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Aspekte personaler Führung in Organisationen

Interaktion und Austausch innerhalb von Führungsbeziehungen sowie deren Einfluss auf die Arbeitszufriedenheit

©2004 Magisterarbeit 120 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Problemstellung:
Ziel der Arbeit ist es, Führung als vielschichtigen Prozess darzustellen, den zahlreiche Theorien zu beschreiben und erklären versuchen. Tatsache ist, dass erst die Vielfalt der Theorien nebeneinander gesehen einen kleinen Einblick in das breite Feld der Führungsforschung gewährt. Sicherlich liefern einige Beiträge, die den Führungsprozess erheblich vereinfachen, Handlungsanweisungen für Praktiker.
Dem Anliegen, Führung als etwas Zwischenmenschliches zu beschreiben, wird das Manuskript in den Kapiteln gerecht, in denen es um Austausch- und Interaktionsprozesse innerhalb von Führungsbeziehungen geht.
In einer qualitativen Untersuchung werden diese Prozesse zwischen Führenden und Geführten betrachtet sowie dyadische Führungsbeziehungen beschrieben. Im Blickfeld liegen individuelle Kontakte der Vorgesetzten zu jedem einzelnen Mitarbeiter entsprechend dessen Bedürfnissen und aktive Einflussmöglichkeiten der Geführten auf den Führungsprozess.
Weinert beschreibt Arbeit als „die stärkste, zeitlich breiteste und physisch, kognitiv und emotional am meisten fordernde und beeinflussende Einzelaktivität im menschlichen Leben“. Dieses Zitat hebt die Bedeutung einer Führung hervor, die den Ansprüchen von Führenden und Geführten gerecht wird. Mit der Forderung nach einer „Qualität des Arbeitslebens“ beschäftigen sich Wissenschaftler seit Beginn der 70er Jahre.
Eine Arbeitsumwelt mit hoher Qualität ist laut Weinert gekennzeichnet durch „angemessene und faire Bezahlung; sichere und gesunde Arbeitsumwelt; garantierte Grundrechte, einschließlich Gleichheitsprinzip und ordentliche Verabfolgung; Möglichkeiten des Vorankommens, der Beförderung; Soziale Integration; Einbeziehung des Gesamtlebens bzw. der Gesamtlebensspanne (z.B. Balance zwischen Arbeit und Familie); Umwelt, die die menschlichen Beziehungen fördert; eine Organisation mit sozialer Relevanz; eine Umwelt, die es dem Mitarbeiter erlaubt, Mitspracherecht auszuüben bzw. Mitkontrolle an Entscheidungen zu haben, die ihn betreffen.“
Zur Arbeitsumwelt zählt Weinert die Rahmenbedingungen, die durch Vorgesetzte abgesichert werden müssen: wirtschaftlicher und psychologischer Austausch (z. B. Bezahlung, Aufstiegschancen, Partizipation, Einfluss) und soziale Beziehungen, die durch einen fairen Umgang miteinander gekennzeichnet sind.
Interessant sind in diesem Zusammenhang die Fragen: Mit welchen Augen sehen Mitarbeiter ihre Vorgesetzten? Hat sich das Bild der Führungskraft in den […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 9151
Groneberg, Ramona: Aspekte personaler Führung in Organisationen -
Interaktion und Austausch innerhalb von Führungsbeziehungen sowie deren Einfluss auf
die Arbeitszufriedenheit
Hamburg: Diplomica GmbH, 2005
Zugl.: Universität Erfurt, Magisterarbeit, 2004
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2005
Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung... 3
2. Führung in Organisationen... 7
2.1
Definitionsversuche ... 7
2.1.1 Der Organisationsbegriff... 7
2.1.2 Führung ­ eine Begriffsannäherung... 9
2.2
Führungstheorien ... 14
2.2.1
Eigenschaftstheorie ... 15
2.2.2 Verhaltenstheoretische Ansätze ... 16
2.2.3
Situationstheorien... 19
2.3 Interaktions- und austauschtheoretische Betrachtungen... 23
2.4 Führer-Geführten-Beziehung und Arbeitszufriedenheit... 32
3. Befragung... 42
3.1
Untersuchungsziel ... 42
3.2
Stichprobe... 43
3.3
Leitfragen... 45
3.4
Durchführung... 48
3.5
Störfaktoren ... 50
3.6
Auswertung... 52
3.7
Fallstudien ... 63
3.7.1 Fallstudie ,,Menschlichkeit"... 64
3.7.2 Fallstudie ,,Einfluss" ... 76
3.7.3 Fallstudie ,,Zusammenhalt"... 85
3.7.4 Fallstudie ,,Verantwortung" ... 94
3.8
Resümee... 102
4. Ausblick... 110
5. Literaturverzeichnis... 112
2

1. Einleitung
Der Mensch wird geführt, ab dem Moment seiner Geburt: Erst von seinen Eltern, dann
von Kindergärtnern, Lehrern, Erziehern, Ausbildern und schließlich Vorgesetzten.
1
WUNDERER (2003, S. 4) unterstützt diesen Gedanken, indem er schreibt: ,,Führung
findet man in allen menschlichen Gemeinschaften ­ von der Familie bis zum Staat, von
der Kleinkind- bis zur Altenbetreuung, von Kindergärten, Schulen und Arbeitsstätten bis
zu freiwilligen Vereinigungen (Verbände, Parteien, Vereine, Kirchen) oder auch
Zwangsinstitutionen (z. B. Gefängnisse) ­ und natürlich auch in Unternehmen und öf-
fentlichen Verwaltungen."
Was verbinden wir mit den Personen, die uns als ,,Führer" auf bestimmten Lebensab-
schnitten begleiten? Wieso ist der Begriff ,,Führung" für einige von uns mit negativen
Emotionen verbunden? Ein Grund ist die Autorität, die Führende ausüben. An ihnen
liegt es, uns zu belohnen oder zu bestrafen, uns einzuengen oder Freiraum zu geben; sie
prägen unser Selbstbild. In der Kindheit lernen wir Gehorsam und müssen oft nachge-
ben ­ offenbar aus Gründen der Überlegenheit unseres erwachsenen Gegenübers. Kin-
der, Heranwachsende und Jugendliche fühlen sich oftmals als Verlierer. Sie erleben
Führung im Rahmen ihrer Erziehung als einseitige Machtausübung, die scheinbar unbe-
gründet ist. Dem bekannten Hinweis ,,Solange Du Deine Füße unter meinen Tisch
steckst,...!" müssen sie nachgeben. Reifen sie zu einem ausgewachsenen Menschen
heran, definieren sich die Rollen neu, da das Abhängigkeitsverhältnis sich wandelt.
Alle sozialen Beziehungen sind gekennzeichnet durch Hierarchie und Autorität, Rollen-
definitionen sowie Handlungsfreiräume bzw. -begrenzungen. Wie sich die Beziehung
zwischen Eltern, Erziehern, Lehrern und Ausbildern zu ihren Kindern und Schülern
gestalten kann, zeigen folgende Szenen: ein Kind, dass nach minutenlangem Quengeln
doch die zuerst verbotene Süßigkeit bekommt; eine Schülerin, die ihrem Lehrer jede
Unterrichtsstunde aufs Neue ihr Desinteresse demonstriert; ein Auszubildender, der
1
Die Arbeit differenziert nicht nach geschlechtsspezifischen Aspekten, d. h. es wird nicht untersucht, ob
etwa eine weibliche Führungskraft andere Führungsbeziehungen pflegt als eine männliche. Alle Aussa-
gen gelten daher für Frauen wie Männer. Wenn von Vorgesetzten, Führungskräften, Untergebenen und
Mitarbeitern die Rede ist, sind jeweils männliche und weibliche Personen gemeint. Nur bei der Auswer-
tung der Befragung wird differenziert, da für den spezifischen Fall das Geschlecht des Gesprächspart-
ners bekannt ist.
3

trotz mehrerer Verbote im Haus raucht. Es soll schon Kleinkinder geben, die eher ihre
Eltern führen als umgekehrt und Schüler, die ihren Lehrern auf der Nase herum tanzen.
An den betreffenden Erwachsenen wird dann bemängelt, sie wären zur Erziehung nicht
in der Lage, sie seien autoritätslos, ihnen fehle jegliches Durchsetzungsvermögen; ihnen
wird schlicht Unfähigkeit und Scheitern vorgeworfen. Die skizzierten Beispiele zeigen,
dass Erziehung kein einseitig gerichteter Prozess ist. Das Verhalten eines Erziehers hat
direkten Einfluss auf das Verhalten des zu Erziehenden und umgekehrt.
Ist Erziehung überhaupt mit Führung vergleichbar? Unter Erziehung wird im Allgemei-
nen die planmäßige Tätigkeit zur Formung junger Menschen im Rahmen der geltenden
Persönlichkeitsideale verstanden. Die ,,Zöglinge" sollen sich mit all ihren Anlagen und
Kräften zu verantwortungsbewussten und charakterfesten Persönlichkeiten entwickeln.
Auch ein Vorgesetzter trägt die Sorge um die Entfaltung seiner Mitarbeiter. Er kann
zwar wenig an den Charaktereigenschaften seiner Untergebenen ändern, aber auf ver-
schiedene Art und Weise das Beste aus ihnen herausholen, d. h. durch Motivation und
bestimmte Anreize ihre Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit maximieren. Ähn-
lich wie bei der Eltern-Kinder-Beziehung ist bei der Vorgesetzten-Mitarbeiter-
Beziehung fraglich, wer wen führt. Der Geführte wird zum Führer und umgekehrt. Da
die Familie ebenso eine Organisation darstellt, wie ein Unternehmen ­ es existieren eine
Hierarchie und ,,Regeln", die den Umgang miteinander festlegen ­ kann man durchaus
in einer Familie Führungserfahrungen sammeln, obwohl nicht von Untergebenen und
Vorgesetzten gesprochen wird. Bestimmte Typen von Führungskräften (Archetypen)
werden sogar mit Eltern verglichen, beispielsweise der Vorgesetzte als Vaterfigur.
Im Mittelpunkt der folgenden Betrachtungen steht der arbeitstätige Mensch, eingebettet
in die Strukturen eines Unternehmens. WEINERT (1998, S. 202) beschreibt Arbeit als
,,die stärkste, zeitlich breiteste und physisch, kognitiv und emotional am meisten for-
dernde und beeinflussende Einzelaktivität im menschlichen Leben". Dieses Zitat hebt
die Bedeutung einer Führung hervor, die den Ansprüchen von Führenden und Geführten
gerecht wird. Mit der Forderung nach einer ,,Qualität des Arbeitslebens" beschäftigen
sich Wissenschaftler seit Beginn der 70er Jahre. Eine Arbeitsumwelt mit hoher Qualität
ist laut WEINERT (1998, S. 195) gekennzeichnet durch ,,[...] angemessene und faire
Bezahlung; sichere und gesunde Arbeitsumwelt; garantierte Grundrechte, einschließ-
lich Gleichheitsprinzip und ordentliche Verabfolgung; Möglichkeiten des Vorankom-
4

mens, der Beförderung; Soziale Integration; Einbeziehung des Gesamtlebens bzw. der
Gesamtlebensspanne (z.B. Balance zwischen Arbeit und Familie); Umwelt, die die
menschlichen Beziehungen fördert; eine Organisation mit sozialer Relevanz; eine Um-
welt, die es dem Mitarbeiter erlaubt, Mitspracherecht auszuüben bzw. Mitkontrolle an
Entscheidungen zu haben, die ihn betreffen."
Zur Arbeitsumwelt zählt WEINERT die Rahmenbedingungen, die durch Vorgesetzte
abgesichert werden müssen: wirtschaftlicher und psychologischer Austausch (z. B. Be-
zahlung, Aufstiegschancen, Partizipation, Einfluss) und soziale Beziehungen, die durch
einen fairen Umgang miteinander gekennzeichnet sind. Austauschprozesse und Füh-
rungsbeziehungen, die durch menschliche Bedürfnisse und Erwartungen geprägt sind,
machen den Hauptteil der Arbeit aus und wurden in einer qualitativen Untersuchung
beleuchtet.
Es wird im Folgenden um die Führung von Mitarbeitern gehen, wobei die indirekte
Mitarbeiterführung weitestgehend unbeachtet bleibt. WUNDERER (2003, S. 5 ff.) un-
terscheidet als zwei Führungsdimensionen die strukturell-systemische (indirekte) und
personal-interaktive (direkte) Mitarbeiterführung. Der Fokus richtet sich auf die interak-
tiven Führungsaufgaben wie
1.
wahrnehmen, analysieren, reflektieren;
2.
informieren, kommunizieren, konsultieren;
3.
motivieren, identifizieren;
4.
entscheiden, koordinieren, kooperieren, delegieren sowie
5.
entwickeln, evaluieren, gratifizieren.
(vgl. WUNDERER 2003, S. 10 f.)
Ziel der Arbeit ist es, Führung als vielschichtigen Prozess darzustellen, den zahlreiche
Theorien zu beschreiben und erklären versuchen. Tatsache ist, dass erst die Vielfalt der
Theorien nebeneinander gesehen einen kleinen Einblick in das breite Feld der Füh-
rungsforschung gewährt. Sicherlich liefern einige Beiträge Handlungsanweisungen für
Praktiker, die den Führungsprozess zugegeben erheblich vereinfachen. Mit Führungs-
theorien beschäftigt sich Kapitel 2.2.
5

Dem Anliegen, Führung als etwas Zwischenmenschliches zu beschreiben, wird das Ma-
nuskript in den Kapiteln 2.3 und 2.4 gerecht, in denen es um Austausch- und Interakti-
onsprozesse sowie Führungsbeziehungen geht. In einer qualitativen Untersuchung wer-
den diese Prozesse zwischen Führenden und Geführten betrachtet sowie dyadische Füh-
rungsbeziehungen beschrieben (Kapitel 3). Im Blickfeld liegen individuelle Kontakte
der Vorgesetzten zu jedem einzelnen Mitarbeiter entsprechend dessen Bedürfnissen und
aktive Einflussmöglichkeiten der Geführten auf den Führungsprozess. Untersuchungs-
ziel, Stichprobe, Leitfaden, Durchführung und Störfaktoren der Befragung werden in
den Kapiteln 3.1 bis 3.5 behandelt. Der Auswertung hinsichtlich der Leitfragen und
Hypothesen in Kapitel 3.6 schließen sich Fallstudien an zu ,,Menschlichkeit, ,,Einfluss",
,,Zusammenhalt" und ,,Verantwortung", die in den Befragungen sehr häufig als Merk-
male für eine gute und ausgeglichene Führungsbeziehung genannt wurden.
RUDOLF VON BENNIGSEN-FOERDER, früherer Vorstandsvorsitzender der Veba
AG hat einmal gesagt: ,,Man muss die Menschen kennen, um sie führen zu können."
und spricht damit die Notwendigkeit an, sich auf den Menschen als Individuum einzu-
lassen.
6

2. Führung in Organisationen
2.1 Definitionsversuche
Der Titel des Kapitels ergibt sich aus der Feststellung, dass gerade zum Führungsbegriff
etliche Definitionen existieren, die sich teilweise enorm voneinander unterscheiden. Es
wird auf den folgenden Seiten der Versuch unternommen, möglichst viele Facetten des
Führungsbegriffes einzufangen, um einen Überblick zu liefern und gerade die Aspekte
aufzuspüren, die dem Verständnis der Arbeit dienen. Doch zunächst soll darauf einge-
gangen werden, was eine Organisation ist, wie sie zustande kommt und wodurch sie
gekennzeichnet ist, um anschließend zu betrachten, welche Arten von Führung es gibt
und wie diese in Organisationen umgesetzt werden.
2.1.1 Der Organisationsbegriff
Unsere Gesellschaft ist geprägt von Organisationen. Der Mensch verbringt fast die Hälf-
te seines Lebens in verschiedenen Organisationen: Es beginnt mit Kindergarten, in Kin-
derkrippe und Schule, setzt sich fort in Unternehmen und Betrieben, Bildungs- und For-
schungseinrichtungen, Freizeiteinrichtungen, Krankenhäusern, Heimen, Kirchen und so
weiter. Organisationen sind ohne Menschen nicht existent, denn Menschen geben ihnen
Bedeutung. Jedes Organisationsmitglied hat eine Vorstellung davon, wie es mit der Or-
ganisation und einzelnen Mitgliedern verbunden ist, d. h. welche sozialen Beziehungen
vorliegen.
PROSCH (2000, S. 7 ff.) skizziert die wichtigsten Eigenschaften von Organisationen:
·
Organisationen sind Zusammenschlüsse von Personen, deren Zusammenwir-
ken das Erreichen gewisser Ziele ermöglicht,
·
Organisationen sind zielgerichtet, d. h. sie sind ausgerichtet auf die Erfüllung
spezifischer Zwecke,
·
Organisationen sind auf Dauer eingerichtet, was unter anderem durch die
Komplexität und Beständigkeit der Aufgabenstellung begründet wird,
·
Organisationen sind arbeitsteilig gegliedert, was Verantwortungsbereiche,
Rollendifferenzierungen und Machtungleichgewichte beinhaltet und
7

·
Organisationen sind hierarchisch gegliedert, das bedeutet manche Organisa-
tionsmitglieder verfügen über mehr Weisungsbefugnisse als andere.
Daraus ergibt sich folgende Definition: ,,Organisationen sind zielgerichtete und relativ
dauerhafte Zusammenschlüsse von Personen mit arbeitsteiliger und hierarchischer
Gliederung." (PROSCH 2000, S. 12)
PETSCHNIKER (2001, S. 79) liefert eine Definition, die die Gliederung der Organisa-
tion ausschließt und die Zielverfolgung in den Vordergrund rückt. ,,Eine Organisation
liegt dann vor, wenn sich mehrere Gruppen zu einem komplexen sozialen Gebilde zu-
sammenschließen, um ein bestimmtes Ziel zu verfolgen." Weiter benennt er die Hierar-
chie als klassische Organisationsform, ,,[...] gekennzeichnet durch Über- und Unter-
ordnung, durch Zentralgewalt und durch festgelegte Positionen." (PETSCHNIKER
2001, S. 92)
Vor diesem Hintergrund ist zu vermuten, welche Zwecke Führung in Organisationen
verfolgen könnte:
a) die Organisationsmitglieder so zu beeinflussen, dass ein gegebenes Ziel erreicht
wird,
b) die Organisation in ihrer formalen Struktur zu erhalten (zum Beispiel durch
,,Regeln" und ,,Normen") und
c) klare Machtverhältnisse zu schaffen.
KRONENBERG bestätigt diese Überlegungen, denn er hebt die Zweck- und Ziel-
orientierung der Organisation hervor, der die einzelnen Mitglieder nicht automatisch
folgen, sondern die an erster Stelle ihre eigenen Bedürfnisse befriedigen wollen. Stim-
men die Vorstellungen der Organisationsmitglieder auf Dauer nicht mit den Werten der
Organisation überein, kann diese Diskrepanz zum Ausscheiden aus der Organisation
oder zu deren Zerfall führen: ,,Auf der einen Seite steht die zweckorientierte Organisa-
tion mit festen Strukturen der Arbeitsabläufe und der Autoritätsbeziehungen, auf der
anderen Seite steht das Organisationsmitglied, dessen primäres Ziel im Vordergrund
steht, sein Bedürfnis nach Selbstachtung und Selbstverwirklichung zu befriedigen. So
steht der einzelne innerhalb einer Organisation in einem Spannungsfeld zwischen sei-
8

nen Bedürfnissen und den Vorstellungen und Handlungen anderer. Fallen die innerbe-
trieblichen Werte nicht mit den Werten und Bedürfnissen des MAs [=Mitarbeiters] zu-
sammen, [...] so wird es bei dem Organisationsmitglied zu keiner wirklichen Identifika-
tion mit dem Unternehmen kommen." (KRONENBERG 1996, S. 19)
Wie kann Führung diesen Konflikt zwischen Organisation und Mensch lösen? Das Or-
ganisationsmitglied muss die Möglichkeit haben, innerhalb formaler Strukturen, die er
als unauflösbar akzeptieren muss, eigene Bedürfnisse zu befriedigen. Dies kann er bei-
spielsweise in informellen Strukturen, die er aktiv mitgestalten kann. Ansonsten haben
die Mitglieder mit mehr Weisungsbefugnissen dafür Sorge zu tragen, dass die Werte der
Organisation und die ihrer Mitglieder nicht zu weit auseinander klaffen. PONGRATZ
(2003, S. 39) bezeichnet die Koppelung von Einzelinteressen der Organisationsmitglie-
der und gemeinsamen Zielen als die Grundproblematik von Führung.
HABERKORNs Definition soll als Zusammenfassung der letzten Gedanken dienen:
,,Führung ist die ziel- und ergebnisorientierte Steuerung menschlichen Verhaltens in
sozialen Zwecksystemen und ­verbänden unter Berücksichtigung der effektiven wirt-
schaftlichen, finanziellen und sachlichen Gegebenheiten mit der Absicht, die Ziele der
Institution so weitgehend als möglich mit denen der in ihnen tätigen Mitarbeiter in
Übereinstimmung zu bringen." (HABERKORN 1995, S. 17)
2.1.2 Führung ­ eine Begriffsannäherung
Das Verständnis von Führung in Organisationen, welches diese Arbeit durchzieht, hebt
sich vom umgangssprachlichen Verständnis ab. In der Einleitung wurde bereits auf Füh-
rung im weiteren Sinne eingegangen. Führung im engeren Sinne findet in formalen Hie-
rarchien statt, wie z. B. die Personalführung in Unternehmen. PETSCHNIKER (2001,
S. 2) spricht in diesem Zusammenhang von der ,,Organisationsform-Hierarchie" im
Gegensatz zur Rangordnung, die sich in Gruppen, wie z. B. dem Freundeskreis, kristal-
lisiert. Er definiert: ,,Personalführung ist eine besondere Form von Führung. [...] Als
,Personal` werden die Mitglieder moderner Arbeitsorganisationen in ihrem Status als
lohnabhängig beschäftige Arbeitskräfte gekennzeichnet. Führungskräfte sind von der
Betriebsleitung im Rahmen formaler Vorgesetztenpositionen beauftragt und ermächtigt,
9

die Optimierung der Arbeitsleistungen des Personals zu gewährleisten." (PONGRATZ
2003, S. 13)
Der Begriff ,,Personal" fasst Mitarbeiter und Vorgesetzte zusammen. DOPPLER (1999,
S. 131) hinterfragt die Differenzierung zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten: ,,Wo-
her kommt eigentlich das Wort ,,Mitarbeiter" und was will es uns wirklich sagen? Wa-
rum unterscheidet sich der Vorgesetzte vom Mitarbeiter? Arbeitet er nicht mit? Oder ist
es eine Verlegenheitslösung für das eigentliche Kompensationswort ,,Untergebener"?
Wäre ,,Partner" die bessere Bezeichnung? Dürfte es dann die Abgrenzungen durch
Chef oder Vorgesetzte geben?" DOPPLER vergleicht Führung hier mit Partnerschaft,
dem gleichberechtigten Miteinander von Führenden und Geführten, und spricht den ­
seiner Meinung nach diskussionsbedürftigen ­ Unterschied zwischen Mitarbeitern und
Vorgesetzten an.
Welches Verständnis haben andere Autoren vom Führungsbegriff? In den letzten Jahr-
zehnten hat sich in der Literatur eine unüberschaubare Menge an Führungsdefinitionen
angesammelt. Eine einheitliche Definition gibt es aufgrund der verschiedenen Wissen-
schaften nicht, die sich mit dem Führungsbegriff befassen. Auffällig ist, dass der Füh-
rungsbegriff entweder unter dem Aspekt der einseitigen Verhaltenssteuerung betrachtet
wird oder aber als gegenseitige Einflussnahme beider Beteiligten. Nach diesen beiden
Gesichtspunkten lassen sich die Definitionen ordnen:
VON ROSENSTIEL (2002, S. 185) betrachtet Führung als ,,absichtliche und zielbezo-
gene Einflussnahme einer Person auf das Verhalten der Mitglieder einer Arbeitsgrup-
pe", BLEICHER & MEYER (1976, S. 38) als eine ,,Verhaltenssteuerung geführter
durch führende personale Elemente" und LATTMANN (1982, S. 49) definiert Führung
als eine ,,Interaktionsbeziehung, bei welcher der eine Beteiligte (der Führer) ein auf die
Erreichung eines von ihm gesetzten Zieles gerichtetes Verhalten beim anderen Beteilig-
ten (dem Geführten) auslöst und aufrecht erhält". Alle Begriffsbestimmungen beinhal-
ten einseitige Machtausübung, die Steuerung von Geführten durch Führende.
Andere Autoren weiten ihren Blick auf die Mitarbeiter und deren Einfluss auf den Vor-
gesetzten aus. Die Geführten werden nicht nur als Objekte, sondern als ,,Subjekte der
Führung" (NEUBERGER 1995, S. 1) betrachtet. Weiter schreibt NEUBERGER (ebd.,
10

S. 61): ,,Führung ist ein multifaktorielles Geschehen, zu dessen Verständnis man bei
jedem dieser Faktoren (Führer, Geführte, Aufgabe, Organisation, Umwelt etc.) ansetzen
kann". Es geht nicht nur darum, dass undifferenziert Autorität ausgeübt wird, Befehle
erteilt und Anweisungen gegeben werden, sondern um einen ,,Interaktionsprozeß, der
sich zwischen Führendem und einem jeden der Geführten in unterschiedlicher Weise
abspielt" (SCHULER 2001, S. 333).
Im letzten halben Jahrhundert beschäftigte sich die Literatur vorrangig mit Führenden;
Geführte liegen erst seit kurzem im Fokus der Betrachtung. Eigenschaften, Verhalten
und Bedürfnisse von Führern sind erschöpfend untersucht worden, während man zum
Verhalten, den Einstellungen und Anliegen von Geführten noch relativ wenig weiß. Sie
waren nur von Interesse, um den Einfluss und die Effektivität des Führenden zu messen.
Wie Mitarbeiter die Kompetenz ihres oder ihrer Vorgesetzten einschätzen und welche
Rolle sie haben, findet erst seit kurzem Beachtung.
Die letzten Abschnitte lassen die Frage nach der Gleichförmigkeit von Führer-
Geführten-Interaktionen aufkommen. Sicherlich hat eine Führungskraft, begründet
durch ihre Position in der Hierarchie, mehr Einflussmöglichkeiten. WUNDERER be-
hauptet gegenteilig, dass Mitarbeiter sogar in einem relativ hohen hierarchischen Gefäl-
le einen enormen Einfluss besitzen können, wie etwa eine Sekretärin. Ihre Aufgabener-
füllung hat erhebliche Konsequenzen für andere Mitarbeiter und die Führungskraft.
Diesbezüglich spricht WUNDERER (2003, S. 254) von der ,,Führung des Chefs" oder
,,Führung von unten" als ,,[...] zielorientierte, wechselseitige und aktivierende soziale
Einflussnahme auf Personen einer höheren Hierarchiestufe zur Erfüllung gemeinsamer
Aufgaben." Dabei unterscheidet er die vorgesetzteninitiierte Führung von unten, bei der
der Führende den Geführten mehr Einflusspotential gewährt, und die mitarbeiterinitiier-
te Führung von unten, die von den Geführten gestaltet wird.
WUNDERER (2003, S. 4) liefert eine Begriffsdefinition, der sich die Autorin uneinge-
schränkt anschließt: "Führung wird verstanden als ziel- und ergebnisorientierte, akti-
vierende und wechselseitige, soziale Beeinflussung zur Erfüllung gemeinsamer Aufga-
ben in und mit einer strukturierten Arbeitssituation."
11

Die gegenseitige Einflussnahme von Mitarbeitern und Vorgesetzten ist in den letzten
Abschnitten mehrmals angesprochen wurden. Doch wo liegen die Unterschiede zwi-
schen Einfluss und Macht? VON ROSENSTIEL (1994, S. 15) geht auf positive und
negative Assoziationen ein: ,,Führung wird oft zwiespältig erlebt. Die einen denken an
Erfolg, Spitze, Verantwortung, Lebenschance; andere an Macht, Herrschaft, Gewalt
oder Unterdrückung." KEHR (2000, S. 38) bestätigt, dass Macht oft mit Zwang und
Kontrolle in Zusammenhang gebracht wird, wogegen Einfluss auf Freiwilligkeit und
Überzeugung beruht. Er bezieht sich auf HOLLANDER indem er schreibt, Führung
hätte mehr mit Einfluss als mit Macht zu tun, da Macht mit Kosten verbunden sei und
dadurch nur kurzfristig realisierbar wäre. Er schreibt ,,Führung ist eine besondere
Spielart des allgemeineren Phänomens sozialen Einflusses [...]." (ebd., S. 39) Schon
GIDDENS` These der Dialektik von Herrschaft (,,dialectic of control") aus den achtzi-
ger Jahren beleuchtet das Verhältnis von Herrschenden und Beherrschten als Span-
nungsfeld von Macht und Gegenmacht. Er erkannte, dass zwar ein Machtungleichge-
wicht zugunsten des Herrschenden besteht, der allerdings mit wirkungsvollen Gegen-
strategien der Beherrschten rechnen muss. STROEBE (2002, S. 13) geht auf den Ter-
minus des Einflusses bzw. der Beeinflussung ein, der oft mit Manipulation in Verbin-
dung gebracht wird: ,,Führen bedeutet ,,Beeinflussen". [...] Beeinflussen heißt nicht
manipulieren, den Mitarbeitern Entscheidungen verkaufen [...]; Beeinflussen heißt
nicht ,,Laisser-aller", also alles laufen lassen (,,Bequemlichkeitsliberalismus"). Beein-
flussen heißt nicht, andere wie Untergebene zu behandeln."
Nun zur Frage: Gibt es Organisationen, in denen keinerlei Führung stattfindet? VON
ROSENSTIEL 1994, S. 15) verneint dies: ,,Organisationen, Betriebe der Wirtschaft
oder Verwaltungen kommen ohne Führung nicht aus." Seine Behauptung hinterlegt er
mit einem Beispiel, der sogenannten ,,Turmbau-Übung", bei der Gruppen von jeweils
sechs Personen in zwei Stunden mit Pappstreifen, einer Schere, einer Rolle Klebestrei-
fen, einer Tube Klebstoff und einem Lineal einen hohen, schönen und stabilen Turm
errichten sollen. Nach anfänglichem Chaos und hitzigen Diskussionen setzt sich ein
Vorschlag durch. So entsteht nach und nach eine Ordnung: ein Führender koordiniert
die Aktivitäten, achtet auf die Zeitvorgabe und entscheidet über den Einsatz der be-
grenzten Materialien. So entwickelt sich in kurzer Zeit eine hierarchisch gegliederte
Organisation, deren Mitglieder durch Arbeitsteilung ein gemeinsames Ziel erreichen.
12

NEUBERGER (1995, S. 8) schließt sich an und nennt verschiedene Begründungen für
Führung als soziale Tatsache:
1.
Unmündigkeit: Menschen wollen geführt werden,
2.
Geschlossenheit: Menschen müssen geführt werden,
3.
Gesetzesartige Konstante: Hierarchie ist ein universelles soziales Prinzip,
4.
Ungleichheit: eine Elite, die der Motor jeglicher Entwicklung ist, soll das
Sagen haben,
5.
Zusammenhänge überblicken: Führung ist funktional.
Wenn Führung aus Organisationen ­ oder aus der gesamten Gesellschaft ­ nicht wegzu-
denken ist, sich niemand von dieser Verhaltensbeeinflussung befreien kann, dann bleibt
am Ende die Frage: Wie muss Führung gestaltet sein, damit sie nicht als Korsett emp-
funden wird, in dass der Mensch hineingepresst wird, nur weil er eben dieser Organisa-
tion oder dieser Gesellschaft angehört und deren Zwecke erfüllen muss?
HABERKORN (1995, S. 6 ff.) stellt folgende Anforderungen an moderne Personalfüh-
rung: ,,Die Art und Weise der Personalführung eines jeden Vorgesetzten und die Ar-
beitsbedingungen in ihrer Gesamtheit sollen eine Arbeitsatmosphäre schaffen, in der
Leistungswille und Mitarbeit des einzelnen gefördert und der Zusammenhalt der Beleg-
schaft gewährleistet werden. Probleme des guten Betriebsklimas und der Kontaktpflege
im Betrieb (human relations) spielen hierbei eine entscheidende Rolle. [...] Das Ver-
hältnis zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern wie auch die allgemeine Zusammenar-
beit müssen so geartet sein, daß sich die Mitarbeiter veranlasst fühlen, ihre Aufgaben
nach besten Kräften zu erfüllen und sich für ihre Arbeit in der Firma persönlich ständig
weiterzubilden. [...] Alle Mitarbeiter müssen die Überzeugung haben, daß sie gerecht
und nach einheitlichen Richtlinien geführt werden. [...] Die Kunst der Menschenfüh-
rung liegt deshalb stets darin, im richtigen Moment das richtige Wort zu finden, und
zwar nicht nur im Sinne von Schlagfertigkeit, sondern im Sinne von Motivation,
menschlicher Anteilnahme und persönlichem Engagement. [...] Die Mitarbeiter müssen
in der Durchführung ihrer Arbeit das größtmögliche Maß an Selbständigkeit haben, das
Stellung und Verantwortung des Vorgesetzten zulassen. [...] Die Information der Mit-
arbeiter ist aus zwei Gründen wichtig: zum einen kann ein Mitarbeiter, der nicht ganz
informiert ist, kein Interesse an seiner Arbeit entwickeln [...], zum anderen hängt die
13

Autorität des Vorgesetzten weitgehend von Intensität und Zeitpunkt seines Informiert-
seins ab. [...] Die Autorität des Vorgesetzten ruht auf zwei Grundlagen: Den einen Teil
seiner Autorität erhält der Vorgesetzte durch seine Stellung im Unternehmen, der zweite
Teil wird ihm von ,,unten" je nach seine Verhalten und seiner Befähigung zuerkannt."
Auf einen Großteil dieser Kriterien wird im Verlauf der Arbeit eingegangen.
Der Führungsprozess ist abhängig von einer Vielzahl unterschiedlicher Variablen:
strukturale Bedingungen (z. B. innerbetriebliche Regeln), die momentane Situation des
Führungsgeschehens, die Positionsmacht und hierarchische Ebene des Führenden, die
Größe und Art sowie der Organisation als auch der Arbeitsgruppe, die gegenseitige Ak-
zeptanz von Führenden und Geführten, die lebensgeschichtlichen Hintergründe der Be-
teiligten und deren Persönlichkeitsstrukturen, die Homogenität der Arbeitsgruppe, die
Sozial- und Kommunikationskompetenz der Beteiligten (vgl. KRONENBERG 1996, S.
119). Dies macht die außerordentliche Komplexität des Führungsprozesses deutlich.
Durch die zahllosen unkontrollierbaren Einflussfaktoren kann man Führungspersonen
keine Handlungsanweisungen geben, wodurch sie allerdings ebenso wenig an Hand-
lungsanweisungen gebunden sind. Zahlreiche Führungstheorien, die im folgenden Kapi-
tel überblicksweise dargestellt werden, stellen jedoch den Führungsprozess vereinfacht
dar, um Vorgesetzten die Führungsaufgabe zu erleichtern.
2.2 Führungstheorien
Nach NEUBERGER (1995, S. 3) waren 1980 etwa dreißig bis vierzig verschiedene
Führungstheorien auf dem Markt, die sich zum Teil auseinander heraus entwickelt ha-
ben. ,,In dem Bemühen, ein möglichst universell anwendbares und für möglichst viele
Forscher akzeptables Führungsmodell zu entwickeln und, um sowohl die Situations-
zusammenhänge als auch den Stil und das Verhalten des Führers, für erfolgreiches und
effektives Führen bestimmen zu können, ist bis heute eine fast unübersehbare Flut an
Forschungsprojekten durchgeführt worden." (WEINERT 1998, S. 418)
In einer Darstellung wird deutlich, womit sich nachfolgend angeschnittene Führungs-
theorien beschäftigen:
14

Führungsverhalten Führungsergebnisse
Führungsstil Führungserfolg
Führungsmerkmale Führungskonsequenzen
Abb. 1: Fragestellungen von Führungstheorien (WISWEDE 1995, S. 252)
Die Effizienzproblematik steht im Vordergrund, also z. B. die Frage nach dem wir-
kungsvollsten Führungsstil, wobei Randbedingungen, die Führungsverhalten beeinflus-
sen, seltener thematisiert werden.
2.2.1 Eigenschaftstheorie
Der Eigenschaftsansatz ist laut NEUBERGER (1995, S. 3) mehr als 2000 Jahre alt.
Auch heute noch wird er genutzt, z. B. zur Personalauswahl. ,,Die Eigenschaftstheorie
der Führung konzentriert sich auf die Führungsperson und lokalisiert in ihr die Bedin-
gungen sowohl ihres persönlichen Karriere-, wie des gemeinsamen Leistungs-Erfolgs."
(NEUBERGER 1995, S. 61) Er geht von der überlegenen Persönlichkeitsausstattung
von Führungskräften aus, wobei teilweise Uneinigkeit über die Eigenschaften herrscht,
die erfolgreiche Führende besitzen. Bestimmte Charaktereigenschaften, die den Erfolg
einer Führungskraft versprechen, werden durch Tests, Beobachtung, Nominierung, Ein-
stufung oder biographische Daten erfasst. Unanalysiert ist, wie sich Persönlichkeits-
merkmale in Verhaltensweisen übersetzen, denn Eigenschaften können keinen Füh-
rungserfolg ausmachen. Es sind Handlungen, die die Umwelt beeinflussen. NEUBER-
GER (1995, S. 65) stellt jedoch fest, dass einige erfolgsträchtige Eigenschaften in ei-
genschaftstheoretischen Untersuchungen mehrfach bestätigt werden konnten: Aktivität,
Energie, Erziehung, sozialer Status, Intelligenz, Aufstiegswille, Dominanz, Selbstver-
trauen, Leistungsmotiv, Drang, andere zu übertreffen, Kontaktfähigkeit und soziale Fer-
tigkeiten. Es gibt keine Führungskraft, die alle diese Persönlichkeitsmerkmale besitzt.
Vielmehr werden Führungspersonen diese Eigenschaften zugeschrieben. Da es ver-
schiedene Arten von Führenden gibt (politische, militärische, wirtschaftliche, gewerk-
schaftliche, religiöse) und männliche/weibliche Führende unterschieden werden müs-
sen, gibt es nicht die Führungseigenschaften, die für jeden Führenden von Bedeutung
sind.
15

WEINERT (1998, S. 426) stellt klar: ,,Die Persönlichkeitsvariable ist [...] nur eine un-
ter mehreren Einflußgrößen, von der der Führungserfolg letztlich abhängig ist [...]."
2.2.2 Verhaltenstheoretische Ansätze
Die Führungsforschung beschäftigt sich seit Beginn der 50er Jahre mit dem Stil und
dem Verhalten von Führungspersonen: Was tun sie und wie tun sie es, damit ihre Mit-
arbeiter effektiv und produktiv arbeiten und dabei zufrieden sind? WEINERT (1998, S.
427) unterscheidet zwei verschiedene Kategorien des Führungsverhaltens, die in mehre-
ren, voneinander unabhängigen Studien beobachtet wurden:
1. Arbeits- oder Aufgabenorientierung: der Vorgesetzte konzentriert sich auf das
Organisieren, Planen und Koordinieren, um eine bestimmte Aufgabe zu lösen;
2. Personen- oder Mitarbeiterorientierung: der Vorgesetzte wendet sich im Ar-
beitsprozess den persönlichen Bedürfnissen und Erwartungen der Mitarbeiter
zu.
Es gibt keine Führungsperson, die sich nur aufgaben- oder nur personenzentriert verhält.
Je nach Situation, Aufgabe oder Arbeitsgruppe variiert das Führungsverhalten, wie
TANNEBAUM & SCHMIDT 1973 in einem Kontinuum dargestellt haben. Dieses geht
von zwei Annahmen aus: Sind die Mitarbeiter unfähig, faul, verantwortungslos, unqua-
lifiziert, zeigen weder Initiative noch Bedürfnisse nach Unabhängigkeit, Selbstbestim-
mung und Mitbestimmung und kennen ihre Arbeitsziele nicht, wendet der Vorgesetzte
einen aufgabenorientierten Stil an. Das heißt, er übt starke Autorität und Kontrolle aus
und fällt Entscheidungen allein, die er anschließend der Gruppe verkündet. Er geht per-
sonenzentriert vor, wenn er annimmt, dass die Mitarbeiter qualifiziert und verantwor-
tungsvoll sind, Initiative zeigen, Selbstbestimmung fordern und die Ziele der Organisa-
tion kennen. Dann zeigt er sich demokratisch; erlaubt den Mitarbeitern, innerhalb ge-
wisser Grenzen, selbst Entscheidungen zu fällen und Arbeitsprozesse festzulegen und
spricht den Untergebenen die größtmögliche Freiheit zu. Er berücksichtigt deren Be-
dürfnisse und delegiert das Entscheidungsfällen (vgl. WEINERT 1998, S. 428)
Nachfolgend die wichtigsten Beiträge zur verhaltenstheoretischen Führungsforschung,
die unabhängig voneinander entwickelt und mehrfach erforscht und überprüft wurden.
16

Zwei-Faktoren-Führungstheorie
HEMPHILL, FLEISHMAN, STOGDILL & SHARTLE führten Anfang der 50er Jahre
an der Ohio-State-Universität eine Studie durch, die zwei voneinander unabhängige
Führungsfaktoren identifizierte: ,,initiation of structure" (I-S-Führungsstil) und ,,consi-
deration" (C-Führungsstil). Studien zu den Auswirkungen des jeweilig praktizierten
Führungsstils ergaben, dass Führende mit einem I-S-Stil ,,[...] positiv von ihren Vorge-
setzten bewertet wurden. Ihre Gruppen zeigten meist eine hohe Produktivität, aber auch
eine hohe Rate des Fernbleibens vom Arbeitsplatz, der Kündigungshäufigkeit, der Be-
schwerden um eine niedrige Einstufung der Arbeitszufriedenheit [...]." (WEINERT
1998, S. 431) Führungskräfte, die einen C-Stil anwenden, ,,[...] hatten meist kohäsive,
harmonische Gruppen mit hoher, individueller Arbeitszufriedenheit und niedrigen Ra-
ten an Kündigungshäufigkeit und Fernbleiben vom Arbeitsplatz." (WEINERT 1998, S.
431)
Trotz Einwänden zu Annahmen, Aussagen und Resultaten
2
der Ohio-Studien haben die
Forschungsbemühungen großen Einfluss auf weitere Modelle und Konzepte zum Füh-
rungsprozess ausgeübt.
Zwei-Faktoren-Führungstheorie von LIKERT
Gegen Ende der 40er Jahre starteten LIKERT, KATZ, MACCOBY, KAHN und SEA-
SHORE an der Universität von Michigan, unabhängig von FLEISHMAN und seiner
Arbeitsgruppe, Studien zu Führungsstilen und zur Führungseffizienz. Wie bei den Ohio-
Studien wurden wiederum zwei verschiedene Führungsstile gefunden: produktionszent-
riert und personenzentriert. Die Ergebnisse sind ähnlich denen der Zwei-Faktoren-
Theorie von FLEISHMAN. So schreibt WEINERT (1998, S. 435): ,,[...] daß ein pro-
duktionszentrierter Stil dem personenzentrierten Stil überlegen sein kann, wenn es um
eine reine, momentane Produktivität und Arbeitsleistung geht. Geht es aber um die
Messung von Langzeitperspektiven, wie Dauerleistung, Verantwortlichkeit, Eigeninitia-
2
Mehrere Kritikpunkte finden sich bei WEINERT (1998, S. 432 f.).
17

tive, Arbeitszufriedenheit, Entscheidungseffizienz oder Kündigungshäufigkeit, dann ist
der personenzentrierte Führungsstil weit effektiver."
Grid-System von BLAKE & MOUTON
Ähnlich wie FLEISHMAN und LIKERT gehen BLAKE & MOUTON von zwei Di-
mensionen für effektive Führung aus: das Interesse für Personen bzw. Mitarbeiter und
das Interesse für die Produktion bzw. das Erreichen der Arbeitsziele, die anders als bei
obigen Autoren grundsätzlich voneinander abhängig sind. Eine Führungsperson kann
nicht nur entweder an den Mitarbeitern oder an der Produktion interessiert sein, sondern
auch hoch oder niedrig an beiden Dimensionen gleichermaßen sein. Für den Führungs-
erfolg ist es sogar notwendig, beide Führungsstile in sich zu vereinigen. In einem Quad-
ranten-Raster-System kann man fünf Führungsstile darstellen:
1/9
9/9
5/5
1/1
9/1
Intere
sse fü
r
Pe
rso
ne
n
Interesse für Produktion, Aufgaben und Ziele
Abb. 2: Das
Grid-System
im
Quadranten-Raster
Durch die graduelle Abstufung an beiden Führungsdimensionen ergeben sich 81 Füh-
rungsstile, von denen fünf eine große Bedeutung für die Entwicklung eines optimalen
Führungsstils haben. Der ,,ideale" Führungsstil im Modell ist Führungsstil 9/9, der ein
Maximum an Mitarbeiter- und Aufgabenorientierung bietet. Vertrauen und Respekt sind
Schlüsselworte in der Beziehung zwischen Führenden und Geführten, die gemeinsame
18

Organisationsziele verfolgen und in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis ste-
hen (vgl. WEINERT 1998, S. 437).
In Organisationen findet das Grid-Führungsmodell häufig Verwendung, obwohl ent-
sprechende Forschungsliteratur rar ist. Hauptgrund dafür ist, dass das Modell ein Ent-
wicklungsprogramm bietet (Entwicklung der Führungseffizienz von Gruppenführern)
und leicht anwendbar ist.
Vier-Faktoren-Führungsmodell von BOWERS & SEASHORE
BOWERS & SEASHORE benutzen vier Dimensionen, um den Führungsprozess in Or-
ganisationen zu erklären und heben sich damit von den bisher beschriebenen Ansätzen
ab, die nur zwei Faktoren heranziehen. Sie möchten der Komplexität des Führungsver-
haltens gerecht werden und schlagen folgende Dimensionen vor:
·
Unterstützung und Hilfe (Wertschätzung durch den Führenden),
·
Erleichterung der zwischenpersönlichen Interaktion (zufriedenstellende Bezie-
hungen am Arbeitsplatz),
·
Betonung der Gruppen- bzw. der organisationellen Arbeitsziele (Anleitung und
Motivation) sowie
·
Erleichterung der Arbeit und Arbeitsbedingungen (z. B. Bereitstellen der not-
wendigen Arbeitsmittel).
(vgl. WEINERT 1998, S. 438 f.)
In verschiedenen Untersuchungen konnte nachgewiesen werden, dass diese vier Füh-
rungsdimensionen mit verschiedenen Faktoren der Arbeitszufriedenheit zusammenhän-
gen.
2.2.3 Situationstheorien
Die Situationstheorien beschränken sich nicht mehr nur auf das Verhalten einer Füh-
rungskraft, welches Erfolg erwarten lässt, sondern beziehen die Situationsvariable ein:
19

Wie muss sich eine Führungskraft im Kontext der jeweiligen Situation (z. B. unter Be-
rücksichtigung der Bedürfnisstruktur der Geführten) verhalten?
WEINERT (1998, S. 443) meint: ,,Als erwiesen gilt, daß die Effizienz eines Gruppen-
führers von gewissen Bedingungen der Situation abhängig ist, und daß diese Bedingun-
gen praktisch darüber entscheiden, welcher Führungsstil in einer bestimmten Situation
angebracht ist, um eine Gruppe dem Erreichen ihrer Aufgaben und ihrer Ziele näher zu
bringen, Zufriedenheit, Engagement und Initiative der Mitglieder zu verbessern und
ihre Bedürfnisse zu erfüllen." Anschließend die kurze Auflistung einiger situationstheo-
retischer Ansätze.
Das situative Führungsmodell von HERSEY & BLANCHARD
HERSEY und BLANCHARD unterscheiden den aufgabenbezogenen und den mitarbei-
terbezogenen Stil, als Erweiterung des Grid-Ansatzes (siehe oben). Je nach Entwick-
lungsstand der Geführten (Leistungsmotivation, Verantwortungsübernahme, Ausbil-
dung bzw. Erfahrung) verhält sich eine Führungsperson eher aufgaben- oder mitarbei-
terorientiert, was sich in vier Grundstilen niederschlägt: Unterweisen/Anweisen, Ver-
kaufen, Partizipieren/Unterstützen und Delegieren. Das Modell setzt voraus, dass ein
Führender einen längeren Zeitraum mit seinen Mitarbeitern verbringt, um deren ,,Rei-
fung" einschätzen zu können.
Der Kontingenzansatz von FIEDLER
FIEDLER schlägt die drei Dimensionen a) Beziehung zwischen Führer und Gruppe, b)
Strukturiertheit der Aufgabe und c) Macht und Autorität der Führungsposition vor. Ein
Instrument, mit dem der Vorgesetzte den Mitarbeiter einschätzt, mit dem er am wenigs-
ten gern zusammenarbeitet, bestimmt den praktizierten Stil des Führenden. Ergebnis ist,
dass einige Führungspersonen zwischen individueller Persönlichkeit und Qualität der
Arbeit unterscheiden, während andere beides vermengen. Jeder Führungsstil kann effi-
zient sein, wenn er zur Führungssituation passt. Einen besonderen Stellenwert nimmt
die Beziehung zwischen Führer und Geführten ein, oder anders ausgedrückt, die Grup-
penatmosphäre.
20

Path-Goal-Theorien
HOUSE u. a. gehen davon aus, dass erfolgreiche Führungspersonen die Arbeitsziele
ihrer Mitarbeiter kennen und sie auf ihrem Weg dorthin unterstützen. Ihnen ist bewusst,
dass ein Gruppenmitglied eine Handlung, die dem Erreichen des Gruppenzieles dient,
nur dann aufnimmt, wenn es ihm auch persönlich Nutzen bringt. Um das Arbeitsverhal-
ten eines Mitarbeiters vorherbestimmen zu können, muss der Vorgesetzte über dessen
Erwartungen im Bilde sein und die Wertigkeit kennen, die ein bestimmtes Ergebnis für
den Geführten hat. Zwei Situationsvariablen bestimmen den Führungsstil: die persönli-
chen Charakteristika der Gruppenmitglieder und die Strukturiertheit der Aufgabe. Das
Weg-Ziel-Modell weist darauf hin, dass ein hoher Grad der Anleitung und Anweisung
durch den Vorgesetzten durchaus Arbeitszufriedenheit auslösen kann, wenn eine un-
strukturierte Aufgabe dies erfordert. Nach HOUSE existieren unterstützende, direktive,
partizipative und leistungsorientierte Führungsstile, wobei eine Führungsperson nicht
auf einen Stil festgelegt ist.
Das partizipative Entscheidungsmodell von VROOM & YETTON
VROOMs und YETTONs Führungstheorie ­ ebenfalls ein Kontingenzmodell ­ verbin-
det Führungsverhalten und Partizipation und stellt Regeln zur Verfügung, wie man in
bestimmten Situationen Form und Menge an partizipativer Entscheidung festlegt. Somit
beschäftigt sie sich mit einem einzigen Aspekt der gesamten Führungsaufgabe, nämlich
dem Mitspracherecht von Mitarbeitern. Zugrunde liegt auch hier die Annahme, dass
eine Führungskraft mehrere Führungsstile praktizieren muss, um sich der Situation an-
zupassen. Vorgesetzten stehen verschiedene Entscheidungsalternativen zur Verfügung
(autoritäre Entscheidung, konsultative Entscheidung oder Gruppenentscheidung), die sie
je nach Gruppenproblem auswählen. Die Wirksamkeit und Effizienz einer Entscheidung
wird nach drei Kriterien bewertet: Qualität oder Rationalität der Entscheidung, Akzep-
tanz der Entscheidung bei den Mitarbeitern sowie die erforderliche Zeit des Entschei-
dungsfällens.
Auf den letzten Seiten sind verschiedene Führungsstile angesprochen worden, allerdings
fehlt noch die Abgrenzung zum Führungsverhalten. FIEDLER unterscheidet zwischen
Führungsverhalten und Führungsstil: ,,Führungsverhalten bezieht sich lediglich auf die
21

Aktivitäten des Führers, die in hohem Maße von der Situation abhängig sind, wohinge-
gen sich der Führungsstil auf eine dem Verhalten des Führers zugrundeliegende Be-
dürfnisstruktur bezieht, die über verschiedene Situationen hin relativ stabil bleibt [...]."
(WEINERT 1998, S. 422)
Nach welchen Gesichtspunkten entscheidet sich eine Führungsperson für den einen oder
anderen Führungsstil? WEINERT (1998, S. 416) gibt mehrer Faktoren an:
1.
die Art der Arbeit (z. B. Routine oder strukturiert);
2.
die Organisationsebene, in der der Führungsprozess stattfindet;
3.
das Organisationsklima;
4.
die Größe der Arbeitsgruppe;
5.
die Homogenität der Arbeitsgruppe (Ähnlichkeit der Mitglieder untereinander);
6.
die Arbeits- und Lebenswerte der Mitarbeiter;
7.
der Einfluss des Vorgesetzten nach ,,oben", innerhalb der Organisations-
hierarchie;
8.
das Be- und Entlohnungssystem und
9.
die Persönlichkeit der Führungsperson.
Hier wird deutlich, dass man generell nicht feststellen kann, welcher Führungsstil der
Beste ist. Fest steht: Führungsstil bzw. Führungsverhalten wirken sich aus auf Arbeits-
leistung, Arbeitszufriedenheit, Motivation, Einstellungen/Haltungen, das Fernbleiben
vom Arbeitsplatz, die Kündigungshäufigkeit und das Verantwortungsgefühl der Mitar-
beiter.
Als Fazit zu diesem Kapitel soll KEHR zitiert werden, der Kritik an eigenschaftstheore-
tischen, führungsstiltheoretischen und situationalen Ansätzen übt: ,,Führerzentrierte
Ansätze ignorieren den Kontext und lassen sich dementsprechend empirisch kaum bele-
gen. Führungsstiltheoretische und situationale Ansätze wiederum vernachlässigen die
Interaktion von Person und Situation [...]. Aus dieser Kritik gehen kontingenztheoreti-
sche [...] und transaktionale Führungsmodelle [...] hervor." (KEHR 2000, S. 28 f.)
Interaktion und Transaktion sind bedeutende Stichworte für die gesamte Arbeit, beson-
ders für das nächste Kapitel, welches Interaktions- und Austauschprozesse ausführlich
beleuchtet.
22

2.3 Interaktions- und austauschtheoretische Betrachtungen
Die ersten Theorien und Forschungen zum Führungsverhalten vernachlässigen, dass das
Verhalten einer Führungsperson abhängig ist von den Geführten. Eine Führungskraft
legt keinen stabilen ,,Durchschnitts-Führungsstil" (WEINERT 1998, S. 477) an den
Tag, vielmehr variiert ihr Verhalten von Mitarbeiter zu Mitarbeiter. Der Vorgesetzte
passt sein Verhalten an die Bedürfnisse des einzelnen Mitarbeiters an, was Interaktions-
prozesse erfordert. PONGRATZ (2003, S. 137) erkennt: ,,Erst in jüngerer Zeit mehren
sich Ansätze, welche Führung als eine interaktive Wechselwirkung mit gegenseitigen
(wenn auch ungleich strukturierten) Einflußmöglichkeiten zu konzeptualisieren und da-
mit auch den Geführten einen aktiven Handlungsstatus zuzusprechen versuchen." Füh-
rung als wechselseitige Einflussnahme beschreiben mehrere Autoren und Wissenschaft-
ler:
,,Führung gründet sich auf den hergestellten Dialog zwischen der Führungskraft und
dem Subjekt Mitarbeiter. Dabei werden Führer zu Geführten und Geführte zu Führern,
d.h. Beeinflussung läuft wechselseitig ab." (KRONENBERG 1996, S. 121)
,,Aufgrund interaktionstheoretischer Überlegungen ist zu erwarten, daß auch Mitarbei-
ter Einfluß auf das Verhalten von Vorgesetzten ausüben, daß also die Beeinflussungs-
richtung keine einseitige, nur vom Vorgesetzten ausgehende ist, wie es die Vorstellung
vom Führen nahelegen könnte." (FLÜGGE 1994, S. 245)
,,Führung als Produkt der Interaktion wird nur zu einem Teil durch das Verhalten des
Führers beeinflußt." (KEHR 2000, S. 52)
GEBERT (2002, S. 25 f.) stellt Führung aus der Perspektive der Interaktion zwischen
Führendem und Geführtem grafisch dar. Er weist darauf hin, dass Führung immer noch
als vereinfachter Prozess gesehen wird, der innerhalb einer Dyade stattfindet. Auch die
Ausweitung der Interaktionsperspektive auf die Gruppenebene stellt er als unzureichend
dar, da Interaktionprozesse in komplexe Netzwerke eingebettet sind, die auch über die
Gruppe hinaus reichen. Diese Komplexität bleibt in der Arbeit allerdings außen vor, da
sie in diesem Rahmen nur unzureichend erfasst werden kann.
23

Erfolg der
Dyade
Situation
Kognitionen
Kognitionen
Verhalten
des
Führenden
Verhalten des
Geführten
Abb. 3: Führender-Geführten-Interaktion
Was beinhaltet der Begriff ,,Interaktion"? Schon WEICK (1985) spricht von ,,doppelten
Interakten" und meint damit die wechselseitige Beeinflussung von Führenden und Ge-
führten. SCHETTGEN (1991, S. 201) stellt fest: ,,Es handelt sich hier im Prinzip um
eine Neuauflage der in der Sozialpsychologie ,,historischen" Behauptung von LEWIN,
dass Verhalten eine Funktion von Person und Umwelt sei. So reagiert die Person des
Vorgesetzten auf eine Umwelt, in der neben anderen physikalischen und sozialen Grö-
ßen auch die Person des Mitarbeiters eine Rolle spielt. [...] Das Verhalten des Vorge-
setzten ist zwar durch die Wahrnehmung, die er von seinem Mitarbeiter hat, mitbedingt.
Aber dabei bleibt es nicht. Die Reaktion des Vorgesetzten wird zum ,,Reiz" für den Mit-
arbeiter [...]." KEHR (2000, S. 35) erklärt Interaktionen folgendermaßen: das Verhal-
ten einer Person wirkt als durch Wahrnehmungsprozesse gefilterter Stimulus für die
übrigen Gruppenmitglieder. Deren Reaktion auf diesen Stimulus wird als Interakt be-
zeichnet. Ein doppelter Interakt liegt vor, wenn sich daraufhin wiederum eine Reaktion
zeigt. PONGRATZ (2003, S. 28) versteht die Führungsinteraktion als ,,komplementär
verschränktes Handlungsmuster von Vorgesetzten und Untergebenen".
MERKENS & SEILER weisen darauf hin, dass Interaktion ein sehr weit zu fassender
Begriff ist. Als Zusammenfassung einer ausgedehnten Diskussion des Begriffes, treffen
sie folgende Festlegung: ,,,Interaktion` meint überwiegend direkte Beziehungen in face-
to-face-Situationen. [...] ,Interaktion` bezieht sich vor allem auf ,normale` Begegnun-
gen, in denen Reziprozität möglich ist. [...] ,Interaktion` bezieht sich vorwiegend auf
dyadische Situationen." (MERKENS & SEILER 1978, S. 19)
24

Laut PONGRATZ (2003, S. 47 f.) ist Interaktion bei der Aushandlung der alltäglichen
Arbeitsteilung dringend notwendig, denn eine Führungsperson kann zwar Anweisungen
erteilen, aber oft müssen die Ausführenden im Verlauf des Arbeitsprozesses spontane
Entscheidungen treffen. Alle am Arbeitsprozess beteiligten Akteure benötigen Hand-
lungsspielraum zur aktiven Gestaltung wechselseitiger ,,Arrangements", d. h. es laufen
ständig Abstimmungsprozesse (Aushandlungen) ab, ohne die ein subjektives Verständ-
nis des Arbeitsprozesses und der Arbeitsteilung unmöglich sind.
Aushandlungen bestimmen die Austauschbeziehungen zwischen Führenden und Ge-
führten. HOMANS entwickelte 1957 auf Grundlage der Forschungsergebnisse SKIN-
NERs zum operanten Konditionieren von 1953 seine Austauschtheorie. Diese besagt,
dass Individuen immer Kosten und Nutzen ihrer Handlungen abwägen, was durchaus
auch im Unterbewusstsein geschieht. Er übernimmt damit das aus der Ökonomie stam-
mende Prinzip der Opportunitätskosten. Zur Darstellung von Austauschbeziehungen
gibt HOMANS ein Exempel: Tragen Mitarbeiter eine höhere Verantwortung, erwarten
sie dafür auch eine bessere Bezahlung. Damit ein Individuum aus einer Beziehung
überhaupt einen Nutzen ziehen kann, muss es allerdings den Erwartungen seines Ge-
genübers entsprechen. Das bedeutet im Beispiel, dass ein Vorgesetzter nur dann mehr
Verantwortung an seinen Mitarbeiter überträgt, wenn er glaubt, dass dieser der neuen
Aufgabe auch gerecht wird.
WISWEDE (1995, S. 99) richtet sein Hauptaugenmerk auf die Theorie von THIBAUT
& KELLEY mit den Hauptaussagen: ,,Wenn das Ergebnis einer sozialen Interaktion als
Differenz zwischen Belohnung und Kosten positiv ist, besteht die Wahrscheinlichkeit,
daß soziale Beziehungen beibehalten werden. Die Gemeinsamkeit der Verfolgung be-
stimmter Ziele oder Aktivitäten verändert (erhöht meistens) den Wert (Valenz) dieser
Aktivität oder dieses Ziels (,,gemeinsame Freude ist doppelte Freude"). [...] Wichtig
ist, daß die jeweiligen Individualerträge höher sein können (zu Lasten des Interaktions-
partners) und daß Kompromisse einen höheren Gesamtertrag erwarten lassen."
Die Austauschtheorie richtet ihre Aufmerksamkeit auf die Bedingungen sozialen Ver-
haltens und macht individuelles Verhalten durch die Kosten-Nutzen-Überlegung erklär-
bar. Dabei spielen Wahrnehmung, Bewertungsprozesse und Erwartungen, die an die
individuelle Lerngeschichte geknüpft sind, eine große Rolle. Die subjektive Bewertung
25

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2004
ISBN (eBook)
9783832491512
ISBN (Paperback)
9783838691510
DOI
10.3239/9783832491512
Dateigröße
726 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Erfurt – Erziehungswissenschaftliche Fakultät
Erscheinungsdatum
2005 (Dezember)
Note
1,5
Schlagworte
mitarbeiter vorgesetzter personal verhalten führungstheorie
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