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Einflussgrößen auf die sensomotorische Adaptation, Kognition und Propriozeption

©2005 Doktorarbeit / Dissertation 144 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Die Aneignung kognitiver und motorischer Fähig- und Fertigkeiten spielt in der Entwicklung des Menschen eine zentrale Rolle. Nicht nur im Sport, sondern auch in vielen anderen alltäglichen und beruflichen Situationen müssen neue Dinge und Bewegungen erlernt oder bereits bekannte verändert oder verbessert werden. So erfordern wechselnde Pistenqualitäten beim Skifahren ebenso eine ständige Anpassung wie das Laufen auf verschiedenen Untergründen oder die Benutzung eines Touch-Pads eines neuen Laptops anstatt der gewohnten Maus.
Für jeden von uns ist es demnach normal, Bewegungsabläufe neu zu erlernen oder anzupassen. Oft geschieht das nebenbei und unbewusst. Aber was geht dabei vor sich? Wie läuft dieses Lernen ab und wovon wird es beeinflusst? Hat das, was wir früher gelernt haben, einen Einfluss auf das Lernen neuer Dinge?
Zu einigen dieser Fragen gibt es wissenschaftliche Untersuchungen, doch sowohl viele Mechanismen des Lernens als auch Einflussfaktoren auf das Lernen sind bis heute noch unklar. Mit den einzelnen Experimenten dieser Arbeit werden Grundlagen des motorischen Lernens untersucht, vor allem im Hinblick auf die Rolle der Kognition und der Propriozeption.
Zusammenfassung:
In der vorliegenden Arbeit wurden verschiedene Aspekte der sensomotorischen Adaptation untersucht, vor allem die Rolle der Kognition und der Propriozeption.
Zwei Vorexperimente schafften zunächst wichtige Grundlagen für die folgenden Experimente: Zum einen sollte eine geeignete Verteilung von Zielpunkten bei Experimenten mit Zeigebewegungen gefunden und zum anderen die Wirkung eines elastischen Stabes als mechanische Störung erprobt werden.
Anschließend wurde die Rolle der Kognition bei der sensomotorischen Adaptation mit Hilfe der Doppelaufgaben-Methode unter Benutzung verschiedener Reaktionsaufgaben als Zweitaufgabe hinterfragt. In den letzten drei Experimenten dieser Arbeit wurde mit Vibration gearbeitet. Dabei wurde zuerst die Wirkung eines Vibrationsaufbaus auf die Propriozep-tion und danach die Rolle der Propriozeption bei der Adaptation an eine visuelle und eine mechanische Störung untersucht.
Die Ergebnisse der durchgeführten Experimente lassen folgende Rückschlüsse auf die sensomotorische Adaptation zu: Bei der Adaptation an Rotationen der visuellen Rückmeldung und deren Transfer auf ungeübte Bewegungsrichtungen spielt die Anzahl der Ziele bei Zeigebewegungen eine wichtigere Rolle als deren Verteilung im Arbeitsraum. Außerdem […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 9306
Pipereit, Katja: Einflussgrößen auf die sensomotorische Adaptation, Kognition und
Propriozeption
Druck Diplomica GmbH, Hamburg, 2006
Zugl.: Deutsche Sporthochschule Köln, Dissertation / Doktorarbeit, 2005
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verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen.
Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2006
Printed in Germany

Lebenslauf
Persönliche Daten
Name Katja
Pipereit
Anschrift
Aachener Straße 336
50933
Köln
Geburtsdatum 27.02.1976
Geburtsort Osnabrück
Familienstand ledig
Akademische Laufbahn
1982 ­ 1986
Grundschule Hellern, Osnabrück
1986 ­ 1988
Orientierungsstufe ,,In der Wüste", Osnabrück
1988 ­ 1995
Ratsgymnasium, Osnabrück; Abschluss: Abitur
WS 1995/96
Immatrikulation an der Universität zu Köln
Lehramtsstudiengang
Sonderpädagogik mit dem Fach Englisch
SS 1996
Immatrikulation an der Deutschen Sporthochschule Köln
Lehramtsstudiengang
Sport
SS 1997
Wechsel zum Diplomstudiengang Sportwissenschaft
SS 2001
Abschluss Diplom Sportwissenschaft
SS 2002
Immatrikulation an der Deutschen Sporthochschule Köln
Promotionsstudium
WS 2004
Examensprüfungen Englisch und Erziehungswissenschaft
Studienbegleitende Tätigkeit an der Deutschen Sporthochschule Köln
07/2000 ­ 08/2001
Studentische Hilfskraft am Institut für Sportsoziologie
Berufliche Tätigkeit
09/2001 ­ 02/2003
Wissenschaftliche Hilfskraft an der Deutschen Sporthochschule
Köln im Physiologischen Institut
02/2003 ­ 08/2005
Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Deutschen Sporthoch-
schule Köln im Institut für Physiologie und Anatomie
Köln,
im
Oktober
2005
_________________
Katja
Pipereit

Teile dieser Arbeit sind bereits, mit Einverständnis des ehemaligen Vorsitzenden des
Promotionsausschusses Herrn Prof. Dr. H.-D. Horch, bei der Zeitschrift Experimental
Brain Research zur Veröffentlichung eingereicht und auf folgenden Kongressen als
Posterpräsentation veröffentlicht worden:
32
nd
Annual Meeting of the Society for Neuroscience, Orlando (2002)
Symposium ,,Neuro-Visionen ­ Perspektiven in NRW", Düsseldorf (2003)
6
th
IBRO World Congress of Neuroscience, Prag (2003)
Symposium ,,Neuro-Visionen 2 ­ Perspektiven in NRW", Düsseldorf (2004)
6th Meeting of the German Neuroscience Society, Göttingen (2005)
European Workshop Of Movement Science, Wien (2005)
Pipereit K, Bock O, Vercher JL (akzeptiert, in Revision) The contribution of proprio-
ceptive feedback to sensorimotor adaptation. Exp Brain Res
Diese Arbeit wurde mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung
(Förderkennzeichen 50WB9942) und mit Mitteln der DFG (Förderkennzeichen BO
649/8) gefördert.

Abkürzungsverzeichnis
EA
Einzelaufgabe
FB
Folgebewegung
DA
Doppelaufgabe
KTR
Kontrolle
L / R
links / rechts
LA
Lernaufgabe
n.s.
nicht
signifikant
RA
Reaktionsaufgabe
RM
Rückmeldung
RMS-Fehler Root Mean Square-Fehler
V / H
vorne / hinten
V
kompo
Kompositionsvorteil
V
deko
Dekompositionsvorteil
VIB
Vibration
ZA
Zweitaufgabe
ZB
Zeigebewegung
Gleichungsverzeichnis
Gl. 1:
Gleichung für die Berechnung des RMS-Fehlers... 35
Gl. 2:
Gleichung für die Berechnung des prozentualen Transfers... 43
Gl. 3:
Gleichung für die Berechnung des Kompositions- und
Dekompositionsvorteils...
54
Tabellenverzeichnis
Tab. 1: Überblick über die Probanden der einzelnen Experimente... 29
Tab. 2: Ablauf des Experiments A... 42
Tab. 3: Ablauf des Experiments B... 53
Tab. 4: Ablauf des Experiments C am zweiten Tag... 65
Tab. 5: Ablauf des Experiments D am zweiten Tag... 74
Tab. 6: Ablauf des Experiments F... 88
Tab. 7: Ablauf des Experiments G... 94

Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Schematische Darstellung der beiden Varianten des Versuchsaufbaus... 30
Abb. 2: Aufbau des DA-Experiments mit Zeigebewegungen... 34
Abb. 3: Rohdaten von Bewegungen des Zielpunkts und des Fadenkreuzes... 35
Abb. 4: Rohdaten von Bewegungen des Fadenkreuzes bei Zeigebewegungen... 36
Abb. 5: Darstellung der Berechnung des Fehlerwinkels bei Zeigebewegungen... 36
Abb. 6: Beispiel einer Anpassungsfunktion... 38
Abb. 7: Gruppeneinteilung am ersten Testtag... 41
Abb. 8: Zeitlicher Verlauf des Zeigefehlers der vier Gruppen A-D... 43
Abb. 9: Ergebnis des Post hoc-Tests... 44
Abb. 10: Zeitlicher Verlauf des Zeigefehlers der beiden Gruppen -45° und +45°... 45
Abb. 11: Prozentualer Transfer auf das ungeübte Feld... 46
Abb. 12: Schematische Darstellung des Versuchsaufbaus in Experiment B... 52
Abb. 13: Zeitlicher Verlauf des Zeigefehlers der vier Gruppen... 55
Abb. 14: Zeitlicher Verlauf der linearen Distanz der vier Gruppen... 56
Abb. 15: Zeitlicher Verlauf der Maximalgeschwindigkeit der vier Gruppen... 57
Abb. 16: Zeitlicher Verlauf des Zeigefehlers aller Probanden am zweiten Tag... 66
Abb. 17: Verlauf der
RMS-Fehler Experiment C... 67
Abb. 18: Verlauf der Reaktionszeiten der verschiedenen RA Experiment C... 68
Abb. 19: Zeitlicher Verlauf des Zeigefehlers am zweiten Tag Experiment D... 75
Abb. 20: Verlauf der
Zeigefehler Experiment D... 76
Abb. 21: Verlauf der Reaktionszeiten der verschiedenen RA Experiment D... 77
Abb. 22: Sitz der Vibratoren... 82
Abb. 23: Im Experiment benutzte Formen... 83
Abb. 24: Ergebnisse des Erfühlens von Formen... 84
Abb. 25: Ergebnisse der Druckeinschätzung... 85
Abb. 26: Ergebnisse der Winkelreproduktion... 86
Abb. 27: Zeitlicher Verlauf des initialen Zeigefehlers der beiden Gruppen... 89
Abb. 28: Zeitlicher Verlauf der Standardabweichung des initialen Zeigefehlers (F) 90
Abb. 29: Darstellung des Roboteraufbaus... 93
Abb. 30: Rohdaten der Zeigebewegungen... 95
Abb. 31: Verlauf des initialen Zeigefehlers Experiment G... 95
Abb. 32: Zeitlicher Verlauf der Standardabweichung des initialen Zeigefehlers (G) 97

Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung...
1
1.1 Motorisches Lernen... 1
1.2 Mechanismen der sensomotorischen Adaptation...
3
1.2.1 Strategische Anpassung und Rekalibrierung...
6
1.2.2 Auswirkungen aufeinander folgender Adaptationsvorgänge...
8
1.3 Phasen des motorischen Lernens und die Doppelaufgaben-Methode...
15
1.4 Rolle der Propriozeption bei der sensomotorischen Adaptation...
20
1.4.1 Die Propriozeption... 21
1.4.2 Einfluss der Propriozeption auf die sensomotorische Adaptation...
21
1.5 Intention dieser Arbeit...
25
2 Experimente...
28
2.1 Experimentübergreifende Methodik...
28
2.1.1 Versuchspersonen...
28
2.1.2 Versuchsaufbau...
29
2.1.3 Versuchsablauf...
30
2.1.4 Auswertung...
34
2.2. Vorexperimente...
40
2.2.1 Einfluss der Zielpunktverteilung bei Zeigebewegungen...
40
2.2.1.1 Spezielle Methodik...
40
2.2.1.2 Ergebnisse...
43
2.2.1.3 Diskussion...
46
2.2.2 Erprobung eines elastischen Stabes als elastische Störung...
51
2.2.2.1 Spezielle Methodik...
52
2.2.2.2 Ergebnisse...
55
2.2.2.3 Diskussion...
58
2.3 Experimente zur Kognition...
63
2.3.1 Ressourcenbedarf bei einer Doppelaufgabe mit Folgebewegungen...
63
2.3.1.1 Spezielle Methodik...
64
2.3.1.2 Ergebnisse...
66
2.3.1.3 Diskussion...
69

2.3.2 Ressourcenbedarf bei einer Doppelaufgabe mit Zeigebewegungen...
72
2.3.2.1 Spezielle Methodik...
72
2.3.2.2 Ergebnisse...
75
2.3.2.3 Diskussion...
78
2.4 Experimente zur Propriozeption...
81
2.4.1 Auswirkung von Vibration auf die propriozeptive Rückmeldung...
81
2.4.1.1 Methodik und Ergebnisse... 81
2.4.1.2 Diskussion...
86
2.4.2 Auswirkung von Vibration auf die Adaptation an eine visuelle Störung...
87
2.4.2.1 Spezielle Methodik...
87
2.4.2.2 Ergebnisse...
88
2.4.2.3 Diskussion...
90
2.4.3 Auswirkung von Vibration auf die Adaptation an eine mechanische Störung
93
2.4.3.1 Spezielle Methodik...
93
2.4.3.2 Ergebnisse...
94
2.4.3.3 Diskussion...
97
3 Experimentübergreifende Diskussion... 100
3.1 Diskussion der Ergebnisse und Ausblick... 100
3.2 Kritische Betrachtung der Methodik... 106
3.3 Praktische Relevanz...
107
4 Zusammenfassung... 110
5 Literaturverzeichnis... 112
6 Anhang... 120

1
Einleitung
1
1 Einleitung
Die Aneignung kognitiver und motorischer Fähig- und Fertigkeiten spielt in der Ent-
wicklung des Menschen eine zentrale Rolle. Nicht nur im Sport sondern auch in vielen
anderen alltäglichen und beruflichen Situationen müssen neue Dinge und Bewegun-
gen erlernt oder bereits bekannte verändert oder verbessert werden. So erfordern
wechselnde Pistenqualitäten beim Skifahren ebenso eine ständige Anpassung wie
das Laufen auf verschiedenen Untergründen oder die Benutzung eines Touch-Pads
eines neuen Laptops anstatt der gewohnten Maus.
Für jeden von uns ist es demnach normal, Bewegungsabläufe neu zu erlernen oder
anzupassen. Oft geschieht das nebenbei und unbewusst. Aber was geht dabei vor
sich? Wie läuft dieses Lernen ab und wovon wird es beeinflusst? Hat das, was wir
früher gelernt haben, einen Einfluss auf das Lernen neuer Dinge? Zu einigen dieser
Fragen gibt es wissenschaftliche Untersuchungen, doch sowohl viele Mechanismen
des Lernens als auch Einflussfaktoren auf das Lernen sind bis heute noch unklar. Mit
den einzelnen Experimenten dieser Arbeit werden Grundlagen des motorischen Ler-
nens untersucht, vor allem im Hinblick auf die Rolle der Kognition und der Propriozep-
tion.
In dieser Einleitung werden zunächst alle für diese Arbeit wichtigen Aspekte erläutert
und relevante bisherige Studien beschrieben und diskutiert. Im Anschluss daran wird
die Intention dieser Arbeit definiert und die sich daraus ergebenden Fragestellungen
vorgestellt.
1.1 Motorisches Lernen
Das motorische Lernen ist ein komplexeres Gebiet, als von vielen angenommen wird.
Dieses macht die Aussage von Pöhlmann (1994, S.11) deutlich: ,,Es ist nicht richtig zu
glauben, daß man über (motorisches) Lernen alles weiß, nur weil man in der frühen
Kindheit gelehrt wurde, die Schuhe richtig zu schnüren und es trotz zunehmender
Mühen auch jetzt noch selbst kann." Das motorische Lernen wird von vielen Autoren
beschrieben und dabei auf unterschiedliche Art definiert. Gemeinsam ist den meisten

1
Einleitung
2
Definitionen die Nennung interner Prozesse, die auf Übung und Erfahrung beruhen
und relativ dauerhaft sind (Meinel und Schnabel 1998; Schmidt und Lee 1999). Die
Lernprozesse können dabei implizit und explizit ablaufen. Implizite Prozesse laufen
ohne die Beteiligung des Bewusstseins ab, also ohne direkten Zugriff auf bereits vor-
handene Gedächtnisinhalte. Als explizites Lernen wird dagegen die bewusste Ausei-
nandersetzung mit den Lerninhalten bezeichnet. Beide Prozesse können isoliert, aber
auch kombiniert vorkommen, wie in der Einteilung von Leonard (1998) deutlich wird,
der zwischen vier verschiedenen Arten des motorischen Lernens unterscheidet. Zu-
erst nennt er die Adaptation, welche die Fähigkeit eines Individuums beschreibt, eine
motorische Antwort als Reaktion auf veränderte sensorische Informationen in der
Umwelt anzupassen. Dies kann entweder bewusst geschehen oder automatisch und
unbewusst, wie es häufig der Fall ist, z. B. nach Verschreibung einer neuen Brille. Als
zweites nennt Leonard die konditioniert-assoziativen Antworten. Diese Art des Ler-
nens bezeichnet er als adaptiv und automatisch. Ein Beispiel dieser Lernart ist der
Pavlow'sche Hund, der gelernt hat, das Klingeln einer Glocke mit der Fütterung zu
verbinden. Nach einer Lernphase war er so konditioniert, dass bereits das Glocken-
klingeln für seinen Speichelfluss ausreichte. Das nicht-assoziative Lernen beinhaltet
Gewöhnung und Sensibilisierung auf wiederholte Reize. Hierbei wird die Unterdrü-
ckung einer Antwort auf einen Reiz als Gewöhnung bezeichnet, und die Verstärkung
einer Antwort auf einen Reiz als Sensibilisierung, wobei letzteres häufig mit Schmer-
zen assoziiert wird. Das Erlernen motorischer Fertigkeiten nennt Leonard als vierte
Form. Gemeint ist damit die Formierung neuer Bewegungssequenzen mit dem Ziel
schneller, genauer und effizienter zu werden. Letzteres ist die komplexeste Art des
motorischen Lernens und umfasst häufig auch einige der mit den anderen Lernarten
verbundenen Mechanismen.
Im täglichen Leben ist es nicht immer leicht, diese verschiedenen Formen des motori-
schen Lernens exakt voneinander zu trennen. Handelt es sich beim Erlernen des In-
line-Skatens z. B. um das Erlernen einer neuen Fertigkeit oder ist es ,,nur" die Adapta-
tion an die Rollen? In dieser Arbeit werden die Begriffe Adaptation und motorisches
Lernen synonym benutzt.
Ein wichtiger und häufig diskutierter Faktor beim motorischen Lernen ist die Rück-
meldung. Hierbei wird zwischen der exterozeptiven und der propriozeptiven Rück-

1
Einleitung
3
meldung unterschieden (Schmidt 1991). Erstere beinhaltet Informationen, die von
außerhalb des Körpers kommen, wobei die wichtigste die visuelle Rückmeldung ist.
Letztere beinhaltet die Sammlung aller sensorischer Informationen aus unserem Kör-
per, wie z. B. die relative Position und Bewegung von Gelenken, die Spannung in
Muskeln und die Orientierung im Raum. Körperbewegungen können im offenen Re-
gelkreis (open-loop) oder im geschlossenen Regelkreis (closed-loop) erfolgen. Auf
der einen Seite gibt es Bewegungen, die auf Grund der kurzen Zeitspanne, in der sie
ablaufen, nicht während der Ausführung angepasst werden können. Diese werden als
open-loop bezeichnet (Pew 1966; Schmidt 1976). Es findet also keine direkte Ver-
besserung mit Hilfe der Rückmeldung statt. Beispiele solcher ballistischer, nur den
Bruchteil einer Sekunde dauernder, unkorrigierter Bewegungen sind fast alle Aktionen
im Fechtsport, besonders aber Paraden, bei denen man den Ablauf nicht selbst plant,
sondern nur auf Aktionen des Gegners reagiert. Für gut bekannte Situationen schei-
nen demnach motorische Programme zur Verfügung zu stehen, die dann ohne Ein-
flussnahme ablaufen. Zu diesem Bereich gehören sowohl ballistische Bewegungen
wie Zeigebewegungen als auch Bewegungen ohne visuelle Rückmeldung. Auf der
anderen Seite gibt es die closed-loop Bewegungen, bei denen einmal erlernte Bewe-
gungen eine Spur hinterlassen, die ständig mit dem Handlungsresultat verglichen und
verändert werden kann (Pew 1966; Adams 1971; Schmidt 1976). Besteht eine Dis-
krepanz zwischen dem Soll- und dem Istwert, wird die Spur solange modifiziert, bis
sie übereinstimmen. Da dieses während der Bewegung geschieht, spielt die visuelle
Rückmeldung eine entscheidende Rolle. Es handelt sich somit um einen geschlosse-
nen Regelkreis wie er z. B. bei Folgebewegungen mit visueller Rückmeldung vor-
kommt. Bei der Erklärung von Bewegungshandlungen können diese beiden Theorien
allerdings meistens nicht voneinander getrennt werden, sondern es sind gleichzeitig
sowohl Anteile von Programmsteuerung (open-loop Modell) als auch von willkürlicher
Steuerung (closed-loop Modell) vorhanden.
1.2 Mechanismen der sensomotorischen Adaptation
Die Anpassung von Bewegungen an neue Situationen geschieht auf Grund der
Rückmeldung, die z. B. visuell, auditiv oder propriozeptiv sein kann. Kommt es durch

1
Einleitung
4
eine Störung zu einer Abweichung der Rückmeldung von der beabsichtigten Bewe-
gung, so führt dies zu einer Änderung des Verhaltens. Die Speicherung der an die
neue Situation angepassten Bewegung findet dabei nach Meinung einiger Autoren
nicht einfach nur im motorischen Gedächtnis statt. Sie umschreiben die neuronalen
Repräsentationen des Gelernten mit der Metapher eines internen Modells (Shadmehr
und Mussa-Ivaldi 1994; Wolpert et al. 1995; Flanagan et al. 1999; Krakauer et al.
1999; Imamizu et al. 2000; Ito 2000). Da die Metapher interner Modelle jedoch die
Vorstellung konkreter, abgegrenzter Modelle hervorruft, kann diese Beschreibung
besser durch den deskriptiven Begriff der sensomotorischen Transformationsregeln
(Bock et al. 2005c) ersetzt werden. Sie sorgen gewissermaßen dafür, dass eine be-
absichtigte Bewegung mit Hilfe eines gespeicherten Musters von Kräften und Dreh-
momenten, die auf die beteiligte Muskulatur wirken, entsteht. Solche Regeln bleiben
lange im Gedächtnis erhalten und stehen dem motorischen System für die Bewe-
gungsplanung zur Verfügung. Sie können bei Bedarf wieder abgerufen, verändert
oder erweitert werden. Diese Änderungen bedeuten für unser Gehirn allerdings einen
Rechenaufwand (siehe Kapitel 1.3, Phasen des motorischen Lernens). Verfügt ein
neues Auto z. B. über eine Servolenkung oder ein elektrisches Bremssystem, so ist
es lebenswichtig, sich schnellstmöglich darauf einzustellen. Dafür ist es nötig, durch
eine adaptive Veränderung der Transformationsregeln diese Diskrepanz zwischen
dem Bekannten und dem Neuen zu überwinden, also die eigene Handlung wieder mit
der erwarteten sensorischen Konsequenz in Übereinstimmung zu bringen. Sollen sol-
che Adaptationsleistungen nun wissenschaftlich untersucht werden, muss das Lernen
unter kontrollierten reproduzierbaren Bedingungen im Labor stattfinden. Dabei wird
meistens auf erprobte Störungen zurückgegriffen, bei denen ein künstlich erschaffe-
nes Missverhältnis zwischen der beabsichtigten Handlung und der daraus resultie-
renden Rückmeldung die Adaptation induziert. Der Proband lernt also, seine Trans-
formationsregeln so zu verändern, dass er das gewünschte Ziel erreicht. Die adapti-
ven Prozesse, die dabei im zentralen Nervensystem ablaufen, halten so lange an, bis
Handlung und Wahrnehmung nicht mehr im Widerspruch zueinander stehen (Bock
2001).
Bereits 1897 zeigte Stratton in einem Selbstversuch mit einer Prismenbrille, dass
Menschen ihr Handeln auf Grund externer Störungen verändern und sich neuen Situ-
ationen anpassen können. Inzwischen ist bekannt, dass diese Adaptation nicht nur an

1
Einleitung
5
verschiedene visuelle Störungen (Kohler 1964; Bock 1992; Roby-Brami und Burnod
1995; Pine et al. 1996; Abeele und Bock 2001a; Seidler et al. 2001) sondern auch an
mechanische Störungen (Lackner und DiZio 1994; Shadmehr und Mussa-Ivaldi 1994;
Brashers-Krug et al. 1996; Gandolfo et al. 1996) möglich ist. Die visuelle Rückmel-
dung erfolgt in den meisten Studien über ein Fadenkreuz. Bei beiden Störungsna-
turen, visuell und mechanisch, wird jeweils noch zwischen zwei Arten, positions- und
nicht-positionsabhängig, unterschieden. Bei den visuellen Störungen gehören sowohl
Prismenbrillen als auch Rotationen und Spiegelungen der visuellen Rückmeldung zu
den positionsabhängigen Störungen (Kitazawa et al. 1997; Eversheim und Bock
2001). Dabei entspricht jeder Punkt auf der Soll-Bahn genau einem Punkt auf der ab-
gelenkten Bahn, so dass eine Position der Hand genau zu einer Position des Faden-
kreuzes gehört. Zu den nicht-positionsabhängigen Störungen gehören z. B. ge-
schwindigkeitsabhängige Störungen. Dabei bewirkt die
Geschwindigkeit der Hand
eine proportionale Ablenkung des Fadenkreuzes (Bock und Thomas, in Vorberei-
tung). Bei den positionsabhängigen mechanischen Störungen entsteht die Ablenkung
z. B. durch einen elastischen Stab, bei dem jeder Position genau eine Rückstellkraft
zuzuordnen ist. Zu den nicht-positionsabhängigen mechanischen Störungen gehört
z. B. die Corioliskraft, die bei Bewegungen in einem rotierenden System auftritt. Dabei
bestimmt die Bewegungsgeschwindigkeit der Hand die ablenkende Kraft (Bourdin et
al. 2001).
Wird eine Störung eingeführt, so nimmt die Genauigkeit der über die visuelle Rück-
meldung gezeigten jeweiligen Bewegung zuerst stark ab und wird mit anhaltender
Übung langsam wieder besser. Grafisch dargestellt werden die Ergebnisse solcher
Tests in Kurven, wobei auf der Abszisse z. B. die Zeit oder einzelne Testabschnitte
aufgetragen werden und auf der Ordinate die Maßeinheit der jeweils untersuchten
Variable. Hierbei kann die Verbesserung entweder in Form einer ansteigenden Kurve
(z. B. für Trefferzahlen) oder in einer abfallenden Kurve (z. B. für Reaktionszeiten
oder Fehler) dargestellt werden. In den meisten Fällen handelt es sich um eine Expo-
nentialfunktion. Während bei der Beschreibung solcher Kurven im englischen Sprach-
raum ,,performance" und ,,learning" voneinander abgegrenzt werden (Willingham et al.
1997), ist die Verwendung dieser Begrifflichkeiten im Deutschen häufig nicht eindeu-
tig. Die Bezeichnung Lernkurven ist nicht zutreffend, da neben dem Gelernten sehr
viele situative Merkmale, wie z. B. Müdigkeit oder Stress Einfluss auf den Kurvenver-

1
Einleitung
6
lauf haben und dieser somit nicht den reinen Lernerfolg darstellt. Die Bezeichnung
Leistungskurven stellt fälschlicherweise einen Leistungsaspekt in den Vordergrund.
Am ehesten scheint der Begriff Adaptationskurven angemessen, denn er beschreibt
am besten, was die Kurven darstellen, nämlich die Adaptation an verschiedene Stö-
rungen. Daher werden solche Kurven in dieser Arbeit Adaptationskurven genannt.
1.2.1 Strategische Anpassung und Rekalibrierung
Eine Adaptation an verschiedene Störungen, und somit eine Verbesserung der Be-
wegungsgenauigkeit, kann durch zwei verschiedene Prozesse entstehen (Redding
und Wallace 1996; McNay und Willingham 1998). Einerseits gibt es eine strategische
Anpassung durch kognitive Herangehensweisen an die Störung oder durch Korrektu-
ren auf Grund visueller Rückmeldung. Andererseits wird die Rekalibrierung beschrie-
ben, bei der es durch neuronale Vorgänge zu dauerhaften Veränderungen der Trans-
formationsregeln kommt. Erstere sind abhängig von der visuellen Rückmeldung und
sind aufgabenspezifisch, letztere bleiben auch ohne die visuelle Kontrolle erhalten
und können in verschiedenen Kontexten angewandt werden. Es wird angenommen,
dass die Adaptation beide Prozesse beinhaltet. Eine Unterscheidung zwischen der
Adaptation durch strategische Anpassung und Rekalibrierung kann mit Hilfe von Un-
tersuchungen der Nacheffekte erfolgen. Die Terminologie für diese Art von Untersu-
chungen ist in der Literatur nicht einheitlich. In dieser Arbeit ist der Begriff Nacheffekte
der Oberbegriff, der alle genannten Tests umfasst, auch wenn in der Literatur einzel-
ne Tests und Effekte als Nacheffekt beschrieben werden, wie z. B. die Deadaptation
bei Shadmehr und Mussa-Ivaldi (1994).
Eine Möglichkeit, Nacheffekte zu kontrollieren, ist die Persistenz, auch Beständigkeit
genannt. Sie wird mit oder ohne kurze Pause im Anschluss an eine Adaptationsphase
getestet. Hierbei arbeiten die Probanden ohne visuelle Rückmeldung. Untersucht und
dargestellt werden kann die Persistenz auf zwei verschiedene Weisen. Entweder wird
der Unterschied zu der Grundbedingung gemessen, so dass das von der Adaptation
Behaltene und Gespeicherte negativ aufgetragen wird, oder es wird weiterhin von der
Störung ausgegangen, so dass das Behaltene positiv aufgetragen wird und mit dem
vorherigen Fehler verglichen werden kann. Letztere Vorgehensweise wird in dieser
Arbeit benutzt. Das Experiment von Bock (2005) ist ein gutes Beispiel dafür, dass die

1
Einleitung
7
Persistenz über den Anteil von Rekalibrierung und strategischer Anpassung an der
Adaptation Aufschluss geben kann. Die Ergebnisse zeigten, dass die Adaptation der
älteren Menschen sowohl langsamer als auch unvollständiger war als die der jungen
Menschen. Da sich die Größe der Persistenz der beiden Gruppen jedoch nicht unter-
schied, und sich die besseren Ergebnisse der Jüngeren anschließend auch bei einer
Folgeaufgabe zeigten, schloss Bock daraus, dass bei den Älteren nicht die Reka-
librierung sondern die strategische Kontrolle verringert ist.
Die Retention, auch Bewahrung genannt, ist eine weitere Möglichkeit zur genaueren
Untersuchung der Adaptation. Sie wird in der Literatur als die Fähigkeit des Gedächt-
nisses beschrieben, Erlerntes zu behalten und bei Bedarf wieder abrufen zu können
(Brashers-Krug et al. 1996; Bock 2001). In der Praxis ist dieses Phänomen sehr wich-
tig, da wir häufig auf früher gelernte Dinge zurückgreifen und erwarten, sie noch aus-
führen zu können, wie z. B. Radfahren oder Schwimmen. Auch in Laborstudien wird
dieses Phänomen der Retention untersucht. Bock et al. (2001) beschrieben eine Stu-
die, in der sie Folgebewegungen und visuelle Störungen benutzten. Sie fanden, dass
das Gelernte Minuten später und sogar einen Monat später noch größtenteils vorhan-
den war. Wigmore et al. (2002)
zeigten, dass die Adaptation, die in Folge einer visuel-
len 30°-Drehung stattfand, in einer zweiten Testung nach 24 Stunden einen geringe-
ren Anfangsfehler aufwies als bei dem ersten Lernen der Störung. Die gelernten Zu-
sammenhänge wurden also gespeichert und konnten am nächsten Tag wieder abge-
rufen werden. Für mechanische Störungen zeigten Shadmehr und Brashers-Krug
(1997) die Retention. Sie arbeiteten mit Zeigebewegungen in einem Drehkraftfeld. In
einer Adaptationsphase konnten alle Probanden ihre Bewegungen verbessern und
zeigten ähnliche Bewegungen wie ohne das Kraftfeld. Da nach fünf Monaten das Ge-
lernte immer noch abgerufen werden konnte, schlossen die Autoren daraus, dass
sich in der ersten Sitzung ein internes Modell entwickelt hat, welches in der zweiten
Sitzung abgerufen werden konnte. Diese Ergebnisse zeigen, dass neue Transforma-
tionsregeln lange im Gedächtnis verweilen und von dort immer wieder abgerufen
werden können.
Nacheffekte des Gelernten können auch durch ein plötzliches Ausschalten der Stö-
rung überprüft werden. Bei dieser sogenannten Deadaptation bleibt die visuelle
Rückmeldung erhalten. Wurde die Adaptation alleinig durch Strategien und visuelle

1
Einleitung
8
Kontrolle erreicht, dürfte es hierbei keinen oder nur einen sehr kleinen Fehler geben,
da der Proband dann in der Lage sein sollte, Bewegungen ohne Störung genau aus-
zuführen. Wurden die Bewegungen allerdings auf Grund einer Rekalibrierung geän-
dert, so zeigt sich ein nachhaltiger Einfluss auf die Bewegungen ohne Störung, da der
Proband nicht sofort umschalten kann und die Transformationsregeln für die
,,Normalbedingung" erst wieder angepasst oder neu erstellt werden müssen. Nach
einer Adaptation an eine visuelle oder eine mechanische Störung in die eine Richtung
zeigt sich die Deadaptation durch Bewegungen in die andere Richtung (Lazar und
van Laer 1968; Shadmehr und Mussa-Ivaldi 1994; Kitazawa et al. 1997).
Der Transfer ist eine weitere wichtige Untersuchung, durch die zwischen strategischer
Anpassung und Rekalibrierung unterschieden werden kann. Da es sich dabei um eine
Änderung der Adaptationsbedingungen, wie z. B. eine Verschiebung des Arbeitsrau-
mes oder eine andere Störung handelt, wird der Transfer im nächsten Kapitel genau-
er erläutert.
1.2.2 Auswirkungen aufeinander folgender Adaptationsvorgänge
Hinweise darauf, dass eine Rekalibrierung stattgefunden hat, können nicht nur mit
dem bereits Gelernten, also derselben Störung, nach Minuten oder Monaten gewon-
nen werden. Wenn ein Mensch an eine Störung adaptiert hat und danach einer weite-
ren Störung, einer Abwandlung derselben Störung oder einer anderen Bewegungs-
aufgabe bei gleicher Störung ausgesetzt wird, kann sich das Gelernte auf verschie-
dene Arten auf das neu zu Lernende auswirken. Bei der Untersuchung dieses Phä-
nomens ist der Transfer laut Magill (2001) eines der in Erziehung und Rehabilitation
am häufigsten angewandten Lernprinzipien. Allerdings ist auch hier die Terminologie
nicht eindeutig. Einige Autoren (Krakauer et al. 2000; Shadmehr und Moussavi 2000;
Tong und Flanagan 2003) nennen dieses Phänomen Generalisierung. Untersuchun-
gen von Transfer und Generalisierung sind nicht eindeutig voneinander zu trennen,
daher werden sie in dieser Arbeit zusammengefasst. Nachdem die Probanden eine
Störung erlernt haben, werden sie einer zweiten ausgesetzt, die sich in einem oder
mehreren Aspekten von der ersten unterscheidet. Bei dieser zweiten Anpassung
können verschiedene Parameter verändert werden: Benutzung der untrainierten
Hand (Hamilton 1964; Bock 1992; Imamizu und Shimojo 1995; Sainburg und Wang

1
Einleitung
9
2002; Criscimagna-Hemminger et al. 2003), neue Bewegungsamplituden (Bock und
Burghoff 1997; Goodbody und Wolpert 1998), andere Bewegungsrichtungen oder
untrainierte Arbeitsbereiche (Krakauer et al. 2000; Shadmehr und Moussavi 2000;
Malfait et al. 2002). Sogar für andere Bewegungsarten wurde der Transfer untersucht
und gefunden: Abeele und Bock (2003) zeigten, dass sich die Adaptation an eine vi-
suelle Drehung von Zeige- auf Folgebewegungen und umgekehrt übertrug. Die neuen
Transformationsregeln stehen demnach verschiedenen motorischen Systemen zur
Verfügung. Krakauer et al. (2000) untersuchten in ihrer Studie verschiedene Aspekte
der Adaptation an visuelle Störungen. Im ersten Experiment arbeiteten sie mit einer
Verhältnisänderung zwischen Finger- und Fadenkreuzbewegung. Änderte sich die
Fingerposition um 1 cm, bewegte sich das Fadenkreuz auf dem Bildschirm um
1.5 cm. Dabei zeigten die Ergebnisse, dass diese Art der Adaptation sowohl über
Richtungen als auch über Bewegungsdistanzen generalisiert. In dem zweiten und für
diese Arbeit wichtigeren Teil der Studie untersuchten Krakauer et al. (2000) die Adap-
tation an eine visuelle Rotation und deren Generalisierung. Besonders interessant für
diese Arbeit ist die Generalisierung über Richtungen. Die Autoren teilten ihre Proban-
den dafür in vier Gruppen ein, die an eine +30°-Rotation unter Benutzung einer unter-
schiedlichen Anzahl von Zielpunkten (ein, zwei, vier oder acht) adaptierten. Die Gene-
ralisierung wurde auf vorher ungeübte Ziele ohne visuelle Rückmeldung getestet. Die
Ergebnisse zeigten, dass die prozentuale Generalisierung stark abnahm, je weiter der
Testzielpunkt von dem Trainingszielpunkt entfernt lag. Je mehr Ziele trainiert wurden,
desto größer war die Generalisierung, komplett war sie bei acht Trainingszielen. Da in
dem Ablauf der beschriebenen Studie allerdings nicht die Anzahl und die Verteilung
der Trainingszielpunkte getrennt voneinander variiert wurde, bleibt offen, welches der
entscheidende Faktor war. Auch bei mechanischen Störungen wurde der Transfer
untersucht. Shadmehr und Moussavi (2000) benutzten in ihrer Studie ein positions-
und geschwindigkeitsabhängiges Kraftfeld und zeigten eine Generalisierung des Ge-
lernten in verschiedenen Experimenten. Die Ergebnisse solcher Transferuntersu-
chungen können Hinweise auf eine erfolgte Rekalibrierung geben, da die strategische
Anpassung aufgabenspezifisch ist und nicht einfach übertragen werden kann (Red-
ding und Wallace 1996).
Bei Transferuntersuchungen kann es entweder zu einer Erleichterung der neuen
Adaptation (positiver Transfer), zu keinem Einfluss (neutraler Transfer oder Null-

1
Einleitung
10
Transfer) oder aber auch zu einer Erschwerung (negativer Transfer) der zweiten
Adaptation kommen. Jeder kennt die Situation, nach einem Umzug die verinnerlichte
Ziffernabfolge beim Wählen und die neue Telefonnummer durcheinander zu bringen,
oder bei der Benutzung unterschiedlicher Autos Blinker und Scheibenwischer mitein-
ander zu verwechseln. Treten in einer zweiten Adaptation höhere Fehlerwerte auf als
bei naiven Kontrollprobanden, wird dieses Phänomen in der Literatur mit Interferenz
bezeichnet (Krakauer et al. 1999; Bock 2003). Sie wurde bei verschiedenen aufein-
anderfolgenden Störungen (visuell und / oder mechanisch) untersucht. Als eine Ursa-
che einer Interferenz wird der Grad der Konsolidierung genannt. Darunter wird die
Festigung der Adaptation im Gedächtnis verstanden, die auch nach Beendigung des
Experiments noch stattfindet (McGaugh 1966). Zuerst ist die Adaptation sehr brüchig
im Kurzzeitgedächtnis repräsentiert, bevor sie in einen stabileren Zustand im Lang-
zeitgedächtnis übergeht (Shadmehr und Holcomb 1997). Shadmehr und Brashers-
Krug (1997)
ließen ihre Probanden an ein Kraftfeld (A) adaptieren. Nach unterschied-
lichen Pausenlängen (fünf Minuten bis 24 Stunden) arbeiteten sie in einem entgegen-
gesetzten Kraftfeld (-A). In einer zweiten Sitzung eine Woche später zeigte sich bei
der erneuten Benutzung von Kraftfeld A eine Retention nur dann, wenn die Pausen-
länge nach der ersten Sitzung größer war als ca. fünf Stunden, ansonsten kam es zu
einer Interferenz. Ebenfalls mit einem solchen Retentionstest, allerdings bereits nach
24 Stunden, arbeiteten Brashers-Krug et al. (1996). Sie ließen ihre Probanden an ein
geschwindigkeitsabhängiges Kraftfeld adaptieren und teilten sie dafür in sechs Grup-
pen ein. Die Kontrollgruppe benutzte in der zweiten Sitzung die gleiche Störung wie in
der ersten und zeigte eine starke Retention, da der Anfangswert am zweiten Tag un-
gefähr dem Endwert des ersten Tages entsprach. Eine andere Gruppe führte direkt
nach der ersten Adaptation Bewegungen ohne Störung aus. Bei ihr zeigte sich am
zweiten Tag ebenfalls eine signifikante Retention und somit keine Interferenz. Vier
weitere Gruppen adaptierten nach der ersten Sitzung an eine entgegengesetzte Stö-
rung, wobei zwischen den beiden Störungen unterschiedliche Pausen lagen (keine
Pause bis vier Stunden). Bei den Gruppen ohne Pause, mit fünf Minuten und mit ei-
ner Stunde zeigte sich eine Interferenz, da der Anfangswert der zweiten Adaptation
innerhalb der ersten Sitzung schlechter war als jener der ersten Adaptation. Dieses
Phänomen wird auch als negativer Transfer oder anterograde Interferenz bezeichnet.
Außerdem waren die Fehlerwerte der erneuten Adaptation an die erste Störung des

1
Einleitung
11
ersten Tages am nächsten Tag nicht signifikant besser als am Vortag, wie es in der
Kontrollgruppe der Fall war. Dieses Ergebnis nannten die Autoren, ebenso wie Tong
et al. (2002), retrograde Interferenz. In der Gruppe mit vier Stunden Pause zwischen
der ersten und der zweiten Adaptation am ersten Tag ergab sich am zweiten Tag kein
Unterschied zu der Kontrollgruppe. Die Autoren schlossen daraus, dass sich das Ge-
lernte nach einer gewissen Zeit von einem zerbrechlichen zu einem stabilen Stadium
konsolidiert und danach eine weitere Störung ohne Beeinträchtigung der ersten ge-
lernt werden kann. Krakauer et al. (1999) untersuchten Zeigebewegungen mit Hilfe
von zwei verschiedenen Störungen: eine visuelle Rotation (positionsabhängig) und
eine mechanische Störung, die aus einer an der Armschiene lateral befestigten Mas-
se von 1.5 kg bestand (beschleunigungsabhängig). Sie teilten ihre Probanden in
sechs Gruppen ein, die alle an zwei aufeinander folgenden Tagen gestestet wurden.
Jede Gruppe führte am ersten und am zweiten Tag Zeigebewegungen mit entweder
einer der beiden oder beiden Störungen in einer unterschiedlichen Kombination
durch. Die Autoren fanden heraus, dass die alleinige Ausführung derselben Störung
am ersten und zweiten Tag zu einer starken Retention und somit einer Verbesserung
des Anfangsfehlers führte, sowohl für die visuelle als auch für die mechanische Stö-
rung. Wurden die Probanden am ersten Tag nach der Adaptationsphase einer zwei-
ten Störung derselben Modalität ausgesetzt (nach einer +30°-Rotation einer -30°-Ro-
tation, bzw. nach einer lateral angebrachten Masse einer medial angebrachten Mas-
se), so war trotz Benutzung der ersten Störung des Vortages der Anfangsfehler am
zweiten Tag gegenüber den Werten des ersten Tages nicht verbessert. Wurde am
ersten Tag nach der Adaptation an eine visuelle +30°-Drehung die Modalität geän-
dert, also eine lateral befestigte Masse benutzt, so war sowohl die Adaptation an die
mechanische Störung am ersten Tag als auch die Retention der Adaptation an die
visuelle Störung am zweiten Tag nicht unterschiedlich von einzeln ausgeführten
Adaptationen bei Kontrollprobanden. Ein ähnliches Bild zeigte sich, als beide Störun-
gen gleichzeitig erlernt und auch am zweiten Tag wieder gleichzeitig ausgeführt wur-
den. Auch dabei ergaben sich keine Unterschiede zu der einzelnen Ausführung. Die
Autoren schlossen aus diesen Ergebnissen, dass die Adaptation an diese beiden Stö-
rungen auf unterschiedlichen neuronalen Mechanismen beruht und verschiedene Ka-
näle dafür benutzt werden. Tong et al. (2002) stellten fest, dass die beiden von Kra-
kauer et al. (1999) benutzten Störungen sich sowohl in ihrer Natur (visuell und me-

1
Einleitung
12
chanisch), als auch in ihrer Kinematik (positions- und beschleunigungsabhängig) un-
terschieden. Um herauszufinden, ob diese kinematische Variable einen Einfluss auf
das Ergebnis hatte, testeten Tong et al. (2002) mit Zeigebewegungen die Adaptation
an eine positionsabhängige visuelle Drehung, die nach einer fünfminütigen Pause
gefolgt wurde von einer Adaptation an ein positionsabhängiges Drehkraftfeld. Nach
24 Stunden wurden die Probanden erneut der visuellen Rotation ausgesetzt. Die Au-
toren fanden eine im Vergleich zur Kontrollgruppe verringerte Retention und somit
retrograde Interferenz. Aus ihren Ergebnissen schlossen Tong sie, dass die Kinema-
tik der Störungen die Schlüsselvariable sei und zwei Störungen nicht miteinander in-
terferieren, so lange sie auf unterschiedlichen kinematischen Parametern beruhen. In
einem Experiment der Studie von Bock et al. (2001) trat Interferenz zwischen zwei
visuellen Transformationen mit gleicher Kinematik (oben-unten und links-rechts Spie-
gelung) sogar noch nach einem Monat auf. Die Autoren schlossen aus diesem Teil
ihrer Studie, dass die Konsolidierung nicht der entscheidende Aspekt in ihrer Studie
war, sondern dass die Interferenz auf Grund des Konflikts zweier inkompatibler Auf-
gabenanforderungen auftrat. Da es sich um zwei positionsabhängige Störungen han-
delte, die zu Interferenz führten, widerspricht dieses Ergebnis nicht der Hypothese
von Tong et al. (2002), dass keine Interferenz auftritt, wenn die Aufgaben unter-
schiedliche kinematische Variablen haben. In einer weiteren Untersuchung im Jahre
2003 hinterfragte Bock diese Hypothese. Er benutzte dafür drei visuelle Störungen,
zwei positions- und eine geschwindigkeitsabhängige. Entgegen der Aussage von
Tong et al. (2002) fand Bock (2003) eine Interferenz zwischen den positionsabhängi-
gen und der geschwindigkeitsabhängigen Störung. Zur genaueren Untersuchung der
auftretenden Interferenzen berechnete er an Hand der Abbildungen früherer Studien
deren Werte der retrograden Interferenz. Er kam zu dem Schluss, dass die retrograde
Interferenz um so größer ist, je ähnlicher sich die Natur (visuell oder mechanisch) und
die kinematischen Variablen der Störungen sind. Er vertrat daher die Meinung, dass
die sensomotorische Adaptation auf verteilten neuronalen Mechanismen beruht. Bock
et al. (2003) wiesen darauf hin, dass der Ausdruck Interferenz irreführend sein kann,
da es nicht unbedingt zu einer Interferenz zwischen zwei Störungen kommen muss.
Die scheinbare gegenseitige Beeinflussung z. B. zweier Rotationen, so die Autoren,
kann eine andere Ursache haben: Auf Grund einer vorherigen Adaptation an eine
+30°-Drehung ist die Nullposition der angepassten Transformationsregeln des Pro-

1
Einleitung
13
banden auf ca. -30° verschoben. Dadurch muss er, wenn er im Folgenden an eine
-30°-Drehung adaptieren soll, seine Bewegungen nicht nur von 0° bis +30° sondern
von -30° bis +30° anpassen, wodurch zu Beginn ein Fehler von ungefähr 60° ent-
steht.
Ein weiterer Mechanismus, durch den beim Erlernen einer zweiten Störung eine Er-
leichterung der Adaptation erklärt werden kann, ist das Metalernen, auch ,,lear-
ning-to-learn" genannt. Dabei wird davon ausgegangen, dass generelle Strategien
der Adaptation, erlernt werden und bei der zweiten unabhängigen Störung genutzt
werden können. Dieses Phänomen wird von Bock et al. (2001) in ihrem dritten Expe-
riment beschrieben, in dem die Probanden zunächst an eine oben-unten oder eine
rechts-links Umkehr adaptieren mussten und in der zweiten Sitzung an eine
180°-Rotation. Jene, die bereits an die erste Störung adaptiert hatten, waren besser
als naive Kontrollprobanden. Harlow sagte bereits 1949 aus, dass beim Lernen nicht
einfach nur Wissen gespeichert wird, sondern, dass auch die Fähigkeit zu lernen ver-
bessert wird. Es ist nicht leicht, dieses Phänomen des Metalernens zu zeigen, da eine
Unabhängigkeit der Störungen nicht immer gegeben ist. Unabhängig heißt in diesem
Fall, dass die Anforderungen der verschiedenen Aufgaben sich weder widersprechen
noch übereinstimmen.
Bereits Gelerntes kann die folgende Adaptation aber nicht nur dadurch verbessern,
dass das Lernen gelernt wird, sondern auch dadurch, dass bei der gleichen Stö-
rungsart von kleineren auf größere Störungen übergegangen wird oder umgekehrt.
Hierbei ergibt sich eine stufenweise Anpassung, bei der das vorher Gelernte die fol-
gende Adaptation direkt erleichtert. Im Gegensatz zum Metalernen, bei dem die auf-
einanderfolgenden Störungen unabhängig voneinander sind, bauen sie hierbei somit
aufeinander auf. Abeele und Bock (2001a) untersuchten dieses Phänomen mit visuel-
len Rotationen als Störung und bezeichneten es als graduelle Verstellbarkeit. Sie teil-
ten ihre Probanden in drei Gruppen ein und ließen sie Folgebewegungen durchfüh-
ren. In der ersten Sitzung wurde entweder keine Störung eingebracht, eine
45°-Rotation oder eine 60°-Rotation. In der zweiten Sitzung mussten alle Probanden
an eine 90°-Rotation adaptieren. Die Ergebnisse zeigten, dass in der 60°-Gruppe des
Vortages der Anfangsfehler in der zweiten Sitzung kleiner war als in der 45°-Gruppe
und dort kleiner als in der Gruppe, die am ersten Tag die Bewegungen ohne Störung

1
Einleitung
14
ausgeführt hatte. Die Autoren schlossen daraus, dass die einmal gespeicherten
Transformationsregeln nur noch ,,weitergedreht" wurden, nicht aber wieder bei 0° an-
gefangen werden musste. Zwei weitere Arbeiten (Abeele und Bock 2001b; Bock et al.
2003) haben gezeigt, dass dieser Mechanismus nicht für den gesamten Drehbereich
von 0° bis 180° einheitlich ist. Die Autoren berichteten, dass eine graduelle Anpas-
sung der Transformationsregeln nur in einem gewissen Bereich auftrat. Größer wer-
dend ging dieser Bereich von 0° bis ca. 120°. Bei Störungen, die größer als 90° wa-
ren, schien zunächst ein Wechsel auf 180°, also eine Spiegelung an beiden Achsen,
stattzufinden und danach eine graduelle Abnahme. Bei dieser trat die Erleichterung
von 180° bis ca. 70° auf. Die alternative Erklärung von Bock et al. (2003) für die
schlechteren Ergebnisse bei einer +30°-Rotation nach einer -30°-Rotation kann an-
statt einer Interferenz ebenfalls mit diesem Phänomen erklärt werden, wodurch der
größere Initialfehler auf eine graduelle Verschiebung durch den Nullpunkt zurückzu-
führen wäre. Lazar und van Laer (1968) teilten ihre Probanden in drei Gruppen ein
und ließen sie in aufeinanderfolgenden Stufen an Prismengläser verschiedener Diop-
triestärken adaptieren. Sie führten die Verbesserungen in den Stufen auf das lear-
ning-to-learn zurück. Allerdings handelte es sich eher um eine graduelle Anpassung,
da die Störungen aufeinander aufbauten.
Eine Eigenschaft der sensomotorischen Adaptation, die durch die Kombination von
Störungen erforscht wurde, ist die modulare Struktur (Bock 2001). Flanagan et al.
(1999) zeigten in ihrer Studie mit einer positionsabhängigen visuellen Drehung und
einer geschwindigkeitsabhängigen mechanischen Störung sowohl einen Kompositi-
ons- als auch einen teilweisen Dekompositionsvorteil. Ersterer besagt, dass nach
vorherigem einzelnen Lernen der beiden Störungen das gemeinsame Lernen leichter
war und einen geringeren Fehler aufwies als bei gleichzeitiger naiver Adaptation
(Kompositionsvorteil), auch wenn die Übertragung des Gelernten nicht vollständig
war. Letzterer bedeutet, dass auch nach gemeinsamer Adaptation an beide Störun-
gen das Lernen der einzelnen Störung besser war als bei naiven Probanden (De-
kompositionsvorteil). Demnach können im zentralen Nervensystem verschiedene er-
lernte Störungen nicht nur effektiv zusammengesetzt, sondern auch zerlegt werden.
Die Autoren sahen dieses Ergebnis als Unterstützung der Hypothese einer modularen
Struktur des internen Modells. Die Verbesserung durch die Dekomposition wurde al-
lerdings nur bei der visuellen Transformation deutlich. Diesen fehlenden Dekomposi-

1
Einleitung
15
tions-Vorteil für die Kraftfeld-Bedingung erklärten sich Flanagan et al. (1999) mit einer
Konzentrationsverlagerung hin zu der visuellen Drehung, da dort die größeren Fehler
entstanden und somit eine schnellere Verbesserung möglich war.
1.3 Phasen des motorischen Lernens und die Doppelaufgaben-Methode
Die Beschreibung von Adaptationskurven (Kapitel 1.2) vermittelt die Vorstellung, dass
das Lernen eine kontinuierliche Verbesserung ist. Dieses entspricht zwar grob der
Realität, doch bei genauerer Untersuchung von Lernvorgängen ist eine alternative
Sicht sinnvoll. In der Vergangenheit schlugen Wissenschaftler verschiedene Modelle
vor, die das Erlernen von Fertigkeiten in Stadien oder Phasen einteilten, von denen
jede spezifische Anforderungen der Informationsverarbeitung erfüllt (Fitts 1964;
Adams 1971; Schneider und Shiffrin 1977; Anderson 1982). Hierbei wurden von den
verschiedenen Autoren unterschiedliche Anzahlen von Phasen beschrieben. Einige
Modelle, wie z. B. das von Adams (1971), gingen von zwei Phasen aus, in die das
motorische Lernen eingeteilt wird. Dabei schloss sich an eine verbal motorische An-
eignungsphase eine motorische Verbesserungsphase an. Fitts (1964) unterschied
drei Phasen, die inzwischen allgemein akzeptiert sind: Die erste Phase ist die frühe
Phase. Hier versucht der Lernende, die Aufgabe kognitiv zu verstehen und mögliche
Lösungen zu entwickeln. Diese Phase ist häufig gekennzeichnet von großen Anforde-
rungen an die Aufmerksamkeit und verbalen (Selbst-)Anweisungen. Dies stimmt mit
der Aussage überein, dass es zu Beginn eines Lernvorgangs unabhängig von der Art
der gelernten Aufgabe zu einer erhöhten Nutzung der verbalen Ressourcen kommt.
In dieser frühen Phase sind die Leistungsverbesserungen sehr groß. Die zweite Pha-
se ist die mittlere Phase. Hier erfolgen feinmotorische Verbesserungen. Die Bewe-
gung wird ,,runder" und ökonomischer und die kognitiven Anteile werden geringer. Der
Lernfortschritt in dieser Phase ist geringer als in der ersten. Die dritte und letzte Pha-
se nennt Fitts (1964) späte Phase. Diese erreicht der Lernende durch weitere Übung
und Automatisierung der Bewegung. Erst jetzt wird die benötigte Aufmerksamkeit so
reduziert, dass das Bewusstsein frei ist, z. B. für Strategien und Taktiken. Darüber
hinaus kann die Bewegung jetzt variabel in verschiedenen Situationen angewendet
und angepasst werden. Der eigentliche sichtbare Lernerfolg in dieser Phase ist sehr

1
Einleitung
16
gering. Während des Lernens verändern sich die Prozesse somit von aufmerksam-
keitsfordernden hin zu automatisierten. Auch Lintern und Wickens sagten 1991 in
Übereinstimmung mit dem Beschriebenen aus, dass das sensomotorische System
Phasen durchläuft, die durch unterschiedliche Ressourcenanforderungen gekenn-
zeichnet sind. Sie berichteten, dass zu Beginn des Lernens der Ressourcenbedarf
stark ansteigt und sich anschließend wieder reduziert. Die Einteilung des motorischen
Lernens in verschiedene Phasen wird weiterhin durch Studien mit bildgebenden Ver-
fahren unterstützt, die zeigen, dass sich die Gehirnaktivität insgesamt reduziert, je
besser eine Fertigkeit beherrscht wird. Darüber hinaus wurde berichtet dass sich die
Aktivität verschiedener Hirnareale von frühen zu späten Phasen des Lernens verän-
derte (Seitz et al. 1990). Allerdings sind die Ergebnisse von Studien zu diesem The-
ma nicht einheitlich und scheinen stark durch die Wahl der Kontrollaufgabe beein-
flusst zu sein. Eine derzeitige Studie von Mitarbeitern der Arbeitsgruppe Bewegungs-
physiologie der Deutschen Sporthochschule Köln (mündliche Kommunikation) gibt
Hinweise darauf, dass die bisher insgesamt erhöhte neuronale Aktivität auf einige
Areale zu beschränken ist. Daher sollten weitere Studien mit einer geeigneten Kon-
trollaufgabe klären, ob auch die Aktivität der Hirnareale Anzeichen für die Einteilung
des Lernprozesses in Phasen gibt. Denn obwohl die Phasen des Lernens allgemein
akzeptiert sind, gibt es nur wenig empirische Beweise für ihre Existenz (Heuer 1984;
Eversheim und Bock 2001). Da sich die maßgeblichen Prozesse des motorischen
Lernens einer direkten Beobachtung entziehen (Kropp 1992), ist es nötig, Experimen-
te zu entwickeln, um Informationen über die ablaufenden Prozesse zu erhalten. Dafür
wurde das Lernen in verschiedenen Wissenschaften auf unterschiedliche Arten un-
tersucht und ist in der experimentellen Psychologie ebenso von Interesse wie in der
Sportwissenschaft. Ein Ansatz, mit dem die Prozesse des motorischen Lernens
intraindividuell genauer untersucht wurden, ist die Doppelaufgaben-Methode, die in
den folgenden Absätzen beschrieben wird.
Studien mit der Doppelaufgaben-Methode
Führt jemand zwei Dinge gleichzeitig aus, so wird das als Doppelaufgabe bezeichnet.
Dabei handelt es sich in der Mehrheit der Fälle um eine motorische und eine kognitive
Aufgabe. Für die meisten von uns ist es natürlich, sich bei einem Spaziergang zu un-
terhalten oder mit dem Telefon durch die Wohnung zu laufen. Jeder Mensch führt

1
Einleitung
17
also häufig Doppelaufgaben aus, ohne es wirklich zu merken. Explizit gefordert wer-
den solche Aufgaben in wissenschaftlichen Experimenten: die kognitiven Anforderun-
gen während der Adaptation an verschiedene Störungen können mit Hilfe des Dop-
pelaufgaben-Ansatzes untersucht werden (Navon und Gopher 1979). Dabei wird die
Adaptationsaufgabe, auch Lernaufgabe genannt, mit einer gleichzeitigen Zweitaufga-
be kombiniert. Dieser Ansatz basiert auf der Sicht, dass beide Aufgaben um die Res-
sourcen des Gehirns konkurrieren. Wenn nun der Ressourcenbedarf der Adapta-
tionsaufgabe zunimmt, so wird der Wettkampf schärfer und die Leistung einer der
beiden oder sogar beider Aufgaben wird schlechter als in der getrennten Aufgabener-
füllung. Somit wird der Ressourcenbedarf deutlich als sogenannte Doppelaufgabenin-
terferenz. Dieses beruht auf der Annahme, dass Ressourcen nicht nur limitiert, son-
dern auch gemeinsam nutzbar sind (Norman und Bobrow 1975).
Es wurden verschiedene Theorien aufgestellt, die anschließend entweder erweitert
oder verworfen wurden, doch es wurde kein allgemeingültiges Modell bestimmt und
herausgearbeitet: Verschiedene Untersuchungen führten zu der Ein-Kanal- oder auch
Filter-Theorie (Broadbent 1958), die besagt, dass für die Reizverarbeitung nur ein
Kanal zur Verfügung steht und die ankommende Information gefiltert wird. Das würde
bedeuten, dass ein zweiter Reiz erst dann verarbeitet werden kann, wenn der erste
Reiz bereits den Kanal verlassen hat. Diese Theorie wurde jedoch z. B. von (Kahne-
man (1973) wieder verworfen, der postulierte, dass für die Reizverarbeitung ein limi-
tierter Pool unspezifischer Ressourcen zur Verfügung steht. Demnach ist eine paralle-
le Reizverarbeitung nur dann ohne Interferenzeffekte möglich, solange die Addition
der benötigten Ressourcen innerhalb des vorhandenen limitierten Pools bleibt. Auch
Shiffrin und Schneider (1977) gingen von unspezifischen Ressourcen aus. Ihrer Mei-
nung nach werden unabhängig von der Art des Reizes die gleichen Ressourcen zur
Verarbeitung genutzt. Sie beschrieben eine Zwei-Prozess-Theorie, nach der nur kon-
trollierte, nicht-automatisierte Prozesse ressourcenabhängig und aufmerksamkeits-
fordernd sind und automatisierte Prozesse davon ausgeschlossen werden. Auch die-
se beiden Ansätze wurden kritisiert, da verschiedene Studien Interferenzen ergaben,
die nicht damit erklärt werden konnten. Aus diesen Überlegungen heraus entwickelte
sich die Theorie multipler Ressourcen (Wickens 1984), nach der voneinander unab-
hängige Ressourcen für die Verarbeitung von Informationen in unterschiedlichen
Phasen zuständig sind. Manzey (1993) zweifelte daran, dass ein hoher Ressourcen-

1
Einleitung
18
bedarf verantwortlich ist für die Interferenz zweier Aufgaben. Er sah die Ursache eher
darin, dass die Probanden die Aufgaben nicht voneinander entkoppeln konnten, so
dass die Arbeitsstrategien untersucht werden sollten.
Doppelaufgaben können aber nicht nur, wie oben genannt, aus einer motorischen
und einer kognitiven Aufgabe bestehen, sondern auch aus zwei Aufgaben derselben
Art. Daraus ergeben sich zwei Ursachen für Interferenzeffekte: die Aufgaben können
um die gleiche Modalität sowohl bei der Aufnahme als auch bei der Ausgabe von In-
formationen konkurrieren. Bei ersterer kann es sich z. B. um zwei visuelle oder zwei
auditive Reize an verschiedenen Stellen handeln, die somit nicht gleichzeitig, sondern
nur nacheinander aufgenommen werden können. Bei der Ausgangsseite können In-
terferenzen auftreten, wenn z. B. beide Hände Bewegungen in unterschiedlichen
Rhythmen machen sollen. Es ist zwar möglich, verschiedene Rhythmen zu erlernen,
doch macht der Mensch weniger Fehler bei simultanen (in-phasigen) Bewegungen
und tendiert auch zu diesen (Kelso 1984). Gleiche oder ähnliche periphere Ein- und
Ausgangssysteme sind somit eine mögliche Erklärung für Interferenzen, allerdings
nicht die einzige. Um diese Problematik genauer zu untersuchen wurden verschiede-
ne Studien mit sehr unterschiedlichen Abläufen durchgeführt.
Es wird deutlich, dass die Doppelaufgaben-Methode bereits in vielen frühen Studien
verwendet wurde, doch auch neuere Experimente befassten sich damit. In entspre-
chenden Studien wurden verschiedene Lernaufgaben benutzt, wie z. B. eine kontinu-
ierliche Folgeaufgabe (McLeod 1973) und wiederholte Fingerbewegungssequenzen
(Noble et al. 1967; Wolff und Cohen 1980; Nissen und Bullemer 1987; Hazeltine et al.
1997; Ruthruff et al. 2005). Diese Aufgaben wurden mit verschiedenen Zweitaufga-
ben kombiniert, wie z. B. verbalen Antworten auf nebenbei präsentierte Töne
(Ruthruff et al. 2005), dem wiederholten Aufsagen von Reimen (Wolff und Cohen
1980) oder dem Kopfrechnen (McLeod 1973). In allen Studien lernten die Probanden
die jeweiligen Aufgaben und wurden mit zunehmendem Training besser, auch wenn
sich bei den meisten Studien ein schlechteres Ergebnis unter Doppelaufga-
ben-Bedingungen zeigte. In einigen Experimenten war die Geschwindigkeit, mit der
sich die Probanden verbesserten dennoch dieselbe wie in einer Kontrollgruppe (Nob-
le et al. 1967), in anderen nicht (Hazeltine
1997). Daraus kann geschlossen werden,
dass eine Zweitaufgabe die momentane Leistung beeinflusst, nicht aber in allen Fäl-

1
Einleitung
19
len das Lernen der Aufgabe. Insgesamt gesehen haben die bisher beschriebenen
Doppelaufgaben-Studien verschiedene Nachteile: Zum einen wurde immer nur eine
Art von Zweitaufgabe pro Studie benutzt. Da es sich in den unterschiedlichen Studien
um verschiedene Arten von Zweitaufgaben handelte, könnten diese zu spezifischen
Interferenzeffekten geführt haben, so dass ein Vergleich schwer ist. Zum anderen
wurden die Zweitaufgaben in vielen Studien durchgehend angeboten, so dass es kei-
ne intraindividuellen Vergleiche von Doppel- zu Einzelaufgaben gibt. In zwei sehr frü-
hen Doppelaufgaben-Studien (Mohnkopf 1933; Bahrick und Shelly 1958) wurde die
Zweitaufgabe nicht nur kontinuierlich mit der Lernaufgabe gegeben, sondern in Inter-
vallen, so dass intraindividuelle Vergleiche der Doppel- und Einzelaufgabenleistung
möglich waren. Bei Mohnkopf (1933) wurde allerdings nur eine Zweitaufgabe benutzt,
so dass kein qualitativer Unterschied des Ressourcenanspruchs gemacht werden
konnte. Bahrik und Shelly (1958) benutzten zwar ebenfalls nur eine Zweitaufgabe,
doch variierte ihre Erstaufgabe. Die Autoren interpretierten ihre Ergebnisse derart,
dass sich eine zunehmende Automatisierung bei Aufgaben, die gleichzeitig ausge-
führt werden, als hilfreich erweist. Logie (1989) führten drei Experimente mit einem
komplexen Computerspiel als Lernaufgabe und verschiedenen Zweitaufgaben durch.
Untersucht wurden die Einflüsse der Zweitaufgaben bei geübter Ausführung des
Computerspiels und bei ungeübter Ausführung. Sowohl bei Fortgeschrittenen als
auch bei Anfängern zeigte sich eine gegenseitige Beeinflussung der Aufgaben, je
nach Art der Zweitaufgabe zu Ungunsten des Computerspiels oder der Zweitaufgabe.
Bei Anfängern zeigten sich unterschiedliche Auswirkungen mit zunehmendem Trai-
ningsgrad des Spiels. Dieses Ergebnis war ein Hinweis auf einen sich ändernden
Ressourcenbedarf im Verlauf des Lernens. Da das Computerspiel jedoch eine kom-
plexe Aufgabe war, konnte keine eindeutige Aussage darüber gemacht werden, wel-
che Ressourcen genau zu welchem Zeitpunkt benötigt wurden. Im Gegensatz zu den
bisher beschriebenen Studien haben Eversheim und Bock (2001) in ihrem Experi-
ment versucht, die Bedingungen so zu schaffen, dass die beschriebenen Nachteile
nicht auftraten. Als Lernaufgabe benutzten sie manuelle Folgebewegungen, als
Zweitaufgabe untersuchten sie verschiedene Reaktionszeitaufgaben, die unterschied-
liche kognitive und motorische Ressourcen ansprachen. Sowohl für die Lernaufgabe
alleine als auch für alle Doppelaufgabenbedingungen wurde eine Grundbedingung
ohne Störung erhoben, so dass ein Vergleich möglich war. Nach dieser Grundbedin-

1
Einleitung
20
gung führten Eversheim und Bock (2001) eine oben-unten Transformation der visuel-
len Rückmeldung bei der Folgeaufgabe ein. Sie zeigten, dass die Ressourcenanfor-
derungen zu Beginn der Adaptation anstiegen und die einzelnen Anforderungen zu
verschiedenen Zeitpunkten im Adaptationsverlauf unterschiedlich hoch waren. So
waren zuerst die Ressourcen der Aufmerksamkeit und der räumlichen Transformation
besonders beansprucht. Während die Ressourcen der räumlichen Transformation
länger gefordert waren, schlossen sich an die erhöhte Aufmerksamkeit Ressourcen
der Bewegungsvorbereitung an. Die Autoren interpretierten ihre Ergebnisse als expe-
rimentellen Hinweis darauf, dass motorisches Lernen in Phasen mit unterschiedlichen
Ressourcen-Anforderungen abläuft. Am Ende der Adaptationsphase befand sich der
auf Grund der Zweitaufgaben erhöhte Fehler für alle Reaktionsaufgaben in einem
Bereich oberhalb der Grundbedingung. Dieses könnte entweder auf eine gemeinsa-
me zentrale Ressource zurückzuführen sein, die von allen Doppelaufgaben gleicher-
maßen gebraucht wurde, oder auf periphere Einschränkungen auf Grund zweier ma-
nueller Aufgaben. In weiteren Studien fand Eversheim (2002) heraus, dass dieses
Beanspruchungsmuster für verschiedene Transformationen der visuellen Rückmel-
dung gilt. Dieses sah er als einen Hinweis für die allgemeine Gültigkeit des gefunde-
nen Musters der Ressourcenbeanspruchung. Er gab damit empirische Hinweise auf
die angenommene qualitative und quantitative Veränderung des Ressourcenbedarfs
während des Lernens. Der Autor konnte allerdings auf Grund zu geringer Effekte
nicht eindeutig klären, ob die bestehende Doppeltätigkeitsinterferenz am Ende der
Adaptationsphase durch zentral-kognitive oder peripher-motorische Mechanismen
entstand.
1.4 Rolle der Propriozeption bei der sensomotorischen Adaptation
Wie in Kapitel 1.1 beschrieben, spielt die Rückmeldung bei der sensomotorischen
Adaptation eine wichtige Rolle. In diesem Kapitel soll nun näher auf die propriozeptive
Rückmeldung eingegangen werden.

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Einleitung
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1.4.1 Die Propriozeption
Die Propriozeption (lat. proprius ,,eigen", recipere ,,aufnehmen") ist die Wahrnehmung
der Stellung und der Bewegung des Körpers im Raum. Spezifische Rezeptoren, die
Propriozeptoren, registrieren Informationen über die Muskelspannung (Golgi-Seh-
nenorgan), die Muskellänge (Muskelspindel) und die Gelenkstellung bzw. -bewegung.
Teilweise werden diese Informationen auf Rückenmarksebene verschaltet (proprio-
zeptive Reflexe), vor allem aber werden sie unter Einbeziehung der Afferenzen von
Vestibularapparat und Mechanorezeptoren der Haut zentral verarbeitet. Ursprünglich
umfasste die Propriozeption nicht die Bewegung (Kinästhetik) und war strenger defi-
niert, doch im Laufe der Jahre verschwamm dieser Unterschied im angloamerikani-
schen Sprachraum und wird inzwischen auch in der deutschen Sprache häufig nicht
mehr gemacht.
1.4.2 Einfluss der Propriozeption auf die sensomotorische Adaptation
Die Rezeptoren in Muskeln, Gelenken und der Haut sind für die Ausführung zielge-
richteter Bewegungen von Bedeutung (Polit und Bizzi 1979; Ghez et al. 1990; Sain-
burg et al. 1995). Die Rolle dieser Propriozeptoren bei der sensomotorischen Adapta-
tion ist allerdings noch nicht geklärt. Um sie zu erforschen wurden bereits verschie-
dene Ansätze benutzt, doch diese Studien erbrachten sehr unterschiedliche Ergeb-
nisse.
Bereits 1966 führten Kravitz und Wallach Untersuchungen zu der Rolle der Proprio-
zeption bei der Adaptation mit Hilfe von Vibration durch. Sie vibrierten den stationären
Arm ihrer Probanden und ließen sie anschließend eine Zeigebewegung unter Pris-
menverschiebung durchführen. Die Ergebnisse zeigten, dass die vorherige Vibration
zu mehr Adaptation führte. Eine weitere Studie, in der Vibration und Prismen mitein-
ander verbunden wurden, wurde 1975 von Mather und Lackner durchgeführt. Ihre
Probanden führten identische Zeigebewegungen in zwei Phasen durch. Dazwischen
wurde der Arm durch Vibration des Biceps und des Triceps auf und ab bewegt und
dabei durch Prismengläser verfolgt. Die Autoren interpretierten ihre Ergebnisse der-
art, dass auf Grund der durch Vibration verstärkten Propriozeption eine größere
Adaptation erreicht werden konnte als durch willkürliche Bewegungen. Bock et al.
(2005b) et al. arbeiteten in einer sehr neuen Studie mit bilateraler Vibration, die in

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ihren Augen die Propriozeption störte. Sie fanden, dass die isometrische Kraftproduk-
tion bei den Probanden mit gestörter Propriozeption geringer war als bei Kontrollpro-
banden. Allerdings handelte es sich bei dieser Studie nicht um die Erforschung von
Adaptation.
Einen anderen Ansatz als die Vibration wählten Wallace und Garrett (1973). Sie
schalteten bei ihren Probanden die propriozeptive Rückmeldung des Armes durch
Hypnose aus, um den Einfluss der Propriozeption auf die Adaptation zu erforschen.
Die Probanden mussten den Arm bewegen und ihn dabei durch Prismengläser beo-
bachten. Da die Autoren in Nacheffekt-Tests keinen Hinweis auf Adaptation fanden,
schlossen sie daraus, dass die Propriozeption im Arm erhalten sein muss um adaptie-
ren zu können. Dieser Aussage widersprachen die Ergebnisse von Spanos und Saad
(1984). Sie anästhesierten den Arm ihrer Probanden mit Hypnose, ließen sie mit Zei-
gebewegungen an Prismen adaptieren und fanden Nacheffekte. Da nicht vollständig
bekannt ist, wie und auf welchen Ebenen des sensomotorischen oder kognitiven Sys-
tems sich Hypnose in diesen Experimenten auswirkte, sind diese unterschiedlichen
Ergebnisse fragwürdig und wahrscheinlich nicht übertragbar auf nicht hypnotisierte
gesunde Menschen.
Eine dritte Methode zur Erforschung der Rolle der Propriozeption bei der Adaptation
ist die Untersuchung von deafferentierten Menschen und Affen, deren Ergebnisse
jeweils mit denen von Kontrollprobanden verglichen wurden. 1974 untersuchten Taub
und Goldberg deafferentierte Affen und Kontrolltiere. Sie lehrten sie, zu visuell darge-
botenen Zielpunkten zu zeigen. Während sie die Zielpunkte durch eine Prismenbrille
sahen, mussten sie ihre Zeigebewegungen mit dem nicht sichtbaren Arm anpassen.
Da der Nacheffekt bei deafferentierten Tieren vollständiger war als bei Kontrolltieren,
schlossen die Autoren daraus, dass intakte Propriozeption die Adaptation in ihrer
Studie störte. Eine frühe Studie mit einem deafferentierten Patienten und Kontrollpro-
banden führten Lajoie et al. im Jahre 1992 durch und sie kamen zu einem ähnlichen
Ergebnis. Die Probanden sahen das Bild eines sechszackigen Sternes durch einen
Spiegel und mussten das Muster so schnell und genau wie möglich nachzeichnen.
Die Kontrollprobanden waren zu Beginn des Experiments signifikant langsamer als
am Ende, während bei dem Patienten keine Verlangsamung eintrat. Die Autoren gin-
gen daher davon aus, dass die Ursache dafür in einem Konflikt zwischen visueller

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Einleitung
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und propriozeptiver Information liegt. Mit zunehmender Übung lernten die Kontroll-
probanden, die umgekehrte visuelle Information zu nutzen. Da der Patient diesen
sensorischen Konflikt nicht hatte, war die Aufgabe für ihn von Beginn an eine einfa-
che visuelle Folgeaufgabe. Bard et al. (1995) führten eine Studie mit verschiedenen
Teilaspekten durch. Insgesamt nahmen daran zwei deafferentierte Patienten und
mehrere Kontrollprobanden teil. Im ersten Teil wurde die isometrische Krafterzeugung
zwischen Daumen und Zeigefinger untersucht. Die Probanden mussten auf ein verba-
les Kommando randomisiert zwischen 10% und 70% ihrer Maximalkraft erzeugen.
Die Ergebnisse zeigten, dass der an diesem Experiment teilnehmende deafferentierte
Proband, im Gegensatz zu den Ergebnissen der Vibrationsstudie von Bock et al.
(2005b), mit
der gleichen Genauigkeit arbeitete wie die Kontrollprobanden. Daraus
schlossen die Autoren, dass der Patient über ein exaktes internes Kraftmodell verfüg-
te. Im zweiten Teil der Studie von Bard et al. (1995) wurde die Rolle der Propriozepti-
on bei der Adaptation an Prismengläser untersucht. Die Kontrollprobanden und die
beiden Patienten führten Zeigebewegungen zu zwei Zielen, 20° links und 20° rechts
der Mittellinie durch und mussten sich an optische Verschiebungen anpassen. In die-
sem Experiment adaptierte einer der Patienten und die Kontrollprobanden relativ gut,
während der andere Patient keine Adaptation zeigte. Die Autoren nahmen an, dass
dieser Unterschied auftrat, da die Läsionshöhe der Patienten verschieden war: Bei
dem ersten Patienten war die Nackenpropriozeption intakt, so dass er auf die Refe-
renzsysteme von Auge zu Kopf und Hand zu Kopf zurückgreifen konnte. Da der Kör-
per der zweiten Patientin ab der Nase betroffen war, konnte sie nicht auf räumliche
Informationen zurückgreifen. Eine weitere Studie mit dem Probanden, bei dem die
Nackenpropriozeption intakt war, führten Ingram et al. (2000) durch. Die sechs Kon-
trollprobanden und der deafferentierte Patient führten Armbewegungen zu visuell
dargestellten Zielpunkten durch, wobei das Verhältnis von Arm- zu Fadenkreuzbewe-
gungen auf verschiedene Weise verändert wurde. Die Ergebnisse zeigten eine redu-
zierte Bewegungsgenauigkeit ohne Propriozeption. Sie ergaben aber ebenfalls, dass
nicht nur die Kontrollprobanden, sondern auch der Patient an die visuelle Störung
adaptieren konnten, wenn er auch nur in einigen Bedingungen das Niveau der Kon-
trollprobanden erreichte. 1998 testeten Guedon et al. einen deafferentierten Patienten
und mehrere Kontrollprobanden in einer manuellen Kreis-Folgeaufgabe. Nach der
Registrierung von Grundbedingungsdaten mit und ohne visuelle Rückmeldung wurde

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2005
ISBN (eBook)
9783832493066
ISBN (Paperback)
9783838693064
DOI
10.3239/9783832493066
Dateigröße
953 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Deutsche Sporthochschule Köln – Institut für Physiologie und Anatomie
Erscheinungsdatum
2006 (Februar)
Note
1,3
Schlagworte
physiologie vibration doppelaufgaben phantom
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Titel: Einflussgrößen auf die sensomotorische Adaptation, Kognition und Propriozeption
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