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Vertragsverhandlungen mit russischen Partnern

Ein Beitrag zur Theorie und Praxis interkultureller Verhandlungen

©2005 Diplomarbeit 116 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
In den letzten Jahren gewinnen die Ost-West-Beziehungen zunehmend an Bedeutung. Immer häufiger kommt es nicht nur zu privaten, sondern auch verstärkt zu geschäftlichen Kontakten mit Vertretern osteuropäischer Länder. Eine besondere Stellung kommt dabei Russland zu. Durch zunehmende Modernisierung und Stabilisierung des Landes hat sich Russland zu einem der dynamischsten Märkte mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 6,75 Prozent entwickelt.
Der russische Wirtschaftsmarkt mit seinen etwa 145 Millionen Konsumenten (Bundesstatistikamt Russland 2004) bietet enorme wirtschaftliche Chancen und eröffnet unendliche Möglichkeiten für internationale wirtschaftliche Verbindungen. Auch deutsche Geschäftsleute haben dieses Potential erkannt und engagieren sich verstärkt auf dem russischen Markt. Der Erfolg jeder Zusammenarbeit hängt dabei in entscheidendem Maße von den vorangegangenen Verhandlungen ab. Neben der Problematik des Verhandelns im Allgemeinen kommt es bei Verhandlungen mit russischen Partnern zu Kommunikationsherausforderungen im Bezug auf den sprachlichen Gebrauch. Dies wird weitgehend durch den Einsatz der englischen Sprache als Lingua franca oder eines Dolmetschers gelöst. Aber wenn man auch die gleiche Sprache wie z.B. Englisch spricht, garantiert es keine einwandfreie Verständigung zwischen Parteien aus unterschiedlichen Kulturen, da diese weiterhin in eigenen kulturspezifischen Kategorien denken und auch dementsprechend handeln. Das ist in erster Linie der Grund für die Missverständnisse zwischen den in eine geschäftliche Beziehung eingebundenen Menschen.
Die Überwindung dieser Problematik ist von großer Bedeutung im Russlandgeschäft und entscheidet über Erfolg oder Missverfolg einer Verhandlung. Nicht selten wird aber Russland wegen der geographischen Nähe unterschätzt. Auf den ersten Blick erscheinen das Land und die Leute vertraut, doch die kulturellen und mentalitätsbedingten Unterschiede machen oft nicht nur die Verständigung, sondern auch das Verständnis für den russischen Partner fast unmöglich. Ist der deutsche Partner nicht bereit, kulturelle Unterschiede zu akzeptieren und eine Beziehung zu seinem russischen Geschäftspartner aufzubauen, sind Verhandlungen zum Scheitern verurteilt.
Vor diesem Hintergrund ergeben sich für die vorliegende Arbeit folgende Fragen: Welche kritischen Punkte sind im Verhandlungsverlauf mit einem russischen Partner zu beachten? Was kennzeichnet russische […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 9075
Detzel, Ludmila: Verhandlungen mit russischen Partnern - Ein Beitrag zur Theorie und
Praxis interkultureller Verhandlungen
Hamburg: Diplomica GmbH, 2005
Zugl.: Universität Osnabrück, Diplomarbeit, 2005
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2005
Printed in Germany

2
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis...5
Abbildungsverzeichnis...7
Tabellenverzeichnis...7
1. Einleitung...8
1.1 Hintergrund und Fragestellung...8
1.2 Vorgehensweise...9
2. Deutsch-russische Wirtschaftsbeziehungen...9
3. Kultur, Kulturdimensionen, Kulturstandards...11
3.1 Der Kulturbegriff...11
3.2 Kulturdimensionen nach Hofstede...13
3.3 Die GLOBE-Studie...14
3.4 Kulturstandardmethode nach Thomas...15
3.5 Notwendigkeit interkultureller Kompetenz...16
4. Verhandlungen...17
4.1 Definition des Verhandlungsbegriffs...17
4.2 Ebenen einer Verhandlung nach Zeisberg...18
4.3 Prozessebene: Verlaufsstruktur einer Verhandlung...19
4.3.1 Vorbereitung einer Verhandlung...19
4.3.2 Ablauf: Fünf-Phasen-Modell der Verhandlungsführung nach Hartig...21
4.3.3 Abschluss...25
4.3.4 Nachbereitung und Umsetzung...25
4.4 Methodische Ebene: Verhandlungsstrategien und ­taktiken...25
4.4.1 Verhandlungsstrategien...25
4.4.1.1 Das ,,dual concern" Modell...26
4.4.1.2 Integratives Verhandeln nach Pruitt...28
4.4.1.3 Das Harvard-Konzept...30
4.4.2 Verhandlungstaktiken...32
4.4.2.1 Verbale Taktiken...33
4.4.2.2 Nonverbale Taktiken...34

3
4.5 Soziale Ebene: Auswirkungen unterschiedlicher Wertesysteme auf den Erfolg
interkultureller Verhandlungen...35
4.5.1 Abschluss- versus beziehungsorientierte Geschäftskulturen...35
4.5.2 Formelle versus informelle Geschäftskulturen: Hierarchien, Status und
Respekt...35
4.5.3 Interkulturelle Kommunikationsbarrieren...37
4.5.3.1 Verbale Kommunikation...38
4.5.3.2 Paraverbale Kommunikation beim Verhandeln: Stimmlage,
Schweigen...39
4.5.3.3 Nonverbale Kommunikation beim Verhandeln: Distanzverhalten,
Gesten, Berührung und Blickkontakt...40
4.5.3.3.1 Das Raumkonzept...40
4.5.3.3.2 Die Bedeutung von Zeit...41
4.6 Fazit: Erfolgsfaktoren einer interkulturellen Verhandlung...42
5. Anwendung der Kulturtheorien auf Russland...43
5.1 Vergleich zwischen Russland und Deutschland anhand Hofstedes
Dimensionen...43
5.2 Studie von Naumov und Puffer zur Charakterisierung der russischen Kultur
anhand von Hofstedes Dimensionen...44
5.2.1 Individualismus-Kollektivismus...45
5.2.2 Machtdistanz...46
5.2.3 Maskulinität-Feminität...47
5.2.4 Unsicherheitsvermeidung...48
5.2.5 Paternalismus...48
5.2.6 Fazit...50
5.3 Zentrale russische Kulturstandards...51
5.3.1 Gruppenbezogenheit...51
5.3.2 Hierarchiebewusstsein...51
5.3.3 Paternalismus...51
5.3.4 Emotionalität...52
5.3.5 Situative Polarität...52
5.3.6 Gegenwartsbezogene Prozessorientierung...53
5.3.7 Pessimismus/Fatalismus...53
5.4 Einige Hintergründe der russischen Kulturstandards...53

4
6. Besonderheiten einer Verhandlung mit russischen Partnern...54
6.1 Prozessebene: Vorbereitung einer Verhandlung...55
6.1.1 Verlauf...58
6.1.2 Russische Verhandlungstypen...59
6.1.3 Vertrag und seine Erfüllung...61
6.1.4 Pflege sozialer Beziehungen im Rahmen einer Verhandlung...62
6.2 Methodische Ebene: Verhandlungsstrategien und ­taktiken...63
6.2.1 Russischen Verhandlungsführung...63
6.2.2 Übertragbarkeit der Verhandlungstheorien auf die Wahl einer Strategie...65
6.2.3 Bevorzugte Taktiken russischer Verhandlungspartner...66
6.3 Soziale Ebene: Auswirkungen russischer Kultur und Mentalität auf den Erfolg
einer Verhandlung...68
6.3.1 Informelle Netzwerke und Bürokratie...68
6.3.2 Kommunikationsstil russischer Verhandlungspartner...68
6.3.2.1 Verbale Kommunikation...68
6.3.2.2 Paraverbale Kommunikation: Emotionen in einer Verhandlung...69
6.3.2.3 Nonverbale Kommunikation beim Verhandeln mit russischen
Partnern: Körpersprache, Blickkontakt...69
6.3.2.3.1 Kultur der Berührung und Körpernähe...69
6.3.2.3.2 ,,Zeit ist Zeit und Geld ist Geld" ­ Zeitverständnis im
russischen Geschäftsleben...70
7. Schlussbetrachtung...71
Literaturverzeichnis...73
Anhang A: Ergänzende Abbildungen zum Text...79
Anhang B: Ergänzende Übersichten zum Text ...82
Anhang C: Fragebogen und Ergebnisse der Umfrage...89

5
Abkürzungsverzeichnis
Abb. Abbildung
AHK Auslandshandelskammer
AO abschlussorientiert
BO beziehungsorientiert
bzw. beziehungsweise
CN China
klj. kljZgbpZ (Seite)
DDR Deutsche Demokratische Republik
DE Deutschland
d.h. das heißt
DK Dänemark
ed. edited (herausgegeben)
engl. englisch
et al. et alliis (und andere)
evtl. eventuell
f folgende
GB Großbritannien
GLOBE Global Leadership and Organizational Behaviour Effectiveness Program
HK Hong Kong
Hrsg. Herausgeber
IDV Individualismus
i.e. ie id est (das heißt)
IFIM Institut für interkulturelles Management
IfM Institut für Mittelstandsforschung
Inc. incorporated (amtlich eingetragen)
IT Informationstechnologie
JP Japan
k. A. keine Angabe
km
2
Quadratkilometer
Ltd. Limited (mit beschränkter Haftung)
LTO Langzeitorientierung
MAS Maskulinität

6
Mio. Million
Mrd. Milliarde
Nr. Nummer
PDI Power Distance Index
RU Russland
rus. russisch
S. Seite
SE Schweden
SG Singapur
TW Taiwan
USA United States of America
vgl. vergleiche
UAI Uncertainty Avoidance Index
usw. und so weiter
u. U. unter Umständen
WTO World Trade Organization
z.B. zum Beispiel

7
Abbildungsverzeichnis
Abb.1: Ebenen der Verhandlungsführung...11
Abb.2: The dual concern model...20
Abb.3: Der interkulturelle Kommunikationsgraben...31
Abb.4: Verschiedene Stile paraverbaler Kommunikation...32
Abb.5: The 5 Dimensions Model of professor Geert Hofstede...36
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Handel zwischen Deutschland und Russland...3
Tabelle 2: Formelle versus informelle Kulturen...29
Tabelle 3: Expressive versus reservierte Kulturen...30
Tabelle 4: Intensität des Blickkontakts...33
Tabelle 5: Körperkontakt und Distanzverhalten...34
Tabelle 6: Scores on Hofstede's Cultural Dimensions...37

8
,,Mit dem Verstand kann man Russland nicht erfassen...
...An Russland kann man nur glauben."
F.I. Tjutchev
1
1. Einleitung
1.1 Hintergrund und Fragestellung
In den letzten Jahren gewinnen die Ost-West-Beziehungen zunehmend an Bedeutung.
Immer häufiger kommt es nicht nur zu privaten, sondern auch verstärkt zu geschäftli-
chen Kontakten mit Vertretern osteuropäischer Länder. Eine besondere Stellung kommt
dabei Russland zu. Durch zunehmende Modernisierung und Stabilisierung des Landes
hat sich Russland zu einem der dynamischsten Märkte mit einer durchschnittlichen jähr-
lichen Wachstumsrate von 6,75 Prozent
2
entwickelt. Der russische Wirtschaftsmarkt mit
seinen etwa 145 Millionen Konsumenten (Bundesstatistikamt Russland 2004) bietet
enorme wirtschaftliche Chancen und eröffnet unendliche Möglichkeiten für internatio-
nale wirtschaftliche Verbindungen. Auch deutsche Geschäftsleute haben dieses Poten-
tial erkannt und engagieren sich verstärkt auf dem russischen Markt. Der Erfolg jeder
Zusammenarbeit hängt dabei in entscheidendem Maße von den vorangegangenen Ver-
handlungen ab. Neben der Problematik des Verhandelns im Allgemeinen kommt es bei
Verhandlungen mit russischen Partnern zu Kommunikationsherausforderungen im Be-
zug auf den sprachlichen Gebrauch. Dies wird weitgehend durch den Einsatz der engli-
schen Sprache als Lingua franca oder eines Dolmetschers gelöst. Aber wenn man auch
die gleiche Sprache wie z.B. Englisch spricht, garantiert es keine einwandfreie Verstän-
digung zwischen Parteien aus unterschiedlichen Kulturen, da diese weiterhin in eigenen
kulturspezifischen Kategorien denken und auch dementsprechend handeln. Das ist in er-
ster Linie der Grund für die Missverständnisse zwischen den in eine geschäftliche Be-
ziehung eingebundenen Menschen. Die Überwindung dieser Problematik ist von großer
Bedeutung im Russlandgeschäft und entscheidet über Erfolg oder Missverfolg einer
Verhandlung. Nicht selten wird aber Russland wegen der geographischen Nähe unter-
schätzt. Auf den ersten Blick erscheinen das Land und die Leute vertraut, doch die kul-
turellen und mentalitätsbedingten Unterschiede machen oft nicht nur die Verständigung,
sondern auch das Verständnis für den russischen Partner fast unmöglich. Ist der deut-
1
Zitiert nach Baumgart/Jänecke 2000, S. 48.
2
Der durchschnittlichen Wachstumsrate liegen jährlich erreichte Wachstumsraten zugrunde: 1999 ­
6,4%, 2000 ­ 10,0%, 2001 ­ 5,1%, 2002 ­ 4,7%, 2003 ­ 7,3%, 2004 ­ 7% (in Anlehnung an Russland-
analysen 2004a und Dworezkaja 2004, S. 73).

9
sche Partner nicht bereit, kulturelle Unterschiede zu akzeptieren und eine Beziehung zu
seinem russischen Geschäftspartner aufzubauen, sind Verhandlungen zum Scheitern
verurteilt.
Vor diesem Hintergrund ergeben sich für die vorliegende Arbeit folgende Fragen: Wel-
che kritischen Punkte sind im Verhandlungsverlauf mit einem russischen Partner zu be-
achten? Was kennzeichnet russische Verhandlungsführung und welche Taktiken werden
in Verhandlungen bevorzugt? Wie wirken sich die russische Kultur und Mentalität auf
den Verlauf und Erfolg einer Verhandlung aus?
3
1.2 Vorgehensweise
Die vorliegende Arbeit ist in sieben Kapitel gegliedert. Im zweiten Kapitel werden die
deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen vorgestellt. Das dritte Kapitel widmet sich
der Bedeutung von Kultur und deren Auswirkung auf das Verhalten von Menschen. Um
das Konstrukt Kultur besser zu verstehen, werden zum einen die Dimensionen von Hof-
stede und zum anderen die Kulturstandardmethode nach Thomas kurz vorgestellt. Im
vierten Kapitel werden die drei Ebenen einer Verhandlung nach Zeisberg erläutert und
für jede Ebene charakteristische Aspekte dargestellt. Im fünften Kapitel werden die be-
reits im dritten Kapitel vorgestellten Kulturforschungen nach Hofstede und nach Tho-
mas auf Russland übertragen. Das sechste Kapitel entspricht in seinem Aufbau der
Struktur des vierten Kapitels und geht konkret auf die Verhandlungen zwischen deut-
schen und russischen Partnern auf jeder Ebene ein. Dafür werden einerseits die Litera-
turrecherchen und andererseits die Ergebnisse der eigenen Umfrage von einigen hunder-
ten deutscher Unternehmen und Institutionen mit einem Engagement in Russland einge-
setzt. Ferner wird überprüft, inwieweit die im vierten Kapitel beschriebenen Verhand-
lungstheorien bei der Strategiewahl für eine Verhandlung mit russischen Partnern ge-
eignet sind. Im letzten Kapitel erfolgt die abschliessende Zusammenfassung der Arbeit.
2. Deutsch-russische Wirtschaftsbeziehungen
Seit mehr als einem Jahrzehnt befindet sich Russland in einem schwierigen, aber auch
sehr positiven Transformationsprozess. In dieser Zeit wurden bereits viele Wirtschafts-
reformen durchgeführt. Besonders der russische Präsident Wladimir Putin hat die Mo-
dernisierung des Landes durch Privatisierung, die Reform von Grund und Boden, das
Recht für die Gründung von Kapitalgesellschaften und neue Steuerpolitik vorangetrie-
3
Es wird keine Unterscheidung zwischen dem Anlass, aus dem eine Verhandlung durchgeführt wird,
vorgenommen.

10
ben und somit die Rahmenbedingungen für Investoren deutlich verbessert (Ost-Aus-
schuss der deutschen Wirtschaft 2004). Infolge dieser Entwicklung zieht Russland im-
mer mehr ausländische Investitionen an.
Deutschland gehört zu den größten Investoren des Landes. Seit den neunziger Jahren
hat Deutschland über 10 Milliarden US-Dollar in Russland investiert (Schröder 2004b).
Bei den ausländischen Direktinvestitionen steht Deutschland mit 2,5 Mrd. US-Dollar an
fünfter Stelle nach USA, Zypern, Niederlande und Großbritannien. Deutschland ist
ebenfalls der wichtigste Handelspartner Russlands. Russland bezieht mehr als 14 Pro-
zent aller Importe aus Deutschland (Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft 2004). Da-
bei handelt es sich um Maschinen, Fahrzeuge und Fahrzeugteile, Nahrungsmittel, elek-
trotechnische und chemische Erzeugnisse (siehe Anhang A, S. 79). Zu russischen Ex-
porten nach Deutschland zählen in erster Linie Erdöl, Produkte aus Erdöl und Erdgas,
Mineralölerzeugnisse, Holz und Holzprodukte, Metall und Stall (Meier 2004, siehe An-
hang A, S. 79). Die nachfolgende Tabelle liefert einen Überblick über den deutsch-rus-
sischen Handel der letzten Jahre.
Jahr
Russische
Exporte
nach
Deutschland
in Mrd.
Euro
Wachstum
in %
Deutsche
Exporte
nach
Russland
in Mrd.
Euro
Wachstum
in %
Handelsbilanz
2000
8,4
56,8
6,7
31,70
15,06
2001
14,6
42,5
10,3
35,08
24,86
2002
13,2
-10,6
11,4
9,76
24,57
2003
14,2
7,04
12,1
6,11
26,31
2004
14,7
3,40
15,3
20,80
30,00
*2005
*15,4
*4,55
*17,5
*12,57
*46,90
*geschätzte Werte
Tabelle 1: Handel zwischen Deutschland und Russland, in Anlehnung an Meier 2004
und AHK 2005.
Aktuell sind mehr als 3.500 deutsche Unternehmen auf dem russischen Markt aktiv.
Viele Unternehmen planen, ihre Aktivitäten im Russlandgeschäft zu erweitern und ihre
Produktionsstandorte nach Russland zu verlegen (Schröder 2004b und Schröder/Putin
2005). Zu den wichtigsten Zielbranchen deutscher Unternehmen, die sich auf dem rus-
sischen Markt engagieren, zählen Energiebereich, Biotechnologien, Maschinen- und

11
Anlagebau, Automobilzulieferindustrie, Luft- und Raumfahrt, Informations- und Tele-
kommunikationstechnologien, Pharma, Nahrungsmittelverarbeitung sowie Groß- und
Einzelhandel (Schröder 2004a).
Das Vorhaben deutscher Unternehmen, sich verstärkt in Russland einzusetzen, trifft auf
die Zustimmung des russischen Unternehmertums. So haben auf der Hannover Messe
2005 neben den 6.090 Ausstellern aus 65 Ländern auch 150 Unternehmen der russi-
schen Industrie im Bereich der technologischen Neuentwicklungen für alle Industrie-
branchen ausgestellt und damit ein ,,konkretes Angebot zur Zusammenarbeit" signa-
lisiert (Schröder/Putin 2005).
Der Beitritt Russlands zu WTO, über den bereits verhandelt wird, wird sich zusätzlich
positiv auf die ökonomische Entwicklung Russlands auswirken, zu mehr Transparenz
der Wettbewerbsbedingungen und zu mehr Rechtssicherheit führen und somit zur Integ-
ration Russlands in die Weltwirtschaft beitragen (Schröder 2004a).
Die enge Partnerschaft zwischen Deutschland und Russland besteht aber nicht nur auf
politischer und wirtschaftlicher Ebenen. Zunehmend werden die Beziehungen und der
kulturelle Austausch zwischen den Völkern beider Länder gefördert und gefestigt. Es
werden intensive Kontakte zwischen den beiden Parlamenten, Regionen, Behörden und
Institutionen unterhalten. Durch immer steigende Anzahl an Städtepartnerschaften kom-
men sich die Menschen beider Völker näher. Von diesen Begegnungen waren vor allem
die deutsch-russischen Kulturjahre 2003/2004 geprägt. Besonders wichtig sind die zahl-
reichen Austauschprogramme zwischen den Schulen und Universitäten, denn die Zu-
kunft der deutsch-russischen Partnerschaft hängt vor allem von der jungen Generation
ab. ,,Nur wenn junge Russen und Deutsche einander begegnen, gegenseitiges Interesse
entwickeln und einander besser verstehen lernen, wird das Bewusstsein für die Bedeu-
tung des deutsch-russischen Verhältnisses wach gehalten." (Schröder 2004a).
Die Sensibilisierung beider Kulturen füreinander ist der Garant für den Erfolg am Ver-
handlungstisch und somit für den Erfolg zukünftiger Kooperationen. Um die Bedeutung
kultureller Unterschiede und Einflüsse bei interkulturellen Verhandlungen besser zu
verstehen, soll in folgendem Kapitel das Konstrukt Kultur näher beschrieben werden.
3. Kultur, Kulturdimensionen, Kulturstandards
3.1 Der Kulturbegriff
In der Literatur existiert eine Fülle von Definitionen des Begriffs Kultur. Grund dafür
sind die zahlreichen Forschungsrichtungen, die sich mit dieser Thematik auseinander

12
setzen. Kroeber und Kluckhohn haben in den fünfziger Jahren 164 verschiedene Auf-
fassungen des Kulturbegriffs analysiert und eine umfassende Definition vorgeschlagen,
die heute weitgehend akzeptiert wird (Meyer 2004, S. 71, Dowling/ Schuler 1998, S. 31
und Bierbrauer 2002, S. 270).
,,Culture consists of patterns, explicit and implicit, of and for behaviour acquired and
transmitted by symbols, constituting the distinctive achievement of human groups, in-
cluding their embodiments in artefacts; the essential core of culture consists of tradi-
tional (i.e. historically derived and selected) ideas and especially their attached value;
culture systems may, on the one hand, be considered as products of action, on the other
hand as conditioning elements of further action" (vgl. Kroeber und Kluckhohn (1952),
zitiert nach Meyer 2004, S. 71 und Dowling/Schuler 1998, S. 31).
Dieser erweiterte Kulturbegriff umgreift sowohl explizite als auch implizite Kulturphä-
nomene. Explizite Kultur ist offensichtlich und wird von Menschen bewusst wahrge-
nommen. Sie basiert einerseits auf materiellen Objekten in Form von menschlichen
Erzeugnissen wie z.B. Gebäude, Denkmäler, Kleidung, Nahrung und andererseits auf
sozialen Interaktionen unter Mitgliedern einer Kultur. Implizite Kultur beinhaltet Über-
zeugungen, Einstellungen, Denkweisen, Werte und Normen und ist so selbstverständ-
lich, dass sie den Menschen oft unbewusst ist (Zeisberg 2003, S. 24 und Meyer 2004, S.
71, siehe Anhang A, S. 80).
Hofstede (2001, S. 9f) definiert Kultur als ,, the collective programming of the mind that
distinguishes the members of one group or category of people from another." Er sieht
seine Formulierung als eine Kurzdefinition, die alle Aspekte der Definition von Kroeber
und Kluckhohn beinhaltet. Mit dem Wort ,,mind" fasst Hofstede den Kopf, das Herz
und die Hände zusammen, die für das Denken, Fühlen und Handeln stehen und Kon-
sequenzen für Glauben, Einstellungen und Verhaltensmuster haben.
Beide Definitionen sehen Kultur als ein kollektives Phänomen, d.h. Kultur wird von
einer Gruppe geteilt und umfasst verhaltenssteuernde Grundannahmen und Wertvor-
stellungen, die innerhalb dieser Gruppe von Generation zu Generation weitergegeben
werden. Kultur wird demnach nicht vererbt, sondern erlernt (Hofstede 1997, S. 3f, siehe
Anhang A, S. 80).
Diese Definitionen verdeutlichen vor allem den großen Einfluss von Kultur auf inter-
personelle Interaktionen und somit auf den Kommunikationsprozess und den Erfolg in-
terkultureller Begegnungen. Aufgrund kultureller Unterschiede kommt es oft zu Proble-
men und Konflikten unter den beteiligten Personen. Es gibt viele Forschungsrichtungen,

13
die sich mit dieser Problematik beschäftigen und nach Lösungsvorschlägen suchen. Die
kulturvergleichende Managementforschung
4
bietet unter anderem einen Ansatz, bei dem
das Konstrukt Kultur in verschiedene Dimensionen aufgespaltet wird. Anhand dieser
Dimensionen können einzelne Länder und Kulturkreise beschrieben und miteinander
verglichen werden. Die bedeutendste Studie auf diesem Gebiet ist die Studie von Hof-
stede (Perlitz 2000, S. 282, 297f).
3.2 Kulturdimensionen nach Hofstede
Hofstede untersuchte eine der umfangreichsten Datenmengen aus einer Erhebung, an
der weit über hunderttausend Angestellte eines internationalen Unternehmens in 67
Ländern teilgenommen haben. Die Auswertung der Fragebögen führte zur Identifikation
von ursprünglich vier Dimensionen: Individualismus-Kollektivismus, Machtdistanz,
Maskulinität-Femininität und Unsicherheitsvermeidung. Eine spätere Untersuchung von
Michael Harris Bond lieferte eine fünfte Dimension, die unter dem Namen Langzeitori-
entierung bekannt ist (Hofstede 1997, S. 16-18).
Die Dimension Individualismus-Kollektivismus beschreibt, inwieweit sich Menschen
einer Gesellschaft als selbständige, unabhängige Individuen oder eher als ein Teil einer
Gruppe mit Werten wie Gruppensolidarität oder -harmonie verstehen (Bierbrauer 2002,
S. 274).
Machtdistanz spiegelt das Ausmaß gesellschaftlicher Akzeptanz über die ungleiche Ver-
teilung von Macht in Organisationen wider (Hofstede 1997, S. 32). In Ländern mit ho-
her Machtdistanz sind Organisationen durch steile Hierarchien und einen autoritären
Führungsstil gekennzeichnet. Mitarbeiter befolgen die Anweisungen von Vorgesetzten
und vermeiden es, dem Vorgesetzten zu widersprechen. In Ländern mit geringer Macht-
distanz ist die Barriere zwischen den Vorgesetzten und Mitarbeitern eher gering. Mitar-
beiter werden nach ihrer Meinung gefragt und in Entscheidungen miteinbezogen (Hof-
stede 2001, S. 102-110).
Die Dimension Maskulinität-Femininität beschreibt inwieweit die Geschlechterrollen
innerhalb einer Gesellschaft klar definiert und voneinander abgegrenzt sind. Eine mas-
kuline Gesellschaft ist durch materiellen Erfolg, Konkurrenzdenken und starke Leis-
4
Die kulturvergleichende Managementforschung (KVM) untersucht den Einfluss kultureller Faktoren auf
Managementprozesse. Sie identifiziert, beschreibt und erklärt Unterschiede und Gemeinsamkeiten in
Grundannahmen, Werten und Normen sowie Verhaltensmustern zwischen zwei oder mehreren Kulturen.
Auf der Basis der Ergebnisse der Beschreibungen, Vergleiche und Klassifizierungen von verschiedenen
Kulturen werden Theorien und Modelle über den Zusammenhang zwischen Managementvorgängen und
kulturellen Faktoren entwickelt. Anhand dieser Theorien sollen erfasste Phänomene erklärt und ggf. Ge-
setzmäßigkeiten abgeleitet werden (Perlitz 2000, S. 292).

14
tungsorientierung geprägt, während eine feminine Gesellschaft Wert auf Lebensqualität
und zwischenmenschliche Beziehungen legt, eher Kompromisse eingeht und Kooperati-
onen schätzt (Hofstede 1997, S. 113 und Perlitz 2000, S. 283f).
Unsicherheitsvermeidung wird von Hofstede (1997, S. 156) definiert als ,,der Grad, in
dem die Mitglieder einer Kultur sich durch ungewisse oder unbekannte Situationen be-
droht fühlen." Stark unsicherheitsvermeidende Kulturen versuchen solche Situationen
durch Gesetze, Regeln und Verhaltensvorschriften zu vermeiden. Sie sind sehr intole-
rant gegenüber abweichendem Verhalten und neuen Ideen. In schwach unsicherheitsver-
meidenden Kulturen besteht eine höhere Toleranz gegenüber Abweichungen und ande-
ren Meinungen (Hofstede 2001, S. 146-148 und Dowling/Schuler 1998, S. 44).
Die fünfte Dimension Langzeitorientierung beschreibt eine Grundorientierung im Leben
eines Menschen, die eher langfristig oder eher kurzfristig sein kann. Langfristig orien-
tierte Menschen einer Gesellschaft zeichnen sich durch Ausdauer, Zielstrebigkeit, harte
Arbeit und Lernbereitschaft aus, während für die kurzfristig orientierten Menschen per-
sönliche Standhaftigkeit, Respekt vor Status, Statusverpflichtungen und Tradition, Wah-
rung des Gesichts sowie Erwiderung von Gefälligkeiten und Geschenken im Vorder-
grund steht (Hofstede 2001, S. 354). Hofstede hat in den jeweiligen Dimensionen Indi-
ces für die beteiligten Länder berechnet und diese auf einer Skala von 0 bis 100 in eine
Rangordnung gebracht, um Unterschiede zwischen den Ländern aufzuzeigen.
3.3 Die GLOBE-Studie
Im Jahr 2004 wurde die GLOBE-Studie veröffentlicht. Sie aktualisiert nicht nur Hof-
stedes Forschungen, sondern erweitert diese um weitere Dimensionen. Die Dimensio-
nen Machtdistanz, Unsicherheitsvermeidung und Langzeitorientierung (in der GLOBE-
Studie Zukunftsorientierung genannt) wurden weitgehend übernommen. Die Dimension
Individualismus-Kollektivismus wurde in zwei Dimensionen aufgespaltet: Societal Col-
lectivism und In-Group Collectivism. Auch Hofstedes Maskulinität-Femininität wurde
in zwei Dimensionen gesplitet: Geschlechtergleichheit (Gender Egalitarianism) und
Selbstbewusstsein (Assertivenes). Zwei weitere Dimensionen beschreiben Leistungsori-
entierung (Performance Orientation) und Menschenorientierung (Humane Orientation)
(House et al. 2004, S. 1-48 und IFIM 2003, siehe Anhang A, S. 81).
Die GLOBE-Studie bietet zwar aktuellere Ergebnisse im Vergleich zu Hofstede, doch
bislang basiert sie auf einer geringeren Datenbasis von siebzehn Tausend Befragten.
Hofstedes Untersuchung basiert dagegen auf über hunderttausend Befragten. Außerdem
wird bei der aktuellen Studie eine andere Skala verwendet, so dass ein Vergleich mit

15
Hofstedes Ergebnissen nicht möglich ist. Aus diesen Gründen sollen bei der Charakteri-
sierung von Russland im Kapitel 5 die Dimensionen von Hofstede verwendet werden.
3.4 Kulturstandardmethode nach Thomas
Die Kulturstandardmethode wurde von Thomas als eine Alternative zur Kulturfor-
schung nach Hofstede entwickelt. Thomas (1995, S. 87) beschreibt Kulturstandards als
zentrale Merkmale einer Kultur und gibt folgende Definition des Begriffs: ,,Unter Kul-
turstandards werden alle Arten des Wahrnehmens, Denkens und Handelns verstanden,
die von der Mehrzahl der Mitglieder einer bestimmten Kultur für sich persönlich und
andere als normal, selbstverständlich, typisch und verbindlich angesehen werden. Eige-
nes und fremdes Verhalten wird auf der Grundlage dieser Kulturstandards beurteilt und
reguliert."
Krewer (1996, S. 152) sieht Kulturstandards als ,,Mittel der Selbst- und Fremdreflexion
in interkulturellen Begegnungen" an. Diese sollen dabei helfen, das Denken, Fühlen und
Verhalten des fremdkulturellen Partners verständlich und kommunizierbar zu machen.
Die Kulturstandardmethode basiert auf komparativen narrativen Interviews mit Rück-
koppelungen
5
. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen die Erfassung der zur Beurtei-
lung des Verhaltens zugrunde liegenden Werthaltungen und Annahmen, eigen- und
fremdkulturelle Beurteilungen sowie Anpassungs- und Bewältigungsstrategien der Ma-
nager in einer kritischen Situation (Fink/Meierewert 2001, S. 5-8). Die Besonderheit
dieser Methode liegt darin, dass zur Ermittlung der Kulturstandards immer nur zwei
kulturelle Orientierungssysteme im Bezug zu einander analysiert werden können.
Kulturstandards sind nicht bei allen Mitgliedern einer Kultur im gleichen Maße ausge-
prägt, deswegen können lediglich vorherrschende Tendenzen, sozusagen typisches bzw.
durchschnittliches Verhalten von Mitgliedern einer Kultur beschrieben werden (Schroll-
Machl 2003, S. 29-31).
5
Die Interviewpartner, überwiegend Manager, wurden nach kritischen Situationen gefragt, in denen sie
das Verhalten ihrer ausländischen Partner als nicht erwartet, fremd und ungewöhnlich erlebten. Sie wur-
den außerdem gebeten, eine mögliche Erklärung für das Verhalten der ausländischen Partner zu geben
und zu schildern, wie sie selbst mit dieser kritischen Situation umgegangen sind und ob sie ihr Verhalten
der Situation angepasst haben oder nicht. Die Rückkoppelung wurde hergestellt durch das Abgleichen der
Eigen- und Fremdbeurteilungen, indem eine geschilderte Situation zwischen zwei Menschen aus unter-
schiedlichen Kulturen den Angehörigen beider beteiligten Kulturen vorgelegt und anschließend diskutiert
wurde. Wenn durch die Mitglieder der Eigenkultur wahrgenommene Kultureigenschaft der Fremdkultur
auch durch die Mitglieder der Fremdkultur bestätigt wurden, konnte tatsächlich ein Kulturstandard ermit-
telt werden (Fink/Meierewert 2001, S. 5-8). Die aus den Interviews und Eigen- und Fremdbeurteilungen
gewonnenen Informationen wurden zu zentralen und nicht-zentralen Kulturstandards verdichtet, bis zu
zehn Kulturstandards pro Kultur wie z.B. Titelverwendung, Regelorientierung, Beziehungsorientierung
usw. (Thomas 1995, S. 87).

16
Die Kulturstandardmethode stellt daher nicht den Anspruch, eine bestimmte Kultur
vollständig beschreiben zu können, sondern versucht ,,die für eine spezifische Kultur ty-
pische Ausprägung menschlichen Wahrnehmen, Fühlen, Denken und Handeln zu erfas-
sen" und dadurch kulturell bedingte Unterschiede und Ähnlichkeiten im Handeln aber
auch die Hintergründe dieses Verhaltens zu erklären (Thomas et al. 2003, S. 20 und
Fink/ Meierewert 2001, S. 9).
Thomas et al. (2003, S. 21) machen darauf aufmerksam, dass Kulturstandards leicht mit
Vorurteilen gleichgesetzt werden können, da diese auch typisches Verhalten der Men-
schen einer Kultur beschreiben. Den Unterschied sehen die Autoren darin, dass Kultur-
standards anhand einer systematischen Analyse der tatsächlich erlebten Handlungssitua-
tionen ermittelt werden und nicht eine vereinfachte und unreflektierte Bemerkung oder
Meinung wiedergeben.
Fink und Meierewert (2001, S. 9, 11f) merken kritisch an, dass mit den Interviews le-
diglich eine Momentaufnahme erfasst wird, die den sozialen Wandel, dem eine Gesell-
schaft unterliegt, unberücksichtigt lässt. Die Methode des narrativen Interviews selbst,
d.h. die Art und Weise, wie man ein Interview durchführt und wie die Befragten ant-
worten, direkt oder eher allgemein, bedarf aufgrund ihrer starken Kulturabhängigkeit
einer Anpassung an die jeweilige Kultur, in der die Erhebungen durchgeführt werden.
3.5 Notwendigkeit interkultureller Kompetenz
Die kulturvergleichende Managementforschung liefert mit Hilfe verschiedener Theorien
wie etwa Dimensionen von Hofstede und der Kulturstandardmethode von Thomas An-
haltspunkte zur Erfassung der Auswirkungen kultureller Unterschiede der Kooperati-
onspartner bzw. der Verhandlungspartner auf die Gestaltung und Verlauf internationaler
Zusammenarbeit. Die sowohl unterschiedlichen Ausprägungen der Partner in Hofstedes
Dimensionen als auch unterschiedliche Kulturstandards bringen unterschiedliche Wert-
haltungen und Wahrnehmungen der beteiligten Parteien mit sich. Diese Differenzen
können zu Missverständnissen und dadurch oft zu Misserfolg oder gar zum Scheitern
des Geschäftes führen. Das Wissen über die interkulturellen Aspekte im geschäftlichen
Umgang miteinander und die Fähigkeit, fremde Kulturen zu verstehen, hilft die Risiken
internationaler Aktivitäten zu minimieren. Diese Fähigkeit wird als interkulturelle Kom-
petenz bezeichnet. Hammer et al. (2003, S. 422) beschreiben eine Person als interkutu-
rell kompetent, die sich für fremde Kulturen interessiert, kulturelle Unterschiede wahr-
nimmt, sich auf fremdkulturelle Regeln, Normen, Sitten und Gebräuche einstellt und in

17
der Lage ist, eigenes Verhalten als ein Zeichen des Respekts den Menschen aus anderen
Kulturen gegenüber zu modifizieren.
Die Praxis zeigt, dass viele Menschen die Anforderung, interkulturell kompetent zu
sein, nicht erfüllen und immer noch davon ausgehen, dass die eigene Wahrnehmung der
Welt und die eigenen Bewertungsmaßstäbe richtig sind und auch für die Menschen aus
anderen Kulturen gelten (Thomas 1996, S. 16). Diese Einstellung beeinflusst auch das
Management. Die interkulturelle Dimension der Zusammenarbeit wird zum Teil stark
von den Entscheidungsträgern vernachlässigt. Diese haben ,,mangelnde Sensibilität für
die Kulturthematik" und setzen sich zu wenig damit auseinander, was es bedeutet, mit
einem Partner mit anderen Werten und Normen, Annahmen und Wahrnehmungen, Ein-
stellungs- und Verhaltensmustern zusammen zu arbeiten (Meyer 2004, S. 121f). Die
Ähnlichkeitsannahme gegenüber ausländischen Partnern oder das fehlende Verständnis
für fremde Kulturen führen oftmals zu kulturbedingten Managementproblemen. Die Lö-
sung dieser Probleme hat das interkulturelle Management zum Gegenstand. Das inter-
kulturelle Management befasst sich also mit der konkreten Gestaltung von Manage-
mentprozessen mit dem Ziel, entsprechende Lösungsvorschläge für effizientes interkul-
turelles Handeln bereit zu stellen. Die Grundlage für die Lösungsvorschläge können die
Ergebnisse der kulturvergleichenden Managementforschung (siehe S. 13) liefern (Per-
litz 2000, S. 297f).
4. Verhandlungen
4.1 Definition des Verhandlungsbegriffs
Im Laufe des Lebens finden sich Menschen oft in Situationen wieder, in denen sie be-
wusst oder unbewusst verhandeln, sei es eine Diskussion mit der Familie über das näch-
ste Urlaubsziel oder Freizeitaktivitäten oder das Aushandeln eines günstigen Preises
beim Autokauf. Alle Bereiche des Lebens, ob privat oder geschäftlich, sind von Ver-
handlungen geprägt. Es wird jeden Tag verhandelt, auch wenn es manchmal nicht als
eine Verhandlung eingestuft wird. Dabei ist eine Verhandlung nichts anderes, als eine
Form, von anderen Personen etwas zu bekommen und ggf. dafür eine Gegenleistung zu
erbringen. Eine Verhandlung ist also eine ,,wechselseitige Kommunikation mit dem
Ziel, eine Übereinkunft zu erreichen" (Fisher et al. 2001, S. 15).
Pruitt und Carnevale (1993, S. 2) definieren Verhandeln als eine Diskussion zwischen
zwei oder mehreren Parteien mit dem Zweck, miteinander unvereinbare Ziele aufzulö-

18
sen und sehen Verhandlungen als eine Möglichkeit an, mit den sozialen Konflikten
umzugehen.
4.2 Ebenen einer Verhandlung nach Zeisberg
Eine Verhandlung hängt von situativen Faktoren wie Institutionen, Strategien, Taktiken
und Personen ab (Wagner/Helm Petersen 1993, S. 268, 270) und setzt sich aus mehre-
ren Bestandteilen zusammen, die nicht alle auf den ersten Blick erkennbar sind. Dies
stellt Zeisberg (2001, S. 12) anhand des Modells der drei Ebenen der Verhandlungsfüh-
rung anschaulich dar. Er vergleicht dieses Modell mit einem Eisberg.
Abb. 1: Ebenen der Verhandlungsführung, in Anlehnung an Zeisberg 2003, S. 12.
Genauso wie bei einem Eisberg nur die Spitze sichtbar ist, ist bei einer Verhandlung nur
der Verlauf beobachtbar. Ein Verhandlungspartner erlebt das Verhalten seines Gegen-
übers, seine Körpersprache, er nimmt seine Worte wahr und erkennt seine offenen Zie-
le. Das vollzieht sich auf der Prozessebene. Die Methodische Ebene ist für den Ver-
handlungspartner weniger erkennbar. Er erkennt nicht die verdeckten Ziele, Strategien
und Taktiken des anderen. Er kann u. U. erst nach der Verhandlung erkennen, was sein
Geschäftspartner angestrebt hat. Absolut verborgen bleibt die Soziale Ebene, d.h. Emo-
tionen und Motivationen des Partners, seine Werte und Normen, Tradition und Kultur
(Zeisberg 2003, S. 12 und Daeubner/Hennrich 2001, S. 19f).
Da die Zugehörigkeit der an Verhandlungen beteiligten Personen zu verschiedenen
Kulturkreisen auf allen Ebenen zu völlig abweichenden Ausprägungen führt, soll das
Methodische Ebene
Ziele, Strategien und
Taktiken
Soziale Ebene
Kommunikation, Emotionen, Werte, Traditionen
Prozessebene
Vorbereitung,
Ablauf,
Nacharbeit
nicht sichtbar
sichtbar

19
Augenmerk verstärkt auf kulturelle Unterschiede gerichtet werden. Diese komplizieren
eine Verhandlung zusätzlich und erhöhen die Wahrscheinlichkeit, Fehler zu machen
(Zeisberg 2003, S. 50f).
4.3 Prozessebene: Verlaufsstruktur einer Verhandlung
In diesem Kapitel wird die Prozessebene der Verhandlungsführung beschrieben. Dabei
wird im Detail auf alle Phasen (Vorbereitung, interaktiver Prozess, Abschluss sowie
Nacharbeitung und Umsetzung), über die sich eine Verhandlung zwischen Geschäfts-
partnern erstreckt, eingegangen.
4.3.1 Vorbereitung einer Verhandlung
In der Literatur wird der Vorbereitung einer Verhandlung ein hoher Stellenwert beige-
messen. Wagner und Helm Petersen (1993, S. 272f) unterscheiden einen selbstbezoge-
nen, einen fremdbezogenen und einen interaktionsbezogenen Teil der Vorbereitung. Im
Hinblick auf den selbstbezogenen Teil der Vorbereitung soll jede Partei als erstes eigene
Verhandlungsposition ausarbeiten, d.h. eigene Interessen spezifizieren und diese in kon-
krete Zielsetzungen umwandeln. Dabei soll die Prioritätenrangfolge der Ziele festgelegt
werden. Die Autoren weisen außerdem explizit auf die Notwendigkeit hin, eine Skala zu
entwickeln, auf der der Zielerreichungsgrad gemessen werden kann. Weiterhin soll die
eigene Position im Hinblick auf Stärken und Schwächen des Verhandlungsführers und
des Verhandlungsteams überprüft werden. Darüber hinaus empfiehlt Adler (2002, S.
223) Überlegungen über die beste Alternative zur möglichen Verhandlungslösung
anzustellen, für den Fall, dass keine Lösung gefunden werden kann, die den eigenen
Interessen im angemessenen Umfang entspricht.
Neben der Vorbereitung im Bezug auf den Verhandlungsgegenstand selbst ist es wich-
tig, das Verhandlungsteam richtig auszuwählen und auf eine Verhandlung mit (interkul-
turellen) Partnern intensiv vorzubereiten. Die Auswahl der Teammitglieder, die Krite-
rien und Qualifikationen, anhand derer ausgewählt wird, die Entscheidungsbefugnis ein-
zelner Mitglieder und der Einsatz von bestimmten Strategien und Taktiken unterliegen
laut Bierbrauer (2002, S. 280) kulturellen Einflüssen und wirken sich auf den Prozess
einer Verhandlung und auf deren Erfolg aus. So sind z.B. europäische Manager häufig
der Meinung, dass Verhandlungen durch gute Vorbereitung und geschickte Planung
zum Erfolg werden. Außerdem sollen Verhandler in der Lage sein, unter Zeitdruck zu
handeln, sich schnell auf neue Situationen einzustellen und über gute Produktkennt-
nisse, Formulierungs- und Darstellungsgabe verfügen. Die wichtigsten Qualitätskrite-

20
rien eines erfolgreichen europäischen Verhandlers sind demnach rational-intellektueller
und kommunikativer Natur. Bei chinesischen Managern stehen eher interpersonale und
emotionale Qualifikationen eines Verhandlers im Vordergrund. Sie glauben, dass das
Durchhalte- und Durchsetzungsvermögen, die Fähigkeit, Achtung und Vertrauen zu ge-
winnen und Vermeidung von Überreaktionen und Gefühlsausbrüchen, also Selbstbe-
herrschung der Schlüssel zu erfolgreichen Verhandlungen ist (Adler 2002, S. 214f und
Hartig 1995, S. 82-84). Es ist ebenfalls von Kultur zu Kultur unterschiedlich, in wel-
chem Maße Erfolge oder Misserfolge den Personen zugerechnet werden. Bierbrauer
(2002, S. 280) betont daher, dass Verhandlungsteilnehmer vorsichtig mit vorschnellen
Urteilen sein sollen und zu berücksichtigen haben, dass das Verhalten nicht nur durch
die Eigenschaften einer Person bestimmt wird, sondern auch durch die Rahmenbedin-
gungen einer Verhandlung und durch kulturelle Faktoren.
Im fremdbezogenen Teil der Vorbereitung sollte der ganze Vorbereitungsprozess aus
der Perspektive des Verhandlungspartners, also mit seinen Augen betrachten werden.
Sowohl Wagner und Helm Petersen (1993, S. 272f) als auch Adler (2002, S. 217) emp-
fehlen, sich die gleichen Fragen im Bezug auf Bedürfnisse, Wünsche, Interessen und
Ziele sowie deren Vereinbarkeit mit den eigenen Interessen und Zielen zu stellen und
zusätzlich eine Analyse des Zielmarktes für das Produkt bzw. die Dienstleistung und
eine Analyse der potentiellen Konkurrenz durchzuführen. Außerdem sollten möglichst
viele Informationen über den Verhandlungspartner, seine Produkte, Kunden, Preis- und
Marketingstrategien usw. beschaffen werden, um sich besser auf den Geschäftspartner
einstellen zu können. Dabei können auch solche Informationen wie die Größe und die
Zusammenstellung des Verhandlungsteams des Partners (Alter, Geschlecht, Position,
Hierarchieeinhaltung), aber auch, wer von den Teilnehmern des anderen Teams letzt-
endlich befugt ist, eine Entscheidung zu treffen, wichtige Hinweise auf den Verhand-
lungspartner liefern und helfen, das eigene Verhandlungsteam im Bezug auf die Teil-
nehmer, deren Geschlecht, Alter und Status richtig zu bestimmen. Dieser Aspekt ist laut
Mead (1996, S. 168f) besonders relevant, wenn man sich auf eine Verhandlung mit aus-
ländischen Partnern vorbereitet. In diesem Fall sind Informationen über das Land und
die Kultur des Partners unverzichtbar und können ebenfalls viel über die kulturell be-
dingte Persönlichkeit des Partners aussagen.
Im interaktionsbezogenen Teil der Vorbereitung werden zum einen der Verlauf der
Verhandlung und mögliche Reaktionen des Partners auf eigene Argumentation durch-
gearbeitet und zum anderen die Organisation der Verhandlung vorbereitet. Es muss für

21
die Räumlichkeiten, Technik (Geräte), Sitzordnung, Bewirtung und evtl. für die Unter-
bringung gesorgt werden (Wagner/Helm Petersen 1993, S. 273). Adler (2002, S. 219f)
weist darauf hin, den Zeitrahmen einer Verhandlung, der stark kulturabhängig ist, zu-
mindest grob zu bestimmen und je nach dem, mit welchen Partnern man verhandeln
will, genügend Zeit einzuplanen, um Zeitdruck zu vermeiden.
4.3.2 Ablauf: Fünf-Phasen Modell der Verhandlungsführung nach Hartig
Nach der Vorbereitung folgt die eigentliche Verhandlungsphase, bei der sich beide Part-
ner durch eine Abfolge von Aktionen und Reaktionen auf eine Einigung zubewegen.
D.h., es wird eine Position eingenommen und wieder aufgegeben z.B. als eine Reaktion
auf Argumentationen des Gegenübers bis eine Lösung gefunden oder die Verhandlung
vertagt wird (Wagner/Helm Petersen 1993, S. 272-274). Dieses Verhalten während des
Verhandlungsgespräches bezeichnet Hartig (1995, S. 249) als Verhandlungstaktik. Auf
dieses Thema wird im Kapitel 4.4.2 näher eingegangen.
In dem Fünf-Phasen Modell greift Hartig (1995, S. 250-278) den eigentlichen Prozess
einer Verhandlung auf und versucht, diesen zu strukturieren und näher zu beschreiben.
Er unterscheidet fünf verschiedene Phasen: Startphase, Sondierungsphase, Entschei-
dungsphase, Ergebnisphase und Schlussphase. Diesen fünf Phasen ist die Phase Null,
die Vorverhandlungsphase vorgelagert. Sie beinhaltet die organisatorische Vorbereitung
einer Verhandlung, die bereits im Punkt 4.3.1 in der Vorbereitungsphase beschrieben
wurde.
a) Phase 1: Die Startphase
Die Einstiegsphase dient dazu, eine angenehme und persönliche Verhandlungsatmos-
phäre zu schaffen. Diese Phase unterteilt Hartig (1995, S. 250-253) in drei Schritte. Zu-
erst erfolgt die gegenseitige Vorstellung der Verhandlungspartner, Begrüßung, Hände-
schütteln und Austausch von Visitenkarten. Dann wird die Verhandlungsrunde eröffnet.
Beide Seiten unterhalten sich auf verschiedene Themen wie etwa die Anreise, der letzte
Urlaub, Wetter, Kunst, Musik, Sport oder das Gastland, die meistens nichts mit der Ver-
handlungssache selbst zu tun haben. Hier geht es darum, das Eis zu brechen und evtl.
gemeinsame Interessen zu entdecken. Auf diese Weise kann eine vertrauensvolle Be-
ziehung zum Verhandlungspartner aufgebaut werden. Positive Äußerungen über den
ausländischen Partner und seine Kompetenzen und Wertschätzung ihm gegenüber kön-
nen laut Mochtarova (2000, S. 138) das Verhandlungsklima zusätzlich unterstützen. Im
dritten Schritt der Startphase erfolgt die sachliche Eröffnung. Alle Teilnehmer nehmen
die für sie am Verhandlungstisch vorgesehenen Plätze ein und kommen zur Tagesord-

22
nung (Hartig 1995, S. 253). Der zeitliche Abstand zwischen dem zweiten und dem drit-
ten Schritt, also von dem Beziehungsaufbau bis zum Übergang zum Geschäftlichen
hängt von der jeweiligen Kultur ab. So werden westliche Partner eher schnell zur Tages-
ordnung übergehen, während nicht-westliche Partner tendenziell daran interessiert sind,
den Verhandlungspartner näher kennen zu lernen und eine vertrauensvolle Beziehung
aufzubauen (Adler 2002, S. 224-226). Vertrauen spielt eine große Rolle in interkulturel-
ler Zusammenarbeit. Die Bildung von Vertrauen hängt von vielen Faktoren ab: vom
Kooperationsverhalten aller Beteiligten, von der Effektivität und Intensität der Kommu-
nikation und vom gegenseitigen Respekt. Der Vertrauensaufbau wird vor allem durch
Kulturunterschiede zwischen den Partnern erschwert, weil Vertrauen in hohem Maße
kulturabhängig ist. ,,Jede Kultur hat ihre eigenen Kriterien für Vertrauenswürdigkeit
und es bestehen Unterschiede in dem Zeitpunkt, wann in einer Beziehung...Vertrauen
aufgebaut wird." (Meyer 2004, S. 119f). Aus diesem Grund kann die Kennenlernphase
unterschiedlich lang sein und auch unterschiedlich von statten gehen. Ob am Verhand-
lungstisch oder im Restaurant, es gilt ein Klima des Vertrauens zu schaffen, auch wenn
sich dies wie in asiatischen Kulturen über Tage hinziehen kann (Gesteland 1999, S. 27-
30).
b) Phase 2: Die Sondierungsphase
In dieser Phase geht es laut Hartig (1995, S. 256) darum, die eigene Position möglichst
schnell zu bestimmen und sich einen Einblick über die diesbezügliche Einstellung des
Verhandlungspartners zu verschaffen. Beide Parteien werden hier versuchen, den Spiel-
raum, der durch die Maximal- und Minimalziele der jeweiligen Partei festgelegt ist, ab-
zustecken. Dabei ist es wichtig, dem Verhandlungspartner möglichst wenig Einblick in
den eigenen Verhandlungs- und Konzessionsspielraum und gar keinen Einblick auf die
eigenen Minimalziele zu gewähren, um sich nicht gleich im Frühstadium der Verhand-
lung von der Gegenseite festlegen zu lassen. Zugleich muss der Spielraum des Verhand-
lungspartners möglichst früh ausgelotet werden und Informationen über deren Maximal-
forderungen, und was noch wichtiger ist, möglichst viel über seine Minimalziele heraus-
zubekommen. In dieser Phase können bereits Widerstandspunkte identifiziert werden.
Durch den Abgleich mit den eigenen Minimalzielen kann so abgeschätzt werden, wie
weit man von einer Einigung entfernt ist (Hartig 1995, S. 256-260).
Adler (2002, S. 226) sieht diese Phase für den Austausch von aufgabenorientierten In-
teressen vor. Beide Parteien sollen ihre Situation und die damit verbundenen Bedürf-
nisse und Interessen gegenseitig austauschen. Im Gegensatz zu Hartig ist sie der Mei-

23
nung, dass eine frühe Positionseinnahme nur einen einzigen Lösungsweg zulässt und
damit alle weiteren möglichen Wege, Interessen beider Parteien zu befriedigen, ein-
schränkt oder sogar ausschließt. Adler (2002, S. 226) thematisiert darüber hinaus den
Einfluss verbaler und nonverbaler Kommunikationsbarrieren auf die Verständigung, die
besonders in dieser Phase zu Missverständnissen und Missinterpretationen führen und
sich somit negativ auf das Ergebnis auswirken können
6
.
c) Phase 3: Die Entscheidungsphase
Hier wird an die Informationen über den Spielraum, Verhandlungseinstellung und -posi-
tion der Gegenseite, die man während der Sondierungsphase gewonnen hat, angeknüpft
und an den Stellen angesetzt, an denen Ansätze für die Verringerung der Interessenkluft
und somit für die erstrebte Einigung erkannt wurden. D.h., es werden Gemeinsamkei-
ten und Differenzen identifiziert und neue Optionen, die überwiegend auf den Differen-
zen aufbauen, gesucht (Hartig 1995, S. 261). Differenzen, die aufgrund unterschiedli-
cher Zielprioritäten bestehen, eignen sich nach Adler (2002, S. 227) am besten für eine
kreative Lösung.
Das Annähern an den Verhandlungspartner kann unter Einsatz verschiedener Instru-
mente und Taktiken, die im Kapitel 4.4.2 behandelt werden, geschehen. In diesem Sta-
dium können solche Hilfsmittel wie Vorteilsargumentation, eine Präsentation, deren
Wirkung durch Visualisierung zusätzlich verstärkt werden kann, angewandt werden, um
die Gegenseite von den Vorteilen des eigenen Angebots zu überzeugen. Hier weist Har-
tig auf mögliche Einwände der Gegenseite hin und empfiehlt, auf diese einzugehen, bei
Bedarf klären und ggf. richtig zu stellen, wenn es sich um solche Einwände handelt, die
auf Missverständnisse oder Unkenntnis der Gegenpartei im Bezug auf bestimmte Kon-
ditionen oder technische Leistungsmerkmale von Produkten zurückgehen. Schwieriger
sind solche Gegenargumente zu parieren, die auf abweichende Zielvorstellungen zwi-
schen den beiden Verhandlungsparteien zurückgehen. Solche Einwände könnten ent-
schärft oder sogar vorweg genommen werden, indem man den strittigen Punkt z.B. zu
hohen Preis durch weitere Vorteile wie etwa Langlebigkeit, Energieeinsparung, Bedie-
nungsfreundlichkeit usw. relativiert (Hartig 1995, S. 261-264).
Neben der Überzeugungsarbeit gehört nach Hartig (1995, S. 265) auch das Aushandeln
oder Feilschen um Konzessionen zu einer Taktik des Aufeinanderzugehens der Parteien,
bis eine Übereinkunft erreicht wird. Einige Verhandler wie etwa Amerikaner gehen da-
bei eher strukturiert vor. Sie besprechen einen Punkt nach dem anderen und machen
6
Auf kommunikationsbedingte Probleme wird im Kapitel 4.5.3 eingegangen.

24
dementsprechend ihre Konzessionen nach jedem Abschnitt. Andere Kulturen (z.B. Asi-
en) ziehen es vor, zuerst alle Punkte auszudiskutieren und erst dann Konzessionen zu
machen (Adler 2002, S. 227).
Wenn es trotz des Einsatzes von genannten Taktiken nicht gelungen ist, den Partner zu
überzeugen und seine Vorbehalte, Bedenken und Fragen auszuräumen, dann besteht für
Hartig (1995, S. 268) die Notwendigkeit, noch einmal nachzusetzen und weitere Refe-
renzen, Begründungen, Beweise, Materialproben, Vorzeigeprojekte usw. vorzustellen,
um den Partner doch noch zu überzeugen.
Die Entscheidungsphase charakterisiert Hartig (1995, S. 261) als den Kern einer Ver-
handlung, bei dem sich auch zeigt, ob eine Verhandlung vertagt bzw. abgebrochen wird
oder zu einem erfolgreichen Abschluss geführt werden kann.
d) Phase 4: Die Ergebnisphase
Das Ergebnis einer Verhandlung hängt nach Bierbrauer (2002, S. 286) von den beteilig-
ten Personen, angewandten Strategien und Taktiken, kulturellen Besonderheiten und
Traditionen ab. In dieser Phase soll der Konsens zwischen den Partnern verstärkt und
ein für beide Parteien akzeptabler Abschluss festgelegt werden. Zu diesem Zweck kön-
nen alle Übereinkünfte und die damit verbundenen Vorteile noch einmal zusammenge-
fasst werden, um zu überprüfen, ob immer noch Einigkeit besteht. Ist das der Fall, so
werden die Verträge unterschrieben. Ergeben sich Unstimmigkeiten oder gar Wider-
sprüche, so werden diese ebenfalls festgehalten und entweder eine Vertagung verein-
bart, wenn diese Widersprüche nicht so gravieren sind und eine Einigung in Sicht ist
oder es wird der Abbruch der Verhandlungen konstatiert, wenn zwischen den Parteien
eine völlige Uneinigkeit besteht und keine Annäherung in Sicht ist (Hartig 1995, S.
276f). Auch der Abschluss wird von kulturellen Besonderheiten beeinflusst. In westli-
chen Kulturen wird großer Wert auf ein vertragliches Regelwerk mit genau festgelegten
Pflichten beider Parteien gelegt. In nicht-westlichen Kulturen spielen eher mündliche
Vereinbarungen eine große Rolle (Bierbrauer 2002, S. 286).
e) Phase 5: Die Schlussphase
Sind die Verträge unterschrieben oder die Ergebnisse je nach kulturellen Gegebenheiten
auf eine andere Weise festgelegt worden, so empfiehlt Hartig (1995, S. 278), dass beide
Verhandlungsleiter das Abschlusswort ergreifen und sowohl der Gegenseite als auch
dem eigenen Team Dank und Anerkennung für die geleistete Arbeit aussprechen und
zum Abschluss auf eine gute zukünftige Zusammenarbeit anstoßen. Im Falle des Ab-

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2005
ISBN (eBook)
9783832490751
ISBN (Paperback)
9783838690759
DOI
10.3239/9783832490751
Dateigröße
1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Osnabrück – unbekannt
Erscheinungsdatum
2005 (November)
Note
1,3
Schlagworte
russland osteuropa verhandlungsstrategien kultur
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Titel: Vertragsverhandlungen mit russischen Partnern
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