kritische Betrachtung der Ergebnisse anhand des Laborbuchs ... 123
5.5
Ausblick ... 124
6
Literaturverzeichnis ... 129
7
Anhang ... 139
4

Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Triadisches Führungsschema nach Neuberger (2002)...17
Abb. 2: Inhalte und Konsequenzen transaktionaler und transformationaler Führung (aus Bass
& Avolio, 1990; vgl. Neuberger, 2002)...39
Abb. 3: Optimales Führungsprofil... 40
Abb. 4: Suboptimales Führungsprofil ...40
Abb. 5: Screenshot zur Einschätzung der Erfolgswahrscheinlichkeit...63
Abb. 6: Schwarz-Weiß-Icon:...73
Abb. 7: Screenshot zum Szenario des Businessfalls und der Projektbeschreibung ,,Paper for
People" ...75
Abb. 8: Screenshot zur Ergebnisrückmeldung des Projekts: Misserfolgsvariante ...76
Abb. 9: Studienrichtung der Versuchsteilnehmer... 77
Abb. 10 und 11: Berufserfahrung und Anzahl der Vorgesetzten der Versuchsteilnehmer...78
Abb. 12: Screeplot zur Veranschaulichung des Erklärungsgehalts der Faktoren ...84
Abb. 13.: Einschätzung als transaktional ist signifikant...89
Abb. 14.: Einschätzung als laissez-faire ist signifikant ...90
Abb. 15: Einschätzung als transformational ist signifikant ...91
Abb. 16: Zusammenhang zwischen Ergebnisrückmeldung und Attribution auf die
Führungskraft ...92
Abb. 17: Zusammenhang zwischen Ergebnisrückmeld. und Attribution auf die Mitarbeiter ..93
Abb. 18: Interaktionsdiagramme für die Faktoren Ergebnisrückmeldung und Führungsstil
sowie die Zuschreibung auf die Führungskraft...96
Abb. 19: Interaktionsdiagramme für die Faktoren Ergebnisrückmeldung und Führungsstil
sowie die Zuschreibung auf die Mitarbeiter ...97
Abb. 20: Zusammenhang zwischen Ergebnisrückmeldung und Einschätzung als
transformational...98
Abb. 21: Zusammenhang zwischen Ergebnisrückmeld. und Einschätzung laissez-faire...99
Abb. 22: Einfluss der Ergebnisrückmeldung und des Führungsstils auf die Einschätzung als
transformational...101
Abb. 23: Zusammenhang zwischen der geschätzten Erfolgswahrscheinlichkeit und dem
Führungsstil ...103
Abb. 24: Einschätzung auf der Skala extra Effort in Abhängigkeit des präsentierten
Führungsstils ...104
Abb. 25: Zusammenhang zwischen Einschätzung als transformational und Extraversion ..105
Abb. 26: Zusammenhang zwischen Gewissenhaftigkeit und Einschätzung transformationaler
Führung ...107
5

Tabellenverzeichnis
Tab. 1: Elemente von Führungsdefinitionen verschiedener Autoren ...13
Tab. 2: Drei Attributionsdimensionen nach Kelley (1973, in Anlehnung an Neuberger, 2002,
S. 548) ...20
Tab. 3: Das Kausalschema nach Weiner et al. (1971)...21
Tab. 4: Die Grunddimensionen ,,Big Five" und ihre Komponenten (Adjektivpaare) ...32
Tab. 5: Versuchsplan des Experiments...61
Tab. 6: Übersicht über die optimalen Stichprobenumfänge (nach Diehl und Arbinger, 1992)62
Tab. 7: Beispielitems zu den Skalen des MLQ...64
Tab. 8: Beispielitems für die Skalen des Attributionsfragebogen ...68
Tab. 9: Beispielitems zu den einzelnen Skalen des NEO-FFI...69
Tab. 10: Rotierte Korrelationsmatrix für Fünf-Faktoren-Lösung...83
Tab. 11: Reliabilität, Trennschärfe und mittlere und mediane Popularitätsindices des
Attributionsfragebogen ...87
Tab. 12: Mittelwerte Attribution für die Bedingung Ergebnisrückmeldung...92
Tab. 13: Korrelations- und Regressionskoeffizienten für den Zusammenhang zwischen der
Ergebnisrückmeldung und der Zuschreibung auf die Führungskraft bzw. auf die
Mitarbeiter...94
Tab. 14: Mittlere Attribution auf die Führungskraft für die Bedingungen Ergebnisrückmeldung
und Führungsstil ...95
Tab. 15: Mittlere Attribution auf die Mitarbeiter für die Bedingungen Ergebnisrückmeldung
und Führungsstil ...97
Tab. 16: Mittlere Einschätzung als transformational für die Bedingungen
Ergebnisrückmeldung und Führungsstil ...100
Tab. 17: Ergebnis der regressionsanalytischen Überprüfung von Hypothese 2b ...102
Tab. 18: Korrelationsmatrix für die Erfolgsmaße des MLQ ...103
Tab. 19: Korrelationsmatrix für den MLQ und den NEO-FFI...106
Tab. 20: Ergebnis der regressionsanalytischen Überprüfung zum Einfluss von Drittvariablen
...109
6

Abkürzungsverzeichnis
Abb. Abbildung
ANOVA Analysis
of
Variance
AV abhängige
Variable
bzgl. bezüglich
bzw. beziehungsweise
CR Contingent
reward
EEF Extra
Effort
EFF Leader
effectiveness
ELSA
Experiments on Leadership and Success Attributions
etc. et
cetera
FK Führungskraft
HP Hewlett
Packard
Hyp. Hypothese
K-S-Test Kolmogorov-Smirnov
Anpassungstest
KTT Klassische
Testtheorie
LF Laissez-faire
MA Mitarbeiter
MbE
Management by Exception
MLQ
Multifactor Leadership Questionnaire
MW Mittelwert
n
Stichprobenumfang pro Zelle
N Gesamtstichprobenumfang
NEO-FFI NEO-Fünf-Faktoren-Inventar
p Irrtumswahrscheinlichkeit
P Popularitätsindex
r Korrelationskoeffizient
RLS
Romance of Leadership Skala
RWTH
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen
S. Seite
s. Siehe
SAT Satisfaction
SD Standardabweichung
TA Transaktional
Tab. Tabelle
TF Transformational
7

u.a. unter
anderem
usw.
und so weiter
UV unabhängige
Variable
vgl. vergleiche
VA Varianzanalyse
vs. versus
WiRa Wirtschaftliche
Rahmenbedingungen
z.B. Zum
Beispiel
Cronbachs Alpha (interne Konsistenz)
beta
8

0 Zusammenfassung
Zahlreiche Studien zeigen, dass Führungskräfte für negative und positive Ergebnisse
in Organisationen verantwortlich gemacht werden. Diese experimentelle Studie
untersucht den Einfluss des transformationalen, transaktionalen und Laissez-faire
Führungsstils auf die Wahrnehmung und Zuschreibung von Erfolgen und
Misserfolgen. 72 studentische Versuchspersonen hörten eine Rede einer fiktiven
Führungskraft, die einen der drei Führungsstile widerspiegelte. Anschließend
erhielten sie eine Rückmeldung über das Ergebnis eines Projekts, welches entweder
erfolgreich oder nicht erfolgreich abgeschlossen werden konnte. Die Aufgabe der
Versuchspersonen war es, die Erfolgswahrscheinlichkeit des Projektes und das
Führungsverhalten einzuschätzen sowie zu bewerten, in welchem Ausmaß das
Projektergebnis auf die Führungskraft, die Mitarbeiter der Projektgruppe, die
Aufgabenschwierigkeit, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen oder auf zufällige
Einflüsse zurückzuführen ist. Die abhängigen Variablen wurden mit dem Multifactor
Leadership Questionnaire (Bass, 1985) und einem zu diesem Zweck entwickelten
Attributionsfragebogen erhoben. Der Persönlichkeitsfragebogen NEO-FFI diente als
Moderatorvariable und erfasst individuelle Ausprägungen auf den Skalen der Big-
Five-Dimensionen.
Die Ergebnisse zeigen, dass Führungskräfte in Organisationen hauptsächlich für
Misserfolge und Mitarbeiter hauptsächlich für Erfolge verantwortlich gemacht werden.
Transaktionalen Führungskräften werden Erfolge am stärksten zugeschrieben und
nicht wie erwartet transformationalen Führungskräften. Hypothesenkonform konnte
gezeigt werden, dass Laissez-faire handelnde Führungskräfte für Erfolge signifikant
weniger verantwortlich gemacht als transformationale und transaktionale
Führungskräften. Zudem konnte ein Performance-Cue-Effekt nachgewiesen werden.
Erfolgreichen Führungskräften wird signifikant häufiger transformationales Verhalten
zugeschrieben als erfolglosen Führungskräften. Außerdem werden erfolgreiche
transaktionale Führungskräfte in ihrem Verhalten als transformationaler eingeschätzt
als erfolglose transformationale Führungskräfte. Die Ergebnisse werden in die
Literatur eingeordnet und im Zusammenhang mit dem Full-Range-of-Leadership-
Modell von Bass und Avolio (1994) sowie impliziten Führungstheorien diskutiert.
9

Kapitel 1: Allgemeine Charakterisierung des Gegenstands
1
Allgemeine Charakterisierung des Gegenstands
1.1
Hintergrund und Ziel der Arbeit
"When things go well, people praise their leaders. When things go poorly, they blame
them. After all, leaders are supposed to make a difference, to be where the buck
stops"
1
(Emrich,
1999,
S.
991)
In der öffentlichen Wahrnehmung sind Unternehmensleitung und
Unternehmensleistung untrennbar miteinander verbunden. Führungskräfte sind nach
allgemeiner Meinung für den Erfolg und Misserfolg von Organisationen
verantwortlich. Zahlreiche Beispiele aus der Wirtschaft, der Politik oder dem Sport
belegen, dass das Handeln und Entscheiden der Führungskraft den Unterschied
macht. Zu ihnen wird bei Erfolg bewundernd aufgeschaut, bei Misserfolg werden sie
abgestraft.
Die ehemalige Vorstandsvorsitzende des Computerkonzerns Hewlett Packard (HP),
Carly Fiorina, galt als eine der einflussreichsten und erfolgreichsten Frauen der US-
Geschäftswelt und wurde sechsmal in Folge vom amerikanischen
Wirtschaftsmagazin Fortune zur ,,Most Powerful Businesswoman" gekürt. Sechs
Jahre an der Spitze von HP, steigerte Fiorina den Nettogewinn um mehr als eine
Viertelmilliarde auf eine Milliarde Dollar und erzielte einen Rekordumsatz. Doch nach
der spektakulären Übernahme des Wettbewerbers Compaq, die sich nach Meinung
der Analysten nicht bezahlt machte, und nach Meinungsverschiedenheiten über die
strategische Ausrichtung trat Fiorina im Februar 2005 zurück, um einer Entlassung
zuvorzukommen. Synergieeffekte aus der Fusion konnten nicht gezogen werden,
Fiorina wurde ein starker Kontrollzwang vorgeworfen. Für die Mitarbeiter, Kunden
und Analysten war die Fusion gescheitert und Fiorina für diesen Misserfolg
verantwortlich zu machen.
Ähnliche Verhaltensmuster finden sich in der Politik. Das so genannte ,,Teflon-
Phänomen"
2
wurde häufig mit dem ehemaligen US-Präsidenten Ronald Reagan
assoziiert. Dieser verstand es, eine Illusion der Kontrolle aufrecht zu erhalten,
1
(engl.) where the buck stops = wo letztlich die Verantwortung liegt
2
Anmerkung: Teflon ist ein Material, an dem nichts haften bleibt
10

Kapitel 1: Allgemeine Charakterisierung des Gegenstands
während er sich gleichzeitig von der Verantwortung für negative Ereignisse
distanzierte. Trotz hoher Staatsverschuldung und Kritik an seiner Außenpolitik war
Reagan bei den amerikanischen Wählern auf Grund seiner charismatischen
Persönlichkeit sehr beliebt und wurde im Jahre 1984 mit großer Mehrheit wieder
gewählt.
Der frühere Fußballnationaltrainer Rudi Völler wurde ähnlich wie Carly Fiorina für das
Ergebnis seiner Arbeit zur Verantwortung gezogen. Erreichte er mit der deutschen
Mannschaft bei den Weltmeisterschaften im Jahr 2002 noch den Einzug ins Finale,
wurde der Erfolg der Mannschaft unverzüglich auf seine Trainingsmethoden
zurückgeführt. Zwei Jahre später, nach der unglücklichen Europameisterschaft,
waren dieselben Trainingsmethoden plötzlich falsch. Völler musste den
Trainerposten abgeben.
Diese Beispiele verdeutlichen, dass Menschen auf der Suche nach Ursachen und
Erklärungen für Ereignisse kausale Attributionen vornehmen. Häufig ziehen sie dabei
die Führungsperson
3
zur Verantwortung. Nach Meindl, Ehrlich und Dukerich (1985)
entspricht die Vorstellung einer Allmacht von Führungskräften einer ,,romantischen"
Vorstellung von Führung und Führungseffektivität. Denn die Ergebnisse, Leistungen
und Kennzahlen, an denen die Leistung von Führungskräften gemessen wird, sind
von den Führungskräften nur selten direkt beeinflussbar, sondern in den meisten
Fällen eher indirekt über das Verhalten ihrer Mitarbeiter. Insoweit ist der direkte
Rückschluss auf ihre Führungsarbeit als Ursache dieser Effekte eine
Zuschreibungsleistung, die tagtäglich in Organisationen stattfindet.
Die experimentelle Untersuchung dieser Diplomarbeit zielt darauf ab, die Ursachen
für diese Zuschreibung von Führungserfolg zu betrachten: Was beeinflusst die
Zuschreibung von Führungserfolg? Wie beeinflussen implizite Führungstheorien die
Erfolgs- bzw. Misserfolgsattribuierung? Inwiefern ist die Attribution auf die
Führungskraft vom jeweiligen Führungsstil abhängig? Wir wirken sich negative oder
3
Um Lesbarkeit und Verständnis des Textes zu erleichtern, wird im Folgenden, wenn von weiblichen
und männlichen Personen die Rede ist, nur die männliche bzw. eine neutrale Form verwendet, sofern
eine Differenzierung nicht erforderlich erscheint.
11

Kapitel 1: Allgemeine Charakterisierung des Gegenstands
positive Ergebnisrückmeldungen aus? Und wie ließe sich gar die Zuschreibung von
Misserfolg verhindern?
In diesem ersten Kapitel wird zunächst ein Überblick über den aktuellen
Forschungsstand über Führung und Führungserfolg geliefert. Im Anschluss daran
soll dargelegt werden, inwieweit und unter welchen Bedingungen Zuschreibungen für
Führungserfolg auftreten. Dabei wird zuerst auf Attributionstheorien im Allgemeinen
eingegangen, um anschließend speziell die Attribution von Führung darlegen zu
können. Es stellt sich die Frage, wie es zu dieser Zuschreibung von Führung kommt.
Dabei wird zwischen auf die Geführten und auf die Führenden zentrierten Ansätzen
differenziert. Von besonderem Interesse bei der Zuschreibung von Führung sind,
bezogen auf den Geführtenzentrierten Ansatz, die so genannten impliziten
Führungstheorien von denen im Speziellen die ,,Romance of Leadership"-Theorie
vorgestellt wird. Zudem spielen Persönlichkeitseigenschaften der Geführten eine
entscheidende Rolle bei der Zuschreibung von Führungserfolg. Die Führungskraft
prägt hingegen durch den gezeigten Führungsstil die Wahrnehmung und beeinflusst
somit ebenfalls Führungsattributionen. Im auf die Führungsperson zentrierten
Abschnitt wird insbesondere auf das von Bass (1990) vorgelegte Modell der
transformationalen, transaktionalen und laissez-faire Führung eingegangen. Es folgt
eine kurze Darstellung symbolischer Führung und des so genannten Impression
Managements als weitere Ursachen für die Zuschreibung auf Führungspersonen.
Das Kapitel schließt mit einem Fazit zu der vorgestellten Argumentationskette.
Im zweiten Kapitel werden empirische Befunde zur Wahrnehmung und Attribution
von Führungserfolg im Überblick dargestellt. Ausgehend von diesen Befunden
werden Hypothesen formuliert, die im Rahmen des Projekts ELSA überprüft werden
sollen. Die Abkürzung ELSA steht dabei für Experiments on Leadership and Success
Attributions. Unter dem Titel des Projekts sind verschiedene Studien
zusammengefasst, deren Ziel es ist, diejenigen Prozesse besser verständlich und
erklärbar zu machen, die der Zuschreibung von Führungserfolg und
Führungsmisserfolg zugrunde liegen. Die methodische Herangehensweise, das
experimentelle Design sowie die eingesetzten Erhebungsinstrumente des
Experiments werden im dritten Kapitel beschrieben. Die Ergebnisse der
Untersuchung werden im vierten Kapitel dargestellt. Dazu zählen ein
12

Kapitel 1: Allgemeine Charakterisierung des Gegenstands
Manipulationscheck, eine Überprüfung der eingesetzten Instrumente und die
Hypothesenprüfung. Die Diplomarbeit endet mit einer Diskussion und Interpretation
der gewonnenen Ergebnisse in Bezug auf die zuerst vorgestellten theoretischen und
empirischen Befunde. Einen genaueren Überblick zu den einzelnen Teilabschnitten
findet sich jeweils zu Beginn eines neuen Kapitels.
1.2
Führung und Führungserfolg
1.2.1
Definition von Führung
Während die meisten Laien wohl ein intuitives Alltagsverständnis dessen haben, was
Führung ist, tun sich viele Forscher und Wissenschaftler schwer damit, den Begriff
,,Führung" konkret zu bestimmen (vgl. v. Rosenstiel & Wegge, 2004). Die Anzahl der
Definitionsversuche ist unüberschaubar. Eine aktuelle Zusammenstellung findet sich
in Neuberger (2002), mit einer nach eigenen Angaben willkürlichen Auswahl von 39
Definitionen, um eine möglichst große Bandbreite unterschiedlicher Ansätze zu
liefern. In der Tabelle 1 findet sich eine Zusammenstellung der Elemente von
Führungsdefinitionen unterschiedlicher Autoren. Die einzelnen Bestandteile der
Definitionen werden in der Darstellung vier Kategorien zugeordnet, nämlich der
Beeinflussung, Zielorientierung, Interaktion und Zuschreibung. Diese Aspekte
wurden in vielen Definitionen übereinstimmend angegeben, so dass sie als
konstituierende Merkmale von Führung betrachtet werden können.
Tab. 1: Elemente von Führungsdefinitionen verschiedener Autoren
Beeinflussung
Stogdill, 1950, S. 4
,,Prozess der Beeinflussung"
Baumgarten, 1977, S. 9
,,Verhaltensbeeinflussung
Katz & Kahn, 1978, S. 528
,,Einflussüberschuss über die mechanische
Befolgung der Routinedirektiven der Organisation
hinaus"
Staehle, 1980, S. 338
,,Beeinflussung der Einstellungen und des
Verhaltens von Einzelpersonen"
Yukl, 1994, S. 5
,,Einflussprozesse"
Wunderer, 2000, S. 19
,,Beeinflussung"
Weibler, 2001, S. 128
,,akzeptierte Beeinflussung anderer"
Neuberger, 2002, S. 47
,,kommunikative Einflussbeziehung"
Zielorientierung
Baumgarten, 1977, S. 9 ,,zielbezogene"
Stogdill, 1950, S. 4 (zit. nach
Neuberger, 2002)
,,in Richtung auf Zielsetzung und Zielerreichung"
Staehle, 1980, S. 338
,,mit dem Zweck, gemeinsam bestimmte Ziele zu
13

Kapitel 1: Allgemeine Charakterisierung des Gegenstands
erreichen"
Yukl, 1994, S. 5
,,Entscheidung über Ziele der Gruppe oder
Organisation, Organisation der Arbeitstätigkeiten
und Motivation, um die Ziele zu erreichen"
Wunderer, 2000, S. 19
,,zielorientierte"
Interaktion
Baumgarten, 1977, S. 9 ,,interpersonelle"
Lattmann, 1982, S. 49
,,Führung ist eine Interaktionsbeziehung"
Staehle, 1980, S. 338
,,Interaktion in und zwischen Gruppen"
Bass, 1990, S. 19f
,,Interaktion zwischen zwei oder mehr
Gruppenmitgliedern"
Yukl, 1994, S.5
,,Aufrechterhaltung von kooperativen Beziehungen
und Teamwork"
Wunderer, 2000, S.19
,,wechselseitige und soziale"
Neuberger, 2002, S. 47
,,Interaktionsprozess"
Zuschreibung
Pfeffer, 1977, S. 104
,,Prozess der Ursachenzuschreibung an
individuelle soziale Akteure"
Lord & Maher, 1991, S. 11
,,Prozess, der dazu führt, von anderen als
Führungskraft wahrgenommen zu werden"
Bass, 1990, S. 19f
,,beinhaltet oft eine Strukturierung oder
Restrukturierung der Situation und der
Wahrnehmungen und Erwartungen der Mitglieder"
Schauenberg & Föhr, 1995, S.
2211
,,übereinstimmende Interpretationen zwischen
Führern und Geführten herzustellen"
Müller & Dachler, 1988, S. 44
,,Führung ist eine konstruierte gesellschaftliche
Realität"
Yukl, 1994, S. 5
,,Interpretation von Ereignissen für die Geführten
betreffen"
Meindl et al., 1985, S. ,,subjektive
Wahrnehmung"
Neuberger, 2002, S. 47
,,von Beobachtenden thematisierter"
Weitgehende Einigkeit besteht darin, dass es sich bei Führung um Einflussprozesse
handelt (House et al. 1999). So wird Führung von Wunderer (2000, S. 19) definiert
,,als zielorientierte, wechselseitige und soziale Beeinflussung zur Erfüllung
gemeinsamer Aufgaben in und mit einer strukturierten Arbeitssituation. Sie vollzieht
sich zwischen hierarchisch unterschiedlich gestellten Personen". Für Weibler (2001,
S. 128) ist Führung ,,die akzeptierte Beeinflussung anderer, die bei den Beeinflussten
mittelbar oder unmittelbar intendiertes Verhalten auslöst". Unklar bleibt jedoch häufig,
wer wen, mit welcher Legitimation und wie beeinflusst (v. Rosenstiel & Wegge,
2004). Der Prozess der Einflussnahme ist zudem nicht nur im Zusammenhang mit
Führung von Interesse, sondern ist auch ein zentrales Thema, wenn es
beispielsweise um Macht, Erziehung, Kommunikation oder allgemein um sozialen
Wandel geht (Irle, 1975).
14

Kapitel 1: Allgemeine Charakterisierung des Gegenstands
Als weiteres wichtiges Merkmal von Führung nennen viele Autoren Zielorientierung.
Führung will demnach nicht nur in irgendeine Richtung beeinflussen. Mittels Führung
sollen vielmehr bestimmte Ziele erreicht werden. Es besteht also eine konkrete
Absicht, durch Führung bestimmte Wirkungen zu erzielen bzw. vorher gesetzte
Kriterien zu erfüllen. Im Grunde wird eine Weg-Ziel-Hierarchie aufgebaut. Das
Controlling Instrument der Balanced Scorecard veranschaulicht diese Überlegung:
Um ein gesetztes Oberziel (z.B. Umsatzrendite) zu erfüllen, müssen zuerst
Unterziele (z.B. Kundengewinnung) erreicht werden.
Des Weiteren beinhaltet Führung Interaktionen in und zwischen Gruppen. Die
Führungskraft wirkt dabei nicht nur auf die Geführten ein, sondern auch umgekehrt
wirken die Geführten auf die Führungskraft ein. Führung ist folglich gekennzeichnet
durch eine soziale Beziehung und eben auch wechselseitige Beeinflussung zwischen
einer oder mehrerer Personen.
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich nicht nur mit Führung im Allgemeinen. Ein
Schwerpunkt liegt auf der subjektiven Wahrnehmung sowie der Attribution von
Führung. Deswegen sind in diesem Zusammenhang Definitionen von Interesse, die
die Ursachenzuschreibung von Führung thematisieren. Hierzu bieten sich
insbesondere Definitionen an, die in der kognitiven Führungsforschung ihren
Ursprung haben. Pfeffer (1977) war einer der ersten, der Führungsforschung unter
dieser Perspektive betrieb. Er definiert Führung denn auch als ,,einen Prozess der
Ursachenzuschreibung an individuelle soziale Akteure". Diese Definition erscheint
jedoch aus heutiger Sicht zu weit gefasst. Die Beschreibung ,,individuelle soziale
Akteure" könnte sich demnach auf alle Personen beziehen und gilt nicht
ausschließlich für die Gruppe der Führenden. Lord und Maher (1991) sowie Brown
(in press) verfolgen die von Pfeffer (1977) eingebrachte Informationsverarbeitungs-
Perspektive weiter. Auch sie betrachten Führung als einen sozialen Prozess, der
sowohl einen Führer wie einen oder mehrere Geführte beinhaltet. Führung -
betrachtet aus der Informationsverarbeitungs-Perspektive - geht aber ihrer Meinung
nach über reine Einflussnahme hinaus: ,,Thus, while information processing theories
still define leadership as influence, they do so by examining the cognitive
mechanisms that mediate the influence process, rather than focusing on overt
behavioural displays. (e.g. transformational behaviour)" (Brown, in press, S. 3). Lord
15

Kapitel 1: Allgemeine Charakterisierung des Gegenstands
und Maher (1991, S. 11) beziehen sich in ihrer Definition von Führung auf die
Feststellung von Katz und Kahn (1978), Führung beinhalte eine Einflusserhöhung.
Lord und Maher (1991) argumentieren, dass die Fähigkeit, über die eigene Rolle
hinauszuwachsen, davon abhänge, wie diese Person von anderen wahrgenommen
wird. Werde eine Person als Führungskraft wahrgenommen, könne sie mehr Einfluss
ausüben als eine Person, die nicht als Führungsperson bezeichnet wird. Die
Einflusserhöhung der Führung könne also direkt auf soziale Wahrnehmung
zurückgeführt werden. Basierend auf dieser Argumentation definieren Lord und
Maher ,,Führung als den Prozess, der dazu führt, von anderen als Führungskraft
wahrgenommen zu werden". Diese Definition kann als ergebnisorientiert bezeichnet
werden, da sie den konkreten Wahrnehmungsprozess nicht näher beschreibt. Damit
wird das Entscheidende, nämlich der postulierte Prozess, nicht definiert.
Führungseffektivität wäre folglich zu großen Teilen durch die Wahrnehmung von
anderen als erfolgreiche Führungskraft bedingt. Somit wäre Führungserfolg in Teilen
auch abhängig von der Fähigkeit der Führungskraft, die an ihn gestellten
Erwartungen der Geführten zu erfüllen (vgl. Lord, Brown & Freiberg 1999, zitiert nach
Haslam, 2001). Hollander (1995) vertritt eine ähnliche Auffassung und nutzt ein Bild
zur Beschreibung des Ansatzes. Seiner Meinung nach haben die Geführten "den
Schlüssel für erfolgreiche Führung" in der Hand. Die Ansichten von Lord und
Hollander sind wiederum in Einklang mit Pfeffer (1977): ,,Leadership (and leader
charisma) is a
judgement
made after-the-fact as a means of
explaining
organizational
efficacy".
Schließlich ist es der amerikanische Führungsforscher Meindl (1993, Meindl et al.,
1985), der die oben zusammengestellten Ansichten in ähnlicher Weise vertritt.
Meindl ist ein Vertreter des auf die Geführten zentrierten Ansatzes. Meindl (1993)
sieht charismatische Führung als den Aspekt eines ideologischen Systems: "that is
signalled not by the exertions of the leader, but by the exertions of followership that
accompany this ideology". Führung wird von Meindl et al. (1985) als subjektive
Wahrnehmung definiert mit dem Ziel, Sinn und Kontrollierbarkeit in komplexe
unternehmerische Vorgänge zu bringen. Meindl (1990) rückt damit die Attribution auf
Führung und auf Führungskräfte in den Mittelpunkt seines Forschungsinteresses:
"Here, leadership is viewed as an explanatory category to which attributions are
made to account for a variety of organizational events and occurrences".
16

Kapitel 1: Allgemeine Charakterisierung des Gegenstands
Die dargelegte Auswahl an Definitionen ist nur ein kleiner Teil der äußerst
zahlreichen Herangehensweisen an Führung und erhebt keinen Anspruch auf
Vollständigkeit. Es wurde versucht die kognitionspsychologische Perspektive von
Führung mit zentralen Komponenten bereits bestehender Führungsdefinitionen zu
verknüpfen. Das Resultat ist folgende Arbeitsdefinition, an der sich das Verständnis
von Führung in dieser Arbeit orientiert: ,,Führung ist ein nur subjektiv erfassbarer
Gegenstand, der von Zuschreibungsleistungen und sozialen
Wahrnehmungsprozessen abhängt und zielorientierte Beeinflussung sowie
Interaktionsprozesse beinhaltet."
1.2.2 Führungserfolg
Neuberger (2002) stellt Führung ­ sehr vereinfacht ­ in einem triadischen Schema
dar (vgl. Abb. 1).
Führender
Geführte
Aufgaben
und Erfolge
Abb. 1: Triadisches Führungsschema nach Neuberger (2002)
Führung ist demnach die Einwirkung auf Geführte, damit diese eine Aufgabe
ausführen, ein Produkt erstellen, ein Ziel erreichen. Der
organisationspsychologischen Führungsforschung bereitet es grundsätzlich einige
Schwierigkeiten, den Führungserfolg zu definieren oder gar operational zu
bestimmen (v. Rosenstiel, 2001). Letztlich ist Führungserfolg eine implizite oder
explizite Wertsetzung und damit eine politische Entscheidung durch das
Unternehmen. Häufig entsprechen die explizit genannten Kriterien des
Führungserfolgs nicht jenen, die dann zu positiven Konsequenzen für den einzelnen
führen, wie Aufstieg, Gehaltserhöhung oder vermehrtem Ansehen im Unternehmen
(Luthans, Hodgetts & Rosenkrantz, 1988, zitiert nach v. Rosenstiel, 2001).
17

Kapitel 1: Allgemeine Charakterisierung des Gegenstands
Dies führt in der Führungsforschung zu dem Problem, dass Führungserfolg als
abhängige Variable nicht klar operationalisiert werden kann, da dieser in der Praxis
von Organisation zu Organisation, von Situation zu Situation anders und vielfach
vage bestimmt wird. So geben Rosenstiel und Wegge (2004) an, dass die Kriterien
des Führungserfolgs häufig wenig präzise oder gar gänzlich unreflektiert seien. Was
jeweils als Führungserfolg gelten kann, falle höchst unterschiedlich aus. Lent,
Aurbach und Levin (1971) fanden bei einer Analyse von 12 Jahrgängen der
,,Personnel Psychology" im Zeitraum zwischen 1954 und 1966 1506 verschiedene
Erfolgskriterien. Davon waren 63% Rating-Daten, 12% ,,indirekte" Maße
(Gehaltshöhe, erreichte Position, Fluktuation, Fehlzeiten) und nur ca. 17% ,,direkte"
Leistungsmaße (Leistungsdaten, Arbeitsstichproben, Produktionsziffern). Der Rest
wurde unter ,,Sonstiges" klassifiziert. Es wird erkennbar, dass Führungskräfte
keineswegs allein an Indikatoren der von ihnen geführten Gruppe, etwa der dort
beobachtbaren Produktivität, der gemessenen Arbeitszufriedenheit, der Fluktuations-
und Fehlzeitenrate, dem Qualifikationsgewinn der Geführten etc. gemessen werden.
Zum Teil spielen eben auch individuelle Leistungen oder aber, um die Problematik
noch zu verschärfen, das häufig gar nicht begründbare Ansehen, das die Mitarbeiter
im Unternehmen genießen, bei der Bewertung von Führungserfolg eine
entscheidende Rolle (Rosenstiel, 2001). Vielfach sind die Indikatoren des
Führungserfolgs nicht für jeden Betroffenen durchschaubar sowie generell nicht klar
beschrieben und gewichtet. Es ist nicht erkennbar, ob nur Ergebnisse oder auch
Verhaltensweisen, wie sie etwa in den Führungsgrundsätzen vieler Unternehmen
niedergelegt sind, zum Erfolgskriterium zählen. Aufstieg in Unternehmen ist somit oft
nicht von den zuvor erbrachten Leistungen abhängig.
Dieser Aspekt sei exemplarisch an einer viel beachteten Studie von Luthans,
Hodgetts und Rosenkrantz (1988, zitiert nach v. Rosenstiel, 2001) verdeutlicht. In
ihrer Studie unterscheiden die Autoren zwischen ,,erfolgreichen" und ,,effektiven"
Führungskräften. Erfolg wurde dabei an der ,,Karrieregeschwindigkeit" festgemacht,
die Effektivität an einem kombinierten Maß aus quantitativen und qualitativen
Erfolgskriterien der geführten Einheit, der Zufriedenheit der Mitarbeiter und ihrem
erfragten ,,commitment". Es zeigte sich, dass die erfolgreichen Manager nur zum Teil
mit den effektiven identisch waren und sich in ihrem Kommunikationsverhalten
drastisch von diesen unterschieden. Das Ergebnis lässt sich knapp folgendermaßen
18

Kapitel 1: Allgemeine Charakterisierung des Gegenstands
zusammenfassen: Während die Erfolgreichen Karriere machen, führen die Effektiven
gut bezogen auf Ziele. Die erfolgreichen Führungskräfte in dieser Studie stiegen
schnell auf und widmeten einen wesentlichen Teil ihrer Kommunikationszeit der
Beziehungspflege, während sich die effektiven Führungskräfte vor allem um die für
die Alltagsarbeit erforderliche Routinekommunikation sowie um die Führung und
Förderung ihrer Mitarbeiter kümmerten. Verhaltensweisen des Führenden, die zum
Erfolg der geführten Gruppe beitragen, sind demnach nicht mit denen identisch, die
die individuelle Karriere befördern. Die Kausalitätsfrage lässt diese Studie offen. So
ist nicht gewiss, ob jemand Karriere macht, weil er Mikropolitik betreibt oder ob diese
Art der Beziehungspflege erforderlich wird, wenn man in höhere Positionen aufsteigt.
Der exemplarische Befund erlaubt jedoch Zweifel an der verbreiteten Annahme,
Leistung und Tüchtigkeit würden in Unternehmen in besonderem Maße belohnt
werden.
1.3 Allgemeine
Attributionstheorien
Ein zentrales Thema dieser Arbeit ist die Attribution und die Zuschreibung von
Verantwortlichkeit. Zum besseren Verständnis der theoretischen Grundlagen wird
hier zuerst auf die allgemeine Attributionstheorie eingegangen. Nach einer kurzen
Begriffserläuterung wird auf das so genannte Kovariationsprinzip von Kelley sowie
das Kausalschema von Weiner eingegangen. Die Attributionstheorie von Calder stellt
den Übergang zu einer spezifischeren Betrachtung der Attributionstheorie dar,
nämlich aus dem Blickwinkel der Führungsforschung.
Die Attributionstheorie beschäftigt sich mit Prozessen der sozialen Wahrnehmung
und damit, wie Personen Urteile über die Ursachen ihres eigenen Verhaltens und
das Verhalten anderer Personen bilden. Attributionen spielen in der menschlichen
Informationsverarbeitung eine wichtige Rolle. Sie sind an Kategorisierungsprozessen
beteiligt, sie reduzieren Vieldeutigkeit, erhöhen die Fähigkeit Handeln zu verstehen
und helfen, die Handlungen anderer verstehbar zu machen (Mitchell, 1995). Im Sinne
einer ,,naiven Psychologie" versucht die Attributionstheorie zu erklären, wie
Ursachenzuschreibungen zustande kommen. So geht Heider (1958) als ,,Vater der
Attributionstheorie" davon aus, dass es ein in uns liegendes Interesse gibt, die
Geschehnisse um uns herum zu verstehen und zu erklären sowie deren Ursachen zu
erkennen.
19

Kapitel 1: Allgemeine Charakterisierung des Gegenstands
Nach Auffassung von Kelleys varianzanalytischer Attributionstheorie (1973) verhalten
sich Laien wie ein Sozialwissenschaftler, wenn sie aus der Beobachtung von
Handlungen auf deren Verursachung schließen. In einer unsicheren und
dynamischen Welt suchen sie nach Hinweisen, die ihnen zutreffende Erklärungen
über das Zustandekommen von Handlungen ermöglichen (Neuberger 2002, S. 547).
Dabei nimmt Kelley drei hauptsächliche Quellen von Verhaltensunterschieden an:
Erstens, die
Person
, die beobachtet wird. Zweitens, die
Inhalte und Aufgaben,
mit
denen sie sich beschäftigt und drittens, die äußeren
Umstände
. Ähnlich einer
Varianzanalyse interpretieren die Beobachter Unterschiede zum üblichen oder
durchschnittlichen Verhalten auf der Basis dreier Dimensionen: Die Dimension
Distinktheit
bezieht sich auf die situative Besonderheit, also ob das Verhalten nur in
dieser speziellen Situation gezeigt wird.
Konsistenz
meint die zeitliche Beständigkeit
und damit die Frage, ob das Verhalten immer auftritt. Mit
Konsens
ist schließlich die
soziale Übereinstimmung gemeint, ob eine Person sich also wie alle anderen
Personen verhält. Tabelle 2 bietet eine Übersicht für die Kombination der drei
Attributionsdimensionen.
Tab. 2: Drei Attributionsdimensionen nach Kelley (1973, in Anlehnung an Neuberger, 2002, S. 548)
Wenn folgende Bedingungen existieren...
...dann wird
attribuiert auf
Konsens
(Wie alle anderen
Personen?)
Distinktheit
(Nur in dieser spez.
Situation?)
Konsistenz
(Immer?)
Nein Nein Ja
Person (internal)
Ja Ja Ja
Aufgabe, Umstände
(external)
Ja Nein
Nein
Zeitpunkt (external)
Nach diesem Modell würden Personen external attriburieren - bezogen auf das
Verhalten anderer -, wenn Distinktheit und Konsens hoch sind, die Konsistenz jedoch
niedrig ist. Wären hingegen Distinktheit und Konsens niedrig und die Konsistenz
hoch, würden internale Attributionen gebildet.
Personen benutzen häufig so genannte Kausalschemata, sozusagen als ,,abgekürzte
Beweisverfahren" (Neuberger, 2002). Bei Zeitdruck, ungenügender oder
20

Kapitel 1: Allgemeine Charakterisierung des Gegenstands
widersprüchlicher Information und als eingeschliffene Verhaltensgewohnheiten
benutzen Menschen diese einfach abrufbaren Kausalschemata als
Standarddeutungen, bei denen sehr wenige Informationen genügen, um
weitreichende Schlüsse subjektiv zu rechtfertigen. Am bekanntesten ist das
Kausalschema, das Weiner et al. (1971) zur Analyse von Leistungsverhalten
identifiziert haben (siehe Tabelle 3).
Tab. 3: Das Kausalschema nach Weiner et al. (1971)
Zeitliche Stabilität
Ort der Verursachung
(locus of control)
Internal External
(in der Person) (in den Umständen)
stabil
variabel
z.B. Fähigkeit
z.B. Anstrengung
z.B. Aufgabenschwierigkeit
z.B. Glück bzw. Zufall
Demnach führt eine Person, die eine bestimmte Leistung beobachtet hat, die Gründe
für das Leistungsresultat auf einfache Erklärungsmuster zurück wie Fähigkeit,
Anstrengung, Glück und Aufgabenschwierigkeit. Die Gruppe um Weiner (1971) legt
in dem Modell zwei Urteilsdimensionen zugrunde, nämlich Ort der Verursachung
(locus of control) und zeitliche Stabilität, sowie jeweils zwei Ausprägungen zugrunde,
nämlich internal versus external, sowie stabil versus variabel.
Bei der Urteilsbildung spielen eine Reihe weiterer Eigenheiten sozialer
Wahrnehmung eine Rolle, wie beispielsweise eine verzerrte Konsens-Beurteilung
oder der fundamentale Attributionsfehler. Mit der verzerrten Konsens-Beurteilung ist
die Tendenz gemeint, den eigenen Erfahrungsschatz auf Grund des Fehlens von
Vergleichsdaten in unberechtigter Weise zu generalisieren. Der fundamentale
Attributionsfehler führt dazu, dass Beobachter den Einfluss personaler Faktoren
überschätzen, während der Einfluss situationaler Faktoren unterschätzt wird. Für
eine ausführlichere Diskussion sei der interessierte Leser auf Neuberger (2002, S.
552ff) verwiesen. Abschließend soll festgehalten werden, dass Weiners Modell der
Leistungszuschreibung illustriert, wie unterschiedlich Rückschlüsse von Individuen
auf ein und dasselbe Verhalten sein können.
21

Kapitel 1: Allgemeine Charakterisierung des Gegenstands
1.3.1
Attributionstheorien der Führung
Für die Führungsforschung ist die Attributionstheorie von großem Interesse. So
lassen sich im Führungsbereich zwei Forschungsrichtungen der Attributionstheorie
unterscheiden (vgl. Mitchell, 1995). Die eine Forschungsrichtung konzentriert sich auf
Attributionen des Vorgesetzten in Bezug auf das Verhalten seiner Untergebenen,
während sich die zweite Richtung auf Attributionen konzentriert, die Untergebene in
Bezug auf das Verhalten ihrer Vorgesetzten vornehmen. Diese Arbeit beschäftigt
sich vorwiegend mit der zuletzt genannten Richtung.
Calder (1977) hat in einem viel zitierten Artikel zur Attribution von Führung weitere
Forschung auf diesem Gebiet angeregt. In seinem Aufsatz kommt er zu dem
Schluss, dass Führung ein hypothetisches Konzept oder ein Etikett sei, welches die
Untergebenen in ihren Köpfen selbst gebildet hätten. Die Definition darüber, was
Führung ausmacht, ist dementsprechend im Wesentlichen eine Wahrnehmung, die
eine ganze Serie von Dimensionen umfasst und eine Art von Stereotyp darstellt, im
Sinne von: ,,Führer sind dynamisch, kraftvoll, machtvoll, erfahren, rücksichtslos etc."
(Mitchell, 1995). Wenn ein Untergebener beobachtet, dass sein Vorgesetzter einige
oder alle dieser Eigenschaften besitzt, dann kommt er dazu, dieser Person Führung
zuzuschreiben (vgl. hierzu auch Abschnitt 1.4 zu impliziten Führungstheorien). Dabei
gilt jemand nur für eine bestimmte Gruppe als Führer, deren Erwartungen an eine
Führungsperson er erfüllt. Für eine Straßenbande gelten offensichtlich andere
Führungskriterien als für einen Wirtschaftsbetrieb (vgl. Neuberger, 2002, S. 557).
Calders Anliegen ist es, systematisch zu untersuchen, wie Laien dazu kommen,
anderen Personen Führungsqualitäten zuzuschreiben. Diesen Prozess stellt er in
einem vierstufigen Modell dar, welches im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht näher
beschrieben werden soll. Interessierte Leser finden eine ausführliche Skizzierung in
Calder (1977, S. 195f).
Performanzbezogene Attributionen, also wahrgenommene Gründe für Erfolge und
Misserfolge, haben in der Führungsforschung eine große Bedeutung (McElroy,
1991). Forschungsergebnisse im leistungsbezogenen Bereich demonstrieren, dass
die Geführten häufig auf die oben beschriebenen, einfachen Erklärungsmuster wie
Fähigkeit, Anstrengung, Aufgabenschwierigkeit oder Glück bei der Deutung von
beobachtetem Verhalten zurückgreifen. Überträgt man das Modell von Weinert auf
den Kontext der Führung, so bedeutet dies: Wenn ein Mitarbeiter bei seinem
22

Kapitel 1: Allgemeine Charakterisierung des Gegenstands
Vorgesetzten eine gute oder schlechte Leistung beobachtet, dann wird seine
Reaktion darauf wesentlich durch eine Kausalattribution determiniert. Glaubt der
Mitarbeiter beispielsweise, dass ein Misserfolg an den
Fähigkeiten
des Vorgesetzten
liege, dann wird er ihn als inkompetente Führungskraft wahrnehmen. Hält er
dagegen den
Einsatz
des Vorgesetzten für die Ursache, wird er ihn als wenig
engagierte Führungskraft wahrnehmen. War die Aufgabenschwierigkeit zu hoch, wird
er den Misserfolg vermutlich eher diesem Umstand zuschreiben und nicht der
Kompetenz, beziehungsweise dem Engagement der Führungskraft. Betrachtet er die
Leistung wiederum als Zufallsergebnis, wird sich vermutlich gar nichts in seiner
Einstellung zu dieser Führungskraft ändern.
Das so genannte Aufwertungs- und Abwertungsprinzip nach Kelley (1972) spielt bei
der Zuschreibung von Führung ebenfalls eine wichtige Rolle. Mit dem
Abwertungsprinzip ist folgendes gemeint: Da verschiedene Ursachen zum selben
Effekt führen können, wird die Bedeutung einer bekannten Ursache für diesen Effekt
abgewertet, wenn gleichzeitig andere plausible Ursachen existieren. Folglich mag
der sozial Wahrnehmende den kausalen Effekt der Führungskraft abwerten, wenn
andere plausible Ursachen vorhanden sind. Dieses Verhalten tritt beispielsweise
zutage, wenn eine Gruppe ihre Zielvorgaben nicht erreicht, weil sie nicht mit den
nötigen Ressourcen ausgestattet war, um diese Aufgabe zu erfüllen (vgl. Nye, 2002).
Wenn eine Gruppe dagegen trotz widriger Umstände erfolgreich ist, dann würde
voraussichtlich die Wahrnehmung vorherrschen, die Führungskraft sei für diesen
Gruppenerfolg verantwortlich zu machen. Mit dem Aufwertungsprinzip meint Kelley
(1972) folglich, dass der Einfluss einer bestimmten Ursache erhöht wird, wenn ein
Effekt trotz hemmender Kräfte auftritt.
Verschiedene empirische Studien bestätigten diese ab- und aufwertenden Effekte,
die die moderierende Wirkung dieses so genannten
Performance-Cue-Effect
auf die
Wahrnehmung von Führung beeinflussen (Phillips & Lord, 1981). Mit der
Bezeichnung Performance-Cue-Effect ist gemeint, dass die Einschätzung des
Führungsverhaltens durch Kenntnisse des Leistungsergebnisses beeinflusst werden
kann. Der Effekt kann mit Laborexperimenten untersucht werden. Dabei werden die
Versuchsteilnehmer mit zwei Klassen von experimentell variierter Information
konfrontiert, nämlich Information über das Führungsverhalten und über die
23

Kapitel 1: Allgemeine Charakterisierung des Gegenstands
Leistungsergebnisse (Neuberger, 2002). Erfährt man zum Beispiel, dass eine
Gruppe sehr gut oder sehr schlecht gearbeitet hat, wird man in der Regel nach
Gründen für dieses Abschneiden suchen. Ein Grund, neben der Qualifikation und
Motivation der Mitarbeiter, der Aufgabenschwierigkeit oder den Kontextbedingungen,
könnte der Führungsstil sein. Die Führungskraft wird für das Ergebnis verantwortlich
gemacht und so argumentieren kognitiv orientierte Forscher: ,,It is the leader who is
the most salient attributional target" (Brown & Lord, 2001; Lord & Emrich, 2001;
Pfeffer, 1977). Auf spezifische Studien, die diesen Performance-Cue-Effect
untersucht haben, wird in Kapitel 2 näher eingegangen.
In Abschnitt 1.2.2 wurde auf das Konstrukt des Führungserfolgs näher eingegangen.
In Anbetracht der fortgeschrittenen Argumentation erscheint an dieser Stelle eine
Ergänzung notwendig. Es bleibt festzuhalten, dass die Kriterien für den
Führungserfolg, also z.B. gesteigerte Produktivität, Arbeitszufriedenheit,
Qualitätsgewinn etc., von der Führungskraft in der Regel nicht direkt beeinflusst
werden können. Die Führungskraft wird zwar für diese Kennzahlen zur
Verantwortung gezogen. Ihr eigener Handlungsspielraum, um diese jedoch zu
beeinflussen, ist vergleichsweise gering. Metaphorisch formuliert hieße dies: ,,Der
Trainer kann die Tore nicht selber schießen". Das Bild des Fußballtrainers
verdeutlicht diesen Gesichtspunkt sehr anschaulich. Während des Spiels sitzt der
Trainer auf der Bank und kann nur darauf hoffen, dass die Spieler die im Training
geübten Techniken und Spielzüge möglichst erfolgreich umsetzen (Erfolg =
Spielgewinn durch viele Tore und möglichst wenig Gegentore). Tun sie dies nicht,
belegen zahlreiche Beispiele aus der deutschen Bundesliga sowie den
internationalen Wettbewerben, dass der Trainer derjenige ist, dem sowohl Misserfolg
wie Erfolg zugeschrieben werden. Der gegenwärtige deutsche Bundestrainer, Jürgen
Klinsmann, ist ein Paradebeispiel für diesen Zuschreibungsprozess. Die Erfolge des
ersten Jahres seiner Amtszeit werden von der Öffentlichkeit direkt auf seine Person
zurückgeführt. Er wird für die Leistung der Spieler verantwortlich gemacht. Durch
dieses Handeln wird suggeriert, dass Erfolg ein Resultat persönlicher Handlungen ist
und dass bestimmte Schritte getan werden können, um die organisationale Leistung
zu erhöhen (vgl. Pfeffer, 1977). Pfeffer (1977) hat sich bereits früh mit der Frage der
Effektivität von Führungskräften beschäftigt. Er kommt zu dem Schluss, dass es am
Ende nicht so sehr darauf ankommt, ob eine Führungskraft tatsächlich die Leistung
24

Kapitel 1: Allgemeine Charakterisierung des Gegenstands
(performance) und damit die organisationale Effektivität beeinflusst. Viel wichtiger sei
es, ob die Leute
glauben
, dass Führungskräfte die Leistung und Effektivität
beeinflussen. Führung wird demnach von den Beobachtern attribuiert. Die
Konsequenz aus dieser Argumentation könnte folgendermaßen gezogen werden:
Die Führungskraft fungiert als Symbol (vgl. auch Abschnitt 1.6) und dient als
Verantwortlicher, sowohl für die Erfolge als auch für die Schwierigkeiten. Sie ist
sozusagen der ,,Sündenbock", der für etwaige Fehler zur Verantwortung gezogen
und der zugleich bei herausragenden Leistungen anerkannt und bejubelt wird.
Zusammengenommen machen diese Ansätze zur Attribution von Führung deutlich,
dass die Geführten ein hohes Interesse daran haben, die Ursachen für
organisationale Ereignisse herauszufinden sowie Verantwortlichkeiten für Ergebnisse
zu klären. Als Fazit kann festgehalten werden: Die Zuschreibung eines Erfolges oder
Misserfolges auf die Person der Führungskraft ist eine subjektive Deutungsleistung.
Im Folgenden sollen nun Gründe für diesen Attributionsprozess gefunden werden. Es
soll geklärt werden, wie es zur Zuschreibung von Verantwortlichkeit für Erfolge und
Misserfolge kommt. Dabei wird in Abschnitt 1.4 zuerst auf die Rolle der Geführten,
ihre impliziten Führungstheorien und mit dem Zuschreibungsprozess in
Zusammenhang stehende Persönlichkeitseigenschaften eingegangen werden. In
Abschnitt 1.5 steht die Führungsperson im Vordergrund, die durch ihr
Führungsverhalten und ihren Führungsstil Zuschreibungen ebenfalls beeinflussen
kann.
1.4 Implizite
Führungstheorien
Implizite Führungstheorien spielen eine große Rolle beim Verstehen des Attributions-
und Wahrnehmungsprozesses von Führung (vgl. Lord, Foti & DeVader, 1984) und
als mögliche Fehlerquelle bei der Erfassung von Führungsverhalten (Eden &
Leviatan, 1975). Die meisten Menschen haben eine Vorstellung darüber, welche
Eigenschaften Führer von Nicht-Führern unterscheiden. Wissenschaftliche
Untersuchungen zur Entstehung von Führung verweisen auf potentielle
Führungseigenschaften wie Sensitivität, Einsatz, Tyrannei, Charisma, Attraktivität,
Männlichkeit. Intelligenz und Stärke werden ebenfalls mit Führung assoziiert
(Offermann, Kennedy & Wirtz, 1994). Persönlichkeitseigenschaften wie Extraversion,
25

Kapitel 1: Allgemeine Charakterisierung des Gegenstands
Gewissenhaftigkeit und emotionale Stabilität (Judge, Bono, Ilies & Gerhardt, 2002)
sind außerdem wichtige Facetten impliziter Führungstheorien.
Die Erkenntnis, dass die Geführten einen signifikanten Einfluss auf den
Führungsprozess haben, ist nicht neu. Eden und Leviatan machten (1975) darauf
aufmerksam, dass gebräuchliche Fragebögen zur organisationalen
Führungsforschung eher vorgefasste Annahmen über Führung als tatsächliches
Führungsverhalten messen könnten. Ihrer Meinung nach liegt ,,leadership in the eye
of the followers". Implizite Führungstheorien sind nach Eden und Leviatan (1975)
kognitive Strukturen, die typische Eigenschaften und Verhaltensweisen von Führern
beinhalten. Wird eine Person mit einer Führungskraft konfrontiert, werden diese
kognitiven Strukturen aktiviert.
Viele Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Geführten recht genau wissen, was sie
sich von einer Führungsperson wünschen (Nye, 2002). Die meisten Menschen
scheinen gut definierte, stark abstrahierte Schemata über Führung, über
Charakteristika der Führungskraft sowie über angemessene Verhaltensweisen im
Führungsprozess zu besitzen (Brown & Lord, 2001; Calder, 1977). Die Gruppe um
Lord (z.B. Lord & Emrich, 2001; Brown & Lord, 2001) betrachtet kognitive Schemata
als Basis für implizite Führungstheorien (siehe Abschnitt 1.4.1). Unter kognitiven
Schemata verstehen sie persönliche Einstellungen, ob Führungsverhalten und
Führungsfähigkeiten effektiv oder ineffektiv sind. Implizite Führungstheorien sind
demnach Kategorisierungssysteme, die die Wahrnehmung und Bewertung von
Führungskräften beeinflussen.
Implizite Führungstheorien weisen einen gewissen Grad an Stabilität auf. Sie werden
über einen längeren Zeit- und Erfahrungsraum hinweg aufgebaut und entwickeln sich
hin zu abstrakten, stark vernetzten kognitiven Strukturen. Zugleich sind diese
kognitiven Strukturen jedoch - im Einklang mit der sozialen Identitätstheorie (Tajfel &
Turner, 1986) - nicht statisch. Vielmehr werden sie kontinuierlich ausgebaut, sobald
neue Informationen vorhanden sind, sich Kontext, Aufgaben oder die Ziele des
Wahrnehmenden ändern (Brown & Lord, 2001; Lord & Emrich, 2001). Emrich (1999,
S. 991) erweitert das Verständnis impliziter Führungstheorien: ,,People's implicit
theories of leadership represent their preconceptions about what leaders are like
26

Kapitel 1: Allgemeine Charakterisierung des Gegenstands
(traits), what leaders do (behaviors), and what happens as a result of leadership
(causality)". In diesem Sinne ist Führung nicht unbedingt auf die Führungskraft-
Mitarbeiter-Beziehung beschränkt, sondern auch Wirkungen von Führung werden als
Bestandteil impliziter Theorien thematisiert (vgl. Schilling, 2001). In impliziten
Führungstheorien wird die Wahrnehmung von Führung in einen engen
Zusammenhang mit der Leistung der Gruppe, Organisation oder Nation gebracht, für
die diese Führungskraft verantwortlich ist (Emrich, 1999). Die Personen greifen auf
ihre implizite Führungstheorie zurück und versuchen, sich Erfolg bzw. Misserfolg zu
erklären. Eine häufig anzutreffende Annahme lautet: Ein gutes Ergebnis wird durch
den "richtigen", ein schlechtes Ergebnis durch den "falschen" Führungsstil
hervorgerufen.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die ersten Forschungsberichte von
Eden und Leviatan (1975) zahlreiche andere Studien auf diesem Gebiet inspiriert
haben. Allen diesen Studien ist gemeinsam, dass in ihnen Führung als eine Idee in
den Köpfen der Geführten gesehen wird und nicht so sehr als eine rein auf die
Führungskraft bezogene Realität. Die Folge impliziter Führungstheorien ist, dass das
Wissen um die Leistung einer Gruppe oder Organisation einen starken Einfluss auf
die Wahrnehmung der Geführten hat. Unabhängig von der tatsächlichen Ursache
dieser Leistung, wird die Führungskraft für das Ergebnis verantwortlich gemacht.
1.4.1
Kognitive Theorien der Führung
In einem engen Zusammenhang mit den impliziten Führungstheorien stehen
Kategorisierungstheorien. Auf diese soll in diesem Zusammenhang kurz
eingegangen werden. Lord und Maher (1991) setzen sich aus einer kognitiven
Perspektive mit Führung auseinander und entwickelten eine Schematheorie der
Führung. Im Mittelpunkt ihrer Überlegungen steht die Frage nach den
Informationsverarbeitungsprozessen, die es Menschen erlauben, sich in einer extrem
komplexen sozialen Welt zurechtzufinden. Demnach entwickeln und lernen
Menschen ganz spezifische Führungsschemata, die typische Merkmale einer
Führungsperson beinhalten, also z.B. Intelligenz, Berufserfahrung, Belastbarkeit,
Marktgespür, Kundenorientierung usw. (vgl. v. Rosenstiel & Wegge, 2004). ,,Ein
Schema ist eine kognitive Struktur, die sowohl organisiertes Wissen über einen
bestimmten Reiz ­ z.B. eine Person oder Situation ­ wie Regeln, die die
27

Kapitel 1: Allgemeine Charakterisierung des Gegenstands
Informationsverarbeitung steuern, enthält" (Lord & Foti, 1986, zitiert nach Neuberger,
2002). Der Kategorisierungsansatz setzt nicht voraus, dass eine Führungskraft
bestimmte einzelne Eigenschaften
hat
, sondern sie
zugeschrieben
bekommt. Als
zentrale Formel kann gelten: ,,Es wird allgemein erwartet, dass Führungspersonen
bestimmte Eigenschaften haben" (Neuberger, 2002, S. 243). Wird eine Führungskraft
gesucht oder wird ein für die Führung kennzeichnendes Merkmal aktiviert, werden
die Schemata der Geführten wirksam. Entspricht ein potenzieller Vorgesetzter in
seinen Merkmalen und Verhaltensweisen dem Führungsschemata des Mitarbeiters,
so wird dadurch die Akzeptanz des Vorgesetzten beim Mitarbeiter zunehmen (v.
Rosenstiel & Wegge, 2004).
Unklar ist jedoch, was genau in den Köpfen der Geführten vorgeht. Die Gruppe um
Lord (Lord & Maher, 1991; Brown & Lord, 2001) schlägt in der Schematheorie vor,
dass die Geführten zwei unterschiedliche Prozesse der Informationsverarbeitung
nutzen, nämlich schlussfolgerungsbasierte (inference-based) und
wiedererkennungsbasierte (recognition-based). Führungskräfte können somit zum
einen durch einen Schussfolgerungsprozess von erfolgreichen Ergebnissen auf
effektive Führung betrachtet werden oder auf Grund ihrer Ähnlichkeit mit so
genannten Prototypen der Führung identifiziert werden. Der erstgenannte, inferenz-
basierte Prozess, ist für diese Arbeit interessant, da effektive Führung häufig als
Ursache für Erfolge in einer Organisation verantwortlich gemacht wird. Lord und
Emrich (2001) meinen ,,leadership casts a large shadow in the minds of followers and
social perceivers". Dies ist ein weiterer Hinweis auf den bereits erwähnten
Performance-Cue-Effekt. Allein die Tatsache, dass eine Gruppe ein wichtiges Ziel
erreicht hat, führt zur Attribution von effektiver Führung (Nye, 2002). Die Arbeiten von
Lord heben zwei Aspekte besonders hervor (Mitchell, 1995). Zum einen setzten
Untergebene häufig eher einen relativ einfachen Attributionsprozess ein als
komplizierte kognitive Analysen, um eine Erklärung für das Verhalten ihrer
Vorgesetzten zu finden. Zum anderen hält Lord (1985) fest, dass die Attributionen
häufig unzutreffend sind.
1.4.2 Romance
of
Leadership
Die amerikanischen Führungsforscher Meindl, Ehrlich und Dukerich stellten 1985
erstmals das so genannte ,,Romance-of-Leadership"-Konzept vor. Der Ansatz kann
28

Kapitel 1: Allgemeine Charakterisierung des Gegenstands
als spezifische implizite Führungstheorie aufgefasst werden. Meindl (1990) ist der
Auffassung, dass es nicht primär auf den Führenden ankommt, sondern auf die
Prozesse, die bei den Geführten ablaufen. Er kritisiert die allgegenwärtige
Auffassung, Führung als ,,Allheilmittel" für alle auftretenden ,,organisationalen
Krankheiten" zu betrachten. Die zentrale Frage im Sinne Meindls lautet, welche
Wichtigkeit der
Glaube
an Führung habe. Ausgangspunkt für die Konzeptualisierung
des Ansatzes waren sechs Studien von Meindl et al. (1985), anhand derer gezeigt
werden konnte, dass Informationen über Leistungen von Unternehmen die Attribution
auf Führung beeinflussten. Eine ausführliche Zusammenfassung dieser Studien
findet sich im Kapitel 2. In dem Artikel argumentieren Meindl et al. (1985), dass ,,das
Führungskonzept eine Wahrnehmung ist, die eine Rolle dabei spielt, wie Personen
versuchen, Sinn in organisationalen Ereignissen zu finden". Dieselben Autoren
folgern: "Moreover in this sense-making process, leadership has assumed a
romanticized, larger-than life role".
Organisationale Systeme und Ereignisse sind häufig komplex, mehrdeutig und
beinhalten multiple Determinanten. Deswegen sind sie schwierig zu verstehen
(Shamir, 1992). Die Geführten benötigen jedoch ein Verständnis der Abläufe in
Organisationen sowie Kontrolle über ihre Umgebung. Ein wichtiger Bestandteil
dieses Sinnstiftungsprozesses beinhaltet den Versuch allgemeine kausale
Ursachenzuschreibungen für diese organisationalen Geschehnisse zu bilden.
Führung versorgt Beurteiler mit einer plausiblen und bequemen Erklärungskategorie,
um Sinn in komplexe, organisationale Vorgänge zu bringen. Wie in Abschnitt 1.3.1
schon angedeutet, ermöglicht die Attribution auf die Führungskraft für die Geführten,
Verständnis und Kontrolle über ihre Umgebung zu erlangen (vgl. Pfeffer, 1977).
Emrich (1999) vermutet in Anlehnung an Meindl et al. (1985), dass die Maxime, die
hinter der romantisierten Auffassung von Führung in der Vermutung liege, lauten
könnte: "Behind every large effect is a large cause". Es ist die Sehnsucht der
Geführten nach Sinn und Sicherheit, die sie die Lösung aller Probleme durch den
Führenden erwarten lässt (Neuberger, 2002). Der Führungskraft werden nahezu
,,magische" Fähigkeiten zugeschrieben. Führung wird romantisch verklärt: Nicht die
Führungsperson
hat
Charisma, die Geführten
attribuieren
Charisma.
29

Kapitel 1: Allgemeine Charakterisierung des Gegenstands
Dieser ,,bias" wird durch den fundamentalen Attributionsfehler noch verstärkt. In der
Tat kann das ,,Romance of Leadership"-Konzept als ein Spezialfall des bereits
beschriebenen fundamentalen Attributionsfehlers angesehen werden (Nisbett &
Ross, 1980). Im konkreten Fall bedeutet dies, dass der Einfluss von Führungskräften
gegenüber anderen möglichen Erklärungsfaktoren überschätzt wird. Ausgehend von
dieser Perspektive wird organisationale Leistung als Ursache und nicht als
Konsequenz von charismatischer Führung gesehen. Die häufig angenommene
Richtungsbeziehung zwischen Führung und Leistung wird somit umgekehrt.
Insgesamt stellt der Ansatz die Wichtigkeit des Führungsverhaltens in Frage, um
Führungswahrnehmung zu beeinflussen. Nach Meindl (1990) ist es vielmehr eine
individuelle Disposition der Geführten, organisationale Ergebnisse über verschiedene
Situationen hinweg der Führungskraft zuzuschreiben.
Der Ansatz der Romantisierung von Führung kann in zwei Traditionen eingebettet
werden (Schyns & Meindl, in press). Zum einen beruht er auf einem
sozialkonstruktivistischen Ansatz, gleichzeitig kann er als implizite Theorie
bezeichnet werden. Im Sinne einer
sozialen Konstruktion
bezieht sich
Romantisierung von Führung auf die Zuschreibung von Verantwortung für
Unternehmenserfolg bzw. -misserfolg an die Führungskräfte, und zwar unabhängig
von möglichen anderen Einflussfaktoren (wie z.B. wirtschaftliche Gegebenheiten,
Meindl, 1995). Menschen konstruieren Führung. Das heißt, unabhängig davon, ob
Führungskräfte tatsächlich den Erfolg von Unternehmen bestimmen, besteht die
Konstruktion von Menschen darin, dass sie genau dies tun. Damit sind im Rahmen
dieses Ansatzes weder das tatsächliche Führungsverhalten von Bedeutung noch die
tatsächlichen Ursachen für den Unternehmenserfolg. Allein relevant ist die
Konstruktion der Beurteiler, also der Geführten, aber auch der Vorgesetzten,
Journalisten oder der Öffentlichkeit. Zugleich kann der Romance-of-Leadership-
Ansatz als
implizite Theorie
über Führung verstanden werden, wie sie im Abschnitt
1.4 beschreiben wurde. Das heißt, auf Grund der Erfahrung, die eine Person mit
Führungspersonen gesammelt hat, bildet diese Person Erwartungen über
Eigenschaften und Verhaltensweisen von Führungspersonen. Wird eine
Führungskraft wahrgenommen, werden die entsprechenden kognitiven Strukturen im
Gedächtnis gesucht und angewandt.
30

Kapitel 1: Allgemeine Charakterisierung des Gegenstands
Bisher unbeantwortet ist die Frage, wie es zu der romantischen Auffassung von
Führung kommt. Meindl (1990) nimmt einen Prozess der sozialen Ansteckung an.
Ohne dass die Geführten mit einer charismatischen Führungskraft unmittelbar in
Kontakt kommen, so dass sie beeinflusst werden könnten, leben die Geführten,
normalerweise unterdrückte Gefühle und Bedürfnisse dann aus, wenn sie am
Beispiel anderer sehen, dass diese das ungestraft oder gar belohnt tun können
(Neuberger, 2002). Mehr als auf die Führungsperson wird auf die Nebenpersonen,
die Kollegen, geschaut. Bei ihnen sieht man Abweichungen vom Üblichen und sie
werden nachgeahmt.
Meindls einseitige Fokussierung auf die Geführten ist nicht unwidersprochen
geblieben. So hat sich Ehrlich (1998) gegen die starke Trennung zwischen führer-
und geführtenzentrierten Ansätzen ausgesprochen. Seiner Auffassung nach sollte
die auf die Geführten zentrierte ,,Brille" nicht dazu führen, dass das Verhalten und
Handeln von Führungskräften nicht mehr untersucht wird. Ehrlich plädiert für eine
Integration der beiden Ansätze und stellt in Anlehnung an Meindl (1995) ein
revidiertes allgemeines Modell auf, welches Führungskräfte an die Spitze stellt und
dyadische Prozesse in die Erfahrungen von Geführten mit einbezieht. Nicht zuletzt
deswegen wird in Abschnitt 1.6 dieser Arbeit auf die Führungsperson besonders
eingegangen werden. Für eine ausführlichere Auseinandersetzung mit dieser Kritik
seien interessierte Leser auf Ehrlich (1998) verwiesen.
1.5
Persönlichkeit und Führung
In diesem letzten Teil des auf die Geführten bezogenen ersten Kapitels soll auf den
Zusammenhang zwischen Persönlichkeitseigenschaften und Führung eingegangen
werden. Hier ist zwischen Persönlichkeitseigenschaften der Führenden und der
Geführten zu unterscheiden. Zum einen stellt sich sicherlich die Frage, welche
Eigenschaften die Persönlichkeit von Führungskräften charakterisieren. Diese
Fragestellung steht im Einklang mit dem Eigenschaftsansatz von Führung. In der
Persönlichkeitspsychologie hat sich inzwischen die Ansicht durchgesetzt, dass die
Vielzahl der nuancierten Beschreibungen der Persönlichkeit auf fünf voneinander
weitgehend unabhängige Grunddimensionen zurückgeführt werden kann
(Neuberger, 2002, S. 229). Diese so genannten ,,Big Five" werden in Tabelle 4 kurz
vorgestellt.
31

Kapitel 1: Allgemeine Charakterisierung des Gegenstands
Tab. 4: Die Grunddimensionen ,,Big Five" und ihre Komponenten (Adjektivpaare)
Extraversion
gesprächig ­ ruhig; offen ­ verschwiegen, gesellig ­
zurückgezogen; abenteuerlustig ­ vorsichtig; bestimmt ­
scheu; energisch - gehemmt
Verträglichkeit
warm ­ kalt; gutmütig ­ grob; kooperativ ­ misstrauisch;
freundlich ­ unfreundlich; einfühlend - rüde
Gewissenhaftigkeit organisiert
­
desorganisiert; kleinlich ­ sorglos; gründlich ­
oberflächlich; effizient ­ unpraktisch; beharrlich ­
unbeständig; ordentlich ­ schlampig; verantwortlich -
verantwortungslos
Emotionale Stabilität
(Neurotizismus)
launenhaft ­ unerschütterlich; nervös ­ beherrscht;
entspannt ­ angespannt; gefasst ­ erregbar; ungestört ­
ängstlich; reizbar ­ gelassen; unemotional - emotional
Offenheit
phantasievoll ­ geistlos; komplex ­ einfach; unkonventionell
­ konventionell; breite Interessen ­ enge Interessen;
intellektuell ­ unintellektuell; kreativ - einfallslos
In Anlehnung an Neuberger (2002)
Selbstverständlich gelten die ,,Big Five" auch für die Geführten. Die Forschung über
die Charaktereigenschaften von Geführten im Zusammenhang mit der
Wahrnehmung von Führung hat in den vergangenen Jahren zugenommen und ist für
diese Arbeit aus zwei vorrangigen Gründen von großem Interesse. Erstens hilft diese
Forschung, die den attributionalen Prozessen von Führung zugrunde liegenden
Mechanismen zu verstehen (Calder, 1997). So ist denkbar, dass
Persönlichkeitseigenschaften die Beziehung zwischen bestimmten Führungsstilen
und deren Ergebnissen moderieren. Zweitens ist es für die organisationale Praxis
nützlich, wenn Führungskräfte unterstellte Mitarbeiter einschätzen können, um ihr
Verhalten gegebenenfalls an die Eigenschaften der Mitarbeiter anzupassen. So
könnten Eigenschaften identifiziert werden, die möglicherweise positiv oder negativ
mit einem Führungsstil interagieren.
Von Interesse ist in diesem Zusammenhang insbesondere der von Burns (1978)
erstmals postulierte transformationale Führungsstil, von dem in Abschnitt 1.6 dieser
Arbeit noch intensiv berichtet werden wird. Vertreter dieses Führungsstils sind durch
ein hohes Maß an Charisma, Visionen und Motivationsfähigkeit gekennzeichnet und
weisen Überschneidungen mit dem Konzept der charismatischen Führung auf. Zur
Verdeutlichung des Zusammenhangs zwischen transformationaler Führung und
bestimmten Persönlichkeitseigenschaften der Geführten sei bereits an dieser Stelle
auf diesen Stil hingewiesen.
32

Kapitel 1: Allgemeine Charakterisierung des Gegenstands
Felfe und Schyns (in press) haben sich mit dem Zusammenhang zwischen
Persönlichkeit und Führung intensiv beschäftigt und liefern empirische Bestätigungen
dafür, dass die Wahrnehmung und Attribution transformationaler Führung von
Persönlichkeitseigenschaften der Geführten wie Werten und Bedürfnissen (Ehrhart &
Klein, 2001) sowie impliziten Führungstheorien (Schyns & Sanders, 2004) beeinflusst
wird. Zusätzlich beeinflussen Persönlichkeitseigenschaften der Mitarbeiter auch die
Akzeptanz eines spezifischen Führungsstils. Insgesamt lässt sich festhalten, dass
Persönlichkeitseigenschaften stabile Dispositionen sind, die Einstellungen,
Überzeugungen und Verhalten nicht nur im alltäglichen Leben, sondern
insbesondere in der Interaktion mit Führungskräften, steuern (Schyns & Felfe, in
press). Demzufolge ist es sinnvoll, einen genauen Blick auf diese
Persönlichkeitseigenschaften zu werfen, weil diese Präferenzen in Bezug auf
Führungsstile erklären können.
Die Beziehung zwischen transformationaler Führung und Eigenschaften der
Geführten ist im besonderen Maße untersucht worden. Klein und House (1998)
unterscheiden zwischen zwei widersprüchlichen theoretischen Erklärungsmustern
bezüglich dieses Zusammenhangs, nämlich Komplettierung und Ähnlichkeit. In
Anlehnung an die Annahme, dass unsichere Situationen und Kontexte das Auftreten
von transformationaler Führung fördern (Shamir, 1999), geht Yukl (1999) davon aus,
dass Geführte, die transformationaler Führung bevorzugen, selber unsicher und
ängstlich sind sowie wenig Selbstbewusstsein besitzen. Obwohl die Ergebnisse
hierzu teilweise widersprüchlich sind, scheint es mehr empirische Bestätigung für die
Ähnlichkeitsannahme zu geben (vgl. Felfe & Schyns, in press). Hier steht die
Ähnlichkeit zwischen Führer und Geführtem im Vordergrund. Im Gegensatz zur
Komplettierungsannahme betonen Shamir et al. (1993), dass die Selbstwirksamkeit,
Wertekongruenz und Ähnlichkeit zur Führungsperson wichtige Aspekte für die
Attribution transformationaler Führung sind. So nimmt Keller (1999) an, dass die
Extraversion eines Geführten die Vorliebe für transformationale bzw. charismatische
Führungskräfte vorherbestimmt (für eine ausführliche Diskussion der experimentellen
Befunde hierzu vergleiche Kapitel 2).
In Abschnitt 1.4.2 wurde auf den ,,Romance of Leadership" ­ Ansatz von Meindl
(1985) eingegangen. Wenige Studien haben sich jedoch bisher damit befasst,
welche Persönlichkeitseigenschaften eine romantische Sicht auf Führung
33

Kapitel 1: Allgemeine Charakterisierung des Gegenstands
beeinflussen. Es stellt sich die Frage, wer jene Mitarbeiter sind, die eine hohe
Tendenz haben, die Macht von Führungskräften zu überschätzen. In welcher Art und
Weise unterscheiden sich diese von Geführten, die ein realistischeres und
differenzierteres Bild von Führung besitzen? Es gibt Hinweise darauf (Felfe, in
press), dass Personen mit geringem Kontrollerleben, geringer Selbstwirksamkeit
sowie schwachem Selbstwertgefühl und Kompetenzerleben einen hohen Bedarf
haben, Komplexität zu reduzieren. Diese Personen wünschen sich einfache
Erklärungen, was ein Grund dafür sein könnte, weshalb sie dazu neigen, die Rolle
der Führungsperson zu überschätzen. Komplexität und Unsicherheit werden
reduziert, wenn Verantwortlichkeit und Kontrolle auf die Führungskraft attribuiert
werden können. Aus diesem Blickwinkel gesehen, ist Romantisierung von Führung
ein Ausdruck von Abhängigkeit und Machtlosigkeit. Gleichzeitig würde diese
Sichtweise bedeuten, dass Mitarbeiter mit hohen Selbstwirksamkeitserwartungen
und einem starken Selbstwertgefühl eine differenzierte, wenn nicht gar kritische
Einstellung zum Einfluss von Führung haben. Andererseits scheint ebenfalls
plausibel, dass Geführte mit einem starken Selbstwertgefühl und dem Glauben an
ihre internale Kontrollfähigkeit diese Einstellung in Bezug auf Führungskräfte
generalisieren. Wer also seine eigene Umwelt effektiv steuern kann, nimmt diese
Fähigkeit automatisch auch für seine Vorgesetzten an. Eine empirische Bestätigung
für diese Auffassung liefert Nye (2002), von deren Studie im zweiten Kapitel noch
ausführlicher berichtet wird.
Zusammenfassend betrachtet lassen die hier vorgebrachten Aspekte zu
Persönlichkeitseigenschaften und Führung den Schluss zu, dass die Wahrnehmung
von Führung zu einem nicht geringen Teil auch von Persönlichkeitseigenschaften der
Geführten abhängt.
1.6
Transaktionale, transformationale und laissez-faire Führung
Nachdem sich die letzten Abschnitte auf die Geführten konzentriert haben, sollen im
Folgenden Stil und Verhalten von Führungspersonen im Vordergrund stehen. Seit
mehr als 25 Jahren werden in der Führungsforschung zunehmend so genannte
transformationale Führungstheorien diskutiert (v. Rosenstiel & Wegge, 2004). Bereits
der amerikanische Politikwissenschaftler und Historiker Burns (1978) unterschied
zwei Typen von Führung, nämlich die transaktionale und die transformierende. Diese
34

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2005
ISBN (eBook)
9783832494568
ISBN (Paperback)
9783838694566
DOI
10.3239/9783832494568
Dateigröße
1.1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen – Philosophische Fakultät, Psychologie
Erscheinungsdatum
2006 (März)
Note
1,3
Schlagworte
führung attributionstheorie romance leadership transformationale five
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Titel: Ein Experiment zur Wahrnehmung und Zuschreibung von Führungserfolg
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