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Maßnahmen der sozialen Arbeit zur Prävention von und Intervention bei Gewalt in Pflegeeinrichtungen

©2005 Diplomarbeit 137 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Das Thema „Gewalt in der Pflege“ wurde erst spät von der Literatur erfasst. Zunächst beachtete man vor allem „Gewalt gegen Kinder“, insbesondere die Misshandlung und Vernachlässigung, dann wurde man verstärkt auf „Gewalt gegen Frauen“ aufmerksam und erst in den vergangenen zwei Jahrzehnten stieg die Bedeutung des Themas „Gewalt in der Pflege“.
Bei den Ursachen für und Erscheinungsformen von Gewalt gegen Kinder zum einen und gegen Senioren zum anderen gibt es durchaus Überschneidungen, insbesondere in der familiären Pflege. Kinder und Senioren sind abhängig, Kinder und Senioren müssen gepflegt werden und benötigen Zuneigung. Ihre Bedürfnisse sind ähnlich, ebenso ihre Stellung in der Familie.
Gewalt gegenüber alten Menschen kann jedoch auf unterschiedlichen Ebenen stattfinden. In erster Linie muss die Gewalt innerhalb der Familie im Verhältnis „Zu-Pflegender- Angehöriger“ von der Gewalt innerhalb sozialer Pflegeeinrichtungen im Verhältnis „Zu-Pflegender- Pflegepersonal“ differenziert werden. Zu Grunde liegen den beiden Ebenen unterschiedliche Beziehungen, die durch unterschiedliche Problematiken gekennzeichnet sind. Grob gesagt muss der Angehörige Beruf, die Pflege des Bedürftigen und die Erziehung eigener Kinder in Einklang bringen, während der Pfleger im Zwiespalt zwischen Anforderungen der Einrichtung, der Gesellschaft, der Pflegeperson sowie deren Angehörigen, als auch persönlicher Grenzen steht. Sowohl die private als auch die stationäre Pflege kann unfreiwillig übernommen worden sein. Während der Pflegerberuf häufig „Beruf zweiter Wahl“ ist, kommen private Pflegebeziehungen häufig aufgrund von sozialem Druck oder finanzieller Notwendigkeit zustande.
Der Fokus ist in meinen Ausführungen auf die Gewalt in Pflegeeinrichtungen gerichtet, die andere Ebene wird teilweise angeschnitten.
Belastend auf das Pflegeverhältnis können sich auch persönliche Charakteristika sowohl seitens des Zu-Pflegenden, als auch seitens des Pflegenden, wie auch gewisse Krankheitsbilder auswirken. Der Zu-Pflegende stellt eine große finanzielle Belastung dar, zum einen für die Gesellschaft, zum anderen aber auch für Angehörige, insbesondere, wenn keine eigenen finanziellen Mittel mehr vorhanden sind. Auch hieraus ergeben sich mögliche Konfliktpotentiale.
Das Alltagsdenken von den lieben Angehörigen, die ihren pflegebedürftigen Vätern und Müttern nichts zu Leide tun können, ist ebenso falsch, wie die Tatsache, dass Gewalt immer absichtlich […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 9385
Böhmer, Carsten: Maßnahmen der Sozialen Arbeit zur Prävention von und Intervention
bei Gewalt in Pflegeeinrichtungen
Druck Diplomica GmbH, Hamburg, 2006
Zugl.: Fachhochschule Coburg, Diplomarbeit, 2005
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2006
Printed in Germany

Gliederung
1. Einführung in das Thema
S.
1
2. Definitionen
S.
5
2.1. Prävention
S. 5
2.2. Intervention
S. 7
2.3.
Gewalt
und
Aggression
S. 8
2.3.1. Gewalt
S.
8
2.3.2. Aggression
S.
16
2.3.3. Abgrenzung von Gewalt und Aggression
S. 17
2.4. Pflegeeinrichtung
S. 20
3. Ursachen der Entstehung von Gewalt in Pflegeheimen
S.
21
3.1.
Aggressionstheorien S. 21
3.2. Gewaltursachen auf Seite des Bewohners
S. 28
3.2.1. Übergangskrise
beim
Umzug
ins
Heim
S.
28
3.2.2. Spezifische Krankheitsbilder
S. 33
3.2.3. Aggressivität in der Sterbephase
S. 37
3.2.4. Aggression als Mittel zur Kontaktaufnahme
S.
41
3.3. Gewalt ausgehend vom Pflegepersonal
S. 42
3.3.1.
Persönlichkeitsmodell
S.
42
3.3.2.
Rollenkonflikte
S.
45
3.3.3.
Das
Helfersyndrom
S.
47
3.3.4.
Belastung/
Überbelastung/
Stress
S.
50
3.3.5.
Machtmodell
S.
54
3.3.6.
Subkulturthese
S.
55
3.4. Gewalt bedingt durch Faktoren der Einrichtung/
des Berufes
S. 56
3.5. Gewalt gefördert durch die Gesellschaft
S. 64

3.6. Gewalt ausgehend von den Angehörigen
S. 71
4. Maßnahmen
zur
Prävention und Intervention
S. 72
4.1.
Prävention
S. 72
4.1.1. Steuerung durch die Rahmenbedingungen der
Einrichtung
S. 73
4.1.2.
Supervision
S.
83
4.1.3. Fortbildungen/
Kurse/
Seminare/ Vorträge
S. 90
4.1.4. Stressmanagement/Konfliktmanagement
S. 93
4.1.5.
Selbstpflege
S.
101
4.1.6. Die Gesellschaft als Ansatzpunkt von Gewaltvermeidung S. 103
4.1.7. Angehörigenarbeit S. 107
4.2. Intervention
S. 108
4.2.1.
Selbsthilfegruppen
S.
109
4.2.2.
Supervision
S.111
4.2.3. Personelle
Konsequenzen
als Mittel der Intervention für das
Unternehmen
S.
113
4.2.4. Intervention bei aggressiven Bewohnern
S. 115
5.
Alternative Konzepte der Altenarbeit
S.
117
5.1. Aktueller Stand
S. 117
5.2. Wohnformen der Zukunft für Senioren
S. 119
5.2.1.
Seniorenfamilien
S.
121
5.2.2.
Betreutes
Wohnen
S.
122
5.2.3. Betreute
Seniorenwohngemeinschaften
S.
123
5.2.4.
Mehr-Generationen-Wohnen
S.
124
5.2.5. Das Pflegeheim von heute
S. 125
6.
Fazit und Ausblick
S.
127

1
1. Einführung in das Thema
Das Thema ,,Gewalt in der Pflege" wurde erst spät von der Literatur erfasst. Zunächst
beachtete man vor allem ,,Gewalt gegen Kinder", insbesondere die Misshandlung
und Vernachlässigung, dann wurde man verstärkt auf ,,Gewalt gegen Frauen" auf-
merksam und erst in den vergangenen zwei Jahrzehnten stieg die Bedeutung des
Themas ,,Gewalt in der Pflege".
1
Bei den Ursachen für und Erscheinungsformen von Gewalt gegen Kinder zum einen
und gegen Senioren zum anderen gibt es durchaus Überschneidungen, insbesonde-
re in der familiären Pflege. Kinder und Senioren sind abhängig, Kinder und Senioren
müssen gepflegt werden und benötigen Zuneigung. Ihre Bedürfnisse sind ähnlich,
ebenso ihre Stellung in der Familie.
Gewalt gegenüber alten Menschen kann jedoch auf unterschiedlichen Ebenen statt-
finden. In erster Linie muss die Gewalt innerhalb der Familie im Verhältnis ,,Zu-
Pflegender- Angehöriger" von der Gewalt innerhalb sozialer Pflegeeinrichtungen im
Verhältnis ,,Zu-Pflegender- Pflegepersonal" differenziert werden. Zu Grunde liegen
den beiden Ebenen unterschiedliche Beziehungen, die durch unterschiedliche Prob-
lematiken gekennzeichnet sind. Grob gesagt muss der Angehörige Beruf, die Pflege
des Bedürftigen und die Erziehung eigener Kinder in Einklang bringen, während der
Pfleger im Zwiespalt zwischen Anforderungen der Einrichtung, der Gesellschaft, der
Pflegeperson sowie deren Angehörigen, als auch persönlicher Grenzen steht. So-
wohl die private als auch die stationäre Pflege kann unfreiwillig übernommen worden
sein. Während der Pflegerberuf häufig ,,Beruf zweiter Wahl" ist, kommen private Pfle-
gebeziehungen häufig aufgrund von sozialem Druck oder finanzieller Notwendigkeit
zustande.
Der Fokus ist in meinen Ausführungen auf die Gewalt in Pflegeeinrichtungen gerich-
tet, die andere Ebene wird teilweise angeschnitten.
Belastend auf das Pflegeverhältnis können sich auch persönliche Charakteristika
sowohl seitens des Zu-Pflegenden, als auch seitens des Pflegenden, wie auch ge-
wisse Krankheitsbilder auswirken. Der Zu-Pflegende stellt eine große finanzielle Be-
lastung dar, zum einen für die Gesellschaft, zum anderen aber auch für Angehörige,
insbesondere, wenn keine eigenen finanziellen Mittel mehr vorhanden sind. Auch
hieraus ergeben sich mögliche Konfliktpotentiale.
1
vgl.: Rolf D. Hirsch (HsM- Bonner Initiative gegen Gewalt im Alter e.V.) 2003: S.1

2
Das Alltagsdenken von den lieben Angehörigen, die ihren pflegebedürftigen Vätern
und Müttern nichts zu Leide tun können, ist ebenso falsch, wie die Tatsache, dass
Gewalt immer absichtlich geschehen muss und nur vom Pflegenden ausgehen kann.
Zahlen über Auftretenshäufigkeiten von Gewalt in Institutionen gibt es kaum. Gene-
rell besteht im Bereich von Gewalt gegen alte Menschen eine hohe Dunkelziffer.
2
Neben der hohen Dunkelziffer von Gewalt in der Pflege ergibt sich auch aufgrund
des strukturellen Wandels unserer Bevölkerung einhergehend mit einer wachsenden
Zahl an pflegebedürftigen Menschen eine hohe Notwendigkeit, die Gewalt mit all ih-
ren Ursachen, Erscheinungsformen, wie auch den Möglichkeiten der Prävention und
Intervention immer wieder neu zu erörtern und systematisch zu untersuchen.
Darstellung 1: Anzahl an pflegebedürftigen Menschen in Deutschland
3
Es gibt immer mehr alte Menschen, die unterschiedliche Bedürfnisse und Wünsche,
wie auch unterschiedliche Ressourcen aufweisen. Das Alter muss als eigenständige
Lebensphase begriffen und sollte inzwischen bereits weiter differenziert werden.
2
vgl.: Rolf D. Hirsch (HsM- Bonner Initiative gegen Gewalt im Alter e.V.) 2003: S.3
3
Meyer 1998: S. 19

3
Die Häufigkeit von Anrufen beim Bonner Notruftelefon der Initiative gegen Gewalt
lässt zwar Rückschlüsse auf die generelle Verteilung der verschiedenen Formen von
Gewalt zu, diese Zahlen sind jedoch nicht einzig auf die Gewalt in Institutionen bezo-
gen. Die Zahlen setzen sich vielmehr aus Anrufen aus den Bereichen Gewalt im öf-
fentlichen Raum, Gewalt in der häuslichen Pflege und Gewalt in Institutionen zu-
sammen.
Darstellung 2: Die Verteilung der verschiedenen Gewaltformen unter den Anru-
fern bei der Bonner initiative gegen Gewalt im Zeitraum 1997 bis 2001
4
0
20
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120
140
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1997
1998
1999
2000
2001
In systematischen Untersuchungen wurden bisher meist einzelne Gewaltphänome-
ne, wie die Einschränkung von Bewegungsfreiheit (Einsperrung und Fesselung) und
Psychopharmaka-Missbrauch (Über-, Unter- und Fehlmedikation) erfasst. Mit den
Untersuchungen zum Thema Gewalt scheinen wir also noch am Anfang einer mögli-
chen großen Untersuchungsreihe zu stehen.
Eine relativ aktuelle Untersuchung stammt von Klie und Pfundstein aus dem Jahre
2000. Sie haben in 31 Münchner Alten- und Pflegeheimen eine Stichtagserhebung
zum Thema ,,freiheitsentziehende Maßnahmen" durchgeführt. Die Angaben wurden
von den Pflegeheimmitarbeitern gemacht (N=973). Hierbei gab nahezu die Hälfte der
4
Rolf D. Hirsch (HsM- Bonner Initiative gegen Gewalt im Alter e.V.) 2003: S.3

4
Mitarbeiter an, mechanische Maßnahmen am Stuhl oder Bett auszuüben. Bei ca. 1/3
der Bewohner wurden die Maßnahmen im Bett für eine Zeit von über 20 Stunden und
am Stuhl für über acht Stunden durchgeführt. Als Grund wurde in 91% der Fälle
,,Sturzgefahr/Gehunsicherheit" genannt.
5
Insbesondere die Dauer der Maßnahmen ist meines Erachtens als problematisch zu
betrachten. Eine Rechtfertigung durch Notwendigkeit dürfte kaum mehr möglich sein.
Es besteht eine Vielfalt sozialer Zusammenhänge, die zu Gewalt führen können, je-
doch gibt es ebenso viele Möglichkeiten, um der Gewalt vorzubeugen. Die von mir im
folgenden behandelten Möglichkeiten, wie Gewalt entstehen kann sowie die aufge-
führten Interventions- und Präventionsmaßnahmen decken ein weites Spektrum ab,
dürfen jedoch nicht als allumfassend betrachtet werden. Die Wege zur Prävention
von und Intervention bei Gewalt müssen darüber hinaus als Gesamtkonzept und dür-
fen nicht isoliert voneinander betrachtet werden. Neben den möglichen Ursachen von
Gewalt und den Möglichkeiten der Intervention und Prävention möchte ich auch al-
ternative Wohnformen vorstellen. Die Gestaltung des räumlichen Umfeldes hat e-
benso Auswirkungen auf das Wohlbefinden des Menschen, sei es durch eine ange-
nehme Atmosphäre, eigene Gestaltungsmöglichkeiten oder die Bestimmung von Nä-
he und Distanz nach eigenen Vorstellungen. Wohlbefinden spiegelt sich ganz we-
sentlich im eigenen Verhalten wieder, was bedeutet, dass es Einfluss auf das Vor-
handen-/Nichtvorhandensein von Gewalt in der Einrichtung nimmt.
Aufgrund der hohen Bedeutung des Themas ,,Gewalt in der Pflege", wie auch der
Veränderungen in unserer Bevölkerungsstruktur
6
messe ich meiner Arbeit eine Ap-
pellfunktion zu, nach immer wieder neuen Wegen des Zusammenlebens unserer
Generationen miteinander zu suchen. Wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass
wir alle altern und deshalb eines Tages auf einen Pflegeplatz in einer Einrichtung,
welcher Art auch immer, angewiesen sein können. So unangenehm und tabubehaftet
das Thema ,,Gewalt in der Pflege" auf den ersten Blick auch erscheinen mag, ir-
gendwann können wir alle Betroffene sein.
Wenn ich im Folgenden von Pflegern, Supervisoren etc. spreche, so schließt das
stets auch die weiblichen Personen dieser Berufsgruppen mit ein.
5
vgl.: Rolf D. Hirsch (HsM- Bonner Initiative gegen Gewalt im Alter e.V.) 2003: S.4ff.
6
Das Durchschnittsalter unserer Bevölkerung steigt derzeit kontinuierlich an (siehe hierzu Darstellung
8 unter Punkt 3.5.)

5
2. Definitionen
2.1. Prävention
Der Begriff Prävention kann mit Vorbeugung gleichgesetzt werden und stellt in der
Sozialen Arbeit ein bewusstes und zielgerichtetes Handeln dar, das zum Ziel hat, das
Auftreten unerwünschten Verhaltens oder unerwünschter Situationen zu verhindern.
Die Präventionsarbeit gewinnt im Rahmen der Sozialen Arbeit immer mehr an Be-
deutung. Durch die Erlebnispädagogik wird beispielsweise versucht, Jugendliche zu
alternativen Formen im Umgang mit angesammelten Frustrationen sowie Unsicher-
heiten zu befähigen. Innere Spannungen müssen eben nicht durch Gewalt gegen-
über Dritten ausgelebt werden. Es bestehen vielerlei Möglichkeiten, diese sogar als
Ressource zu erkennen und sich zum Nutzen zu machen. Innere Spannungen sind
Zeichen für vorhandene Energie. Diese kann alternativ auch in der Freizeit ausgelebt
werden oder aber im Beruf einen Motivationsfaktor darstellen. Ähnliche Möglichkei-
ten gibt es für den Bereich der Gewalt gegen Senioren in Pflegeeinrichtungen.
Bei Gewaltpräventionsmaßnahmen kann eine Differenzierung zwischen Maßnahmen
der Primär-Prävention, der Sekundär-Prävention und der Tertiär-Prävention vorge-
nommen werden.
Unter Primär-Prävention ist die Summe aller Maßnahmen zu verstehen, die der Vor-
beugung von Gewalt dienen, noch bevor sich irgendwelche Merkmale für das Auftre-
ten von Gewalt erkennen lassen.
7
Es geht also um eine Ausschaltung von schädli-
chen Faktoren im Vornherein.
Die Sekundär-Prävention umfasst all die Maßnahmen, die ergriffen werden, wenn
mögliche Auslöser von Gewalt und Aggressivität erkannt werden, es jedoch noch
nicht zu Gewalt gekommen ist. Ziel ist es, durch frühzeitiges Erkennen von Sympto-
men und baldigem Eingreifen, Gewalthandlungen noch zu verhindern.
8
Wurden aufgrund eines oder mehrerer Vorfälle bereits Erfahrungen im Zusammen-
hang mit Gewalt in Pflegeeinrichtungen gesammelt und dann darauf aufbauend
Maßnahmen ergriffen, die an den erkannten Ursachen ansetzen, so spricht man von
Tertiär-Prävention. Durch die Tertiär-Prävention wird der Versuch unternommen, ei-
ne erkannte und diagnostizierte Problematik nicht nochmals auftreten zu lassen.
9
7
Prof. Dr. Aue: Mitschrift eines Interviews vom 2.5.2005
8
Prof. Dr. Aue: Mitschrift eines Interviews vom 2.5.2005
9
Prof. Dr. Aue: Mitschrift eines Interviews vom 2.5.2005

6
In der Institution können alle drei Formen von Prävention parallel angewandt werden.
So kann die Heimleitung basierend auf heutigem Wissensstand die Rahmenbedin-
gungen für regelmäßige Supervision schaffen, des weiteren eine gewaltbereite Pfle-
gekraft bei Erkennung deren individueller Problematik entlassen und bei künftigen
Einstellungen besser auf die Qualifikation der Mitarbeiter achten. Die Zuordnung der
Präventionsmaßnahmen zu einer der genannten Formen hängt von der Vorgeschich-
te sowie der aktuellen Situation der Einrichtung ab. Ein und dieselbe Maßnahme
kann für verschiedene Präventionsansätze Anwendung finden. Das Spektrum der
Ansatzpunkte ist verschieden, selbst wenn manche Lösungsansätze identisch sind.
Weiterhin kann differenziert werden zwischen der ,,Verhaltensprävention" und der
,,Verhältnisprävention".
,,Die Verhaltensprävention oder personale Prävention soll das Individuum durch Aufklärung / Informa-
tion, Stärkung der Persönlichkeit oder auch Sanktionen dazu motivieren, Risiken zu vermeiden bzw.
förderliche Verhaltensweisen zu übernehmen."
10
Auf Grundlage dieser Definition kann davon ausgegangen werden, dass Aufklärung,
Sensibilisierung sowie die Schulung der Mitarbeiter in Konflikt- und Stressmanage-
ment und auch in Kommunikationsfähigkeit zu den Hauptbestandteilen der Verhal-
tensprävention zählen.
Adressat der Verhaltensprävention dürfte somit zunächst das Pflegepersonal sein.
Jedoch ist es wichtig, dass die Einrichtungsleitung, die Vorbildfunktion übernimmt,
entsprechendes Verhalten vorlebt. Sie muss eindeutig Stellung beziehen, wie mit
Aggressionen in der Einrichtung umgegangen werden soll. Die Einstellung der obers-
ten Ebene hat prägenden Einfluss auf das Verhalten der Pfleger.
Der Gegenpart zur Verhaltensprävention ist die ,,Verhältnisprävention".
,,Bei der Verhältnisprävention oder strukturellen Prävention werden die strukturellen Bedingungen
verschiedener Lebensbereiche (Arbeit, Familie, Freizeit) oder Umweltfaktoren möglichst risikoarm
ausgestaltet."
11
Diese zielt auf die Veränderung derjenigen Bedingungen und Umstände, die inner-
halb der Einrichtung negative Verhaltensweisen der Arbeitnehmer fördern. Die Ver-
hältnisprävention setzt sich mit mehreren Systemen innerhalb der Einrichtung aus-
einander und ist daher umfassender. Konkrete Vorgehensweisen sind die Schaffung
klarer Arbeitsstrukturen, Weiterentwicklung der Führungskultur und die Verbesserung
10
http://www.ilexikon.com/Prophylaxe.html (27.7.2005)
11
http://www.ilexikon.com/Prophylaxe.html (27.7.2005)

7
der Zusammenarbeit auf Basis einer lösungsfähigen Konfliktkultur in der Einrich-
tung.
12
Die Begriffe Verhaltensprävention und Verhältnisprävention stammen aus der be-
trieblichen Sozialarbeit, können jedoch auch für dieses Thema Anwendung finden.
2.2. Intervention
Intervention bedeutet in der Sozialen Arbeit ,,ein bewusstes, zielgerichtetes und steu-
erndes Eingreifen in ein aktuelles Geschehen. Als Methode der Sozialen Arbeit lässt
sich Intervention in fünf Phasen darstellen: Problemerfassung, Informationssamm-
lung, Methodenwahl, Methodenanwendung, Auswertung."
13
Die Einhaltung der Phasen in korrekter Reihenfolge betont die Bedeutung des be-
wussten und zielgerichteten Handelns.
Notsituationen können aber auch ein rasches Handeln erfordern, um beispielsweise
eine akute Gefahr von einem Bewohner abzuwenden, was eine langfristige Planung
wiederum wesentlich erschwert. Bei Bekanntwerden eines sexuellen Missbrauchsfal-
les wäre ein sofortiges Herausnehmen der Pflegekraft aus der Einrichtung als Lö-
sungsmöglichkeit durchaus denkbar. In diesem Fall sollte der Schutz der einzelnen
Bewohner vor der Aufklärungsarbeit mit der Arbeitskraft stehen und man kann davon
ausgehen, dass der plötzliche Beziehungsabbruch für den/ die Bewohner keine grö-
ßeren Auswirkungen haben wird. Bei einem familiären Pflegefall wäre die Frage nach
den Folgen eines abrupten Beziehungsabbruches näher zu durchdenken, wobei
auch hier der Schutz des ,,Abhängigen", Pflegebedürftigen im Vordergrund steht.
Trotz der zu begrüßenden Zunahme an Präventionsarbeit, wird in der Sozialen Arbeit
die Intervention mit den ihr zu Grunde liegenden Techniken nie wegzudenken sein.
Man kann die beste Absicht haben, durch Maßnahmen vorneweg alle Faktoren, die
Gewalt begünstigen auszuschalten, und doch kann es eines Tages Gewalt in der
Einrichtung geben. Was ich damit sagen möchte ist folgendes: Die Präventionsarbeit
soll Vorrang besitzen. Dennoch muss man wissen, wie man reagieren kann, wenn es
in der Pflegesituation plötzlich zu Gewalt und Aggression kommt. Man muss wissen,
welche Methode in welchem Fall die sinnvollste ist und was in einem konkreten Fall
Vorrang besitzt. Häufig müssen Abwägungen getroffen werden, so z.B. zwischen
dem Wohl des Bewohners und dem Wohl der Pflegekraft. Ebenfalls von Bedeutung
sind die Auswirkungen einer Interventionsmaßnahme auf die anderen Bewohner.
12
siehe insbesondere 4.1.1. ,,Steuerung durch die Rahmenbedingungen der Einrichtung"
13
Stimmer 2000: S.343

8
Das Qualitätsmanagement
14
ist ein wesentlicher Bestandteil der kontinuierlichen
Verbesserung der Arbeit. So muss auch bei akuten Eingriffen unter Dringlichkeitsas-
pekten eine Auswertung nach dem Eingriff erfolgen. Im Rahmen einer Überprüfung
von Methodenwahl und Durchführung auf deren Wirksamkeit werden Ergebnisse ab-
geleitet. Diese führen ggf. dazu, dass für künftiges Handeln in ähnlichen Situationen
andere Verhaltensformen verbindlich festgeschrieben werden.
2.3. Gewalt und Aggression
2.3.1. Gewalt
Für den Begriff ,,Gewalt" existieren in der modernen Literatur vielerlei Definitionen.
Diese überschneiden sich, finden nebeneinander Anwendung, widersprechen sich
aber auch teilweise. Es gibt keine einheitliche Bestimmung bzw. Definition des Beg-
riffes Gewalt.
Bevor ich mir Gedanken darüber machen kann, welches konkrete Verhalten unter
Gewalt in Pflegeeinrichtungen zu subsumieren ist, muss geklärt werden, wie Gewalt
grundsätzlich zu definieren ist.
Gewalt bezeichnet zunächst ,,die Anwendung von physischem oder psychischem
Zwang gegenüber Menschen."
15
Im alltäglichen Sprachgebrauch wird meist nur der
Aspekt der körperlichen Gewalt als relevant gesehen, die psychische Gewalt jedoch
eher ignoriert. Die Untergliederung in physische und psychische Gewalt ist aus Sicht
der Auswirkung bzw. der Folgen einer Handlung getroffen.
Nur in den seltensten Fällen kann die physische Gewalt absolut von der psychischen
getrennt werden. Körperliche Misshandlungen haben immer auch Auswirkungen auf
das Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein einer Person. Psychische Misshand-
lung kann außerdem auch Auswirkungen auf das physische Wohlbefinden haben.
Lässt der Pfleger aus Zorn den alten Menschen in seinem Kot sitzen, so kann dies
zu einem Hautausschlag oder Entzündungen führen (physisch), ganz sicher wird es
aber auch die Psyche des alten Menschen belasten. So wird er möglicherweise
ängstlich, eingeschüchtert oder auch aggressiv. Ebenso führt andauerndes Be-
14
,,Der Begriff ,,Qualitätssicherung" umfasst alle Maßnahmen, die der Beschreibung, Dokumentation,
Sicherung und Verbesserung der Qualität eines Produktes oder einer Dienstleistung dienen." (Stim-
mer 2000: S.554); Stimmer setzte in diesem Zusammenhang die Begriffe Qualitätssicherung und
Qualitätsmanagement gleich
15
Brockhaus 1998: S.262

9
schimpfen sicherlich zu einer innerlichen Erregung, die dann mit Bluthochdruck und
Schlafstörungen einhergehen kann.
16
Es erscheint mir deshalb sinnvoll, manche Gewaltformen als Mischformen zwischen
psychischer und physischer Gewalt zu sehen.
Anhand des erstgenannten Beispiels wird ferner deutlich, dass es eine Art Gewaltspi-
rale gibt. Auf Gewalt von der einen Seite folgt häufig Gegengewalt von der anderen
Seite. Gewalt baut sich demnach häufig auf, sie entsteht und verschwindet also
meist nicht urplötzlich.
Forscher fanden zum Thema Gewalt in Pflegeeinrichtungen heraus, ,, ... dass es viel-
fach eine lange Vorgeschichte in der Interaktion, der Beziehung zwischen Täter und
Opfer hat."
17
Demzufolge kann sich diese Gewaltspirale über eine lange Zeit aufbau-
en und Gewalthandlungen können auch ohne aktuellen Anlass auftreten. Dies hebt
die Bedeutung konstruktiver Mittel und Wege der Konfliktlösung
18
, wie auch sinnvol-
ler Interventionsmaßnahmen hervor.
Je mehr die eine Seite die andere für die Entstehung von Gewalt verurteilen kann,
desto eher kann sie auch jedes eigene Verhalten rechtfertigen. Die Gewaltsituation
eskaliert und Veränderungen können demnach schwerer erzielt werden.
16
Prof. Dr. Conrads: Mitschrift eines Interviews vom 4.5.2005
17
http://www.oase-del.de/texte.html (8.4.2005)
18
siehe 4.1.4. ,,Konfliktmanagement"

10
Darstellung 3: Eskalation von Aggression zwischen Pflegenden und Kranken
19
Nun lässt sich Gewalt auch von der Entstehung her differenzieren. Man spricht von
der personalen (direkten) Gewalt einerseits und der strukturellen (indirekten) Gewalt
andererseits.
Synonym zum Begriff der strukturellen Gewalt werden die Begriffe ,,institutionalisierte
Gewalt" und ,,Gewalt in Institutionen" verwendet, die den Unterschied zwischen Ge-
walt als individuellem Fehlverhalten und Gewalt als alltäglichem Zustand oder Ver-
haltensmuster ausdrücken sollen.
20
,,Personale Gewalt ist die direkte Auswirkung von Gewalt gegen eine Person. Strukturelle Gewalt,
nach Galtung, bedeutet indirekte Gewalt, die die Entfaltung abhängiger Personen, z.B. von Heimbe-
wohnern, behindert."
21
Die personale Gewalt findet in der Subjekt-Subjekt-Beziehung statt und geht zu-
nächst von einem Akteur aus. Ich verwende anstelle der Begriffe ,,Täter" und ,,Opfer"
den der ,,Akteure" und/oder ,,Betroffenen". Eine Zuschreibung von Schuld, welche mit
der Täter- und Opferrolle einherginge, wäre für Präventions- und Interventionsarbeit
in jedem Fall hinderlich. Das ,,Opfer" könnte sich infolge der Zuschreibung selbst be-
dauern, sich bestätigt fühlen oder nur beim ,,Täter" auf Veränderungen beharren, wo-
hingegen der ,,Täter" sich durch die Täterzuschreibung selbst als Opfer eines Irrtums
begreifen und infolge der an ihn gerichteten, einseitigen Veränderungserwartungen
19
Grond 1997: S.70
20
vgl.: http://www.oase-del.de/texte.html (8.4.2005)
21
Grond 1997: S.7

11
ein erneutes Aggressionspotential aufbauen könnte oder aber eine sehr geringe Ver-
änderungsbereitschaft zeigten dürfte. Darüber hinaus könnte eine Täterzuschreibung
mit einem Verlust an Selbstwertgefühl einhergehen.
Wie gezeigt baut sich Gewalt oft in einem Wechselwirkungsprozess auf. Wer gerade
noch Akteur war, kann plötzlich Betroffener sein. Weil der Bewohner den Pfleger
permanent anschreit, wechselt dieser ihm beispielsweise die Windel nicht. Der erste
Akteur kann somit auch der Heimbewohner sein.
Personale Gewalt ist im Gegensatz zur strukturellen Gewalt sichtbare Gewalt. Ihr
geht ein Macht- bzw. Herrschaftsverhältnis voraus. Eine machtlose Person ist nicht in
der Lage, Gewalt auszuüben. Personale Gewalt kann nach dem StGB strafrechtlich
verfolgt werden, man spricht dann im juristischen Sinne von ,,verletzender Gewalt."
Nicht jede Gewaltform muss aber verletzende Gewalt sein. Ob in einem konkreten
Fall verletzende Gewalt vorherrscht und diese bestraft werden soll entscheidet die
Rechtssprechung.
22
Gewalt muss nicht immer aktives Tun sein, Gewalt kann auch durch das Unterlassen
einer erforderlichen Handlung zustande kommen. Misshandlung ist immer aktives
Tun, während man bei dem Unterlassen erforderlicher Handlungen von Vernachläs-
sigung spricht. Sowohl Misshandlung als auch Vernachlässigung können bewusst
wie auch unbewusst ablaufen und können Folgen sowohl auf physischer als auch auf
psychischer Ebene haben.
Die Einschränkung des freien Willens ist nach dieser De-
finition auch Gewalt. Der Akteur wiederspricht dem Wunsch des Betroffenen auf ei-
gene Entfaltung. Somit wird psychischer Zwang gegenüber dem Betroffenen ausge-
übt.
Die bewusste Unterlassung pflegerisch notwendiger Handlungen ist nach Grond eine
Form aktiver Vernachlässigung, während passive Vernachlässigung für die Unterlas-
sung von Handlungen steht, wenn Pflegebedarf nicht oder unzureichend erkannt
wird.
23
Nach Grond kann auch unreflektierte Routine Gewalt begünstigen.
24
Gerade bei struktureller Gewalt sind sich die Pflegekräfte häufig nicht bewusst, dass
sie Gewalt ,,anwenden" und vor allem haben sie häufig auch keine Möglichkeit, der
22
Es sei kurz darauf hingewiesen, dass Strafe im Sinne psychologischer Modelle durchaus zu einer
Minderung der Auftretenswahrscheinlichkeit von unerwünschtem Verhalten beitragen kann, so dass
die strafrechtliche Verfolgung von Gewalttaten sicherlich auch einen wichtigen Beitrag zur Minderung
von Gewalt in Pflegeeinrichtungen leistet.
23
vgl.: Grond 1997: S.38
24
vgl.: Grond 1997: S.57

12
Gewalt zu entgehen. Aufklärungsarbeit ist an dieser Stelle dringend nötig, zum einen
für die strukturgebenden Institutionen, zum anderen aber auch für die Mitarbeiter.
Forscher stellten fest, ,, ... dass ein gewisses Maß an Fehlverhalten in manchen Ein-
richtungen den Pflegekräften von der Leitung auf einer informellen Ebene als Ventil
für Ärger, Gereiztheit und Überbelastung zugebilligt wird. Sie fanden, dass vieles,
was in Heimen geschieht, sehr stark von der Maxime des Funktionierens der Einrich-
tung, des Aufrechterhaltens des Betriebes bestimmt ist."
25
Strukturelle Gewalt ist somit häufig Folge repressiver Strukturen. Meist liegt es nicht
im Ermessen des Einzelnen, Gewalt auszuüben oder zu unterlassen. Würde er bei-
spielsweise nicht den ein oder anderen Bewohner vernachlässigen, weil ihm der
Träger Zeitauflagen vorgegeben hat, so müsste er mit Sanktionen, wie einer Abmah-
nung rechnen, wenn stattdessen andere Aufgaben unerledigt bleiben. Die Ursache
für strukturelle Gewalt muss jedoch nicht allein auf ungünstige institutionelle Heim-
strukturen innerhalb einer Einrichtung zurückzuführen sein. Beschließt der Gesetz-
geber eine drastische Senkung der Pflegesätze, so führt dies womöglich unaus-
weichlich zu einem starken Personalabbau. Kommt es zu seelischer Vernachlässi-
gung der Bewohner, so sollte diese weder auf einzelne Mitarbeiter noch auf die Ein-
richtungsleitung zurückgeführt werden. Bei der strukturellen Gewalt gibt es mehrere
Akteure und in der Regel eine Gruppe betroffener Menschen. Im Gegensatz zur di-
rekten Gewalt ist sie eher sozial akzeptiert. Deshalb wird häufig auch kein Verände-
rungsbedarf erkannt. Genau das ist das gefährliche Charakteristikum der strukturel-
len Gewalt!
Gewaltformen haben sich bei einer ganzen Gruppe oder in einer ganzen Gesell-
schaft etabliert und manifestiert, sie sind zur Gewohnheit und zur Normalität gewor-
den. Veränderungen sind schwerer erreichbar als bei der direkten Gewalt, weil es
keinen ,,Schuldigen" gibt. Die Gruppenmitglieder bestätigen und stärken sich gegen-
seitig in ihrem Verhalten
26
, während bei der direkten Gewalt der einzelne Akteur eher
mit Kritik innerhalb seines sozialen Umfeldes aufgrund seines Normenverstoßes
rechnen muss. Aufgrund der Kritik und Angst vor Ablehnung von außen wird die Be-
reitschaft zur Veränderung gefördert. Die Intensität der strukturellen Gewalt ist in der
Regel höher als die der personalen.
25
http://www.oase-del.de/texte.html (8.4.2005)
26
siehe 3.3.6. ,,Subkulturthese"

13
Dießenbacher/ Schüller sprechen von der ,,alltäglichen Pflegegewalt" die all die For-
men umfasst, die tagtäglich in irgendwelchen Einrichtungen auftreten, aber vom
Staat nicht erkannt und sanktioniert werden.
27
Grond differenziert darüber hinaus noch zwischen ,,verletzender Gewalt" als eine
Form der Gewalt, dessen Folgen für jedermann ersichtlich sind, sowie der ,,sanften
Gewalt", als eine häufig schwer wahrnehmbare Form von Gewalt. Als Beispiel für die
verletzende Gewalt nennt er die Misshandlung, als Beispiel für sanfte Gewalt die Ru-
higstellung eines Menschen durch Psychopharmaka.
28
Meines Erachtens entspricht
die verletzende Gewalt in erster Linie physischen Formen der Gewalt, wohingegen
die sanfte Gewalt vor allem die psychischen Formen sein dürften.
Darstellung 4: Kategorisierung von Gewalt anhand der geschilderten Aspekte
der Auswirkungen
physisch psychisch
der Entstehung
Strukturell/ indirekt
,,Institutioneller Gewalt"
Personal/ direkt
,,Gewalt in Institutionen"
des Bewusstseins
Bewusst (aktiv)
Unbewusst (passiv)
der Art von Gewalt
Tun (Misshandlung)
Unterlassen (Vernachläs-
sigung)
Der Gewaltbegriff wird auch in anderen Zusammenhängen verwendet, teils besitzt er
hierbei neutrale Bedeutung. So wird er beispielsweise in der Politik in Verbindung mit
der Durchsetzung staatlicher Interessen als ,,Staatsgewalt" oder ,,politische Gewalt"
angewandt. Der Staat besitzt hierzulande das Gewaltmonopol, d.h. nur er darf legal
Gewalt ausüben.
In der Vergangenheit wurde auch von ,,elterlicher Gewalt" anstelle der ,,elterlichen
Sorge" gesprochen. Hier zeigt sich der Wandel von einer durch Zwang, v.a. physi-
27
vgl.: Dießenbacher/ Schüller 1993: S.32
28
vgl.: Grond 1997: S.7

14
scher Art bestimmten Erziehung mit Zielen wie Unterordnung und Anpassung hin zur
Erziehung zum reflexiven Subjekt ab.
Während Gewalt als Erziehungsmittel früher geduldet war, werden heutzutage libera-
le, demokratischere Erziehungsmittel bevorzugt. Gewalt in der Erziehung gilt heute
als Normenverstoß oder gar Straftat.
29
Die Umsetzung der gesetzlichen Regelungen
ist jedoch sowohl in der Erziehung, als auch in der Pflege aufgrund des ,,schwammi-
gen" Gewaltbegriffes, Unwissenheit seitens einer breiten Bevölkerungsgruppe, wie
auch der zu erbringenden Beweispflicht problematisch. Gewalt beeinflusst das physi-
sche und psychische Wohlbefinden eines oder mehrerer Menschen.
Beispiele aus der institutionellen Pflege:
Gewalt kann in verschiedener Weise differenziert werden. In Frage zu stellen ist, wo
Konflikte und Spannungen aufhören und Gewalt anfängt. Gerade im Bereich der di-
rekten Gewalt ist ein großes Spektrum denkbar. Durch ein Sammelsurium an mögli-
chen Gewalthandlungen soll dieses Spektrum soweit als möglich erfasst werden.
So sollen hier die wesentlichen Formen, wie sie vom Bewohner einerseits und vom
Pflegepersonal andererseits ausgehen können unter dem Gesichtspunkt von psychi-
scher sowie physischer Gewalt aufgelistet werden. Die Abgrenzung der physischen
Gewalt zur psychischen ist deshalb schwierig, weil körperliche Beeinträchtigungen
stets auch Auswirkungen auf das seelische Wohlbefinden des Menschen haben
können.
Das Pflegepersonal misshandelt am häufigsten körperlich, wenn es an ,,Burnout"
30
leidet, die Bewohner bereits aggressiv sind und wenn es zu Konflikten zwischen Be-
wohnern und Personal gekommen ist.
31
Manche Verhaltensformen dürften erst dann als Gewalt zu bezeichnen sein, wenn
sie konsequent gezeigt werden und nicht als einzelne Ereignisse auftreten. Man soll-
te sich beispielsweise davor hüten, eine einmalige Beschimpfung als Gewalt zu be-
zeichnen. Für eine Abgrenzung lassen sich jedoch kaum objektive Kriterien festma-
chen. Der Begriff Gewalt geht eng mit dem des Gewalttäters einher. Dieser Begriff ist
eindeutig negativ besetzt.
29
Der Gesetzgeber fordert eine körperlich und psychisch gewaltfreie Erziehung, siehe § 1631 II BGB
30
,,Burnout" ist ein dauerhafter Erschöpfungszustand, der durch Überforderung aufgrund von Belas-
tung entsteht (siehe 3.3.4.)
31
Dießenbacher, Schüller 1993: S.15

15
Auch die finanzielle Misshandlung (z.B. Geld veruntreuen) sowie der sexuelle Miss-
brauch sind Formen von Gewalt. Der sexuelle Missbrauch ist aufgeführt, obwohl er
bei alten Menschen nicht so häufig vorkommen dürfte wie bei Kindern oder Frauen.
In jedem Fall zählt sie zu den selteneren Formen von Gewalt gegen Senioren.
32
Darstellung 5: Mögliche Gewaltformen ausgehend von Bewohner und Pflege-
personal
Ausgehend von Physische Gewalt
Psychische Gewalt
Pflegepersonal
Aktiv: schlagen, absichtlich kalt oder
besonders heiß duschen,
sexueller
Missbrauch, Ruhigstellung durch Me-
dikamente, Fesseln an Stuhl oder Bett,
Unterlassen von Hilfeleistungen (kör-
perliche Vernachlässigung), hungern
lassen
Passiv: falsch lagern, Mangelernäh-
rung
Aktiv: anschreien, beschimpfen,
beleidi-
gen, geliebte Tätigkeiten nicht ermögli-
chen, emotionale Vernachlässigung,
sexuelle Misshandlung, Demütigung,
Verwendung persönlicher Geldmittel gegen
den Willen des Bewohners
Passiv: Alleinlassen
Heimbewohner
Aktiv: schlagen, beißen, spucken,
schubsen, zwicken, absichtliches Ein-
koten und Einnässen,
Essensverweige-
rung,
(Formen der Autoaggression)
Aktiv:
drohen, schreien, verweigern der
Zustimmung (wenn es nicht darum geht, die
eigene Meinung zu äußern, sondern dem
Pflegepersonal die Arbeit zu erschweren),
Verbreiten von Gerüchten, beschimpfen,
beleidigen
32
vgl.: Darstellung 2

16
2.3.2. Aggression
Der Begriff der Aggression stammt ursprünglich von dem zunächst neutralen lateini-
schen Verb ,,adgredi" bzw. ,,aggredi" ab, was soviel wie ,,auf jemanden oder etwas
zugehen" heißt.
33
Der Begriff hat keine Wertung und beinhaltet lediglich ein aktives
Verhalten. Erst die abgeleiteten Substantive Aggression und Aggressivität erlangten
eine eher negative Bedeutung. Man unterscheidet im Sprachgebrauch eine positive
und eine negative Aggression, je nachdem ob dem Wort eine gute oder schlechte
Bedeutung beigemessen werden soll. So liefern Aggressionen Energiequellen, die in
verschiedenster Weiße eingesetzt werden können (so z.B. als Durchsetzungsvermö-
gen, Neugier oder Bewegungsenergie).
34
Jedoch können sie auch dazu dienen, an-
dere Lebewesen oder Gegenstände zu schädigen und die eigenen Interessen unter
Verletzung der Interessen des Gegenübers durchzusetzen. Speziell im Zusammen-
hang mit menschlichem Verhalten äußert sich Aggression in verbalen oder tätlichen
Angriffen gegenüber Personen, Personengruppen und/ oder Sachen. Die ,,Autoag-
gression" beschreibt einen Sonderfall, nämlich die gegen sich selbst gerichtete Ag-
gression.
Körperliche und auch verbale Aggressionen können sowohl aktiv, als auch passiv
sein. Sie können durch aktives Tun, aber auch durch das Unterlassen von Handlun-
gen oder verbalem Kontakt zustande kommen. Hierbei ist zu beachten, dass verbale
Aggressionen drastischere Konsequenzen haben können als körperliche.
35
Im Gegensatz zum Gewaltbegriff, bei dem ,,Aktivität" für Bewusstsein über das eige-
ne Handeln steht, meint Aktivität beim Aggressionsbegriff also etwas zu tun, verbal
oder körperlich.
Aggressionen sind auch im Tierreich weit verbreitet. In den Anfängen der Aggressi-
onsforschung bezeichnete man ,,Aggression als Verhaltenssequenz, deren Zielreak-
tion die Verletzung der Person ist, gegen die sie gerichtet ist."
36
Diese Definition dürf-
te nach heutigem Stand etwa dem entsprechen, was man unter Aggressivität ver-
steht. Wenn ich aggressiv bin, habe ich die Bereitschaft, Aggressionen freizusetzen,
also aggressiv und gewaltbereit zu handeln. Grond sieht in der Aggression bereits
,,ein Verhalten oder eine Handlung und nicht nur ein Gefühl"
37
, und räumt ebenso ein,
33
vgl.: Grond 1997: S.8
34
vgl.: Meyer 1998: S.4ff.
35
vgl.: Grond S.9
36
Selg in Meyer 1998: S.42
37
Grond 1997: S.8

17
dass ,,Aggressivität ... die Bereitschaft, aggressiv zu handeln"
38
sei. Somit geht Ag-
gressivität der Aggression voraus. Man kann Aggressionen gegen andere Menschen
verhindern, indem man Aggressivität abzubauen versucht. Dies geschieht beispiels-
weise in der Jugendarbeit durch die Erlebnispädagogik.
In der Psychologie wird unter Aggression ein ,,affektbedingtes Verhalten, das auf ei-
nen angeborenen Aggressionstrieb (Aggressivität), auf Versagungen (Frustrationen)
oder auch auf milieubedingte Verhaltensprägungen"
39
zurückgeführt wird, verstan-
den. Dieser Definition tragen die unter 3.1. angeführten Definitionen zur Entstehung
von Aggression Rechnung.
Nach Kienzle/ Paul- Ettlinger liegt Aggression vor, wenn ,,sich eine Person bedroht,
angegriffen oder verletzt fühlt."
40
2.3.3. Abgrenzung von Gewalt und Aggression
Die Begriffe Aggression und Gewalt liegen eng beieinander. Es bedarf der Festle-
gung von Unterscheidungskriterien zwischen den beiden Begrifflichkeiten. An man-
chen Punkten herrschen zwischen den Autoren unterschiedliche Meinungen bezüg-
lich der Abgrenzung.
Aggression und Gewalt umschreiben jeweils ein Verhalten, eine Handlung. Grond
definiert Gewalt als ,,eine schwere, oft wiederholte Aggression, die körperlich oder
psychisch verletzt."
41
Ein erstes Unterscheidungskriterium liegt somit in der Intensität und Häufigkeit des
ausgeübten Zwangs. Dies wird bei Grond durch die Begriffe ,,schwer" und ,,oft wie-
derholt" deutlich.
42
Meyer stellt ergänzend fest, dass Gewalt aus Sicht des geschädigten ,,Opfers" gese-
hen wird, während die Aggression aus Sicht des ,,Täters" bzw. Akteurs betrachtet
wird. Die Betrachtungsweise liefert also ein weiteres Unterscheidungskriterium.
,,Aggression liege nur dann vor, wenn der Täter die Absicht der Schädigung seines Opfers hat. Gewalt
wird aus der Sicht des geschädigten Opfers definiert, nämlich als die gegen seinen Willen und seine
38
Grond 1997: S.8
39
Brockhaus 1998: S.70
40
Kienzle/ Paul- Ettlinger 2001: S.15
41
Grond 1997: S.7
42
Meyer zitiert auch einen Autor, der den Unterschied zwischen Gewalt und Aggression am Ausmaß
der Folgen festmacht. So sei Gewalt ,,Aggression in einer extremen und sozial nicht akzeptablen
Form"(Meyer 1998: S.43ff.; Zimbardo 1983: S.363)

18
Einsicht erlittene Einschränkung der Entfaltungsmöglichkeiten, während die Aggression aufgrund der
Intention eines Täters, der Schädigungsabsicht, definiert wird."
43
Es scheint also mehr Gewalt in Pflegeeinrichtungen zu geben als Aggression. Gera-
de die institutionelle Gewalt läuft häufig unbewusst ab, so dass sie nicht zu den Ag-
gressionen zählt. Die Aggressionen im Pflegeheim können sich gegen die in Abhän-
gigkeit stehenden, bedürftigen Bewohner richten, aber auch gegen das Pflegeperso-
nal. Während Aggressionen auch gegen Objekte gerichtet sein können, zielt die Ge-
walt stets auf andere Menschen ab.
Nach Meyer kann bei Aggression generell nicht von ,,Absicht" gesprochen werden,
da Aggression auch von kleinen Kindern und Tieren ausgehen kann, wobei es
schwierig sei, bei ihnen von einer Absicht zu sprechen.
44
In der Pflege haben wir es
hingegen mit erwachsenen Menschen, mit reflexiven Subjekten zutun. Bei ihnen
kann ,,Absicht" als Kriterium angenommen werden. Eine Ausnahme bildet die Gruppe
der verwirrten Heimbewohner. Hier greift nur der von Meyer als allgemeingültig be-
zeichnete Begriff der ,,Gerichtetheit" von Aggressionen.
Vor allem Innerhalb der Aggressionsforschung wird Gewalt mit angedrohter oder
ausgeübter physischer Aggression im Einklang mit der Ausübung von Macht ver-
schiedenster Formen gleichgesetzt.
45
43
Meyer 1998: S.43
44
vgl.: Meyer 1998: S.44
45
vgl.: Meyer 1998: S.38

19
Darstellung 6: Die wesentlichen Charakteristika von Gewalt und Aggression
Gewalt
Aggression
Handlung
Handlung
Aus Sicht des geschädigten Opfers
Aus Sicht des Akteurs
,,die Anwendung von physischem oder
psychischem Zwang gegenüber Men-
schen"
,,Schädigung, Kränkung, Verletzung ei-
ner anderen Person"
(oder Sache)
Schwere Intensität, ,,oft wiederholte Ag-
gression"
Weniger häufig und weniger stark
Kann beabsichtigt und unbeabsichtigt
sein
Immer beabsichtigt (erwachsene Men-
schen) bzw. gerichtet
Die Überlegung zur Intervention und Prävention werden im Folgenden in erster Linie
im Bezug zur Gewalt, das heißt zu den Erscheinungsformen des Handelns und des-
sen Folgen für den Bewohner oder aber für die Pflegekraft gemacht, während sich
die Theorien zur Entstehung von Gewalt demzufolge auf die Aggression beziehen.

20
2.4. Pflegeeinrichtung
Per Gesetz ist das Ziel einer Einrichtung folgendermaßen definiert:
,,Eine Pflegeeinrichtung muss eine auf Dauer angelegte Zusammenfassung von
Personen und Sachmitteln sein, die unabhängig vom Bestand ihrer Mitglieder in der
Lage ist, eine ausreichende, gleichmäßige und konstante pflegerische Versorgung
eines wechselnden Kreises von Pflegebedürftigen zu gewährleisten."
46
Als pflegebedürftig gelten Menschen, die ,,...wegen Krankheit oder Behinderung für
die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des alltäglichen
Lebens auf Dauer erhebliche Hilfe brauchen."
47
Für mich geht die Aufgabe der Pflegeeinrichtung über die pflegerische Versorgung
hinaus und deshalb möchte ich das Pflegeheim oder auch Altenpflegeheim als eine
arbeitsteilige Einrichtung, in der alte, pflegebedürftige Menschen nicht nur vorüber-
gehend auf entgeltlicher Basis wohnen und betreut werden, definieren. Heime oder
Teile von Heimen, die der vorübergehenden Pflege dienen, werden als Kurzzeitpfle-
geheime bezeichnet. Durch die Begriffe ,,wohnen" und ,,betreuen" soll zum Ausdruck
gebracht werden, dass Pflegeeinrichtungen heute über die körperliche Pflege der
Senioren hinausgehen (sollten). In der Einrichtung muss auch seelischer Beistand
geleistet sowie auf die Bedürfnisse älterer Menschen ausgerichtete körperliche sowie
geistige Betätigungen angeboten werden. Von der ursprünglichen ,,Satt und Sauber-
Pflege" hatte man sich durch zunehmende Qualitätsstandards zumindest teilweise
verabschiedet, wobei nun in erster Linie aufgrund finanzieller Einsparungen eine er-
neute Rückkehr zu diesem alten Modell erkennbar ist.
Auch im Heimgesetz
48
wird der Träger dazu angehalten, für psychosoziale Betreu-
ung zu sorgen.
49
Es gibt allerdings im Heimgesetz keine Regelung, die verbindlich
einen Mindestumfang oder Standards diesbezüglich festlegt. Der Schlüssel für die
Soziale Betreuung bezogen auf die Anzahl der Heimbewohner wird zwischen den
Landespflegekassen und den Trägern der Einrichtungen ausgehandelt. Derzeit exis-
tiert ein Schlüssel von 1:30.
50
Das Heim-Gesetz dient dem Schutz der Bewohner und
schreibt Mindestanforderungen für die räumliche Ausstattung, die personale Zusam-
46
http://www.mdk-sh.de/foren/quali2.html (8.4.2005)
47
Brockhaus 1998: S.15
48
Heimgesetz vom 7.8.1974 in der Fassung der Bekanntmachung vom 23.4.1990; zuletzt geändert
durch die sechste Zuständigkeits-Anpassungs-Verordnung vom 21.9.1997
49
vgl.: Heimgesetz §1 Abs.1 letzter Satz
50
Herr Klein, Sozialamt Coburg: Mitschrift eines Interviews vom 25.08.05

21
mensetzung sowie Qualitätsstandards des Heimes vor.
51
Im Heimvertrag
52
müssen
die Leistungen, die der Träger im Rahmen der Unterbringung leistet, schriftlich fixiert
werden. Die Heimaufsicht ist eine Kontrollinstanz, die über die Umsetzung der ge-
setzlich festgeschriebenen wie auch der vertraglich vereinbarten Bedingungen
wacht.
53
Pflegeeinrichtungen sind als soziale Einrichtungen zu verstehen, da sie darauf aus-
gerichtet sind, soziale Bedürfnisse zu befriedigen.
Träger der Pflegeeinrichtungen können die Kommunen, Träger der freien Wohl-
fahrtspflege und auch private Träger sein. Hier öffnet sich ein neuer Markt, der durch
die prognostizierte fortlaufende Zunahme der älteren Population auch Zukunft haben
wird.
54
3. Ursachen der Entstehung von Gewalt in Pflegeheimen
3.1. Aggressionstheorien
Bevor ein Blick in die Praxis und für Gewaltentstehung typische Situationen geworfen
wird, erscheint es mir sinnvoll, die wesentlichen theoretischen Erklärungsmodelle für
die Entstehung von Gewalt gegenüberzustellen. Auch wenn sich die später aufgeführ-
ten Ursachen unterscheiden, so wird man doch im Kern in ihnen immer wieder Ansät-
ze aus den Theorien wiedererkennen. Theorien stellen ,,in sich logische Zusammen-
hänge zur Erklärung der Wirklichkeit"
55
dar, somit ist jede Theorie, die im weiteren
Verlauf für die Praxis Anwendung finden kann, auch eine Bereicherung.
Triebtheorie:
56
Die Triebtheorie von Freud stammt noch aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
und wurde später von Lorenz erweitert. Freud unterscheidet in seiner psychoanalyti-
schen Triebtheorie beim Menschen zwischen dem Todestrieb und dem ihm entge-
gengesetzten Lebenstrieb. Er geht davon aus, dass der Lebenstrieb für Energie,
Wachstum und Überleben sorgt. Der Todestrieb strebt nach Selbstzerstörung und ist
51
siehe auch §§ 75, 80, 83 SGB 11
52
Der Heimvertrag kommt zwischen dem künftigen Bewohner und dem Träger zustande (vgl.: §4
HeimG)
53
Herr Klein, Sozialamt Coburg: Mitschrift eines Interviews vom 25.08.05
54
siehe hierzu die momentane sowie prognostizierte Altersentwicklung (Darstellung 8 unter Punkt
3.5.)
55
Prof. Dr. Bohrhardt: Mitschrift der Vorlesung Soziologie im SS 2005
56
vgl.: Grond 1997: S.10ff.; Meyer 1998: S.45ff.

22
zunächst nach innen gerichtet, kann aber nach außen umgeleitet werden. Für den
Todestrieb stellt der Organismus immer wieder neue Energie bereit. Diese wird in der
Regel auf sozial akzeptierte Weise abgegeben. Ist dies nicht möglich, so sammelt sie
sich an, bis sie sich als Aggression entlädt. Somit ist also permanent ein Trieb zur
Aggression vorhanden, ähnlich dem Arterhaltungstrieb beim Tier. Es kommt auch in
diesem Modell zu einer Anhäufung von aggressiven Impulsen innerhalb des Mensch-
lichen Organismus, wobei sich diese (vgl. Todestrieb bei Freud) schlagartig entladen
können.
,,Melanie Klein erklärte den Aggressionstrieb als den auf andere verschobenen To-
destrieb..."
57
Darüber, ob es einen ,,Todestrieb" tatsächlich gibt und inwieweit der ,,Arterhaltungs-
trieb" der Tiere auf den Menschen übertragbar ist, mag man sich aus heutiger wis-
senschaftlicher Sicht durchaus streiten können, jedoch erscheint die Tatsache, dass
sich Aggressionen innerhalb des menschlichen Systems anhäufen und zu einer
plötzlichen Entladung führen können, meiner Meinung nach durchaus plausibel.
Frustrations- Aggressions- Theorie:
58
Die Frustrations- Aggressions- Theorie stammt ebenfalls noch aus der ersten Hälfte
des 20. Jahrhunderts, wobei sie 1962 von Bandura modifiziert wurde. Die Frustrati-
ons- Aggressions- Theorie kann als Weiterentwicklung der Triebtheorie gesehen
werden.
Ihr liegt ein bereits ein psychologischer Erklärungsversuch zu Grunde.
59
, wohingegen
es bei der Triebtheorie einen ethnologischen (Freud), wie auch einen psychoanalyti-
schen Erklärungsversuch (Lorenz) gibt.
60
Aggression ist demnach eine Reaktion auf Frustration. Sie dient der Frustrationsmin-
derung. Zu Frustration kommt es z.B., wenn menschliche Bedürfnisse nicht befriedigt
werden oder erwartete Erfolgserlebnisse ausbleiben. Je höher die Frustration in ihrer
Intensität ist, desto stärker fällt das aggressive Verhalten aus.
61
Frustrationen können
auch umgeleitet werden, d.h. das Ziel der Aggression muss nicht der Auslöser für
57
Grond 1997: S.10
58
vgl.: Grond 1997: S.11; Meyer 1998: S.46ff.; Kienzle/ Paul-Ettlinger 2001: S.19ff.
59
vgl.: Grond 1997: S.11
60
vgl.: Meyer 1998: S.45
61
Die Theorie wurde später von Bandura um einen Aspekt erweitert/ verändert:
Seiner Ansicht nach kann ,,jede Art aversiver Erfahrung- nicht nur Frustration- zu einer allgemeinen
emotionalen Erregung" führen. Erregung wiederum kann durch verschiedene Verhaltensweisen abge-
baut werden, so auch in Regressionen und Selbstvorwürfen, was ich als Formen von nach innen ge-
richteter Gewalt bezeichnen möchte.(vgl.: Grond 1997: S.11ff.)

23
Frustration gewesen sein. Die Beziehung zwischen Frustration und Aggression ist
nicht zwingend, d.h. nicht immer wenn Frustration gegeben ist, muss es zu Aggres-
sion kommen. Es gibt unter den Theoretikern verschiedene Meinungen darüber, in-
wieweit die umgeleitete Aggression in ihrer Intensität der direkten entspricht.
Aus dieser Theorie ergeben sich bereits zwei Ansätze für die Soziale Arbeit.
Zum einen weiß man nun: Frustrationen können durch Enttäuschungen, Unzufrie-
denheit, Probleme und Überbelastung erzeugt werden. Je weniger befriedigend die
Arbeit seitens des Personals und Wohnen seitens der Bewohner ist, desto leichter
kommt es zu Frustration und möglicherweise Aggression in deren Folge.
Außerdem bleibt festzuhalten: Selbst wenn die Arbeitsbedingungen ungünstigst sind
und die Wohnverhältnisse z.B. aus finanziellen Gründen nicht verändert werden kön-
nen, kann Gewalt vermieden werden. Die ungünstigen Bedingungen werden unab-
änderbar zu Frustrationen seitens Bewohner und Personal führen, jedoch ist deren
Umgang mit der Frustration beeinflussbar, Bewältigungsstrategien sind erlernbar.
Die Frustrations-Aggressions-Theorie hat Ursachen für Aggressionen erstmals auf
wissenschaftlicher Basis in der Psyche des Menschen nachgewiesen. Somit wurde
der Weg für weitere psychologische Erklärungsmodelle geebnet und die Relevanz für
soziales, pädagogisches und politisches Handeln verdeutlicht. Jedoch schließe ich
mich ferner der Meinung Hartdegens an, dass die Theorie nicht dafür missbraucht
werden dürfe, jegliche Aggression auf eine vorhergehende Frustration zu schieben,
selbst wenn erwiesenermaßen in erster Linie Stress und Frustrationen die Auslöser
von Aggressionen sind. Die Frustrationstoleranz ist von Mensch zu Mensch ver-
schieden, so dass Frustrationen auch nicht immer in Aggressionen münden müs-
sen.
62
Lerntheoretischer Ansatz:
Der lerntheoretische Ansatz betrachtet die Entstehung von Aggression nun aus einer
völlig anderen Perspektive. Er geht vor allem auf Bandura zurück.
Nach diesem Ansatz wird aggressives Verhalten überwiegend erlernt, wie Soziales
Verhalten generell. Für Bandura ist Aggression ,,eine Verhaltensweise, die zu
persönlicher Schädigung und zu Zerstörung von Eigentum führt."
63
Diese
Schädigung kann physisch und psychisch sein.
Bei dem Erlernen aggressiven Verhaltens sind vier Möglichkeiten zu unterscheiden:
62
vgl.: Hartdegen 1996: S.60 ff.
63
Bandura in Meyer 1998: S.48

24
a) Lernen nach dem Modell des Klassischen Konditionierens (Reiz-
Reaktions-Lernen)
b) Lernen nach dem Modell der Operanten Konditionierung (Instrumentelles
Lernen)
c) Modelllernen
d) Lernen unter kognitiven Aspekten
Den verschiedenen Lerntheorien liegen unterschiedliche Menschenbilder zu Grunde
und dadurch haben sie eine unterschiedliche Auffassung davon, wie Lernprozesse
stattfinden. Das Reiz-Reaktions-Lernen sowie das Instrumentelle Lernen begreifen
den Menschen als ein im Wesentlichen auf die Umwelt reagierendes bzw. durch die
Umwelt gesteuertes Wesen. Sozial-kognitive Theorien gehen von dem Menschen als
reflexivem Subjekt aus, das gestaltend auf seine Umwelt einwirkt.
64
Beim Modelller-
nen gibt es sowohl einen instrumentellen, als auch einen sozial-kognitiven Ansatz.
65
So ist das Reiz-Reaktions-Lernen ,,... ein Lernen, bei dem der Mensch weitgehend
reaktiv ist."
66
,,Beim Instrumentellen Lernen entscheiden die Konsequenzen, die dem
Verhalten folgen, über dessen zukünftiges Auftreten."
67
Da die Konsequenzen von
der Umwelt vorgegeben werden und der Mensch sein Verhalten an diesen Konse-
quenzen ausrichtet, er also vorwegzunehmen versucht, welche Konsequenzen sei-
nem Verhalten folgen können, kann er auch hier als reaktiv begriffen werden.
Beim Reiz-Reaktions-Lernen findet Lernen durch das Entwickeln neuer Reiz-
Reaktions-Verbindungen meist unbewusst statt. Ausgangslage müssen Reize sein,
auf die wir von Natur aus mit aggressivem Verhalten oder Abneigung reagieren. Ein
bisher neutraler Reiz wird aufgrund von mehrmaliger zeitlicher Berührung (Kontingui-
tät) mit dem aggressionsauslösenden Reiz assoziiert. Im weiteren Verlauf löst auch
dieser einst neutrale Reiz die aggressive Reaktion aus, was den Lernprozess dar-
stellt. Das auf den Reiz folgende Verhalten wird als Antwortverhalten bezeichnet. Der
zuvor neutrale Reiz bekommt Signalfunktion für den folgenden Reiz. Die Klassische
Konditionierung wird deshalb auch als Signallernen bezeichnet.
68
Im Kontext des instrumentellen Lernens wird vom sogenannten Wirkverhalten ge-
sprochen. Der Mensch zeigt ein bestimmtes Verhalten, weil er sich darauf bestimmte
Konsequenzen erhofft. Die erhoffte Konsequenz ist sein Motiv, sich auf eine be-
64
vgl.: Edelmann 2000: S.194
65
vgl.: Edelmann 2000: S.190
66
Edelmann 2000: S.29
67
Edelmann 2000: S.65
68
vgl.: Edelmann 2000: S.31ff.

25
stimmte Art und Weise zu verhalten. Aufgebaut wird das Verhalten, wenn unange-
nehme Konsequenzen entzogen oder angenehme Konsequenzen dargeboten wer-
den. Instrumentelles Lernen führt zu gewohnheitsmäßigem Verhalten.
69
Lernen von aggressivem Verhalten kann auch durch Lernen am Modell erfolgen.
Es werden grundsätzlich drei Lerneffekte unterschieden: Es können neue Verhal-
tensweisen erlernt, bereits erworbene künftig öfter oder seltener auftreten, oder aber
spontan gezeigt werden. Modell-Lernen kann als instrumentelles Lernen verstanden
werden. Ob und wie stark Verhalten nachgeahmt wird, hängt von den Konsequenzen
ab. Dies können Konsequenzen auf das Verhalten des Modells (stellvertretende Ver-
stärkung), aber auch auf das eigene Verhalten (direkte Verstärkung) sein. Modelller-
nen kann auch unter kognitiven Aspekten begriffen werden. Der Beobachtung der
Verhaltensweisen und deren Übernahme sind Gedächtnisprozesse zwischen ge-
schalten. Außerdem sind neben stellvertretender und direkter Verstärkung auch
Formen der Selbstverstärkung möglich, um das Verhalten aufzubauen oder zu festi-
gen. Ein positives Verhältnis des Beobachters zur Modellperson fördert die Über-
nahme von Verhaltensweisen.
70
Als weitere kognitive Aspekte sind Erfolgserwartungen denkbar, die man an sein ag-
gressives Verhalten richtet. Sind dies Erfolgserwartungen, so wird der Akteur zur
Äußerung der Aggression motiviert, die Wahrscheinlichkeit zum aggressiven Han-
deln erhöht sich. Auch Gefühle wirken motivierend. Emotion, Motivation und Kogniti-
on sind die zentralen Prozesse des kognitiven Lernens.
71
Wenn mit der Aggression das Ziel verfolgt wird, sich durchzusetzen oder Zuwendung
zu erlangen, so spricht man von instrumenteller Aggression.
72
Demzufolge kann in
diesem Fall die Aggression eines Bewohners, der auf sich aufmerksam machen
möchte, weiter verstärkt werden, wenn man ihm die entsprechende Zuwendung
gibt.
73
Ebenso kommt die Relevanz der Sanktionierung von Aggressionen zum Aus-
druck, die für das Pflegepersonal Druckmittel gegenüber den Bewohnern sind.
Die Tatsache, dass Gewalt erlernbar ist, dürfte für die Situation im Pflegeheim auch
generell die Bedeutung haben, dass jeder Fall, in dem man Gewalt akzeptiert oder
hinnimmt, viele weitere Fälle nach sich ziehen kann, zu denen es andernfalls nicht
69
vgl.: Edelmann 2000: S.65ff.
70
vgl.: Edelmann 2000: S.188ff.
71
vgl.: Edelmann 2000: S.241ff.
72
vgl.: Grond 1997: S.12
73
siehe 3.2.4.: ,,Aggression als Mittel zur Kontaktaufnahme" und Edelmann 2000: S.65ff.: ,,Grundsaet-
ze des instrumentellen Lernens"

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Erscheinungsjahr
2005
ISBN (eBook)
9783832493851
ISBN (Paperback)
9783838693859
DOI
10.3239/9783832493851
Dateigröße
880 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Hochschule Coburg (FH) – Sozialwesen
Erscheinungsdatum
2006 (Februar)
Note
1,0
Schlagworte
aggressionstheorien wohnformen wechselwirkung personalführung gewalt
Produktsicherheit
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Titel: Maßnahmen der sozialen Arbeit zur Prävention von und Intervention bei Gewalt in Pflegeeinrichtungen
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