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Soziale Verantwortung im Tourismus

Die psychologischen Ursachen und die gesellschaftlichen Auswirkungen des Prostitutionstourismus und die soziale Verantwortung aller am Tourismus beteiligten Akteure

©2005 Diplomarbeit 223 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Gang der Untersuchung:
Jedes Jahr reisen laut der katholischen Organisation Missio 400.000 deutsche Männer ins Ausland, um sich dort sexuelle Dienstleistungen zu kaufen. Was motiviert diese Männer, aber auch zunehmend Frauen, in ferne Länder zu reisen, mit dem Ziel bei Prostituierten sexuelle Befriedigung zu finden, da doch auch überall in Deutschland Bordelle zu finden sind? Ist es das Klischee der exotischen Frau und die ungezwungene Urlaubsatmosphäre, die den tristen Alltag und die ‚emanzipierten Frauen’ in Deutschland vergessen lassen?
„Forschungen über Prostitutionstouristen haben aus vielen Gründen gesellschaftliche Relevanz. Zum einen ist der Prostitutionstourismus ein Geschäft, bei dem die ‚Waren’ Frau und kaufbarer Sex auf der einen Seite stehen und [...] Männer als Käufer auf der anderen. Prostitutionstouristisches Verhalten ist sexistisch und rassistisch, da es auf einseitigen und unumkehrbaren Ausbeutungsverhältnissen zwischen Frauen und Männern und zwischen Industrie- und sog. Entwicklungsländern beruht.“
Wenn Menschen zu einer ‚Ware’ werden, dann hat das einen bitteren Nachgeschmack. Das Phänomen des sexuell motivierten Touristen ist nicht neu, jedoch sind das quantitative Ausmaß und die hochorganisierte Form teilweise in den Zielgebieten in erschreckender Weise angewachsen.
Noch vor einigen Jahren wurden mit den ‚Bumsbombern nach Thailand’ Schlagzeilen gemacht und die Prostitutionstouristen wurden vom Zielgebiet und der Tourismusindustrie als lukrative Einnahmequelle gesehen und gefördert. Heutzutage ist diesbezüglich ein Schritt in die richtige Richtung erkennbar. Vor allem die Tourismusindustrie ist sich ihrer moralischen Verantwortung bewusster geworden, aber auch die Zielgebiete fördern den Tourismus nicht mehr um jeden Preis. Vor allem im Bereich der sexuellen Ausbeutung von Kindern durch Touristen können sich die Beteiligten nicht mehr ihrer Verantwortung entziehen.
Ziel dieser Arbeit ist die Darstellung des Zusammenhangs zwischen Sexualität, Moral und Prostitution. Hieraus ergibt sich dann die Frage, ob Prostitution als moralisch verwerflich angesehen werden kann und inwieweit Prostitution als ‚notwendige Triebabfuhr’ von der Gesellschaft akzeptiert werden sollte.
Zudem soll geklärt werden, inwieweit Prostitution und Tourismus in Verbindung gebracht werden können und ob Sextourismus allgemein als unmoralisch zu bezeichnen ist. Zusätzlich ist ein Ziel dieser Arbeit die Klärung der Frage, ob […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 9271
Graf, Annette; Wengertsmann, Sandra: Soziale Verantwortung im Tourismus - Die
psychologischen Ursachen und die gesellschaftlichen Auswirkungen des
Prostitutionstourismus und die soziale Verantwortung aller am Tourismus beteiligten
Akteure
Druck Diplomica GmbH, Hamburg, 2006
Zugl.: Fachhochschule Heilbronn, Diplomarbeit, 2005
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2006
Printed in Germany

0
Einleitung... 1
0.1
Problemstellung ...1
0.2
Stand der Forschung und Untersuchungsgegenstand ...2
0.3
Zielsetzung ...4
0.4
Gang der Arbeit ...5
1 Die Sexualität aus psychologischer und moralischer Sicht ... 7
1.1
Die theoretischen Ansätze ...7
1.1.1
Der instinkttheoretische und ethologische Ansatz ...7
1.1.2
Der psychoanalytisch-triebtheoretische Ansatz...8
1.1.3
Der behavioristisch-biopsychologische Ansatz...9
1.1.4
Der kognitive Ansatz...10
1.1.5
Der humanistische Ansatz...11
1.1.6
Der evolutionäre Ansatz ...12
1.1.7
Abschließende Betrachtung ...13
1.2
Die Sexualität ...14
1.2.1
Begriffsabgrenzung ...14
1.2.2
Die psychosexuelle Entwicklung...15
1.2.3
Die Triebunterdrückung ...16
1.2.4
Die Sexualität in Verbindung mit den Geschlechterrollen...18
1.2.5
Die Sexualität im Zusammenhang mit Macht ...21
1.2.6
Das Sexualverhalten ...23
1.2.7
Abschließende Betrachtung ...28
1.3
Die Moral...29
1.3.1
Definition Moral und Ethik...29
1.3.2
Der Unterschied zwischen Moral und Ethik ...30
1.3.3
Die Funktion von Moral...30
1.3.4
Abschließende Betrachtung ...31
1.4
Die herrschende Moral ...32
1.4.1
Verstoß gegen die herrschende Moral ...32
1.4.2
Kulturelle Unterschiede der Moral ...34
1.4.3
Zusammenhang zwischen Recht und Moral...35
1.4.4
Recht vs. Moral...36
1.4.5
Unterschied zwischen Sittennormen und Rechtsnormen ...36
1.4.6
Abschließende Betrachtung ...37
1.5
Sexualmoral...38
1.5.1
Kulturelle Unterschiede der Sexualmoral ...39
1.5.2
Triebverdrängende Sexualmoral ...39
1.5.3
Normkonformes Sexualverhalten ...40
1.5.4
Abnormes Sexualverhalten ...41
1.5.5
Doppelmoral ...44
1.5.6
Die Verhandlungsmoral als neue Sexualmoral...44
1.5.7
Fallstudie Kinsey ...45
1.6
Fazit...46

2 Die Prostitution als Folge der Sexualität unter moralischen
Gesichtspunkten ... 48
2.1
Prostitution und Sexualität als Ware der Gesellschaft ...48
2.1.1
Begriffsbestimmung Prostitution ...49
2.1.2
Die Zwangsprostitution ...51
2.1.2.1
Kinderprostitution als Form der Zwangsprostitution ...
52
2.1.2.2
Menschenhandel ...
54
2.1.2.3
Kinderhandel als Form von Menschenhandel und Zwangsprostitution...
54
2.1.3
Die Prostitution als Spiegel der Doppelmoral ...55
2.2
Prostitution in Deutschland ...55
2.2.1
Rechtliche Situation...55
2.2.2
Zahlen und Fakten...57
2.2.3
Freier im Inland...58
2.2.4
Exkurs: Im Gespräch mit einem Bordellbesitzer ...60
2.3
Fazit...62
3 Prostitution und Tourismus im Zusammenhang -
unter psychologischen und gesellschaftlichen Aspekten ... 63
3.1
Tourismus...63
3.1.1
Ursprünge des Tourismus ...63
3.1.2
Motive der Touristen...64
3.2
Prostitutionstourismus...65
3.2.1
Begriffsbestimmung Prostitutionstourismus...65
3.2.2
Tourismus als Auslöser für Prostitution - Prostitution als Auslöser für
Tourismus...67
3.3
Die männlichen Prostitutionstouristen ...69
3.3.1
Typisierungen...70
3.3.2
Angestrebte Beziehungsformen ...73
3.3.2.1
Kurzer sexueller Kontakt ...
73
3.3.2.2
Längerfristiger sexueller Kontakt ...
74
3.3.2.3
Suche nach der Lebenspartnerin ...
75
3.3.2.4
Suche nach der ,besonderen Frau' ...
75
3.3.2.5
Ungeplanter, spontaner sexueller Kontakt ...
75
3.3.3
Motivationen ...76
3.3.3.1
Preis ...
76
3.3.3.2
Bequemlichkeit und Sex ohne Verantwortung ...
76
3.3.3.3
Macht ...
77
3.3.3.4
Abnormes Sexualverhalten und die Vermeidung strafrechtlicher Verfolgung...
77
3.3.3.5
Anonymität...
78
3.3.3.6
Emanzipation ...
78
3.3.3.7
Exotik ...
79
3.3.3.8
Emotionalität ...
79
3.3.3.9
Regeneration ...
80
3.3.4
Abschließender Vergleich zwischen Prostitutionstouristen und Freiern
im Inland...80

3.4
Die weiblichen Prostitutionstouristen...81
3.4.1
Typisierungen...82
3.4.2
Motivationen ...84
3.4.2.1
Bestätigung der Weiblichkeit ...
84
3.4.2.2
Das Klischee der Fremdartigkeit ...
85
3.4.2.3
Macht ...
86
3.4.2.4
Emotionale Bindung und Romanze ...
87
3.5
Die Prostituierten ...87
3.5.1
Strukturelle Unterschiede und Arten der Prostitution...87
3.5.2
Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Prostituierten...89
3.6
Fazit...90
4 Die allgemeinen Auswirkungen des Tourismus auf das Ziel-
gebiet im Zusammenhang mit dem Prostitutionstourismus... 92
4.1
Wirtschaftliche Auswirkungen...92
4.1.1
Die Erhöhung des Bruttoinlandsproduktes ...92
4.1.2
Die Verbesserung der Zahlungsbilanz...93
4.1.3
Die Förderung der Regionalentwicklung...93
4.1.4
Die Steigerung der öffentlichen Einnahmen ...93
4.1.5
Die Verbesserung des Einkommensniveaus durch Schaffung neuer
Arbeitsplätze ...93
4.2
Soziokulturelle Auswirkungen ...94
4.2.1
Akkulturation und Demonstrationseffekt ...95
4.2.2
Sozialstruktur und Tradition...96
4.2.2.1
Familienstruktur ...
96
4.2.2.2
Stellung der Frau ...
97
4.2.2.3
Soziale Hierarchie...
98
4.2.2.4
Umsiedlung...
98
4.2.3
Kultur und Tradition ...99
4.2.4
Werte und Moral ...100
4.2.5
Gesundheit ...101
4.2.5.1
HIV/Aids im Allgemeinen ...
101
4.2.5.2
HIV/Aids im Zusammenhang mit Tourismus ...
101
4.2.6
Kriminalität: Drogen, Terrorismus, Verbrechen...102
4.2.7
Völkerverständigung...102
4.3
Fazit...103

5 Zielgebiete des Prostitutionstourismus... 105
5.1
Thailand ...105
5.1.1
Landesstruktur und Bevölkerung ...105
5.1.2
Wirtschaft ...106
5.1.3
Prostitution und Tourismus...108
5.1.3.1
Entstehung der Prostitution ...
108
5.1.3.2
Aktuelle Lage ...
108
5.1.3.3
Zwangsprostitution...
109
5.1.3.4
HIV/Aids...
110
5.1.4
Religion ...110
5.1.5
Sexualität...111
5.1.6
Die Rolle der Frau in der Gesellschaft...112
5.1.7
Der rechtliche Aspekt der Prostitution ...113
5.2
Kambodscha ...115
5.2.1
Landesstruktur und Bevölkerung ...115
5.2.2
Wirtschaft ...115
5.2.3
Prostitution und Tourismus...116
5.2.3.1
Enstehung...
116
5.2.3.2
Aktuelle Lage ...
117
5.2.3.3
Zwangsprostitution...
117
5.2.3.4
HIV/Aids...
118
5.2.4
Religion ...119
5.2.5
Die Rolle der Frau in der Gesellschaft...119
5.2.6
Der rechtliche Aspekt der Prostitution ...119
5.3
Kenia ...121
5.3.1
Landesstruktur und Bevölkerung ...121
5.3.2
Wirtschaft ...121
5.3.3
Prostitution und Tourismus...123
5.3.3.1
Entstehung...
123
5.3.3.2
Aktuelle Lage ...
123
5.3.3.3
Zwangsprostitution...
123
5.3.3.4
HIV/Aids...
124
5.3.4
Religion ...124
5.3.5
Sexualität...125
5.3.6
Die Rolle der Frau in der Gesellschaft...125
5.3.7
Der rechtliche Aspekt der Prostitution ...126
5.4
Jamaika...127
5.4.1
Landesstruktur und Bevölkerung ...127
5.4.2
Wirtschaft ...127
5.4.3
Prostitution und Tourismus...129
5.4.3.1
Entstehung...
129
5.4.3.2
Aktuelle Lage ...
129
5.4.3.3
Zwangsprostitution...
129
5.4.3.4
HIV/Aids...
130
5.4.4
Religion ...130
5.4.5
Die Rolle der Frau und des Mannes in der Gesellschaft ...131
5.4.6
Der rechtliche Aspekt der Prostitution ...132

5.5
Kuba ...133
5.5.1
Landesstruktur...133
5.5.2
Wirtschaft ...133
5.5.2.1
Wirtschaftfaktor Tourismus...
134
5.5.2.2
Aktuelle Lage ...
134
5.5.3
Prostitution und Tourismus...136
5.5.3.1
Entstehung...
136
5.5.3.2
Aktuelle Lage ...
137
5.5.3.3
Zwangsprostitution...
137
5.5.3.4
HIV/Aids...
138
5.5.4
Religion ...138
5.5.5
Die Rolle der Frau in der Gesellschaft...139
5.5.6
Der rechtliche Aspekt der Prostitution ...140
5.6
Fazit: Die Länder im Vergleich ...141
6
Maßnahmen aller am Tourismus beteiligten Akteure und ihr
Umgang mit Prostitution und Prostitutionstourismus ... 144
6.1
Das Zielgebiet...144
6.1.1
Rechtliche Maßnahmen...145
6.1.1.1
Verbot oder Legalisierung von Prostitution ...
146
6.1.1.2
Registrierung der Prostituierten am Beispiel Thailand ...
147
6.1.1.3
Vorverlagerung der Sperrzeit am Beispiel Thailand...
147
6.1.1.4
,Ausgehsperren' für Frauen am Beispiel Thailand ...
148
6.1.1.5
Lizenzvergabe ...
148
6.1.2
Lenkung der Touristenströme...149
6.1.2.1
Einreisepolitik...
150
6.1.2.2
Strukturpolitik ...
150
6.1.3
Bildungspolitik ...151
6.1.3.1
Bildungspolitik am Beispiel Kuba...
152
6.1.3.2
Eine speziell auf Tourismus bezogene Bildungspolitik am Beispiel Kuba ...
153
6.1.4
Informationspolitik...153
6.1.4.1
Information der eigenen Bevölkerung...
153
6.1.4.2
Information der Touristen ...
154
6.1.5
Gesundheitspolitik ...156
6.1.5.1
Allgemeine Maßnahmen im Bereich HIV/Aids ...
156
6.1.5.2
Die Präventionskampagne: '100 % Condom Campain' am Beispiel Thailand...
156
6.1.5.3
Patentrechtregelung für Medikamente am Beispiel Thailand...
157
6.1.6
Finanzpolitik ...157
6.1.6.1
Steuererhebungen...
157
6.1.6.2
Finanzpolitik am Beispiel Kuba...
158
6.1.7
Die Vermarktung und Darstellung des Landes ...158
6.1.7.1
Information der Reisenden über Geschlechtskrankheiten und Prostitution ...
159
6.1.7.2
Imagedarstellung des Landes ...
160

6.2
Das Herkunftsland ...161
6.2.1
Gesundheitspolitik ...161
6.2.1.1
Aids-Präventionsmaßnahmen am Beispiel der Bundeszentrale für gesundheitliche
Aufklärung (BZgA) ...
161
6.2.1.2
Weitere mögliche Aids-Präventionsmaßnahmen der BZgA...
162
6.2.2
Informationspolitik...163
6.2.3
Schulung des Moral- und Verantwortungsbewusstseins ...164
6.2.4 Finanzielle Unterstützung von Organisationen und
Entwicklungsdiensten ...165
6.3
Die Tourismusindustrie ...165
6.3.1
Reiseveranstalter...166
6.3.1.1
Reiseprospekte als Verkaufsinstrument...
166
6.3.1.2
Weitere mögliche Maßnahmen...
168
6.3.1.3
Sozialverantwortliches Reisen am Beispiel Studiosus ...
169
6.3.2
Fluggesellschaften...170
6.3.2.1
Inflight-Videos zur Sensibilisierung des Fluggastes ...
170
6.3.2.2
Einsatz des Inflight-Spots ,,Kindermissbrauch ist kein Kavaliers-delikt"...
171
6.3.2.3
Die interkulturelle Verständigung am Beispiel der deutschen Luft-hansa...
172
6.3.3
Hotels ...172
6.3.3.1
Mögliche Maßnahmen ...
173
6.3.3.2
Verhaltenskodex in der Hotelbranche ...
173
6.3.4
Reisebüros ...174
6.3.5
Medien...175
6.3.5.1
Reiseführer ...
175
6.3.5.2
Stadtpläne...
179
6.4
Die Nichtregierungsorganisationen ...181
6.4.1
Maßnahmen im Zielgebiet ...181
6.4.1.1
Die Unterstützung der Prostituierten am Beispiel von Empower ...
181
6.4.1.2
Erfolgreiche Medienberichterstattung am Beispiel von P.E.A.C.E...
182
6.4.2
Maßnahmen im Herkunftsland...182
6.4.2.1
Exterritorialprinzip ...
182
6.4.2.2
Aufklärungs- und Bildungsarbeit...
183
6.4.3
Maßnahmen in Zusammenarbeit mit der Reiseindustrie ...183
6.4.3.1
Code of Contact...
183
6.4.3.2
Trainingsprogramm Child Wise Tourism ...
183
6.4.3.3
Aufklärungsarbeit...
184
6.5
Fazit...184
7 Schlussbetrachtung und Ausblick ... 187
8 Literaturverzeichnis ... 191
9
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis... 212

Abkürzungsverzeichnis
Abb.
Abbildung
Abs. Absatz
A. d. V.
Anmerkung des Verfassers
a. M.
am Main
Anh. Anhang
Anm.
Anmerkung
Art. Artikel
Aufl. Auflage
bspw. beispielsweise
bzgl. bezüglich
bzw. beziehungsweise
ca. circa
d. h.
das heißt
ebd.
ebenda
etc. et
cetera
erw. erweitert
et al.
et alii (und andere)
e. V.
eingetragener Verein
evtl. eventuell
f. folgende
ff. fortfolgende
Hg. Herausgeber
i. S.
im Sinne
Kap. Kapitel
lt. Laut
Mio. Millionen
Mrd. Milliarden
neubearb. neubearbeitet
Nr. Nummer
o. ä.
oder ähnliches
o. V.
ohne Verfasser
qkm Quadratkilometer
s. siehe
S. Seite
sog. sogenannt
StGB Strafgesetzbuch
Tab. Tabelle
u. a.
unter andere
USA
Vereinigte Staaten von Amerika
USD US-Dollar
u. a.
unter anderem
u. v.
unter vielen
v. a.
vor allem
vs. versus
vgl. vergleiche
z. B.
zum Beispiel
z. T.
zum Teil

Einleitung
1
0 Einleitung
Als die Touristen kamen,
verwandelte sich unser Inselvolk in einen grotesken Karneval ­
Nebenvorstellung, zwei Wochen lang.
Als die Touristen kamen,
legten unsere Männer ihre Fischernetze beiseite, um Kellner zu werden,
unsere Frauen wurden Huren.
Als die Touristen geflogen kamen,
flog das, was wir an Kultur eigen nannten, zum Fenster hinaus ­
für unsere Sitten und Gebräuche handelten wir uns Sonnenbrillen und Pop ein,
aus heiligen Theorien machten wir billige Peep-Shows.
Als die Touristen kamen,
wurde unser Essen knapp, die Preise gingen hoch, aber unsere Löhne blieben unten.
Als die Touristen kamen,
durften wir nicht mehr hinunter ans Meer gehen, der Hoteldirektor sagte
,,Eingeborene verschmutzen den Strand".
Als die Touristen kamen,
wurden Hunger und Elend konserviert und als vorüberziehender Festzug klickender Kameras zur
Schau gestellt ­ welch schicker Schandfleck!
Als die Touristen kamen,
forderte man uns auf, ,,Botschafter zu Fuß" zu sein, immer lächelnd und höflich stets dem verwirrten
Gast den Weg zu weisen...
Zum Teufel, könnten wir ihnen nur sagen, wohin wir sie uns wirklich wünschen!
1
-
C. Rajendra-
0.1 Problemstellung
Jedes Jahr reisen laut der katholischen Organisation Missio 400.000 deutsche Män-
ner ins Ausland, um sich dort sexuelle Dienstleistungen zu kaufen.
2
Was motiviert
diese Männer, aber auch zunehmend Frauen, in ferne Länder zu reisen, mit dem Ziel
bei Prostituierten sexuelle Befriedigung zu finden, da doch auch überall in Deutsch-
land Bordelle zu finden sind? Ist es das Klischee der exotischen Frau und die unge-
zwungene Urlaubsatmosphäre, die den tristen Alltag und die ,emanzipierten Frauen'
in Deutschland vergessen lassen?
,,Forschungen über Prostitutionstouristen haben aus vielen Gründen gesellschaftliche
Relevanz. Zum einen ist der Prostitutionstourismus ein Geschäft, bei dem die ,Wa-
1
Spreitzhofer, G., Tourismus dritte Welt Brennpunkt Südostasien, 1995, S. 90
2
Vgl. Fuchs, H., Sextourismus ­ ein gigantisches, weltweit boomendes Geschäft, 2004, S. 3

Einleitung
2
ren' Frau und kaufbarer Sex auf der einen Seite stehen und [...] Männer als Käufer
auf der anderen. Prostitutionstouristisches Verhalten ist sexistisch und rassistisch, da
es auf einseitigen und unumkehrbaren Ausbeutungsverhältnissen zwischen Frauen
und Männern und zwischen Industrie- und sog. Entwicklungsländern beruht."
3
Wenn Menschen zu einer ,Ware' werden, dann hat das einen bitteren Nachge-
schmack. Das Phänomen des sexuell motivierten Touristen ist nicht neu, jedoch sind
das quantitative Ausmaß und die hochorganisierte Form teilweise in den Zielgebieten
in erschreckender Weise angewachsen.
4
Noch vor einigen Jahren wurden mit den ,Bumsbombern nach Thailand' Schlagzeilen
gemacht und die Prostitutionstouristen wurden vom Zielgebiet und der Tourismusin-
dustrie als lukrative Einnahmequelle gesehen und gefördert. Heutzutage ist diesbe-
züglich ein Schritt in die richtige Richtung erkennbar. Vor allem die Tourismusindust-
rie ist sich ihrer moralischen Verantwortung bewusster geworden, aber auch die Ziel-
gebiete fördern den Tourismus nicht mehr um jeden Preis. Vor allem im Bereich der
sexuellen Ausbeutung von Kindern durch Touristen können sich die Beteiligten nicht
mehr ihrer Verantwortung entziehen.
0.2 Stand der Forschung und Untersuchungsgegenstand
Anfang der 80er Jahre befassten sich sowohl kirchliche als auch Frauen- und ,Dritte-
Welt'-Gruppen erstmals mit der Problematik des Sextourismus. Sie setzten neue Ak-
zente in der Berichterstattung, welche zuvor lediglich durch die Medien geprägt wa-
ren. Von ihnen wurden hauptsächlich Bereiche der sexuellen und wirtschaftlichen
,Ausbeutung' der ,Dritten-Welt' durch Prostitutionstouristen aus den Industrienationen
dokumentiert. Erstmals wurde in den Jahren 1984 und 1988 Prostitutionstourismus
das Thema parlamentarischer Anfragen im Deutschen Bundestag. Im Jahr 1990 ver-
öffentlichte agisra e. V.
5
eine vom Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen
und Gesundheit geförderte Studie über ,,Frauenhandel und Prostitutionstourismus",
die eine Bestandsaufnahme zum Thema sowie eine Rechtsexpertise beinhaltete.
Latza war im Jahr 1987 die erste Autorin, die sich durch Beobachtungen und Inter-
views vor Ort mit der Typisierung und Charakteristik von Sextouristen beschäftigte.
Latza verdeutlicht allerdings nicht, auf welchen theoretischen oder empirischen Hin-
tergründen ihre Aussagen beruhen, ihrer Arbeit fehlt der wissenschaftliche Bezug.
Der Prostitutionstourismus wird in Arbeits- und Forschungsarbeiten vorwiegend in
Bezug auf Südostasien, u. a. von Ryan und Hall, O'Grady, Maurer und Lipka, doku-
3
Rothe, A., Männer, Prostitution, Tourismus, 1997, S. 12
4
Vgl. Lipka, S., Das käufliche Glück in Südostasien, 1989, S. 12
5
Aktionsgemeinschaft gegen internationale und rassistische Ausbeutung e. V.

Einleitung
3
mentiert. In den letzten Jahren entstanden u. a. durch Rothe empirische Untersu-
chungen, die sich, auf der Basis von qualitativen Methoden, mit den Erwartungen
und Hoffnungen sowie mit tatsächlichen Erfahrungen von Prostitutionstouristen be-
fassen.
Vor allem die Ausbreitung von HIV/Aids im Zusammenhang mit dem Prostitutionstou-
rismus führte dazu, dass sich auf nationaler und internationaler Ebene vermehrt Wis-
senschaftler - auch aus den Bereichen der Sozialwissenschaft und der Medizin - mit
der Problematik und den Folgeproblemen des Sextourismus auseinandersetzen, so
u. a. Kleiber und Wilke, die Ergebnisse ihrer umfangreichen Befragung deutscher
Urlauber und Sextouristen veröffentlichten. Auf internationaler Ebene untersuchten
vor allem Sánchez Taylor und O'Connell Davidson die Motivationen der männlichen
und weiblichen Sextouristen.
Grundsätzlich kann festgestellt werden, dass nur wenige empirische Untersuchungen
im Bereich des Prostitutionstourismus vorliegen und viele Betrachtungsweisen femi-
nistisch geprägt sind. Insbesondere der Forschungsstand über die Motivationen der
weiblichen Sextouristen ist bislang noch unzureichend.
In dieser Arbeit werden psychologische Hintergründe der Sexualität sowie das Sexu-
alverhalten und die Moral betrachtet und als Erklärungsbasis auf die Prostitution im
allgemeinen angewandt. Des Weiteren werden die psychologischen und gesell-
schaftlichen Ursachen und Auswirkungen des Prostitutionstourismus und die damit
verbundene soziale Verantwortung aller am Tourismus Beteiligten aufgeführt. An-
hand der verwendeten nationalen und internationalen Literatur über den Prostituti-
onstouristen generell wird hauptsächlich auf den deutschen Prostitutionstouristen
geschlossen. Zudem werden vor allem die deutsche Reiseindustrie und Deutschland
als Herkunftsland herangezogen. Von einer Übertragbarkeit auf andere Industrienati-
onen kann ausgegangen werden. Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt im Prostituti-
onstourismus erwachsener, heterosexueller Personen. Die Formen der Zwangspros-
titution, wie Kinderprostitution, Kinder- und Menschenhandel, werden lediglich zum
besseren Verständnis und für die Vollständigkeit des Themas bearbeitet. Kinderpros-
titutionstourismus steht in engem Zusammenhang mit dem bearbeiteten Thema, und
diese Form des Tourismus wird in der vorliegenden Arbeit zum besseren Verständnis
von Sextourismus erläutert.

Einleitung
4
Die Ausgrenzung folgender Personengruppen und Ausprägungen des Prostitutions-
tourismus ist nötig, um der Arbeit thematisch Grenzen zu setzen:
·
In der vorliegenden Arbeit wird nicht explizit auf den Tourismus homosexuell
orientierter Personen eingegangen. Diese Zielgruppe spielt zwar im Prostituti-
onstourismus eine wichtige Rolle, würde jedoch den Rahmen dieser Arbeit
sprengen.
·
Sexuelle Kontakte zwischen Reisenden untereinander werden ebenfalls nicht
bearbeitet, da in diesem Fall das in der Arbeit stark zum Ausdruck kommende
Ausbeutungsverhältnis zwischen der ,Ersten'- und ,Dritten-Welt', nicht gege-
ben ist.
·
Auf den Prostitutionstourismus in Nahzielen, wie bspw. Tschechien, Holland
und Polen, wird nicht eingegangen. Zwar existiert bzw. entwickelt sich hier zu-
nehmend ein Markt für die kommerziellen sexuellen Dienstleistungen von Rei-
senden, jedoch beschäftigt sich diese Arbeit lediglich mit dem Ferntourismus
in ,Dritte-Welt'- bzw. Schwellenländer.
·
Auf die Hintergründe, wie bspw. die Motivationen der Prostituierten, wird nicht
umfangreich eingegangen, sondern lediglich die strukturellen Unterschiede
und die verschiedenen Arten der Prostitution in den Ländern angeführt. Eine
Abgrenzung ab wann eine Person als Prostituierte bezeichnet werden kann
erweist sich als äußerst problematisch und kann nicht klar definiert werden.
0.3 Zielsetzung
Ziel dieser Arbeit ist die Darstellung des Zusammenhangs zwischen Sexualität, Moral
und Prostitution. Hieraus ergibt sich dann die Frage, ob Prostitution als moralisch
verwerflich angesehen werden kann und inwieweit Prostitution als ,notwendige Trieb-
abfuhr' von der Gesellschaft akzeptiert werden sollte.
Zudem soll geklärt werden, inwieweit Prostitution und Tourismus in Verbindung ge-
bracht werden können und ob Sextourismus allgemein als unmoralisch zu bezeich-
nen ist. Zusätzlich ist ein Ziel dieser Arbeit die Klärung der Frage, ob Prostitutions-
tourismus als Spiegel der herrschenden Moral einer Gesellschaft bezeichnet werden
kann oder lediglich eine unumgängliche Folgeerscheinung des Massentourismus ist.
Die Auswirkungen des Tourismus im allgemeinen und die des Prostitutionstourismus
im speziellen sowie die diesbezügliche Zuordnung der Verantwortung bzw. die Frage
von wem Verantwortung übernommen werden muss oder kann, werden ebenfalls
herausgearbeitet. Außerdem werden bisher existierende allgemeine Maßnahmen zur

Einleitung
5
Bekämpfung bzw. Lenkung des Prostitutionstourismus aufgeführt sowie zusätzliche
Vorschläge für einen Umgang mit Prostitutionstourismus entwickelt.
0.4 Gang der Arbeit
Im Detail sieht der Aufbau der vorliegenden Arbeit wie folgt aus:
Im ersten Teil der Arbeit werden Motivationen sowie die psychologischen Hinter-
gründe und theoretische Ansätze der Sexualität aufgezeigt, zudem wird auf die Se-
xualität und das Sexualverhalten eingegangen. Die Moral und die daraus resultieren-
de herrschende Moral, Sexualmoral und Doppelmoral bilden ein zentrales Thema in
der vorliegenden Arbeit und werden in der zweiten Hälfte des ersten Teils erläutert.
Anschließend wird im zweiten Teil der Arbeit die Prostitution auf eine Folgeerschei-
nung des Sexualverhaltens reduziert und als eine gesellschaftliche Erscheinung der
Sexualität betrachtet. In diesem Kapitel werden wichtige, für die Arbeit notwendige
Begriffe zum Thema Prostitution geklärt und folglich die Prostitution in Deutschland
näher erläutert. Durch ein Interview mit einem Bordellbetreiber wird das Thema pra-
xisnah beleuchtet und abgerundet.
Im dritten Teil wird der Zusammenhang zwischen Prostitution und Tourismus allge-
mein geklärt. Anfänglich werden die Begrifflichkeiten Tourismus und Prostitutionstou-
rismus erläutert und anschließend der männliche Prostitutionstourist typisiert, sowie
die Beziehungsformen und die Motivationen der Männer aufgeführt. Weiterhin wer-
den die Motivationen der Freier im In- und Ausland miteinander verglichen, und es
wird auf die weiblichen Prostitutionstouristen eingegangen. Sie werden ebenfalls ty-
pisiert und ihre Motivationen aufgezeigt. Abschließend werden die strukturellen Un-
terschiede der Prostitution und die Unterschiede zwischen den männlichen und weib-
lichen Prostituierten behandelt.
Auf die wirtschaftlichen und soziokulturellen Auswirkungen des Tourismus wird im
vierten Teil eingegangen und der Zusammenhang mit dem Prostitutionstourismus
geklärt.
Im fünften Teil der Arbeit findet eine Betrachtung ausgewählter Zielgebiete des
Prostitutionstourismus unter den Aspekten der Wirtschaft, Religion, Sexualität und

Einleitung
6
des Rechts im jeweiligen Land statt. Anschließend werden die wichtigsten Unter-
schiede in einem Ländervergleich aufgeführt und miteinander verglichen
Im sechsten Teil werden bestehende Maßnahmen bzgl. des Umgangs und der Len-
kung des Prostitutionstourismus durch das Zielgebiet, das Herkunftsland, die touristi-
schen Akteure und durch Nichtregierungsorganisationen aufgezeigt und weitere,
noch zu entwickelnde Maßnahmen vorgeschlagen. Mögliche Maßnahmen des Ziel-
gebietes werden anhand verschiedener Länderbeispiele beschrieben.
Im siebten Teil der Arbeit findet eine Schlussbetrachtung zum Thema der morali-
schen Verantwortlichkeit und eine Abwägung und Wertung der Verantwortung aller
Beteiligten im Tourismus statt. Ein Ausblick auf zukünftige Entwicklungsperspektiven
schließt die Betrachtung ab.

Die Sexualität aus psychologischer und moralischer Sicht
7
1 Die Sexualität aus psychologischer und moralischer
Sicht
1.1 Die theoretischen Ansätze
Im Laufe der Zeit bildeten sich in der Psychologie verschiedene Ansätze, die den
sexuellen Antrieb und das sexuelle Verhalten unterschiedlich begründen
.
Jeder der
Ansätze beruht auf bestimmten Vorannahmen und führt zu einer jeweils anderen He-
rangehensweise an die Fragestellungen und Ziele der Psychologie.
6
Vorab muss hierfür der Begriff der Motivation geklärt werden. Dieser ist abgeleitet
von dem lateinischen Verb movere (bewegen) und ist die allgemeine Bezeichnung
für alle Prozesse, die körperliche und psychische Vorgänge auslösen, steuern oder
aufrechterhalten. Er wird verwendet, um die Bevorzugung ganz bestimmter Handlun-
gen, die Intensität von Reaktionen sowie die Beharrlichkeit des Handelns bei der
Verfolgung von Zielen zu erklären.
7
Vielfach werden derzeit diese inneren motivie-
renden Bedingungen des Menschen in biologische Motivationen (Triebe) und psy-
chologische Motivationen (Motive) unterteilt. Die biologischen Motivationen resultie-
ren in der Regel aus fundamentalen Bedürfnissen des Organismus, wie bspw. nach
Nahrung, Trinken, Schlaf, Sexualität und Wärme. Die psychologischen Motivationen
ergeben sich dagegen aus Bedürfnissen wie sozialer Anerkennung, Selbstachtung,
Sicherheit, Leistung oder Wissen, wobei der genaue Ursprung dieser psychologi-
schen Motivationen noch immer unterschiedlich beurteilt wird.
8
1.1.1 Der instinkttheoretische und ethologische Ansatz
Der aus der Biologie kommenden Instinkttheorie nach, werden Lebewesen mit be-
stimmten vorprogrammierten Verhaltenstendenzen geboren, die für das Überleben
ihrer Art wesentlich sind. Somit ist Motivation angeboren und hat mechanisch ablau-
fende Verhaltensmuster zur Folge. Das Instinktverhalten kann folglich als Produkt
aus internen und externen Motivationsquellen beschrieben werden. Die interne Quel-
le besteht aus dem genetischen Erbe, welches das artspezifische Handlungsmuster
bestimmt. Die Umgebungsbedingungen, die dieses Muster zu einem bestimmten
Zeitpunkt und bei bestimmten Reizmerkmalen auslösen, bilden die externe Motivati-
onsquelle.
9
In frühen Theorien wurde die Bedeutung von Instinkten beim Menschen
6
Vgl. Zimbardo, P. G.; Gerrig, R., Psychologie, 1999, S. 16
7
Vgl. ebenda, S. 319 f.
8
Vgl. Becker-Carus, C., Allgemeine Psychologie, 2004, S. 446
9
Vgl. Zimbardo, P. G.; Gerrig, R., Psychologie, 1999, S. 322 ff.

Die Sexualität aus psychologischer und moralischer Sicht
8
überbewertet. So vertrat William James (1890) die Überzeugung, dass Menschen
neben den biologischen Instinkten, die sie mit den Tieren gemeinsam haben, auch
über zahlreiche soziale Instinkte wie Sympathie, Bescheidenheit, Geselligkeit und
Liebe verfügen.
10
1.1.2 Der psychoanalytisch-triebtheoretische Ansatz
Die wichtigsten Impulse für eine Triebtheorie menschlichen Verhaltens stammen von
Sigmund Freud (1915), dessen theoretische Konzeption für die menschliche Motiva-
tion viele Jahrzehnte einen zentralen Ansatz für die weitere Motivationsforschung
bildete. Freud beschreibt Triebe als eine aus dem Körperinneren kommende, kon-
stant wirkende Kraft, ohne bewussten Zweck. Diese Kraft kommt ohne Mitwirkung
des Bewusstseins und des Denkens zustande und wird dann aber bewusst erlebt.
Sie bewegt oder treibt den Menschen zu den Handlungen an, durch die eine Befrie-
digung und damit eine Aufhebung des Reizzustandes an der Triebquelle erreicht
wird. Psychologisch wird dieser Prozess als Triebbefriedigung erlebt. In vielfältiger
Weise beeinflussen nach Freud Triebe und triebhafte Impulse, die aus dem Unter-
bewussten aufsteigen, unbewusst sowohl Handlungen als auch Gedanken und Ge-
fühle, auch wenn zu deren Verständnis zumeist rationale Erklärungen bereitgehalten
werden.
11
Freud nahm an, dass der Mensch über angeborene Triebe verfügt. Hierbei handelt
es sich um Systeme, die Spannungen erzeugen und an Körperorgane gebunden
sind. Ursprünglich setzte Freud zwei grundlegende Triebe voraus:
12
· Zum einen den Trieb, der sich auf das Ego (Ich) oder die Selbsterhaltung wie
Hunger, Durst und anderer existentielle körperliche Bedürfnisse bezog.
· Zum anderen den von Freud Eros benannten Trieb, der mit sexuellem Verlan-
gen und mit der Arterhaltung zusammenhing.
Freud zeigte auf, dass derselbe Trieb, bspw. der Sexualtrieb, direkt durch Ge-
schlechtsverkehr oder auch indirekt, bspw. durch sexuelle Witze oder Mittel der
Kunst, Ausdruck finden kann.
13
Des Weiteren führte Freud Persönlichkeitsunterschiede auf die Art und Weise, wie
Menschen mit ihren grundlegenden Trieben umgehen, zurück.
10
Vgl. Zimbardo, P. G.; Gerrig, Psychologie, 1999, S. 323
11
Vgl. Becker-Carus, C., Allgemeine Psychologie, 2004, S. 441
12
Vgl. Holder, A., Einleitung, 1992, S. 9; vgl. Zimbardo, P. G.; Gerrig, R., Psychologie, 1999, S. 531
13
Vgl. Zimbardo, P. G.; Gerrig, R., Psychologie, 1999, S. 531

Die Sexualität aus psychologischer und moralischer Sicht
9
So ist der Sitz der primären Triebe das Es. Das Es wird als primitiver und unbewuss-
ter Teil der Persönlichkeit betrachtet. Es arbeitet irrational, wird von Impulsen getrie-
ben und drängt auf Ausdruck und unmittelbare Befriedigung, wobei es nicht in Be-
tracht zieht, ob das, was begehrt wird, auch im Bereich des Möglichen liegt und sozi-
al erwünscht oder moralisch akzeptabel ist. Das Es wird vom Lustprinzip, also dem
ungesteuerten Streben nach Befriedigung, besonders nach sexueller, körperlicher
und emotionaler Lust, bestimmt.
14
Der Sitz der Werte und der in der Gesellschaft geltenden moralischen Regeln und
Normen ist das Über-Ich. Es entspricht in etwa dem Gewissen und enthält mit dem
Ich-Ideal das Bild eines Menschen von dem, was er anstreben sollte. Da das Über-
Ich die Gesellschaft im Individuum repräsentiert, steht es oft im Konflikt mit dem Es,
dem Repräsentanten individueller Bedürfnisse.
15
In diesem Konflikt zwischen Es und Über-Ich wird durch das Ich vermittelt und ein
Kompromiss arrangiert, der beide wenigstens zum Teil zufrieden stellt. Das Ich ver-
körpert den realitätsorientierten Aspekt der Persönlichkeit und stellt somit vernünftige
Entscheidungen über lustbetonte Wünsche. Es steht für die Auffassung, die eine in-
dividuelle Person von der physischen und der sozialen Realität hat und für Ihre be-
wussten Überzeugungen über Ursachen, Folgen und Möglichkeiten.
16
1.1.3 Der behavioristisch-biopsychologische Ansatz
Innerhalb der amerikanisch-behavioristisch orientierten Psychologie in den 1920er
Jahren entwickelte sich als Gegensatz zu den instinkttheoretischen Ansätzen ein
lernpsychologisch ausgerichtetes Motivationskonzept, das zum einen den individuell
wandelbaren und zum anderen den kulturspezifisch unterschiedlichen Motivationen
eher gerecht wurde. In Deutschland war der Behaviorismus in den 60er und 70er
Jahren das vorherrschende Forschungsparadigma.
17
Ausgangspunkt dieses Ansat-
zes sind die objektiv nachweisbaren biologisch-physiologischen Bedürfnisse (needs)
des Organismus, die diesen in einen erregten (aroused) Zustand versetzen, der ihn
motiviert oder treibt (drives), den Bedarf zu beseitigen. Dieser Triebbegriff (drive) un-
terscheidet sich wesentlich von den als angeboren angenommenen Kräften der alten
Instinktlehre und Trieben im psychoanalytischen Sinne.
18
Zu diesem Ansatz gehört
das homöostatische
19
Motivationsmodell wonach biologisch-physiologische Motivati-
14
Vgl. Zimbardo, P. G.; Gerrig, R., Psychologie, 1999, S. 533
15
Vgl. ebenda, S. 533
16
Vgl. ebenda, S. 533
17
Vgl. ebenda, S. 12 f.
18
Vgl. Becker-Carus, C., Allgemeine Psychologie, 2004, S. 441 f.
19
Homöostase = die Aufrechterhaltung des konstanten inneren Zustandes trotz wechselnder äußerer
Umstände. Homöostatische Motivationen haben somit ihren Ursprung in physiologischen Verände-

Die Sexualität aus psychologischer und moralischer Sicht
10
onen in homöostatische, wie Hunger, Durst oder das Wärmebedürfnis, und nicht ho-
möostatische Motivationen, wie die sexuelle Erregung, Emotionen oder Neugier, un-
terteilt werden. Nicht homöostatische Motivationen werden durch Veränderungen in
der externen Umwelt des Organismus ausgelöst und in der Regel auch durch diese
befriedigt. Sie finden ihr Ziel in erregenden oder entspannenden Befriedigungen und
sind nicht wie die homöostatische Motivationen auf die Aufrechterhaltung eines phy-
siologischen oder psychologischen Gleichgewichtszustandes ausgerichtet.
20
Des Weiteren zählt zu diesem Ansatz die lernpsychologische Triebtheorie von Clark
Hull, der darin sowohl die biologischen (primären) Antriebe, als auch die durch Lern-
prozesse aus ersterem hervorgehenden sekundären Antriebe berücksichtigt. Hull
nahm an, dass Motivation eine notwendige Vorraussetzung für Lernen sei und Ler-
nen eine wesentliche Bedingung für eine erfolgreiche Anpassung aller Lebewesen an
die Umwelt. Er betont die Bedeutung der Spannung bei der Motivation und der
Spannungsreduktion als Verstärker. Seiner Ansicht nach sind Primärtriebe biologisch
bedingt und werden ausgelöst, wenn sich der Organismus in einem Mangelzustand
befindet. Sobald die den Organismus aktivierenden Triebe vermindert oder befriedigt
werden, hört der Organismus auf zu handeln. Diese Primärtriebe sind nicht von
Lernprozessen abhängig, stellen jedoch eine zentrale Voraussetzung jeglichen Ler-
nens dar.
21
Im Gegensatz hierzu entstehen sekundäre Triebe, also psychologische
Motive, wie Anerkennung, Achtung, Leistung, Furcht oder Angst, nach dem Para-
digma der klassischen Konditionierung.
22
1.1.4 Der kognitive Ansatz
Bei diesem Ansatz der Motivationsforschung werden in erster Linie kognitiv bewusste
Prozesse (Motive) als verantwortlich für das zielorientierte Handeln des Individuums
betrachtet und nicht so sehr biologisch-physiologische Prozesse primärer Motivation
oder direkte Aktivierungen durch spezifische Reizeigenschaften. Viele Psychologen
teilen gegenwärtig die Ansicht, dass ein großer Teil menschlicher Motivation nicht
durch die objektive äußere Welt, sondern durch die subjektive Interpretation dieser
Welt bedingt ist.
23
Oft werden Handlungen durch das bestimmt, was man für vergan-
gene Erfolge und Misserfolge verantwortlich macht, durch persönliche Vorstellungen
von der Erreichbarkeit einer Sache und durch die Erwartungen an das Ergebnis einer
rungen, die das physiologische
Gleichgewicht des Organismus stören. Ausgelöst im internen Milieu
des Organismus kommen sie z. B. als Hungerempfinden zum Bewusstsein und veranlassen den Or-
ganismus das biologische Gleichgewicht wiederherzustellen.
20
Vgl. Becker-Carus, C., Allgemeine Psychologie, 2004, S. 446 f.
21
Vgl. Zimbardo, P. G.; Gerrig, R., Psychologie, 1999, S. 321
22
Vgl. Becker-Carus, C., Allgemeine Psychologie, 2004, S. 443
23
Vgl. ebenda, S. 443 ff.

Die Sexualität aus psychologischer und moralischer Sicht
11
Handlung. Das Motivationskonzept wird somit um die ganze Dimension vorgestellter
Ziele, Erwartungen, Ideen, Ideale, Wertvorstellungen und Wunscherfüllungen erwei-
tert, durch deren Erreichen das Handeln zielorientiert motiviert wird.
24
Somit wird deutlich, dass Motive und Anreize aufeinander bezogen sind und situative
oder vorgestellte Anreize das Motivziel kennzeichnen. Die individuell unterschiedli-
che Gewichtung der Ziele bezeichnet die Stärke der Motive und ergibt ihre Wirksam-
keit auf den Organismus. Bei mehreren Handlungsalternativen wird die Alternative
verfolgt, bei der der Erwartungswert am höchsten ist. Hierbei können zusätzlich die
individuell unterschiedlichen Auswirkungen auf andere Menschen, also soziale Moti-
ve wie bspw. Altruismus
25
oder Egoismus, einbezogen werden.
26
Ein Missverhältnis zwischen Erwartung und Wirklichkeit kann ein Individuum dazu
veranlassen, sein Verhalten zu ändern. Ist es bspw. der Meinung, sein Verhalten
entspräche nicht den Normen oder Werten einer Gruppe, kann es motiviert sein, sein
Verhalten zu ändern, um sich besser zu integrieren.
27
Die Zuordnung der Motivation
als eine interne oder externe Quelle hängt von der subjektiven Interpretation der
Wirklichkeit ab, da denkende Lebewesen Motivationen bzw. das Ergebnis individuel-
len Verhaltens entweder sich selbst oder aber der Umwelt zuschreiben. Diese Zu-
schreibung beeinflusst das weitere individuelle Verhalten.
28
1.1.5 Der humanistische Ansatz
In diesem Ansatz wird angenommen, dass der Mensch weder durch starke biolo-
gisch determinierte Trieb- oder Instinktkräfte getrieben, noch durch allgegenwärtige
Umweltdeterminanten manipuliert wird. Der Mensch wird als aktives Wesen gesehen,
von Natur aus gut und fähig, den eigenen Weg zu wählen, um eine optimale Selbst-
verwirklichung zu erreichen.
29
Abraham Maslow stellte die Theorie auf, dass sich die grundlegenden Motive des
menschlichen Handelns in einer Bedürfnishierarchie anordnen lassen. Der wesentli-
che Gedanke dabei ist, dass die Bedürfnisse auf einer bestimmten Hierarchiestufe -
angeordnet in aufsteigender Reihenfolge vom ,primitivsten' bis zum ,anspruchsvolls-
ten' - die Motivation eines Menschen so lange beherrschen, wie sie unbefriedigt blei-
ben. Erst wenn sie erfüllt werden, wenden sich Aufmerksamkeit und Handeln der
nächsten Stufe zu.
30
Grundlegend unterscheidet Maslow dabei zwischen Mangelmo-
24
Vgl. Becker-Carus, C., Allgemeine Psychologie, 2004, S. 443 ff.
25
Altruismus = durch Rücksicht auf andere gekennzeichnete Denk- und Handlungsweise
26
Vgl. ebenda, S. 443 f.
27
Vgl. ebenda, S. 443 ff.
28
Vgl. Zimbardo, P. G.; Gerrig, R., Psychologie, 1999, S. 350
29
Vgl. ebenda, S. 14 f.
30
Vgl. Maslow, A. H., Motivation und Persönlichkeit, 1981, S. 63 ff.

Die Sexualität aus psychologischer und moralischer Sicht
12
tivationen, die den Menschen dazu veranlassen, sein physisches oder psychisches
Gleichgewicht wiederherzustellen und Wachstumsmotivationen, die ihn veranlassen,
über sein bisheriges Tun und Handeln hinauszuwachsen.
31
So müssen zuerst die grundlegenden biologischen (Mangel-)Bedürfnisse, wie bspw.
die Grundbedürfnisse nach Nahrung und Sexualität in der niedrigsten Stufe, befrie-
digt sein, ehe die Sicherheitsbedürfnisse aktiv werden können. Ist hier eine Befriedi-
gung hergestellt, entstehen mit den Zugehörigkeits- und Liebesbedürfnissen der
Wunsch nach Zugehörigkeit, der Verbindung mit anderen und der Wunsch Liebe zu
empfangen sowie zu geben.
32
In der nächsten Stufe folgen Bedürfnisse die mit dem
Selbstwert und der Anerkennung durch andere zusammenhängen. Sind diese Be-
dürfnisse gestillt treten kognitive Bedürfnisse, also Bedürfnisse nach Wissen, Verste-
hen und etwas Neuem auf, gefolgt von den ästhetischen Bedürfnissen nach Ordnung
und Schönheit.
33
Als vorerst letzte Stufe misst Maslow der Selbstverwirklichung als
Bedürfnis sich selbst zu erfüllen und seine Talente und Fähigkeiten voll zu entwickeln
besondere Bedeutung zu.
34
Später fügte Maslow der Hierarchie noch das Bedürfnis
nach Transzendenz, also das Bedürfnis nach spiritueller Identität jenseits des per-
sönlichen Selbst, als höchsten Punkt menschlichen Strebens und höchste Stufe der
moralischen Entwicklung hinzu.
35
1.1.6 Der evolutionäre Ansatz
Dieser Ansatz unterscheidet sich grundlegend von den anderen Ansätzen, da er ver-
sucht, die moderne Psychologie mit Charles Darwins Grundgedanken der Evolution
als Ergebnis natürlicher Selektion zu verbinden.
36
Grundlegend für diesen Ansatz ist
der Gedanke, dass sich die psychische Ausstattung des Menschen über Millionen
von Jahren im Dienste der Anpassung an die äußeren Lebensbedingungen analog
zu den körperlichen Merkmalen entwickelt hat. Das Gehirn als Träger der psychi-
schen Anpassung unterliegt demselben allgemeinen Prinzip der natürlichen Selekti-
on wie andere Organe, wobei seine innere Struktur und Funktion entsprechend den
Erfordernissen der physischen und sozialen Umwelt geformt wird. Nur die Gehirne,
die angemessenes Verhalten hervorbringen, überstehen die Selektion und vermeh-
ren sich. Des Weiteren
spielen die Umweltbedingungen, unter denen sich das
menschliche Gehirn entwickelte, in diesem Ansatz eine wichtige Rolle. Durch den
31
Vgl. Becker-Carus, C., Allgemeine Psychologie, 2004, S. 477 f.
32
Vgl. Schönpflug, W.; Schönpflug, U., Psychologie, 1989, S. 373 f.
33
Vgl. Becker-Carus, C., Allgemeine Psychologie, 2004, S. 478
34
Vgl. Zimbardo, P. G.; Gerrig, R., Psychologie, 1999, S. 324 f.
35
Vgl. Schönpflug, W.; Schönpflug, U., Psychologie, 1989, S. 373 f.
36
Vgl. Zimbardo, P. G.; Gerrig, R., Psychologie, 1999, S. 15

Die Sexualität aus psychologischer und moralischer Sicht
13
umfangreichen theoretischen Hintergrund der Evolutionsbiologie werden die wesent-
lichen Anpassungsprobleme des Menschen während der Zeit als Jäger und Samm-
ler, wie bspw. die Vermeidung der Bedrohung durch Raubtiere, das Sammeln und
Austauschen von Nahrung, analysiert. Sind diese Anpassungsleistungen erkannt,
werden Schlüsse über die psychischen Strukturen und Prozesse gezogen, die sich
zur Lösung dieser Probleme entwickelt haben könnten.
37
1.1.7 Abschließende Betrachtung
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es keine allumfassende Theorie gibt,
die das menschliche Verhalten und somit auch die Sexualität erklären könnte. Vor
allem jedoch haben Sigmund Freud und seine Schüler den psychoanalytischen An-
satz und somit die Sexualforschung vom Beginn des 19. Jahrhundert bis in die heuti-
ge Zeit geprägt. Auch wird die heutige deutsche Fachliteratur noch sehr weitgehend
von der Psychoanalyse beeinflusst, welche aber in der internationalen Sexualwis-
senschaft kaum noch eine Rolle spielt.
38
Selbst eine Reihe einflussreicher Psycho-
analytiker haben die Konzentration auf die Triebtheorie aufgegeben und stellen statt-
dessen soziale Einflüsse auf die Entwicklung des Menschen und seine Fähigkeit sich
der Umwelt anzupassen in den Vordergrund.
39
Das bedeutet natürlich nicht, dass
psychoanalytische Methoden veraltet sind oder dass der wissenschaftliche Beitrag
Sigmund Freuds unwichtig geworden ist, sondern, dass man ihm bei der Beschrei-
bung der menschlichen Sexualität nicht mehr unbedingt die Schlüsselstellung ein-
räumen muss. Vor allem durch die Arbeiten von Alfred C. Kinsey, William Masters
und Virginia Johnson wurden in der Forschung neu Wege bestritten.
40
Es kam somit
zum Einzug des Behaviorismus in die Sexualwissenschaften und zu einer Rationali-
sierung der Sexualität.
41
Allgemein ist in der neueren Literatur ein Schwenk von der
Trieb- zur Gefühlspsychologie zu beobachten. So hat unter anderem die humanisti-
sche Psychologie die außerordentliche Wichtigkeit der Sphäre der Gefühle, die auch
Werte, Normen und Ideale beinhaltet, wiederentdeckt.
42
Nachfolgend soll nun die
Sexualität auf die verschiedenen Ansätze hin beleuchtet werden, wobei der Schwer-
punkt auf der Psychoanalyse liegt.
37
Vgl. Cosmides, L.; Tooby, J., From evolution to behaviour: Evolutionary psychology as the missing
link, 1987, S. 277 ff.
38
Vgl. http://www2.hu-berlin.de/sexology/ATLAS_DE/html/vorwort_zur_deutschen_ausgabe.html,
Zugriff: 27.03.2005 (1)
39
Vgl. Zimbardo, P. G.; Gerrig, R., Psychologie, 1999, S. 12
40
Vgl. http://www2.hu-berlin.de/sexology/ATLAS_DE/html/vorwort_zur_deutschen_ausgabe.html,
Zugriff: 27.03.2005 (2)
41
Vgl. Ammicht Quinn, R., Körper ­ Religion ­ Sexualität, 2000, S. 255
42
Vgl. Rattner, J.; Danzer, G., Grundbegriffe der Tiefenpsychologie und Psychotherapie, 2000, S. 99

Die Sexualität aus psychologischer und moralischer Sicht
14
1.2 Die Sexualität
Das Sexualverhalten ist biologisch gesehen nur zur Fortpflanzung nötig und deshalb
für das Überleben des Einzelnen, im Gegensatz zur Nahrungsaufnahme, entbehrlich.
Trotzdem zählt die Sexualität, wie bereits beschrieben, zu den fundamentalen Be-
dürfnissen des Organismus.
1.2.1 Begriffsabgrenzung
Da Sexualität im menschlichen Dasein in vielschichtiger Weise erscheint, ist eine
Definition schwierig. Die Sexualwissenschaft unterscheidet heute grundsätzlich zwi-
schen den Begriffen Sex
43
(Biologisches Geschlecht) und Sexualität (Geschlecht-
lichkeit), wobei sich Sexualität auf eine Kerndimension des Menschseins bezieht, die
das biologische Geschlecht (Sex), Geschlechtsrolle (Gender
44
Role) und Ge-
schlechtsidentität (Gender Identity
45
), die sexuelle Orientierung, Erotik, emotionale
Bindung/Liebe und Fortpflanzung einschließt. Die Sexualität wird erfahren, drückt
sich in Gedanken, Phantasien, Wünschen, Überzeugungen, Rollen sowie Beziehun-
gen aus und entsteht im Zusammenspiel biologischer, psychologischer, sozioöko-
nomischer, kultureller, ethischer und religiöser bzw. spiritueller Faktoren.
46
Nach Bräutigam ist Sexualität aus biologischer Sicht eine spezialisierte Form der
Fortpflanzung. In der subjektiven Erfahrung ist sie eine ganz spezifische Lebensqua-
lität, die eng mit der körperlichen Reifung verbunden ist und sich vorwiegend auf die
Geschlechtsorgane zentriert, ohne aber auf sie beschränkt zu sein. Im sozialen und
zwischenmenschlichen Bereich wird Sexualität zu einer Motivation, durch welche die
menschlichen Beziehungen mit getragen werden, da sie sich auf den Kontakt, die
Geborgenheit und Nähe mit anderen Menschen richtet.
47
Für Phoenix bezeichnet der
43
Sex (das biologische Geschlecht) bezieht sich auf die Summe der biologischen Eigenschaften, die
das Spektrum der Menschheit als weiblich oder männlich definieren.
44
Gender (das psychosoziale Geschlecht) ist die Summe kultureller Werte, Einstellungen, Rollen,
Praktiken und Eigenschaften, die auf der Grundlage des Geschlechts entwickelt werden. Wie es histo-
risch, transkulturell und in heutigen Gesellschaften existiert, reflektiert und perpetuiert besondere
Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen.
45
Gender identity definiert den Grad, zu dem sich die Menschen selbst als männlich, weiblich oder als
Kombination davon identifizieren. Sie ist der im Laufe der Zeit konstruierte Rahmen, der es einem
Individuum ermöglicht, ein Selbstbild zu organisieren und in der Gesellschaft entsprechend seinem
von ihm selbst wahrgenommenen Geschlecht und seiner Geschlechtsrolle zu agieren. Gender identity
bestimmt, wie Individuen ihr Gender, d.h. ihr psychosoziales Geschlecht, erleben, und trägt bei jedem
Individuum zu seiner Selbstwahrnehmung als gleichbleibend, einmalig und zugehörig bei.
46
Vgl. http://www2.hu-berlin.de/sexology/GESUND/ARCHIV/DEUTSCH/KRIT.HTM#G, Zugriff:
27.03.2005 (3)
47
Vgl. Bräutigam, W.; Clement U., Sexualmedizin im Grundriss, 1989, S. 42 ff.

Die Sexualität aus psychologischer und moralischer Sicht
15
Begriff Sexualität im engeren Sinne den Inbegriff sexueller Handlungen, die mit geni-
taler Stimulation und Kopulation verbunden werden.
48
Die Quelle der Energie der sexuellen Impulse werden von Freud mit dem Begriff Li-
bido bezeichnet. Diese betrachtet er als psychische Energie, die den Menschen zu
allen Formen angenehmer sinnlicher Erfahrungen treibt. Somit fällt für Freud unter
den Begriff des menschlichen sexuellen Begehrens nicht allein das Verlangen nach
sexueller Vereinigung, sondern auch alle anderen Versuche, angenehme Erlebnisse
oder körperlichen Kontakt mit anderen aufzusuchen.
49
1.2.2 Die psychosexuelle Entwicklung
Dieser breit definierte Sexualtrieb wird nach Freud bereits im Säuglingsalter wirksam
und durchläuft verschiedene Phasen, deren Verlauf die Grundlage für das spätere
individuelle Verhalten bildet.
Freud stellt ein fünfstufiges Modell der psychosexuellen
Entwicklung auf, in dem er je nach erogener Zone, also der Quelle der sexuellen Lust
unterscheidet.
50
Störungen des Sexuallebens sieht Freud als Ausdruck einer Hem-
mung in dieser psychosexuellen Entwicklung. So führt zu viel Triebbefriedigung oder
eine zu starke Frustration in frühen Stufen zur Unfähigkeit sich normal zur nächsten
Stufe weiterzuentwickeln.
51
Perversion ist somit eine sozial-psychologische Art der
Degeneration, da der kranke Erwachsene in seinen Abartigkeiten auf frühkindlichen
Stufen regrediert.
52
Die Orale Phase
53
als erste Stufe der Libidobefriedigung reicht von der Geburt bis
etwa zum Ende des ersten Lebensjahres, gefolgt von der analen Phase
54
. Eine Fixie-
rung in der Oralen Phase kann bspw. Rauchen, übermäßiges Essen oder auch Pas-
sivität und Leichtgläubigkeit im Erwachsenenalter hervorrufen. Vom vierten bis etwa
zum Ende des sechsten Lebensjahres schließt sich die ödipale (phallische, früh geni-
tale) Phase
55
an. In der ödipalen Phase werden die Grundstrukturen für die späteren
48
Vgl. Runkel, G., Die Sexualität in der Gesellschaft, 2003, S. 6 (zitiert nach: Phoenix, C. H., Animal
Sexual Behavior, in: Shills, D. L. (Hg.), International encyclopedia of the social sciences, 1968, S. 194)
49
Vgl. Zimbardo, P. G.; Gerrig, R., Psychologie, 1999, S. 531
50
Vgl. ebenda, S. 531 f.
51
Vgl. Eickhoff, F. W., Einleitung, 1994, S. 23
52
Vgl. von Bredow, W.; Noetzel, T., Befreite Sexualität?, 1990, S. 197
53
In der Oralen Phase erhält der Säugling seine wichtigsten Erlebnisse und Erfahrungen durch die
sehr sensible, erogene Mundregion. Grundsätzlich führt das Trinken an der Mutterbrust oder an der
Flasche nicht nur zu einer Befriedigung des Nahrungstriebs, sondern es wird vom Säugling als sehr
lustvoll und somit sexuell erlebt.
54
Hier verlagern sich die libidinösen Interessen auf die körperlichen Ausscheidungsorgane, da das
Ausscheiden der Exkremente nun als lustvoll erlebt wird. Zum dominanten Thema in der analen Pha-
se wird die Auseinandersetzung mit der elterlichen Macht.
55
Die bisher unspezifischen sexuellen Interessen werden nun auf den andersgeschlechtlichen Eltern-
teil gerichtet und das zentrale Thema besteht in der ödipalen Phase in der geschlechtsspezifischen
Auseinandersetzung und Identifikation mit den Eltern. Eines der Haupthindernisse in der sexuellen
Entwicklung für Jungen tritt in dieser Stufe auf, da sie den Ödipuskonflikt überwinden müssen. Beim

Die Sexualität aus psychologischer und moralischer Sicht
16
sexuellen Verhaltensweisen gebildet. Freud ist der Meinung, dass ein Kind, welches
die ersten sechs Lebensjahre ohne tiefgreifende Störungen durchlaufen hat, in sei-
nen späteren Lebensjahren vor psychischen Erkrankungen geschützt ist. Auf die
problematische ödipale Phase folgt dann die Latenz-
56
sowie mit Beginn der Pubertät
die genitale Phase
57
als letzte Stufe der psychosexuellen Entwicklung.
58
Die psychischen Strukturen differenzieren sich im Verlauf der kindlichen Entwicklung
aus der ursprünglich undifferenzierten Es-Ich Matrix heraus. Bei normaler Entwick-
lung wird das Ich immer fähiger, die nach Befriedigung drängenden Motive aufzu-
schieben, abzuwehren oder sie entsprechend den vorhandenen Möglichkeiten in der
Realität zu befriedigen.
59
1.2.3 Die Triebunterdrückung
Wie bereits beschrieben, hat das Ich die schwierige Aufgabe, einen Kompromiss
zwischen den maßlosen Es-Impulsen und den strengen, strafenden Motiven des Ü-
ber-Ichs zu bilden, indem es die Befriedigungsmöglichkeiten, die Reaktionen der
Umwelt sowie die Reaktionen des Über-Ichs abschätzt. Nimmt ein unerlaubtes oder
in der Realität auf Dauer gesehen nicht mehr zu befriedigendes Motiv an Stärke zu,
wird es vom Ich durch verschiedene Abwehrmechanismen gebändigt und ins Unbe-
wusste zurückgedrängt. Somit blockiert bzw. leitet das Ich bedrohliche und Angst
auslösende Impulse um, damit die Angst bewältigt wird.
60
Hierbei ist nochmals darauf
hinzuweisen, dass von Freud vor allem die Sexualität, neben aggressiven Wünschen
und einer Reihe biologischer Motive, als die zentrale Antriebskraft des individuellen
Verhaltens gesehen wird.
Die Verdrängung ist der erste von Freud entdeckte Abwehrmechanismus. Eine Vor-
stellung oder deren emotionaler Teil wird in das Unbewusste abgedrängt und dort
durch Gegenbesetzungen am erneuten Eindringen ins Bewusstsein gehindert. Durch
die Verdrängung wird, wie auch bei den anderen Abwehrmechanismen, der Trieb-
wunsch nicht vernichtet, sondern lediglich blockiert und besteht im Es weiter. Er
spielt weiterhin eine Rolle für das Funktionieren der Persönlichkeit und kann außer-
Sohn entsteht die ödipale Situation, in welcher er seine libidinösen Wünsche auf die Mutter konzent-
riert und dabei den Vater als Rivalen erlebt und bekämpft.
56
Das Kind wendet sich neutraleren Objekten der Realität zu und die Entwicklung verläuft nun ruhiger
und realitätsbezogener.
57
Die genitale Phase ist gekennzeichnet durch das Aufkommen sexueller Impulse, die auf die Auf-
nahme des sexuellen Kontaktes zum anderen Geschlecht gerichtet sind.
58
Vgl. Wellhöfer, P. R., Grundstudium Allgemeine Psychologie, 1990, S. 172 ff.
59
Vgl. ebenda, S. 174, vgl. Nitzschke, B., Sexualität und Männlichkeit, 1988, S. 311 ff.; vgl. Freud, S.,
Das Ich und das Es, 1992, S. 285
60
Vgl. Wellhöfer, P. R., Grundstudium Allgemeine Psychologie, 1990, S. 174 f.

Die Sexualität aus psychologischer und moralischer Sicht
17
dem durch eine Schwächung der Gegenbesetzung wie bspw. durch Träume oder
Drogeneinfluss, häufig in verzerrter Form wieder ins Bewusstsein gelangen.
61
So erklären z. B. verdrängte sexuelle Strebungen, aus welchen Gründen sich jemand
einer Sauberkeitskampagne mit dem Ziel die Pornographie auszurotten, anschließt,
bei der er dann notwendigerweise das anstößge Material sorgfältig prüft.
62
Des Weiteren hat die Idee der Verdrängung auch eine starke anthropologische
Tragweite. Freud selbst war sich bewusst, dass er damit nicht nur ein für das Indivi-
duum gewichtiges Phänomen beschrieb, sondern dass auch die Menschheit als
Ganzes ihren Geisteshaushalt mit ständigen Verdrängungen bestreitet. Etwas Ängst-
liches in den Menschen wehrt sich gegen die Ausweitung und Änderung ihres Be-
wusstseinsfeldes und kämpft somit gegen neue Wahrheiten, die überlieferten Denk-
weisen widersprechen. Vor allem dann, wenn das bereits bestehende Denken Si-
cherheit und Angepasstheit zu gewährleisten scheint.
63
Sucht sich ein Motiv, welches an seiner Befriedigung gehindert wird ein Ersatzobjekt,
mit dem es daraufhin zufrieden ist, spricht man von Verschiebung. Bei der Ersatzbe-
friedigung ist es dann unwichtig, gegen wen sich die Liebe oder Aggression richtet,
es zählt nur, dass geliebt oder bestraft wird.
64
Bei der Projektion wird ein verdrängtes Motiv in der Umwelt bekämpft, da die Ver-
drängung nicht vollständig gelungen ist und die Gefahr besteht, dass die uner-
wünschte Regung ins Bewusstsein gelangt. Das Ich rettet sich, indem es dieses Mo-
tiv bzw. die eigene Schwäche und Unzulänglichkeit einer Person in der Umgebung
zuschreibt und es dann an ihr negiert bzw. bekämpft. Eine Hysterikerin bspw., deren
sexuelle Wünsche gegenüber Männern weitgehend verdrängt wurden, projiziert nun
diese Wünsche auf die Männer generell, die ja doch nur ,immer das eine wollen' und
geht ihnen deshalb aus dem Weg. Auch hier wird, wie bei den anderen Abwehrme-
chanismen, die Realität mehr oder weniger stark verzerrt.
65
Die Identifikation oder Introjektion besteht in der Übernahme von Motiven und Ver-
haltensweisen geschätzter Personen in der Umwelt. Sie bilden das Über-Ich und be-
einflussen stark das Verhalten.
66
Bei der Rationalisierung handelt es sich um eine innere Ausrede, durch welche ein
positives Selbstbild aufrechterhalten wird. Das Ich versucht sich gegen die Vorwürfe
des Über-Ichs bei bestimmten Befriedigungen zu schützen. Wenn ein Vater bspw.
61
Vgl. Rattner, J.; Danzer, Grundbegriffe der Tiefenpsychologie und Psychotherapie, 2000, S. 49 ff.
62
Vgl. Zimbardo, P. G.; Gerrig, R., Psychologie, 1999, S. 535
63
Vgl. Rattner, J.; Danzer, G., Grundbegriffe der Tiefenpsychologie und Psychotherapie, 2000, S. 58
64
Vgl. Wellhöfer, P. R., Grundstudium Allgemeine Psychologie, 1990, S. 175
65
Vgl. ebenda, S. 175 f.; vgl. Rattner, J.; Danzer, G., Grundbegriffe der Tiefenpsychologie und Psy-
chotherapie, 2000, S. 23
66
Vgl. Wellhöfer, P. R., Grundstudium Allgemeine Psychologie, 1990, S. 175 f.

Die Sexualität aus psychologischer und moralischer Sicht
18
seine aggressiven Impulse durch Schläge an seinen Kindern abreagiert, kann er dies
damit rationalisieren, dass er die Kinder auf die Härte des späteren Lebens vorberei-
ten will.
67
Das Ich versucht sich auch bei der Reaktionsbildung gegen die strengen Über-Ich-
Gebote zu wehren. Tritt ein verbotener Impuls zum Vorschein, wird sofort der entge-
gengesetzte und gebilligte Antrieb mit einer meist übertriebenen Intensität aktiviert.
Aus verbotenem Hass zu einem Menschen wird übertriebene Liebe.
68
Da es selten vorkommt, dass die einzelnen Abwehrmechanismen isoliert voneinan-
der wirken, kommt es zu komplexen Verschränkungen. Des Weiteren kann das Indi-
viduum, anstelle sich für die Schuld an der verworrenen und Angst auslösenden Si-
tuation verantwortlich zu machen, diese bei anderen Gruppen entdecken. Indem nun
die aggressiven Impulse auf diese Gruppe oder Minorität verschoben werden, kön-
nen die eigenen Schuldgefühle abgebaut und die potentielle Konfliktsituation bewäl-
tigt und somit für das Ich angstfrei gestaltet werden.
69
Ein übermäßiger Gebrauch der Abwehrmechanismen macht die Neurose aus, da
Neurotiker einen Großteil ihrer psychischen Energie darauf verwenden, nicht an-
nehmbare Triebe umzulenken, zu verkleiden und neu zu kanalisieren, um dadurch
ihre Angst zu reduzieren. Somit hat der Neurotiker kaum mehr Energie für ein pro-
duktives Leben oder befriedigende Beziehungen.
70
Durch das weithin erfolglose, wil-
lensschwache und ängstliche Leben, kämpft er umso stärker in seinen zwischen-
menschlichen Beziehungen um Überlegenheit und Macht.
71
1.2.4 Die Sexualität in Verbindung mit den Geschlechterrollen
Die offensichtlichen biologischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen wer-
den in allen Gesellschaften dazu benutzt, ihnen unterschiedliche soziale Rollen zu-
zuweisen, durch die ihre Einstellungen und ihr Verhalten geformt werden.
Der weibliche Körper ist anatomisch und physiologisch anders gebildet und für ande-
re biologische Aufgaben ausgestattet. So liegt bspw. die Muskelkraft einer Frau im
Durchschnitt mindestens 20 bis 25 % unter der des Mannes.
72
Zu diesen natürlichen
Unterschieden zwischen den Geschlechtern wird noch eine zusätzliche kulturell und
sozial bestimmte Unterscheidung der Geschlechter hinzugefügt und somit die einfa-
chen körperlichen Faktoren immer mit komplexen psychischen Eigenschaften in Zu-
67
Vgl. Zimbardo, P. G.; Gerrig, R., Psychologie, 1999, S. 534; vgl. Rattner, J.; Danzer, G., Grundbeg-
riffe der Tiefenpsychologie und Psychotherapie, 2000, S. 23
68
Vgl. Wellhöfer, P. R., Grundstudium Allgemeine Psychologie, 1990, S. 176
69
Vgl. ebenda, S. 176
70
Vgl. Zimbardo, P. G.; Gerrig, R., Psychologie, 1999, S. 534
71
Vgl. Rattner, J.; Danzer, G., Grundbegriffe der Tiefenpsychologie und Psychotherapie, 2000, S. 81
72
Vgl. Brunotte, E.-R., Das Bild von der Frau ­ ein Vorurteil, 1984, S. 171

Die Sexualität aus psychologischer und moralischer Sicht
19
sammenhang gebracht. So reicht es nicht, dass ein Mann männlichen Geschlechts
ist, er muss auch maskulin erscheinen und eine Frau kann nicht nur weiblichen Ge-
schlechts sein, sie muss sich auch feminin verhalten.
73
Durch interkulturelle Vergleiche wird die Auffassung gestützt, dass die wesentlichen
geschlechtsspezifischen Verhaltensweisen gelernt sind. In den meisten Kulturen e-
xistiert jedoch ein männlich orientiertes, patriarchalisches System
74
, das dem Mann
die meisten Rechte, mehr Freiheitsraum, größere Aktivität und Aggressivität, aber
auch mehr körperlich harte Arbeiten zuweist.
75
Auch in unserer Gesellschaft erfreut
sich das männliche Geschlecht einer sozial dominanten Rolle. Es kommt zu Rollen-
klischees, wonach die Frau das Bild und die Forderungen des Mannes übernimmt
und der Mann zur Meßlatte wird. Beinhaltet die männliche Rolle unter anderem Do-
minanz, Überlegenheitsgefühl, Angstfreiheit, sozialer Erfolg und geringe Emotionali-
tät, gehören zum weiblichen Rollenbild Unterwerfungsbereitschaft, Ängstlichkeit, ge-
ringerer sozialer Erfolg und hohe Emotionalität.
76
Von Frauen werden mehr soziale
und altruistische Betätigungen erwartet als vom Mann, dem eher die Jagd und das
Verteidigen der Gruppe obliegen. So sind weltweit fast alle Hebammen-Tätigkeiten
weibliche und fast alle Kämpfe in kriegerischen Auseinandersetzungen männliche
Beschäftigungen.
77
Durch die Erziehung lernen einerseits Jungen von Kindheit an, eine maskuline Rolle
anzunehmen, die es ihnen ermöglicht, diese Position zu erreichen und auszufüllen
und andererseits lernen Mädchen, eine untergeordnete feminine Rolle zu überneh-
men. Von Jungs wird eher das Kontrollieren der Gefühle und von Mädchen eher
Zärtlichkeit und Zuneigung erwartet. Unter dem Einfluss solcher Einstellungen, Bei-
spiele und Erwartungen Erwachsener begreifen sich Kinder nach und nach auch
selbst als sexuelle Wesen und lernen, wie die beiden Geschlechter miteinander in
Beziehung stehen.
78
Diese Unterschiede des männlichen und weiblichen ,Charakters' werden dann als
angeboren bezeichnet und dazu benutzt, die bestehenden Machtverhältnisse zu si-
chern. Hierbei gilt nur derjenige als normal und kann erfolgreich sein, der diese Ver-
hältnisse akzeptiert. Die männliche soziale Rolle begünstigt maskuline Männer und
73
Vgl. http://www2.hu-berlin.de/sexology/ATLAS_DE/html/die_sozialen_rollen_von_mann_u.html,
Zugriff: 27.03.2005 (4)
74
Patriarchat = Gesellschaftsform, in der der Mann eine bevorzugte Stellung in Staat u. Familie inne-
hat u. in der die männliche Linie bei Erbfolge u. sozialer Stellung ausschlaggebend ist; griech. wörtl.
,Vater-Herrschaft'
75
Vgl. Wellhöfer, P. R., Grundstudium Allgemeine Psychologie, 1990, S. 191
76
Vgl. Wickler, W.; Seibt, U., Männlich ­ Weiblich, 1990, S. 253
77
Vgl. ebenda, S. 248
78
Vgl. http://www2.hu-berlin.de/sexology/ATLAS_DE/html/das_erlernen_der_geschlechtsro.html,
Zugriff: 27.03.2005 (5)

Die Sexualität aus psychologischer und moralischer Sicht
20
die weibliche soziale Rolle begünstigt feminine Frauen. Dies hat zur Folge, dass der
aggressive Mann die erfolgreicheren Geschäfte betreibt und die hübsche und lie-
benswürdige Frau den reicheren Ehepartner findet. Maskuline und feminine Eigen-
schaften sind demnach Merkmale von Geschlechtsrollen, welche als Reaktion auf
soziale Diskriminierung entwickelt werden. Wenn sie einmal entwickelt sind, rechtfer-
tigen und fixieren sie diese Diskriminierung.
79
Allerdings gehen menschliche Wünsche und Fähigkeiten sehr häufig über die engen
Grenzen der traditionellen Geschlechtsrollen hinaus und es bedarf ständiger, ge-
meinsamer Anstrengungen aller gesellschaftlichen Gruppen, diese Grenzen auf-
rechtzuerhalten. Da Männer im Glauben erzogen werden, Frauen seien sozial und
sexuell passiv, kann es sie unter Umständen erheblich verwirren auf eine Frau zu
treffen, die aktiv ist und bspw. beim Geschlechtsverkehr die Initiative ergreift. Folglich
kann der Mann versucht sein, die Weiblichkeit dieser Frau anzuzweifeln. Wenn nun
diese Zweifel aufgrund offensichtlicher Beweise nicht aufrechtzuerhalten sind, be-
ginnt er möglicherweise an seiner Männlichkeit zu zweifeln, und es kommt nach Hä-
berle zu sexuellen Störungen. Auf der anderen Seite kann ein sanfter und zurückhal-
tender Mann ausgelacht und als ,pervers' oder ,schwul' hingestellt werden, und von
,richtigen Frauen' nicht als ,richtiger Mann' betrachtet und somit als Sexualpartner
abgelehnt werden. Die Meinung, dass es in jeder sexuellen Beziehung einen aktiven
Partner, (den Mann) und einen passiven (die Frau) geben muss, zerstört nicht nur
viele heterosexuelle Beziehungen, sondern beeinflusst auch das Verhalten Homose-
xueller, da selbst dort die Auffassung herrscht, dass es bei einem homosexuellen
Paar einen aktiven, maskulinen und einen passiven, femininen Partner gibt.
80
In Wirklichkeit muss jedoch weder die sexuelle noch die soziale Rolle in dieser Weise
festgelegt sein, da bspw. auch in einigen menschlichen Gesellschaftsformen die Rol-
lenverteilung von Mann und Frau gerade umgekehrt ist. So untersuchte die Kultur-
anthropologin Mead verschiedene Südseekulturen und kam dabei zu dem Ergebnis,
dass viele, wenn nicht gar alle weiblichen Wesenszüge, mit der eigentlichen Ge-
schlechtszugehörigkeit nur schwach verknüpft sind.
81
An sich stellen unterschiedliche Geschlechtsrollen kein Problem dar, sondern können
sehr bereichernd sein, solange ,unterschiedlich' oder ,anders' beim Menschen nicht
gleichbedeutend mit über- oder untergeordnet ist.
82
Allerdings wird trotz Emanzipati-
79
Vgl. http://www2.hu-berlin.de/sexology/ATLAS_DE/html/die_sozialen_rollen_von_mann_u.html,
Zugriff: 27.03.2005 (6)
80
Vgl. http://www2.hu-berlin.de/sexology/ATLAS_DE/html/die_sozialen_rollen_von_mann_u.html,
Zugriff: 27.03.2005 (7)
81
Vgl. Wellhöfer, P. R., Grundstudium Allgemeine Psychologie, 1990, S. 191 f.
82
Vgl. http://www2.hu-berlin.de/sexology/ATLAS_DE/html/die_sozialen_rollen_von_mann_u.html,
Zugriff: 27.03.2005 (8)

Die Sexualität aus psychologischer und moralischer Sicht
21
on und ,sexuellem Empowerment'
83
heutzutage noch immer das sexuelle Verhalten
von Männern und Frauen unterschiedlich von der Gesellschaft bewertet (vgl. Kapitel
1.5.5 Doppelmoral) und noch häufig dominieren männliche Macht und Gewalt.
1.2.5 Die Sexualität im Zusammenhang mit Macht
Adler ist der Ansicht, dass der Mensch ­ Männer wie Frauen - Wertsteigerung an-
strebt, um nicht in Machtlosigkeit zu verfallen und bezeichnet dies als ,Männlichen
Protest'. Der hierbei angesetzte Wert ist allerdings stark von den jeweils herrschen-
den kulturellen Maßstäben und der eigenen Willkür abhängig. Eine Hauptantriebs-
kraft der menschlichen Psyche ist für Adler das universelle Minderwertigkeitsgefühl.
Kinder - Jungen wie Mädchen - die unter verstärkten Minderwertigkeitskomplexen
leiden, werden immer danach trachten, später ,oben zu sein', also zu herrschen. Der
Wille zur Macht äußert sich somit im Verlangen, ,ein ganzer Mann' zu werden, wobei
Männlichkeit mit ,überlegen sein' identifiziert wird. Die seit Urzeiten patriarchalischen
Verhältnisse, die im Mann das ,positive' und in der Frau das ,negative Prinzip' sehen,
also die bereits beschriebene und bis heute noch geltende Herrschaft des Mannes
über die Frau spielen, dabei eine wesentliche Rolle.
84
Besonders deutlich wird dieser ,Männliche Protest' in der Prostitution, in der einer-
seits ein weibliches Wesen von einem Mann auf Zeit gekauft wird, andererseits je-
doch auch zum Teil Macht seitens der Prostituierten ausübt wird... Aber auch in
allen sexuellen Perversionen kommt nach Adler der Wunsch nach Macht zum Aus-
druck. Der Voyeur raubt der ahnungslosen Frau die Sphäre der Schamhaftigkeit und
der Exhibitionist zeigt aggressiv, dass er ein Mann ist und erschreckt damit die Frau.
In der Sado-Maso-Szene
85
wird Liebe in nackte Gewalt umgewandelt. Besonders in
den Bereichen der erkrankten Sexualität kommt das Kampfverhältnis der Geschlech-
ter, welches das Patriarchat seit Jahrtausenden produziert, stark zum Ausdruck.
86
C. G. Jung dagegen unterscheidet generell zwischen dem Trieb der Arterhaltung,
welcher sich auf den Sexualtrieb bezieht und dem Trieb der Selbsterhaltung, der mit
dem Machttrieb verbunden ist. Er betont die Interpretation der Grundtriebe von Freud
und Adler, wonach, wie bereits beschrieben, nach Freud der Sexualtrieb bzw. die
Arterhaltung im Vordergrund steht, während nach Adler der Machttrieb bzw. die
Selbsterhaltung dominiert. Nach Jung müssen Arterhaltung und Selbsterhaltung als
83
Sexuelles Empowerment = aus feministischer Sicht, ein Prozess, der sich auf intellektueller Ebene
und auf Erfahrungsebene abspielt und bei dem Frauen lernen sollten, sexuelle Interaktionen sicher
und befriedigend zugleich zu gestalten.
84
Vgl. Rattner, J.; Danzer, G., Grundbegriffe der Tiefenpsychologie und Psychotherapie, 2000, S. 78 f
85
Sadomasochismus = Veranlagung, beim Ausführen u. Erdulden von Quälereien zu sexueller Erre-
gung, Lust zu gelangen
86
Vgl. ebenda, S. 83 f

Die Sexualität aus psychologischer und moralischer Sicht
22
ontologisch
87
zusammenhängend gesehen werden, wobei im einen Menschen erste-
rer, im anderen letzterer Pol mächtiger ist. Beim Überwiegen des Sexualtriebs nimmt
das Ich eine untergeordnete Stellung ein, wogegen die Liebe nur ein Mittel zur Macht
wird, wenn der Machttrieb herrscht. Durch die Ableitung von zwei unterschiedlichen
Einstellungstypen bildet Jung nun eine Synthese zwischen den Theorien von Freud
und Adler und überträgt sie auf das allgemeine Verhalten. Steht der Machttrieb im
Vordergrund, wird das Subjekt höher, das Objekt geringer gewertet. Diese Einstel-
lung wird von Jung als Introversion bezeichnet. Wenn Freud den Sexualtrieb und die
Beziehung zu Objekten betont und somit das Subjekt weniger beachtet, nennt Jung
diese Einstellung Extraversion. Es kommt in jedem Menschen zu einer Gegensatz-
spannung zwischen dem Eros (Extraversion) und der Macht (Introversion) mit je ver-
schiedenen Schwerpunkten, die sich auch bei der sexuellen Anziehung auswirkt. So
neigt der Introvertierte zu einem extravertierten Partner, damit seine unbewussten
extravertierten Anlagen kompensiert werden und umgekehrt.
88
Nach Foucault ist das Machtverhältnis, ,,immer schon da, wo das Begehren ist: es in
einer nachträglich wirkenden Repression
89
zu suchen ist daher ebenso illusionär wie
die Suche nach einem Begehren außerhalb der Macht."
90
Der Erste, der die Meinung vertrat, dass das Machtverhältnis in sexuellen Handlun-
gen eine wissenschaftliche Tatsache sei, und somit normal, unvermeidlich und we-
sentlich für die sexuelle Lust, war Ellis im frühen 20. Jahrhundert. Er war überzeugt,
dass sich der sexuelle Impuls beim Mann im Verlangen ausdrücke, die Frau zu ver-
folgen und zu erobern, während die sexuelle Lust der Frau zunächst aus der Vortäu-
schung von Widerstand und dann in der Auslieferung an den Mann bestehe.
91
In den Analysen der Sexualforscher über die Beziehung zwischen Sexualität und
Gewalt ist allerdings die Vorstellung immer noch sehr lebendig, dass Macht ein inhä-
renter Bestandteil sexueller Aktivität und somit biologisch determiniert sei. Während
die Sexualforscher gewöhnlich sorgfältig darauf achten, dass sexuelle Gewalt nicht
entschuldigt wird, so trivialisieren sie doch durchgehend deren Auswirkungen auf
Frauen oder unterstellen, dass Frauen sie provoziert oder sogar gewollt hätten. Die
87
ontologisch = die Ontologie (Lehre vom Sein, von den Ordnungs-, Begriffs-, u. Wesensbestimmun-
gen des Seiende) betreffend
88
Vgl. Beck, H.; Rieber, A., Anthropologie und Ethik der Sexualität, 1982, S. 72 f.
89
Repression = Unterdrückung individueller Entfaltung u. individueller Triebäußerungen durch gesell-
schaftlichen Strukturen u. Autoritätsverhältnisse
90
Foucault, M., Sexualität und Wahrheit, 1977, S. 101
91
Vgl. Jackson, M., Sexualwissenschaften und die Universalisierung männlicher Sexualität, 2000,
S. 106 f.

Die Sexualität aus psychologischer und moralischer Sicht
23
Vorstellung einer Provokation passt somit nahtlos zu einem Modell von Sexualität als
ein biologischer Trieb, ausgelöst durch die Frau als erotischer Stimulus.
92
1.2.6 Das Sexualverhalten
Die primäre Funktion des Sexualverhaltens ist aus biologischer Sicht die Weitergabe
der eigenen Gene bei gleichzeitiger Erhöhung der Variabilität.
93
Allerdings ist diese
Funktion für den Prostitutionstourismus nahezu irrelevant und wird somit nicht näher
beleuchtet.
Da sich ein Mann über viele hundert Male im Jahr fortpflanzen könnte, wenn er ge-
nügend Partnerinnen zur Verfügung hätte, wogegen eine Frau maximal einmal im
Jahr gebären kann und die anschließende Erziehung des Kindes einen hohen Zeit-
und Energieaufwand erfordert, haben Männer und Frauen verschiedene Strategien,
Emotionen und Motivationen entwickelt, die ihrem Sexualverhalten zugrunde lie-
gen.
94
Der Evolutionspsychologe Buss unterscheidet grundsätzlich zwischen kurz und lang-
fristigen Strategien. Der Mann, der sich zuerst treu und fürsorglich gibt, um dann die
Frau, nachdem er sie verführt hat, wieder zu verlassen, verfolgt eine kurzfristige Stra-
tegie. Treue gegenüber der Partnerin und die Investition in das Großziehen der
Nachkommen ist dagegen eine langfristige Strategie wie auch die weibliche Strate-
gie, einen treuen Mann für sich zu gewinnen, der sie unter anderem beim Aufziehen
ihrer Kinder unterstützt. Kontrovers ist die Frage, ob Frauen kurzfristige Paarungs-
strategien entwickelt haben. Einige Wissenschaftler vertreten die Ansicht, dass sich
wahlloser Sex für Frauen im evolutionären Sinn nie auszahle, da sie schwanger wer-
den könnten, ohne einer männlichen Investition bei der späteren Kindererziehung
gewiss zu sein. Andere dagegen argumentieren, dass kurze Beziehungen mit vielen,
besonders älteren, reichen Männern gegen unmittelbare Belohnungen zumindest
das kurzfristige Überleben der Frau sichern.
95
Auch die Existenz von Callboys oder
bspw. der Beach Boys bestätigen kurzfristige weibliche Strategien.
Die Untersuchungen von Buss deuten darauf hin, dass Frauen und Männer über alle
Kulturen hinweg die gleichen evolutionspsychologisch voraussagbaren Verhaltens-
muster aufweisen. Allerdings ändern sich die Risiken und Belohnungen durch die
äußeren Lebensbedingungen. Trotz der Minderung der Risiken für Frauen durch die
Möglichkeit der Schwangerschaftsverhütung und ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit,
92
Vgl. Jackson, M., Sexualwissenschaften und die Universalisierung männlicher Sexualität, 2000,
S. 106 ff.
93
Vgl. Becker-Carus, C., Allgemeine Psychologie, 2004, S. 466
94
Vgl. Zimbardo, P. G.; Gerrig, R., Psychologie, 1999, S. 327
95
Vgl. ebenda, S. 327

Die Sexualität aus psychologischer und moralischer Sicht
24
wird Sex auch heutzutage noch als ,Geschenk' von Frauen an Männer angesehen.
Entweder im Tausch gegen unmittelbare, materielle Belohnung bei der kurzfristigen
Paarung wie der Prostitution oder gegen eine langfristige Bindung und Unterstützung
wie der Ehe. Obwohl zu erwarten wäre, dass menschliche Gefühle und Motivationen
mit den technologischen und sozialen Entwicklungen Schritt halten, wenn soziale
und sexuelle Emotionen als Reaktion auf äußere Lebensbedingungen erlernt wur-
den, scheinen die Paarungsstrategien gegen alle Veränderungen beständig zu
sein.
96
Früchtel und Stahl unterscheiden drei Strategien bzw. Typen männlicher Sexualität,
die sich durchaus in ein und demselben Mann verkörpern können und somit vielmehr
als miteinander verflochtene und auseinander entstandene Schemata zu verstehen
sind. Allerdings gibt es inzwischen auch in der weiblichen Sexualität Versuche der
Angleichung an diese Sexualitätsformen:
Die Eroberungssexualität, in der sich das Männlichkeitsbild des Jägers und Kriegers
wiederfindet, ist am wenigsten ,politisch korrekt' and am tiefsten in den Wunschbil-
dern der von ihnen befragten Männer verankert, da Sexualität für Abenteuer, Span-
nung sowie Risiko steht. Das Ziel ist nicht die Unterwerfung des anderen Körpers,
sondern dessen Bewusstseins, damit der Begehrende selbst zum Begehrten wird.
97
Das Hauptmotiv - die Eroberung - löst sich allerdings beim Erreichen des Ziels auf
und somit steht das Bedürfnis seiner Befriedigung selbst im Weg und muss theore-
tisch ewig perpetuiert werden.
98
In der kompetenten (technischen) Sexualität, als Reaktion auf die behavioristischen
Ansätze der Sexualwissenschaft, ist Sexualität der Vorgang, mit mehr oder weniger
ausgefeilten Techniken, das Glück eines Paares herzustellen.
99
Es entsteht der
Zwang zum idealen Orgasmus und somit das Paradox, dass Leidenschaft und Stra-
tegie parallelisiert und liebevolle Nähe mit technischer Distanz vereinbart werden
müssen.
100
Die Erlebnissexualität dagegen resultiert aus dem modernen Bedürfnis nach Selbst-
erfahrung und Selbstverwirklichung, wonach Erlebnisse keine Begleiterscheinung
mehr sind, sondern zum Handlungszweck werden. Die Sexualität wird zu einer Art
außeralltäglichem Erlebnis, das im Alltag inszeniert und den Geboten der Selbstver-
96
Vgl. Zimbardo, P. G.; Gerrig, R., Psychologie, 1999, S. 328 f.
97
Vgl. Früchtel, F.; Stahl, C., Das starke Geschlecht, 1996, S. 87ff.
98
Vgl. ebenda, S. 146 ff.
99
Vgl. ebenda, S. 133 ff
100
Vgl ebenda, S. 146 ff.

Die Sexualität aus psychologischer und moralischer Sicht
25
wirklichung unterworfen ist.
101
Es entsteht die Sehnsucht nach Beziehungen, die das
komplette Selbst einschließen, während sich die Zwänge traditioneller Bindungen
auflösen.
102
Gegenwärtig steht nicht mehr die mechanisch-energische Sichtweise der Sexualität
im Vordergrund, da immer weniger Menschen die Sexualität als
eine Kraft sehen, die
Impulshaft jederzeit Macht über sie gewinnen kann.
103
Ziel ist nun die Suche nach
Reizen sexueller und nicht sexueller Art, Vergnügungen sowie das Spiel mit der
Ressource Sex, mit Erregungen und nicht Befriedigung im Sinne von Ruhe oder Be-
dürfnislosigkeit.
104
Die Psychologin Potts kam in einer Studie zum Ergebnis, dass
der ,delight of desire', die 'sexiness' der Lust dabei sind, die Orgasmusfixierung, also
den Orgasmus als höchstes Ziel abzulösen.
105
Ebenso stellt Baumann die Triebtheo-
rie auf den Kopf: ,,Verlangen verlangt nicht nach Befriedigung. Im Gegenteil, Verlan-
gen verlangt Verlangen."
106
Somit wird der Körper zum Reizempfänger, und nicht
mehr zum Sender der von Innen kommenden Triebimpulse.
107
Sexualität wird nun verstanden als phantasiereiches, erfinderisches, reziprokes Han-
deln und Erleben, als Ausdruck und Erfahrung von Intimität sowie als Beleg für Sen-
sibilität und erotische Kompetenz. Für dieses beide Partner erfüllende Ideal, müssen
jedoch Bedingungen erfüllt werden, die selbst bei glücklichen Paaren nicht so oft ge-
geben sind, wie Zeit füreinander, Lust, fühlbare oder gewünschte Nähe.
108
Somit wird
Sexualität zwischen den Anforderungen der Arbeit und der Freizeit immer mehr zu
einer Frage der Organisation. Es wird abgewogen, ob es sich lohnt Arbeit in eine Be-
ziehung zu investieren, um sexuell versorgt zu sein, oder ob man sich den Sex dann
doch lieber anderweitig organisiert, masturbiert oder enthaltsam lebt, während auf
die nächste große Liebe gewartet wird.
109
Befriedigung und Spannungsreduktion stö-
ren den Erregungssucher. So wird der Orgasmus, einst Höhepunkt des Ge-
schlechtsaktes, zum Zeichen aufzuhören - was eigentlich unerwünscht ist - oder zum
Zeichen dass aufgehört werden soll, weil der Sex langweilig ist.
110
Sexualität wird entmystifiziert und entdramatisiert, ihre Kosten und Gewinne sachlich
und effektiv kalkuliert. Anstelle des mächtigen, irrationalen Triebes tritt nun die Meta-
101
Vgl. Ammicht Quinn, R., Körper ­ Religion ­ Sexualität, 2000, S. 257
102
Vgl. Früchtel, F.; Stahl, C., Das starke Geschlecht, 1996, S. 175
103
Vgl. Schmidt, G., Das neue Der Die Das, 2004, S. 55
104
Vgl. ebenda, S. 163 f.
105
Vgl. ebenda, S. 66 f.
106
ebenda, S. 67
107
Vgl. Schmidt, G., Spätmoderne Sexualverhältnisse, 2000, S. 277
108
Vgl. Schmidt, G., Das neue Der Die Das, 2004, S. 73
109
Vgl. Walder, P., Körperkult und Sexualität in den neuen Jugendkulturen, 1998, S. 116
110
Vgl. Schmidt, G., Spätmoderne Sexualverhältnisse, 2000, S. 278

Die Sexualität aus psychologischer und moralischer Sicht
26
pher des ,designten Verlangens'.
111
Da es einfacher ist, die Phantasie als das reale
Leben zu designen, existieren nun nach dem Soziologen Gagnon zwei Sexualwelten
parallel. Zum einen die Welt des Symbolischen, also des Träumens, und die Welt
des Verhaltens, die dann den realen Geschlechtsakt betrifft. In der Phantasiewelt
kann gespielt werden, man kann schöne Körper ansehen und Kontakte mit diesen
haben, ohne materiell oder seelisch zu investieren. Beide Welten sind unabhängig
und die reale sollte auch nicht der Phantasiewelt entsprechen.
112
Für den Sexualwissenschaftler Sigusch
113
ist Sexualität heutzutage eher eine allge-
meine Selbstverständlichkeit, die eher negativ als Ungleichheit der Geschlechter,
Gewalt, Missbrauch und tödliche Infektion mystifiziert wird und nicht mehr als Rausch
oder Ekstase oder als die Metapher der Lust und des Glücks gilt. Während vor der
,neosexuellen Revolution'
114
Sexualität vor allem aus Trieb, Orgasmus und dem he-
terosexuellen Paar bestand, bestehen die Neosexualitäten hauptsächlich aus ,gen-
der difference'
115
, Selbstliebe und ,Thrills'. Somit bringen unter anderem folgende
miteinander vernetzte Prozesse Neosexualitäten hervor:
Die Dissoziation der sexuellen Sphäre bedeutet insbesondere die diskursive Abtren-
nung und Überhöhung des geschlechtlichen Bereichs. Entscheidend ist somit nicht
mehr das Triebschicksal, sondern die Geschlechterdifferenz verbunden mit einer
Aufspaltung der geschlechtlichen Sphäre selbst i. S. von sex, gender role etc. So
steht nicht mehr der Mann im Mittelpunkt, sondern die Frau und anstelle des Sexuel-
len das Geschlechtliche. Es kommt zur Aufspaltung des Bereichs des sexuellen Er-
lebens von der des Sexualkörpers, und zur diskursiven Trennung der libidinösen von
der destruktiven Sphäre, wie der sexuellen Gewalt und des sexuellen Miss-
brauchs.
116
Der Prozess der Dispersion der sexuellen Partikel, Fragmente, Segmente und Le-
bensweisen erfolgt vor allem durch die Kommerzialisierung und Mediatisierung. Als
Beispiel hierfür können Sex in der Werbung und die warenästhetische Indienstnahme
des Erotischen und der Sexindustrie, von Kontaktanzeigen, Partnervermittlungen
111
Vgl. Schmidt, G., Das neue Der Die Das, 2004, S. 164
112
Vgl. Gagnon, J. H., ,,Sexual Conduct" revisted., 1998, S. 364 f.
113
Vgl. Sigusch, V., Kritische Sexualwissenschaft und die Große Erzählung vom Wandel, 1998, S. 4
114
Sigusch ist der Meinung, dass es in den reichen Gesellschaften des Westens in den 80er und 90er
Jahren zu einer enormen Transformation der Sexualität kam und bezeichnet diese als neosexuelle
Revolution. Die Sexualität wurde zerlegt und wieder neu zusammengesetzt, wodurch Dimensionen,
Intimbeziehungen, Präferenzen und Sexualfragmente hervortraten die bisher verschüttet waren oder
keinen Namen hatten. Die Kulturform Sexualität verlor somit an Bedeutung.
115
In den 70er Jahren wurde die Differenzierung von sex und gender aus der anglo-amerikanischen
Debatte aufgegriffen. Es wird unterschieden zwischen körperlichen Geschlechtseigenschaften (sex)
und sozial bzw. kulturell erworbenen (gender).
116
Vgl. Sigusch, V., Kritische Sexualwissenschaft und die Große Erzählung vom Wandel, 1998, S. 5

Die Sexualität aus psychologischer und moralischer Sicht
27
über die Sexualität im Fernsehen bis hin zur Prostitution, zum Prostitutionstourismus
und zum Kinderhandel aufgeführt werden.
117
Ein weiterer Prozess ist die Diversifikation und Deregulierung der Intimbeziehungen.
Als Beispiele führt Sigusch v. a. die Entwertung der Herkunftsfamilie, das Schrump-
fen zur Kleinstfamilie, in der ein Individuum seine eigene Familie ist, die Selbstdefini-
tion und Pluralisierung ehemaliger Perversionen als gesunde Neosexualitäten, neue
Scham-, Ekel-, Desensibilisierungs- und Zurückweisungsstandards an.
118
Freud und seinen Nachfolgern ist es gelungen, viele Sexualtabus zu zerstören und
eine gewisse Offenheit und Unbefangenheit in diesem Bereich zu etablieren. Aller-
dings hat sich dadurch kaum Nutzen für die seelische und sexuelle Gesundheit der
Menschen gezeigt. An die Stelle der ,gehemmten Puritaner' des Viktorianischen
Zeitalters sind die ,ungehemmten Genussmenschen' der Konsumgesellschaft getre-
ten, die zur Sexualität ein ebenso gestörtes Verhältnis wie ihre Großeltern aufweisen.
Nach Rattner und Danzer hätte die Befreiung der Sexualität mit der Erziehung der
Gefühle kombiniert sein müssen, da vor allem auch das Gefühlsleben, welches dar-
über entscheidet wie ein Mensch seine sexuelle Befriedigung sucht und gestaltet,
unterentwickelt ist.
119
Nach Freud ist die Entstehung des Gefühls abhängig vom Triebverzicht, da sich Ge-
fühle nur entfalten, wenn das triebhafte Bedürfnis blockiert werden kann. Echte Ge-
fühle gegenüber Menschen oder Sachen treten nur dann auf, wenn sie in ihrem Ei-
genwert aufgefasst und nicht für die eigenen Zwecke missbraucht werden. Nach Ad-
ler werden Gefühle zeitlich früher im Seelenleben konstituiert als sexuelle Triebhaf-
tigkeit, und das Bedürfnis nach zärtlicher Interaktion bleibt auch im späteren Leben
fast stärker und fundamentaler als der Wunsch nach ,triebhaften Abreaktionen'. Adler
beschreibt in seiner Charakterlehre, dass vom Menschen jene Form von Triebverhal-
ten gewählt wird, die seiner allgemeinen Charakterbeschaffenheit entspricht. Somit
begründet nicht der Trieb den Charakter, sondern die Charakterstruktur bestimmt die
vorherrschenden Triebmodalitäten. Nicht die speziellen Sexualtraumen der Kindheit
sind somit seiner Meinung nach Auslöser für die sexuellen Anomalien des Alltags
und die sexuellen Perversionen, sondern die Abwegigkeiten der frühen Charakter-
entwicklung.
120
Auch der Phänomenologe Scheler behauptet, dass Gefühle, die sich
immer auf Werte beziehen, den Kern der menschlichen Persönlichkeit ausmachen
117
Vgl. Sigusch, V., Kritische Sexualwissenschaft und die Große Erzählung vom Wandel, 1998, S. 5 f.
118
Vgl. ebenda, S. 6 f.
119
Vgl. Rattner, J.; Danzer, G., Grundbegriffe der Tiefenpsychologie und Psychotherapie, 2000, S. 99
120
Vgl. ebenda, S. 99 ff.

Die Sexualität aus psychologischer und moralischer Sicht
28
und das somit nicht die Triebe, sondern das Gefühl oder Gemüt im Zentrum der Per-
son stehen.
121
1.2.7 Abschließende Betrachtung
Abschließend kann gesagt werden, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse hinsicht-
lich der Einstellungen zur Sexualität, sexueller Verhaltensweisen und auch die Nach-
frage nach Prostitution sozialen und historischen Wandlungen unterliegen. Dieser
Wandel wird von der herrschenden Sexualmoral einer Gesellschaft, den unterschied-
lichen Geschlechterbeziehungen und vielen weiteren Faktoren geprägt.
122
So haben
sich die Sexualität und das Sexualverhalten im letzten Jahrhundert - von der sexuel-
len Restauration in den 1950er Jahren, über die sexuelle Revolution in den 1968er
Jahren bis hin zur neosexuellen Revolution der 1980er und 1990er Jahre - stark ver-
ändert.
123
Heutzutage zeigt sich die Sexualität meist liberalisiert, demokratisiert und
entdramatisiert.
124
Diese Veränderung war nur möglich, da sich auch das Moralbe-
wusstsein der Gesellschaft hinsichtlich der Sexualität verändert und gelockert hat.
Die Sexualmoral wird sich auch weiterhin verändern und dies muss nicht zwingend in
die Richtung einer liberaleren Moral führen. Hier kann als Beispiel die USA aufge-
zeigt werden, da dort vor allem die herrschende Sexualmoral konservativer ist als
noch vor einigen Jahren. Des Weiteren kann davon ausgegangen werden, dass ver-
schiedene Generationen in einer Gesellschaft unterschiedliche Sexualmoralen und
ein unterschiedliches Geschlechterrollenverständnis haben und dass folglich ebenso
ein Unterschied im Sexualverhalten vorliegt. Außerdem kann grundsätzlich von ei-
nem unterschiedlichen Sexualverhalten von Männern und Frauen ausgegangen wer-
den, wobei hier teilweise eine Angleichung zu beobachten ist.
Individuen handeln aus unterschiedlichsten Motiven heraus. Meist angetrieben vom
Streben nach Lust und der Vermeidung von Unlust müssen menschliche Handlungen
unter Berücksichtigung dieser Motivationen und als Balance zwischen Eigeninteres-
se und Gemeinwohl beurteilt und betrachtet werden.
125
121
Vgl. Rattner, J.; Danzer, G., Grundbegriffe der Tiefenpsychologie und Psychotherapie, 2000,
S. 99 ff.
122
Vgl. Kleiber, D.; Wilke, M., Aids, Sex und Tourismus, 1995, S. 133 ff.
123
Vgl. Schmidt, G., Das neue Der Die Das, 2004, S. 153 ff.
124
Vgl. Schmidt, G., Spätmoderne Sexualverhältnisse, 2000, S. 278
125
Vgl. Dehner, K., Lust an Moral, 1998, S. 117

Die Sexualität aus psychologischer und moralischer Sicht
29
1.3 Die Moral
,,Neosexualität ist eine neue Sexualform die sich den alten Ängsten, Vorurteilen und
Theorien entzieht. Personen, die noch vor der sexuellen Revolution des 20. Jahr-
hunderts als abnorm, krank, pervers und moralisch verkommen angesehen worden
sind, profitieren von neu gewonnen Freiräumen in unserer Gesellschaft."
126
Jahrhun-
derte lang wurde Sadomasochismus und Fetischismus mit Folter und Mord bestraft
und als perverse Krankheit angesehen. Heute können Hetero- und Homosexuelle
zwischen den unterschiedlichsten Beziehungsformen frei wählen, ohne als abnormal
bezeichnet zu werden. Dies ist nur möglich, da Sexualität heute durch das öffentliche
Interesse der Medien nicht mehr mit dem Rausch, dem Höhepunkt und der Revoluti-
on assoziiert wird. Sexualität wird heutzutage banal vermarktet und gilt nicht mehr als
Sprengstoff in der Öffentlichkeit.
127
Als sexuelle Normen werden Aspekte des Sexualverhaltens betrachtet, die Men-
schen in ihren bestimmten Kulturen erwerben und leben. Dabei legen verschieden
Kulturen bestimmte Verhaltensregeln fest, die in dieser Kultur für angemessen gehal-
ten werden und für den Ausdruck sexueller Impulse als normkonform gelten.
128
Somit ist die Moral ein wichtiger Bestandteil und unerlässlich im Zusammenleben der
Menschen und schafft die Basis, bestehend aus einzelnen handelnden Personen, für
eine Gesellschaft als Ganzes.
129
1.3.1 Definition Moral und Ethik
Der Begriff Ethik leitet sich von dem griechischen Wort Ethos (Gewohnheit, Sitte,
Brauch) ab. Ethos ist mit dem lateinischen Wort mores gleichzusetzen, welcher dem
Begriff der Moral zugrunde liegt. Nach Aristoteles beinhaltet der Begriff Ethos die
Gewohnheit, die Sitte und den Brauch. Wer erzogen wurde, sein
Handeln an dem,
was Sitte ist, auszurichten, der handelt ,ethisch' und erkennt die Normen des allge-
mein anerkannten ,Moralkodex' an. Im engeren und eigentlichen Sinn handelt derje-
nige ethisch, der die überlieferten Handlungsregeln und Wertmaßstäbe nicht fraglos
hinnimmt, sondern es sich zur Gewohnheit macht und überlegt das erforderliche Gu-
te zu tun, welches sich dann zu einer Grundhaltung der Tugend und so zu seinem
Charakter verfestigt.
130
126
o. V. Ratifizierter Sex - Liebe ist Verhandlungssache, 2005, S. 140
127
Vgl. o. V. ebenda, S. 140
128
Vgl. Zimbardo, G.; Gerrig, R., Psychologie, 1999, S. 330
129
Vgl. Parsons,T.; Shils,E., Toward a general Theory of Action, 1967, S. 16
130
Vgl. Pieper, A., Ethik und Moral, 1985, S. 19

Die Sexualität aus psychologischer und moralischer Sicht
30
Ethik wird im Duden definiert als ,,Lehre vom sittlichen Wollen und Handeln des Men-
schen in verschiedenen Lebenssituationen"
131
als ,,
(allgemeingültige)
Normen und Ma-
ximen der Lebensführung, die sich aus der Verantwortung gegenüber anderen herlei-
ten."
132
Der Begriff der Moral wird wie folgt definiert: ,,Gesamtheit von ethisch-
sittlichen Normen, Grundsätzen, Werten, die das zwischenmenschliche Verhalten in
einer Gesellschaft regulieren, die von ihr als verbindlich akzeptiert werden."
133
1.3.2 Der Unterschied zwischen Moral und Ethik
Allgemein sind Ethik und Moral die Bräuche und Verhaltensnormen welche die Ge-
wohnheiten und das Zusammenleben einer Gemeinschaft bestimmen.
134
Die Begriffe Moral und Ethik haben sich im allgemeinen Sprachgebrauch so ausdiffe-
renziert, dass unter Moral die überlieferten Verhaltensnormen und unter Ethik die
Theorie von Verhaltensnormen verstanden werden kann.
135
Eine ethische Entscheidung eines Individuums muss für andere nicht verbindlich
sein, sofern die Entscheidung nur die persönliche Lebensgestaltung eines Menschen
angeht und andere dadurch nicht beeinträchtigt. Im Gegensatz dazu gibt es morali-
sche Regeln, die von jedem Individuum einzuhalten sind. Wobei die Moral die Be-
deutung einer Schutzfunktion in der ethischen Lebensgestaltung eines Einzelnen
hat.
136
So bezieht sich Ethik auf das Individuum und Moral gibt die Regeln für Inter-
aktionen zwischen mindestens zwei Menschen vor.
137
1.3.3 Die Funktion von Moral
In sozialen Systemen hat die Moral die Funktion, Erwartungen und Erwartungserwar-
tungen des Gegenübers zu erfüllen und nicht zu enttäuschen. Moralische Regeln
führen also dazu, dass eine Person erwarten darf, was sie erwartet und andere Per-
sonen wiederum haben die Erwartung, dass sich andere Personen danach richten.
Diese Erwartungen und Erwartungserwartungen sind demnach in den kategorischen
Regeln enthalten, deren Summe wir Moral nennen. Bereits hier ist zu erkennen, dass
moralische Regeln objektiv sind und nicht jedes Individuum frei ist, seine eigene Prä-
ferenzskala aus moralischen Werten zu bilden. Wäre dies möglich, würde das gesell-
131
Duden, Das Fremdwörterbuch - Band 5, 1997, S. 238
132
ebenda, S. 238
133
ebenda, S. 532
134
Vgl. Dehner, K., Lust an Moral, 1998, S. 21
135
Vgl. Biehl, P.; Johannsen, F., Einführung in die Ethik, 2003, S. 238
136
Vgl. Horster, D., Was soll ich tun?, 2004, S. 105
137
Vgl. ebenda, S. 106

Die Sexualität aus psychologischer und moralischer Sicht
31
schaftliche Handeln kollabieren. So sind also objektive moralische Regeln eine Not-
wendigkeit für das soziale Handeln.
138
Aus soziologischer Sicht hat Moral die Funktion, eine gesellschaftliche Ordnung zu
schaffen, zu festigen und zu garantieren.
139
1.3.4 Abschließende Betrachtung
Menschen sind immer auf der Suche nach Werten und Normen. Die Sexualität ist ein
wichtiger Bestandteil im Leben aller Menschen und daher spielt die Moral in der Se-
xualität ebenfalls eine wichtige Rolle.
140
Bei zwischenmenschlichen Interaktionen ist die Moral unerlässlich. Da im Prostituti-
onstourismus mehrere Menschen agieren, muss auch hier eine Moral bestehen die
bei Handlungen zwischen der Prostitutierten und dem Sextouristen für beide Partner
gelten und verbindlich eingehalten werden.
138
Vgl. Horster, D., Was soll ich tun?, 2004, S. 41
139
ebenda, S. 43
140
Vgl. Auer, K.-H.; Frantsits, A., Sexualität zwischen Verdrängung und Befreiung, 1989, S. 42

Die Sexualität aus psychologischer und moralischer Sicht
32
1.4 Die herrschende Moral
Moralische Einstellungen kommen durch Handlungen zustande, die gefühlsmäßig
missbilligt oder gebilligt werden und erfahren Zustimmung oder Ablehnung durch die
Gesellschaft. Im Regelfall werden Gewohnheiten gebilligt und Nicht-Gewohnheiten
missbilligt.
141
Nach Günther Patzig werden moralische Normen in einer Gemeinschaft wie folgt
charakterisiert:
142
,,Moralische Normen sind von Mitgliedern einer Gemeinschaft G bei ihrem Handeln
als verpflichtend anerkannte Regeln [...] die sicherstellen sollen, dass Menschen in
ihrem Tun und Unterlassen:
(a) mit den eigenen Bedürfnissen und Wünschen und
(b) den Bedürfnissen und Wünschen anderer Menschen (oder anderer hinrei-
chend sensibler Lebewesen)
so umgehen, dass diese Bedürfnisse und Wünsche der von den Wirkungen ihres
Handelns betroffenen Menschen (oder anderer hinreichend sensibler Lebewesen)
nicht in einem unvertretbaren Umfang geschädigt oder bedroht werden; ob die Schä-
digung oder Bedrohungen vertretbar sind oder nicht, wird von den Mitgliedern von G
nach in G im allgemeinen herrschenden Ansichten oder Überzeugungen beurteilt."
143
Die Problematik dieser Sichtweise besteht in der Beurteilung einer Handlung von ei-
ner Gemeinschaft, da verschiedene Individuen unterschiedliche moralische Auffas-
sung haben und diese sich gegenüberstehen. Wichtig bei der Beurteilung ist, ob die
Handlung eine unvertretbare Schädigung oder Bedrohung nach sich gezogen hat
oder ziehen wird.
144
1.4.1 Verstoß gegen die herrschende Moral
Mit dem Begriff Moral wird, wie bereits erläutert, eine Vielzahl von Normen bezeich-
net, welche von Mitgliedern einer Gemeinschaft anerkannt und im Allgemeinen be-
folgt werden. Werden diese Normen von einem Mitglied nicht befolgt, so wird dieses
Fehlverhalten von den übrigen Mitgliedern sanktioniert.
145
Als Sanktionen werden die
negative, evtl. auch strafende Reaktion auf ein bestimmtes Verhalten einer Person
141
Vgl. Schnur, P., Recht zwischen Macht und Moral, 2001 S. 48
142
Vgl. Kober, M., Moral als eine rational gewählte Institution einer Gemeinschaft, 2001, S. 202
143
ebenda, S. 202
144
Vgl. ebenda, S. 202 f.
145
Vgl. ebenda, S. 201

Die Sexualität aus psychologischer und moralischer Sicht
33
bezeichnet, die vom Betroffenen auch erkannt werden.
146
Auf jedes Individuum wird
durch die Gemeinschaft sozialer Druck ausgeübt, sich an moralische Normen zu hal-
ten. Personen, die diese Verpflichtungen nicht akzeptieren, werden als patholo-
gisch
147
betrachtet und Personen, die diese Verpflichtungen akzeptieren, aber nicht
einhalten, werden bestraft. Von handelnden Personen kann die Befolgung morali-
scher Normen in einer Gesellschaft gefordert werden, da eine erwachsene Person
moralische Verpflichtungen gegenüber Kindern, Tieren oder auch Pflanzen hat. Die
Frage aber, ob Kinder und Tiere moralisch handeln können, bleibt ausgespart.
148
Nach Popitz bestehen drei unterschiedliche Verhaltenssequenzen in normrelevanten
Situationen:
149
1. Eine Norm kann befolgt werden (Normkonformes Verhalten),
2. auf einen Normbruch kann eine Sanktion erfolgen (Sanktionierter Normbruch),
3. ein Normbruch bleibt ohne Sanktion (nicht sanktionierter Normbruch)
Normkonformes Verhalten Abweichendes Verhalten
Sanktionierter Nicht sanktionierter
Normbruch Normbruch
Abb. 1: Quantifizierung der Normgeltung (Quelle: Popitz, H., die normative Konstruktion von Gesellschaft,1980,
S. 34)
Als Verhaltensgeltung der Norm bezeichnet Popitz das Verhältnis zwischen der An-
zahl der Situationen, in denen normkonform gehandelt wird, und der Gesamtzahl
normrelevanter Situationen. Die Sanktionsgeltung der Norm kommt durch Abwei-
chung und Sanktionierung einer Norm zustande, indem die Anzahl der sanktionierten
Normbrüche im Verhältnis zu allen Normbrüchen gesehen wird.
150
146
Vgl. Popitz, H., Die normative Konstruktion von Gesellschaft, 1980, S. 28
147
pathologisch = Die Pathologie betreffend; Pathologie = die Wissenschaft von den Krankheiten,
bes.von ihrer Entstehung u. den durch sie hervorgerufenen organisch-anatomischen Veränderungen.
148
Vgl. Kober, M., Moral als eine rational gewählte Institution einer Gemeinschaft, 2001,S. 202 (zitiert
nach Kant, I., Kritik der praktischen Vernunft, §7, Band V, S. 56 f.)
149
Vgl. Popitz, H., Die normative Konstruktion von Gesellschaft, 1980, S. 34
150
Vgl. ebenda, S. 34 f.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2005
ISBN (eBook)
9783832492717
ISBN (Paperback)
9783838692715
DOI
10.3239/9783832492717
Dateigröße
3.6 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Hochschule Heilbronn, ehem. Fachhochschule Heilbronn – unbekannt
Erscheinungsdatum
2006 (Januar)
Note
1,0
Schlagworte
sextourismus moral reiseindustrie reiseveranstalter ethik
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