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Extremsport und Geschlecht

Eine sozialpsychologische Untersuchung am Beispiel des Ultra-Triathlons Quelle Challenge Roth

©2005 Diplomarbeit 128 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Zusammenfassung:
Extremsport ist ein Phänomen, das fast ausschließlich in modernen Industriegesellschaften anzutreffen ist. Immer mehr Menschen setzen sich nicht nur extremen körperlichen und seelischen Anstrengungen aus, sondern auch völlig unkalkulierbaren Risiken. Nach soziologischen und psychologischen Erkenntnissen bietet das alltägliche Leben (fast) keine existenziellen Risiken mehr. Jedoch hat der Mensch ein elementares Bedürfnis nach einem gewissen Spannungs- und Aufregungsniveau, das in den immer populäreren Extremsportarten befriedigt wird. Eine breite Masse von Freizeitsportler/innen vollbringt physische und psychische Höchstleistungen, die früher einmal der Elite von Leistungssportler/innen vorbehalten waren.
Besonders deutlich wird dies bei der Betrachtung aktueller Teilnehmerzahlen von Marathon- und Triathlonveranstaltungen. Marathon ist im 21. Jahrhundert bereits zum Volkssport avanciert, galt er doch vor nicht allzu langer Zeit als der ultimative und extreme Ausdauertest. Inzwischen verzeichnen Ultralangdistanzen ähnlich großen Zulauf, denn Quereinsteiger vom Marathon bilden das Potenzial, aus dem sich der „Nachwuchs“ für den Ultrasport rekrutiert. Folgende Fragestellung ergibt sich daher für meine Arbeit: Warum liegen Extremsportarten in der heutigen Gesellschaft im Trend? Warum tun sich Männer und Frauen derartige Strapazen an und setzen sich lebensgefährlichen Abenteuern aus?
Bei der Betrachtung der relevanten Fachliteratur zum Thema Extremsport wird deutlich, dass diese keine einheitliche Struktur aufweist und unzählige definitorische Auslegungsversuche der Autoren zur generellen Verwirrung führen. Daher ist in dieser Arbeit ein neuer Kategorisierungsansatz extremer Sportarten unternommen worden. Auffällig in der Literatur ist, dass Unterschiede bezüglich des Geschlechts nie differenziert werden. Generell wird nur auf die männliche Variante des Extremsportlers zurückgegriffen. Untersuchungen zu geschlechtsspezifischen Aspekten im Extremsport fehlen gänzlich.
Dabei gilt als erwiesen, das Männer und Frauen sich nicht nur in ihrem Wesen, sondern auch in ihrer sportlichen Leistungsfähigkeit und ihrer gesellschaftlichen Prägung bzw. Rollenverteilung unterscheiden und es in unserer Gesellschaft unterschiedliche geschlechtsspezifische Stereotypisierungen gibt. Aus diesem Grund ergibt sich für mich ergänzend folgende Fragestellung: Betreiben Frauen Extremsport aus den gleichen Gründen wie Männer? Und gibt es […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 9448
Bellstedt, Beritt: Extremsport und Geschlecht - Eine sozialpsychologische Untersuchung
am Beispiel des Ultra-Triathlons Quelle Challenge Roth
Druck Diplomica GmbH, Hamburg, 2006
Zugl.: Deutsche Sporthochschule Köln, Diplomarbeit, 2005
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2006
Printed in Germany

1
Inhaltsverzeichnis
1 EINLEITUNG...3
2 EXTREMSPORT...6
2.1
Definition des Extremsportbegriffs...6
2.2 Kategorisierung
extremer Sportarten...10
2.3
Gründe für die Entwicklung extremer Sportarten...18
2.4 Typologisierungsmöglichkeiten des Extremsportlers...22
2.5
Sportkarrieren: Als Extremsportler geboren?...29
3 MOTIVE
EXTREMEN
SPORTTREIBENS...32
3.1 Allgemeine
Begriffsbestimmung...33
3.1.1 Motiv...33
3.1.2 Motivation...33
3.2
Theoretische Ansätze zur Erklärung motivierten Verhaltens...34
3.3
Intrinsische und extrinsische Motivationen...36
3.3.1 Leistungsmotive...37
3.3.2 Das
Flow-Konzept...38
3.3.3 Grenzsuche...40
3.3.4 Risikosuche...43
3.3.5 Angstlust...44
3.3.6 Sinnliche
Erfahrungen...46
3.3.7
Soziale und gesundheitliche Motive...47
3.4
Motivationsprozesse in extremen Sportarten...48
3.5
Extremsport ­ eine Sucht?...51
3.5.1
Lauf und Ausdauersucht...53
3.5.2 Die
Endorphinhypothese...54
3.5.3 Negative
Sportsucht
und Entzugserscheinungen...56

2
4
SPORT UND GESCHLECHT...58
4.1
Gesellschaftliche Rollenverteilung...59
4.2
Frauen im Sport ­ Zur Leistungsfähigkeit der Frau...64
4.3
Unterschiede im Sportengagement...68
5
UNTERSUCHUNGSHYPOTHESEN...73
6
METHODE...75
6.1
Untersuchungsvorbereitungen...75
6.2 Untersuchungsablauf...76
6.3
Statistische Verfahren...77
7 ERGEBNISSE...78
7.1 Soziodemographische Daten...78
7.2 Sportverhalten...79
7.3 Motivation...84
7.4 Soziale
Aspekte
und
Triathlon...85
7.5 Verletzungsrisiko
im Sport...88
8 DISKUSSION...89
9 SCHLUSSBETRACHTUNG...94
10 LITERATURVERZEICHNIS...98
ANHANG
I Abbildungsverzeichnis
II Tabellenverzeichnis
III Fragebogen
IV Untersuchungsdaten

3
,,Es ist diese sehnsuchtsvolle Lehre, die uns antreibt
zum Spielen ­ zu Schlachten ­ zu Reisen ­ zu zügel-
losen, aber heftig empfundenen Unternehmungen."
GEORGE G.N. BYRON (1788-1824) Briefe und Tagebücher
1 Einleitung
Extremsport ist ein Phänomen, das fast ausschließlich in modernen
Industriegesellschaften anzutreffen ist. Immer mehr Menschen setzen sich nicht
nur extremen körperlichen und seelischen Anstrengungen aus, sondern auch
völlig unkalkulierbaren Risiken. Ob in Wüsten oder Polarregionen, im
Hochgebirge, in der Tiefe des Meeres oder in der Luft. Menschen stürzen sich
mit Fallschirmen von Hochhäusern, rasen auf umgebauten Skateboards mit
über 130 km/h die Pass-Strassen hinunter (Street-Luger), surfen auf haushohen
Wellen, absolvieren Wüsten- und Eismarathons, tauchen über 200 Meter tief
oder klettern auf die höchsten Berge dieser Erde (vgl. Bette 2003, LVZ
Online/dpa 2003). Warum liegen Extremsportarten in der heutigen Gesellschaft
im Trend? Warum tun sich Männer und Frauen derartige Strapazen an und
setzen sich lebensgefährlichen Abenteuern aus?
Nach soziologischen und psychologischen Erkenntnissen bietet das
alltägliche Leben (fast) keine existenziellen Risiken mehr. Jedoch hat der
Mensch ein elementares Bedürfnis nach einem gewissen Spannungs- und
Aufregungsniveau, das in den immer populäreren Extremsportarten befriedigt
wird (vgl. Hartmann 1995, 43; Opaschowski 2000, 9-11). Dass der Extremsport
zu einem Abenteuer für die Massen werden konnte, lässt sich auf den Wandel
von der Erwerbsgesellschaft zur Erlebnisgesellschaft der letzten 20 Jahre und
die Langeweile zurückführen, die sich in unserer Gesellschaft breit gemacht hat
(vgl. Räntsch-Trill 2000, 1-7; Opaschowski 2000, 93-95; Hartmann 1995, 43).
Eine breite Masse von Freizeitsportler/innen vollbringt physische und
psychische Höchstleistungen, die früher einmal der Elite von
Leistungssportler/innen vorbehalten waren. Besonders deutlich wird dies bei der
Betrachtung aktueller Teilnehmerzahlen von Marathon- und

4
Triathlonveranstaltungen.
1
Marathon ist im 21. Jahrhundert bereits zum
Volkssport avanciert, galt er doch vor nicht allzu langer Zeit noch als der
ultimative und extreme Ausdauertest. Inzwischen verzeichnen
Ultralangdistanzen ähnlich großen Zulauf
2
, denn Quereinsteiger vom Marathon
bilden das Potenzial, aus dem sich der ,,Nachwuchs" für den Ultrasport rekrutiert
(vgl. Rühmann 1999, 103; Flötgen 2004, 50).
Bei der Betrachtung der relevanten Fachliteratur zum Thema Extremsport
wird deutlich, dass diese keine einheitliche Struktur aufweist, sondern vielmehr
durch verschiedenste definitorische Auslegungsversuche der Autoren zur
allgemeinen Verwirrung führt (vgl. Allmer 1998, Breuer Sander 2003, Clausen
2003, Egner Kleinhans 2000, Hartmann 1995, Opaschowski 2000, Knobloch
Allmer Schack 2000, Rupe 2000). Untersuchungen zu
motivationspsychologischen Aspekten in extremen Sportarten gibt es nur
wenige, die in Abhängigkeit von der/den untersuchten Sportart(en) in ihren
Ergebnissen variieren.
3
Untersuchungen zu geschlechtsspezifischen Aspekten
im Extremsport fehlen gänzlich. Keiner der oben genannten Autoren, die sich
mit dem Extremsportphänomen beschäftigten, differenzierten Unterschiede
bezüglich des Geschlechts. Generell wird darauf zurückgegriffen, nur die
männliche Variante des Extremsportlers zu beschrieben. Dabei gilt als
erwiesen, das Männer und Frauen sich nicht nur in ihrem Wesen, sondern auch
in ihrer Leistungsfähigkeit und ihrer gesellschaftlichen Prägung bzw.
Rollenverteilung unterscheiden (vgl. Heinemann 1998, 208-219; Stang-Voss
1990, 225-232; Hartmann-Tews 1990, 146-162, u.a.). Aus diesem Grund ergibt
sich für mich ergänzend folgende Fragestellung: Betreiben Frauen Extremsport
aus den gleichen Gründen wie Männer? Und gibt es Unterschiede hinsichtlich
1
16. Krefelder Triathlon 2004: über 1.300 Einzelstarter/innen, Berlin Marathon 2003: über 30.000
Teilnehmer/innen, Hamburg Marathon 2003: 20.000 Teilnehmer/innen, New York Marathon 2003: über
30.000 Teilnehmer/innen, Hamburg Triathlon 2003: 2.200 Einzelstarter/innen, Hamburg Triathlon 2004:
6.000 Einzelstarter/innen (3.000 Teilnehmer/innen am ,,Volkstriathlon" und 3.000 Teilnehmer/innen an
der Olympischen Distanz)
2
Quelle Challenge Roth 2004: 3700 Teilnehmer/innen absolvierten 3,8 km schwimmen, 180 km
Radfahren, 42,195 km Laufen, Opel Ironman Frankfurt 2004: 2000 Einzelstarter/Innen, Marathon des
Sables 2003: 630 Starter/innen (243 km Laufen durch die Wüste Marokkos), 100 km Lauf von Biel 2004:
ca. 3000-4000 Teilnehmer/innen; weitere Langdistanz Veranstaltungen: Spartathlon (245 km in weniger
als 36 Stunden von Athen nach Sparta laufen), 24-Stunden-Rennen, 3-fache/5-fache/10-fache Triathlon
Langdistanzen, Swiss-Alpine-Marathon (67 km Lauf durch die Alpen), Jungfrau Marathon von Interlaken
(42 km mit 1.800 Höhenmetern)
3
Beispiele für motivationspsychologische Untersuchungen in extremen Sportarten: Opaschowski 2000;
Hartmann 1995; Allmer 1998; Schnabel, Hilmer Roder 1989; u.a.

5
der Motive zwischen Männern und Frauen? Ist die Ausübung extremer
Sportarten daher vom Geschlecht abhängig?
Da es auf diese Fragen bisher in der Fachwelt der Sportpsychologen und
Sportsoziologen keine konkreten Antworten gegeben hat, habe ich eine
Stichprobenuntersuchung bei dem ,,Quelle Challenge" in Roth 2004
durchgeführt, der ein traditioneller Ultra-Triathlon Wettkampf in Deutschland ist.
Vor Ort wurden an ca. 200-250 Triathleten/innen Fragebögen ausgehändigt.
Durch die empirische Bearbeitung der oben angegebenen Fragestellungen
möchte ich einen ersten Forschungs- bzw. Untersuchungsansatz in einer
extremen Ausdauersportart geben, der weitere geschlechtsspezifische
Forschungsvorhaben im gesamten Bereich des Extremsports anregen soll.
Die vorliegende Arbeit lässt sich inhaltlich in zwei Teile gliedern, einen
theoretischen und einen empirischen Teil. Im ersten theoretischen Teil meiner
Arbeit möchte ich mich zunächst im Kapitel 2 ,,Extremsport" mit der
Schwierigkeit der definitorischen Auslegung des ,,Extremsportbegriffs"
beschäftigen sowie der Kategorisierung extremer Sportarten. Es wird im
Weiteren der Versuch unternommen, den Grund für die Entwicklung des
Extremsports in unserer Gesellschaft zu ergründen. Ebenso, ob es möglich ist,
einen Extremsport-Typus zu beschreiben sowie diesen gegebenenfalls
geschlechtsspezifisch zu unterscheiden. Abschließend möchte ich den
Sportkarrieren extremer Sportler und Sportlerinnen nachgehen und versuchen,
die Frage, ob man als Extremsportler bzw. Extremsportlerin geboren wird, zu
beantworten. Im Kapitel 3 ,,Motive extremen Sporttreibens" werde ich mich
ausgiebiger mit den vielfältigen Motiven extremer Sportausübungen befassen
und versuchen, die Schwierigkeit der geschlechtsspezifischen Differenzierung
darzustellen. Dabei sollen auch die Aspekte der Sportsucht und die Phänomene
des ,,Runner's High" und der ,,Endorphinhypothese" berücksichtigt werden. Mit
dem Kapitel 4 ,,Sport und Geschlecht" möchte ich näher auf die
geschlechtsspezifischen Unterschiede im allgemeinen Sportverhalten von
Frauen und Männern eingehen, hinsichtlich ihrer Motivation zum Sport, ihrer
physiologischen Leistungsfähigkeit, ihrem Sportengagement und der
Problematik gesellschaftlicher Rollenverteilung.

6
Der zweite, empirische Teil dieser Arbeit wird durch meine Untersuchungs-
Hypothesen eingeleitet, um nachfolgend meine durchgeführte Untersuchung
beim Quelle Challenge in Roth genauer zu beschreiben. Das Herausstellen,
Einordnen und Diskutieren der gefundenen Ergebnisse in den Gesamtkontext
dienen der Abrundung des empirischen Teils. Die abschließende
Schlussbetrachtung stellt eine zusammenfassende Beurteilung und kritische
Auseinandersetzung mit der Untersuchung dar und soll Ausblicke in die Zukunft
ermöglichen.
2 Extremsport
2.1 Definition des Extremsportbegriffs
Was erhält in der heutigen Zeit nicht alles die neumodische Bezeichnung
,,extrem" und ,,Extremsport"
4
? Für den einen ist die Marathondistanz von 42,195
km bereits extrem, der andere findet den 100 km Lauf von Biel völlig ,normal'
oder eine 10-fache Triathlon Distanz. Extrem ist nach Gienger (1999) all das,
was die eigenen sportlichen Fähigkeiten übersteigt. Jeder Mensch befindet sich
auf einem anderen physischen und mentalen Niveau und benutzt das Wort
,,extrem" daher aus einem anderen Kontext. Sobald die eigene physische
Leistung von anderen übertroffen wird, neigt der Mensch dazu, diese als extrem
zu bezeichnen, da sie über der eigenen Marke liegt (7).
Als extremsportlich vermag heute fast alles zu gelten, was den Rahmen
des Üblichen sprengt. Unter den Begriff ,Extremsport' lassen sich höchst
unterschiedliche Bewegungsmuster wie beispielsweise das Bungee-Springen,
das Ultra-Marathonlaufen oder das Free Solo-Klettern (ohne Seil) fassen.
Aufgrund ihrer unterschiedlichen Bewegungsform, Charakteristik und ihren
unterschiedlichen Körperzuständen, scheint jedoch eine Zusammenfassung
unter dem Begriff ,,Extremsport" als unzureichend und verlangt eine
entsprechende Kategorisierung extremer Sportarten (vgl. Clausen 2003, 17).
4
Eine Erläuterung der beiden Begriffe ,Extrem' und ,Sport' lässt sich folgendermaßen finden: EXTREM:
,,äußerst; übertrieben": das Adjektiv wurde im 17. Jh. aus dem lateinischen ,,extremus" ,,äußerste"
entlehnt. Abl. Extrem: ,,äußerster Standpunkt; Spitze; Übertreibung" (DUDEN Herkunftswörterbuch
2001, 199) und SPORT: aus dem lat. ,disportare' (sich zerstreuen, vergnügen), Sammelbezeichnung für
die an spielerischer Selbstentfaltung und am Leistungsstreben orientierten Form körperlicher Betätigung.
Diese Tätigkeiten werden meist um ihrer selbst willen und aus Freude an der Überwindung von
Schwierigkeiten ausgeübt. (Der Sport Brockhaus 1989, 488)

7
Ein Versuch Clausens (2003, 19), den Extremsportbegriff mit klassischen
Sportbegriffen wie ,Mannschaftssport', ,Rehabilitationsport' oder ,Amateursport'
zu vergleichen, führt ihn zu folgender Feststellung: bei dem Wort
,Mannschaftssport' wüsste ,,jeder, dass stets mehrere Personen an der
sportlichen Handlung beteiligt sein müssen" (19); der Rehabilitationssport hätte
,,zwangsläufig etwas mit der Wiederherstellung eines früheren körperlichen
Zustandes zu tun" (ebd.) und Amateursportler würden ihren Sport nicht
berufsmäßig betreiben. Der Extremsport hingegen lässt der Phantasie des
Interpreten grenzenlosen Spielraum (ebd.).
Da es in der Literatur hinsichtlich des Extremsportbegriffs eine Vielzahl
unterschiedlicher Strukturierungsversuche und Deutungsansätze gibt, fällt es
schwer, den Überblick zu behalten. Um das Ausmaß der definitorischen
Uneinheitlichkeit in der Literatur aufzuzeigen, sollen im Folgenden die m.E.
bedeutsamsten Ansätze kurz vorgestellt und in Anlehnung an Clausen (2003)
eine Kategorisierung extremer Sportarten unter Kapitel 2.2 vorgenommen
werden.
Allmer (1998) fasst Extremsport als einen komplexen Begriff zu ,,Extrem-
und Risikosport" zusammen und verwendet diesen analog ohne dabei eine
definitorische Abgrenzung der beiden Begriffe vorzunehmen. Er differenziert
den Begriff lediglich anhand einer Einteilung in fünf verschiedene Kriterien.
Zusammengefasst sind nach seiner Meinung für Extrem- und
Risikosportaktivitäten ,,außerordentliche körperliche Strapazen, ungewohnte
Körperlagen und ­zustände, ungewisser Handlungsausgang, unvorhersehbare
Situationsbedingungen und lebensgefährliche Aktionen charakteristisch" (64).
Breuer und Sander (2003) unternehmen in ,,Die Genese von
Trendsportarten" einen Versuch, den Begriff Trendsport und die Vielzahl seiner
ähnlich mit Sport im Zusammenhang stehenden Begriffe genauer einzugrenzen.
Dabei differenzieren sie das System ,,Sport" in acht verschiedene Rubriken,
angefangen mit ,,Randsport", ,,Funsport", ,,Erlebnissport" und ,,Abenteuersport",
weiter über die Unterscheidung zwischen ,,Risikosport" und ,,Extremsport", sowie
die Eingrenzung zu ,,Boomsport" und ,,Trendsport" (40-41). Jedoch scheint eine

8
Auffächerung des Sportsystems, angesichts der Vielzahl an unterschiedlichen
Begriffen, der allgemeinen Verwirrung nur förderlich. Sie trennen die Begriffe
durch ihre Definitionen zwar voneinander, nehmen aber keine eigene
Klassifizierung der einzelnen Sportarten vor. Stattdessen kritisieren sie Görkes
(1995)
5
Einteilung in vier Rubriken (Fun Sports, Trend Sports/Modern Sports,
Soul Sports, Extreme Sports). Unter ,,Extreme Sports" zählt dieser nur
Sportarten, die sich durch die Passivität der Teilnehmer kennzeichnen, da sie
nicht oder kaum aus eigener Kraft agieren.
6
Extreme Ausdauersportarten wie
Ultra-Marathon oder Ultra-Triathlon finden auch bei Breuer und Sander keine
Berücksichtigung, ebenso extreme Sportarten, die von dem Ausübenden ein
hohes Maß an körperlicher Fitness und Können erfordern (Eisklettern,
Speedklettern, Apnoetauchen, Bergsteigen, Wildwasserkajak, u.a.), werden in
keiner der genannten Rubriken erwähnt.
Egner und Kleinhans (2000) plädieren im Rahmen ihres
Strukturierungsversuches für eine ähnliche Unterscheidung wie Görke (1995) in
,,Fun Sports", ,,Soul Sports", ,,Extreme Sports" und ,,Thrill Sports". Sie fassen die
vier Begriffe zu der übergeordneten Kategorie der ,,Trend- und Natursportarten"
zusammen und unterscheiden diese nach den Kriterien ,,Zentrales Merkmal",
,,Raumbezug", ,,Raumwirkung", ,,Training/Vorbereitung" und ,,Risiko". Während
das ,,subjektive Erleben der eigenen körperlichen Grenzen" (62) und das
Grenzgängertum für sie die zentralen Merkmale des Extremsports sind, stellt
der durch extreme und oft lebensgefährliche Situationen freigesetzte Kick für sie
das übergeordnete Motiv des Thrill Sports dar. Jedoch sei eine eindeutige
Zuordnung zu den Sporttypen nach Meinung der Autoren nicht immer möglich
und es komme zu zahlreichen Überschneidungsbereichen (vgl. 57-63).
Opaschowski (2000) benutzt den Begriff ,,Extremsport" als Titel für sein
Buch ,,X-trem ­ der kalkulierte Wahnsinn: Extremsport als Zeitphänomen" und
setzt diesen Begriff im weiteren Verlauf durch die Bezeichnung ,,Extrem-, Risiko-
und Trendsport" (16) mit den beiden letztgenannten Begriffen gleich. Sowohl
5
Görke, T. (1995): Zukunftsprognosen für Trendsportarten: Systematik und Überblick. In: Breuer, G.
Sander, I. (Hrsg.): Die Genese von Trendsportarten. Im Spannungsfeld von Sport, Raum und
Sportstättenentwicklung. Hamburg: Czwalina 2003, 50
6
zum Beispiel: Bungee-Jumping, Sky Surfing, Base Jumping, Body Flying etc. Die Bedeutung der
Begriffe wird im weiteren Verlauf genauer erläutert.

9
verwendet er wie zuvor Allmer (1998) den Begriff analog als ,,Extrem- und
Risikosport" als auch einzeln (94-97). Zu keiner Zeit wird von Opaschowski eine
definitorische Abgrenzung der Begriffe vorgenommen oder erläutert, warum er
in seinen Repräsentativbefragungen von ,,Extremsportlern" gerade auf die
Sportarten Bungee-Jumping, River-Rafting, Canyoning und Freeclimbing
zurückgreift (vgl. 17, 25). Des Weiteren entwickelte er ein zweidimensionales
Achsenmodell zum ,,Traditionssport. Trendsport. Risikosport ­ die neue
Bewegungskultur" und teilte dieses in die Schwerpunkte ,,Lifestyle", ,,Thrill" und
,,Sport" ein, um die einzelnen Sportarten zu differenzieren (80). Aber auch
dieser Strukturierungsversuch berücksichtigt nicht alle Formen des
Extremsports und addiert weitere Begriffe zu dem ohnehin übersättigten Fundus
der Bezeichnungen.
Ähnliches gilt für Rupe (2000), die mit der Bezeichnung ,,Soft Adventure
Sportarten" wieder einen neuen Oberbegriff für extreme Sportaktivitäten ins
Spiel bringt. Sie fasst unter diesen Begriff alle sportlichen Aktivitäten des
Tauchens, Fliegens, Kletterns, Springens und der schnellen Fortbewegung,
ebenso wie Expeditionen, Safaris und Höhlenerforschungen, vorausgesetzt,
diese werden ,,unter Inkaufnahme einer existenziellen Gefährdung und unter
dem Aspekt der Konfrontation mit den eigenen Grenzen betrieben" (Semler
1994, zitiert nach Rupe, 43).
Clausen (2003, 24) entwickelte, ähnlich wie die o.g. Autoren, aufgrund der
Uneinheitlichkeit des Extremsportbegriffs ein eigenes Extremsportmodell. Er
teilte den Extremsport in die Oberbegriffe ,,X-tremsport", ,,Modifikationen
konventioneller Sportarten" und ,,Abenteuerhaften Extremsport" ein und
berücksichtigte als Einziger nahezu alle aktuellen extremsportlichen Varianten
und Formen. Ebenso differenzierte er den Begriff nach internen Kriterien,
ausgehend von der Fragestellung: ,,Was zeichnet den so genannten
Extremsport aus, welche Arten von Extremsport können erfasst werden und wie
unterscheiden sich diese intern voneinander?" (ebd.). Aus diesem Grund soll
das Extremsportmodell nach Clausen (2003) allen weiteren Ausführungen
dieser Arbeit als Kategorisierungsgrundlage dienen und im folgenden Kapitel
näher vorgestellt werden.

10
2.2 Kategorisierung extremer Sportarten
Clausen (2003) fasst in seinem Differenzierungsmodell unter dem
neumodisch klingenden Begriff ,,X-tremsport" (25) alle so genannten
postmodernen Bewegungsformen (kursiv im Orig.) wie das Bungee-Jumping,
Zorbing, Base-Diving, Body-Flying oder House-Running. Diese neuartigen
Extremsportformen seien in ihrer schrillen Erscheinungsform typische ,,Produkte
unserer Gegenwartskultur" (ebd.). Durch eine ,,zunehmende Vermischung der
Grenze zwischen Sport und Erlebnisveranstaltung" (27) würde die Passivität
des Akteurs deutlich, da die Teilnehmer bei dieser Form des Extremsports einer
von außen initiierten Bewegung unterliegen.
7
Bartl (2000) ergänzt die Ansicht Clausens (2003) mit der Frage, ob es sich
bei dieser Form des Extremsports wirklich um Sport im Sinne muskulärer
Aktivität handle oder um eine weitere Freizeitvergnügung mit Thrill- und Kick-
Charakter. Es müsse daher klar unterschieden werden, ob bei der Ausübung
muskuläre Eigenenergie oder Fremdenergie durch Maschine, Gravitation oder
Wassermassen überwiege. Ebenso ob zur Ausübung ein kontinuierliches
Training sowie geistige Überwindung der eigenen muskulären Leistungsgrenze
notwendig sei oder einfach nur Angstüberwindung (vgl. 212-214). Im Folgenden
soll die nach Clausen entwickelte Kategorie ,,X-tremsport" nach ihren
,,Sportarten" vorgestellt werden und die Ähnlichkeit in ihren Bewegungsmustern
aufgezeigt werden.
7
Hierzu zählen der freie Fall und das beinahe schwerelose Schweben in Luft und Wasser, hohe
Geschwindigkeiten und Beschleunigungen sowie schnelle Rotationsbewegungen und Körperlagen.

11
X-tremsportart
Charakteristisches Bewegungsmuster
Bungee-Jumping
8
Sturz, freier Fall, nach best. Distanz
abgebremst
Zorbing
9
Wirbeln, Rollen
Body-Flying
10
Schweben, Gleiten im Luftkanal
Scad-Diving
11
Sturz, freier Fall ungebremst ins Netz
House-Running
12
Kontrollierter Fall mit Kontakt zur Wand
Bridge-Jumping
13
Sturz, Schwung mit hoher Beschleunigung
Hot-Rocket-Bungee/Ejection Seat
14
Beschleunigung, freier Fall
Tabelle 1: Beispiele der X-tremsport Kategorie (in Anlehnung an Clausen 2003)
Hinsichtlich des charakteristischen Bewegungsvollzuges fällt auf, dass sich
die oben genannten Bewegungsformen untereinander stark ähneln und von
Seiten der Teilnehmer
15
keine spezifischen Kenntnisse bzw. Fähigkeiten
erwartet werden. Spezielle Maschinen und Konstruktionen ermöglichen immer
und zu jeder Zeit einen akribisch vorausgeplanten Handlungsvollzug, der jedoch
einen extremsportlichen Inszenierungscharakter besitzt. Die Veranstalter
versuchen stets bei jeder ,,Jahrmarkt-Aktion" das eingegangene Risiko des
Akteurs bis auf ein ,,technisches Versagen/Fehler" zu minimieren (vgl. Clausen
2003, 27-29). ,,Im Vordergrund steht das Erleben des Taumels, das mit einem
8
Sturz an einem dehnfähigen Seil aus Höhen von ca. 60-70 Metern. Überall auf der Welt werden
Sprünge von 100-200 Meter hohen Brücken angeboten. Sprünge aus Helikoptern und Heißluftballons sind
keine Seltenheit mehr.
9
Das Gerät zum Zorbing nennt sich Zorb, eine transparente, aufgeblasene Kugel in dessen Inneren sich
eine weitere kleinere Kugel mit Haltegriffen befindet. Der Zorbonaut wird in dem Zorb befestigt und mit
Geschwindigkeiten von bis zu 50 km/h einen Abhang oder eine Wiese runter gerollt.
10
Der Body-Flyer fliegt ca. 3-5 Minuten in einem Luftkanal und wird durch eine 180 km/h starke
Turbine in der Luft gehalten. Fortgeschrittene Body-Flyer springen von oben in den Luftkanal.
11
Der Scad-Diver steht ähnlich wie der Bungee-Jumper in einem ca. 80 Meter hohen Kran mit einer am
Boden öffnenden Luke. Öffnet sich diese, stürzt der Akteur ohne Seil ca. 60 Meter in die Tiefe und wird
ungebremst in einem großen Netz aufgefangen.
12
Den Körper in waagerechter Position, das Gesicht zum Boden, läuft der House-Runner gesichert an
einem Seil im hohen Tempo senkrechte Hauswände hinunter.
13
Ähnlich dem Bungee-Jumping, nur das beim Bridge-Jumping ein Seil an einer Brücke befestigt und
unterhalb der Brücke zu einer nächsten Brücke geführt wird. Der Bridge-Jumper wird an dem Seil
befestigt und springt von der Brücke an der das Seil nicht befestigt ist in die Tiefe. Durch die Befestigung
an einer zweiten Brücke macht der Akteur ungebremst einen großen Schwung (mit hoher
Geschwindigkeit und schneller Beschleunigung) unter den Brücken durch.
14
Der Akteur wird über zwei vorgespannte Seile in kürzester Zeit von 0 auf 120 km/h beschleunigt. Die
Beschleunigung ist dabei höher als beim freien Fall.
15
Aus Gründen der sprachlichen Vereinfachung sollen Bezeichnungen wie ,, der Teilnehmer, der Akteur,
der Extremsportler" etc. für männliche als auch weibliche Sportler/innen in dieser Arbeit verwendet
werden.

12
Gefühl des Schwankens, des Schwindelzustandes, der inneren Erregung und
rauschhaften Gemütslage verbunden wird" (Pfeiffer 1989, 29).
Die zweite Kategorie bilden die ,,Modifikationen konventioneller
Sportarten" die von Clausen (2003) auch ,,Extremvarianten konventioneller
Sportarten" genannt werden. Unter dieser Kategorie sind Sportarten zu
verstehen, die in ihrem klassischen Bewegungsmuster bestehen bleiben, aber
in einer extremeren Form ausgeübt werden. Die Extremvariante der
konventionellen Sportart Klettern wäre somit das Free Solo Klettern (ohne Seil)
oder das Eisklettern. Beim Tauchen beispielsweise das Apnoetauchen und
beim Triathlon der Ironman
16
. Die extreme Ausübung konventioneller Sportarten
erfordert von den Akteuren physische und mentale Belastungen, die deutlich
über dem durchschnittlichen Maß der jeweiligen Sportart liegen (34-37).
Clausen (2003) unterscheidet dabei ,,High-Risk-Varianten konventioneller
Sportarten", bei denen das Risiko schwerwiegender Verletzungen bis hin zum
Tod äußerst hoch ist und ,,Endlos-Extremsport", der mit allen extremen
Ausdauersportformen gleichgesetzt werden kann. ,,High-Risk-Sportarten" wie
das Skysurfen, Basejumping, Speedskaten oder Free Solo Klettern setzen von
dem Akteur überdurchschnittliche physische, mentale und bewegungsbezogene
Fertigkeiten voraus. Ein unkontrolliertes Trudeln, ein falsch gewählter
Absprungzeitpunkt oder Haltegriff, ein Unterschätzen der Windverhältnisse oder
Verzögerungen beim Öffnen des Fallschirms können tödliche Konsequenzen
zur Folge haben. Somit steht das Risiko schwerer Verletzungen der
existenziellen Erfahrung des ,Sich-Hingebens' gegenüber (vgl. Clausen 2003,
40-41). Besonders charakteristisch für den ,Endlos-Extremsport' ist die ,,extreme
Zeitdauer bzw. Distanz" (38), die der Akteur nur erfolgreich absolvieren kann,
wenn er seinen Rhythmus findet. Beispiele für extreme Ausdauersportarten
stellen Ultra-Marathon und -Triathlon Veranstaltungen oder extrem langes
Radfahren dar. ,,Der Extremsportler taucht hier über seine Bewegungen in eine
Art meditativen Zustand ein, der über die stete Wiederholung offenbar eine
innere Sammlung verspricht" (ebd.). Entscheidend, so Bartl (2000, 212), sei
auch die Überwindung und kontinuierliche Steigerung der eigenen
16
Die Extremvarianten der genannten Sportarten werden in der Abbildung 2 genauer erläutert.

13
Leistungsfähigkeit. Der Extremsportler setzte sich darüber hinaus keinen
lebensgefährlichen Risiken aus und das Verletzungsrisiko wiege den
gesundheitlichen Nutzen im Allgemeinen auf. Baumeister (1999) ergänzt für den
extremen Ausdauersport: ,,es gibt nur einen Gegner: den eigenen gesunden
Menschenverstand" (95). Bei den unter die Kategorie ,X-tremsport' fallenden
Sportarten kann sich der Akteur hingegen dem absoluten Taumel und Sich-
Hingeben überlassen und im Gegensatz zu den ,,Extremvarianten
konventioneller Sportarten" hätte der Extremsportler stets eine passive Rolle
(vgl. Bartl 2000, Clausen 2003).
In der nachfolgenden Abbildung soll in Anlehnung an Clausen (2003, 35)
ein Modell zur Kategorisierung extremer Sportarten aufgezeigt werden. Auf eine
spezielle graphische Differenzierung hinsichtlich Ausdauer- oder Risikovariante
soll im Folgenden verzichtet werden. Es soll lediglich die Weiterentwicklung der
konventionellen Sportart zu ihrer extremen Variante verdeutlicht werden.
Konventionelle Sportart
Extremsportvariante
Laufen
Ultra-Marathon
17
Ultra-Marathon in exotischer Kulisse
18
Schwimmen
Ultra-Langstreckenschwimmen
19
Radfahren
Downhill-Mountainbike
20
24-Stundenrennen
21
Race across Countries
22
Speedbiking
23
Bergsteigen
Besteigung eines oder mehrerer
hoher Berge in schnellstmöglichster
Zeit
24
Tauchen
Apnoetauchen
25
Spelinauting (Höhlentauchen)
26
Eistauchen
27
Tabelle 2: Konventionelle Sportarten und ihre Extremvariante (Fortsetzung S. 14)
17
Langstreckenläufe wie der 100km Lauf von Biel, 24 Stunden Läufe oder Spartathlon (245km von
Sparta nach Athen in weniger als 36 Stunden)
18
Ultralangstreckenläufe in ausgefallenen, exotischen und z.T. skurillen Wüsten-, Eis-, Berg-, Kultur-
Kulissen über Distanzen von 42-620km zum Teil in Etappen (Berglauf von Borneo, Marathon de Sables,
Jungfrau-Marathon von Interlaken, Großer Himalaya Lauf, Swiss-Alpin-Marathon, Tasmanian Run, Lauf
auf der Chinesischen Mauer, u.a.)
19
Am 6. August 1926 schaffte die 19-jährige Schwimmerin Gertrude Ederle als erste Frau das
Durchschwimmen des Ärmelkanals (56 km) in 14 Stunden und 39 Minuten. Damit unterbot sie den

14
Fortsetzung von Tabelle 2: Konventionelle Sportarten und ihre Extremvariante
bestehenden männlichen Rekord um 2 Stunden. Bis heute wurden überall auf der Welt Ultra-
Langstreckendistanzen absolviert. Die längste von dem Franzosen Guy Delage, der 1995 in 56 Tagen den
Atlantik durchschwamm (3.861km).
20
Bei Bergabfahrten werden Geschwindigkeiten von ca. 100 km/h erreicht. 2003 fand in einem
verlassenen Bergwerk in Deutschland der ,,Red Bull Race Down to the Middle of Earth" statt. 24 der
weltbesten Downhill-Mountainbike Fahrer/innen (16 Männer, 8 Frauen) kämpften 700 Meter unter der
Erde in völliger Dunkelheit, auf gefährlichem Untergrund mit Gefällen von 25% um den Titel.
21
Der 24 Stunden Rekord liegt bei 852,4 km.
22
Rennen quer durch Amerika (5000 km in 8-11 Tagen mit max. 3 Std. Schlaf pro Tag ) oder Rund um
Australien (14.000 km).
23
Talfahrten mit speziell ausgerüsteten Fahrrädern zur besseren Aerodynamik mit über 200 km/h.
24
H. Kammerlander bestieg 1992 vier Mal hintereinander das 4478 Meter hohe Matterhorn innerhalb von
24 Stunden. Andere Bergsteiger sammeln die Besteigungen aller Achttausender innerhalb einer
festgelegten Zeit.
25
Tauchen ohne Sauerstoffgerät. Der Akteur wird an einem Schlitten in die Tiefe gezogen und bleibt ca.
6-8 Minuten Unterwasser. Mittlerweile werden Tiefen von über 150 Metern erreicht. Der Erfolg beim
Apnoetauchen ist abhängig von der richtigen Technik und der mentalen Vorbereitung.
26
Spelinauting (lat. Speleaum = Höhle/Grotte) bedeutet Höhlentauchen.
27
Tauchen mit Spezialanzügen unter dicken Eisschichten arktischer Regionen.
28
Den Brüdern Alexander und Thomas Huber gelang 2004 ein sensationeller Rekord im Speedklettern in
der Zodiac-Route im Yosemite Valley. Sie kletterten die 600 Meter hohe Wand in 1 Std. 51 Min. (alter
Rekord 6 Std.) und nahmen dabei Stürze von über 30 Metern in Kauf.
29
Eisklettern an gefrorenen Wasserfällen erfordert ein extrem hohes Maß an Kraft, Koordination und
Ausdauer. Es finden regelmäßig Meisterschaften statt. Die amtierende Weltmeisterin Ines Papert hat als
erste Frau Mixed Routen im schwierigsten Klettergrad (11-) bewältigt.
30
Free Solo Begehungen meinen das Klettern ohne Seil, nur mit Helm, Kletterschuhen und
Magnesiabeutel. Im Falle eines Sturzes, Steinschlags oder Griffausbruches besteht schwerstes
Verletzungsrisiko bis zum Tode. Bekanntester Solo Kletterer ist der (durch einen Autounfall) verstorbene
Wolfgang Güllich und die Kletterin Lynn Hill. 2003 kletterte Alexander Huber die ,,Diretissima" der
großen Zinne free solo (550 Meter) und setzte damit ein beachtliches Zeichen.
31
Erkunden und Überwinden unzulänglicher Schluchten und Flussläufe durch Klettern, Schwimmen und
Springen. Ungesicherte Sprünge von 12-25 Metern in kleine Flussbecken sind keine Seltenheit.
Canyoning Touren werden häufig durch Reiseveranstalter wie Adventure World (Schweiz) gebucht und in
Gruppen durchgeführt. 1999 verunglückten zahlreiche Gruppen in der Schweizer Saxet-Schlucht tödlich.
Statt Teilnehmereinbußen gab es einen regelrechten Run bzw. Boom aufs Canyoning.
Klettern
Speedklettern
28
Eisklettern
29
Free Solo Klettern
30
Canyoning
31
Kajak
Wildwasserkajak auf Flüssen des V.
und VI. Schwierigkeitsgrades
32
Triathlon
Ironman
33
Fallschirmspringen
Basejumping
34
Skysurfing
35
Freeflying
36
Inline-Skating
Speedskating
37
Skateboardfahren
Streetluging
38
Skifahren/Snowboarden
Speedskiing
39
Extreme Skiing/Snowboarding
40
Wasserskifahren
Wakeboarding
41

15
Die dritte Kategorie fasst Clausen (2003) unter die Rubrik ,,Abenteuerhafter
Extremsport" zusammen. Diese Kategorie lässt sich aufgrund ihres
Abenteuercharakters mit dem Kanon historischer Explorationen in Beziehung
setzen, jedoch zeigt sie ,,typische postmoderne Eigenheiten" (41) auf, die eine
klare Trennung beider Formen verdeutlichen. So würden abenteuerhafte
Extremsportler der Neuzeit mit gründlicher Vorbereitung
42
, Risikoanalyse und
hochmoderner Ausrüstung ihre Aktion starten. Beabsichtigt sei dabei nicht ,,die
Erschließung bislang unentdeckter Gebiete oder Erforschung fremder Kulturen"
(ebd.) sondern vielmehr eine Erschließung des Ichs und seiner eigenen
mentalen und physischen Grenze.
Die Akteure sind sich stets der persönlichen Konsequenzen ihres
Handelns bewusst und agieren aus ihrer Sicht weder lebensmüde noch
leichtsinnig (43). Typisch für diese Kategorie sei auch das Aufsuchen
weitestgehend ursprünglicher und unverfälschter Naturräume, die in ihrer
,,phänomenalen Begrenztheit (...) immer auch einen Moment der Einheit in sich"
32
Flüsse dieser Schwierigkeitsgrade gelten aufgrund ihrer Walzen, Strudel, Wasserfälle etc. als kaum
befahrbar. Akteure die sich dennoch hineinwagen brauchen ein hohes technisches Können und Erfahrung
und Mut.
33
Traditionelle Lang-Distanz über 3,8km Schwimmen, 180km Radfahren und 42,195km Laufen die ihren
Ursprung in Hawaii hat. Mittlerweile gibt es Veranstaltungen mit 3-10fachen Distanzen (Rekordhalterin
Astrid Benöhr).
34
Menschen die sich im freien Fall von bis zu 1000 Meter hohen senkrechten Felsmassiven oder
Skyscrapern stürzen, werden Base-Jumper genannt. Erst kurz vor dem Boden öffnet sich der Fallschirm.
35
Sprung aus dem Flugzeug mit einem an die Füße geschnallten Air-Surfbrett. Der Skysurfer stürzt im
freien Fall mit ca. 200 km/h zu Boden und landet mit seinem Fallschirm.
36
Freeflying ist eine eigene Disziplin im Skydiving (Fallschirmspringen) und diesem sehr ähnlich, nur
das der Freeflyer nicht bäuchlings zu Boden fällt, sondern im Sitzen, im Stehen oder kopfüber. Sie
benutzen ihre Arme und Beine wie Flügel im Luftstrom und erreichen so Geschwindigkeiten von 260
km/h, im Einzelfall sogar bis zu 500 km/h (Skydiving: ca. 180 km/h).
37
Beim Speedskaten werden die Akteure von einem Motorrad gezogen und fahren in dessen
Windschatten mit speziell entwickelten Inline-Skates bis zu 290 km/h.
38
,,Asphaltrodeln" auf umgebauten Skateboards/Schlitten mit denen die Akteure auf Passstrassen auf bis
zu 125 km/h beschleunigen. Als Bremsen dienen Gummiverstärkte Schuhe.
39
Beim Speedskiing rasen die Abfahrer/innen mit aerodynamischen Anzügen und Helmen auf einer
präparierten Piste in Schusshaltung den Berg hinunter. Dabei werden bei einem Gefälle von 58 Prozent
Geschwindigkeiten von bis zu 250 km/h erreicht.
40
Beim Extreme Skiing oder Snowboarding werden extreme Steilwände an hohen Bergen mit bis zu 50
Prozent Gefälle abgefahren. Dabei werden Sprünge über hohe Felskanten mit langen Flugphasen und das
Auslösen von Lawinen in Kauf genommen. Hans Kammerlander fuhr 1990 als erster Mensch die
Skiabfahrt vom Nanga Parbat (8126) und 1996 vom Mount Everest (8848 Meter).
41
Der Wakeboarder wird von einem Speedboot gezogen und fährt auf einem speziell entwickelten
Wakeboard. Es werden dabei Salti, Sprünge und Loops ausgeführt und im Falle eines Sturzes hohe
Verletzungen in Kauf genommen.
42
R. Messner führte vor seiner Nanga Parbat Besteigung in den 70zigern ein monatelanges Training für
die Ausdauer durch, dem richtigen Atmen in der Höhe, der Ernährung sowie mentale Übungen und
genaues Routenstudium.

16
(47) tragen.
43
Nach Clausen schaffe die Einheit eines Berges, einer Höhle, des
Ozeans oder der Wüste einen begrenzten äußeren Rahmen, der für den
Extremsportler begreifbar sei und gerade deshalb seinen Faszinations- und
Aufforderungscharakter besäße. Ebenso weise der abenteuerhafte Extremsport
einen ,,hohen Grad an Offenheit des Verlaufs und des Ergebnisses der
Unternehmung auf" (45). Charakteristisch sei daher, dass es ab einem
gewissen Zeitpunkt aufgrund der naturräumlichen Ausgesetztheit keine
Rückzugsmöglichkeit oder Ausstiegschance mehr gebe. Der Akteur oder die
Gruppe könne meist keine Hilfe/Rettung von außen erwarten, sondern sei auf
sich selbst gestellt.
44
Jeder wisse, dass in der Weite der Berge oder des
Ozeans, in der Verlassenheit der Wüste oder der Finsternis der Höhle stets
eigene Regeln gelten, die der Akteur nicht beeinflussen könne. In seiner
extremsportlichen Handlung müsse er sich den Gesetzen und Spielregeln des
Naturraumes anpassen und erlebe dadurch einen Komplex aus Abhängigkeit
und Freiheit (vgl. 47/48). Clausen (2003) zählt zu den abenteuerhaften
Extremsportformen das Durchqueren von Wüsten oder weiträumigen Eisflächen
(Zielorientiertes Wandern), das Höhlenforschen (Klettern/Tauchen), das
Besteigen hoher Berge und das Überqueren von weiträumigen Wasserflächen
mit dem Segelboot, Ruderboot oder Windsurfbrett.
45
Ergänzend zu der Differenzierung extremer Sportarten lässt sich sagen,
dass bei Ultra-Ausdauersportarten in der Regel außerordentliche körperliche
Strapazen dominieren und somit kennzeichnend sind. Lebensgefährliche
Aktionen sind weniger typisch. Demgegenüber sind bei den meisten
Hochgeschwindigkeitssportaktivitäten in der Luft, auf dem Wasser oder der
43
Der Grenzgänger R. Messner beschreibt dies folgendermaßen: ,,Wer etwas über sich selbst erfahren
will ,zwischen Himmel und Erde' gehe dahin wo die anderen nicht sind" (
www.lvz-online.de
) und der
Bergsteiger Hans Peter Eisendle erklärt die Einheit von Körper und Natur folgend: ,,Du hast nur einen
Moment, wo du eins bist mit der Wand, mit dem Himmel, mit der Erde" (Baumeister 1999, 164).
44
Eine ergreifende Bergsteigertragödie ist das Buch über die Erst-Besteigung des Siula Grande in den
Anden von Joe Simpson (1988). Dieser verunglückt in der Abgelegenheit der Anden mit seinem Freund
und macht mit seiner Erzählung eindrucksvoll deutlich, dass beim abenteuerhaften Extremsport keine
Rettung oder Hilfe von außen zu erwarten ist. Denn in den Anden gibt es nicht wie in den Alpen
Bergrettungsstationen (vgl. Simpson, J. (1988): Sturz ins Leere. München: Heine Verlag).
45
Die Britin Fiona Thornwill, Bezwingerin beider Pole (2000/2001), erreichte 2004 im Alleingang und
ohne fremde Hilfe in 42 Tagen erneut den Südpol. Ebenso überquerte 2003 die Französin Raphaela Le
Gouvello mit einem Windsurfbrett im Alleingang den Pazifik (8900km) in 89 Tagen. Auch die 25-jährige
Maud Fontenoy ruderte 2003 alleine über den Atlantik (6700km). ,,Es war eine großartige Erfahrung. Ich
habe viel gelitten und gelernt was es heißt Angst zu haben. Ich bin froh wieder an Land zu sein, aber auch
traurig das das Abenteuer nun vorbei ist" (
www.lvz-online.de
)

17
Erde lebensgefährliche Aktionen und damit verbundene Verletzungen höher zu
gewichten als körperliche Strapazen. Der zeitliche Moment der
extremsportlichen Handlung ist dagegen vergleichsweise kurz. Alle
Sportformen, die ich unter die dritte Kategorie ,,Abenteuerhafter Extremsport"
gefasst habe, beinhalten neben ausdauernden und körperlichen Strapazen
auch ein hohes Risiko lebensgefährlicher Verletzungen bis zum Tod (vgl. Allmer
1998, 60ff).
46
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die vorgenommene
Kategorisierung und Differenzierung extremer Sportarten in Anlehnung an
Clausen (2003), einen aktuellen Überblick über die existierenden
Extremsportformen geben sollte. Der Anzahl extremer Sportarten scheint
aufgrund ihrer vielfältigen Ausprägungen in unserer Gesellschaft keine Grenze
mehr gesetzt zu sein. Im Feld des Sports stellt die Extremisierung einen
dynamischen und unaufhaltsam fortschreitenden Prozess dar, denn eine
körperliche Belastung oder sportliche Leistung, die einmal erreicht oder
überschritten wurde, kann den meisten nicht mehr als Limit dienen (vgl. Schwier
2002, 27). Die Ausführungen zeigen, dass fast jede konventionelle Sportart die
Möglichkeit bietet, zu einer Extremvariante weiterentwickelt zu werden. Die
Gelegenheit zur Erfindung neuer Extreme scheint daher äußerst vielfältig. Bevor
ich in die eigentliche Thematik dieser Arbeit einsteige, möchte ich in den
folgenden Kapiteln mit sportpsychologischen und sportsoziologischen Theorien
einige grundlegende Fragen zum Extremsport beantworten:
Wieso finden Extremsportarten in der westlichen Zivilisationsgesellschaft
so großen Anklang? Wie konnte es zu diesem Trend kommen? Wie sieht der
Typus eines Extremsportlers aus? Wie ist dieser zum extremen Sport
gekommen? Und können Extremsportler geschlechtspezifisch differenziert
werden?
46
Menschen die Berge besteigen, Wüsten oder Polarregionen durchqueren oder Ozeane überqueren
gehen Aktionen nach, die von der zeitlichen Dauer stets als ,,lang" und von dem Kampf mit den
Naturgewalten stets als risikoreich einzustufen sind. Deshalb erhält die Gefahr bzw. das Risiko zu sterben
einen gleichwertigen Stellenwert zu den körperlich empfundenen Strapazen.

18
2.3 Gründe für die Entwicklung extremer Sportarten
,,Die Menschen spielen leichtfertig mit dem Tragischen,
weil sie an die Existenz des Tragischen
in einer zivilisierten Welt nicht glauben."
Josè Ortega y Gasset
47
Gründe für das Zustandekommen extremer Sportformen in der heutigen
Gesellschaft gibt es nach Bette (2003), Hartmann (1995), Opaschowski (2000
und 1998) und Räntsch-Trill (2000) äußerst viele und daher nicht nur eine
Hypothese. Die genannten Autoren versuchten das neuzeitliche Phänomen
,,Extremsport" mit dem gesellschaftlichen Wandel zu erklären. Im 21.
Jahrhundert hat es einen Wandel von der Arbeits- und Erwerbsgesellschaft der
früheren Jahrzehnte zur heutigen ,,Erlebnisgesellschaft"
48
gegeben, welcher
Ausdruck eines Wandels in den Wertvorstellungen und Lebensorientierungen
der Menschen darstellte. Dieser drückte sich durch den Wunsch der Menschen
aus, ihr Leben zu erleben (vgl. Opaschowski 1998, 26). Die ,,Angst etwas zu
verpassen" (27) sei ein Grund, warum gut ein Viertel der Bevölkerung sich nach
Feierabend, am Wochenende oder im Urlaub in Bewegung setzt. Somit
entsprechen extreme Freizeitaktivitäten einer gesellschaftlichen Entwicklung,
,,die seit der frühen Neuzeit im Zuge des Modernisierungsprozesses eine
schwindelerregende Dynamik" (Hartmann 1995, 44) entfaltet hat, die auf
Bewegung, Tempo und Beschleunigung setzt.
Die heutige Wohlstandsgesellschaft und schnelllebige
Informationsgesellschaft schwelgt in spontanen und impulsiven
Bewegungserlebnissen, welche die Sehnsucht wecken, ständig ,,in Action" zu
sein (vgl. Opaschowski 1998, 28). Dies bestätigt ein Bericht von Bühler (2004)
in der Süddeutschen Zeitung über Ultra-Triathleten, deren Wohnung oftmals zur
Wechselzone, statt zum Lebensmittelpunkt avancierte. Arbeiten, heimkommen
umziehen und trainieren war die Devise für die Hochleistungs-Breitensportler.
47
Zitat entnommen aus Krakauer, J. (1998): In eisigen Höhen. Das Drama am Mt. Everest. München:
Piper Verlag, S. 7
48
Begriff von Gerhard Schulze (1992): Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart.
Frankfurt am Main: Campus

19
Alle Gedanken drehten sich bei den extremen Amateuren um Wettkämpfe,
Bestzeiten, Ernährung und Trainingspläne. Jede Minute wurde genutzt, um den
Körper zu stählen und sein Selbstwertgefühl zu steigern (46). In den letzten
zwei Jahrzehnten haben sich parallel zu dem bereits genannten
gesellschaftlichen Wandel auch Formen und Inhalte der Körperkultur
ausgeweitet. Der Körper hat für die Sinnfindung des heutigen Menschen enorm
an Bedeutung gewonnen.
49
Viele der heute betriebenen Sportarten ,,liegen auf
der Schnittstelle zwischen der lustvollen Bewegung und dem Wunsch bzw. der
Notwendigkeit bestimmte Leistungen zu erbringen" (DGF 1999, 92). Heutzutage
blickt die westliche Welt auf eine lange Zeit des Friedens zurück und schwimmt
noch immer im Überfluss.
50
Satt, verwöhnt und durch unzählige Policen gegen
alle Risiken und Wechselfälle des Lebens abgesichert, scheinen die
Wohlstandsmenschen Angst vor Not und Bedrohung weitestgehend
abgeschüttelt zu haben (vgl. Hartmann 1995, 42ff). Mit Hilfe von Bürokratie und
Routine geht der Mensch der modernen Zivilisation durch ein vorstrukturiertes
Leben seinen üblich geregelten Gang. Die Kehrseite von Sicherheit und
Routine, so Bette (2003), sei jedoch nicht nur Langeweile und Leere, sondern
das Spüren einer völligen Ohnmacht. Die Massenmedien würden täglich
deutlich machen, wie wenig der Einzelne das Weltgeschehen beeinflussen
könne. Der zeitgenössische Extremsport liefere hier ein Kontrastprogramm, das
,,in einer sich selbst langweilenden Gesellschaft von immer mehr Menschen
nachgefragt wird" (43).
Extremsportler wollen dem wenig aufregenden, hochautomatisierten,
fremdbestimmten und grauen Alltag entkommen.
51
Sie wollen über sich selbst
bestimmen, freiwillig Risiken eingehen, ihren Körper spüren, Spaß haben,
Gefahren meistern, ihre Angst überwinden und lustvoll ganz überflüssige
Strapazen auf sich nehmen (vgl. Hartmann 1995, 43). Die Natur erscheint als
49
Body Flyerin: ,,Ich glaube wir müssen immer wieder so verrückte Sachen unternehmen, um uns endlich
wieder zu spüren" (zitiert aus Hartmann 1995, 36)
50
Vgl. die Aussage eines Bungee Jumpers warum er immer wieder aufs Neue springt: ,,Wahrscheinlich
geht es uns zu gut, dass man solche abartigen Reize sucht, wir kämpfen ja nicht ums Überleben..." (zitiert
aus Hartmann 1995, 36)
51
Body Flyerin: ,,Ich musste irgendwie einen Ausgleich zu meinem Alltag finden. Irgendetwas das nur
von mir abhängt und wo ich von keinem Menschen abhängig bin. (...) Früher war der Beruf doch viel
vielseitiger. Und heute ist das alles mehr Fließbandarbeit" (zitiert aus Hartmann 1995, 36)

20
eigenwillige, unberechenbare und überwältigende Macht.
52
Die Überwindung
der physischen Unterlegenheit mit Geschick und Glück gilt für den
Extremsportler als das große Erlebnis, das den Alltag erhellt (Räntsch-Trill
2000, 3). Für einen spaßorientierten Umgang mit Angst und Unsicherheit bietet
sich der Extremsport geradezu an. In entschärfter Form hat das Abenteuer
inzwischen auch den Breitensport und die Erlebnisparks erreicht. Snowboarder
erproben ihre Fahrkünste als ,Freerider' jenseits der Pisten und
Jahrmarktbesucher lassen sich als Bungeespringer in Richtung Asphalt fallen
oder in extremen Achterbahnen durchschütteln. (vgl. Bette 2003, 42). Kein
Wunder, dass auch Firmenstrategen längst die gesellschaftliche Sehnsucht
nach Abenteuer und extremen Herausforderungen für ihre Produktwerbung
verwenden: ,,Against himself and the clock" oder ,,Eat right, drink much, sleep
well, and then go like hell".
53
Abenteuer und Wagnis haben somit einen allumfassenden Charakter, weil
sie Menschen in extremer Weise fordern. Wenn Bergsteiger in die Todeszone
über 8000 Meter vordringen, oder Basejumper sich von Felsklippen stürzen,
setzen sie ihre Existenz aufs Spiel, um mit ,Haut und Haaren' gefordert zu
werden. Derartige Bewährungsproben ermöglichen dem extremen Sportler die
Welt im Kleinen in den Griff zu bekommen, in einer Zeit, in der die Medien
täglich Geschichten ,,der Nichtbewältigung und Desillusionierung erzählen"
(Bette 2003, 43). Jedoch muss erwähnt werden, dass die Risiken, die
Menschen in extremen Sportarten zu bewältigen versuchen, laut Bette (2003)
Luxusrisiken sind, denen sich der Mensch in seiner Freizeit stellt (42). Räntsch-
Trill (2000) kommt zu einem ähnlichen Schluss: ,,Der Extremsport in der wilden
Natur hat den Charakter einer ästhetischen Inszenierung" (5). Werden
Organisationen betrachtet, die das Interesse der Bevölkerung nach riskanten
Abenteuern und Erlebnissen kommerziell ausnutzen, so lässt sich feststellen,
dass diese überall auf der Erde, in der Luft, auf dem Wasser oder Unterwasser
Gelegenheiten zu extremsportlicher Aktivität bieten (vgl. Räntsch-Trill 2000,
52
Räntsch-Trill (2000) zitiert dabei einen Satz aus Schillers ,,Wallenstein", der das Motto des
abenteuerhaften Extremsportler zu sein scheint: ,,In der Wildnis ist der Mensch noch was wert, da wird
das Herz noch gewogen" (3).
53
Triathlonausrüsterfirmen verwendeten die Aussagen des Spitzentriathleten Mark Allen für ihre
Produktwerbung.

21
2).
54
Der Mount Everest ist beispielsweise nach den Gipfel-Erstürmungen
Reinhold Messners, das attraktivste Ziel zahlender Extremsportkunden
geworden. Ein beispielloser Ansturm urbaner Seilschaften, mit über 400
wartenden Menschen jenseits der nepalesischen und tibetanischen Flanke des
Everest, machen das Ausmaß und die Kommerzialisierung deutlich. Der
Journalist und Bergsteiger Jon Krakauer beschreibt in seinem Buch ,,In eisigen
Höhen" das am Mt. Everest erlebte kommerzielle Gräuel, dem 1996 über 12
Menschen zum Opfer fielen. Er dokumentiert die Auswüchse des modernen
Alpinismus sowie die magische Anziehungskraft des Bergsteigens und die
rätselhafte Irrationalität, die Leute dazu treibt, in den Bergen im Angesicht des
Todes über sich selbst hinauszuwachsen.
55
Zusammenfassend lassen sich als Gründe für die Entwicklung und
Ausprägung des Extremsport-Trends der Wandel zur Erlebnisgesellschaft der
Neuzeit, die Kopflastigkeit und Langeweile des Alltags, die Ohnmacht des nicht
zu beeinflussenden Weltgeschehens, die Modernisierung und Schnelllebigkeit
der heutigen Zeit sowie der Verlust der Körperlichkeit des Einzelnen nennen. Im
weiteren Verlauf möchte ich daher folgende Fragen beantworten: Was ist das
für ein Mensch, der sich in der heutigen Gesellschaft extremen Risiken oder
langandauernden und zum Teil quälenden Strapazen aussetzt? Ist es möglich,
einen Typus für Frauen und Männer in extremen Sportarten zu definieren? Wird
man als Extremsportler/in geboren oder wird der extremsportliche Charakter im
Laufe des Lebens entwickelt?
54
Anglizismen und Amerikanismen gehören im Bereich des Extremsports bereits zur Alltagssprache:
,,just do it", ,,get your kick", ,,no limits", ,,speed-power-thrill", ,,let your instinct lead the way",
,,freedom", ,,go places, find yourself", u.a. sind überall zu lesen. Viele Werbestrategen bedienen sich
speziell auf die Jugendszene ausgerichteten Slogans, um ihre Geschäfte mit der Jugend, dem Abenteuer,
dem Thrill und Kick zu machen (vgl. Opaschowski 2000, 15ff). Organisierte Abenteuer wie die Camel
Trophy oder das Marlboro Adventure Team versprechen ihren Teilnehmer Freiheit, Abenteuer und
Einzigartigkeit. Teams werden in den Dschungel, die Wüste oder in sonstige entlegene Stellen geschickt,
um Aufgaben zu bewältigen, Ehrgeiz und Sportlichkeit zu beweisen.
55
Die Beschreibungen des Augenzeugen Krakauers zeigen, wie das ,Dach der Welt' zum Ziel jener
geworden ist, die das ultimative Abenteuer, den absoluten Kick suchen und bereit sind dafür bis zu 70.000
Dollar zu bezahlen. Die oft unerfahrenen Bergsteiger werden geführt von ,,Bergunternehmern", die den
Job haben, ihre betuchten Kunden auf den Gipfel zu bringen ­ manchmal sogar mit rücksichtloser Gewalt
und mit tödlichen Folgen. Mehr dazu lässt sich finden in: Krakauer, J. (1998): In eisigen Höhen. Das
Drama am Mount Everest. München: Piper Verlag

22
2.4 Typologisierungsmöglichkeiten des Extremsportlers
Wir befinden uns in der Gegenwart im Zeitalter der Extreme, in dem
Extremsportarten Hochsaison haben. Dies ist von mir in den vorausgegangenen
Kapitel eingehend beschrieben worden. Höher, schneller, weiter ­ und immer
ein bisschen riskanter muss es sein. Extremsport ist mehr eine Lebensform als
eine Sportart. Denn nach Opaschowski (2000) steht sie im Mittelpunkt des
Lebens und drängt oftmals andere Lebensbereiche wie Familie, Beruf oder
Partnerschaft in den Hintergrund. Die Verwirklichung eines angestrebten
Lebenstraums wird zur Hauptsache, Beruf und Privatleben werden oftmals zur
Nebensache. Jeder vierte Extremsportler will sich nach einer
Repräsentativumfrage von Opaschowski in Deutschland einmal in seinem
Leben als Kurzzeitheld fühlen (113-115). Was für ein Mensch ist nun dieser
Extremsportler? Ist es möglich einen Typus nach soziologischen und
psychologischen Aspekten für allgemein gültig zu erklären bzw. eine
geschlechtsspezifische Unterscheidung vorzunehmen?
Aus soziologischer Sicht bringt der unter Kapitel 2.2 beschriebene Wandel
zur Erlebnisgesellschaft im 21. Jahrhundert die so genannten ,Freizeitkarrieren'
mit sich. Der Extremsportler von heute nutzt seinen Beruf nur noch als soziale
Absicherung, sein Hobby bzw. den Sport dagegen als neues Profilierungsfeld
auf der Suche nach Herausforderungen und kühnen Abenteuern. Sei es vor
Jahren noch wichtig gewesen den beruflichen Status ,Arzt' oder ,Manager' zu
besitzen, so ist es in der jüngeren Generation wichtig sich ,Surfer',
,Basejumper', ,Freeclimber' oder ,Ultra-Triathlet' zu nennen (Opaschowski 2000,
29ff). Die junge Generation sucht das Abenteuer und die Herausforderungen für
sich und gegen sich selbst, weil es den Kampf und die Sorge um das Überleben
kaum noch gibt. Laut Opaschowski (1998, 34) wird von nur einem Drittel der
sporttreibenden Bevölkerung die sportliche Aktivität als entspannter Ausgleich
zur Arbeit gesehen, die meisten würden in erster Linie ,Anstrengung', ,Kampf'
und sogar ,Zwang' bei ihrem Sporttreiben erwarten.
56
56
Aussagen wie: ,,Ich mache gerne Sportarten, wo ich nachher vom Feld kippe und fast tot bin" oder
,,Nächstes mal schaffst du die Strecke in zehn Minuten, dann in acht..." zeugen von der selbst gewählten
,Quälskala', die vom einfachen Muskelkater bis zur totalen Erschöpfung reicht und typisch ist für unsere
Leistungsgesellschaft (vgl. Opaschowski 1998, 33-34).

23
Opaschowski (2000), Rupe (2000) und Hartmann (1995) definieren den
Typus eines Extremsportlers als jung, ledig und höher gebildet, der sich
unabhängig und frei bewegen kann, da er keine Rücksicht auf Familie und
Kinder nehmen muss. Die meisten extremen Sportler, die in Anlehnung an
Clausen (2003) unter die Rubrik des ,,X-tremsports" fallen, seien ledig und
zwischen 14 bis 29 Jahre alt. Sportler der zweiten und dritten Rubrik
(,,Extremvarianten konventioneller Sportarten" und ,,Abenteuerhafter
Extremsport") seien dagegen in den höheren Altersklassen vermehrt
anzutreffen (Durchschnitt: über 30) und häufig Hochschul- und
Universitätsabsolventen. Ihr gesellschaftlich-wirtschaftlicher Status sei meist
hoch. Sie gehören allesamt der westlichen Welt an, in der alle Vorzüge
moderner Arbeits- und Lebensstandards kennzeichnend sind. In der ,Dritten
Welt', die ums Überleben kämpft, würde keiner auf den Gedanken kommen,
etwas derart ,Sinnloses' wie Extremsport zu betreiben. Auch in Kriegs- und
Krisenzeiten hätte der Einzelne weder Nerv, Zeit noch Muße sich freiwillig
Strapazen oder risikoreichen Unternehmungen zu stellen (vgl. Opaschowski
2000, 126f; Rupe 2000, 51f; Hartmann 1995, 43). Generell konnte Opaschowski
in seinen Untersuchungen feststellen, dass eher Männer als Frauen während
ihrer Freizeit auf der Suche nach dem grenzenlosen Freiheitsgefühl bzw. dem
Kick sind. Frauen würden auf solche persönlichen Erfolgserlebnisse weniger
wert legen (2000, 135f).
57
Unterstrichen werden die Annahmen der oben genannten Autoren durch
Ottmar Weiß (1999), der zahlreiche empirische Untersuchungen zur sportlichen
Aktivität und sozialen Schichtzugehörigekeit verglichen hat und dadurch
übereinstimmende Zusammenhänge feststellen konnte. Das Ergebnis war wie
folgt: Männer treiben häufiger Sport als Frauen, sind grundsätzlich sportlicher
und dominieren in Sportarten mit hohen körperlichen und technischen
Anforderungen. Generell gibt es mehr Männer- als Frauensportarten. Jüngere
Menschen sind sportlich aktiver als Ältere, die Sportaktivität nimmt mit
steigendem Bildungsgrad zu, höhere Angestellte, Beamte und Freiberufler
treiben exklusivere Sportarten und legen mehr wert auf individuelle Leistung.
Untere Sozialschichten üben kaum Sport aus und wenn, dann häufiger
57
In dem Kapitel ,,Extremsport und Geschlecht" wird auf diese und andere soziologische Aspekte
intensiver eingegangen.

24
Mannschaftssportarten mit hohem Körperkontakt. Familien ohne Kinder und
Alleinstehende sind in ihrem Sportverhalten aktiver als Großfamilien (101ff).
Diese allgemeinen Angaben zur Sportaktivität stimmen weitgehend mit den
Beschreibungen von Rupe (2000), Hartmann (1995) und Opaschowski (2000)
über Extremsportler überein. Bühler (2004) berichtet in der Süddeutschen
Zeitung Analoges, speziell über Ultra-Triathleten beim ,,Quelle Challenge" in
Roth: diese gehörten in der Mehrzahl der Athleten zu einer wirtschaftlich
privilegierten und überdurchschnittlich gebildeten Gesellschaftsschicht an.
Wobei im Jahre 2002 in Roth über 44 Prozent der Starter
Hochschulabsolventen vom Typ ,,Lehrer" waren (46). Es fällt allerdings auf, dass
die genannten Autoren freilich den Versuch einer Typologisierung des
Extremsportlers unternehmen, jedoch keine spezifischen Unterschiede
hinsichtlich des Geschlechts herausstellen. Daher bleibt die Frage, inwieweit
sich männliche und weibliche Extremsportler von einander differenzieren
lassen, nach soziologischer Betrachtung unbeantwortet.
Aufmuth (1984) hat sich mit der Psychologie von Abenteurern und
Extremsportlern auseinandergesetzt. Nach ihm wird der Extremsportler durch
ein häufiges Erleben von Leere, eine große innere Unrast, eine enorme
Risikobereitschaft und eine tiefreichende Identitätsproblematik gekennzeichnet.
Er beschreibt das im Begriff Extremsportler steckende ,Extremsein' als eine
äußerste körperliche und seelische Beanspruchung, die über einen längeren
Zeitraum andauert. Der Extremsportler hole den Antrieb zu seiner
Selbstquälerei aus sehr starken inneren Gefühlen (Leidenschaft).
58
Diese
treiben ihn zur Marterung seines Leibes. Der Sportler findet dabei seinen Sinn
im Erleben durch die körperliche Tätigkeit (1984, 189f).
Weltrekordhalterin im
24-Std.-Rennen, Siegrid Lomsky, unterstützt die These Aufmuths (1984) mit
ihrer Aussage: ,,Torturen die man sich selbst auferlegt, sind keine" und
Baumeister (1999, 103) folgert weiter: ,,Je größer die Qual, um so
berauschender der Erfolg. Sein Maß sucht jeder selbst. Offensichtlich vertragen
Menschen mörderische Anstrengungen weit besser als Bewegungsmangel".
58
Sportlehrerin B. Lennartz-Lohrengel betrachtet Ultralangläufe in erster Linie als sportliche
Herausforderung. Das Glück findet sie im Ziel und den Rausch im Sieg. Es ist die Entspannung, die
höchster Anspannung folgt: ,,Wenn ich es geschafft habe, bin ich euphorisch!" (vgl. Rühmann 1999,
95ff).

25
Auch Rittner (1998) vertritt die Ansicht, dass der Extremsport die
anschaulichsten Beispiele für die vehemente ,,Durchsetzung der
Innenorientierung"(32) liefere. Das ekstatische Empfinden der Körperlichkeit
und Person sowie der Genuss von Abenteuer und Freiheit würden im
organisierten Sport, mit seinem Vereinswesen, so nicht möglich sein. Die so
genannten ,Szenen', die die Protagonisten bilden, dienen dem Subjekt als
Bühne der attraktiven Selbstdarstellung. ,,Von den Sozialidealen des
organisierten Sports ist der Extremsport durch die Suche nach Intensivierung
und Steigerungsformen der Selbsterfahrung schroff getrennt" (ebd.).
Hinzuzufügen ist speziell für extreme Ausdauersportarten und abenteuerhaften
Extremsport, dass diese die Profilierungsfelder der ,,zähen und fleißigen
Kopfarbeiter" sind. Die einzigen Gegner bei diesen Sportformen sind der eigene
Verstand und die zu bewältigende Strecke. Diese Sportler kämpfen nicht
gegeneinander, sondern gegen sich selbst, die Strecke und die Urgewalten. Sie
sind Einzelgänger. Was sie erleben, verbindet sie extrem (vgl. Rühmann 1999,
100).
Aufmuth (1981) vertritt die Auffassung, dass im Extremsport ein direkter
Zusammenhang zwischen Motivation und Identität bestehe. Wenn eine extreme
sportliche Aktivität über einen längeren Zeitraum hinweg mit hohem inneren
Engagement aufgesucht wird, dann seiner Ansicht nach nur um
Identitätsprobleme zu bewältigen. Dies belegt er mit der Erklärung:
,,Das Bergsteigen der Extremen ist ein Verhaltensritual, das
vorübergehend ein sehr unmittelbares Gefühl von Stärke und
Überlegenheit gibt. Dieses Machtgefühl braucht mancher
Extrembergsteiger, um eine große, beständige Angst im Innern
niederzuhalten: die Angst vor Gefühlen der Ohnmacht und des
inneren Alleingelassenseins (...) Es ist nicht zuletzt eine tiefe
Furcht vor dem Fallen, sowie die Angst zu versagen, die
Extrembergsteiger die steilsten Felsen des Erdballs hinauftreibt"
(Aufmuth 1981, zitiert nach Ackermann 1995, 106).
59
Aber kann dadurch verallgemeinert werden, dass jeder Extremsportler ein
Identitätsproblem besitzt, wie vergleichsweise der Grenzgänger und Bergsteiger
59
Dazu R. Messner im Stern Interview (5.9.2002,210): ,,Sterben ist leicht, die Angst vor dem Sterben
treibt an"

26
Reinhold Messner? Dieser offenbart seine Problematik im Spiegel-Interview vom
5.9.2002 auf die Aussage des Interviewers, dass es im Grunde genommen
lächerlich sei auf Berge zu klettern, wie folgt:
,,Die Berge sind da. Also steige ich hinauf. Jeder gibt den
Bergen seinen Sinn. Dass Klettern lächerlich ist, weil es
affenartigen Verhaltensmustern unterliegt, gefällt mir. Lieber
Affe als Mittelmaß" (215).
Und auf die Aussage, dass er süchtig sei nach Ruhm:
,,Wir alle wollen geliebt werden. Als ich die Achttausender
bestiegen hatte, war ich von einer Last befreit. Jetzt sind sie für
mich Geschichte. In meinem Alter treffe ich häufig auf Leute, die
gebückt durch die Gegend laufen und sagen: das lohnt sich
nicht. Mir dagegen gehen die Ziele nicht aus, für sie setze ich
alles ein, alles. Alles. Denn nur haarscharf zwischen
Selbstverschwendung und Selbstzerstörung bin ich lebensfähig.
Wenn ich keine Visionen mehr habe, bringe ich mich um" (ebd.).
Krakauer (1998) ergänzt dazu: ,,Bergsteiger zeichneten sich noch nie durch
einen Überschuss an gesundem Menschenverstand aus" (347). Aber ist damit
gleichgesetzt, dass jeder, der unter schwierigen, sogar lebensgefährlichen
Bedingungen Spitzenleistungen vollbringt, sowie perfekte körperliche und
geistige Beherrschung bewahrt, mit einem Identitätsproblem behaftet ist?
Bette (2003) folgert ähnlich: ,,Extremsportler suchen nicht den eigenen
Untergang, (...) wenn sie sich auf gefährliche Situationen einlassen. Sie nutzen
vielmehr das Drohpotenzial des Scheiterns und die anregende Wirkung der
Angst, um das eigene Lebendigkeits- und Identitätsgefühl zu steigern" (42). Der
moderne Extremsport scheine daher als ein Sozialbereich zu gelten, in dem das
Leben durch Risiko- und Grenzerfahrungen aufgewertet werden soll.
60
Nach
Räntsch-Trill (2000) ist der Extremsportler, wenn er die Gefahren überlebt,
stärker als vor dem Erlebnis der Gefahr. Extremsportler wollen dadurch nicht
nur sich selbst beeindrucken, sondern durch ihre riskanten Aktionen und
außerordenlichten Leistungen von anderen als einzigartige Person
60
Dazu R. Messner: ,,Mein Unterwegssein hat wenige Richtlinien. Eine davon ist dorthin zu gehen, wo
ich immer auch scheitern könnte. Eine andere an meine Grenze zu gehen und dem Weg meines Herzens zu
folgen" (aus: Luik 2002, 207).

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2005
ISBN (eBook)
9783832494483
ISBN (Paperback)
9783838694481
DOI
10.3239/9783832494483
Dateigröße
921 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Deutsche Sporthochschule Köln – Institut für Sportsoziologie
Erscheinungsdatum
2006 (März)
Note
2,0
Schlagworte
motivation psychologie triathlon sportsoziologie sportart
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Titel: Extremsport und Geschlecht
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