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Auswirkungen von Ernährungsinformationen auf das Ernährungsverhalten

©2005 Diplomarbeit 88 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Mit dem im November 2004 in Großbritannien erschienenen Weißbuch der Volksgesundheit wird für so genannte kritische Lebensmittel eine umfangreiche Beschränkung der Werbung, die auf Kinder und Jugendliche abzielt, gefordert. Die Beschränkung soll sich nicht nur auf Fernsehwerbung beziehen, sondern auch auf Sponsoring, Promotionaktionen, Aktionen am Point of Sale, einschließlich Automatenverkauf in Schulen sowie auf Produktkennzeichnungen.
Ferner wird in Großbritannien über die Einführung einer Deklarierung von Lebensmitteln mit Hilfe eines einfachen Ampelsystems nachgedacht. Dieses System sieht vor, Lebensmittel mit jeweils einer der drei Ampelfarben zu kennzeichnen. Grün deklarierte Produkte sollen den Verbraucher z. B. darüber informieren, dass es sich um gesundheitlich unbedenkliche Nahrungsmittel handelt und diese Produkte daher unbegrenzt konsumiert werden können. Diese Art der Ernährungsinformation soll jeden Bürger in die Lage versetzen, selbst verantwortungsvolle Ernährungsentscheidungen zu treffen. Allerdings herrscht über das genaue Zuordnungssystem einzelner Lebensmittel zu den drei Farben derzeit kein Konsens.
Aus dem ersten Beispiel kann rück geschlossen werden, dass Minderjährige oft Zielgruppe von Ernährungsinformationen in Form von Werbemaßnahmen sind, welche sich nicht gesundheitsförderlich auswirken. Der Überfluss sowie die Übertragungsart dieser Ernährungsinformationen scheint nach britischer Meinung das Verhalten der Kinder und Jugendlichen negativ zu beeinflussen. Folglich sieht die britische Regierung die Notwendigkeit, die auf Kinder ausgerichtete Werbung für kritische Lebensmittel zu reglementieren, um das weit verbreitete Fehlernährungsverhalten einzudämmen.
Aus dem zweiten Beispiel kann ebenfalls abgeleitet werden, dass die Briten einen kausalen Zusammenhang zwischen Ernährungsinformationen und dem Ernährungsverhalten sehen. Denn aufklärende oder fachsprachliche Ernährungsinformationen scheinen nicht jedem Bürger für ein gesundes Ernährungsverhalten hilfreich zu sein.
In der komplexen Ernährungsproblematik ist Großbritannien gut mit den Gegebenheiten Deutschlands vergleichbar, da im europäischen Vergleich prozentual etwa ähnlich viele Bürger (20%) ein krankhaftes Ernährungsproblem aufweisen. Ebenfalls sind in Deutschland, wie im Vereinigten Königreich die meisten Menschen mit zu kritisierendem Ernährungsverhalten im sozial benachteiligten Umfeld zu finden.
Es stellt sich die Frage, ob die […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 9378
Dickmann, Nadja: Auswirkungen von Ernährungsinformationen auf das Ernährungsverhalten
Druck Diplomica GmbH, Hamburg, 2006
Zugl.: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Diplomarbeit, 2005
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2006
Printed in Germany



Inhaltsverzeichnis Seite
1
Einleitung
1
2
Psychologische Theorien
3
2.1
Behavioristische Lerntheorien
3
2.2
Kognitive Lerntheorie
9
3
Prozess der Ernährungsinformation 13
3.1
Sender 18
3.1.1
Staaten und unabhängige Institute 18
3.1.2
Unternehmen und Unternehmensverbände 21
3.1.3
Journalismus und freie Presse 24
3.1.4
Individuelles Umfeld 25
3.2
Ernährungsinformationen 27
3.3
Transfertechniken 30
3.3.1
Art des Transfers 30
3.3.2
Transfermittel 31
3.4
Empfänger 38
3.4.1
Multiplikatoren 38
3.4.2
Endverbraucher 39
3.5
Beeinflussung der Informationsverarbeitung 45
3.5.1
Wahrnehmung 45
3.5.2
Involvement 47
3.5.3
Einstellung 50
3.5.4
Wissen 53
3.6
Wirkung auf das Ernährungsverhalten 56
3.6.1
Sender 56
3.6.2
Ernährungsinformationen 58
3.6.3
Transfertechniken 60
3.6.4
Rezipienten 61
3.6.5
5aDay-Kampagne 62
4
Fazit und Verbesserungsvorschläge 64
III

Abbildungsverzeichnis
Seite
Abbildung 1: Schema des klassischen Konditionierens
5
Abbildung 2: Schema des operanten Konditionierens
8
Abbildung 3:
Schema
des
Modell-Lernens
12
Abbildung 4:
Modell
des
Ernährungs-Informationsprozesses
15
Abbildung 5: Beispiel des klassischen Konditionierens
33
IV

Abkürzungsverzeichnis
Abb. Abbildung
AGEV
Arbeitsgemeinschaft Ernährungsverhalten e.V.
ARS
Agriculture Research Service
BEUC
Dachverband der europäischen Verbraucherorganisation (Bureau Européen
des Unions de Consommateurs)
BFE
Bundesforschungsanstalt für Ernährung
BFR
Bundesinstitut für Risikobewertung
BLE
Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung
BLL
Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e.V.
BMVEL
Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
bspw. beispielsweise
BVL
Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit
BVS
Bayerische Verzehrsstudie
BZGA
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
bzw. beziehungsweise
CIAA
Europäischer Verband der Lebensmittelindustrie (Confederation of the Food
and Drink Industries of the EU)
CMA
Centrale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft mbH
DGE
Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V.
et al.
und andere (et alii)
EU Europäische
Union
EUFIC
Europe and Food Information Council
f. folgende
(Seite)
FBDG
Food-based Dietary Guidelines
ff.
mehrere folgende (Seiten)
FNIC
Food and Nutrition Information Centre
FSA
Food Standards Agency
ggf. gegebenenfalls
HEI
Healthy Eating Index
i.d.R.
in der Regel
V

VI
IACFO
International Association of Consumer Food Organizations
IEFS
Institute of European Food Studies
inkl. inklusive
KOPS
Kieler Obesity Prevention Study
LZ Net
Lebensmittel Zeitung Internet Edition
NCI
The National Cancer Institute
o. g.
oben genannte/r/s
o. J.
ohne Jahr
RKI
Robert Koch Institut
s. siehe
S. Seite
u. a.
unter anderem
UK
Großbritannien (United Kingdom)
USDA
United States Departement of Agriculture
usw.
und so weiter
vgl. vergleiche
VZBV Verbraucherzentrale
Bundesverband
WHO
Weltgesundheitsorganisation (World Health Organisation)
z. B.
zum Beispiel

Einleitung
1 E
INLEITUNG
Mit dem im November 2004 in Großbritannien erschienenen Weißbuch der Volksgesund-
heit (U
NITED
K
INGDOM
D
EPARTMENT OF
H
EALTH
2004) wird für so genannte kritische
Lebensmittel
1
eine umfangreiche Beschränkung der Werbung, die auf Kinder und
Jugendliche abzielt, gefordert. Die Beschränkung soll sich nicht nur auf Fernsehwerbung
beziehen, sondern auch auf Sponsoring, Promotionaktionen, Aktionen am Point of
Sale,
einschließlich Automatenverkauf in Schulen sowie auf Produktkennzeichnungen. Ferner
wird in Großbritannien über die Einführung einer Deklarierung von Lebensmitteln mit Hilfe
eines einfachen Ampelsystems nachgedacht. Dieses System sieht vor, Lebensmittel mit
jeweils einer der drei Ampelfarben zu kennzeichnen. Grün deklarierte Produkte sollen den
Verbraucher z. B. darüber informieren, dass es sich um gesundheitlich unbedenkliche
Nahrungsmittel handelt
und diese Produkte daher unbegrenzt konsumiert werden können.
Diese Art der Ernährungsinformation soll jeden Bürger in die Lage versetzen, selbst
verantwortungsvolle Ernährungsentscheidungen zu treffen. Allerdings herrscht über das
genaue Zuordnungssystem einzelner Lebensmittel zu den drei Farben derzeit kein
Konsens.
Aus dem ersten Beispiel kann rückgeschlossen werden, dass Minderjährige oft Zielgruppe
von Ernährungsinformationen in Form von Werbemaßnahmen sind, welche sich nicht
gesundheitsförderlich auswirken. Der Überfluss sowie die Übertragungsart dieser
Ernährungsinformationen scheint nach britischer Meinung das Verhalten der Kinder und
Jugendlichen negativ zu beeinflussen. Folglich sieht die britische Regierung die Notwen-
digkeit, die auf Kinder ausgerichtete Werbung für kritische Lebensmittel zu
reglementieren, um das weit verbreitete Fehlernährungsverhalten einzudämmen. Aus
dem zweiten Beispiel kann ebenfalls abgeleitet werden, dass die Briten einen kausalen
Zusammenhang zwischen Ernährungsinformationen und dem Ernährungsverhalten
sehen. Denn aufklärende oder fachsprachliche Ernährungsinformationen scheinen nicht
jedem Bürger für ein gesundes Ernährungsverhalten hilfreich zu sein.
In der komplexen Ernährungsproblematik ist Großbritannien gut mit den Gegebenheiten
Deutschlands vergleichbar, da im europäischen Vergleich prozentual etwa ähnlich viele
Bürger (20%) ein krankhaftes Ernährungsproblem aufweisen (K
ÜNAST
2004). Ebenfalls
sind in Deutschland, wie im Vereinigten Königreich die meisten Menschen mit zu kritisie-
rendem Ernährungsverhalten im sozial benachteiligten Umfeld zu finden.
1 Kritische Lebensmittel sind solche, die einen hohen Fett-, Salz- und oder Zuckergehalt haben. Diese sollen
laut Gesundheitsempfehlungen nur in geringer Menge verzehrt werden.
1

Einleitung
Es stellt sich die Frage, ob die Briten mit ihren Bemühungen im Kampf um die Überernäh-
rung den Deutschen somit einen Schritt voraus sind. Denn die bislang existierenden
Ernährungsinformationen führen nicht bei der Gesamtheit der Bevölkerung zu verantwor-
tungsvollem Ernährungsverhalten. Wird die Bevölkerung im Informationszeitalter bereits
mit Ernährungsinformationen überflutet? Haben Informationen zu Lebensmitteln die
Macht, das Ernährungsverhalten zu beeinflussen? Zusammengefasst ergibt sich die
Frage, wie Ernährungsinformationen auf das Ernährungsverhalten wirken.
Das Ziel dieser Arbeit ist es daher, anhand des Informationsprozesses Wirkungen von
Ernährungsinformationen auf das Ernährungsverhalten zu untersuchen. Dazu ist es im
ersten Schritt notwendig, den Kommunikationsprozess vom Sender der Ernährungsinfor-
mationen zum Empfänger zu untersuchen. Im zweiten Schritt, der den Schwerpunkt
dieser Arbeit bildet, werden die Auswirkungen der Kommunikationsphase beim Rezipien-
ten untersucht.
Um die oben gestellten Fragen zu beantworten, sind theoretische Kenntnisse darüber
nötig, wie Informationen Verhalten beeinflussen können. Dazu werden zu Beginn
grundlegende Lerntheorien vorgestellt, die in ihrer Gesamtheit menschliches Verhalten
und dessen Veränderung erklären. Ein anschließender Überblick über die thematische
Gliederung erfolgt mit Hilfe eines Modells zum Ernährungsinformationsprozess. Entlang
des Informationsprozesses wird ­ jeweils auch unter dem Blickwinkel des Lernens ­
aufgeführt, wie Sender von Ernährungsinformationen anhand ihrer Sendeabsichten
unterschieden werden können, wie Ernährungsinformationen systematisiert werden
können und welche Übermittlungsmöglichkeiten genutzt werden können. Um zu verste-
hen, wie Ernährungsinformationen auf den Empfänger wirken, wird davor geklärt, in
welche Gruppen sich die Rezipienten untergliedern lassen. In der Lernphase wird
untersucht, welchen Einflüssen die Informationsverarbeitung im Rezipienten unterliegt
und diese das Verhalten prägt. In abschließenden Ausführungen wird vorwiegend mit
Hilfe von Studien untersucht, wie sich verschiedene Bereiche des Informationsprozesses
auf das Ernährungsverhalten des Empfängers auswirken. Durch eine kritische Betrach-
tung des Informationsprozesses werden Verbesserungspotentiale aufgedeckt. Daraus
entstehen Vorschläge, wie Ernährungsinformationen gestaltet sein sollten, um bei
ausgewählten Rezipienten ein erwünschtes Ernährungsverhalten zu erzielen.
1.1
2

Psychologische Theorien
Behavioristische Lerntheorien
2 P
SYCHOLOGISCHE
T
HEORIEN
Um Auswirkungen von Informationen auf das Verhalten anhand psychologischer Theorien
zu erklären, werden für diese Arbeit Lerntheorien herangezogen. Lernen wird nach
M
EYERS
L
EXIKON
(2001, S. 157) als ,,der Erwerb, die Aneignung von Kenntnissen und
Fähigkeiten, die Änderung von Denken, Einstellungen und Verhaltensweisen aufgrund
von Einsicht und Erfahrung" definiert. Lernen beinhaltet die Wahrnehmung und das
Verarbeiten von Umweltreizen. ,,Der Mensch ändert sein Verhalten, wenn er [z. B.] durch
Umweltbedingungen beeinflusst wird. Der Kontext seines Verhaltens, vorausgehende
Ereignisse und auch Konsequenzen seines Verhaltens zählen zu diesen Umweltbedin-
gungen" (Z
IMBARDO
1983, S. 211). Lernen ist also mehr als das reine Abspeichern und
Reproduzieren von Informationen, es stellt zusätzlich eine Erweiterung des individuellen
Verhaltensrepertoires dar (K
ROEBER
-R
IEL
und W
EINBERG
1999, S. 316). Der eigentliche
Vorgang des Lernens ist nicht direkt beobachtbar. Dass ein Lernprozess existiert, wird
aus der dauerhaften Veränderung des Verhaltens aufgrund von Erfahrung gefolgert.
Durch Lernen eignet sich der Mensch nicht nur Kenntnisse und Fähigkeiten an, auch
Einstellungen und Verhaltensweisen werden aufgrund von Einsicht oder Erfahrungen
erlernt (M
EYERS
L
EXIKON
2001, S. 157). Folglich dienen Lerntheorien der Erklärung
menschlichen Verhaltens.
Eine Theorie alleine vermag nur unvollständig die komplexen Auswirkungen von Informa-
tionen auf das menschliche Verhalten zu erklären, wohingegen eine Darstellung aller
gängigen Lerntheorien verwirrend wäre, da sich widersprechende Ansätze existieren und
ein vollständiger Überblick nicht das Thema dieser Arbeit ist. Um dennoch einen mög-
lichst umfassenden Einblick in die Erklärung menschlichen Verhaltens zu erhalten, wird
aus der Fülle der Lerntheorien eine Auswahl getroffen: Im Folgenden werden einerseits
als behavioristische Lerntheorien die klassische und die operante Konditionierung und
andererseits als kognitive Lerntheorie das Modell-Lernen vorgestellt. In Kapitel 3 werden
diese Lerntheorien mit dem Ernährungsinformationsprozess in Bezug gesetzt.
2.1 Behavioristische
Lerntheorien
Behavioristische Lerntheorien sind Theorien über das Verhalten, die den Menschen als
,,Black Box" betrachten. Nur beobachtbares Verhalten und Handeln ist von Interesse. So
werden ausschließlich Beziehungen zwischen Reizen (Input, z. B. Informationen), die ein
Mensch erhält und dessen Reaktionen (wie Reflexe und Verhalten) untersucht. Im Sinne
behavioristischer Reiz-Reaktions-Theorien steht Lernen direkt unter der Kontrolle von
3

Psychologische Theorien
Behavioristische Lerntheorien
Umweltreizen. So erlauben diese Theorien Vorhersagen darüber, welche beobachtbaren
Vorgänge (Reize) in der Umgebung eines Lebewesens welche Reaktion (Verhalten bzw.
Verhaltensänderung) verursachen. Verhalten wird in behavioristischen Theorien aus-
schließlich als Folge einer äußeren Beeinflussung gesehen. Es gibt zwei große Ströme
der Verhaltenstheorien, das klassische Konditionieren und das operante Konditionieren,
wobei unter Konditionieren psychologisch das Erlernen von Reiz-Reaktions-Mustern
verstanden wird.
Klassisches Konditionieren
Nach Pawlow
2
(G
UDJONS
1994, S. 199), dem Begründer der klassischen Konditionierung,
werden durch Lernen Verbindungen zwischen Reiz und Reaktion erzeugt. Der Lernpro-
zess der klassischen Konditionierung besteht in der Kopplung eines neutralen Reizes mit
einer angeborenen, zwangsläufigen Reaktion, siehe Abbildung 1. Ein neutraler Reiz heißt
deshalb neutral, weil er nicht von Beginn an diese reflexartige Reaktion auszulösen
vermag. Bestimmte unkonditionierte Reize bedingen passende reflexartige
(= unkonditionierte) Reaktionen. Beim bekanntesten Pawlowschen Versuch mit einem
Hund stellt der unkonditionierte Reiz den Anblick des Futters dar. Die anschließende
natürliche, reflexartige Reaktion des Hundes darauf ist der Speichelfluss. Nachdem ein
neutraler Reiz, beim Pawlowschen Hund ein Glockenton, zusammen mit dem unkonditio-
nierten Reiz (Futteranblick) dem Hund dargeboten wurde, entstand aus dem neutralen
Reiz ­ durch raum-zeitliche Kopplung ­ ein konditionierter Reiz. Am Ende des Versuchs
konnte der Glockenton (ehemals neutraler Reiz, nun konditionierter Reiz) den Speichel-
fluss allein, ohne Futterdarbietung, auslösen. Durch diese Verbindung des neutralen
Reizes (Glockenton) mit dem natürlichen Anfangsstimulus (Futteranblick) entstand aus
dem neutralen Reiz ein konditionierter Reiz. Obwohl der Reiz an sich gleich blieb
(Glockenton), änderte sich durch die Konditionierung die Wirkung des Reizes. Denn der
konditionierte Reiz war nun in der Lage, eine ursprünglich natürliche Reaktion (Speichel-
fluss) als bedingte (konditionierte) Reaktion auszulösen. Mit seinem Versuch bewies
Pawlow, dass ein vorher neutraler Reiz, der diese Reaktion (Speichelfluss) nicht hervorru-
fen konnte, konditioniert werden kann.
2
Der russische Mediziner Iwan P. Pawlow (1849-1936) gilt als Begründer der klassischen Konditionierung
(G
UDJONS
1994, S. 198).
4

Psychologische Theorien
Behavioristische Lerntheorien
Abbildung 1: Schema des klassischen Konditionierens
1.
2.
3.
4.
Neutraler Reiz (Glocke)
Keine oder irrelevante Reaktion
Unkonditionierte Reaktion (Speichelfluss)
Unkonditionierte Reaktion (Speichelfluss)
Konditionierte Reaktion (Speichelfluss)
Unkonditionierter Reiz (Futter)
Konditionierter Reiz (Glocke)
raum-zeitlich zusammen mit
unkonditioniertem Reiz (Futter)
Konditionierter Reiz (Glocke)
Schema des klassischen Konditionierens nach Pawlow
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an das Schema des Konditionierens nach Pawlow
(G
UDJONS
1994, S. 199).
Die klassische Konditionierung funktioniert nicht nur bei Tieren. Auch der Mensch zeigt
Verhaltensmuster, die sich mit der Theorie des klassischen Konditionieren erklären
lassen. Zum Beispiel lässt sich damit die Angst eines Kindes vor weißen Kitteln plausibel
verdeutlichen. In diesem Beispiel trägt der Arzt einen weißen Kittel, wenn er dem Kind,
beispielsweise durch eine Spritze, weh tut. Nach einiger Zeit wird der weiße Kittel alleine
schon ein unangenehmes Gefühl beim Kind hervorrufen. Aus dem weißen Kittel (ehemals
neutraler Reiz) wurde ein konditionierter Reiz, der auch ohne Spritze die Angst (konditio-
nierte Reaktion) beim Kind hervorruft. Der Reiz wurde konditioniert, da das Kind gelernt
hat, auf den ursprünglich neutralen Reiz zu reagieren, es hat eine neue Reiz-Reaktions-
Verbindung erlernt (G
UDJONS
1994, S. 199).
Bedingungen für das Funktionieren der klassischen Konditionierung bestehen in der
räumlichen und zeitlichen Nähe zwischen dem anfangs neutralen und dem unkonditionier-
ten Reiz. Der Mensch muss einen Zusammenhang erkennen können. Außerdem muss
die Kopplung mehr als einmal durchgeführt werden, so dass ein Lernen aus Erfahrung
entstehen kann. Besteht erst einmal eine solche Reiz-Reaktions-Verbindung, kann sich
diese generalisieren. Beim Beispiel des Kindes, welches Angst vor dem weißen Kittel des
Arztes hat, kann sich durch Generalisierung eine Angst vor weißer Kleidung allgemein
5

Psychologische Theorien
Behavioristische Lerntheorien
entwickeln. Auch ist es möglich, eine Konditionierung höherer Ordnung zu erreichen. Für
diese Weiterentwicklung des Reizes dient der bereits konditionierte Reiz reaktionsauslö-
send als unkonditionierter Reiz, der mit einem neuen neutralen Reiz gekoppelt werden
kann. In dem o. g. Beispiel ist der weiße Kittel, als konditionierter Reiz, in der Lage Angst
zu erzeugen. Wird dieser Reiz mit einem neuen neutralen Reiz, zum Beispiel mit einem
bestimmten Geräusch gekoppelt, kann nach einiger Zeit allein dieses Geräusch ängstli-
che Gefühle hervorrufen. Dies wäre also eine Konditionierung höherer Ordnung. Eine
konditionierte Reaktion wird bekräftigt, je öfter die Assoziation im Rahmen eines Lernpro-
zesses stattfindet. Andererseits kann ein so erlernter Zusammenhang auch wieder
gelöscht werden, diese Löschung der konditionierten Reaktion wird Extinktion genannt.
Durch häufig alleiniges Auftreten des konditionierten Reizes (Glockenton), ohne Kopplung
mit dem unkonditionierten Reiz (Futter), wird die reflexartige konditionierte Reaktion
(Speichelfluss) mit der Zeit ausbleiben und daher gelöscht (G
UDJONS
1994, S. 200).
Durch klassisches Konditionieren können allerdings nur solche Verhaltensweisen mit
(neutralen) Reizen gekoppelt werden, die einer angeborenen Reiz-Reaktion-Kausalität
folgen (H
ERKNER
2004, S. 23). Dieses Problem, nur eine limitierte Anzahl von Verhal-
tensweisen erklären zu können, erkannte Skinner
3
und wurde zur Leitfigur des operanten
Konditionierens, welches die Theorie des klassischen Konditionierens erweitert (H
ERKNER
2004, S. 23).
Operantes Konditionieren
Da der Mensch nur mit wenigen angeborenen reflexartigen Verhaltensweisen ausgestat-
tet ist, müssen die meisten zur sozialen Interaktion notwendigen Verhaltensweisen (wie
Sprechen, Einstellungen, Meinungen) erst durch Erfahrung erworben, also gelernt werden
(H
ERKNER
2004, S. 23). Durch operante Konditionierung wird gelernt, eine bestimmte
Handlung auszuführen, die nicht dem natürlichen, angeborenen Repertoire entspricht. Die
operante Lerntheorie differenziert zunächst Verhaltensweisen nach ihrer Herkunft: Auf der
einen Seite existieren wie beim klassischen Konditionieren Reflexe. Darunter sind
Verhaltensweisen, die zwangsläufig von bestimmten Reizen ausgelöst werden, zu
verstehen. Hierunter fallen auch Verhaltensweisen, die mit Emotionen einhergehen, z. B.
das Erleben von Angst bei einer extremen Höhenwahrnehmung. Die Reflexe werden
andererseits vom Spontanverhalten, auch Willkürverhalten genannt, unterschieden. Dazu
zählen Verhaltensweisen, die an keine bestimmten Reize gebunden sind und prinzipiell in
jeder Situation vorkommen können (H
ERKNER
2004, S. 23). Um operantes Verhalten zu
3
Der amerikanische Psychologe Burrhus F. Skinner (1904-1990) gilt als bekanntester Vertreter des operanten
Lernens (Konditionierens) (G
UDJONS
1994, S. 200).
6

Psychologische Theorien
Behavioristische Lerntheorien
fördern, muss der Organismus zuerst ein neues, zufälliges Verhalten aufweisen, welches
in der Folge durch operante Konditionierung verstärkt werden kann. Operantes Verhalten
hat zunächst den Charakter von Versuch und Irrtum. Die Verstärkung, siehe Abbildung 2,
stellt die eigentliche Erweiterung der klassischen Konditionierung durch Skinner dar, sie
entscheidet über den Erwerb von neuen Verhaltensweisen (Lernen) (G
UDJONS
1994,
S. 142). Beim operanten Konditionieren wird Verhalten nicht mehr ausschließlich als eine
Reaktion auf einen Reiz angesehen. Denkbare Folgen (Verstärker) einer Reaktion werden
als Möglichkeit, Einfluss auf das Verhalten zu nehmen, mit einbezogen. Verstärker sind
Konsequenzen, die aus Umweltreizen bestehen und infolge eines geäußerten Verhaltens
auf das Individuum einwirken.
Die Verstärker werden nach ihrer Wirkung unterschieden, siehe Abbildung 2. Zum einen
gibt es positive Verstärker, die belohnend wirken und dadurch die Auftretenswahrschein-
lichkeit einer Reaktion erhöhen, wenn sie der Situation zugeführt werden. Auch die
negative Verstärkung kann die Reaktionsrate erhöhen. Ein Verhalten wird negativ
verstärkt, wenn ein störend wirkender Zustand aus der Situation entfernt wird. Die so
genannten Strafreize sind eine anders wirkende Verstärkerart, weil sie als einzige
Verstärker die Auftretenswahrscheinlichkeit einer Reaktion senken. Bei Bestrafungen vom
Typ I wird ein negatives Ereignis der Reiz-Reaktions-Situation zugeführt und bei Bestra-
fungen vom Typ II wird der Situation ein positiver Zustand entnommen. Beim operanten
Konditionieren lernt der Organismus, dass sein Verhalten einen bestimmten Effekt hat.
Ein Verhalten, welches verstärkt wurde, wird häufig ­ immer in Erwartung einer positiven
Konsequenz ­ stattfinden. Andererseits wird ein Verhalten bei Bestrafung, als negative
Folge des Verhaltens, vermindert auftreten. Verhaltensstärkende Belohnungen bestehen
also aus einer Darbietung von positiven Verstärkern oder aus dem Entzug von negativen
Verstärkern. Bestrafungen können zwar die Verhaltensrate senken, es ist jedoch wichtig
zu bemerken, dass Bestrafung für die Verhaltenssteuerung wesentlich weniger wirksam
ist als Belohnung. Das Verhalten ist nach dieser Lerntheorie also abhängig von den
Verhaltenskonsequenzen, daher kann das gelernte Verhalten, wie bereits aus der
klassischen Konditionierung bekannt, gelöscht werden. Die Extinktion erfolgt, wenn das
Verhalten dauerhaft ohne Konsequenz (Belohnung oder Bestrafung) bleibt (G
UDJONS
1994, S. 200 ff.).
7

Psychologische Theorien
Behavioristische Lerntheorien
Abbildung 2: Schema des operanten Konditionierens
Positives Ereignis trifft ein
->
positive Verstärkung = Verhaltensrate
Negativer Zustand hört auf
->
negative Verstärkung = Verhaltensrate
Negatives Ereignis trifft ein
->
Bestrafung Typ I
= Verhaltensrate
Positives wird entzogen
->
Bestrafung Typ II
= Verhaltensrate
Keine Konsequenz
->
Löschung (Extinktion) = keine Reaktion
Quelle: Eigene Darstellung nach G
UDJONS
(1994, S. 200 f.).
Ein anschauliches Beispiel für Lernen durch Verstärkung, also Lernen am Erfolg, gibt
G
UDJONS
(1994, S. 200 f.): ,,Die Begegnung mit einem aggressiv bellenden Hund hinter
einem Zaun löst beim Spaziergänger Angst aus, der Wechsel der Straßenseite entzieht
die unangenehme Konsequenz der Angst, das Vermeiden wird belohnt und dadurch in
seiner Häufigkeit verstärkt." In diesem Beispiel ist die verhaltensstärkende Belohnung der
Entzug des negativen (hemmenden) Zustandes, die Entfernung vom aggressiv bellenden
Hund. Somit ist das Verhalten, auf der anderen Straßenseite zu gehen, ,,belohnt" und als
wirksames Verhalten gelernt worden.
Ebenso wie negative Verstärker können positive Verstärker in ihrer Ausprägung ganz
unterschiedlich sein. Wichtig ist, dass die Verstärkung eine Belohnung für den Organis-
mus darstellt. Verstärker dienen der Befriedigung einer Bedürfnisspannung. Hat der
Lernende Hunger, so kann zum Beispiel Essen ein positiver Verstärker sein. Hat er
allerdings keinen Appetit, besteht also keine Bedürfnisspannung, reizt ihn auch appetitli-
ches Essen nicht zu einem bestimmten Verhalten. Bestehen andere Bedürfnisse, wirken
je nach Situation z. B. Geld oder eine Zuneigung zeigende Geste wie etwa Kopfnicken als
positive Verstärker. Verstärker können dem Lernenden auch unbewusst bleiben, denn
auch Verstärker oder Strafreize, die vom Lernenden nicht bemerkt werden, können
Verhalten ändern (H
ERKNER
2004, S. 24). Wie bei der klassischen Konditionierung
müssen Verstärker kontingent sein, das bedeutet, dass für den Lernenden ein raum-
zeitlicher Zusammenhang zwischen Verhalten und Verstärker erkennbar sein muss. Auch
beim operanten Lernen führt das konsequente Fehlen eines Verstärkers ohne raum-
zeitlichen Bezug zur Löschung (= Extinktion) des Verhaltens. Im Vergleich zu kontinuier-
8

Psychologische Theorien
Kognitive Lerntheorie
lich verstärkten Verhaltensweisen haben sich intermittierend
4
verstärkte Verhaltensweisen
als äußerst resistent gegen Extinktion erwiesen (H
ERKNER
2004, S. 28). Ebenso besteht
wie bei der vorherigen Theorie die Möglichkeit der Generalisation des neu erlernten
Verhaltens, das heißt eine Übertragung des Verhaltens auf andere Situationen. Zudem
hängt die relative Häufigkeit eines Verhaltens nicht nur von dessen Konsequenzen ab,
sondern auch von den Konsequenzen gleichzeitig verfügbarer Alternativen
(H
ERKNER
2004, S. 30). Durch Verstärkungslernen kann auch eine Habituation (Gewöh-
nung) entstehen, also eine Abnahme der Reaktionsbereitschaft bei sehr häufig
präsentierter Reizdarbietung.
Da sich die operante Lerntheorie ebenso wie das klassische Konditionieren ausschließlich
auf beobachtbares Verhalten beschränkt, reichen zur Erklärung des menschlichen
Verhaltens behavioristische Lerntheorien nicht aus. Der Mensch reagiert nicht nur auf
äußere Reize oder nur deshalb, weil er gelernt hat, für bestimmte Verhaltensweisen
belohnt zu werden. Im folgenden Kapitel werden daher ergänzend auch kognitive
5
Prozesse (insbesondere Bewusstsein, Wahrnehmung und Handlungsmotive) in die
Erklärung von Lernvorgängen mit einbezogen (K
ROEBER
-R
IEL
1999, S. 328).
2.2
Kognitive Lerntheorie
Kognitive Theorien stellen Thesen darüber auf, was in der ,,Black Box", dem Organismus,
geschieht. Da der eigentliche, innere Prozess des Lernens nicht beobachtbar ist, wird aus
der wahrnehmbaren (stetigen) Veränderung von Verhalten darauf geschlossen, dass nicht
beobachtbare Informationsverarbeitungsprozesse im Organismus stattfinden. ,,Lernen
wird in der neueren Kognitionspsychologie als Informationsverarbeitung verstanden"
(G
UDJONS
1994, S. 197).
So stehen bei kognitiven Lerntheorien Bewusstseinsvorgänge im Vordergrund der
Erklärung menschlichen Verhaltens. Diese Vorgänge finden zwischen den Polen Reiz und
Reaktion, in der ,,Black Box" des Menschen, statt. Im Menschen werden einkommende
Informationen (Input, Reiz) verarbeitet, bevor sie als Verhalten (Output, Reaktion) sichtbar
werden. Die Prozesse der Informationsverarbeitung wie z. B. Wahrnehmung, Denkpro-
zesse, Einstellungsbildung und Einstellungsänderung sind kognitive Prozesse. Die aktive
Informationsverarbeitung wird laut kognitiver Lerntheorien durch sogenannte introspektive
4
Ein Verhalten wird intermittierend verstärkt, wenn das Verhalten zwar ,,wiederkehrend, [aber] zeitweilig
aussetzend (M
EYERS
G
ROSSES
T
ASCHENLEXIKON
2001, S. 229)", belohnt wird.
5
Kognitiv wird als ,,das Wahrnehmen, Deuten und Erkennen betreffend" definiert (M
EYERS
L
EXIKON
1988,
S. 241).
9

Psychologische Theorien
Kognitive Lerntheorie
Variablen wie z. B. Gefühle, Einstellungen, Werte, Meinungen, die im Menschen existie-
ren, beeinflusst (H
ERKNER
2004, S. 23). Als eine besonders bedeutsame kognitive
Lerntheorie wird das Lernen am Modell nach Bandura
6
, auch Beobachtungslernen
genannt, vorgestellt. Zusammen mit den vorher beschriebenen zwei behavioristischen
Lerntheorien sollen diese drei Lerntheorien eine möglichst große Vielfalt von Verhaltens-
weisen erklären.
Lernen am Modell nach Bandura
Bandura (G
UDJONS
1994, S. 143; S. 202) erklärt mit seiner Theorie, ergänzend zu den
klassischen Lerntheorien, warum der Mensch in sehr ökonomischer Weise durch Beo-
bachtung lernt. Wobei das Modell-Lernen nach Bandura nicht bloße Imitation ist, denn
zwischen Anregung des Verhaltens durch ein Modell und der Ausführung des Verhaltens
durch den Beobachter liegen erhebliche kognitive Prozesse (G
UDJONS
1994, S. 143;
S. 202). Deshalb unterscheidet Bandura auch zwischen Lernen und Verhalten. Jede
Speicherung wahrgenommener Reize und Reizfolgen im Langzeitgedächtnis bedeutet
Lernen. Für ein imitatives Verhalten ist Lernen daher notwendig und wichtig, aber nicht
ausreichend (H
ERKNER
2004).
Der Lernprozess nach Bandura verläuft in 4 Prozessstufen, die sich grob in die zwei
Phasen der Aneignung und der Ausführung einteilen lassen (s. Abb. 3). Die Aneignungs-
phase beginnt mit dem Aufmerksamkeitsprozess. Zu Beginn des Lernprozesses ist es
daher unabdingbar, die Aufmerksamkeit des Lernenden auf ein Modellverhalten zu
lenken. Das Wecken der Aufmerksamkeit ist abhängig
von Anreizbedingungen wie der
Motivationslage des Wahrnehmenden und der Intensität des Aufmerksamkeitsreizes. Der
Lernende beobachtet im Folgenden das Modell, welches eine reale Person, eine Person
im Fernsehen oder auch eine Comicfigur sein kann. Durch aufmerksames Beobachten
nimmt der Lernende typische Charakteristika der Modellperson, auch Modellmerkmale
genannt, auf, u. a. dessen Kompetenz, Autorität, Macht, Prestige. Diese im allgemeinen
sozial hoch bewerteten Merkmale des Modells verstärken die weitere Aufmerksamkeit
und dienen teilweise der Identifizierung des Beobachters mit dem Modell. Der Lernende
achtet ebenfalls darauf, welchen Erfolg das Modell mit seinem Verhalten erzielt. Neben
Anreizbedingungen, Modell-Merkmalen und einer Identifizierungsmöglichkeit sind auch
Persönlichkeitsmerkmale des Beobachters wichtige Vorraussetzungen für die Erregung
der Aufmerksamkeit des Lernenden.
6
Albert Bandura ist kanadischer Psychologe und formulierte 1963 die sozial-kognitive Theorie vom Lernen am
Modell (M
EYERS
L
EXIKON
2001, S. 144).
10

Psychologische Theorien
Kognitive Lerntheorie
Die zweite Stufe der Aneignungsphase ist der Behaltensprozess. In diesem Gedächtnis-
prozess wandelt der Lernende seine Beobachtungen durch Modifikation in erinnerliche
Schemata um. Er kodiert und speichert sie und kann sie danach als Erinnerung wieder
abrufen. Die Kodierung und damit das Behalten wird bereits durch Symbolanwendung
seitens des Modells unterstützt.
Die dritte Prozessstufe ist der motorische Reproduktionsprozess, mit ihr beginnt die
Ausführungsphase. In dieser Stufe wird das erlernte Verhalten ausgeführt. In einer dem
Lernenden ähnlich erscheinenden Situation erinnert er sich an das beobachtete Verhal-
ten. Allein die Erinnerung führt noch nicht zur Durchführung des Verhaltens. Der Lernende
entscheidet sich, ob das beobachtete Verhalten ihm in dieser Situation opportun er-
scheint, und entsprechend seines Charakters (Kreativität) ist er in der Lage, das
beobachtete Verhalten seiner Situation anzupassen. Wenn der Lernende sich zur
Nachahmung entscheidet, versucht er das beobachtete, von ihm gespeicherte und
dadurch modifizierte Verhalten des Modells zu reproduzieren. Diese Übertragung gelingt
ihm, je nach körperlicher Verfassung und je nach Speicherqualität oder Erinnerungsver-
lusten, mehr oder weniger gut. Das Beobachtungslernen ist mit der physischen
Durchführung der Imitation noch nicht beendet.
In der letzten Stufe nimmt der Lernende eine Auswertung vor. Der vierte Prozess wird
Verstärkungs- oder Motivationsprozess genannt. Der Lernende, der ein für ihn neues
Verhalten zuerst beobachtet, dann gespeichert und in einer für ihn geeigneten Situation
ausprobiert hat, wertet nun den Effekt seines neuen Verhaltens aus. Dazu gleicht er
Erfolg und Erwartungen ab, denn die Erwartung auf einen Verstärker (Erfolg) bedingt die
Lernwirkung. Er entscheidet dem Auswertungsergebnis entsprechend, ob er dieses neue
Verhalten wiederholt oder nicht. Hat sein Verhalten seine Erwartungen erfüllt, wird er es
durch Wiederholung perfektionieren, was den Effekt hat, dass bisher gewohntes Verhal-
ten von dem neuen erfolgreichen Verhalten verdrängt wird. Kommt er in seiner Reflexion
aber zu dem Ergebnis, dass das erlernte Verhalten keinen Erfolg zeigte, wird das
Gelernte wieder gelöscht. Die Selbstregulation (kognitiver Prozess) bezüglich der
Nachahmung steht im Vordergrund. Motivation dient nicht mehr, wie beim behavioristi-
schen Lernen (s. Kapitel 2.1), dem Erlernen neuen Verhaltens, sondern unterstützt
lediglich das Anwenden des neuen Verhaltens. Äußere Verstärkung ist demnach eine
förderliche, aber keine notwendige Bedingung des Modell-Lernens (G
UDJONS
1994;
S
TROEBE
1996; H
ERKNER
2004).
11

Psychologische Theorien
Kognitive Lerntheorie
Abbildung 3: Schema des Modell-Lernens
Aneignungsphase:
1.
Aufmerksamkeitsprozesse
2.
Gedächtnisprozesse (Behalten)
Ausführungsphase:
3. Motorische
Reproduktionsprozesse
4.
Verstärkungs- und Motivationsprozesse
Quelle: Eigene Darstellung nach H
ERKNER
(2004, S. 73).
Diese, in Abbildung 3 schematisch zusammengefassten, vier Prozesse finden beim
Lernenden meistens unbewusst statt und unterliegen unterschiedlichen Bedingungen: Es
ist notwendig, dass sich der Lernende mit dem Modell identifizieren kann. Eine weitere
Bedingung für das Imitationslernen ist, dass das Modell für den Beobachtenden wichtige
Merkmale wie Macht, Prestige, Kompetenz aufweist, um sein Interesse zu wecken. Die
zuvor genannten Bedingungen sind besonders für die Aneignungsphase wichtig. Für die
Ausführungsphase ist die Wirksamkeitserwartung für das neu gelernte Verhalten notwen-
dig. Denn diese führt wie oben beschrieben zur selbststeuernden Nachahmung. Die
Reproduktion des neu erlernten Verhaltens ist vor allem von kognitiven Prozessen
abhängig, dazu gehören die Wahrnehmungsselektion sowie die Selbstverstärkung, wenn
der Lernende neues Verhalten als nützlich definiert. Auch die Erwartung von Verstärkern,
positive oder negative Konsequenzen seines neuen Verhaltens (s. operantes Konditionie-
ren), hat einen Einfluss darauf, ob das Verhalten ausgeführt wird. Beim Modell-Lernen
kann eine stellvertretend positive Verstärkung des Modells (Erfolg) für den Nachahmen-
den ausreichend sein, um das neue Verhalten auszuführen (G
UDJONS
1994, S. 203).
Aus dieser Theorie entwickelte Bandura folgende Thesen, die für die Verhaltensforschung
bedeutend sind: Gelerntes wird nicht zwangsläufig unmittelbar gezeigt. Gelerntes
Verhalten kann in späteren, gänzlich unterschiedlichen Zusammenhängen wieder
auftauchen. Erlerntes kann somit auf andere Bereiche übertragen werden. Selbst eine
Beschreibung reicht, um eine kognitive Repräsentation hervorzurufen, der Lerninhalt
muss nicht gesehen werden. Die kognitive Vorstellungskraft hat also einen großen
Einfluss auf das Lernen und somit auf das Verhalten. Diese Gedankenprozesse können
lediglich von Belohnung und Bestrafung (Verstärker) beeinflusst werden (E
DELMANN
1996,
S. 8).
12

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2005
ISBN (eBook)
9783832493783
ISBN (Paperback)
9783838693781
DOI
10.3239/9783832493783
Dateigröße
820 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn – Landwirtschaftliche Fakultät, Agrarpolitik, Marktforschung und Wirtschaftssoziologie
Erscheinungsdatum
2006 (Februar)
Note
1,7
Schlagworte
ernährungspolitik kommunikation psychologie kognition marketing
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Titel: Auswirkungen von Ernährungsinformationen auf das Ernährungsverhalten
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