Das Problem des wachsenden chinesischen Ölbedarfs für die Außenwirtschafts- und Geopolitik
©2005
Diplomarbeit
118 Seiten
Zusammenfassung
Inhaltsangabe:Einleitung:
Im Sommer 2005 durchbrach der Ölpreis die Marke von 65 USD/Barrel Rohöl; das Fernsehen, Radio und Zeitungen waren geprägt von Berichten, Analysen und Prognosen über die steigenden Ölpreise. Nach wenigen Tagen schien für die Experten die Antwort gefunden: Die Schwellenländer Ost- und Südasiens, insbesondere Indien und China wurden für diesen Preisschub verantwortlich gemacht.
Nachdem man jahrelang nur das wachsende chinesische BIP vor Augen hatte, schien diese Erklärung auch nahe zu liegen, doch übersahen viele Kommentatoren Faktoren wie Spekulationen am Kapitalmarkt, ein Nachlassen der Produktion oder versuchte Preispolitik durch die OPEC.
Tatsächlich betrug der chinesische Ölverbrauch, für 1,4 Mrd. Menschen, 2003 gerade einmal 7,6% des weltweiten Konsums (Indien 3,1%); während Japan mit 110 Millionen Einwohnern 6,8% und die USA mit 260 Millionen 25,1% bestritten.
Das Entscheidende dabei ist jedoch, dass der chinesische Rohölkonsum innerhalb eines Jahres um 11,5% gestiegen war und trotz einer leichten Abkühlung des chinesischen Wirtschaftswachstums, nicht mit einem starken Nachlassen des Erdölbedarfs zu rechnen ist.
Dieser ganze Prozess, mit seinen weltweiten Auswirkungen, ist nur eines wenn auch ein sehr deutliches Symptom dass sich die Machtverteilung auf der Erde in einer Umbruchsphase befindet. Mit der Rückkehr des bevölkerungsreichsten Landes in die Weltpolitik und Weltwirtschaft vollzieht sich ein Umbruch, welcher in seiner Tiefe und seiner Entwicklung die Rahmenbedingungen für die nächsten 100 Jahre vorgeben kann.
Da der Wiederaufstieg Chinas ohne eine starke Wirtschaft undenkbar ist und eine moderne Wirtschaft auch heute noch von einem starken Ölkonsum gekennzeichnet ist, wird die Beschaffung und Sicherung dieser Ressource für das Reich der Mitte von entscheidender Bedeutung sein.
Da andererseits die Ölvorkommen unter den Großmächten (und den ihnen nahe stehenden Konzernen) schon aufgeteilt sind, ist China durch seinen Aufstieg dazu gezwungen, die bestehenden Machtverhältnisse in Frage zu stellen und in fremde Interessenssphären vorzustoßen.
Inwieweit das bereits der Fall ist und welche Chancen und Probleme sich daraus ergeben, dieser Analyse dient der Zweck dieser Arbeit.
Allein schon wegen der Bedeutung der Thematik für die betroffenen Länder ist es verständlich, dass die Ansichten zu diesem Thema, je nach der politischen Ansicht, scharf voneinander abweichen.
Um deshalb eine möglichst […]
Im Sommer 2005 durchbrach der Ölpreis die Marke von 65 USD/Barrel Rohöl; das Fernsehen, Radio und Zeitungen waren geprägt von Berichten, Analysen und Prognosen über die steigenden Ölpreise. Nach wenigen Tagen schien für die Experten die Antwort gefunden: Die Schwellenländer Ost- und Südasiens, insbesondere Indien und China wurden für diesen Preisschub verantwortlich gemacht.
Nachdem man jahrelang nur das wachsende chinesische BIP vor Augen hatte, schien diese Erklärung auch nahe zu liegen, doch übersahen viele Kommentatoren Faktoren wie Spekulationen am Kapitalmarkt, ein Nachlassen der Produktion oder versuchte Preispolitik durch die OPEC.
Tatsächlich betrug der chinesische Ölverbrauch, für 1,4 Mrd. Menschen, 2003 gerade einmal 7,6% des weltweiten Konsums (Indien 3,1%); während Japan mit 110 Millionen Einwohnern 6,8% und die USA mit 260 Millionen 25,1% bestritten.
Das Entscheidende dabei ist jedoch, dass der chinesische Rohölkonsum innerhalb eines Jahres um 11,5% gestiegen war und trotz einer leichten Abkühlung des chinesischen Wirtschaftswachstums, nicht mit einem starken Nachlassen des Erdölbedarfs zu rechnen ist.
Dieser ganze Prozess, mit seinen weltweiten Auswirkungen, ist nur eines wenn auch ein sehr deutliches Symptom dass sich die Machtverteilung auf der Erde in einer Umbruchsphase befindet. Mit der Rückkehr des bevölkerungsreichsten Landes in die Weltpolitik und Weltwirtschaft vollzieht sich ein Umbruch, welcher in seiner Tiefe und seiner Entwicklung die Rahmenbedingungen für die nächsten 100 Jahre vorgeben kann.
Da der Wiederaufstieg Chinas ohne eine starke Wirtschaft undenkbar ist und eine moderne Wirtschaft auch heute noch von einem starken Ölkonsum gekennzeichnet ist, wird die Beschaffung und Sicherung dieser Ressource für das Reich der Mitte von entscheidender Bedeutung sein.
Da andererseits die Ölvorkommen unter den Großmächten (und den ihnen nahe stehenden Konzernen) schon aufgeteilt sind, ist China durch seinen Aufstieg dazu gezwungen, die bestehenden Machtverhältnisse in Frage zu stellen und in fremde Interessenssphären vorzustoßen.
Inwieweit das bereits der Fall ist und welche Chancen und Probleme sich daraus ergeben, dieser Analyse dient der Zweck dieser Arbeit.
Allein schon wegen der Bedeutung der Thematik für die betroffenen Länder ist es verständlich, dass die Ansichten zu diesem Thema, je nach der politischen Ansicht, scharf voneinander abweichen.
Um deshalb eine möglichst […]
Themenübersicht
Inhaltsverzeichnis
ID 9561
Pöllath, Ferdinand: Das Problem des wachsenden chinesischen Ölbedarfs für die
Außenwirtschafts- und Geopolitik
Druck Diplomica GmbH, Hamburg, 2006
Zugl.: Universität Duisburg-Essen, Standort Duisburg, Diplomarbeit, 2005
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2006
Printed in Germany
I
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1
I. These und theoretische Einordnung
4
a) Der Neorealismus
4
Großmachtsysteme
7
Großkonzerne
und
Großmächte
8
,,Attraktivität" von Großmächten
10
b) Hegemonie und Machtgleichgewicht
11
c) Die ,,Mächte des Wandels und des Beharrens"
13
d) Die Grenzen wirtschaftlichen Wachstums
15
II. Die Entwicklung des chinesischen Energiesektors
und aktuelle Herausforderungen
18
a) Historische Entwicklung der Ölproduktion: Vom Exporteur
zum Importeur
18
b) Öl als Teil der chinesischen Energieversorgung
22
c) Die wichtigsten Akteure und die Struktur des
chinesischen
Erdölmarktes
27
d) Die ,,Peakproblematik" und die Frage kontinuierlich hoher
Ölpreise als geostrategisches und ökonomisches Problem
30
II
III. Die VR China als geostrategischer Akteur
36
a)
Chinas
Ziele
36
b) Die Deckung des Ölbedarfs und die Auswirkung auf die
geopolitische
Situation
Chinas
49
1. Der Mittlere Osten und Saudi-Arabien als geopolitisches
Spannungsfeld zwischen den USA und der VR China
51
2. Zentralasien als bedeutende Produktions- und Transferregion
zwischen
Moskau,
Washington
und
Peking
57
3.
Das
offene
Spiel
um
den
Sudan 65
c) Die wichtigsten geopolitischen Konkurrenten Chinas
72
Japan-
zwischen
den
Gezeiten
treibend
72
Die Vereinigten Staaten von Nordamerika
78
d) Zwischenfazit
83
IV. Ausblick
88
Literatur
98
Zeitungen und Zeitschriften
100
Elektronische Texte
101
III
Abbildungsverzeichnis
Seite
Abb.
1: Theoretischer
Rahmen
4
Abb.
2: Variationen
des
Neorealismus
5
Abb. 3:
Konzerne im internationalen Mächtesystem
8
Abb. 4:
Chinas Ölproduktion und Verbrauch 1980 - 2005
19
Abb.
5: Ölvorkommen
in
der
VR
China
20
Abb. 6:
Chinas Energieverbrauch 1989 - 2005
22
Abb.
7: Chinas
Erdgasbedarf
bis
2005
24
Abb.
8: Der
Mittlere
Osten
51
Abb.
9: Zentralasien
57
Abb.
10:
Die
Seidenstraße
der
Energie
59
Abb. 11:
Der Sudan und seine Ölvorkommen
65
Abb. 12:
Grenzstreit im Ostchinesischen Meer
75
Abb. 13:
Die geplante Pipelineroute in Ostsibirien
76
Abb. 14:
Der Kern des amerikanischen Mächtesystems
89
IV
Abb. 15:
Ein sich entwickelndes chinesisches Mächtesystem?
90
Tabellenverzeichnis
Tab.
1: Chinesische
Atomkraftwerke
26
Tab. 2:
OPEC: Produktion und Reserven 2005
32
Tab. 3:
Staatliche Ansätze zur Sicherstellung des Energiebedarfs
42
Tab. 4:
Vergleich der drei gelisteten chinesischen
Energiekonzerne mit zwei regionalen Konkurrenten
47
Tab. 5:
Bedeutende Investitionen chinesischer Energiekonzerne
in
Zentralasien
60
Tab. 6:
Japans Rohölverbrauch 1993 - 2003
73
Tab. 7:
Ölproduktion und Verbrauch der USA 1993 - 2003
78
Tab. 8:
Durch US-Eingriffe bedrohte chinesische Versorger
85
Tab. 9:
Vergleich der Fähigkeiten zur Machtprojektion zwischen
den USA, China und Japan
91
V
Abkürzungsverzeichnis
ARAMCO
Saudi American Arabian Oil Company
AKW
Atomkraftwerk
bbl
Barrel (Maßeinheit für Öl= 158,99 l)
BIP
Bruttoinlandsprodukt
BP
British
Petrol
CNOOC
China National Offshore Oil Corporation
CNPC
China National Petroleum Corporation
DOE
US Department of Energy
USD
US-Dollar
IEA
International Energy Administration
IWF
Internationaler
Währungsfond
KPCh
Kommunistische Partei Chinas
MNU
Multinationale Unternehmen
MW
Megawatt
NEPDG
(US) National Energy Policy Development Group
OPEC
Organisation of Petroleum Exporting Countries
PLA
Peoples Liberation Army
SAPC
State Administration of Petroleum and Chemical Industries (China)
SCO
Shanghai Organisation for Cooperation
SEA
State Energy Administration (China)
Sinopec
China Petrochemical Corporation
SPLA
Sudanese Peoples Libaration Army
St.
Short tons (Maßeinheit für Kohle= 907 kg)
USGS
United States Geological Survey
VN
Die Vereinten Nationen
VR
Volksrepublik
(China)
WTO
World Trade Organisation
1
Vorwort:
Im Sommer 2005 durchbrach der Ölpreis die Marke von 65 USD/Barrel Rohöl;
das Fernsehen, Radio und Zeitungen waren geprägt von Berichten, Analysen
und Prognosen über die steigenden Ölpreise. Nach wenigen Tagen schien für
die Experten die Antwort gefunden: Die Schwellenländer Ost- und Südasiens,
insbesondere Indien und China wurden für diesen Preisschub verantwortlich
gemacht. Nachdem man jahrelang nur das wachsende chinesische BIP vor
Augen hatte, schien diese Erklärung auch nahe zu liegen, doch übersahen viele
Kommentatoren Faktoren wie Spekulationen am Kapitalmarkt, oder versuchte
Preispolitik durch die OPEC
1
.
Tatsächlich betrug der chinesische Ölverbrauch 2003 gerade einmal 7,6%
2
des
weltweiten Konsums (Indien 3,1%); während Japan mit 110 Millionen
Einwohnern 6,8% und die USA mit 260 Millionen 25,1% bestritten. Das
Entscheidende dabei ist jedoch, dass der chinesische Rohölkonsum innerhalb
eines Jahres um 11,5% gestiegen war und trotz einer leichten Abkühlung des
chinesischen Wirtschaftswachstums, nicht mit einem starken Nachlassen des
Erdölbedarfs zu rechnen ist.
Dieser ganze Prozess, mit seinen weltweiten Auswirkungen, ist nur eines -
wenn auch ein sehr deutliches Symptom dass sich die Machtverteilung auf
der Erde in einer Umbruchsphase befindet. Mit der Rückkehr des
bevölkerungsreichsten Landes in die Weltpolitik und Weltwirtschaft vollzieht
sich ein Umbruch, welcher in seiner Tiefe und seiner Entwicklung die
Rahmenbedingungen für die nächsten 100 Jahre vorgeben kann.
Da der Wiederaufstieg Chinas ohne eine starke Wirtschaft undenkbar ist und
eine moderne Wirtschaft auch heute noch von einem starken Ölkonsum
gekennzeichnet ist, wird die Beschaffung und Sicherung dieser Ressource für
das Reich der Mitte von entscheidender Bedeutung sein.
Da andererseits die Ölvorkommen unter den Großmächten (und den ihnen
nahe stehenden Konzernen) schon aufgeteilt sind, ist China durch seinen
Aufstieg dazu gezwungen, die bestehenden Machtverhältnisse in Frage zu
stellen und in fremde Interessenssphären vorzustoßen. Inwieweit das bereits
1
The Economist, Oil: Unstoppable?, 21.8.2004, S. 59
2
BP: Energy in Focus, S.9
2
der Fall ist und welche Chancen und Probleme sich daraus ergeben, dieser
Analyse dient der Zweck dieser Arbeit.
Allein schon wegen der Bedeutung der Thematik für die betroffenen Länder ist
es verständlich, dass die Ansichten zu diesem Thema, je nach der politischen
Ansicht, scharf voneinander abweichen. Um deshalb eine möglichst objektive
Analyse zu erstellen, wurde bei der Arbeit Wert darauf gelegt, die
verschiedenen Standpunkte der Akteure anhand ihrer eigenen Äußerungen
durch Primärquellen zu sichten und herauszuarbeiten.
3
I. Teil
,,Alles beruht auf Inhalt, Gehalt und
Tüchtigkeit eines zuerst aufgestellten
Grundsatzes und auf der Reinheit des
Vorsatzes"
GOETHE
4
I. These und theoretische Einordnung
Der Frage nach den Problemen des wachsenden chinesischen Rohölbedarfs
für die Außenwirtschafts- und Sicherheitspolitik stelle ich folgende These voran:
,,Der steigende chinesische Importbedarf an Öl zwingt die Volksrepublik
zunehmend in fremde Einflusssphären
3
vorzudringen."
Ich werde diese These und die sich aus ihr ergebenden Konsequenzen anhand
des neorealistischen
Theoriegebäudes
untersuchen, welches zur
besseren
Operationalisierung um
den Hegemonie- und
Macht-, bzw.
Gleichgewichtsansatz
ergänzt wird. Zusätzlich
werde ich untersuchen,
inwieweit die VR China eine ,,Macht des Wandels" ist und was dies im Bezug
auf ihr Verhältnis zu den bestehenden Großmächten bedeutet.
Als wirtschaftstheoretischen Rahmen der gesamten Untersuchung werde ich
den ,,Grenzen des Wachstums Ansatz" setzen.
a) Der Neorealismus:
Der Begriff des Neorealismus beinhaltet eine Vielzahl unterschiedlicher
Versuche, das internationale politische System theoretisch zu erfassen. Er fußt
auf der realistischen Denkrichtung der Mitte des 20. Jahrhunderts, ergänzt
3
Wobei Einflusssphäre (=Interessenssphäre) hier als ,, (...) Gebiet, in dem (...) aufgrund von
Vereinbarungen zwischen den interessierten Staaten einem von ihnen oder mehreren ein besonderes
Einwirkungsrecht politischer oder wirtschaftlicher Art gegeben wird" verstanden wird. Nach:
Bertelsmann Universal Lexikon, S. 400
Abb. 1: Theoretischer Rahmen
Erstellt: F. Pöllath
Mächte des
Beharrens
Was zwischen den
Gezeiten treibt
Mächte des Wandels
Mächte des
Beharrens
Was zwischen den
Gezeiten treibt
Mächte des Wandels
Weltsystem:
Anarchisch
China muss
sich selbst
helfen
Militär- u.Wirtschaftspolitik
Bündnissysteme
Ressourcensicherung
Konkurrenz zu
USA/Japan
Weltsystem:
Anarchisch
China muss
sich selbst
helfen
Militär- u.Wirtschaftspolitik
Bündnissysteme
Ressourcensicherung
Konkurrenz zu
USA/Japan
Militär- u.Wirtschaftspolitik
Bündnissysteme
Ressourcensicherung
Konkurrenz zu
USA/Japan
Peakproblematik
5
diese jedoch um wichtige Aspekte, wie z.B. der Betrachtung wirtschaftlicher
Akteure.
Zunächst gilt es, die Hauptströmungen des Neorealismus zu erkennen, wobei
ich der Systematik von Dieter Nohlen
4
folgen werde, da sie sich durch eine
besonders klare Strukturierung auszeichnet.
Dieter Nohlen unterteilt den
Neorealismus in vier
Varianten, wobei die ersten
beiden systemtheoretischer,-
die letzten beiden
handlungstheoretischer
Natur sind:
Die Variante des anarchischen Selbsthilfesystems basiert auf der
systemorientierten Analyse, welche K.N. Waltz in seinem Buch ,,Theory of
international Politics" entwirft. Hierbei wird davon ausgegangen, dass die
Staaten - als zentrale Akteure - in ihrem Handeln mehr Gemeinsamkeiten als
Unterschiede aufweisen und deshalb das internationale Staatensystem in das
Zentrum der Betrachtung gerückt wird. Dabei trifft K.N. Waltz folgende
Feststellungen:
1. Das internationale System ist anarchisch strukturiert, da keine Zentralgewalt
vorhanden ist.
2. Diese anarchische Struktur zwingt die Staaten nach dem Prinzip der
Selbsthilfe zu verfahren, um ihr Überleben sicherzustellen.
3. Im Gegensatz zu den meisten nationalen Gesellschaften gibt es im
internationalen System keine funktionale Differenzierung, wodurch die
Machtverteilung unter den Akteuren die größte Bedeutung für die Erklärung der
internationalen Politik besitzt.
Die Variante der Hegemoniezyklen entstand in den 70er Jahren in der
Annahme des Verfalls amerikanischer Macht. Sie geht davon aus, dass ca. alle
100 Jahre, ausgehend von den italienischen Kriegen des 15. Jhdt., ein neuer
Hegemon entsteht, welcher, neben seiner militärischen Dominanz, seine Macht
4
Nohlen: Lexikon der Politik, Bd. 6, S. 313ff.
Abb. 2:
Varianten
des
Neorealismus
1.
Anarchisches
Selbsthilfesystem
2.
Hegemoniezyklen
3.
Kooperation in
der Anarchie
4.
Starke und
schwache Staaten
Varianten
des
Neorealismus
1.
Anarchisches
Selbsthilfesystem
2.
Hegemoniezyklen
3.
Kooperation in
der Anarchie
4.
Starke und
schwache Staaten
Nach D.Nohlen
Aus: Nohlen: Lexikon der Politik, Band 6
6
auch auf eine hohe wirtschaftliche Produktivität gründet. Die Hegemonialmacht
schafft sich ein ihr entsprechendes internationales System, prosperiert und
verfällt schließlich auf Grund gesellschaftlicher Verkrustungsprozesse und der
steigenden Kosten zur Aufrechterhaltung dieser Weltordnung.
Die Kooperation in der Anarchie Variante geht davon aus, dass internationale
Regime wie die VN aber auch die OPEC und andere wirtschaftliche
Organisationen eine hegemoniale Machtverteilung als Voraussetzung haben,
und dass in Zeiten des Umbruchs diese Regime ihre Funktionsfähigkeit
einbüßen. Denn nur ein stabiles Weltsystem könne sich den ,,Luxus" dieser
Regime leisten, bzw. hätte an ihnen Interesse. Da dieser Ansatz jedoch so
zentrale Themen wie die Frage nach den Akteuren oder nach der Macht
vernachlässigt, wird er z.B. von Waltz als nicht neorealistisch kritisiert.
Die letzte Variante der starken und schwachen Staaten behandelt den
doppelten Anpassungszwang, welchem staatliche Außenpolitik ausgesetzt ist.
Zum einen betrachtet man staatliches Handeln auf der internationalen Ebene
als Ausdruck der innenpolitischen Situation eines Landes, während man auf der
anderen Seite die Position eines Staates in der internationalen Hierarchie und
die Zwänge analysiert, welche der Erhalt und Ausbau dieser Position auf den
Staat ausüben.
Welche Gemeinsamkeiten lassen sich aus diesen unterschiedlichen Variationen
erkennen?
5
Analyseebene:
1.
systematisch:
Anarchische Struktur des internationalen Systems; es
strebt nach einem Machtgleichgewicht
2. subsystemisch: (National -)Staaten, Volkswirtschaften als zentrale Akteure
3. problemorientiert: Dominanz der Sicherheitspolitik
Modell: Staatenwelt-
oder
Billardkugel-Modell
5
Nach Druwe: Internationale Politik, S. 115ff.
7
Thesen:
- Die Politik ist von objektiven Gesetzen beherrscht
- ,,Gute Politik" orientiert sich am Nationalinteresse eines
Staates,
d.h.
an
Machterweiterung
oder
zumindest
Machterhaltung
- Machtgleichgewicht führt zu bedingter Stabilität des
internationalen
Systems
-
Kooperationen
oder
Institutionen
basieren
auf
hegemonialen
Interessen
Diese, Ende des 20. Jahrhunderts aufgestellten Gemeinsamkeiten bedürfen,
meiner Ansicht nach, noch einiger Ergänzungen.
Großmachtsysteme
Die anarchische Struktur des internationalen Systems bedeutet zwar, dass es
keine absolute oberste Instanz gibt, doch muss man beachten, dass das
System trotzdem keine chaotischen Züge aufweist. Als Gravitationszentren
befinden sich in ihm die Großmächte, um welche ihre Verbündeten als
Trabanten kreisen. Dabei wird in dieser Untersuchung jeder Staat als
Großmacht bezeichnet, welcher in der Lage ist eine Region zu dominieren und
,,maßgeblichen Einfluss auf die internationale Politik ausüben kann"
6
. So ist es
möglich, dass es zu jeder Zeit zwar eine Vielzahl von Großmächten gibt, es
aber per definitionem nur eine Weltmacht geben kann; denn eine Weltmacht
muss ,,so stark sein, dass keine örtliche Machtentwicklung, keine Ortsgeltung
sie von einem wesentlichen Teil der Erde ausschließen (kann)"
7
. In diesem
Sinne waren z.B. die USA zu Zeiten des Kalten Krieges keine Weltmacht, weil
sie zu einer derartigen Machtausübung bis 1990/91 nicht in der Lage waren. Bei
einer längerfristigen historischen Betrachtung erkennt man, dass die Stellung
der USA zur Jahrtausendwende nichts außergewöhnliches ist
8
, sondern dass
es zu allen Zeiten im internationalen Mächtesystem Staaten gab, welche den
anderen überlegen waren und ihre Epoche dominierten; siehe Spanien im 15.
6
Bertelsmann Universal Lexikon, S. 337
7
Haushofer: Weltpolitik von Heute, S. 130
8
Abgesehen von quantitativen Aspekten, wie ihrer Reichweite und ihrem großen Durchdringungsgrad
des internationalen Systems.
8
Jahrhundert und besonders Großbritannien während des ,,langen" 19.
Jahrhunderts.
Diese Großmächte, welche sich ebenfalls in einer hierarchischen Ordnung, je
nach der Machtverteilung im gesamten System befinden, stehen untereinander
in verschiedenen Bündnis- bzw., Spannungsverhältnissen. Anarchie besteht nur
insoweit, als die Staaten gezwungen sind, zu ihrem eigenen Schutz möglichst
viel Macht (wirtschaftliche, politische und militärische) aufzubauen, um ihre
Prosperität, bzw. ihre Position im System zu erhalten oder zu erweitern. Das
gegenwärtige Mächtesystem besitzt nun ein zentrales Gravitationszentrum in
den USA, welche eine Art Doppelgestirn mit Großbritannien bilden, die
wechselseitig durch ihre politischen Eliten, die Wirtschaft (besonders dem
Finanzsektor) und militärisch miteinander verbunden sind. Als Stützen der
Macht und Subgravitationszentren befinden sich Deutschland im Osten und
Japan im Westen, um welche dann eine weitere Vielzahl von Trabanten kreisen.
Zu diesem System gibt es dann aber noch, entsprechend ihrer Stärke, leicht
untergeordnete Parallelentwicklungen mit den Großmächten China und
Russland als eigenen Zentren, welche zum einen versuchen die Dominanz der
USA zu dämpfen und zum anderen durch das Anziehen neuer Mächte in ihr
Einfluss-System die eigene Macht zu stärken.
Großkonzerne und Großmächte
Neben den Staaten berücksichtigt der Neorealismus ebenfalls die
Volkswirtschaften und, als deren zentrale Akteure, die Großkonzerne und
Multinationalen Unternehmen
(MNU). Ein Staat ist, und das galt
auch für den längsten Teil der
Geschichte, nur in der Lage zu
einer Großmacht oder gar
Weltmacht aufzusteigen, wenn er
neben dem Bereich der
politischen Ideengestaltung in der
Lage ist, eine leistungsfähige
Wirtschaft und dadurch auch eine
moderne Armee zu unterhalten.
Großmacht
MNU
Großmacht
MNU
Großmacht
Land
MNU
Abb. 3: Konzerne im internationalen
Mächtesystem
Erstellt: F.Pöllath
9
Dabei diente die Wirtschaft einerseits zum Aufbau und der Projektion
militärischer und politischer Stärke, andererseits nutzte man auch das Militär,
um wirtschaftliche Konkurrenten auszuschalten oder Märkte zu erschließen.
Zwar ist die Anwendung militärischer Gewalt zwischen kleineren Staaten und
Großmächten weiterhin präsent
9
, doch ist sie unter den Großmächten selbst
seit der Erfindung der Kernwaffen mit großem Risiko verbunden. Dies führte
dazu, dass wirtschaftlicher Wettbewerb, die Sabotage, bzw. der Versuch
fremde Ökonomien in die Abhängigkeit zu treiben und die staatlich geförderte
Wirtschaftsspionage wichtige Instrumente des internationalen politischen
Ringens geworden sind. Im Zuge dieser Entwicklung gewannen große
wirtschaftliche Entitäten (Großkonzerne, MNUs) zunehmend an Bedeutung, da
sie eine große wirtschaftliche Schlagkraft entfalten können und prinzipiell als
von staatlichen Institutionen unabhängig betrachtet werden. Diese Betrachtung
hat jedoch ihre Schwächen. Zwar kann man MNUs durchaus als unabhängige
Akteure ansehen und sie sind in ihrer Macht vielen Klein- und Mittelstaaten
gleichwertig, bzw. überlegen, doch ist ihr Verhältnis zu den Großmächten mehr
symbiotischer Natur. So gut wie alle Konzerne haben eine nationale Wurzel und
sind von ihrem Kulturkreis geprägt
10
. Eine enge Anbindung an eine Großmacht
bietet den Firmen viele Vorteile, wie z.B. die Möglichkeit, auf eingeschränkte
Märkte vorzustoßen oder günstige Investitionsbedingungen zu erhalten (z.B.
Halliburton oder Carlay Group im Irak). So profitieren beide Seiten von einer
engen gegenseitigen Anlehnung, was sich auch oftmals in einem Wechsel
führender Persönlichkeiten zwischen Wirtschaft und Politik widerspiegelt
11
. Im
Zuge dieser Analyse soll deshalb ein erweiterter Staatsbegriff im Sinne des
Korporatismus verwendet werden, welcher eine enge personelle
Interdependenz zwischen Bürokratie, Partei(en) und Wirtschaft hervorhebt,
welche sich in den angelsächsischen Staaten im laufe des 20.Jahrhunderts
entwickelte
12
und welche es, wenn auch in abgewandelter Form ebenfalls in
Japan (,,Eisernes Dreieck") und der VR China gibt.
9
z.B. Kosovokrieg 1999, Afghanistan 2001, Irak 2003 usw.
10
Angelsächsische MNUs mit ihren Zentren in Großbritannien oder den USA; europäische, bzw.
französische oder russische mit ihren entsprechenden Gravitaionspunkten in Paris oder Moskau
11
Ein aktuelles Beispiel dafür ist der amerikanische Vizepräsident Cheney oder Henry Kissinger
12
Sutton: Wallstreet and FDR, S. 81
10
Am treffendsten zusammengefasst wurde das Verhältnis zwischen MNUs und
Großmächten von Karl Hoffmann
13
: ,, In seiner Intensität wurde der Ölkampf
nicht offiziell von der Regierungspolitik als solcher geführt, sondern in einem
durchgängigen und teilweisen Einvernehmen mit ihr von großen Konzernen.
Während sie nach eigenen Gesichtspunkten auf die Regierungspolitik Einfluss
zu nehmen vermögen, können sie von dieser Politik der Weltmächte als
geschmeidige Werkzeuge für staatliche und imperiale Zielstrebigkeit eingesetzt
werden. Sie sind gleichzeitig Instrumente und Subjekte der Macht."
,,Attraktivität" von Großmächten
Möchte man die Chancen und Risiken einer Großmacht bei ihrem Werben um
andere, meist schwächere Mächte (z.B. Ölförderländer) untersuchen, ist es
notwendig zu erkennen, warum sich ein kleineres Land einem anderen
unterordnet- abgesehen von einer direkten militärischen Unterwerfung. Hierbei
stellt sich die Frage nach der Attraktivität einer Großmacht oder welche Art der
Machtprojektion sie anzubieten hat. Dafür existiert eine Vielzahl verschiedener
Indikatoren, doch sind es im Bereich der (Energie-) Kooperation zwischen
Staaten drei Schwerpunkte welche sich als besonders bedeutungsvoll für die
Zusammenarbeit herauskristallisieren
14
.
1. Die wirtschaftliche Attraktivität
Ist der Warenaustausch mit der Großmacht für die Wirtschaft des
Landes interessant? Erhält man Zugang zu besonderen Märkten,
Technologien, Kapital usw.?
Besitzt das Land Rohstoffe, Märkte oder Technologien, welche für
die Großmacht interessant sind?
2. Die militärische Potenz einer Großmacht
Ist sie eine Gefahr für den Staat oder kann sie ihm Schutz bieten?
13
Karl Hoffmann nach: Stoye: Ölmacht-Weltmacht, S. 40
14
Nach Glassner: Political Geography, S. 313ff.
11
Bietet das Land gute Stützpunkte oder ist die nationale Armee ein
Machtzugewinn für die Großmacht?
3. Die weltanschauliche
15
Attraktivität
Besitzt man eine ähnliche Ideologie oder sind die Kultur und die
Werte einer Großmacht interessant? Betreibt sie einen
Ideologieexport oder respektiert sie die inneren Angelegenheiten
schwächerer Staaten?
Analysiert man das Verhältnis zwischen einer Großmacht und einem
machtpolitisch untergeordneten Staat anhand dieser Kriterien, kann man
weitgehend verlässliche Aussagen über die weiteren Beziehungen zwischen
den beiden Staaten treffen.
Die neorealistische Theorieschule legt des weiteren Wert auf die Betrachtung
der Sicherheitspolitik als zentralen Bestandteil der internationalen
Beziehungen
16
. Im Zuge dieser Untersuchung wird, zur besseren Erfassung des
Themas, der Blick weg vom gesamten internationalen System, hin zur
Sicherheitspolitik der Großmächte gewandt werden, insbesondere auf die
chinesische Definition derselben und das Verhältnis Chinas zu den USA. Als
der größte Ölkonsument und gleichzeitig Hegemon ist es für die USA von
besonderer Bedeutung, einen stetigen und preiswerten Ölfluss sicherzustellen.
Die VR China wiederum sieht die Sicherung des wirtschaftlichen Wachstums
als eines ihrer primären politischen Ziele an und ist nun gezwungen, in einen
bereits verteilten und nicht mehr stark wachsenden Ölmarkt vorzudringen.
b) Hegemonie und Machtgleichgewicht
Zur Begriffsklärung ist anzumerken, dass Hegemonie von Herrschaft (Imperium)
begrifflich zu unterscheiden ist. Hegemonie wird definiert
17
als
,,Führungsverhältnis, bei dem ein mächtiger Staat bestimmenden Einfluss
15
oder politische Attraktivität
16
Nohlen: Lexikon der Politik, Bd. 6, S. 43f.
17
Triepel (1938) nach Ferdowsi: Internationale Politik im 21. Jahrhundert, S. 35
12
ausübt und andere Staaten (die Gefolgsstaaten) dies akzeptieren". Damit steht
die Hegemonie zwischen dem Einfluss und der Herrschaft.
Über den Grund des Machtstrebens von Staaten wurde bereits weiter oben
gesprochen. Die Machtverteilung indes ist ein zentrales Strukturkriterium des
internationalen Systems und gibt Auskunft über die Zahl und Relation der
Großmächte
18
- schon eine geringe Machtverschiebung ändert das gesamte
System, z.B. von der Bipolarität hin zur Multipolarität. Dabei muss man
erkennen, dass die großen Mächte nach einem Gleichgewicht oder besser
Stabilität im internationalen System streben. ,,Dabei ist mit (...) Gleichgewicht
nicht gemeint, dass die Mächte ein gleiches Gewicht haben (...) sondern dass
hinreichende Gegengewichte (...) die Präponderanz einer Großmacht
verhindern oder deren negative Auswirkungen mindern."
19
Die Tendenz welche
sich daraus ergibt, ist, dass je stärker ein Land nach der Hegemonie strebt, bzw.
diese ausbaut, desto mehr ,,Gegengewichte" sich im internationalen System
bilden und versuchen, diese Entwicklung zu behindern, bzw. die Balance
wiederherzustellen. In diesem Sinne könnte die Bündnispolitik Chinas auch als
Reaktion auf das zunehmende Machtstreben der USA gedeutet werden,
welchem das internationale System mit der Schaffung einer neuen Multipolarität
zu begegnen versucht.
Die Stärke dieser Gegenbewegung hängt gemeinhin von dem Verhalten der
Hegemonialmacht ab. So lange die Hegemonialmacht durch eine kooperative
Gleichgewichtspolitik bemüht ist, ihre Position zu wahren, lassen sich die
anderen Großmächte oftmals in dieses System einbinden und versuchen, eine
Konfrontation zu vermeiden. Strebt der Hegemon jedoch nach globaler
Vorherrschaft, ist zu erwarten, dass die Gleichgewichtspolitik antagonistische
Züge
20
annimmt. Das unilaterale Vorgehen der USA im Laufe ihres ,,Feldzugs
gegen den Terror" hätte eine derartige Entwicklung vermuten lassen, doch
muss man hier zwischen geoökonomischen und geopolitischen Interessen
unterscheiden. Während ein sehr starker Interessensgegensatz im politischen
Bereich besteht, profitieren zurzeit noch alle Großmächte von den zwischen
ihnen bestehenden Handelsabkommen. Nur in den Bereichen des
Marktzugangs bzw. des Exports bestehen Differenzen z.B. zwischen den USA
18
Ferdowsi: Internationale Politik im 21. Jahrhundert, S. 34ff.
19
Ferdowsi: Internationale Politik im 21. Jahrhundert, S. 34
20
Wie z.B. die USA und die UdSSR zur Zeit des ,,Kalten Kriege"
13
und der VR China, welche jedoch durch die Unterstützung Chinas in Fragen der
US-Verschuldung zum größten Teil ausgeglichen werden
21
.
Besonders gefährlich sind diejenigen Differenzen, bei welchen sich
geopolitische und geoökonomische Spannungsfelder überlagern; was
besonders eklatant im Bereich der Ölbeschaffung der Fall ist, da der Zugang zu
den Ölfeldern und der Zugang zu den ölexportierenden Staaten meist ein und
dasselbe sind. Hier stellt sich die Frage, inwieweit die USA bereit sind, China in
die von ihr kontrollierten Gebiete vorzulassen, oder genauer, die Frage nach
dem Verhältnis der Mächte des Wandels zu denen des Beharrens.
c) Die ,,Mächte des Wandels und des Beharrens"
22
Neben dem Streben nach Macht bzw. Selbsterhaltung, welches allen
Großmächten gemeinsam ist, gibt es noch eine von K. Haushofer entwickelte
Kategorisierung, welche im Bezug auf die Prognose weltpolitischer
Spannungsfelder und zukünftiger Mächtegruppierungen von großer Bedeutung
ist.
Grundsätzlich muss man sich darüber im Klaren sein, dass das internationale
System einem ständigen Wandel unterworfen ist. Die Dynamik zwingt alle
bestehenden Mächte - und Wirtschaftsordnungen sich beständig zu verändern,
aufzusteigen oder unterzugehen. Viele Menschen verfallen dem Fehler, beim
Blick auf eine Weltkarte, die in ihr gezogenen Grenzen als endgültig zu
betrachten, während diese Karte kaum mehr als eine Momentaufnahme ist. Hat
man die Machtverteilung (Statik) im politischen Raum betrachtet und auch die
Kräfte, welche sie verändern - das Handeln der Staaten wird dabei neben der
Art ihres Machtstrebens vor allem auch von der demographischen und
wirtschaftlichen Entwicklung ihres Landes bestimmt- lassen sich die
Großmächte in drei große Kategorien einteilen:
1. Mächte des Wandels: Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie in
der Vergangenheit machtpolitisch an Bedeutung verloren hatten
(gar keine besaßen), oder Landesteile und Einflussregionen an
21
Durch den Aufkauf großer Dollarbestände und US-Staatsanleihen stützt die VR die expansive
amerikanische Geldpolitik.
22
Haushofer: Weltpolitik von heute, S. 56ff.; dort als ,,Mächte der Erneuerung und des Beharrens"
14
andere Mächte abtreten mussten. Durch politische,
demographische oder wirtschaftliche Entwicklungen sind sie
jedoch wieder im Aufsteigen begriffen und versuchen nun,
verlorene Macht zurück- oder neue hinzuzugewinnen. Außerdem
unterscheiden sie sich in ihren grundsätzlichen weltanschaulichen
Betrachtungen und Ansichten von den bestehenden Mächten und
Werten.
Das beste Beispiel hierfür ist gegenwärtig die VR China, aber
auch Indien und die islamischen Erneuerungsbewegungen in
verschiedenen Staaten.
2. Mächte des Beharrens: In diese Kategorie fallen besonders
Staaten, welche vom gegenwärtigen weltpolitischen System sehr
profitieren, bzw. die es geschaffen haben. Sie befinden sich meist
in einer Phase ideengeschichtlicher Stagnation, bzw. fällt es ihnen
schwer, Macht abzugeben. Ihr Ziel ist es, ihre bestehende
Vormachtstellung zu erhalten und die Machtentfaltung möglicher
Konkurrenten zu behindern.
In diese Kategorie würden besonders die USA, aber auch
Großbritannien
fallen.
3. Was zwischen den Gezeiten treibt: Hierunter werden diejenigen
Mächte verstanden, welche einem Wandel des weltpolitischen
Systems unentschlossen gegenüberstehen. Sie nehmen eine
Mittelstellung ein und tendieren einmal zur einen, einmal zur
anderen Seite, bis sie der Lauf der Weltgeschichte auf eine Seite
zwingt.
Die Mächte in diesem Feld sind etwa die EU (besser Deutschland
und Frankreich), sowie Russland und Japan.
Wendet man diese Klassifikation an, so erkennt man eine mögliche Frontlinie,
welche aufgrund der Interessenskonflikte zwischen den Mächten des Wandels
und denen des Beharrens verläuft. Dabei darf man nicht annehmen, dass eine
derartige Konstellation unbedingt die Art eines bewaffneten Konflikts annehmen
muss auch wenn derartige Differenzen sich oftmals in
15
,,Stellvertreterkriegen" niederschlagen. Vielmehr ist es zunehmend ein
wirtschaftlicher Wettbewerb, welcher von der Politik gefördert wird
23
.
Dabei ist jedoch die Tendenz, welche sich aus einer längerfristigen historischen
Betrachtung ergibt diejenige, dass die Mächte des Beharrens durch eine
Bündnispolitik, sowie durch das Pochen auf bestehende Verträge,
24
eine
Kräfteverschiebung im System zu verhindern trachten. Dies kann sowohl durch
Einbindung als auch Eindämmung der neu aufsteigenden Staaten geschehen.
Die Geschichte hat aber gezeigt, dass Länder, welche versuchten das
Bestehende zu bewahren und dabei nicht wandlungsfähig genug waren, immer
scheiterten.
d) Die Grenzen des wirtschaftlichen Wachstums
Als großen Rahmen bei der Beurteilung des wachsenden chinesischen
Ölbedarfs und seiner Auswirkung auf die Außenwirtschafts - und Geopolitik
Chinas möchte ich noch auf die Theorie der Grenzen des wirtschaftlichen
Wachstums
25
eingehen. Es ist hier nicht der Platz, um ausführlich auf die
vieldiskutierten malthusianischen Theorien des ,,Club of Rome" einzugehen,
26
welche sich v.a. auf die begrenzten natürlichen Ressourcen, sowie die
wachsende Weltbevölkerung konzentrieren. Deshalb werde ich die Aspekte
behandeln, die bei der Beurteilung der VR China besonders relevant sind.
Prinzipiell ist davon auszugehen, dass Öl kein ubiquitär verfügbarer Rohstoff ist,
und dass dessen Vorräte begrenzt sind. Somit wäre langfristig damit zu
rechnen, dass der Wettbewerb um den Ressourcenzugang an Intensität
zunimmt, bzw. dass das auf Öl gebaute Wachstum der Wirtschaft zeitlich
begrenzt ist und mit dem Rückgang der Ölproduktion auch ein Rückgang des
23
Sehr langfristig betrachtet kommt noch das Moment demographische Entwicklung und des Phänomen
der internationalen Wanderungen hinzu.
24
Welche zu einer Zeit abgeschlossen wurden als diese Mächte alleinbestimmend waren, z.B. die USA
nach dem 2. Weltkrieg
25
Wachstum wird hier als ,,eine Veränderung der Produktion an Gütern und Dienstleistungen eines Jahres
im Vergleich zum Vorjahr" verstanden; nach Neubäumer, R./Hewel, B., VWL: Grundlagen der VWL
und VWL-Polit., 2001, S. 413 definiert.
26
Meadows: The Limits of Growth,
http://www.clubofrome.org/archive/reports.php
, gesehen am
23.05.2005
16
Wirtschaftswachstums zu erwarten ist - was langfristig betrachtet sogar bei
steigender Energieeffizienz der Fall
27
sein dürfte.
Ergänzend zu dieser Sichtweise gibt es auch noch den Ansatz, welcher besagt,
dass seit Ende der 80er Jahre in den westlichen Industrienationen kein
extensives Wirtschaftswachstum
28
mehr stattgefunden hat, da der Konsum
stagnierte, bzw. die Märkte gesättigt waren. Es konnte nur noch durch die
überproportionale Steigerung der Aktien und Kapitalmärkte ,,Wachstum" erzeugt
werden
29
. Dies hatte zur Folge, dass der Wettbewerb in den ,,alten" Märkten zu
einem Verdrängungswettbewerb wurde. Erst durch die Erschließung Chinas für
die Weltwirtschaft wurde dieses Problem vorübergehend gelöst. China ist einer
der wenigen Märkte, auf welchem noch ein extensives Wirtschaftswachstum
möglich ist - das Wissen um diese Tatsache gibt der VR China eine sehr gute
Verhandlungsposition in internationalen Gremien, wie z.B. der WTO. Doch
findet ebenfalls eine starke Verlagerung von Produktionskapazitäten aus den
Industrie-ländern nach China statt, so dass viele Länder schon eine
,,Aushöhlung" ihrer Industrie befürchten. Dies würde dann jedoch ein
schwächeres Wachstum des Importbedarfs an Rohöl in den westlichen Ländern
zur Folge haben und den Wettlauf um die Rohstoffe mit China mildern.
27
Die Grenzen des Wachstums,
http://lexikon.freenet.de/Grenzen_des_Wachstums
, gesehen am
23.05.2005
28
Die westliche Wirtschaft ist jedoch auf ein stetiges Wirtschaftswachstum angewiesen.
29
Sieren: Der China Code, S. 34
17
II. Teil
,,Strong economic growth across the globe and new
global demands for energy have meant the end of
sustained surplus capacity in hydrocarbon fuels and
the beginning of capacity limitations"
JAMES.A. BAKER 2001
18
II. Die Entwicklung des chinesischen Energie-
sektors und aktuelle Herausforderungen
Bevor die geostrategischen Zwänge analysiert werden können, welche durch
den zunehmenden Energiebedarf der VR China auferlegt werden, ist es
notwendig, zunächst die Bedeutung des Öls für den chinesischen Energiesektor
zu bewerten und es dann in einen Kontext mit den anderen verfügbaren
Energieträgern zu setzen.
a) Historische Entwicklung der Ölproduktion: Vom Exporteur zum
Importeur
Energieträger auf Kohlenwasserstoffbasis (Erdöl und Erdgas) sind für eine
moderne Zivilisation, einen modernen Staat, unentbehrliche Grundlagen seiner
Macht und seines Wohlstandes. Nach Schätzungen wurden 1999 95% des
gesamten weltweiten Transportaufkommens durch Öl angetrieben
30
. Für die
Petrochemie, die Herstellung von Kunststoffen oder auch für die Landwirtschaft
(sowohl als Antriebsmittel für die Maschinen als auch zur Herstellung von
Kunstdünger) ist es, bisher, durch nichts zu ersetzen.
China war bis 1949 in seiner Ölversorgung fast ausschließlich auf Importe
angewiesen. Der Beginn der nationalen Ölförderung vollzog sich weitgehend
parallel zur Entwicklung der Volksrepublik während der zweiten Hälfte des 20.
Jahrhunderts. In dem Jahr in welchem Mao Zedong die VR ausrief, förderte
diese nur 0.88 Millionen Tonnen Rohöl/Jahr
31
, doch setzte mit der
Machtergreifung der Kommunisten neben dem Aufbau der Schwerindustrie eine
verstärkte Suche nach Ölquellen ein, welche im Besonderen auch von dem
Autarkiestreben der neuen Regierung getrieben wurde. Während der 60er und
70er Jahre wurden, vor allem im Nordosten Chinas, eine Vielzahl neuer und
ergiebiger Quellen gefunden, was zu einem sprunghaften Anstieg der
30
Ducan: The Peak of World Oil Production and the Road to Olduvai Gorge,
www.hubbertpeak.com/Ducan/olduvai2000.htm
, gesehen am 05.08.2005
31
China- Exploration/Development History,
http://www.ccop.or.th/epf/china/china_explor.html
, gesehen
am 27.05.2005
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Originalausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2005
- ISBN (eBook)
- 9783832495619
- ISBN (Paperback)
- 9783838695617
- DOI
- 10.3239/9783832495619
- Dateigröße
- 1.6 MB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Universität Duisburg-Essen – Biologie und Geographie, Geographie
- Erscheinungsdatum
- 2006 (Mai)
- Note
- 2,3
- Schlagworte
- erdgas energie iran japan zentralasien