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Der Einfluss der Medien auf das Wählerverhalten

©2005 Diplomarbeit 143 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Die Lieblingsbeschäftigung der Österreicher und Österreicherinnen ist das Fernsehen. Danach erst kommen andere Freizeitaktivitäten wie Sport, Lesen, Musik usw. Wir leben in einer Mediengesellschaft und Medien sind aus unserem alltäglichen Leben nicht mehr wegzudenken. Morgens schalten viele Menschen als erstes entweder Radio oder Fernseher ein, noch bevor sie ihren Mitmenschen einen guten Morgen wünschen. Können wir überhaupt noch ohne Medien leben? Eine berechtigte Frage und für viele Österreicher lautet die Antwort wahrscheinlich nein.
Auch im politischen Leben sind die Medien ein wichtiger Bestandteil. Politik ohne Medien kann man sich in unserer heutigen Zeit nicht mehr vorstellen. Wie sonst sollen sich die Wähler und Wählerinnen über das politische Geschehen informieren? Das persönliche Gespräch zwischen Bürger und Politiker gibt es immer weniger, die Bedeutung der interpersonellen Kommunikation ist – wohl auch auf Grund der starken Medienpräsenz – stark zurückgegangen. Besonders für die politische Informationsbeschaffung, nützen die Menschen verstärkt die Medien. Somit ist es eine sehr interessante und auch berechtigte Frage, ob und in welcher Weise die Medien einen Einfluss auf das Verhalten der österreichischen Wählerschaft ausüben. Diese Frage näher zu beleuchten und eine Antwort darauf zu finden, steht im Mittelpunkt dieser Diplomarbeit.
Problemstellung:
Wenn man das politische Geschehen der letzten Jahrzehnte im Allgemeinen und den Wahlkampf im Besonderen betrachtet, merkt man sofort, dass sich vieles verändert hat. Politik wird immer mehr "vermarktet" wie ein Produkt oder eine Dienstleistung. Viele Werbe- und Marketingfachleute sind stets darum bemüht, dass sich Parteien und Politiker in einem guten Licht präsentieren. Die Kompetenz eines Politikers alleine reicht nicht mehr aus, um erfolgreich zu sein.
Viel mehr muss er oder sie wissen, wie man sich in der Öffentlichkeit bzw. in den Medien präsentiert. Der Grund dafür ist, dass sich Menschen immer mehr über das Fernsehen informieren, weil es einfacher ist Bilder wahrzunehmen als Texte zu verstehen. Man muss Politik und deren Vertreter in "Szene setzen", um die Menschen anzusprechen. Ein einfacher Bericht über irgendein Sachthema zieht das Interesse der Bevölkerung wohl kaum auf sich, Menschen interessieren sich mehr für Geschichten und Skandale. Um sich richtig in Szene zu setzen, brauchen die Politiker die Medien, denn sie sind der "Überbringer der […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 9242
Roitner, Doris: Der Einfluss der Medien auf das Wählerverhalten
Druck Diplomica GmbH, Hamburg, 2006
Zugl.: Johannes Kepler Universität Linz, Diplomarbeit, 2005
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2006
Printed in Germany

Abstract
Seite II
I. Abstract
Menschen treffen die Entscheidung, welcher Partei sie ihre Stimme geben, aus
den verschiedensten ­ oft auch aus sehr banalen ­ Gründen. Im Rahmen dieser
Diplomarbeit wird das Wählerverhalten der Österreicher und Österreicherinnen
1
sowie der Einfluss, den die Medien darauf ausüben, näher analysiert. Wir leben in
einer Mediengesellschaft, wir nutzen Medien meist mehrmals täglich. Deshalb ist
es auch unbedingt erforderlich diese als möglichen Einflussfaktor auf die Wahl-
entscheidung näher zu betrachten. Neben zahlreichen anderen Faktoren, wie der
sozialen Herkunft, der momentanen Lebenssituation oder den Spitzenkandidaten
einer Partei, üben die Medien ebenfalls einen nicht zu unterschätzenden Einfluss
auf das Verhalten der österreichischen Wählerschaft aus.
1
Anmerkung: In dieser Arbeit wird aus Gründen der Einfachheit eine geschlechtsneutrale Formu-
lierung gewählt. Somit gelten sämtliche männliche Bezeichnungen (z. B. der Wähler) auch für das
weibliche Geschlecht.

Inhaltsverzeichnis
Seite III
II. Inhaltsverzeichnis
I.
Abstract -------------------------------------------------------------------------------------------------------------II
II.
Inhaltsverzeichnis ---------------------------------------------------------------------------------------------- III
III.
Abbildungsverzeichnis ---------------------------------------------------------------------------------------VI
IV.
Tabellenverzeichnis-------------------------------------------------------------------------------------------VII
EINLEITUNG --------------------------------------------------------------------------------------------------------------1
1.
Problemstellung--------------------------------------------------------------------------------------------------1
2.
Zielsetzung---------------------------------------------------------------------------------------------------------3
3.
Gliederung ---------------------------------------------------------------------------------------------------------4
TEIL A: Allgemeines Wählerverhalten ---------------------------------------------------------------------------5
1.
Medienstruktur in Österreich ------------------------------------------------------------------------------5
1.1.
Fernsehen ----------------------------------------------------------------------------------------------6
1.2
Printmedien---------------------------------------------------------------------------------------------8
1.3
Radio-----------------------------------------------------------------------------------------------------9
1.4
Internet --------------------------------------------------------------------------------------------------9
2.
Erklärungsmodelle des Wahlverhaltens -------------------------------------------------------------- 12
2.1
Der sozialstrukturelle Ansatz--------------------------------------------------------------------- 13
2.1.1
Religion ------------------------------------------------------------------------------------------ 14
2.1.2
Alter ----------------------------------------------------------------------------------------------- 16
2.1.3
Beruf ---------------------------------------------------------------------------------------------- 17
2.1.5
Geschlecht -------------------------------------------------------------------------------------- 19
2.2
Der sozialpsychologische Ansatz --------------------------------------------------------------- 23
2.2.1
Parteiidentifikation ----------------------------------------------------------------------------- 24
2.2.2
Kandidatenorientierung ---------------------------------------------------------------------- 26
2.2.3
Themenorientierung--------------------------------------------------------------------------- 28
2.3
Rational-Choice-Ansatz --------------------------------------------------------------------------- 30
2.4
Résumée---------------------------------------------------------------------------------------------- 33
TEIL B: Medienwirkungen------------------------------------------------------------------------------------------ 34
1.
Medienwirkungsansätze---------------------------------------------------------------------------------- 35
1.1
Der Agenda-Setting-Ansatz ---------------------------------------------------------------------- 36
1.1.1
Definition----------------------------------------------------------------------------------------- 36
1.1.2
Empirische Umsetzung ­ die Chapel-Hill-Studie -------------------------------------- 37
1.1.3
Weiterentwicklung des Ansatzes ---------------------------------------------------------- 39

Inhaltsverzeichnis
Seite IV
1.1.3.1
Agenda-Building--------------------------------------------------------------------------- 40
1.1.3.2
Priming -------------------------------------------------------------------------------------- 41
1.2
Die Theorie der Schweigespirale---------------------------------------------------------------- 43
2.
Arten von Medienwirkungen----------------------------------------------------------------------------- 46
2.1
Meta-Theorien der Medienwirkung ------------------------------------------------------------- 47
2.2
Veränderung des Wissens------------------------------------------------------------------------ 48
2.3
Veränderung der Einstellung--------------------------------------------------------------------- 51
2.4
Veränderung des Verhaltens--------------------------------------------------------------------- 54
3.
Rezipienten der Medienwirkungen--------------------------------------------------------------------- 55
3.1
Konzept der Meinungsführung------------------------------------------------------------------- 56
3.2
Persönlichkeitsmerkmale der Rezipienten---------------------------------------------------- 60
3.3
Entscheidungszeitpunkt der Rezipienten ----------------------------------------------------- 62
4.
Wahlumfragen und Prognosen ------------------------------------------------------------------------- 65
4.1
Entstehung der Umfrageberichterstattung ---------------------------------------------------- 65
4.2
Die Sonntagsfrage ---------------------------------------------------------------------------------- 66
4.3
Auswirkungen von Wahlumfragen -------------------------------------------------------------- 68
5.
Résumée ----------------------------------------------------------------------------------------------------- 73
TEIL C: Der Wahlkampf im Medienzeitalter------------------------------------------------------------------- 75
1.
Veränderungen im Wahlkampf ------------------------------------------------------------------------- 75
1.1
Personalisierung der Politik ---------------------------------------------------------------------- 77
1.2
Die De-Thematisierung der Politik -------------------------------------------------------------- 81
2.
Medien im Wahlkampf ------------------------------------------------------------------------------------ 85
2.1
Informationsquellen im Wahlkampf ------------------------------------------------------------- 86
2.2
Politikverdrossenheit durch die Medien ------------------------------------------------------- 88
3.
Die TV-Konfrontation -------------------------------------------------------------------------------------- 92
4.
Résumée ----------------------------------------------------------------------------------------------------- 96
TEIL D: Expertenbefragung---------------------------------------------------------------------------------------- 98
1.
Methodik------------------------------------------------------------------------------------------------------ 98
2.
Oberösterreichische Landtagswahl 2003 ---------------------------------------------------------- 100
3.
Ergebnisse der Expertenbefragung------------------------------------------------------------------ 102
3.1
Allgemeines Wählerverhalten------------------------------------------------------------------ 102
3.2
Landtagswahl 2003 in Oberösterreich ------------------------------------------------------- 106
4.
Résumée --------------------------------------------------------------------------------------------------- 114
TEIL E: Abschließende Betrachtungen ---------------------------------------------------------------------- 116
V.
Abkürzungsverzeichnis------------------------------------------------------------------------------------ 119

Inhaltsverzeichnis
Seite V
VI.
Literaturverzeichnis----------------------------------------------------------------------------------------- 120
1.
Bücher ----------------------------------------------------------------------------------------------- 120
2.
Internet ---------------------------------------------------------------------------------------------- 128
3.
Sonstige --------------------------------------------------------------------------------------------- 129
VII.
Anhang ---------------------------------------------------------------------------------------------------------- 131
1. Interviewleitfaden für Journalisten --------------------------------------------------------------------- 131
2. Interviewleitfaden für Politiker --------------------------------------------------------------------------- 132

Abbildungsverzeichnis Seite
VI
III. Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Mediennutzung ­ Veränderung 1995/2015 ----------------------------------------------------- 11
Abbildung 2: Religiosität und Wahlverhalten 2002 ------------------------------------------------------------- 15
Abbildung 3: Das sozialpsychologische Erklärungsmodell für Wahlverhalten--------------------------- 24
Abbildung 4: Psychologischer Erklärungsbeitrag verschiedener Wirkungsmodelle-------------------- 35
Abbildung 5: Untersuchungsdesign von Agenda-Setting-Studien ------------------------------------------ 39
Abbildung 6: Priming ­ Die Themensetzung in der New York Times und die Bewertung von ---------
George H. Busch durch die Bevölkerung, 1990-1992 --------------------------------------- 42
Abbildung 7: Der Prozess der Schweigespirale an einem hypothetischen Beispiel-------------------- 45
Abbildung 8: Einstellungen mediatisieren Medienwirkungen ------------------------------------------------ 52
Abbildung 9: Visualisierung des Two-Step-Flow of Communication --------------------------------------- 57
Abbildung 10: Mögliche Wirkungen von Wahlprognosen auf den Wahlausgang ----------------------- 69
Abbildung 11: Ergebnis der Landtagswahl in Oberösterreich 2003 -------------------------------------- 101

Tabellenverzeichnis Seite
VII
IV. Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Informationsquellen über den Wahlkampf 2002-----------------------------------------------------7
Tabelle 2: Wahlverhalten und Alter 2002 ------------------------------------------------------------------------- 16
Tabelle 3: Geschlechtsspezifisches Wahlverhalten 1986-2002--------------------------------------------- 21
Tabelle 4: Typen politischer Involvierung 2001 ----------------------------------------------------------------- 61
Tabelle 5: Zeitpunkt der Wahlentscheidung nach Wählerschaften 2002 --------------------------------- 64
Tabelle 6: Wirkungshypothesen ------------------------------------------------------------------------------------ 70
Tabelle 7: Subjektiver Einfluss der Veröffentlichung von Meinungsforschungsergebnissen--------- 72
Tabelle 8: Personalisierungsgrad der Parteivorsitzenden 2002--------------------------------------------- 80
Tabelle 9: Vergleich Policy- versus Meta-Issues im Wahlkampf 2002 ------------------------------------ 83
Tabelle 10: Wichtigste tagesaktuelle Informationsquelle 1961-2003 -------------------------------------- 86
Tabelle 11: Einstellungen zu Politiker-Auftritten in der Fernsehberichterstattung 1984-2004 ------- 91
Tabelle 12: TV-Konfrontationen und Wahlentscheidung------------------------------------------------------ 95
Tabelle 13: Befragte Politikvertreter-------------------------------------------------------------------------------- 99
Tabelle 14: Befragte Medienvertreter---------------------------------------------------------------------------- 100

Einleitung Seite
1
EINLEITUNG
Die Lieblingsbeschäftigung der Österreicher und Österreicherinnen ist das Fern-
sehen. Danach erst kommen andere Freizeitaktivitäten wie Sport, Lesen, Musik
usw. Wir leben in einer Mediengesellschaft und Medien sind aus unserem alltägli-
chen Leben nicht mehr wegzudenken. Morgens schalten viele Menschen als ers-
tes entweder Radio oder Fernseher ein, noch bevor sie ihren Mitmenschen einen
guten Morgen wünschen. Können wir überhaupt noch ohne Medien leben? Eine
berechtigte Frage und für viele Österreicher lautet die Antwort wahrscheinlich
nein.
Auch im politischen Leben sind die Medien ein wichtiger Bestandteil. Politik ohne
Medien kann man sich in unserer heutigen Zeit nicht mehr vorstellen. Wie sonst
sollen sich die Wähler und Wählerinnen über das politische Geschehen informie-
ren? Das persönliche Gespräch zwischen Bürger und Politiker gibt es immer we-
niger, die Bedeutung der interpersonellen Kommunikation ist ­ wohl auch auf
Grund der starken Medienpräsenz ­ stark zurückgegangen. Besonders für die
politische Informationsbeschaffung, nützen die Menschen verstärkt die Medien.
Somit ist es eine sehr interessante und auch berechtigte Frage, ob und in welcher
Weise die Medien einen Einfluss auf das Verhalten der österreichischen Wähler-
schaft ausüben. Diese Frage näher zu beleuchten und eine Antwort darauf zu fin-
den, steht im Mittelpunkt dieser Diplomarbeit.
1. Problemstellung
Wenn man das politische Geschehen der letzten Jahrzehnte im Allgemeinen und
den Wahlkampf im Besonderen betrachtet, merkt man sofort, dass sich vieles
verändert hat. Politik wird immer mehr ,,vermarktet" wie ein Produkt oder eine
Dienstleistung. Viele Werbe- und Marketingfachleute sind stets darum bemüht,
dass sich Parteien und Politiker in einem guten Licht präsentieren. Die Kompetenz
eines Politikers alleine reicht nicht mehr aus, um erfolgreich zu sein. Viel mehr
muss er oder sie wissen, wie man sich in der Öffentlichkeit bzw. in den Medien

Einleitung Seite
2
präsentiert. Der Grund dafür ist, dass sich Menschen immer mehr über das Fern-
sehen informieren, weil es einfacher ist Bilder wahrzunehmen als Texte zu verste-
hen. Man muss Politik und deren Vertreter in ,,Szene setzen", um die Menschen
anzusprechen. Ein einfacher Bericht über irgendein Sachthema zieht das Interes-
se der Bevölkerung wohl kaum auf sich, Menschen interessieren sich mehr für
Geschichten und Skandale. Um sich richtig in Szene zu setzen, brauchen die Poli-
tiker die Medien, denn sie sind der ,,Überbringer der politischen Botschaft".
Es herrscht somit eine gegenseitige Abhängigkeit zwischen Politik und Medien.
Politiker brauchen die Medien, um sich und ihre Interessen der Öffentlichkeit nä-
her bringen zu können und die Medien brauchen die Parteien und deren Politiker,
um ihre Auflagen bzw. Quoten zu steigern. Dort, wo eine gewisse Abhängigkeit
zwischen zwei Akteuren besteht, kommt es immer wieder zu Konflikten. Der briti-
sche Publizist Hugh Greene sagte dazu: ,,Nennen Sie mir ein Land, in dem Jour-
nalisten und Politiker sich vertragen, und ich sage Ihnen, da ist keine Demokra-
tie."
2
Diese Abhängigkeit der Parteien und Politiker nutzen die Medien natürlich in ge-
wisser Weise für ihre Zwecke aus. Jeder Journalist weiß genau, wo der Schwach-
punkt eines Politikers ist und je nach Belieben kann er dann den Politiker entwe-
der bloß stellen oder ihn aber besonders gut darstellen. Der Wähler zu Hause
sieht den Politiker natürlich so, wie er im Fernsehen dargestellt wird. In Zeiten, wo
es immer weniger Stammwähler gibt, das heißt, wo sich immer weniger Personen
einer Partei zugehörig fühlen und daher ihre Stimme immer der gleichen Partei
geben, ist es für die Medien besonders leicht, Einfluss auf die Wähler auszuüben.
Vor jeder Wahl gibt es eine Menge unentschlossener Wähler und die Zahl derer,
die sich erst unmittelbar vor der Wahl entscheiden, wird wahrscheinlich auch noch
weiter ansteigen. Somit ist das Einflusspotential für die Medien besonders hoch.
Menschen die sich unsicher sind, welcher Partei oder welchem Kandidaten sie
ihre Stimme geben sollen, nutzen verstärkt die Medien, um sich eine Meinung zu
bilden. Da die politischen Informationen aber (fast) nie direkt von den Parteien zu
2
Green (2005),
www.zitate.de
, download 22.09.05

Einleitung Seite
3
den Wählern gelangen, sondern immer über die Medien, sind die Informationen
gefiltert. Die Funktion der Medien ­ nämlich Informationen zu den Wählern zu
transportieren ­ wird leider auch oft missbraucht, indem manche Informationen
verändert oder bewusst nicht weitergegeben werden oder indem die Informatio-
nen mit Kommentaren des jeweiligen Journalisten vermischt werden. Die Wähler,
die meist rational handeln und sich Informationen mit möglichst wenig Aufwand
beschaffen wollen, differenzieren nicht zwischen Bericht und Kommentar bzw.
können sie dies meist auch gar nicht.
2. Zielsetzung
Das primäre Ziel dieser Diplomarbeit ist es ­ wie der Titel schon sagt ­ den Ein-
fluss der Medien auf das Wählerverhalten zu analysieren. Um dieses Ziel zu errei-
chen, muss das Verhalten aller daran beteiligten Personen und Institutionen näher
betrachtet werden. Sowohl die Wähler und ihr Verhalten, als auch die Medien und
deren Wirkungen sowie die Parteien selbst, stehen im Mittelpunkt dieser Analyse.
Es werden u. a. folgende Fragen detailliert behandelt:
Wie bzw. aus welchen Gründen werden Wahlentscheidungen getroffen?
Wie wirken Medien auf die Bevölkerung? In welcher Art und Weise können
Medien beeinflussen?
Wie hat sich der Wahlkampf im Medienzeitalter verändert?
Was denken Experten über die Medien und ihre Rolle für die politische In-
formationsbeschaffung?
Um all diese Fragen beantworten zu können, wird in einem ersten Schritt eine um-
fassende Literaturrecherche durchgeführt. Nach Verfassen des theoretischen Teils
folgt anschließend eine Expertenbefragung, um mögliche Unterschiede und Ge-
meinsamkeiten zwischen Theorie und Praxis zu erörtern.

Einleitung Seite
4
3. Gliederung
Diese Arbeit gliedert sich in fünf Teile. Im ersten Teil der Arbeit werden alle in Ös-
terreich wichtigen Medien vorgestellt, sowie das allgemeine Wählerverhalten nä-
her betrachtet. Das heißt, alle - in der Literatur als wichtig erachteten - Ansätze
zur Erklärung des Wählerverhaltens werden beschrieben und analysiert. Daran
anschließend werden im zweiten Teil der Arbeit die Wirkungen der Medien detail-
lierter betrachtet. Die bedeutendsten Medienwirkungsansätze werden erklärt, so-
wie alle Arten von Medienwirkungen näher betrachtet. Ferner beschäftigt sich die-
se Diplomarbeit mit den Rezipienten der Medienwirkungen. Es wird somit analy-
siert, auf wen Medien wirken. Auch der Einfluss von Umfrageergebnisse auf das
Verhalten der österreichischen Wählerschaft wird in diesem Teil der Arbeit disku-
tiert.
Nachdem in den ersten drei Teilen der Diplomarbeit alle theoretischen Aspekte
zum Thema Politik, Medien und Wählerverhalten beschrieben und analysiert wer-
den, folgt im vierten Teil der Arbeit eine Expertenbefragung. Personen, die auf
diesem Gebiet besondere Erfahrung haben, werden in einem qualitativen Inter-
view um ihre Meinung gebeten. Der fünfte und letzte Teil dieser Arbeit beinhaltet
abschließende Betrachtungen. Noch einmal werden alle wichtigen Aspekte in Er-
innerung gerufen, sowie mögliche Erkenntnisse näher erläutert.

TEIL A: Allgemeines Wählerverhalten
Seite 5
TEIL A: Allgemeines Wählerverhalten
Um das primäre Ziel dieser Arbeit ­ den Einfluss der Medien auf das Wählerver-
halten ­ ermitteln zu können, muss in einem ersten Schritt das allgemeine Wahl-
verhalten der österreichischen Bevölkerung analysiert werden. Es gibt zahlreiche
Einflussfaktoren, die die Entscheidung eine bestimmte Partei zu wählen, beein-
flussen. Ob Medien auch zu diesen Einflussfaktoren gehören bzw. wie wichtig die
Medien im Vergleich zu anderen Faktoren sind, wird sich im Laufe dieser Arbeit
herausstellen. Teil A gliedert sich in zwei Hauptteile. Der erste Teil zeigt die Me-
dienstruktur in Österreich auf, das heißt, hier wird aufgezeigt, welche Medien in
Österreich vertreten sind und welche für die österreichische Wählerschaft relevant
sind. Im zweiten Teil wird das Wahlverhalten der Österreicher genauer analysiert.
1. Medienstruktur in Österreich
Medien sind eine bedeutende Informationsquelle, wenn es um die Beschaffung
politischer Informationen geht. Aus diesem Grund wird auch der Einfluss der Me-
dien auf das Wählerverhalten in dieser Arbeit diskutiert. Dazu muss zu allererst
definiert werden, was genau unter dem Begriff Medien verstanden wird bzw. wel-
che Medien in Österreich wie stark vertreten sind.
Der Begriff ,,Medien" stammt vom lateinischen Begriff ,,medium", sowie vom grie-
chischen Wort ,,méson": das Mittlere, auch Öffentlichkeit, Gemeinwohl, öffentlicher
Weg genannt, und bezeichnet die Gesamtheit aller Kommunikationsmittel. Als
Basismedien werden Bild, Ton, Text und Zahl angesehen. Auch moderne digitale
Medienkonfigurationen zählen inzwischen zu dem Begriff der Medien.
3
Im Rah-
men dieser Arbeit werden unter dem Begriff Medien alle Printmedien, Fernsehen,
Radio, sowie das Internet zusammengefasst und folglich als Medien bezeichnet.
3
Vgl. Schanze/Pütz (2002), S. 199f.

TEIL A: Allgemeines Wählerverhalten
Seite 6
Der Medienkonsum ist in der Reihenfolge Fernsehen, Radiohören und Zeitungsle-
sen auf den ersten Plätzen, was die Freizeitaktivitäten der Österreicher betrifft,
also noch vor Telefonieren, Familie, Freunden und Unternehmungen.
4
Medien
sind also ein fester Bestandteil unseres täglichen Lebens und für viele Österrei-
cher kaum mehr wegzudenken. Sie informieren uns über Neuigkeiten aus aller
Welt, sie bieten Unterhaltung und machen vielen Menschen das Alleinsein erträg-
licher. Aus diesen und noch vielen anderen Gründen besitzen 99 % der österrei-
chischen Haushalte zumindest ein Fernsehgerät, 39 % davon besitzen bereits
Kabelfernsehen und sogar 49% der Österreicher empfingen im Jahr 2004 ihre
Fernsehprogramme über Satellit.
5
Der durchschnittliche Österreicher hört 206 Mi-
nuten pro Tag Radio und liegt im westeuropäischen Vergleich somit an vierter
Stelle (hinter Irland, Deutschland und Finnland).
6
Im Jahr 2003 kauften bzw. ab-
bonierten 82 %
7
der Haushalte in Österreich eine Tageszeitung und Anfang des
Jahres 2005 verfügten bereits 59 %
8
der österreichischen Haushalte über einen
Internetzugang. Die Österreicher sind also bestens mit der nötigen Infrastruktur
zur Nutzung der Medien ausgestattet. Im Folgenden folgt eine Charakterisierung
der in Österreich vertretenen Medien.
1.1. Fernsehen
Das Fernsehen ist die häufigste Freizeitbeschäftigung der Österreicher. Auch zur
Beschaffung politischer Informationen ist das Fernsehen das bedeutendste Medi-
um. Bei der Nationalratswahl 2002 antworteten 90 % der Österreicher auf die Fra-
ge: ,,Woher beziehen Sie in erster Linie ihre Informationen über den Wahlkampf?"
mit Fernsehen, wie man folgender Tabelle entnehmen kann:
4
Vgl. Günther/Hüffel (1999), S. 19
5
ORF-Mediaforschung 2004,
http://mediaresearch.orf.at
, downloaded 29.05.05
6
Vgl. Brettschneider (2003), S. 7
7
ORF-Mediaforschung 2003,
http://mediaresearch.orf.at
, downloaded 29.05.05
8
ORF-Mediaforschung 2005,
http://mediaresearch.orf.at
, downloaded 29.05.05

TEIL A: Allgemeines Wählerverhalten
Seite 7
In Prozent beziehen ihre Informationen
über den Wahlkampf
2002
Fernsehen 90
Tageszeitungen 74
Radio 47
Politische Magazine
10
Internet 9
Tabelle 1: Informationsquellen über den Wahlkampf 2002
9
Der öffentlich-rechtliche Sender in Österreich, der ORF, ist ein Rundfunkunter-
nehmen mit einem Statut, das durch das Rundfunkgesetz im Verfassungsrang
festgeschrieben ist. Die öffentlich-rechtliche Konstruktion des ORF begünstigt die
Mitsprache- und Einflussmöglichkeiten der Repräsentanten politischer Parteien.
Die politischen Parteien üben durch ihr Mitspracherecht einen informellen, in sei-
ner Wirkung jedoch nicht zu unterschätzenden Einfluss auf Personalentscheidun-
gen aus. Die Führungsstruktur des ORF spiegelt somit traditionelle Macht- und
Einflusszonen der Parteien wider, wie die aktuellen parlamentarischen Mehrheits-
verhältnisse.
10
Dies führt häufig, vor allem bei den Oppositionsparteien, zu erheb-
licher Kritik.
Durch den Anstieg der Haushalte, die über Kabelfernsehen bzw. über Satelliten-
empfangsanlagen ausländische Fernsehprogramme empfangen können, befindet
sich der ORF in einer verschärften Konkurrenzsituation. Auch die lokalen Kabel-
betreiber, die eigenproduzierte Informations- und Serviceprogramme anbieten,
sowie Privatsender verschärfen den Wettbewerbsdruck.
11
9
Quelle: modifiziert nach Plasser/Ulram/Sommer (2003), S. 20
10
Vgl. Plasser (1997) S. 465
11
Vgl. Plasser (1997), S. 466

TEIL A: Allgemeines Wählerverhalten
Seite 8
1.2 Printmedien
Österreich ist das Land mit der höchsten Pressekonzentration in Europa. Die mit
Abstand auflagenstärkste Tageszeitung in Österreich ist die Kronen Zeitung, mit
knapp 3 Millionen
12
Lesern pro Ausgabe. Auf Platz zwei und drei sind der Kurier
(ca. 0,7 Millionen Leser pro Ausgabe) und die Kleine Zeitung (ca. eine halbe Milli-
on Leser pro Ausgabe).
13
In den Bundesländern verfügen Regionalzeitungen über
eine monopolähnliche Stellung. Die bedeutendste Regionalzeitung in Oberöster-
reich, die Oberösterreichischen Nachrichten, wird von 349.000 Personen pro Aus-
gabe gelesen.
14
Die Rangliste der meist gelesenen Wochenzeitschriften wird von
der Zeitschrift News (1,25 Millionen Leser pro Ausgabe) und vom Boulevardma-
gazin Die ganze Woche angeführt.
15
Charakteristisch für die österreichischen Printmedien sind ausländische Kapitalbe-
teiligungen. Seit die Verlagsgruppe Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) an
den beiden Tageszeitungen Kronen-Zeitung und Kurier mit 45 % bzw. 49 % betei-
ligt ist, erhöhte sich der Anteil an ausländischen Beteiligungen drastisch. Beide
Zeitungen verfügen in Gestalt der Mediaprint über das kapitalstärkste Druck- und
Vertriebssystem des Landes.
16
Im Gegensatz zum Fernsehen mussten die Printmedien in der Vergangenheit mit
einem Bedeutungsrückgang kämpfen. Während Fernseh- und Radiogeräte beina-
he in allen österreichischen Haushalten vorhanden sind, beziehen nur 84 % aller
Haushalte eine Tageszeitung. Wochenzeitungen mit dem Schwerpunkt politische
Berichterstattung lesen nur 24 % der Haushalte.
17
Was politische Informations-
quellen betrifft, sind Tageszeitungen im Vergleich zu früher bei weitem nicht mehr
so bedeutend. Wie bereits in Tabelle 1 ersichtlich wurde, nutzen nur 74 % der ös-
12
Media-Analysen Jahresbericht 2004,
http://www.media-analysen.at
, downloaded 30.05.05
13
Media-Analysen Jahresbericht 2004,
http://www.media-analysen.at
, downloaded 30.05.05
14
Media-Analysen Jahresbericht 2004,
http://www.media-analysen.at
, downloaded 04.07.05
15
Vgl. Filzmaier (o.D.), S. 3
16
Vgl. Plasser (1997), S. 463
17
Vgl. Filzmaier (o.D.), S. 4

TEIL A: Allgemeines Wählerverhalten
Seite 9
terreichischen Bevölkerung die Tageszeitung als politische Informationsquelle,
während hingegen 90 % das Fernsehen nutzen.
1.3 Radio
Auch die Monopolstellung der öffentlich-rechtlichen Radiosender wurde durch die
gesetzliche Liberalisierung des Rundfunkmarktes schrittweise außer Kraft gesetzt.
Das Regionalradiogesetz von 1993 sieht die Zulassung von privaten Radiosen-
dern in den einzelnen Bundesländern vor. Genau wie die Fernsehprogramme des
ORF, haben somit auch die öffentlich-rechtlichen Sender mit verschärfter Konkur-
renz zu kämpfen.
18
Trotzdem ist der ORF mit 75,6 % Tagesreichweite den priva-
ten Sendern weit voraus.
19
Im Rahmen der politischen Berichterstattung ist das Radio hinter Fernsehen und
Printmedien an dritter Stelle. In der Wahlkampfphase der Nationalratswahl 2002
haben 47 % der befragten Personen geantwortet, dass sie ihre Informationen aus
dem Radio beziehen. 1999 waren es vergleichsweise noch 55 %.
20
Trotzdem liegt
Österreich bei der Radionutzungsdauer weit vorne. Der Grund dafür ist vor allem
darin zu sehen, dass das Radio als Begleitmedium angesehen wird. Mehr Geräte
bieten mehr Gelegenheiten Radio zu hören, das Radio wird oft als Taktgeber im
Tagesrhythmus gesehen.
21
1.4 Internet
Das Internet wird auch heute noch als das ,,neue Medium" bezeichnet, obwohl es
doch schon einige Zeit stark vertreten ist. Im ersten Quartal des Jahres 2005 be-
saßen in Österreich bereits 59 % der Haushalte einen Internetzugang. 3,35 Millio-
nen Österreicher nutzen das Internet sogar fast täglich bzw. mehrmals pro Wo-
18
Vgl. Plasser (1997), S. 467
19
Media-Analysen Jahresbericht 2004,
http://www.media-analysen.at
, downloaded 30.05.05
20
Vgl. Plasser/Ulram/Sommer (2003), S. 20
21
Vgl. Brettschneider (2003), S. 7f.

TEIL A: Allgemeines Wählerverhalten
Seite 10
che, die durchschnittliche Nutzungsdauer aller regelmäßigen User beträgt über
acht Stunden pro Woche.
22
Somit stellt sich die berechtigte Frage: "Verdrängt das Internet die anderen, ,,alten"
Medien?". Eine genaue Antwort darauf zu finden, ist nicht so einfach. Es gibt Stu-
dien, die dem Internet bereits 20 % der gesamten Mediennutzung zuschreiben
und somit die Zeitungen und Zeitschriften bereits eingeholt haben.
23
Andererseits
gibt es auch Prognosen, die dieser Verdrängung nicht zustimmen. Heinrich Wie-
demann beispielsweise schreibt, dass weder der Hörfunk das Ende der Tageszei-
tungen, noch das Fernsehen das Ende des Hörfunks bedeutet haben und somit
auch Internet und Online-Dienste die Medienlandschaft nicht auf den Kopf stellen
werden. Laut Wiedemann zeigt die Erfahrung, dass jedes neue Medium die alten
nicht verdrängt, sondern sie ergänzt und sie dazu zwingt, ihr Profil zu schärfen.
24
Laut einer Studie des Fraunhofer-Instituts wird sich in Zukunft die Mediennutzung
erhöhen und im Jahr 2015 sogar auf 430 Minuten, das heißt auf über sieben
Stunden täglich, ansteigen, wie aus Abbildung 1 zu entnehmen ist.
22
Media-Analysen Jahresbericht 2004,
http://www.media-analysen.at
, downloaded 30.05.05
23
Vgl.
http://futurezone.orf.at
, downloaded 29.05.05
24
Vgl. Wiedemann (2000), S. 33

TEIL A: Allgemeines Wählerverhalten
Seite 11
Abbildung 1: Mediennutzung ­ Veränderung 1995/2015
25
Somit werden laut dieser Studie Fernseh-, Radio- und Printmediennutzung zu-
rückgehen, Onlinemedien und Tonträger werden ihre Anteile an der Mediennut-
zung ausbauen können.
26
Folge dessen verdrängt das Internet die anderen Me-
dien nicht, aber deren Anteil an der gesamten Mediennutzung wird sich zumindest
etwas verringern.
Für die politische Informationsbeschaffung stand das Internet 2002 noch an letzter
Stelle. Durch den Anstieg der allgemeinen Nutzung des Internets, sowie durch
25
Quelle: Wiedemann (2000), S. 40
26
Vgl. Wiedemann (2000), S. 39f.

TEIL A: Allgemeines Wählerverhalten
Seite 12
den Ausbau der Internetzugänge in den Privathaushalten wird wahrscheinlich
auch die politische Informationsbeschaffung via Internet in Zukunft zunehmen.
2. Erklärungsmodelle des Wahlverhaltens
Wer wählt welche Partei aus welchen Gründen? Diese Frage steht im Zentrum
der Wahlforschung und viele namhafte Autoren beschäftigten sich bereits seit
Jahrzehnten mit diesem wichtigen Thema. Nach jeder Wahl wird sofort analysiert,
welche Personengruppen aus welchen Motiven welche Partei gewählt haben. Um
diese Fragen beantworten zu können, haben viele Autoren verschiedene Ansätze
entwickelt, die das Wählerverhalten erklären sollen. Es gibt allerdings nicht die
Theorie des Wahlverhaltens, weil es auch nicht die Theorie menschlichen Verhal-
tens gibt. Will man das Verhalten erklären und nicht nur beschreiben, so muss
man den Entscheidungsprozess - der zum Wahlverhalten führt ­ mit all seinen
Einflussfaktoren, ob emotional, rational, bewusst oder unbewusst, beleuchten.
27
In der Literatur wird meist zwischen drei verschiedenen theoretischen Erklärungs-
ansätzen unterschieden: dem "klassischen" sozialstrukturellen Ansatz, dem sozi-
alpsychologischen Ansatz, sowie dem Rational-Choice-Ansatz. Diese drei Ansät-
ze sind nicht als Konkurrenten zu verstehen, das heißt, es handelt sich nicht um
völlig unterschiedliche Sichtweisen, die sich gegenseitig ausschließen. Sie sind
historisch gewachsen, entstammen unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen
und bieten daher unterschiedliche Sichtweisen auf das Phänomen "Wahlverhal-
ten".
28
In der Wissenschaftspraxis ist heute kaum eine Studie anzutreffen, die nur einen
der genannten Ansätze in Reinform als untersuchungsleitende Theorie benutzt.
Vielmehr werden aus den einzelnen Ansätzen die Teile zusammengeführt, die aus
27
Vgl. Roth (1998), S. 23
28
Vgl. Dams (2005), S. 24

TEIL A: Allgemeines Wählerverhalten
Seite 13
der Sicht der jeweiligen Forscher die besten Erklärungen für das Wahlverhalten
der Bürger darstellen.
29
2.1 Der sozialstrukturelle Ansatz
Bereits 1944 beschäftigten sich Lazarsfeld, Berelson und Gaudet in ihrem Buch
,,The People's Choice" mit dem sozialstrukturellen Ansatz. In deren Studie wurden
Gruppenbindungen und Kommunikationsprozesse als Determinanten der Wahl-
entscheidung analysiert. Weiters wurde der sozialstrukturelle Ansatz noch von
Lipset und Rokkan (1967) näher behandelt, die den Zusammenhang zwischen
sozialen Konfliktstrukturen und Wahlverhalten untersuchten.
30
Die Grundlage für diesen Ansatz stellt die Theorie der sozialen Kreise dar, die
bereits 1890 von Georg Simmel formuliert wurde. Diese Theorie besagt, dass der
Mensch in mehrere soziale Kreise eingebunden ist. Paul Lazarsfeld hat diese
Theorie der sozialen Kreise auch für den Wähler übernommen. Demnach üben
der soziale Status, die Religion, der Wohnort, das Alter, der Beruf usw. einen Ein-
fluss auf die Wahlentscheidung aus. Jeder soziale Kreis hat eine Norm, die - wenn
sie eingehalten wird - mit Integration belohnt wird. Dadurch entsteht allerdings ein
Druck auf den Wähler, sich der Norm entsprechend zu verhalten, da er mit seiner
sozialen Umwelt in einem möglichst spannungsfreien Verhältnis leben möchte
(siehe Teil B, Kapitel 1.2, Theorie der Schweigespirale, S. 43).
Lazarsfeld und seine Mitarbeiter erkannten somit relativ früh, dass die meisten
Wähler über langfristige Parteiloyalitäten verfügen, das heißt, dass bestimmte so-
ziale Gruppen unterschiedlichen Parteien nahe stehen. Sie folgerten daraus, dass
die Wahlentscheidung einerseits auf einen individuellen Entscheidungsprozess
zurückzuführen ist, andererseits das Resultat von Sozialisationseffekten ist. Die-
ser Ansatz versucht demnach, das Wahlverhalten vor allem mit Hilfe sozialer
Umweltfaktoren (sozialer Kreise) zu erklären. Von diesen Umwelteinflüssen wird
29
Vgl. Dams (2005), S. 25
30
Vgl. Winter (1997), S. 119

TEIL A: Allgemeines Wählerverhalten
Seite 14
angenommen, dass sie entweder miteinander vereinbar sind oder aber im Wider-
spruch zueinander stehen (sog. cross pressures).
31
Im Anschluss werden die oben genannten unterschiedlichen sozialen Kreise be-
schrieben. Mit Beispielen aus vergangenen Wahlen soll aufgezeigt werden, ob
und wieweit diese Kreise auch heute noch einen Einfluss auf die Wahlentschei-
dung der Österreicher haben.
2.1.1 Religion
Die Kirchenbindung zählt neben der gewerkschaftlichen Nähe zu den traditionel-
len Determinanten des österreichischen Wahlverhaltens. Wähler mit starker Kir-
chenbindung, das heißt Wähler, die regelmäßig die Kirche besuchen, entscheiden
sich in überwiegender Mehrheit für die ÖVP. Wähler mit nur schwacher konfessi-
oneller Nähe hingegen wählen mehrheitlich die SPÖ.
32
Auch in Deutschland lässt
sich dieses Muster erkennen. Bei den Bundestagswahlen 1994 wählten mehr als
die Hälfte (53,3%) der praktizierenden Christen die CDU.
33
In den vergangenen Jahrzehnten haben sich allerdings die kirchlichen Bindungen
gelockert und die Kirchengangsfrequenz ist rückläufig. Vor allem in den urbani-
sierten Zentralräumen ging die Kirchenbindung deutlich zurück, in den ländliche-
ren Dörfern ist sie noch weitgehend intakt. In den siebziger Jahren waren noch
35 % der Wähler regelmäßige Kirchgänger. Im Jahr 2002 ging diese Zahl auf
19 % zurück. Die Mehrheit dieser regelmäßigen Kirchgänger in Österreich wählt
die ÖVP, wie folgende Abbildung
34
zeigt.
35
31
Vgl. Winter (1997), S. 127
32
Vgl. Plasser/Ulram/Seeber (2003), S. 121
33
Vgl. Winter (1997), S. 136
34
Anmerkung: diese Abbildung differenziert nicht zwischen den verschiedenen Religionsbekennt-
nissen, sie bezieht sich nur auf den katholischen Teil der Bevölkerung.
35
Vgl. Plasser/Ulram/Seeber (2003), S. 122

TEIL A: Allgemeines Wählerverhalten
Seite 15
Abbildung 2: Religiosität und Wahlverhalten 2002
36
Anfang der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts waren mehr als zwei Drittel
der ÖVP-Wähler regelmäßige katholische Kirchgänger. Dieser Zusammenhang
zwischen Religiosität und der ÖVP ist aber auch noch am Ende der neunziger
Jahre des letzten Jahrhunderts und auch bei der Nationalratswahl 2002 nach-
weisbar und zeigte im Zeitverlauf nur marginale Veränderungen. Wie aus Abbil-
dung 2 ersichtlich, wählten 2002 69 % der regelmäßigen katholischen Kirchgänger
die ÖVP. Die Kirchgangshäufigkeit ist somit weiterhin ein stabiler Prädiktor für das
Wahlverhalten zugunsten der ÖVP.
37
Trotz der rückgängigen Bindung an die Kirche gibt es in Österreich noch immer
einen Zusammenhang zwischen Kirchennähe und der gewählten Partei. Die reli-
giöse Einstellung ist somit ein Einflussfaktor, der die Wahlentscheidung zumindest
mitbestimmt.
36
Quelle: o. V. (2002), S. 37
37
Vgl. Plasser/Seeber/Ulram (2000), S. 78f.

TEIL A: Allgemeines Wählerverhalten
Seite 16
2.1.2 Alter
Ein weiterer sozialer Einflussfaktor, der das Wählerverhalten mitbestimmen kann,
ist das Alter. Nach jeder Wahl wird genau analysiert, welche Altersgruppe für wel-
che Partei gestimmt hat. Bei der Nationalratswahl 2002 zeigte sich aufgeteilt in
fünf Altersgruppen folgende Parteipräferenz:
In Prozent 2002 haben ge-
wählt...
SPÖ
ÖVP
FPÖ
Grüne
Bis
29jährige
19 33 14 20
30- bis 44jährige
35
42
11
9
45- bis 59jährige
38
42
10
6
60- bis 69jährige
42
46
7
2
70jährige und älter
41
52
6
0
Tabelle 2: Wahlverhalten und Alter 2002
38
Wie aus dieser Tabelle hervorgeht, tendieren ältere Personengruppen eher zu
den Traditionsparteien ÖVP und SPÖ und jüngere Generationen zur FPÖ und zu
den Grünen. Die höchste Prozentzahl an SPÖ-Wählern erreichte die SPÖ in der
Gruppe der 60- bis 69jährigen Wähler, die ÖVP erreichte die höchste Prozentzahl
in der Altersgruppe der über 70jährigen. Die FPÖ erreichte ihren größten Wähler-
anteil bei den bis 29jährigen, ebenso wie die Grünen.
39
Dies bestätigen auch Dis-
kussionsveranstaltungen und eine ,,simulierte Nationalratswahl", die mit ca.
1500 Schülern an Wiener Schulen im Jahr 1999 durchgeführt wurde. Das Ergeb-
nis dieser simulierten Nationalratswahl ergab, dass die Grünen die meisten An-
hänger (32,4%), gefolgt von SPÖ (25,5%), FPÖ (14,3%), ÖVP (11,6%) und dem
damals noch vertretenen LIF (10%) hatten.
40
38
Quelle: modifiziert nach Plasser/Ulram/Seeber (2003), S. 118
39
Vgl. Plasser/Ulram/Sommer (2003), S. 119
40
Vgl.
www.sora.at/wahlen/politikforschung
, downloaded 15.04.2005

TEIL A: Allgemeines Wählerverhalten
Seite 17
Neben der Parteipräferenz gibt es auch noch einige andere Unterschiede zwi-
schen den Altersgruppen. Ältere Wähler zeigen eine wesentlich höhere Wahlbe-
teiligung als jüngere Wähler. Weiters ist das subjektive politische Interesse sowie
die Parteibindung bei älteren Wählern ebenfalls wesentlich höher als bei den jün-
geren Altersgruppen.
41
Auf Grund der demographischen Entwicklung wird in den nächsten Jahrzehnten
ein Anstieg des Anteils älterer Wahlberechtigter erfolgen. Laut Statistik Austria
gab es im Jahr 2004 ca. 1,8 Millionen über 60jährige Personen in Österreich. Für
das Jahr 2050 wird die Zahl der über 60jährigen bereits auf ca. 2,9 Millionen
prognostiziert.
42
Diese Änderungen in der Alterstruktur können das Wählerverhal-
ten in der Zukunft stark beeinflussen.
2.1.3 Beruf
Neben Religion, Wohnort und Alter hat auch der Beruf einen Einfluss auf die
Wahlentscheidung. Berufliche Lebensumstände waren bis in die frühen achtziger
Jahre des letzten Jahrhunderts noch trennscharfe Prädiktoren des österreichi-
schen Wahlverhaltens. Besonders die Trennung zwischen manuellen (sog. blue
collar workers) bzw. nicht manuellen (sog. white collar workers) Tätigkeiten präg-
ten das Wahlverhalten und führten somit zu einem stabilen Muster des klassen-
gebundenen Wählens. Auf Grund des sozioökonomischen Wandels in Verbindung
mit fortschreitender Individualisierung und sozialer Differenzierung kam es zu ei-
ner Schwächung des klassengebundenen Wählens. Charakteristisch für die
neunziger Jahre war außerdem eine Neuorientierung des Wahlverhaltens der Ar-
beiterschaft.
43
Im Jahr 1979 wählten beispielsweise noch 65 % der österreichischen Arbeiter die
SPÖ, bei der Nationalratswahl 1999 waren es nur mehr 35 %. Innerhalb von
41
Vgl. Falter/Gehring (1998), S. 468 f.
42
Vgl. Jahrbuch Statistik Austria 2005, S. 51
43
Vgl. Plasser/Ulram/Seeber (2003), S. 125f.

TEIL A: Allgemeines Wählerverhalten
Seite 18
zwanzig Jahren hatte sich somit der SPÖ-Anteil bei der Arbeiterschaft halbiert, der
FPÖ-Anteil hatte sich hingegen verzehnfacht. Die Gründe für die Abwanderung
der Arbeiter zur FPÖ waren vor allem darin zu sehen, dass in den neunziger Jah-
ren des letzten Jahrhunderts innerhalb der Arbeiterschaft Protesthaltungen und
soziale Abstiegs- und Marginalisierungsängste vorhanden waren.
44
Der damalige
FPÖ-Chef Haider sprach oft von der ,,Partei der kleinen Leute", die sich gezielt für
deren Bedürfnisse einsetzte und somit die Stimmen der Arbeiterschaft drastisch
erhöhten.
Bei der vorgezogenen Nationalratswahl 2002 musste die FPÖ allerdings wieder
einen Großteil ihrer gewonnenen Wähler der Arbeiterschaft abgeben. Mit minus
31 Prozentpunkten bei den Arbeitern war dies der schwerste Stimmenverlust, den
die FPÖ unter den Berufsgruppen hinnehmen musste. Von den Stimmenverlusten
der FPÖ unter den Arbeitern gewann die ÖVP die Mehrheit (22 %), gefolgt von
der SPÖ mit 6 %.
45
Würden zum Zeitpunkt der Verfassung dieser Diplomarbeit
wieder Wahlen durchgeführt werden, würde sich die Abkehr der Arbeiter von der
FPÖ wahrscheinlich weiter fortsetzen. Durch die Spaltung der FPÖ in das BZÖ
(Bündnis Zukunft Österreich) und in die ,,alte" FPÖ, würde es den beiden Parteien
wohl kaum gelingen die Arbeiterschaft zurückzuerobern. Zu welchen Parteien sich
die Arbeiter nun bei den nächsten Wahlen eher hingezogen fühlen, wird sich zei-
gen. Tatsache ist allerdings, dass es zu einer Schwächung des klassengebunde-
nen Wählens gekommen ist, und man somit nicht mehr eindeutig sagen kann, zu
welcher Partei man die Mehrheit der Arbeiter zuordnen kann bzw. dass die Par-
teipräferenz bei den letzten Nationalratswahlen gewechselt hat.
Im Vergleich zur Neuorientierung des Wahlverhaltens der Arbeiterschaft fallen die
Veränderungen bei den Angestellten bei weitem nicht so drastisch aus. Bei den
Angestellten konnte die SPÖ ihren Stimmanteil im Laufe der Zeit weitgehend sta-
bilisieren. Die ÖVP hingegen musste in den neunziger Jahren des letzten Jahr-
hunderts vor allem bei den neuen, angestellten Mittelschichten mit Verlusten
kämpfen, die sie allerdings bei der Nationalratswahl 2002 wieder wettmachen
44
Vgl. Plasser/Ulram/Seeber (2003), S. 126
45
Vgl. Plasser/Ulram/Seeber (2003), S. 126

TEIL A: Allgemeines Wählerverhalten
Seite 19
konnten. Mit einem Stimmanteil von 37 % bei den Angestellten konnte die ÖVP
mit der SPÖ gleichziehen. Im Gegensatz zu den Arbeitern fielen die Zugewinne
der FPÖ bei den Angestellten verhaltener aus. Mit einem Anteil von 23 % bei den
Angestellten lag das Ergebnis um 4 Prozentpunkte unter dem bundesweiten FPÖ-
Ergebnis bei der Nationalratswahl 1999. 2002 wählten nur mehr 11 % der Ange-
stellten die FPÖ. Zugewinne bei den Angestellten konnten in den neunziger Jah-
ren die Grünen und das damalige Liberale Forum verbuchen.
46
Das Beispiel der Veränderung der Parteipräferenz bei der Arbeiterschaft in den
neunziger Jahren zeigt deutlich, dass man bestimmte Berufsgruppen nicht mehr
eindeutig einer bestimmten Partei zuordnen kann. Es kam zu einer Schwächung
des klassengebundenen Wählens. Laut Plasser, Seeber und Ulram stellen Ende
der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts Geschlecht, Alter und Bildung markante
parteispezifische Prädiktoren dar, während traditionelle Determinanten, wie das
klassengebundene Wählerverhalten, weitgehend ihre Relevanz verloren haben.
47
2.1.5 Geschlecht
Neben den von Lazarsfeld genannten sozialen Einflussfaktoren, wie Alter, Religi-
on und Beruf, ist in den letzten Jahrzehnten noch ein weiterer Faktor hinzuge-
kommen, nämlich das Geschlecht. Bereits in den siebziger Jahren des letzten
Jahrhunderts konnte zunächst in Amerika und in den skandinavischen Ländern
eine konstante Geschlechterspaltung (engl. gender gap) im Wahlverhalten beo-
bachtet werden.
48
Seit den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts kann diese
geschlechtsspezifische Differenzierung auch in Österreich beobachtet werden, die
im Verlauf der neunziger Jahre noch breiter geworden ist. Diese geschlechtsspe-
zifische Differenzierung hat sich in drei Phasen vollzogen:
49
46
Vgl. Plasser/Ulram/Seeber (2003), S. 128f.
47
Vgl. Plasser/Ulram/Seeber (2003), S. 97
48
Vgl. Plasser/Ulram/Seeber (2003), S. 132
49
Vgl. Plasser/Seeber/Ulram (2000), S. 90

TEIL A: Allgemeines Wählerverhalten
Seite 20
1.
Die Phase des traditionellen Wahlverhaltens, die durch eine deutliche Ten-
denz von Frauen, konfessionellen bzw. konservativen Werten verpflichtete
Parteien zu wählen, gekennzeichnet war.
2.
Die Phase der fortschreitenden Konvergenz bzw. Angleichung des Wahlver-
haltens zwischen Männern und Frauen, die in Österreich dazu führte, dass
die SPÖ bei Frauen deutlich an wahlpolitischer Attraktivität gewinnen konnte.
3.
Die Phase einer geschlechtsspezifischen Neuorientierung, die sich in einer
Tendenz vor allem jüngerer, qualifizierter und selbstbewusster Frauen zu li-
bertären Parteiformationen manifestierte.
Des Weiteren ist die ,,Geschlechter-Kluft" auch durch eine ausgeprägte Distanz
von Frauen zu neuformierten, rechtspopulistischen Protestparteien gekennzeich-
net. Gründe für die Ausweitung des ,,gender gap" in den letzten Jahren sind: er-
höhte Bildungs- und Qualifikationschancen für jüngere Frauengenerationen, ein
aktives und selbstbewusstes Rollenverständnis an gleichberechtigter Partner-
schaft und beruflicher Gleichstellung und spezifische Issue-Präferenzen und
Werthaltungen, die humanitären und liberalen Entfaltungswerten einen besonde-
ren Stellenwert zuweisen.
50
In den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts veränderte sich aber nicht nur
die ,,Geschlechter-Kluft", sondern es haben sich auch tiefreichende Veränderun-
gen bei den geschlechtsspezifischen Parteimehrheiten ergeben. Im Jahr 1994
wurde die FPÖ bei den männlichen Wählern zur zweitstärksten Partei und 1999
sogar die stärkste Partei unter Männern. Trotz dieser erheblichen Stimmengewin-
ne bei der Nationalratswahl 1999 lag die FPÖ bei den Frauen mit 21 % nach wie
vor hinter der SPÖ (35 %) und der ÖVP (27 %) an dritter Stelle. Die Grünen und
das damals noch vertretene Liberale Forum schnitten hingegen bei Frauen deut-
lich besser ab als bei den Männern, wobei insbesondere die Grünen bei den weib-
lichen Wählern erfolgreicher waren als bei den männlichen. Auch bei der National-
ratswahl im Jahr 2002, bei der es tiefreichende Veränderungen der Stimmenantei-
le der Parteien gab, spiegelt sich ein geschlechtsspezifisches Muster wider, in
dem Frauen stärker die Grünen, Männer hingegen stärker die FPÖ präferierten.
50
Vgl. Plasser/Seeber/Ulram (2003), S. 134f.

TEIL A: Allgemeines Wählerverhalten
Seite 21
Das geschlechtsspezifische Wahlverhalten von 1986 bis 2002 wird in Tabelle 3
dargestellt.
51
In Prozent haben
gewählt...
SPÖ
ÖVP
FPÖ
Grüne
LIF
1986 Männer
Frauen
42
43
38
43
13
7
4
5
-
-
1990 Männer
Frauen
39
44
29
33
20
12
4
5
-
-
1994 Männer
Frauen
34
36
25
30
29
18
6
9
5
6
1995 Männer
Frauen
35
40
26
29
27
16
4
5
5
6
1999 Männer
Frauen
31
35
25
27
32
21
5
9
3
4
2002 Männer
Frauen
32
40
44
40
12
8
7
10
-
-
Tabelle 3: Geschlechtsspezifisches Wahlverhalten 1986-2002
52
Die erwähnten geschlechtsspezifischen Muster im Wahlverhalten haben sich in
den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts zu einer Gender-Polarisierung
verdichtet, die bei der Nationalratswahl 2002 ihren Höhepunkt fand. Bei dieser
Wahl haben 50 % der Frauen eine der Parteien der rot-grünen Koalitionsoppositi-
on gewählt, bei den Männern waren es hingegen nur 39 %. Umgekehrt wählten
56 % der Männer ÖVP oder FPÖ, während nur 48 % der Frauen einer dieser bei-
den Parteien ihre Stimmen gaben. Die in Tabelle 3 dargestellten Zeitreihen ver-
deutlichen eine anhaltende geschlechtsspezifische Neuorientierung im österrei-
chischen Wahlverhalten, bei dem Männer zunehmend stärker Mitte-Rechts ste-
51
Vgl. Plasser/Seeber/Ulram (2003), S. 132ff.
52
Quelle: modifiziert nach Plasser/Ulram/Sommer (2003), S. 134

TEIL A: Allgemeines Wählerverhalten
Seite 22
hende Parteien, Frauen hingegen tendenziell Mitte-Links stehende Parteien be-
vorzugen.
53
Prinzipiell kann man, wie eingangs erwähnt, zwei Wählergruppen unterscheiden.
Die erste Gruppe befindet sich in einem System konzentrischer sozialer Kreise.
Diese Personen sind in einem homogenen sozialen Milieu eingebettet und haben
so eine langfristige Parteiorientierung entwickelt, die sie zu Stammwählern ge-
macht hat. Die zweite Wählergruppe befindet sich in einem System sich kreuzen-
der sozialer Kreise.
54
Das heißt, das soziale Umfeld eines Wählers ist nicht homo-
gen, er gehört also verschiedenen sozialen Gruppen an, in denen unterschiedli-
che politische Normen gelten. Der Wähler ist widersprüchlichen Verhaltenserwar-
tungen, sog. cross pressures, ausgesetzt. Dies hat zur Folge, dass sich der Wäh-
ler nur schwer entscheiden kann und sich dem für ihn unangenehmen Thema so-
weit wie möglich entzieht. Die Folgen daraus sind Wechselwähler und Nichtwäh-
ler. Laut Lazarsfeld gehen diese beiden Phänomene auf solche widersprüchlichen
Erwartungen des sozialen Umfeldes zurück.
55
Es gibt allerdings auch Personen,
die einander verstärkenden sozialen Kreisen angehören. Solche Personen neigen
zu eindeutigeren Parteipräferenzen. Sie nehmen eher an Wahlen teil und neigen
seltener zu Wechselwählerverhalten als Personen, die einander widersprechen-
den sozialen Umweltfaktoren ausgesetzt sind.
56
Generell kann nun gesagt werden, dass der sozialstrukturelle Ansatz konstantes
Wahlverhalten sehr wohl erklären kann, da sich die strukturellen Bedingungen
jedes einzelnen Wählers nur sehr langsam verändern. Bei inkonsistentem Wahl-
verhalten gelangt dieser Ansatz jedoch schnell an seine Grenzen. Daher wurde
nach dem Zweiten Weltkrieg ein anderer Denkansatz entwickelt, der zwar keinen
Widerspruch darstellt, sich der Theorie des Wählerverhaltens jedoch aus eher
sozialpolitischer Sicht näherte.
57
53
Vgl. Plasser/Ulram/Sommer (2003), S. 134
54
Vgl. Nemella (2000), S. 6f.
55
Vgl. Arzheimer/Falter (2005), o. S.
56
Vgl. Winter (1997), S. 127
57
Vgl. Wilhelm (2002), S. 20

TEIL A: Allgemeines Wählerverhalten
Seite 23
2.2 Der sozialpsychologische Ansatz
Der Wandel von der soziologischen zur sozialpsychologischen Perspektive drück-
te sich dadurch aus, dass eine Gruppe von Sozialwissenschaftlern an der Univer-
sity of Michigan in Ann Arbor das Individuum selbst stärker in den Mittelpunkt der
Erklärung stellten. Nach Ansicht der Ann Arbor School trägt die individuelle Wahr-
nehmung und Einschätzung von Kandidaten und Sachthemen maßgeblich zur
Wahlentscheidung bei. Auch die ,,psychologische Mitgliedschaft" in einer Partei,
gemessen in Form der Variable Parteiidentifikation, fließt in die Wahlentscheidung
mit ein.
58
Campell, Gurin und Miller entwickelten das Konzept ihres sozialpsychologischen
Erklärungsmodells für Wahlverhalten im Zusammenhang mit den US-Präsident-
schaftswahlen 1948 und 1952 (Campell et al.: The Voter Decides, 1954). Nach
Untersuchungen anlässlich der Kongresswahlen 1954 und der Präsidentschafts-
wahl 1956 erschien einige Jahre später das Hauptwerk der Wahlforschung aus
Ann Arbor: The American Voter (Campell et al., 1960). Zur Überprüfung ihres ur-
sprünglichen Konzepts führte Campell's Team landesweite Umfragen derselben
Wahlberechtigten vor und nach den Wahlen durch. Somit waren, im Unterschied
zu Lazarsfelds Regionalstudie, erstmals Rückschlüsse auf das Wahlverhalten in
den USA insgesamt möglich.
59
Das sozialpsychologische Erklärungsmodell unterscheidet drei relevante Einstel-
lungsdimensionen: Parteiidentifikation, Themenorientierung (engl. Issues) und
Kandidaten-Präferenzen. Diese Dimensionen standen ursprünglich gleichrangig
nebeneinander. Später wurde das Modell modifiziert und die Parteiidentifikation
bildete den maßgeblichen Bezugspunkt des Wahlverhaltens. Den Kandidaten-
und Themenorientierungen kam die Rolle von politischen Kurzzeiteinflüssen zu,
die im Wahlverhalten zu einem gelegentlichen Abweichen von der Parteibindung
führen können, obwohl die Parteiidentifikation auch nach der Wahl fortbesteht.
60
58
Vgl. Roth (1998), S. 36
59
Vgl. Roth (1998), S. 36
60
Vgl. Busch (1997), S. 182

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2005
ISBN (eBook)
9783832492427
ISBN (Paperback)
9783838692425
DOI
10.3239/9783832492427
Dateigröße
1.2 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Johannes Kepler Universität Linz – Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, Gesellschafts- und Sozialpolitik
Erscheinungsdatum
2006 (Januar)
Note
1,0
Schlagworte
wahlforschung nationalratswahl agenda-setting umfrage wahlkampf
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