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Das Gedächtnis im Alter - Implikationen für die Werbung

Gerontopsychologische und werbepsychologische Erkenntnisse zum Gedächtnis im Alter als Grundlage für eine erfolgreiche Werbekommunikation mit älteren Menschen

©2005 Diplomarbeit 115 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Sinkende Geburtenraten und steigende Lebenserwartung führen zu einem demografischen Wandel der deutschen Gesellschaft. Der Anteil der älteren Menschen an der Gesamtbevölkerung nimmt immer weiter zu. Heute leben mehr Menschen über 60 Jahre in Deutschland als junge Menschen unter 20 Jahre (25 % vs. 21 %). Das Statistische Bundesamt (2003) rechnet damit, dass dieser Anteil bis 2050 auf 36 Prozent ansteigt. Damit wäre jeder Dritte in Deutschland über 60 Jahre alt. Dieses nicht allein deutsche sondern vielmehr weltweite Phänomen führt dazu, dass ältere Menschen in jüngster Zeit auch für die Unternehmen zu einer immer wichtigeren Zielgruppe werden.
Dabei sind die Menschen über 60 Jahre schon allein aufgrund ihrer Masse eine wichtige potentielle Käufergruppe für Unternehmen. Zudem verfügen sie häufig über ein höheres Pro-Kopf-Einkommen als junge Menschen.
Auf der Basis der alternden globalen Märkte liegt die Herausforderung für Unternehmen darin, ältere Menschen als Kunden zu gewinnen und zu halten. Dabei nimmt auch die werbliche Ansprache dieses wirtschaftlich sehr interessanten Kundensegmentes eine immer bedeutendere Rolle ein. Marketingverantwortliche müssen deshalb wissen, wie man Werbebotschaften an diese Empfängergruppe sendet, die durch besondere Bedürfnisse und Anforderungen gekennzeichnet ist.
Unternehmen versuchen durch Werbung in einer Marktsituation von austauschbaren Produkten bei möglichst vielen Konsumenten, Präferenzen für die eigenen Produkte und Marken zu schaffen und so deren Entscheidung in der Kaufsituation zu beeinflussen. Um mit Werbekommunikation erfolgreich das Konsumentenverhalten beeinflussen zu können, müssen Gedächtnisinhalte in Form von Markenimages, Produkten und Produktvorteilen aufgebaut werden. „Werbung soll im Gedächtnis Spuren hinterlassen“ (Felser, 2001).
Eine inhaltlich überzeugende Werbebotschaft kann nur dann ihr Ziel der Beeinflussung des Kaufverhaltens erreichen, wenn sie von den Konsumenten aufgenommen, verarbeitet und gespeichert wird.
Es ist eine anerkannte Tatsache, dass die kognitiven Leistungen im Alter zurückgehen. Die Ergebnisse der gerontopsychologischen Forschung zeigen deutliche Defizite in der Gedächtnisleistung älterer Menschen auf. Obwohl nicht alle Gedächtnisprozesse in gleichem Ausmaß betroffen sind, zeigen sich in vielen Gedächtnisleistungen Altersveränderungen, die sich negativ auf Prozesse der Informationsaufnahme, der Informationsverarbeitung und der […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 9255
Dietzmann, Susann: Das Gedächtnis im Alter ­ Implikationen für die Werbung -
Gerontopsychologische und werbepsychologische Erkenntnisse zum Gedächtnis im Alter
als Grundlage für eine erfolgreiche Werbekommunikation mit älteren Menschen
Druck Diplomica GmbH, Hamburg, 2006
Zugl.: Hochschule Harz (FH), Diplomarbeit, 2005
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2006
Printed in Germany


Inhaltsverzeichnis
I
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis... I
Abbildungsverzeichnis ... IV
Tabellenverzeichnis... V
1 Einleitung... 1
2 Alter und Altern in der Psychologie... 3
2.1
Die Wissenschaft der Gerontopsychologie... 3
2.2
Alter(n)sbegriffe der Gerontopsychologie... 4
2.2.1
Das Alter ... 4
2.2.2
Das Altern... 5
2.3
Methoden der Gerontopsychologie ... 7
2.3.1
Erhebungsinstrumente ... 7
2.3.2
Forschungsdesigns ... 8
2.4
Theorien der Gerontopsychologie ... 10
2.4.1
Mechanistische Defizitmodelle des Alterns ... 10
2.4.2
Theorien der Entwicklungsaufgaben ...11
2.4.3
Das dritte und das vierte Lebensalter...11
2.4.4
Lebensspannenpsychologie... 12
2.4.5
Theorien des erfolgreichen Alterns... 13
2.5
Fazit und Definition des Altersbegriffes dieser Arbeit ... 14
3 Das Gedächtnis... 16
3.1
Das Mehrspeichermodell... 16
3.1.1
Informationsaufnahme und der sensorische Speicher ... 17
3.1.2
Informationsspeicherung und -verarbeitung im Kurzzeitgedächtnis... 19
3.1.3
Informationsspeicherung im Langzeitgedächtnis ... 21
3.1.4
Informationsabruf aus dem Langzeitgedächtnis... 22
3.2
Das Modell der Verarbeitungstiefe ... 23
3.3
Das implizite Gedächtnis... 24
3.4
Fazit ... 25

Inhaltsverzeichnis
II
4 Informationsaufnahme im Alter... 27
4.1
Altersveränderungen der Sensorik... 27
4.1.1
Veränderung des Sehens im Alter... 27
4.1.2
Veränderungen des Hörens im Alter ... 28
4.1.3
Altersveränderungen der Sensorik und kognitive Leistungen ... 29
4.2
Altersveränderungen der Aufmerksamkeit ... 30
4.3
Altersveränderungen des sensorischen Speichers ... 33
4.3.1
Veränderungen des ikonischen Gedächtnisses im Alter ... 33
4.3.2
Veränderungen des echoischen Gedächtnisses im Alter ... 34
4.4
Fazit ... 35
5 Informationsspeicherung im Alter ... 36
5.1
Altersveränderungen des Kurzzeitgedächtnisses ... 36
5.1.1
Kapazität des Kurzzeitgedächtnisses im Alter... 36
5.1.2
Scanning im Alter ... 37
5.1.3
Vergessen im Kurzzeitgedächtnis im Alter ... 38
5.2
Altersveränderungen des Langzeitgedächtnisses... 39
5.2.1
Altersveränderungen nach der Mehrspeichertheorie ... 40
5.2.2
Altersveränderungen nach dem Modell der Verarbeitungstiefe... 40
5.2.3
Altersveränderungen nach der Ressourcen-Theorie... 42
5.2.4
Einflussfaktoren auf die Erinnerung ... 47
5.2.5
Vergessen im Langzeitgedächtnis im Alter... 53
5.3
Altersveränderungen des impliziten Gedächtnisses... 54
5.4
Fazit ... 56
6 Informationsabruf im Alter... 58
6.1
Abruf - Defizit - Hypothese ... 58
6.2
Rekognition vs. freies Erinnern im Alter... 58
6.3
Enkodierungsspezifität im Alter ... 59
6.4
Hinweisreize und indirekter Abruf im Alter ... 61
6.5
Fazit ... 61

Inhaltsverzeichnis
III
7 Werbung, Gedächtnis und Alter... 63
7.1
Werbung... 63
7.1.1
Werbeziele ... 63
7.1.2
Werbung als Kommunikationsprozess ... 64
7.1.3
Die Rolle des Gedächtnisses in der Werbung... 65
7.2
Werbemedien - Mediennutzung im Alter ... 66
7.2.1
Fernsehen... 67
7.2.2
Zeitungen und Zeitschriften... 67
7.2.3
Hörfunk ... 68
7.3
Werbeerinnerung älterer Menschen ... 69
7.3.1
Fernsehwerbespots... 69
7.3.2
Radiowerbespots ... 74
7.3.3
Emotionen in der Werbung... 75
7.3.4
Werbung und Verarbeitungstiefe... 76
7.4
Fazit ... 80
8 Implikationen der Gedächtnisentwicklung im Alter für die Werbegestaltung
(Selektive Optimierung und Kompensation) ... 82
8.1
Selektion ... 83
8.2
Optimierung... 84
8.2.1
Optimierung durch Auswahl des Kommunikationsmediums... 84
8.2.2
Optimierung der Gestaltung der Kommunikation ... 87
8.3
Kompensation ... 95
8.3.1
Kompensation durch Verstärkung von vorhandenem Werbewissen ... 95
8.3.2
Kompensation durch Nutzung impliziter Erinnerungen ... 96
8.4
Fazit ... 96
9 Schlussbetrachtung... 99
Literaturverzeichnis... VI
Erklärung... X

Abbildungsverzeichnis
IV
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Entwicklung von Biologie und Kultur im Lebensverlauf ... 12
Abb. 2: Das Mehrspeichermodell ... 17
Abb. 3: Vergessensraten in implizitem und explizitem Gedächtnis... 25
Abb. 4: Altersunterschiede in der selektiven Aufmerksamkeit (Stroop-Test)... 30
Abb. 5: Altersunterschiede in der selektiven Aufmerksamkeit (Suchaufgaben) ... 31
Abb. 6: Der Recency-Effekt ... 37
Abb. 7: Altersunterschiede im KZG-Scanning ... 38
Abb. 8: Altersunterschiede in Vergessensraten des KZG... 39
Abb. 9: Altersunterschiede in der Verarbeitungstiefe... 41
Abb. 10: Pfadanalyse-Modell zum Arbeitsgedächtnis... 44
Abb. 11: Bildüberlegenheitseffekt im Alter ... 49
Abb. 12: Die Organisation von kategorisierbaren Informationen im LZG... 52
Abb. 13: Altersunterschiede im impliziten Gedächtnis... 55
Abb. 14: Enkodierungsspezifität im Alter ... 60
Abb. 15: Interaktionseffekt Unterbrechung - Messzeitpunkt ... 73
Abb. 16: Selektive Optimierung und Kompensation in der Werbung... 98

Tabellenverzeichnis
V
Tabellenverzeichnis
Tab. 1: Gegenstandsbereiche der Gerontopsychologie ... 4
Tab. 2: Nachteile von Längsschnittuntersuchungen... 10
Tab. 3: Häufige Altersveränderungen des Sehens... 27
Tab. 4: Orientierungsaufgaben zum inzidentellen Lernen... 41
Tab. 5: Einfluss von Verarbeitungsgeschwindigkeit und
Arbeitsgedächtniskapazität auf die Gedächtnisleistung... 46
Tab. 6: Freie Erinnerung an auditive Informationen in verschiedenen
Präsentationsgeschwindigkeiten ... 48
Tab. 7: Untersuchungsbedingungen zu C
HERRY ET
AL
. (2003) ... 50
Tab. 8: Mediennutzung der älteren Generation... 66
Tab. 9: Untersuchungsergebnisse S
TEPHENS
(1982) ... 71
Tab. 10: Erinnerungsleistungen C
OLE
& H
OUSTON
(1987)... 78

Einleitung
1
1 Einleitung
Sinkende Geburtenraten und steigende Lebenserwartung führen zu einem demografischen
Wandel der deutschen Gesellschaft. Der Anteil der älteren Menschen an der Gesamtbevölke-
rung nimmt immer weiter zu. Heute leben mehr Menschen über 60 Jahre in Deutschland als
junge Menschen unter 20 Jahre (25
% vs. 21
%). Das
S
TATISTISCHE
B
UNDESAMT
(2003) rechnet
damit, dass dieser Anteil bis 2050 auf 36 Prozent ansteigt. Damit wäre jeder Dritte in
Deutschland über 60 Jahre alt (S.
29
ff.). Dieses nicht allein deutsche sondern vielmehr welt-
weite Phänomen (
S
CHIMANY
, 2003, S.
275) führt dazu, dass ältere Menschen in jüngster Zeit
auch für die Unternehmen zu einer immer wichtigeren Zielgruppe werden.
Dabei sind die Menschen über 60 Jahre schon allein aufgrund ihrer Masse eine wichtige po-
tentielle Käufergruppe für Unternehmen. Zudem verfügen sie häufig über ein höheres Pro-
Kopf-Einkommen als junge Menschen. Die Einkünfte eines Zwei-Personen-
Rentnerhaushaltes liegen heute mit durchschnittlich 1700 Euro monatlich rund 200 Euro über
denen einer Familie mit Kindern (
C
ONTOLI
&
S
AMMET
, 2004, S.
184).
Auf der Basis der alternden globalen Märkte liegt die Herausforderung für Unternehmen da-
rin, ältere Menschen als Kunden zu gewinnen und zu halten. Dabei nimmt auch die werbliche
Ansprache dieses wirtschaftlich sehr interessanten Kundensegmentes eine immer bedeuten-
dere Rolle ein. Marketingverantwortliche müssen deshalb wissen, wie man Werbebotschaften
an diese Empfängergruppe sendet, die durch besondere Bedürfnisse und Anforderungen ge-
kennzeichnet ist.
Unternehmen versuchen durch Werbung in einer Marktsituation von austauschbaren Produk-
ten bei möglichst vielen Konsumenten, Präferenzen für die eigenen Produkte und Marken zu
schaffen und so deren Entscheidung in der Kaufsituation zu beeinflussen. Um mit Werbe-
kommunikation erfolgreich das Konsumentenverhalten beeinflussen zu können, müssen Ge-
dächtnisinhalte in Form von Markenimages, Produkten und Produktvorteilen aufgebaut
werden.
»Werbung soll im Gedächtnis Spuren hinterlassen« (
F
ELSER
, 2001, S.
156).
Eine inhaltlich überzeugende Werbebotschaft kann nur dann ihr Ziel der Beeinflussung des
Kaufverhaltens erreichen, wenn sie von den Konsumenten aufgenommen, verarbeitet und
gespeichert wird.
Es ist eine anerkannte Tatsache, dass die kognitiven Leistungen im Alter zurückgehen. Das
Wissen um die altersabhängigen Veränderungen des Gedächtnisses muss deshalb in die Wer-
begestaltung für ältere Konsumenten einbezogen werden, um trotz der vorhandenen Defizite
erfolgreich Werbeinhalte weitergeben zu können und somit das Konsumentenverhalten im
Sinne des Unternehmens zu beeinflussen. Können Markenimages nicht aufgebaut und Pro-
duktvorteile nicht effektiv an die älteren Empfänger kommuniziert werden, entstehen kaum
Vorteile aus diesem lukrativen Zielmarkt für die Unternehmen.

Einleitung
2
Leider entspricht die Anzahl werbepsychologischer Untersuchungen zu Besonderheiten älte-
rer Konsumenten in werberelevanten Gedächtnisprozessen noch nicht der wachsenden Be-
deutung dieser Zielgruppe. Dagegen liegen schon eine Reihe wichtiger Ergebnisse zu
psychischen Altersveränderungen aus der allgemeinen psychologischen Altersforschung vor,
die für die Anpassung von Werbemaßnahmen an die Bedürfnisse älterer Empfänger zur Er-
reichung nachhaltiger Werbeerinnerungen genutzt werden können.
Die vorliegende Arbeit gibt einen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung zu Ver-
änderungen von Gedächtnisprozessen im Alter und stellt deren Relevanz für die Werbekom-
munikation mit älteren Menschen heraus. Basierend auf diesen theoretischen Erkenntnissen
und Ergebnissen der Werbepsychologie werden Möglichkeiten aufgedeckt, die, trotz der im
Alter auftretenden Veränderungen in der Gedächtnisleistung, eine gedächtniswirksame werb-
liche Ansprache älterer Menschen möglich machen. Im Gegensatz zur Literatur des Senio-
renmarketings, die vor allem inhaltliche Aspekte der Ansprache älterer Menschen betrachtet,
konzentriert sich diese Arbeit auf formale Gestaltungsaspekte der Werbung.
Dabei ist wichtig zu bemerken, dass in dieser Arbeit ältere Menschen nicht als homogenes
Kundensegment betrachtet werden. Zielgruppen werden in der Regel nicht über das Alter an
sich sondern über Wünsche, Bedürfnisse und Einstellungen gebildet. In diesen Aspekten un-
terscheiden sich ältere Menschen meist noch deutlicher voneinander als jüngere Menschen.
Inhaltliche Aspekte der Kommunikation sollten demnach weniger an das globale Kunden-
segment der Alten, als an spezifische, nach Bedürfnissen, Kundenwünschen und anderen ope-
rationalisierbaren Segmentierungseigenschaften (außer dem chronologischen Alter)
zusammengefasste Kundengruppen angepasst werden.
Die Konzentration dieser Arbeit liegt auf der Darstellung von Alterungsprozessen des Ge-
dächtnisses und deren Einfluss auf die optimale formale Gestaltung von Werbekommunika-
tionsmaßnahmen, deren Ziel das Erreichen guter Werbeerinnerungen auch bei älteren
Menschen (unabhängig davon welchem Kundensegment sie angehören) ist.

Alter und Altern in der Psychologie
3
2 Alter und Altern in der Psychologie
Diese Arbeit beschäftigt sich mit Veränderungen des Gedächtnisses im höheren Lebensalter.
Die Wissenschaft, die sich mit psychischen Altersveränderungen auseinandersetzt, ist die
Ge-
rontopsychologie
(auch: psychologische Altersforschung, Alternspsychologie, Psychogeron-
tologie).
Den Erkenntnissen der Gerontopsychlogie liegen spezifische Definitionen der Begriffe »Al-
ter« und »Altern« sowie eine Reihe von theoretischen Modellvorstellungen zum Alterungs-
prozess zugrunde. Zur Erkenntnisgewinnung werden vor allem Quer- und
Längsschnittstudien angewandt, deren Einsatz jeweils mit spezifischen Vor- und Nachteilen
verbunden ist. Bei der Untersuchung altersabhängiger psychischer Phänomene besteht außer-
dem die Notwendigkeit, die genutzten Erhebungsinstrumente an Besonderheiten des älteren
Menschen anzupassen.
Als Grundlage für die weiteren Ausführungen dieser Arbeit setzt sich dieses Kapitel mit aus-
gewählten allgemeinen Aspekten der Gerontopsychologie auseinander.
2.1 Die Wissenschaft der Gerontopsychologie
Die Gerontopsychologie ist ein Teilbereich der interdisziplinären Wissenschaft der Geronto-
logie. Die Bezeichnung Gerontologie leitet sich aus dem griechischen Begriff
»geron«
ab, der
»alter Mensch« oder »Greis« bedeutet.
Die
Gerontologie
wird von
B
ALTES
&
B
ALTES
(1994) wie folgt definiert:
»Gerontologie beschäftigt sich mit der Beschreibung, Erklärung und Modifikation von
körperlichen, psychischen, sozialen, historischen und kulturellen Aspekten des Alterns
und des Alters, einschließlich Analyse von altersrelevanten und alterskonstitutionieren-
den Umwelten und sozialen Institutionen« (S.
8).
Die
Gerontopsychologie
wird beschrieben als:
»Beschreibung, Erklärung und Modifikation des Verhaltens und Erlebens im höheren
Lebensalter unter Berücksichtigung der inneren und äußeren Bedingungen, die die le-
benslange Entwicklung mitgeprägt haben« (E
RLENMEIER
, 2002, S.
22).
Aufgrund der demografischen Entwicklung und der steigenden Lebenserwartung hat die Be-
deutung der Gerontopsychologie in den letzten Jahren zugenommen (
B
ALTES
&
B
ALTES
, 1994,
S.
2). Trotzdem handelt es sich um eine noch sehr junge Wissenschaft, deren systematische
Anfänge am Beginn des letzten Jahrhunderts liegen (
B
IRREN
&
S
CHROOTS
, 1996, S.
4). Des-
halb muss man beachten, dass die bisherigen Erkenntnisse der Erforschung des Alterns im-
mer noch als gering angesehen werden müssen. Eine Reihe wichtiger und nutzbarer
Ergebnisse zum Alter und zum Altern liegen jedoch schon vor (
B
ALTES
&
B
ALTES
, 1994,
S.
3
f.).

Alter und Altern in der Psychologie
4
Innerhalb der Gerontopsychologie lassen sich drei Gegenstandsbereiche unterscheiden
(
Tab. 1
).
Tab. 1: Gegenstandsbereiche der Gerontopsychologie
(vgl.
B
IRREN
&
S
CHROOTS
, 1996, S.
7
ff.)
P
SYCHOLOGIE DER
A
LTEN
P
SYCHOLOGIE DES
A
LTERS
P
SYCHOLOGIE DES
A
LTERNS
F
O
KU
S
Die älteren Menschen selbst
und das Leben im Alter
Altersunterschiede
Veränderungen des Individuums
im Alterungsprozess
M
ET
H
O
D
EN
Deskriptive Betrachtung des
Verhaltens, sozialer und
medizinischer Probleme
älterer Menschen
Vergleich von Menschen unter-
schiedlichen Alters hinsichtlich
verschiedener Variablen in
Querschnittuntersuchungen
Vergleich der Daten einer Gruppe von
Personen eines Alters zu einem
Zeitpunkt mit Daten der gleichen
Gruppe zu einem späteren Zeitpunkt
in Längsschnittuntersuchungen
2.2 Alter(n)sbegriffe der Gerontopsychologie
Die obige Unterscheidung der Gerontopsychologie in verschiedene Gegenstandsbereiche hat
gezeigt, dass bei der psychologischen Betrachtung älterer Menschen die Unterscheidung der
Begriffe
Alter
und
Altern
von Bedeutung ist.
B
ALTES
&
B
ALTES
(1994) geben einen kurzen Überblick über die Nutzung dieser beiden Be-
griffe in der Gerontologie:
»Wenn der Begriff Alter benutzt wird, stehen die älteren Menschen und das Resultat des
Altwerdens im Vordergrund; das Alter als Lebensperiode und die Alten als Bestandteil
der Gesellschaft. Wenn dagegen vom Altern gesprochen wird, liegt der Schwerpunkt auf
der Untersuchung von Prozessen und Mechanismen, die zum Alter führen und die dem
Altwerden zugrunde liegen« (S.
9, Hervorhebungen im Original).
2.2.1 Das Alter
Das Alter eines Menschen ist eine Tatsache, die sich über seinen gesamten Lebenslauf er-
streckt. Aus diesem Grund ist es schwierig dieses Kontinuum in einzelne Abschnitte aufzutei-
len. Die Fragen, ab welchem Zeitpunkt ein Mensch als
alt
zu bezeichnen ist, bzw. welches
Alter diese Grenze definiert, können demnach auch nicht eindeutig beantwortet werden. Da
jedoch die meisten Menschen zwischen dem 60. und 65. Lebensjahr bestimmte psychische
und/oder physische Veränderungen zeigen, wird dieser Zeitpunkt in der Gerontologie oft als
Beginn der Phase des
Alters
angesehen. Man muss aber beachten, dass es keinen festgelegten
Zeitpunkt gibt, an dem eine Person alt wird, und damit die Angabe eines bestimmten chrono-
logischen Alters kein zuverlässiges Maß für den Beginn der Phase »Alter« sein kann. Zwar
korreliert das chronologische Alter mit bestimmten Kriterien, es ist aber noch lange keine
zuverlässige Angabe über den Zustand eines Menschen (
S
TUART
-H
AMILTON
, 1994, S.
12
ff.).
Wenn Erleben und Verhalten im hohen Alter betrachtet werden, zeigt sich, dass auch in der
Phase des Alters eine hohe Unterschiedlichkeit der Individuen besteht (
Variabilität des Al-
ters
). Die Altersforschung weist oft darauf hin, dass es sich bei »den Alten« nicht um eine

Alter und Altern in der Psychologie
5
homogene Gruppe handelt, sondern sich die Entwicklungen und Zustände einzelner Men-
schen gleichen Alters stark voneinander unterscheiden, in einigen Bereichen sogar stärker als
in jüngeren Altersgruppen (vgl. z.
B.
L
EHR
, 2003;
W
AHL
&
H
EYL
, 2004;
B
ALTES
&
B
ALTES
,
1994;
G
EROK
&
B
RANDTSTÄDTER
, 1994;
B
IRREN
&
S
CHROOTS
, 1996). Diese so genannte
inter-
individuelle Variabilität
tritt zum Einen in der großen Streubreite der meisten biologischen
Parameter auf (
G
EROK
&
B
RANDTSTÄDTER
, 1994, S.
365), zum Anderen aber auch im beo-
bachtbaren Verhalten alter Menschen, z.
B. im Umgang mit schweren chronischen Erkran-
kungen (
E
RLENMEIER
, 2002, S.
25), und in Messungen von Leistungsparametern, z.
B. des
Gedächtnisses (
W
EINERT
, 1994, S.
15).
Als Ursachen der individuellen Unterschiedlichkeit der Lebensphase Alter nennen
B
ALTES
&
B
ALTES
(1994):
Ein weiterer Aspekt der Variabilität im Alter ist die
intraindividuelle Variabilität
. Menschen
unterscheiden sich im Alter nicht nur voneinander, sondern sie gehen zu verschiedenen Zeit-
punkten und in verschiedenen Lebensbereichen unterschiedlich mit damit um
(
B
ALTES
&
B
ALTES
, 1994, S.
15). Bestimmte Fähigkeiten lassen sich bspw. auch im Alter zum
Besseren verändern. Ein wichtiger Begriff in diesem Zusammenhang ist die
Plastizität
.
Sie bezeichnet:
»die Eigenschaft von Organismen, über die gesamte Lebensspanne hinweg weitgehend
modifizierbar und formbar zu sein« (
S
INGER
&
L
INDENBERGER
, 2000, S.
39).
Der Begriff der Plastizität lässt sich sowohl auf Veränderungen im Nervensystem als auch auf
Veränderungen im beobachtbaren Verhalten beziehen (ebd
.
).
2.2.2 Das Altern
Am multidisziplinären Charakter der Alternswissenschaft (Gerontologie) kann man erkennen,
dass das Altern ein vielschichtiger Prozess ist, der sich in sehr vielen Bereichen eines Men-
schen (z.
B. biologische und medizinische Aspekte des Alterns) und des menschlichen Erle-
bens (z.
B. soziale Aspekte des Alterns) abspielt (
E
RLENMEIER
, 2002, S.
60). Da das
biologische Altern großen Einfluss auf die psychischen Alterungsvorgänge hat, ist das Altern
aus der Sichtweise der Biologie bei einer Abgrenzung des psychologischen Alternsbegriffes
unumgänglich. So sind biologische Veränderungen, z.
B. von Sinnesorganen und Zentralner-
vensystem, nicht ohne Auswirkungen auf psychologische Informationsverarbeitungsprozesse,
wie sie in dieser Arbeit behandelt werden sollen (vgl.
S
TUART
-H
AMILTON
, 1994, S.
15). Außer-
dem muss zwischen normalem und krankhaftem Altern unterschieden werden.
Der relative Einfluss der Lebensbedingungen auf das Alter scheint höher zu sein als
genetische Determinanten.
Unterschiede in Anlage- und Umweltbedingungen im Lebenslauf wirken kumulativ
und verstärken sich mit der Zeit.
Das Auftreten unterschiedlichster Krankheiten im Alter überlagert das normale Al-
tern (S.
16).

Alter und Altern in der Psychologie
6
Biologischer Alternsbegriff
Das Altern ist biologisch gesehen die abschließende Entwicklung eines Menschen
(
S
TUART
-H
AMILTON
, 1994, S.
15). Es bezeichnet den Lebensabschnitt nach der Reproduk-
tionsphase, der durch die fortschreitende und irreversible Verringerung der Anpassungs- und
Funktionstüchtigkeit des Organismus gekennzeichnet ist und damit über kurz oder lang zu
einer Verkürzung der Lebenszeit führt (vgl.
E
RLENMEIER
, 2002, S.
62;
B
ALTES
&
B
ALTES
, 1994,
S.
10). Das Altern zeigt sich dabei in funktionalen Veränderungen der Körperzellen und Or-
gane (z.
B. Veränderungen der Sinnesorgane, siehe 4.1). Biologisch betrachtet, ist das Altern
also als ein durch Verlust und Abbau gekennzeichneter und zu Entwicklung und Wachstum
gegenläufiger Prozess zu sehen (
B
ALTES
&
B
ALTES
, 1994, S.
10).
Psychologischer Alternsbegriff
In der heutigen Gerontopsychologie steht der psychologische Alternsbegriff teilweise im Ge-
gensatz zum biologischen Alternsbegriff. Die Aspekte des Alterns, die durch den Rückgang
von Funktions- und Adaptionsfähigkeit gekennzeichnet sind, werden durchaus auch aus der
psychologischen Perspektive wahrgenommen. Es wird jedoch herausgestellt, dass dies nicht
unbedingt bedeutet, dass psychische Prozesse ausschließlich durch Abbau gekennzeichnet
sind. Man geht davon aus, dass das Altern, von der psychischen Seite betrachtet, auch positi-
ve und sogar durch Wachstum gekennzeichnete Aspekte beinhaltet (
B
ALTES
&
B
ALTES
, 1994,
S.
10
f.).
Das Altern kann also als Veränderungsprozess beschrieben werden, dem alle Menschen un-
terliegen und der in der Reduzierung der körperlichen und psychischen Leistungsmöglichkei-
ten besteht (
W
EINERT
, 1994, S.
183). Fähigkeiten, die der Anpassung an innere und äußere
Veränderungen dienen, gehen zurück. Dazu gehören bspw. die Intelligenz, die Sinneswahr-
nehmung, die Psychomotorik, Lernen und Gedächtnis sowie Denken und Problemlösen
(
E
RLENMEIER
, 2002, S.
64). Davon unterschieden werden ausdrücklich Auswirkungen von
Prozessen, die auf den gleichen Lebensbedingungen einer Generation beruhen. So sind z.
B.
Kriegstraumata aus dem Zweiten Weltkrieg teilweise als Ursache für Depressionen heute al-
ter Menschen anzusehen und nicht der Alterungsprozess bzw. das Alter einer Person
(
W
EINERT
, 1994, S.
183). Positive Aspekte des Alterns könnten beispielsweise Konstrukte wie
Lebenserfahrung oder Weisheit sein, die das Alter trotz der biologischen Schwächung des
Körpers zu einer auch positiven Lebensphase machen (
B
ALTES
&
B
ALTES
, 1994, S.
11). Außer-
dem haben neuere Studien Potentiale für Trainings- und Kompensationsmöglichkeiten offen
gelegt, die Abbauprozesse teilweise verlangsamen und ausgleichen können (
W
EINERT
, 1994,
S.
183).
Normales vs. krankhaftes Altern
Wichtig bei der Betrachtung von Alterungsprozessen ist die Unterscheidung von
normalem
und
pathologischem Altern
(
E
RLENMEIER
, 2002, S.
64;
G
EROK
&
B
RANDTSTÄDTER
, 1994,
S.
356
ff.;
B
ALTES
&
B
ALTES
, 1994, S.
17;
M
ARTIN
&
K
LIEGEL
, 2005, S.
25).

Alter und Altern in der Psychologie
7
Normales Altern
ist das Erreichen der durchschnittlichen Lebensspanne, das nur durch al-
ternstypische (bei der Mehrzahl alter Menschen auftretende) Einbußen gekennzeichnet ist
(
G
EROK
&
B
RANDSTÄDTER
, 1994, S.
357). Ein Beispiel dafür ist die Altersverlangsamung kog-
nitiver Prozesse (
B
IRREN
&
S
CHROOTS
, 1996, S.
11).
Krankhaftes Altern
ist begleitet durch spezifische Krankheiten und Einbußen, die bei »
nor-
malem Altern«
nicht anzutreffen sind und die zu einer (im Vergleich zu normalem Altern)
eingeschränkten Lebensqualität und letztendlich zu einer kürzeren Lebensdauer führen
(
G
EROK
&
B
RANDSTÄDTER
, 1994, S.
357). Als Beispiel für eine pathologische Altersform nen-
nen
B
IRREN
&
S
CHROOTS
(1996) Arteriosklerose, die nicht bei allen alten Menschen, jedoch
v.
a. bei alten Menschen auftritt (S 13).
E
RLENMEIER
(2002) weist darauf hin, dass diese Unterscheidung zwar »[...] vor einer unbe-
dachten Gleichsetzung von Alter und Krankheit [bewahrt]«
aber nicht immer definitiv mög-
lich ist (S.
62).
2.3 Methoden der Gerontopsychologie
Zur Beschreibung und Erklärung der interindividuellen Unterschiede der individuellen Al-
tersveränderungen von Menschen in den Bereichen Erleben, Wahrnehmen, Erkennen, Bewer-
ten und Verhalten werden in der Gerontopsychologie unterschiedliche Erhebungsinstrumente,
Forschungsdesigns und Auswertungsverfahren eingesetzt (M
ARTIN
&
K
LIEGEL
, 2005, S.
98).
Diese werden an dieser Stelle hinsichtlich ihrer spezifischen Aspekte bei der Beschäftigung
mit dem Alter bzw. älteren Probanden näher betrachtet. Die detaillierte Darstellung aller Me-
thoden, die im Bereich der Gerontopsychologie eingesetzt werden, ist in dem begrenzten
Rahmen dieser Arbeit nicht möglich und wird zudem, aufgrund der Überschneidungen mit
anderen Bereichen der Psychologie, von der Autorin als nicht notwendig empfunden.
2.3.1 Erhebungsinstrumente
Aufgrund ihrer relativ häufigen Anwendung soll im Folgenden auf die Besonderheiten der
beiden Messinstrumente psychometrische Tests und Befragung in der Anwendung bei älteren
Versuchspersonen (Vpn) näher eingegangen werden.
Psychometrische Tests
Psychometrische Tests werden in der Gerontopsychologie vor allem dazu genutzt, kognitive
Leistungen und Persönlichkeitsstrukturen zu erfassen. Bei der Gestaltung dieser Verfahren für
ältere Probanden ergeben sich Besonderheiten zum Einen in der Gestaltung des Materials und
zum Anderen in der Vergleichbarkeit der Ergebnisse mit anderen Altersgruppen
(M
ARTIN
&
K
LIEGEL
, 2005, S.
100).
Testvergleiche zwischen älteren und jüngeren Personen sind problematisch, da im Alltag jün-
gerer Personen Tests, z.
B. in Form von schulischen Leistungsbeurteilungen, häufiger sind

Alter und Altern in der Psychologie
8
und Zeitdruck in ihrem Leben eher eine Rolle spielt als bei älteren Personen und damit Er-
gebnisse durch Gewöhnung und Übung verzerrt werden können. Um die Vergleichbarkeit der
Testergebnisse verschiedener Altersgruppen zu gewährleisten, werden bei einigen Testverfah-
ren Vergleichswerte für ältere Testteilnehmer angegeben (z.
B. Wechsler Adult Intelligence
Scale, Wechsler Memory Scale, Alterskonzentrationstest, Nürnberger Altersinventar; ebd.
S.
101
f.).
Aufgrund der veränderten Leistungen älterer Menschen im sensorischen und motorischen
Bereich muss das Testmaterial entweder angepasst oder neu entwickelt werden (z.
B. größere
Darstellung von Buchstaben, Ausgleich von Lichtreflexionen auf beschichtetem Untersu-
chungsmaterial, Reduktion des motorischen Anteils bei Tests), um vergleichbare Be-
dingungen herzustellen (ebd. S.
101).
Befragungen
Da vermutlich oft frühere Ereignisse im Leben einer Person Auswirkungen auf Verhalten und
Erleben im Alter haben, ist es sinnvoll und häufig auch notwendig, Versuchspersonen nach
Ereignissen und Erinnerungen zu fragen, die weit (manchmal Jahrzehnte) in der Vergangen-
heit liegen (
retrospektive Befragung
). Die Informationen, die dadurch gewonnen werden, sind
jedoch möglicherweise durch Bewertungen der Person (aktuell oder irgendwann in der Ver-
gangenheit) verzerrt oder die Person kann sich an weit zurück liegende Ereignisse nicht mehr
erinnern. So können Ergebnisse von Befragungen auf verzerrten oder selektiven Informa-
tionen beruhen. Außerdem sind bei der Fragestellung kohortenspezifische Aspekte zu beach-
ten (M
ARTIN
&
K
LIEGEL
, 2005, S.
103
ff.). Ein zurückhaltendes Antwortverhalten auf Fragen
nach der emotionalen Befindlichkeit, das als geringere emotionale Belastung Älterer gedeutet
wird, kann auch darauf zurückzuführen sein, dass es in der betreffenden Generation einfach
nicht üblich war, über seine Gefühle zu sprechen.
2.3.2 Forschungsdesigns
Die Psychologie des Alterns erforscht zum Einen Veränderungen des Individuums über die
Zeit hinweg (intraindividuelle Veränderungen). Zum Anderen werden Unterschiede dieser
Veränderungen zwischen den Individuen betrachtet (interindividuelle Unterschiede bei
intraindividuellen Veränderungen). In der Forschung zu diesen Veränderungen werden Quer-
und Längsschnittuntersuchungen angewandt. Dabei ist die Querschnittmethode das klas-
sische Verfahren zur Erforschung interindividueller Unterschiede. Die Längsschnittmethode
wird vor allem zur Messung intraindividueller Veränderungen genutzt (
E
RLENMEIER
, 2002,
S.
27). Obwohl der Ansatz der Querschnittmethode als problematischer angesehen wird, wird
er am häufigsten genutzt, um Altersveränderungen nachzuweisen. Die Längsschnittmethode
oder Kombinationen aus Längs- und Querschnittmethode kommen trotz ihrer Vorteile gegen-
über der Querschnittmethode seltener zum Einsatz (
VON
E
YE
, 1991, S.
305).

Alter und Altern in der Psychologie
9
Querschnittstudien (cross-sectional design)
Bei Querschnittstudien werden zu einem Zeitpunkt Daten an mindestens zwei Gruppen von
Versuchspersonen erhoben. Diese zwei Gruppen unterscheiden sich im Alter der Versuchs-
personen (z.
B.
VON
E
YE
, 1991, S. 306). Man geht dabei davon aus, dass sich Altersver-
änderungen von Personen in Altersunterschieden zwischen den Gruppen niederschlagen
(
M
ARTIN
&
K
LIEGEL
, 2005, S.
116).
Der
Vorteil
des Querschnittansatzes kann vor allem in der ökonomischen, wenig zeitaufwen-
digen und einfachen Organisation der Studien gesehen werden, da nur ein Messzeitpunkt
notwendig ist (
E
RLENMEIER
, 2002, S.
27;
M
ARTIN
&
K
LIEGEL
, 2005, S.
117;
VON
E
YE
, 1991, S.
306).
Dem gegenüber stehen grundlegende
Nachteile
dieses Forschungsdesigns. Zum Einen ist oft
eine eindeutige Interpretation der Ergebnisse als Alterseffekt nicht möglich, da Auswirkungen
des Alters und der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Geburtskohorte konfundiert sind
(
E
RLENMEIER
, 2002, S.
27). So können beispielsweise intellektuelle Leistungsdefizite älterer
Menschen bei Querschnittstudien überschätzt werden, wenn Unterschiede in der schulischen
Bildung der beiden Geburtskohorten bestehen (
M
ARTIN
&
K
LIEGEL
, 2005, S.
117). Außerdem
können mit Hilfe dieses Forschungsdesigns fast ausschließlich Unterschiede zwischen den
Gruppen aber nicht die Veränderungen des Alterns selbst erfasst werden (
VON
E
YE
, 1991,
S.
306). Ein weiterer Nachteil von Querschnittstudien besteht darin, dass die Beziehung zwi-
schen einer unabhängigen (z.
B. körperliche Leistungsfähigkeit) und einer abhängigen Variab-
len (z.
B. Gedächtnisleistung) künstlich verstärkt sein kann, wenn beide Variablen von einer
alterskorrelierten dritten Variablen abhängen (z.
B. eine im Alter häufig auftretende Erkran-
kung;
M
ARTIN
&
K
LIEGEL
, 2005, S.
117).
Längsschnittstudien (longitudinal design)
Bei Längsschnittuntersuchungen werden dieselben Versuchspersonen an mindestens zwei
unterschiedlichen Messzeitpunkten untersucht, um intraindividuelle Veränderungen über eine
Zeitspanne hinweg zu erfassen, zu beschreiben und mit Hilfe vorausgehender Ereignisse zu
erklären (
E
RLENMEIER
, 2002, S.
28).
Die Nachteile von Querschnittstudien können als Vorteile von Längsschnittstudien angesehen
werden. So können Aussagen über Veränderungen getroffen und Einflüsse des Alterns besser
interpretiert werden (
M
ARTIN
&
K
LIEGEL
, 2005, S.
110). Nur Längsschnittstudien erlauben
Aussagen z.
B. über die individuelle Entwicklung der geistigen Leistungsfähigkeit, von Per-
sönlichkeitsmerkmalen oder der Gesundheit (
W
AHL
&
H
EYL
, 2004, S.
157). Neben ökonomi-
schen Aspekten haben Längsschnittuntersuchungen weitere Nachteile und problematische
Aspekte, die in
Tab. 2
(S.
10) zusammenfassend dargestellt sind.

Alter und Altern in der Psychologie
10
Tab. 2: Nachteile von Längsschnittuntersuchungen
(vgl.
M
ARTIN
&
K
LIEGEL
, 2005, S.
110
ff.;
W
AHL
&
H
EYL
, 2004, S.
157)
P
ROBLEM
A
USWIRKUNGEN
historische Einflüsse
Ergebnisse treffen nur auf eine bestimmte Geburtskohorte zu
Übungseffekte
beobachtete Veränderung kann auf Übung durch wiederholtes
Testen beruhen
Regression zur Mitte
gemessene Veränderungen können aufgrund eines statistischen
Artefakts entstehen
Stichprobenausfall
Verkleinerung und Selektion der ursprünglichen Stichprobe
Selektivität der Teilnahme
keine Repräsentativität
Selektivität des Dropouts
keine Repräsentativität
zeitliche Ungleichheit kritischer Ereignisse
Konfundierung der Ergebnisse durch Ereignisse im Zeitraum
zwischen den Messzeitpunkten
Wechsel des wissenschaftlichen Personals
Entstehung von Datenfriedhöfen
Um diese Probleme teilweise zu umgehen, hat
S
CHAIE
(1965) die so genannten
Sequenzmo-
delle
entwickelt. Er versuchte dabei, die Einflüsse der drei konfundierten Faktoren Alter,
Messzeitpunkt und Kohorte von einander abzugrenzen, indem bei seinen Untersuchungsde-
signs (eine Kombination aus Längsschnitt- und Querschnittmodell) jeweils einer dieser Fak-
toren konstant gehalten wird (
S
CHAIE
, 1965, zit. n.
VON
E
YE
, 1991, S.
307). Aufgrund der
hohen Komplexität dieses Ansatzes kann im Rahmen dieser Arbeit aber nicht näher darauf
eingegangen werden.
2.4 Theorien der Gerontopsychologie
Wie auch in anderen Wissenschaften dienen Theorien in der Gerontopsychologie der zusam-
menfassenden Beschreibung der zu einem Thema beobachteten Sachverhalte. Aufgrund der
Komplexität des Alterns kann keine psychologische Theorie den Alterungsprozess im Ganzen
beschreiben. Es existieren eine Reihe von theoretischen Ansätzen und Modellen, die sich je-
weils mit Teilaspekten des Alterns auseinandersetzen (
F
ISCHER
, 1991, S.
425). Da die bisher
vorliegenden Alternstheorien einen Einblick in das Verhalten und Erleben älterer Menschen
geben können, sollen hier nun einige wichtige Theorien der Gerontopsychologie herausge-
griffen werden. Diese kurze Darstellung kann dabei keinesfalls den Anspruch auf Vollstän-
digkeit erheben, sondern soll nur einen Überblick über ausgewählte Theorien der
psychologischen Altersforschung bieten.
2.4.1 Mechanistische Defizitmodelle des Alterns
Das Defizitmodell des Alterns ist keine Theorie, die von einem bestimmten Autor entwickelt
wurde, sondern bezeichnet die Grundannahme vieler psychologischer Studien (vor allem in

Alter und Altern in der Psychologie
11
der Vergangenheit), dass das Altern mit einem generellen Abbau der psychophysischen Funk-
tionsfähigkeit verbunden ist (
M
ARTIN
&
K
LIEGEL
, 2005, S.
55).
Die Theorien des Defizitmodells entstanden ursprünglich aus dem biologischen Verständnis
des Alterns als Prozess, der sich in einem zeitabhängigen, irreversiblen und vorhersagbaren
Funktionsverlust äußert und letztendlich zum Tode des Organismus führt (
L
EHR
, 2003, S.
47).
Sie wurden implizit und explizit vielen Studien in der Anfangsphase der psychologischen
Alternsforschung zugrunde gelegt, die sich vor allem den Beziehungen des Alterns zu Intelli-
genz, Gedächtnisleistung und Reaktionsvermögen widmeten. Als Ergebnis solcher Studien
wurde in der Anfangsphase der Gerontopsychologie ausschließlich von Funktionsverlusten in
diesen Bereichen berichtet, ohne jedoch deren Zustandekommen näher zu reflektieren und zu
überprüfen (
L
EHR
, 2003, S.
47
ff.;
M
ARTIN
&
K
LIEGEL
, 2005, S.
55
f.;
F
ISCHER
, 1991, S.
425
f.).
Heute gilt diese - das Altern ausschließlich als Abbau charakterisierende Sichtweise - als wi-
derlegt, da ein genereller altersbedingter Abbau von Fähigkeiten und Fertigkeiten empirisch
nicht bestätigt werden kann (
F
ISCHER
, 1991, S.
426).
2.4.2 Theorien der Entwicklungsaufgaben
Die unter der Kategorie Entwicklungsaufgaben zusammengefassten Theorien der Entwick-
lungspsychologie fassen die lebenslange Entwicklung als Regulationsprozess auf
(
M
ARTIN
&
K
LIEGEL
, 2005, S.
42). Ausgangspunkt für diese Theorien bildete die Konzeption
von
H
AVIGHURST
(1948/1972). Eine Entwicklungsaufgabe nach seiner Theorie ist:
»[...] eine Aufgabe, die zu einem bestimmten Zeitpunkt oder einer Phase eines Indivi-
duums auftritt, deren erfolgreiche Bewältigung zu Zufriedenheit und zu Erfolg mit späte-
ren Aufgaben führt, während Misserfolg in der Unzufriedenheit des Individuums, der
Missbilligung der Gesellschaft und Schwierigkeiten mit späteren Aufgaben resultiert«
(
H
AVIGHURST
,
1948/1972, zit. n. M
ARTIN
&
K
LIEGEL
, 2005, S.
43).
Diese Entwicklungsaufgaben müssen in einer bestimmten Lebensperiode bewältigt werden.
Sie entstehen aus der Interaktion von biologischer Entwicklung, gesellschaftlichem Kontext,
der Persönlichkeit und den persönlichen Zielen einer Person (vgl.
L
EHR
, 2003, S.
54). Altern
bedeutet laut dieser Theorie vor allem die Aufgabe, sich an abnehmende körperliche Leis-
tungsfähigkeit und schlechtere Gesundheit sowie an den beruflichen Ruhestand anzupassen.
Die Theorie von
H
AVIGHURST
war nur der Ausgangspunkt für weitere Theorien zu Entwick-
lungsaufgaben und es existieren eine Reihe anderer Theorien, die auf dieser aufbauen (
L
EHR
,
2003, S.
53
ff.,
M
ARTIN
&
K
LIEGEL
, 2005, S.
42
ff.).
2.4.3 Das dritte und das vierte Lebensalter
In ihre Betrachtung der psychologischen Alterstheorien nehmen
M
ARTIN
&
K
LIEGEL
(2005,
S.
46
ff.) auch die Unterteilung des Alters in drittes und viertes Lebensalter auf. Diese von
B
ALTES
(1997) entwickelte Theorie geht im Wesentlichen von drei Grundprinzipien der
menschlichen Entwicklung aus, die in
Abb. 1
(S.
12)dargestellt sind.

Alter und Altern in der Psychologie
12
Abb. 1: Entwicklung von Biologie und Kultur im Lebensverlauf
(in Anlehnung an:
M
ARTIN
&
K
LIEGEL
, 2005, S.
48; Abbildung 3.1)
Ausgehend von diesen drei Prinzipien unterteilt
B
ALTES
(1997) das Alter in zwei qualitativ
unterschiedliche Zeitspannen. Während im Alter von 65 bis 80 Jahren die biologischen Funk-
tionsverluste noch durch die vorhandenen kulturellen Ressourcen ausgeglichen werden kön-
nen, reicht im sehr hohen Alter (ab 80 Jahre) die Wirkkraft der Kultur nicht mehr aus, um die
entstehenden Defizite auszugleichen. Im
dritten Lebensalter
(von 65 bis 80 Jahren) ist so
noch ein hohes Maß an Zufriedenheit erreichbar. Das
vierte Lebensalter
(ab 80 Jahre) ist je-
doch zu einem großen Teil von Dysfunktionalität und Gebrechlichkeit bestimmt und aus psy-
chologischer Sicht vor allem durch Stress und Belastung geprägt. Diese Defizite sind durch
kulturelle Unterstützung nicht mehr ausgleichbar (S.
203
ff.).
2.4.4 Lebensspannenpsychologie
Als Vertreter dieser Theorie nennen
M
ARTIN
&
K
LIEGEL
(2005) vor allem
P
AUL
B.
B
ALTES
und
H
ANS
T
HOMAE
. Nach deren Konzeption wird als Gegenstand der gerontologischen Forschung
nicht allein das höhere Lebensalter angesehen sondern auch die Entwicklung des gesamten
Lebenslaufs von der Geburt bis zum Tode eines Menschen. Man geht davon aus, dass psychi-
sche Veränderungen in jedem Abschnitt des Lebens auftreten und trotzdem jede Lebensphase
auch ein hohes Maß an Verhaltens- und Erlebenskonstanz aufweist. Die Menschen weisen
aber in jeder Lebensphase eine hohe interindividuelle Unterschiedlichkeit auf (S.
49
ff.).
Die einzelnen Lebensabschnitte sind für eine erfolgreiche Entwicklung des Menschen gleich
bedeutend. Jede Phase des Lebens hat altersspezifische Anforderungen und Ziele, die mit
Hilfe von altersspezifischen Ressourcen zu erreichen versucht werden. Diese Entwicklung
wird in allen Lebensabschnitten als ein Zusammenspiel von Gewinnen und Verlusten betrach-
tet. Am Anfang des Lebens überwiegen die Gewinne und mit zunehmendem Alter verschiebt
sich das Verhältnis immer mehr in Richtung der Verluste. Deshalb müssen im höheren Le-

Alter und Altern in der Psychologie
13
bensalter immer mehr Ressourcen in die Stabilisierung eines Zustandes und in den Umgang
mit Verlusten fließen. Trotzdem können auch im hohen Alter immer noch Gewinne realisiert
werden. Diese Möglichkeit basiert auf der - auch im höheren Alter vorhandenen - Plastizität
des menschlichen Organismus. Die Entwicklung ist nicht unabhängig von kulturellen Aspek-
ten einer bestimmten Zeit (z.
B. Bildungschancen) zu betrachten, die zusammen mit den bio-
logischen Voraussetzungen den Rahmen für angestrebte Entwicklungsprozesse bildet (ebd.).
2.4.5 Theorien des erfolgreichen Alterns
M
ARTIN
&
K
LIEGEL
(2005, S.
57
ff.) und
L
EHR
(2003, S.
56
ff.) fassen bei ihrer Betrachtung
psychologischer Alterstheorien unter Theorien des erfolgreichen Alterns
Aktivitätstheorie
,
Dis-Engagementtheorie
,
Kontinuitätstheorie
und die
Theorie der selektiven Optimierung und
Kompensation
zusammen. Ein zentraler Bestandteil dieser Theorien ist die Lebenszufrieden-
heit (
L
EHR
, 2003, S.
56). Es geht darum festzustellen, welche Bedingungen (innere und äu-
ßere) erfüllt sein müssen, damit ein erfolgreiches Altern i.
S.
v. zufriedenem Altern möglich ist
(
F
ISCHER
, 1991, S.
427). Die Lebenszufriedenheit wird dabei teilweise anhand subjektiver
Einschätzung alter Menschen gemessen, aber auch mit Hilfe von objektiven Kriterien (v.
a.
Theorie der selektiven Optimierung und Kompensation) festgestellt.
Aktivitätstheorie
Nach der Aktivitätstheorie ist ein erfolgreiches Altern nur dann möglich, wenn ein Mensch
im Alter weiterhin aktiv ist, etwas leistet und das Gefühl hat, von seinem Umfeld gebraucht
zu werden (
L
EHR
, 2003, S.
57
f.,
M
ARTIN
&
K
LIEGEL
, 2005, S.
57). Die Theorie geht davon aus,
dass mit dem Alter immer mehr soziale Rollen (z.
B. Berufsrolle) wegfallen. Die Ausfüllung
sozialer Rollen gibt den Menschen Zufriedenheit und deren Wegfall kann zu Unzufriedenheit
führen. Erfolgreiches Altern im Sinne dieser Theorie bedeutet also, wegfallende Rollen bzw.
Kontakte durch andere zu ersetzen und auszugleichen. Dies kann z.
B. durch das Erschließen
neuer Hobbys oder die Schaffung eines neuen Bekanntenkreises geschehen (Fischer, 1991,
S.
428). Trotz einiger empirischer Belege für die Aktivitätstheorie (Martin
&
Kliegel, 2005,
S.
57
f.) weist
L
EHR
(2003, S.
58) darauf hin, dass diese Theorie nicht als ausschließlicher Weg
zum erfolgreichen Altern gesehen werden kann, da zum Einen nicht alle Menschen die Mög-
lichkeit hätten, neue soziale Kontakte aufzubauen, und zum Anderen auch nicht jeder das
Bedürfnis dazu hätte.
Disengagementtheorie
Die Disengagementtheorie ist vollkommen gegensätzlich zur Aktivitätstheorie. Ein Rückzug
älterer Menschen aus dem sozialen Leben wird hier als von diesen selbst erwünscht und dem
erfolgreichen Altern zuträglich beschrieben (
F
ISCHER
, 1991, S.
428). Das Disengagement ist
nach dieser Theorie ein unvermeidbarer, individuell verlaufender Prozess, der zu dem Zeit-
punkt beginnt, an dem sich der Mensch seiner abnehmenden Fähigkeiten bewusst wird und
erst mit seinem Tode endet (
C
UMMING
&
H
ENRY
, 1961, zit. n.
F
ISCHER
, 1991, S.
428). Obwohl

Alter und Altern in der Psychologie
14
diese Theorie durch eine Vielzahl von Studien widerlegt werden konnte (
M
ARTIN
&
K
LIEGEL
,
2005, S.
59), wird sie aufgrund ihrer diskussions- und forschungsanregenden Wirkung als
wichtige Grundlage für heutige Erkenntnisse angesehen (
L
EHR
, 2003, S.
60).
Kontinuitätstheorie
Der Begründer dieser Theorie,
A
TCHLEY
(1989), beschreibt die Erhaltung innerer und äußerer
Strukturen als optimalen Weg, den Übergang zwischen mittlerem und hohem Altern erfolg-
reich zu überwinden (
A
TCHLEY
, 1989, zit. n.
L
EHR
, 2003, S.
64). Als innere Strukturen werden
dabei Einstellungen, Ideen, Persönlichkeitseigenschaften, Vorlieben und Fähigkeiten be-
zeichnet. Zu äußeren Strukturen zählen z.
B. vertraute Plätze und Interaktionen mit vertrauten
Personen (
M
ARTIN
&
K
LIEGEL
, 2005, S.
59).
Theorie der selektiven Optimierung und Kompensation
B
ALTES
&
B
ALTES
(1989) sehen eine Messung des erfolgreichen Alterns allein anhand subjek-
tiver Kriterien (Lebenszufriedenheit) als unzureichend an und plädieren dafür, auch objektive
Indikatoren in die Beurteilung mit einfließen zu lassen. Objektive Indikatoren sollen durch
die Messung der »Effizienz der einzelnen menschlichen Funktionen oder Systeme« (S.
6) ge-
wonnen werden, um auch im Alter vorhandene Kapazitäten für Entwicklungen aufzudecken.
Um ein erfolgreiches Altern in subjektiver und objektiver Sicht zu erreichen nennen die Au-
toren drei Mechanismen:
Selektion
,
Optimierung
und
Kompensation
. Es geht darum, sich im
Alter auf bestimmte, individuell wichtige und den biologischen und psychischen Leistungs-
fähigkeiten angepasste Bereiche zu spezialisieren (
Selektion
), das eigene Funktionieren in
diesen Bereichen zu verbessern (
Optimierung
) und, wenn dies aufgrund von Grenzen des
eigenen Anpassungspotentials nicht weiter möglich ist, durch Kompensationsprozesse aus-
zugleichen (
Kompensation
; ebd. S.
9).
B
ALTES
&
B
ALTES
(1989) geben ein Beispiel für die selektive Optimierung im Alltag älterer
Menschen:
»Dem Pianisten Rubinstein wird beispielsweise nachgesagt, dass er die Schwächen des
Alters dadurch bezwingt, dass er weniger Stücke spielt (Selektion), diese häufiger übt
(Optimierung) und vor schnelleren Passagen Verlangsamungen derart einführt (Kom-
pensation), dass sie das Nachfolgende durch die Kontrastierung schneller erscheinen
lassen.« (ebd. S.
9).
2.5 Fazit und Definition des Altersbegriffes dieser Arbeit
Die Lebensphase »Alter« lässt sich allein anhand des chronologischen Alters nicht über-
schneidungsfrei eingrenzen. Die meisten Menschen zeigen zwischen dem 60. und
65. Lebensjahr psychische und physische Veränderungen, sodass dieser Zeitpunkt als Beginn
des Alters betrachtet wird. Trotzdem tritt innerhalb der Gruppe der so, per definitionem, als
»alt« bezeichneten Menschen eine hohe interindividuelle Variabilität auf, die teilweise sogar

Alter und Altern in der Psychologie
15
stärker ausgeprägt ist als innerhalb jüngerer Altersgruppen. Eine Generalisierung von Er-
kenntnissen auf die »Gruppe der Alten« ist somit schwierig und häufig nicht möglich.
Das psychologische Altern kann nicht unabhängig vom biologischen Alterungsprozess be-
trachtet werden. Dieser ist im Gegensatz zu Entwicklung und Wachstum vor allem durch Ver-
lust und Abbau gekennzeichnet. Aus psychologischer Sicht wird das Altern jedoch eher als
Veränderungsprozess betrachtet, der zwar eine Reduzierung der psychischen Leistungsfähig-
keit einschließt, aber auch positive Aspekte beinhaltet. Bei der Beschäftigung mit Alternspro-
zessen muss zwischen normalem und krankhaftem Altern unterschieden werden, wobei die
Abgrenzung der beiden Entwicklungen häufig schwierig ist.
Die Gerontopsychologie beschäftigt sich mit Altersunterschieden in psychologischen Phäno-
menen und mit psychischen Veränderungen im Alterungsprozess. Dabei kommen Quer- und
Längsschnittstudien zum Einsatz. Beide Untersuchungsdesigns sind durch spezifische Vor-
und Nachteile gekennzeichnet, wobei (v.
a. aus ökonomischen Gründen) Querschnittstudien
häufiger angewandt werden. Es wird versucht, Untersuchungsmaterial und Vergleichswerte
gerontopsychologischer Studien so anzupassen, dass eine Verzerrung der Ergebnisse auf-
grund unterschiedlicher Ausgangsbedingungen älterer und jüngerer Probanden ausgeschlos-
sen werden kann. Kohortenspezifische Aspekte in Einstellungen und Verhalten müssen bei
der Konzeption von Fragebögen und Tests ebenfalls berücksichtigt werden.
In der Gerontologie wurden zur Lebensphase des Alters verschiedene theoretische Modelle
entwickelt. Konzeptionen, die das Altern ausschließlich als Abbauprozess betrachten, sind
heute überholt. Das Altern wird vielmehr als Anpassungsprozess gesehen, der mit Gewinnen
und Verlusten einhergeht. Theorien des erfolgreichen Alterns beschäftigen sich mit Be-
dingungen, die ein zufriedenes Altern möglich machen. Dabei werden Rückzug, steigende
Aktivität, Kontinuität sowie Selektion, Optimierung und Kompensation als Möglichkeiten
diskutiert, das Alter »erfolgreich« zu gestalten.
Diesen Betrachtungen folgend wird das
Alter
in dieser Arbeit als Lebensphase verstanden,
die sich mit Hilfe des chronologischen Alters - zwar nicht zweifelsfrei aber praktikabel - ab-
grenzen lässt und bestimmte Besonderheiten aufweist. Nicht das chronologische Alter an sich
soll dabei im Mittelpunkt stehen, sondern die Veränderungen durch den Alternsprozess, die
bei der einen Person später, bei der anderen früher und bei einigen überhaupt nicht im Le-
bensverlauf auftreten. Dabei bildet die hier angelegte Altersgrenze von 60+ Jahren nur einen
flexiblen Rahmen, der sich an der gerontologischen Forschungspraxis orientiert (vgl.
M
ARTIN
&
K
LIEGEL
, 2005, S.
28).

Das Gedächtnis
16
3 Das Gedächtnis
Bevor in den folgenden Kapiteln auf spezifische Aspekte des alternden Gedächtnisses einge-
gangen wird, sollen an dieser Stelle zunächst das Gedächtnis und seine Funktionsweise all-
gemein dargestellt werden.
Z
IMBARDO
(1999) bezeichnet das Gedächtnis »[...] als unsere Fähigkeit, Informationen auf-
zunehmen, zu speichern (aufzubewahren) und bei Bedarf wieder abzurufen«
(S.
234). Dieser
informationstheoretischen Konzeption liegt weiterhin die Vorstellung zugrunde, dass die auf-
genommenen Informationen in verschiedenen Speichern verarbeitet und gespeichert werden
(
Mehrspeichermodell
nach
A
TKINSON
&
S
HIFFRIN
,
1968, zit. n.
H
ÜPPE
,
1998, S.
82). Einen wei-
teren theoretischen Ansatz zum Gedächtnis stellt das
Modell der Verarbeitungstiefe
von
C
RAIK
&
L
OCKHART
(1972, zit. n.
B
REDENKAMP
&
W
IPPICH
, 1977, S.
96) dar.
Voraussetzungen für Gedächtnisinhalte, d. h. für die Verfügbarkeit von erworbenem Wissen
zu einem späteren Zeitpunkt, sind die drei Prozesse: Enkodieren, Speichern und Abrufen
(
Z
IMBARDO
, 1999, S.
235).
Das
Enkodieren
ist dabei die erste Verarbeitung von Informationen, die zu einer Repräsenta-
tion im Gedächtnis führt.
»Gemeint ist damit, dass Informationen aus unserer Umwelt (sog. »nominale Stimuli«
als physikalisch eindeutig bestimmbare Reize) in unserem Gedächtnis in subjektive Ein-
heiten umgeformt werden, wodurch die Behaltensleistung (im allgemeinen fördernd) be-
einflusst wird. Wir übersetzen, verschlüsseln oder enkodieren Informationen aus unserer
Umwelt in subjektiv bedeutungshaltige Einheiten« (
F
LEISCHMANN
, 1991, S.
171; Hervor-
hebungen im Original).
Bei diesen mentalen Repräsentationen von physikalischen Reizen bleiben die wichtigsten
Eigenschaften der Erfahrung mit dem Reiz erhalten. Man spricht in diesem Zusammenhang
auch von Gedächtnisspuren. Nach der Enkodierung werden die Informationen in einem bzw.
mehreren Speichern für eine bestimmte Zeit aufbewahrt (
Speicherung
). Als
Abruf
wird letzt-
endlich der Zugang zu den zuvor enkodierten und gespeicherten Informationen verstanden
(
Z
IMBARDO
, 1999, S.
235
f.).
Im weiteren Verlauf der Arbeit sollen Gedächtnisprozesse (vorliegendes Kapitel) und Verän-
derungen dieser Prozesse im Alter (Kapitel 4, 5, 6) anhand der drei Stufen der Informations-
verarbeitung (Informationsaufnahme, Informationsspeicherung und Informationsabruf) in
Anlehnung an das Mehrspeichermodell und das Modell der Verarbeitungstiefe näher betrach-
tet werden.
3.1 Das Mehrspeichermodell
Folgt man der Mehrspeichertheorie, werden Informationen nach der sensorischen Aufnahme
(sensorischer Speicher) in zwei Arten von Gedächtnisspeichern weiterverarbeitet und gespei-
chert. Diese werden als Kurzzeitgedächtnis (KZG) und Langzeitgedächtnis (LZG) - auch:

Das Gedächtnis
17
primärer und sekundärer Speicher - bezeichnet. Die verschiedenen Speicher unterscheiden
sich anhand der Dauer, für die die Informationen gespeichert oder präsent gehalten werden
können, anhand ihrer Funktion und anhand ihrer Kapazität (vgl.
K
AUSLER
, 1994, S.
149).
In
Abb. 2
sind die einzelnen Komponenten des Mehrspeichermodells und ihre Beziehung zu
einander im Überblick dargestellt.
Abb. 2: Das Mehrspeichermodell
(in Anlehnung an:
Z
IMBARDO
, 1999, S.
236, Abb. 5.15)
3.1.1 Informationsaufnahme und der sensorische Speicher
Der Fokus dieser Arbeit liegt auf Gedächtnisprozessen im Alter. Allgemeine Wahrnehmungs-
prozesse werden aus diesem Grund hier nicht betrachtet. Da jedoch Sensorik und Aufmerk-
samkeit im Alter relativ starke Veränderungen aufzeigen und diese Prozesse eng mit
Gedächtnis- und Informationsverarbeitungsprozessen (siehe auch Kapitel 4) verbunden sind,
sollen diese neben dem sensorischen Speicher kurz betrachtet werden.
Die Sensorik
Damit ein Reiz wahrgenommen werden kann, muss er physikalisch so beschaffen sein, dass
er von unseren Sinnesorganen aufgenommen werden kann (z.
B. Auge: elektromagnetische
Wellen 760 - 400 nm; Ohr: Schallwellen 20 - 15000 Hz). Er muss eine gewisse zeitliche
Dauer präsent sein, eine bestimmte räumliche Größe und physikalische Intensität erreichen
(
F
ELSER
, 2001, S.
114;
M
AYER
&
I
LLMANN
, 2000, S.
427).
Das Ergebnis des Wahrnehmungsprozesses ist jedoch auch noch von anderen Faktoren ab-
hängig.
»Die Wahrnehmungsleistung ist demnach sowohl von Stimuluseigenschaften, wie z.
B.
dem Kontrast zwischen Objekt und Umfeld, der räumlichen Lokalisation, der Dynamik
des Stimulus, dem Wahrnehmungsfeld und der relativen Größe etc. abhängig als auch
vom Adaptionsgrad der Sensorien, der Art der Wahrnehmungsaufgabe, dem Bekannt-
heitsgrad der Stimuli sowie von der Motivationslage und dem Bewusstseinsstadium des
Beobachters.« (
M
AYER
&
I
LLMANN
, 2000, S.
428)

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2005
ISBN (eBook)
9783832492557
ISBN (Paperback)
9783838692555
DOI
10.3239/9783832492557
Dateigröße
1.4 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Hochschule Harz - Hochschule für angewandte Wissenschaften (FH) – Wirtschaftswissenschaften, Studiengang Wirtschaftspsychologie
Erscheinungsdatum
2006 (Januar)
Note
1,0
Schlagworte
seniorenmarketing best ager zielgruppe psychologie kommunikation
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Titel: Das Gedächtnis im Alter - Implikationen für die Werbung
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