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Beanspruchung kognitiver Ressourcen für die Handlungsorganisation bei jungen und älteren Erwachsenen

Ein Beitrag zur Benennung möglicher Sturzursachen im Alter

©2005 Doktorarbeit / Dissertation 183 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Stürze im Alter stellen ein multifaktorielles Geschehen dar. Als bekannte Sturzursachen im Alter gelten beispielsweise situative Risikofaktoren, physiologische Veränderungen, das Phänomen Sturzangst und eine reduzierte Verfügbarkeit oder Überbeanspruchung kognitiver Ressourcen, welche die Handlungskompetenz älterer Menschen vermutlich einschränken. Eine solche Einschränkung zeigt sich möglicherweise in Situationen, in denen ein älterer Mensch über die Straße geht, den Mantel zu knöpft und sich währenddessen mit seinem Begleiter unterhält. Wird davon ausgegangen, dass die kognitiven Ressourcen, die jeder einzelnen Person für die Bewältigung solcher Aufgaben zur Verfügung stehen, limitiert sind, würde ein älterer Mensch in dieser Situation eventuell eher an die Grenzen seiner kognitiven Kapazität stoßen als ein jüngerer, möglicherweise weil die Kontrolle über die körperliche Stabilität infolge der oben benannten Defizite einen größeren Teil der kognitiven Ressourcen erfordert. Folglich verbleibt für die Bearbeitung der übrigen Aufgaben ein zu geringer Teil. Eine Ressourcenzuteilung zu Ungunsten der Gehaufgabe könnte in einem Sturz resultieren, da nicht das Gehen über das Kopfsteinpflaster, sondern das Zuknöpfen des Mantels priorisiert würde.
Die vorliegende Arbeit versuchte, einen Beitrag zur Erforschung möglicher Sturzursachen im Alter zu leisten, indem anhand von Doppelaufgaben die Bewältigung zweier alltäglicher Aufgaben bei jungen Erwachsenen im Vergleich zu älteren untersucht wurde. Zu diesem Zweck wurden unterschiedlich schwere Gehaufgaben mit strukturell unterschiedlichen Zusatzaufgaben kombiniert und anhand der Doppelaufgabenkosten mögliche Altersunterschiede des kognitiven Aufwands bemessen, der für die Bewältigung der jeweiligen Doppelaufgaben erforderlich war. Auf diese Weise sollte untersucht werden, ob die Kombination solcher Aufgaben möglicherweise überhöhte kognitive Anforderungen an Ältere stellt und infolgedessen auf ein erhöhtes Sturzrisiko hindeutet.
Die Ergebnisse wiesen in der Mehrzahl der Doppelaufgaben ein in den Gruppen ähnliches Bewältigungsmuster auf, weswegen die Bewältigung dieser offenbar keine unterschiedlich hohen kognitiven Regelungsprozesse in den Altersgruppen erforderte. Darüber hinaus zeigte sich in Exp. A bei der Kombination einer Gehaufgabe mit einer feinmotorischen Zusatzaufgabe eine altersspezifische Beeinträchtigung der Balancieraufgabe, welche möglicherweise mechanisch bedingt […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 9049
Guardiera, Petra:
Beanspruchung kognitiver Ressourcen für die Handlungsorganisation bei jungen und
älteren Erwachsenen - Ein Beitrag zur Benennung möglicher Sturzursachen im Alter
Hamburg: Diplomica GmbH, 2005
Zugl.: Deutsche Sporthochschule Köln, Dissertation / Doktorarbeit, 2005
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2005
Printed in Germany

Lebenslauf
Petra Guardiera
Nüssenberger Str. 27
50829 Köln
geb. in Remscheid
am 03.09.1974
1981-1985
Freiherr-vom-Stein Grundschule in Remscheid-Lennep
1985-1994
Röntgen Gymnasium in Remscheid-Lennep
1994-2001
Studium der Lehramtsfächer Englisch und Erziehungswissenschaft
für die Sekundarstufen I und II an der Universität zu Köln
1996-2000
Diplomstudiengang des Faches Sport an der
Deutschen Sporthochschule Köln
WS 1996/97
Studium in English and Sports Science an der
Manchester Metropolitan University,
Faculty of Crewe and Alsager
ab SoSe 1999
Diplomarbeit im Physiologischen Institut der DSHS Köln
ab WS 2000
Examensprüfungen im Fach Englisch und Erziehungswissenschaft
für die Sekundarstufen I und II
ab Mai 2001
Anstellung als wissenschaftliche Hilfskraft im Physiologischen
Institut der DSHS Köln, Beginn der Promotion
ab September 2002
Anstellung als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Physiologischen
Institut der DSHS Köln
November 2003
Auszeichnung des Interventionsansatzes Analyse kognitiver und
motorischer Funktionen
durch den Innovationspreis 2003 "Technik
und Dienstleistung für das Alter" durch das Ministerium für
Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Nordrhein-
Westfalen
Köln, den 03.01.2005

"Wer aber nichts tut, als nur älter zu werden,
und glaubt, dass sich im Alter Wohlbefinden und
Spaß ohne eigenes Zutun einstellen,
der irrt sich gewaltig und darf sich nicht wundern,
wenn dann mit zunehmendem Alter
ein Tag so öde wie der andere ist
und er dabei immer mehr verschimmelt.
Mein guter Freund im Alter ist der Sport!"
(Wischmann, 1992)

Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1
1.1 Relevanz des Forschungsgegenstandes "Stürze im Alter
1
1.2 Ursachen für eine erhöhte Sturzhäufigkeit im Alter
3
1.3 Untersuchung kognitiver Regelungsprozesse anhand des
Doppelaufgaben-Paradigmas
9
1.4 Altersspezifische Doppelaufgabendefizite: Erklärungsversuche unter
Berücksichtigung individueller Bearbeitungsstrategien
13
1.5 Übersicht über frühere Doppelaufgaben-Studien:
"Stehen" und "Gehen" im Altersvergleich
14
1.5.1 Doppelaufgaben mit statischer sensomotorischer Aufgabe "Stehen" 15
1.5.2 Doppelaufgaben mit dynamischer sensomotorischer Aufgabe "Gehen" 20
1.6 Interventionsmaßnahmen
26
1.7 Ziele der vorliegenden Arbeit
30
2. Methodik und Material
33
2.1 Probanden
33
2.2 Verhaltensdaten
35
2.2.1 Aufgabentypen
36
2.2.1.1 Sensomotorische Aufgabe Gehen
36
2.2.1.1.1 Exp. A
36
2.2.1.1.2 Exp. B1 und B2
37
2.2.1.1.3 Exp. C1, C2, D1 und D2
38
2.2.1.2 Zusatzaufgaben
39
2.2.1.2.1 Feinmotorische Aufgabe Tasse tragen
39
2.2.1.2.2 Kognitive Aufgabe Buchstabieren
40
2.2.1.2.3 Stroop-ähnliche Reaktionsaufgabe
40
2.2.1.2.4 Feinmotorische Aufgabe Knöpfen
41
2.2.1.2.5 Gedächtnisaufgabe
42
2.2.1.3 Besonderes methodisches Vorgehen in Exp. D1 und D2 42
2.3 Fragebögen
43
2.4 Zusammenfassung des experimentellen Designs
44

2.5 Aufbereitung der Daten
45
2.5.1 Sensomotorische Aufgabe Gehen
45
2.5.1.1 Exp. A, B1 und B2
45
2.5.1.2 Exp. C1, C2, D1 und D2
46
2.5.2 Zusatzaufgaben
46
2.5.2.1 Feinmotorische Aufgabe Tasse tragen
46
2.5.2.2 Kognitive Aufgabe Buchstabieren
47
2.5.2.3 Stroop-ähnliche Reaktionsaufgabe
47
2.5.2.4 Feinmotorische Aufgabe Knöpfen
49
2.5.2.5 Gedächtnisaufgabe
49
2.6 Statistische Analyse der Daten
50
2.6.1 Verhaltensdaten
50
2.6.1.1 Absolute Werte
50
2.6.1.2 Relative Werte: Doppelaufgabenkosten
51
2.6.2 Fragebögen
52
3. Ergebnisse
53
3.1 Experiment A
53
3.1.1 Fragebogen
54
3.1.2 Strategiefragebögen
55
3.1.3 Absolute Werte
57
3.1.4 Relative Werte: Doppelaufgabenkosten
59
3.2 Experiment B1 und B2
62
3.2.1 Fragebogen
63
3.2.2 Absolute Werte
65
3.2.3 Relative Werte: Doppelaufgabenkosten
70
3.2.4 Fehleranalyse in Exp. B2
72
3.3 Experiment C1 und C2
74
3.3.1 Fragebogen
75
3.3.2 Absolute Werte
78
3.3.3 Relative Werte: Doppelaufgabenkosten
81
3.3.4 Fehleranalyse in Exp. C1 und C2
83
3.4 Experiment D1:
86
3.4.1 Fragebogen
87
3.4.2 Absolute Werte
89
3.4.3 Relative Werte: Doppelaufgabenkosten
91

3.5 Experiment D2
94
3.5.1 Fragebogen
94
3.5.2 Absolute Werte
95
3.5.3 Relative Werte: Doppelaufgabenkosten
99
4. Diskussion
102
4.1 Probanden
102
4.2 Methodik
103
4.2.1 Fragebögen
103
4.2.2 Sensomotorische Aufgabe Gehen
104
4.2.3 Feinmotorische Aufgabe Tasse tragen
105
4.2.4 Stroop-ähnliche Reaktionsaufgabe
105
4.2.5 Feinmotorische Aufgabe Knöpfen
106
4.3 Ergebnisse: absolute Werte
106
4.3.1 Experiment A
107
4.3.2 Experiment B1 und B2
112
4.3.3 Experiment C1 und C2
120
4.3.4 Experiment D1 und D2
128
4.3.5 Relative Werte: Doppelaufgabenkosten
135
4.4 Schlussfolgerung
137
4.5 Fazit und Ausblick
143
5. Zusammenfassung / Abstract
145
6. Literatur
149
Anhang 1-4

Abbildungsverzeichnis
Abb. 1:
Darstellung des Versuchsaufbaus
36
Abb. 2:
Position der Schaumstoffmatte in Exp. B1
37
Abb. 3:
Abstände zwischen den Hindernissen in Exp. B2
38
Abb. 4:
Parcours in Exp. C1, C2, D1 und D2
39
Abb. 5:
Rohdaten eines Geschwindigkeitsprofils in Exp. A
45
Abb. 6:
Bestimmung der Reaktionszeiten in Exp. B1 und B2
48
Abb. 7:
Mittlere Gehgeschwindigkeit in Exp. A
57
Abb. 8:
Mittlerer Neigungswinkel in Exp. A
58
Abb. 9:
Mittlere Buchstabenrate in Exp. A
59
Abb. 10:
Mittlere Doppelaufgabenkosten in Exp. A
61
Abb. 11:
Gegenüberstellung von Gehgeschwindigkeit, Neigungswinkel und
Reaktionszeit in Exp. B1 und B2
66
Abb. 12:
Gegenüberstellung der mittleren Doppelaufgabenkosten in Exp. B1 (Abb. 12a)
und Exp. B2 (Abb. 12b)
71
Abb. 13:
Mittlerer Fehler in der stroop-ähnlichen Reaktionsaufgabe in Exp. B2
72
Abb. 14:
Gegenüberstellung von Gehgeschwindigkeit, Anzahl der Knöpfe und Anzahl
der Symbole in Exp. C1 und C2
78
Abb. 15:
Gegenüberstellung der mittleren Doppelaufgabenkosten in Exp. C1 (Abb. 15a)
und Exp. C2 (Abb. 15b)
82
Abb. 16:
Gegenüberstellung des mittleren Fehlers in der Gehaufgabe in Exp. C1
(Abb. 16a) und C2 (Abb. 16b)
83
Abb. 17:
Mittlere Gehgeschwindigkeit in Exp. D1
89
Abb. 18:
Mittlere Anzahl der Knöpfe in Exp. D1
90
Abb. 19:
Mittlere Anzahl der Symbole in Exp. D1
91
Abb. 20:
Mittlere Doppelaufgabenkosten in Exp. D1
92
Abb. 21:
Mittlere Gehgeschwindigkeit in der Trainingsgruppe (TRAINING) und der
Kontrollgruppe (KONTROLLE) in Exp. D2
96
Abb. 22:
Mittlere Anzahl der Knöpfe in der Trainingsgruppe (TRAINING) und der
Kontrollgruppe (KONTROLLE) in Exp. D2
97
Abb. 23:
Mittlere Anzahl der Symbole in der Trainingsgruppe (TRAINING) und der
Kontrollgruppe (KONTROLLE) in Exp. D2
98
Abb. 24:
Mittlere Doppelaufgabenkosten in der Trainingsgruppe (TRAINING) und der
Kontrollgruppe (KONTROLLE) in Exp. D2
100

Tabellenverzeichnis
Tab. 1:
Probandendaten getrennt für die Exp. A, B1, B2, C1, C2, D1 und D2
34
Tab. 2:
Versuchsdesign in Exp. A, B1, B2, C1, C2, D1 und D2
35
Tab. 3:
Antwortmöglichkeiten in der Stroop-Aufgabe
41
Tab. 4:
Stroop-ähnliche Reaktionsaufgabe
41
Tab. 5:
Aspekte, die anhand der Fragebögen abgefragt wurden
43
Tab. 6:
Zusammenfassung der Experimente
44
Tab. 7:
Auswertungsverfahren in der Gedächtnisaufgabe
49
Tab. 8:
Ergebnisse der Fragebogenanalyse in Exp. A.
54
Tab. 9:
Ergebnisse der Analyse des Strategiefragebogens für die Doppelaufgabe Gehen
und Tasse tragen in Exp. A.
55
Tab. 10: Ergebnisse der Analyse des Strategiefragebogens für die Doppelaufgabe Gehen
und Buchstabieren in Exp. A.
56
Tab. 11: Varianzanalyse der Variablen Gehgeschwindigkeit, Neigungswinkel und
Buchstabenrate in Exp. A
57
Tab. 12:
Doppelaufgabenkosten in Exp. A
60
Tab. 13: Varianzanalyse der Variable mittlere Doppelaufgabenkosten in Exp. A
60
Tab. 14: Ergebnisse der Fragebogenanalyse. Vergleich der Altersgruppen getrennt nach
Exp. B1und B2.
63
Tab. 15: Ergebnisse der Fragebogenanalyse. Vergleich der jungen und älteren
Probanden in Exp. B1 und B2.
64
Tab. 16: Varianzanalyse der Variablen Gehgeschwindigkeit und Neigungswinkel in
Exp. B1 und B2
67
Tab. 17: Varianzanalyse der Variable Reaktionszeit in Exp. B2.
67
Tab. 18:
Doppelaufgabenkosten in Exp. B1 und B2
70
Tab. 19: Varianzanalyse der Variable mittlere Doppelaufgabenkosten in Exp. B1
und B2
70
Tab. 20: Varianzanalyse der Variable mittlerer Fehler in Exp. B2
72
Tab. 21: Ergebnisse der Fragebogenanalyse. Vergleich der Altersgruppen getrennt nach
Exp. C1 und C2.
75
Tab. 22: Ergebnisse der Fragebogenanalyse. Vergleich der jungen und älteren
Probanden in Exp. C1 und C2.
77
Tab. 23: Varianzanalyse der Variablen Gehgeschwindigkeit, Anzahl der Knöpfe und
Anzahl der Symbole in Exp. C1 und C2
79
Tab. 24: Doppelaufgabenkosten in Exp. C1 und C2
81

Tab. 25: Varianzanalyse der Variable mittlere Doppelaufgabenkosten in Exp. C1
und C2
81
Tab. 26: Varianzanalyse der Variable mittlerer Fehler in der Gehaufgabe in Exp. C1
und C2
83
Tab. 27: Varianzanalyse der Variable mittlerer Fehler in der Gehaufgabe in Exp. C1
und C2.
84
Tab. 28: Ergebnisse der Fragebogenanalyse. Vergleich junger und trainierter älterer,
junger und untrainierter älterer sowie trainierter und untrainierter älterer
Probanden in Exp. D2.
87
Tab. 29: Varianzanalyse der Variablen Gehgeschwindigkeit, Anzahl der Knöpfe und
Anzahl der Symbole in Exp. D1
89
Tab. 30: Doppelaufgabenkosten in Exp. D1
91
Tab. 31: Varianzanalyse der Variable mittlere Doppelaufgabenkosten in Exp. D1
92
Tab. 32: Ergebnisse der Fragebogenanalyse in Exp. D2.
94
Tab. 33: Varianzanalyse der Variablen Gehgeschwindigkeit, Anzahl der Knöpfe und
Anzahl der Symbole in Exp. D2
95
Tab. 34: Doppelaufgabenkosten in Exp. D2
99
Tab. 35: Varianzanalyse der Variable mittlere Doppelaufgabenkosten in Exp. D2
99

Einleitung 1
1.
Einleitung
1.1
Relevanz des Forschungsgegenstandes "Stürze im Alter"
Stürze im Alter stellen ein gesamtgesellschaftliches Problem dar, welches in den vergangenen
Jahren zunehmend in den Interessensmittelpunkt verschiedener Forschungsdisziplinen gerückt
ist. Aktuell ist belegt, dass etwa jede dritte Person im Alter von über 65 Jahren und etwa jede
zweite im Alter von über 80 Jahren mindestens einmal im Jahr stürzt, in Alters- und
Pflegeheimen liegt die Sturzhäufigkeit deutlich darüber (Campbell et al., 1981; Nevitt et al.,
1989). Diese Zahlen sind in zweierlei Hinsicht alarmierend: obwohl nur etwa ein Zehntel der
Gestürzten schwerwiegende Knochenbrüche als Sturzfolge davontragen, leiden etwa 48 % aller
Gestürzten anschließend an Angst vor einem neuen Sturz. Dies führt oftmals dazu, dass die
Betroffenen ihren Aktivitätsradius stark einschränken, sich zunehmend in eine Abhängigkeit von
Dritten begeben und sich schlimmstenfalls sozial isolieren. Das Phänomen Sturzangst ist
desweiteren kritisch zu sehen, da nicht nur Gestürzte, sondern auch eine Vielzahl der über 75-
Jährigen berichten, auch ohne vorangegangenen Sturz grundsätzlich an Sturzangst zu leiden
(Tinetti 1990). Zu beachten ist überdies, dass sich die Kosten für Behandlung und Rehabilitation
altersbedingter Unfälle allein in der Bundesrepublik Deutschland aktuell auf mehrere hundert
Millionen Euro jährlich belaufen (Becker & Scheible, 1998).
Von besonderer Bedeutung ist die hohe Sturzhäufigkeit zudem in Anbetracht der
fortschreitenden Überalterung der Gesellschaft: "Im Jahre 2050 wird jeder Dritte in Deutschland
60 Jahre oder älter sein!" Mit dieser Schlagzeile überschreibt das Statistische Bundesamt in
Wiesbaden (2004) die Brisanz des demographischen Wandels, der sich zur Zeit in der
Bundesrepublik Deutschland, aber auch in anderen westlichen Industrienationen vollzieht. Eine
stagnierende Geburtenrate und eine steigende Lebenserwartung werden zur Folge haben, dass
sich das Zahlenverhältnis zwischen jüngeren und älteren Einwohnern während der kommenden
50 Jahre drastisch verändert. Die 10. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung durch das
Statistische Bundesamt (2004) ergab, dass die Anzahl der unter 20-Jährigen momentan etwa ein
Fünftel der Bevölkerung ausmacht, sich aber im Jahre 2050 auf 12 % verringert haben wird,
während die mindestens 60-Jährigen aktuell bei etwa 17 % liegen, jedoch auf mehr als das
Doppelte heranwachsen und somit 38 % der Gesamtbevölkerung darstellen werden.
Die Überalterung der Gesellschaft zieht folglich nicht nur ein ansteigendes Risiko altersbedingter
Krankheiten und Unfälle nach sich, sondern ebenso die Notwendigkeit neuer Gesundheits- und
Rentenreformen. Denn der demographische Wandel bedeutet auch, dass das Verhältnis der

Einleitung 2
Bevölkerung im Rentenalter zu der im Erwerbsalter im Jahre 2050 von 44% auf 78 %
angestiegen sein wird, sofern das Rentenzugangsalter bei 60 Jahren liegt (Statistisches
Bundesamt, 2004).
In Anbetracht der oben dargestellten Problematik ist es dringend erforderlich, die Ursachen
sturzbedingter Unfälle im Alter zu erkennen und das Unfallrisiko einzudämmen. Hinreichend
bekannt aus der Literatur sind beispielsweise situative Risikofaktoren, altersbedingte
physiologische Veränderungen, Gleichgewichtsstörungen sowie das Phänomen Sturzangst als
mögliche Faktoren. Jedoch können diese einen Sturz nicht immer ausreichend erklären. Daher
rückte in den vergangenen Jahren zunehmend die Vermutung in den Vordergrund, dass neben
den benannten Defiziten möglicherweise auch eine im Alter veränderte Verfügbarkeit oder
Beanspruchung kognitiver Ressourcen ein erhöhtes Sturzrisiko darstellt. Diese läßt sich
möglicherweise in solchen Situationen beobachten, in denen ältere Menschen mehrere Dinge
zugleich erledigen müssen. Offensichtlich gegeben zu sein scheint eine Unvereinbarkeit
mehrerer gleichzeitiger Tätigkeiten beispielsweise in Form des alltäglichen Phänomens, dass
ältere Menschen während eines Spaziergangs im Park oftmals stehen bleiben, um sich zu
unterhalten. Wird in einer Situation, welche ein Stehenbleiben nicht zuläßt, (wie beispielsweise
das Überqueren der Straße), die Unterhaltung nicht unterbrochen, ist es möglich, dass diese
soviel Aufmerksamkeit von der Person erfordert, dass der Weg nicht ausreichend beachtet wird.
Ein Übersehen der Bordsteinkante würde infolgedessen vermutlich zu einem Unfall führen. Es
wird angenommen, dass eine altersspezifisch reduzierte Verfügbarkeit oder veränderte
Beanspruchung kognitiver Ressourcen, welche für die Organisation solcher Tätigkeiten
erforderlich sind, die alltägliche Handlungskompetenz älterer Erwachsener einschränken.
Die vorliegende Arbeit versucht, durch eine Untersuchung der Handlungsorganisation im Alter
eine möglicherweise veränderte Beanspruchung kognitiver Ressourcen für die Organisation
simultaner Aufgaben aufzudecken und einen Beitrag zur Benennung möglicher Sturzursachen zu
leisten.
Im Folgenden wird eine inhaltlich relevante Auswahl des Forschungsstandes bezüglich
bekannter Sturzursachen im Alter aufgearbeitet, das Hauptaugenmerk der vorliegenden
Untersuchung liegt dabei auf einer altersbedingten Veränderung
kognitiver Strukturen.

Einleitung 3
1.2
Ursachen für eine erhöhte Sturzhäufigkeit im Alter
Im Kontext der vorliegenden Arbeit lassen sich als eine mögliche Sturzursache im Alter
situative Faktoren wie zum Beispiel Treppenstufen, rutschige Teppiche, fehlende Geländer
oder unzureichende Beleuchtung in der Umgebung des Betroffenen festhalten (Rubenstein,
1988). Neben solchen extrinsischen Faktoren müssen zudem zahlreiche intrinsische
Risikofaktoren benannt werden. Eine erste mögliche personenbezogene Ursache stellen
physiologische Veränderungen dar. Zu benennen sind in diesem Zusammenhang kardio-
pulmonale Beeinträchtigungen, wie beispielsweise eine Abnahme der maximalen Herzfrequenz
und maximalen Sauerstoffbindungsfähigkeit sowie eine Verringerung der Vitalkapazität (Lipsitz,
1983). Zu häufig diskutierten Sturzursachen zählt ebenso eine Verminderung der Muskelkraft
und ­koordinationsfähigkeit der unteren Extremitäten infolge eines Verlusts der Muskelmasse,
welcher vermutlich durch eine Reduzierung der Anzahl und Dicke der Muskelfasern des
schnellkontrahierenden Fasertyps II sowie eine Reduzierung der Anzahl motorischer Einheiten
zustande kommt (DiPasquale et al., 1989). Letztere ist unter anderem im M. tibialis anterior zu
beobachten (De Koning & Wieneke,1988), welche insofern als kritisch zu betrachten ist, dass
dieser Muskel dafür verantwortlich ist, den Körperschwerpunkt nach einer externen Störung, wie
zum Beispiel Stolpern, wieder in eine zentrale Position über die Unterstützungsfläche zu bringen
(Shumway-Cook & Woollacott, 2001). Eine Funktionseinschränkung dieser Muskulatur könnte
folglich in einer verminderten motorischen Kontrolle wie beispielsweise einem Sturz resultieren.
Neuromuskuläre Defizite begünstigen das Sturzrisiko überdies, da sie maßgeblich Einfluss
nehmen auf motorische Antworten. Hierzu zählt eine Desensibilisierung der Musklespindel
(Swash & Fox, 1972), welche folglich zu einer Beeinträchtigung des Muskeldehnungsreflexes
führt. Eine fortschreitende Demyelinisierung schnell leitender sensorischer und motorischer
Neurone führt überdies zu einer verlangsamten Nervenleitgeschwindigkeit im Alter (Carel et al.,
1979), welche das Reflexverhalten zusätzlich beeinträchtigt. Einschränkungen des
polysynaptischen Reflexverhaltens entstehen vermutlich auch durch eine Reduktion
inhibitorischer Neurone, welche ein Bindeglied zwischen sensorischen und motorischen
Nervenfasern darstellen (Gordon, 1991). Darüber hinaus läßt sich im Alter eine Reduktion der
Anzahl der -Motoneurone beobachten, welche ab dem sechsten Lebensjahrzehnt am stärksten
ausgeprägt ist (Luff, 1998) und die Erregungsübertragung elektrischer Signale an die
Muskelfasern zunehmend einschränkt.

Einleitung 4
Neben den zuvor benannten Funktionsbeeinträchtigungen sind periphere sensomotorische
Defizite als Ursachen für Stürze bekannt. Zu diesen zählt eine im Alter oftmals verzögerte
Wahrnehmung somatosensorischer Information, welche aus einer Beeinträchtigung der
vestibulären und propriozeptiven Strukturen resultiert und dadurch in ihrer Empfindlichkeit
gegenüber plötzlichen mechanischen Balancestörungen herabgesetzt wird (Birren, 1974;
Kokmen et al., 1977; Skinner et al., 1984). In diesem Zusammenhang sind auch
Beeinträchtigungen des Visus zu sehen: das visuelle System leidet mit zunehmendem Alter unter
anderem oftmals an einer Reduktion der Sehschärfe, einer Verringerung der Tiefenwahrnehmung
und der Anpassungsfähigkeit an Dunkelheit sowie einer Einschränkung des Sichtfeldes (Owsley
et al., 1983). In Folge einer verringerten visuellen, vestibulären und propriozeptiven Sensibilität
im Alter entsteht oftmals eine Verringerung der Gleichgewichtsfähigkeit, da die
Beeinträchtigung mehr als eines Sinnens, welcher für die Kontrolle des körperlichen
Gleichgewichts notwendig ist, eine Kompensation durch andere sensorische Zuflüsse kaum
möglich macht. Zusätzlich zeigt sich bei älteren im Vergleich zu jungen Erwachsenen in diesem
Zusammenhang im ruhigen Stand ein erhöhter Schwankungsradius des Körperschwerpunktes
(Brocklehurst et al., 1982).
Darüber hinaus lassen sich im Alter
Veränderungen des Gangbildes beobachten. Diese können
zwar als Konsequenz aus den oben benannten Defiziten hervorgehen, bewirken möglicherweise
ihrerseits jedoch wiederum einen Stabilitätsverlust aufgrund eines variableren Gangbildes. Zum
Vergleich wird zunächst der Ablauf einer Gehbewegung eines jungen Erwachsenen beschrieben:
Während des Gehens schwingen die Beine rhythmisch und alternierend mit einer
Phasenverschiebung von 0.5 (Grillner, 1981), das heißt, dass ein Bein den Schrittzyklus beginnt,
wenn das andere Bein den Mittelpunkt seines Schrittzyklus erreicht. Ein Schritt wird unterteilt in
eine Schwung- und eine Standphase: die Standphase beginnt, wenn der Fuß den Boden beim
Aufsetzen mit der Ferse berührt, die Schwungphase, wenn die Zehenspitzen den Boden beim
Abheben des Fußes verlassen (Inman et al., 19981) Bei einer Gehbewegung wird unterschieden
zwischen der Doppelstützphase, in der beide Füße Bodenkontakt haben, und der
Einzelstützphase, in der jeweils nur ein Fuß Kontakt mit dem Boden hat (Inman et al., 1981). Bei
freigewählter alltäglicher Gehgeschwindigkeit eines jungen Erwachsenen nimmt die Standphase
in einem Zyklus etwa 60 % der Gesamtdauer ein, die Schwungphase etwa 40 % (Craik, 1989).
Die ersten und letzten 10 % der Standphase fallen in die Doppelstützphase. Ein junger
Erwachsener geht mit einer mittleren Geschwindigkeit von 1.46 m/s und weist eine Kadenz von
1.9 Schritten / Sekunde (112.5 Schritte / Minute) auf. Die mittlere Schrittlänge eines jungen
Erwachsenen beträgt 0.76 m (Craik, 1989). Eine Erhöhung der Gehgeschwindigkeit erfolgt

Einleitung 5
normalerweise durch eine Vergrößerung der Schrittlänge und erst wenn diese maximal ist, erhöht
sich zusätzlich die Schrittfrequenz (Larish et al. 1988).
Im Alter zeigen sich zahlreiche Auffälligkeiten des Gangbildes. Diese sind charakterisiert durch
eine verlängerte Doppelstützphase und eine verkürzte Einzelstützphase (Ferrandez et al., 1996;
Winter, 1990, 1991) sowie eine Verlangsamung der Gehgeschwindigkeit. Eine Studie von Woo
et al. (1995) ergab in diesem Zusammenhang, dass sich die Geschwindigkeit bei älteren Männern
um 0.1 ­ 0.7 % pro Jahr verringert. Parallel zu der Verlangsamung findet sich auch eine
Verkürzung der Schrittlänge, jedoch keine Veränderung der Kadenz (Schritte pro Minute) (Elble
et al., 1991; Ferrandez et al., 1996; Prince et al., 1997). Zudem läßt sich beobachten, dass ältere
Menschen die Schrittfrequenz steigern, um die Geschwindigkeit zu erhöhen (Larish et al., 1988).
Es ist möglich, dass das im Alter veränderte Gangmuster aus einem adaptiven Verhalten an die
oben erwähnten Defizite resultiert und folglich die Stabilität des Ganges erhöht (Spirduso 1995).
Allerdings nahmen Whipple & Wolfson (1989) anhand des veränderten Gangbildes älterer
Menschen eine Unterscheidung zwischen sturzgefährdeten und nicht gefährdeten älteren
Erwachsenen vor: es zeigte sich, dass sowohl Gehgeschwindigkeit als auch Schrittlänge bei
Sturzgefährdeten wesentlich verringert waren im Vergleich zu nicht gefährdeten Älteren. Eine
Gehgeschwindigkeit von < 0.45 m/s wurde als kritische Schwelle zur Sturzgefährdung definiert,
weil sie mit einer fortschreitenden Instabilität des Ganges einher ging. Diese Angaben wurden
ergänzt durch Untersuchungen von Hausdorff et al. (1994), welche als weiteres
Unterscheidungskriterium eine erhöhte Variabilität der Schrittdauer sowie eine verringerte
Variabilität der Schrittbreite anführten.
Den oben beschriebenen altersspezifischen Veränderungen stehen in der Diskussion möglicher
Ursachen für Stürze
Veränderungen kognitiver Strukturen gegenüber. Neuere Studien
konnten durch Anwendung des Magnetresonanztomographie (MRT) ­ Volumetrie-Verfahrens
feststellen, dass sich die Hirnmasse im Alter insbesondere im präfrontalen Kortex verringert
(Raz et al., 1997). Darüber hinaus wird weiterhin diskutiert, ob sich die Anzahl zentraler
Neuronen im Alter reduziert, es wird jedoch angenommen, dass der Alterungsprozess dieser
zumindest durch strukturelle Veränderungen in Form von "Schrumpfen" gekennzeichnet ist
(Haug, 1985; Raz et al., 1997). Kemper (1994) berichtete überdies eine Rückbildung
dendritischer Verzweigungen sowie synaptischer Verbindungen im alternden Gehirn.
Darüber hinaus wird natürliches Altern mit Funktionseinschränkungen des präfrontalen Kortex
assoziiert (Haug et al., 1983), welche Beeinträchtigungen des Arbeitsgedächtnis sowie der
Aufmerksamkeit nach sich ziehen. In diesem Zusammenhang stellte eine Untersuchung von
MacPherson et al. (2002) heraus, dass besonders der dorsolaterale präfrontale Cortex im Alter

Einleitung 6
eine geringere Aktivierung bei solchen Aufgaben aufweist, die einer exekutiven Kontrolle
unterliegen. Das exekutive Modul (die zentrale Exekutive) nach Baddeley (1986) ist neben
einem visuell-räumlichen Modul und der phonologischen Schleife ein Submodul des
Arbeitsgedächtnis, welches im Alter Kapazitätsrückgänge aufweist. In engem Zusammenhang
mit diesem Konzept ist auch die Sichtweise von Norman & Shallice (1986) zu verstehen, die das
"supervisory attentional system" (SAS) als einen Mechanismus annehmen, der die
Aufmerksamkeit exekutiv kontrolliert und damit dem Konzept der zentralen Exekutive in
Baddeley's Arbeitsgedächtnismodell entspricht. Die zentrale Exekutive (bzw. das SAS)
wiederum ist vermutlich im Frontallappen lokalisiert und involviert in die strategische Kontrolle
der Informationsverarbeitung (Collette & Van der Linden, 2002). Letztere scheint im Alter
ebenfalls Beeinträchtigungen aufzuweisen. Insbesondere durch den Wisconsin Card Sorting Test
(WCST) wurden altersbedingte Defizite belegt, welche sich in einer Einschränkung der
kognitiven Flexibilität sowie in Denkprozessen und Lösungsverhalten bei neuartigen kognitiven
Problemen äußerten (für eine Übersicht siehe West, 1996). Esposito et al. (1999) fanden bei der
Untersuchung der Hirnaktivität in einer WCST-Aufgabe eine bei älteren Probanden im
Gegensatz zu jungen Probanden verringerte Aktivierung des linken dorsolateralen präfrontalen
Kortex. Eine Einschränkung der strategischen Kontrolle wurde überdies auch als Ursache einer
altersspezifischen Beeinträchtigung der sensomotorischen Adaptation von Zeigebewegungen an
ein rotiertes Feedback vermutet, da sich gezeigt hatte, dass diese nur vorhanden war, wenn
visuelle Rückmeldung verfügbar war, welche die Anwendung einer Strategie ermöglichte (Bock,
2005).
Überdies wurden exekutive Beeinträchtigungen bereits in frühen Untersuchungen zu integrativer
Informationsverarbeitung in verschiedenen Alterstufen assoziiert mit einer eingeschränkten
Fähigkeit verschiedene Informationen parallel zu verarbeiten (Craik & Byrd, 1982).
Schwierigkeiten beispielsweise bei der simultanen Verarbeitung von informationsspeichernden
und informationsverarbeitenden Prozessen konnten in den vergangenen Jahren von zahlreichen
Autoren bestätigt werden (Moscovitch & Winocur, 1992; Salthouse, 1994). Insbesondere anhand
des ,,n-back"-Paradigmas, welches von den Probanden erforderte, sich eine Abfolge von Stimuli
einzuprägen und zu bestimmten Zeitpunkten einen bestimmten gespeicherten Stimulus
wiederzuerkennen, der n Stimuli zuvor präsentiert wurde, zeigte sich, dass ältere Probanden in
solchen Paradigmen eine wesentlich geringere Leistung aufwiesen als junge Probanden.
Betroffen scheinen überdies auch insbesondere komplexe Prozesse der Informationsenkodierung
zu sein, wie auch das Abrufen gespeicherter Inhalte aus dem episodischen Gedächtnis
(Verhaeghen et al., 1993). Craik (1977) fügte in diesem Zusammenhang hinzu, dass

Einleitung 7
Untersuchungen, welche den Abruf von Gedächtnisinhalten anhand externer Hilfen (Bilder etc.)
unterstützen, keine altersspezifischen Dekremente hervorbrachten. Craik (1977) vermutet
entgegen der Annahme von Eysenck (1974, 1977), dass sich folglich möglicherweise nicht die
zur Verfügung stehende kognitive Kapazität verringert (Eysenck, 1974, 1977), sondern dass bei
selbstgeleiteten kognitiven Operationen bestimmte Mechanismen der Informationsverarbeitung
im Alter nicht effizient mobilisiert werden können (Craik 1977, 2000). Bildgebende Verfahren
konnten darüber hinaus in ersten Untersuchungen zum verbalen Gedächtnis feststellen, dass
junge Erwachsene bei Enkodierungsprozessen eine erhöhte Aktivität im linken präfrontalen
Kortex aufwiesen und beim Abrufen von Informationen eine erhöhte Aktivität im rechten
präfrontalen Kortex (Cabeza & Nyberg, 1997; Grady, 1999), wohingegen ältere Erwachsene eine
geringere Aktivität im linken präfrontalen Kortex bei der Enkodierung zeigten (Cabeza et al.,
1997) und eine bilaterale präfrontale Aktivierung bei Abrufprozessen (Backman et al., 1997).
Weitere exekutive Einschränkungen betreffen möglicherweise inhibitorische Prozesse, die
insbesondere auf die Elimination irrelevanter Information aus dem Arbeitsgedächtnis abzielen
(Hasher & Zacks, 1988; Zacks & Hasher, 1997). Die Autoren vermuten in diesem
Zusammenhang, dass defizitäre inhibitorische Mechanismen zu einer verkürzten
Gedächtnisspanne führen können, weil nicht gelöschte Gedächtnisinhalte die Menge neu zu
memorierender Inhalte möglicherweise reduzieren.
Allerdings nehmen andere Autoren in diesem Zusammenhang an, dass eine reduzierte
Gedächtnisspanne älterer Menschen auf eine generelle zentrale Verlangsamung der
Informationsverarbeitung zurückgeht, da diese möglicherweise die Menge der Information
limitiert, die kurzfristig im Gedächtnis verarbeitet werden kann (Birren, 1964; Salthouse,
1985,1996; Cerella, 1990).
Psychologische Faktoren können als Folge aus den in diesem Kapitel benannten
alterspezifischen Defiziten möglicherweise ebenfalls ein erhöhtes Unfallrisiko im Alter
darstellen. Hierzu zählen eine Verminderung der Motivation sowie des Selbstvertrauens und eine
daraus resultierende Sturzangst. Letztere kann zum einen aus einem zuvor erfolgten Sturz
resultieren, Sturzangst wird zum anderen aber auch von einer Vielzahl älterer Menschen als
grundsätzlich bestehendes Phänomen beschrieben (Tinetti et al., 1990). Diese ist insofern
kritisch zu betrachten, da die Betroffenen ihr Aktivitätsniveau nicht selten gravierend
einschränken und sich infolge dessen körperlich weniger betätigen und oftmals in einen Zustand
der sozialen Isolation begeben. Dieser Zustand, wie er bei Alleinlebenden oder solchen älteren
Personen, die weniger als einmal pro Woche die Wohnung verlassen, oftmals gegeben ist, wurde
als weiterer wichtiger Sturzindikator definiert (Nevitt et al., 1989).

Einleitung 8
Während aus der Literatur hinreichend ersichtlich ist, in welchem Zusammenhang Stürze im
Alter mit physiologischen und psychologischen Veränderungen sowie Beeinträchtigungen des
Gangbildes stehen, ist noch nicht eindeutig geklärt, welche Rolle kognitive Strukturen bei der
erhöhten Sturzgefahr im Alter spielen. Es ist in diesem Zusammenhang denkbar, dass das
Unfallrisiko in solchen Situationen ansteigt, in denen mehrere Aufgaben zur gleichen Zeit
bewältigt werden müssen und folglich ein höherer kognitiver Bewältigungsaufwand als in
einfachen Aufgabensituationen erforderlich ist. Vorstellbar sind alltägliche Situationen, in denen
ein älterer Mensch beispielsweise über Kopfsteinpflaster geht und sich gleichzeitig den Mantel
zuknöpft. Die parallele Bearbeitung zweier solcher Aufgaben könnte beispielweise infolge
bestehender sensomotorischer oder muskulärer Defizite eine kognitive Überforderung für ältere
Menschen darstellen, weil eine unbeeinträchtigte Regulation der Fortbewegung über das
Kopfsteinpflaster bereits soviel bewusste Kontrolle erfordert, dass die verbleibende kognitive
Kapazität für das Zuknöpfen des Mantels nicht ausreichend ist. Es ist jedoch genauso möglich,
dass nicht das Gehen, sondern das Zuknöpfen des Mantels priorisiert wird. Eine solche
,,unökologische" Verteilung der kognitiven Kapazität auf die jeweiligen Aufgaben könnte
eventuell in einem Sturz enden, wenn die bewusste Kontrolle über die körperliche Stabilität nur
unzureichend gegeben ist. Es ist überdies offensichtlich, dass das Unfallrisiko ansteigt, wenn die
verfügbare kognitive Kapazität älterer Menschen infolge kognitiver Funktionseinschränkungen
zusätzlich verringert ist.
Die vorliegende Arbeit versucht nun, ein weiteres mögliches Sturzrisiko zu erfassen, indem sie
die Bearbeitung mehrerer gleichzeitiger Aufgaben untersucht und mögliche altersspezifische
Defizite in der Handlungsorganisation beleuchtet. Eine Methode, die sich zur Erfassung
kognitiver Regelungsprozesse bei der Bewältigung simultaner Aufgaben besonders eignet, stellt
das sogenannte Doppelaufgaben-Paradigma dar, welches wird im folgenden Kapitel erläutert
wird.

Einleitung 9
1.3
Untersuchung kognitiver Regelungsprozesse anhand des
Doppelaufgaben-Paradigmas
Das gleichzeitige Ausführen zweier Aufgaben, wie beispielsweise das Führen einer Unterhaltung
während eines Spaziergangs, wird als Doppelaufgabe bezeichnet, typischerweise handelt es sich
um die Kombination einer sensomotorischen Aufgabe mit einer kognitiven Aufgabe. Die
Kombination zweier sensomotorischer oder zweier kognitiver Aufgaben ist jedoch ebenso
möglich. Doppelaufgaben werden angewandt, um Prozesse der Informationsverarbeitung sowie
Strukturen des zentralen Systems zu untersuchen, das heißt, dass anhand dieser Aufgaben die
Zuteilung kognitiver Ressourcen im Zusammenhang mit den Möglichkeiten und Grenzen einer
simultanen Aufgabenbewältigung hinterfragt und auch die Verfügbarkeit und Nutzbarmachung
dieser Ressourcen untersucht wird. Der bildhafte Begriff Ressource bezeichnet die kognitive
Kapazität, die jeder einzelnen Person für Prozesse der Informationsverarbeitung zur Verfügung
steht (Navon, 1984).
Oftmals führt die gleichzeitige Bearbeitung zweier Aufgaben zu Interferenzeffekten, das heißt, es
treten Leistungseinbußen auf in einer oder beiden Aufgaben im Vergleich zu einer zeitlich
getrennten Aufgabenbearbeitung (Navon & Gopher, 1979). Darüber hinaus scheint aufgrund
einer Interdependenz der Aufgaben eine Steigerung der Leistung in einer Aufgabe in der Regel
nur auf Kosten der Leistung in der zweiten Aufgabe möglich.
Zunächst seien zwei naheliegende Ursachen für Interferenzen bei Doppelaufgaben genannt:
Laut Heuer (1996) treten Interferenzeffekte dann auf, wenn zwei Aufgaben um eine
Informationsverarbeitung durch die gleichen Eingabesysteme konkurrieren. Dies ist
beispielsweise der Fall, wenn die erfolgreiche Bearbeitung zweier gleichzeitiger Aufgaben die
Verarbeitung visueller Information erfordert, welche an zwei auseinander liegenden Orten
dargeboten wird. Eine Verarbeitung zweier solcher Reize ist nur nacheinander möglich, weil die
Augen nicht zwei auseinander liegende visuelle Reize zur gleichen Zeit erfassen können.
Eine weitere mögliche Erklärung für Interferenzeffekte bei der Bearbeitung zweier motorischer
Aufgaben beschrieb Kelso (1984) durch den Konflikt peripher-sensomotorischer Prozesse
beispielsweise bei der gleichzeitigen Bewegung zweier gleicher Extremitäten. Homologe
Muskelgruppen zeigten bevorzugt simultane (in-phasige) oder alternierende (gegen-phasige)
Aktivierungsmuster, wobei das letztere insbesondere bei hohen Bewegungsgeschwindigkeiten
zunehmend instabiler wurde. In späteren Untersuchungen zeigte sich, dass andere
Bewegungsmuster durch Training erworben werden können (Wenderoth & Bock, 2001).
Grundsätzlich wird zwar davon ausgegangen, dass die Leistungseinbuße in den Aufgaben
abhängig ist von der Ähnlichkeit peripherer Eingangs- und Ausgangssysteme (Damos, 1985),

Einleitung 10
jedoch lassen sich nicht alle Interferenzeffekte auf diese Weise erklären. So zeigten sich zum
Beispiel Störeffekte bei der Kombination zweier kognitiver Aufgaben (Manzey, 1993), welche
darauf hin deuten, dass auch eine Konkurrenz um zentrale Verarbeitungsprozesse Interferenzen
zur Folge haben kann. Im Folgenden werden weitere
Theorien und Modelle zur Erklärung von
Interferenzeffekten vorgestellt.
Um Interferenzen bei Doppelaufgaben zu erklären, wurden in der Vergangenheit verschiedene
Konzepte entwickelt. Bereits 1952 untersuchte
Welford die Reaktionszeit auf zwei
nebeneinander aufleuchtende Reize in Abhängigkeit vom Inter-Stimulus-Intervall (ISI). Dieses
variierte zwischen 50ms und 500 ms. Die Versuchspersonen reagierten schneller, wenn das ISI
größer wurde. Diese und ähnliche Untersuchungen brachten die Idee der Ein-Kanal-Theorie
(
Broadbent et al., 1958) hervor: es wurde vermutet, dass sich die Reaktionszeiten bei
zunehmendem ISI deshalb verkürzten, weil für die Verarbeitung eines Reizes nur ein Kanal zur
Verfügung steht, der bei zu kurzen ISI noch durch die Verarbeitung eines vorangegangenen
Reizes belegt ist. Erst wenn dieser den Kanal passiert hat, kann ein zweiter, nachfolgender Reiz
verarbeitet werden.
Dieser Ansatz wurde recht schnell durch Arbeiten von
Kahneman (1973) und Norman &
Bobrow (1975) verworfen. Die Autoren beschrieben das zentrale Informations-
verarbeitungssystem als einen limitierten Pool unspezifischer Ressourcen.
Eine parallele Informationsverarbeitung ist prinzipiell möglich, Interferenzeffekte treten dann
auf, wenn die für die parallele Verarbeitung erforderlichen Ressourcen die Grenzen der
tatsächlich zur Verfügung stehenden Ressourcen übersteigen. Zudem besteht ein linearer
Zusammenhang zwischen der Leistung in einer Aufgabe und der auf diese Aufgabe allozierten
Ressourcen. Eine schwierige Aufgabe erfordert für ein vergleichbares Leistungsniveau einen
größeren Teil der Ressourcen als eine vergleichsweise leichte Aufgabe. In Abhängigkeit vom
Anforderungscharakter der Aufgabe ändert sich also die Zuteilung der Ressourcen, darüber
hinaus sinkt oder steigt der Grad der Interferenz in Abhängigkeit von der Ressourcen-Allokation.
Keine Interferenz würde dem Modell zufolge auftreten bei der Kombination zweier Aufgaben,
deren Anforderung zusammengenommen nicht die Grenze der Verarbeitungskapazitäten
übersteigen (Navon & Gopher, 1979).
Einen ähnlichen Ansatz vertreten auch
Schiffrin & Schneider (1977). Sie gehen von einer
Unspezifität der Ressourcen aus und nehmen an, dass bei der Bearbeitung aller Aufgaben immer
auf die gleichen Verarbeitungsressourcen zurückgegriffen wird. Ihre Zwei-Prozess-Theorie
klammert jedoch automatisierte Prozesse aus; sie schlägt vor, dass nur kontrollierte, nicht-
automatisierte Prozesse ressourcenabhängig sind.

Einleitung 11
Die Ansätze von Kahneman (1973) und Schiffrin & Schneider (1977) stießen jedoch ebenfalls
auf Kritik, da eine Vielzahl von Aufgabenkombinationen zu Interferenzen führte, welche nicht
ausschließlich durch den Schwierigkeitsgrad der jeweiligen Aufgaben erklärt werden konnten.
Zum einen zeigten sich in frühen Untersuchungen von Treisman & Davies (1973) bei der
Kombination zweier vermeintlich leichter visueller, bzw. auditiver Aufgaben wesentlich größere
Interferenzen als bei einer Kombination zweier Aufgaben mit unterschiedlichen Modalitäten.
Darüber hinaus konnte in späteren Untersuchungen festgestellt werden, dass zwei schwierige
Aufgaben ohne Interferenzeffekte miteinander kombiniert werden konnten, wohingegen beide
Aufgaben in Kombination mit anderen Aufgaben zu Interferenzen führten (
Wickens, 1991).
Einen weiteren Hinweis darauf, dass nicht allein der Schwierigkeitsgrad einer Aufgabe
ausschlaggebend zu sein scheint für Interferenzeffekte ergaben auch Untersuchungen von
Neumann (1987). Zwar hielt Neumann fest, dass eine reduzierte Leistungseinbuße ein Zeichen
für eine fortgeschrittene Vereinfachung bzw. Automatisation der Aufgaben sein kann, doch
konnte er zeigen, dass auch vermeintlich hoch automatisierte Prozesse Einbußen verzeichnen in
Abhängigkeit vom Anforderungscharakter der Zusatzaufgabe. Ergebnisse von Manzey (1988)
und Wickens et al. (1991) lassen in diesem Zusammenhang ebenfalls vermuten, dass der Grad
der Interferenz möglicherweise eher von der
Struktur der Aufgabe abzuhängen scheint als von
ihrer Schwierigkeit. Unter Struktur ist hier nicht nur die visuelle oder akustische Modalität einer
Aufgabe sowie die Unterscheidung motorischer und eher kognitiver Aufgaben zu verstehen,
sondern auch ihre Beschaffenheit im Sinne einer kontinuierlich oder diskret, intermittierend zu
bearbeitenden Aufgabe. So führte eine Sternberg-Aufgabe (Sternberg, 1966) in Kombination mit
einer Kopfrechenaufgabe zu weitaus größeren Interferenzen, als die Kombination derselben
Kopfrechenaufgabe mit einer motorischen Kippschalteraufgabe (Manzey, 1988).
Ergebnisse dieser Art führten zu der Entwicklung der Theorie multipler Ressourcen.
Navon &
Gopher (1979) postulierten die Existenz mehrerer unabhängig voneinander organisierter
Verarbeitungsressourcen, die in unterschiedliche Phasen der Informationsverarbeitung involviert
sind. Wickens (1984; 1991) nimmt auf der Grundlage dieses Modells ein wichtige Spezifikation
auf zwei Ebenen vor:
a) Verbale vs. räumlich-analoge Verarbeitungsressourcen
b) Perzeptiv-kognitive vs. motorische Verarbeitungsressourcen
Gemäß dieser Annahme interferieren zwei Aufgaben in nur sehr geringer Weise, wenn sie sich
hinsichtlich ihres Bedarfs dieser spezifischen Ressourcen unterscheiden. Eine ehemals dritte
Unterscheidung von Wickens (1988) zwischen auditiven und visuellen Ressourcen ist
mittlerweile verworfen worden (Wickens & Liu, 1988).

Einleitung 12
Die Theorie multipler Ressourcen kann eine Vielzahl empirischer Befunde erklären, jedoch ist
auch dieses Modell kritisch zu sehen. Durch die Definition immer neuer spezifischer Ressourcen
können alle denkbaren Effekte begründet werden, so dass sich in der Konsequenz eine fehlende
Widerlegbarkeit des Modells ergibt, wodurch es an Ökonomie und Erkenntnisgewinn erheblich
verliert (Heuer, 1985; Allport, 1989).
Ein globales Konzept zur Erklärung von Interferenzeffekten ist aufgrund der Vielzahl möglicher
Aufgabenkombination kaum denkbar. Vielmehr versuchen neuere Ansätze bereits bestehende
Theorien zu modifizieren, bzw. einzelne Mechanismen des Informationsverarbeitungsprozesses
zu bestimmen, die innerhalb eines Verarbeitungssystems aufgrund struktureller
Unvereinbarkeiten der Aufgaben zu Interferenzen führen.
Eine mögliche Alternative zu ressourcentheoretischen Ansätzen liefern Modelle der
Aufmerksamkeit von
Allport (1989) oder Neumann (1985), welche die Existenz parallel
arbeitender funktioneller Einheiten innerhalb des zentralen Verarbeitungssystems vorschlagen.
Diese Einheiten, auch Module genannt, sind untereinander vernetzt und können auf verschiedene
Weisen Störeffekte hervorrufen. Eine Möglichkeit könnte der "Cross-talk"-Mechanismus
darstellen, der zu Interferenzen aufgrund unzureichender Isolation zweier Module gegeneinander
führt. Auch die vorübergehende Nicht-Verfügbarkeit eines Moduls, welches für verschiedene
Verarbeitungsprozesse zugleich benötigt wird, könnte zu einer Störung paralleler Prozesse
führen. Diese Möglichkeit wird mit "temporary disablement of modules" umschrieben (Navon,
1985).
Aber auch diese Art der Herangehensweise ist nicht ganz frei von Kritik: es stellt sich die Frage,
ähnlich wie bei der Annahme multipler Ressourcen, wie viele solcher Module definiert werden
müssen, um einen ökonomischen Ansatz für die Erklärung von Interferenzeffekten liefern zu
können. Allerdings erklärt Manzey (1993), dass der Vorteil solcher eher strukturellen
Erklärungsansätze in einem neuen Untersuchungsansatz für Doppelaufgaben besteht: Manzey
vermutet, dass Interferenzeffekte weniger durch einen überhöhten Ressourcenbedarf entstehen,
sondern eher dadurch, dass die Probanden die zu bearbeitenden Aufgaben nicht voneinander
koppeln und in einen übergeordneten Handlungsplan integrieren können. Aus diesem Grund
schlägt der Autor vor, die Handlungsorganisation bei Doppelaufgaben anhand von
Mikroanalysen zu untersuchen, welche ihr Hauptaugenmerk auf die möglichen zugrunde
liegenden
Bearbeitungsstrategien richten. In einer nachfolgenden Untersuchung konnte Manzey
(1993) zeigen, dass sich Interferenzeffekte dann reduzierten, wenn die Probanden die
Doppelaufgabe als solche trainierten. Bei getrennter Übung der Aufgaben zeigte sich eine
Verringerung der Störeffekte nicht. Der Autor vermutete daher, dass die Probanden lernten,

Einleitung 13
durch die zeitgleiche Bearbeitung beider Aufgaben diese zu entkoppeln und durch eine
trainingsbedingte Reduktion der strukturellen Inkompatibilität in einen komplexen
Handlungsplan einzuordnen.
Während die zuvor beschriebenen Erklärungsansätze für Interferenzen bei Doppelaufgaben
uneingeschränkt gültig sind, ist im Folgenden eine weitere Möglichkeit zu nennen, welche
Interferenzeffekte insbesondere
im Alter anhand individueller Bearbeitungsstrategien zu
erklären versucht.
1.4
Altersspezifische Doppelaufgaben-Defizite: Erklärungsversuche unter
Berücksichtigung individueller Bearbeitungsstrategien
Eine weitere Möglichkeit, Befunde aus Doppelaufgaben losgelöst von bestehenden Theorien zu
interpretieren, geht auf Baltes & Baltes (1990) zurückt. Dieser Ansatz ist für die vorliegende
Arbeit von besonderem Interesse, weil er sich insbesondere auf die Entstehung von Interferenzen
bei Doppelaufgaben im Alter bezieht:
Adaptationsprozesse an unterschiedliche sensomotorische oder kognitive Aufgaben, oder gar an
eine Kombination dieser, können im Alter aufgrund einer Reduktion der kognitiven Kapazität
verändert und im Sinne einer der Altersgruppe entsprechenden Ökologie eine höhere Relevanz
erfahren als in jüngeren Altersgruppen. Der Begriff Ökologie meint, dass beispielsweise Risiko
und Konsequenzen eines Sturzes in Abhängigkeit von der Altersgruppe ganz unterschiedlich
sind. Die Anforderungen an eine optimale Ressourcenallokation zusammen mit entsprechenden
Prioritäten und Strategien ändert sich gemäß Baltes & Baltes (1990) folglich mit dem Alter.
Allerdings lassen sich laut Lindenberger et al. (2000) derartige Vermutungen anhand oben
benannter Theorien und Modelle nicht ausreichend überprüfen; vielmehr ist es notwendig, neue
Maße zu finden, anhand derer die wirkliche Leistung älterer Probanden sowie das Ausmaß
alltäglicher Probleme dargestellt werden können. Als Lösung des vorgestellten Problems
schlagen Baltes & Baltes (1990) das
Modell der selektiven Optimierung mit Kompensation
(SOC) vor. Hierbei handelt es sich um ein Modell, welches die Ressourcenallokation älterer
Menschen als intelligentes, adaptives Verhalten an alltägliche Situationen begreift. Bei der
Integration und Koordination mehrfacher kognitiver und sensorischer Informationen gründet sich
der für die Bewältigung einer sensomotorischen, posturalen Aufgabe erhöhte Ressourcenbedarf
älterer Menschen auf bereits angeführten peripheren sensomotorischen Defiziten (Krampe et al.,
2002). Die SOC-Hypothese besagt, dass ältere Menschen einen größeren Anteil ihrer

Einleitung 14
verfügbaren Ressourcen aufgrund der ökologischen Relevanz der Aufgabe auf die posturale
Aufgabe verteilen, wenn eine zweite simultane Aufgabe bearbeitet werden muss, während junge
Menschen ihre Ressourcen gleichermaßen auf beide Aufgaben verteilen können.
Die Hypothese basiert laut Krampe et al. (2002) auf drei wichtigen Voraussetzungen:
- die insgesamt verfügbaren Ressourcen sind altersbedingt reduziert
- sensomotorische Funktionen erfordern im Alter eine erhöhte Ressourcenzuteilung
- die Aufrechterhaltung eines stabilen Gleichgewichts hat im Alter eine gesteigerte
ökologische Relevanz (Krampe et al., 2002)
Im Sinne des SOC-Modells versteht sich die selektive, priorisierende Verteilung verfügbarer
Ressourcen folglich als kompensatorisches adaptives Verhalten an erworbene Verluste.
In den beiden vorangegangenen Kapiteln wurden mögliche Erklärungsmodelle für die
Entstehung von Interferenzen bei Doppelaufgaben allgemein und speziell im Alter vorgestellt. In
den nachfolgenden Kapiteln werden nun Studien beschrieben, welche Aufgabensituationen
benennen, in denen solche erhöhten Interferenzen im Alter eintreten können.
1.5
Übersicht über frühere Doppelaufgaben-Studien:
"Stehen" und "Gehen" im Altersvergleich
Im Kontext der vorliegenden Arbeit wurden nur solche Doppelaufgaben-Studien ausgewählt,
welche die Bewältigung der posturalen Aufgaben " Stehen " und "Gehen" im Altersvergleich
untersuchten, das heißt, welche einen Vergleich gesunder älterer Probanden im Alter von über 65
Jahren im Vergleich zu gesunden jungen Erwachsenen im Alter von 20 bis 30 Jahren
vornahmen.

Einleitung 15
1.5.1
Doppelaufgaben mit statischer sensomotorischer Aufgabe "Stehen"
Posturale Kontrollmechanismen wurden lange Zeit als automatisierte oder reflexartige Prozesse
betrachtet, die nur geringen oder gar keinen zentralen Regulationsmechanismen unterliegen.
Neuere Untersuchungen widerlegen diese Annahme jedoch, indem sie zeigen, dass auch
vermeintlich hochautomatisierte Prozesse motorischen Regelungsprozessen unterliegen. Im
Folgenden werden drei mögliche Ursachen vorgestellt, die zu erhöhten Interferenzeffekten im
Alter führen können.
Eine
erste mögliche Ursache für altersspezifisch erhöhte Interferenzen scheinen mechanische
Störungen in der posturalen Aufgabe darzustellen. In einer Untersuchung von Stelmach et al.
(1989, 1990) standen junge und ältere Probanden auf einer Kraftmessplatte und produzierten
Armschwingungen mit einer Frequenz von 1 Hz während sie kontinuierlich Kopfrechenaufgaben
lösten oder einen Knopf drückten. Nach Stoppen der Schwungbewegungen untersuchten die
Autoren den Zeitaufwand, den junge und ältere Probanden benötigten, um die körperliche
Stabilität wieder zu erlangen, die sie aufwiesen, bevor erhöhte Körperschwankungen infolge der
Armbewegungen ausgelöst worden waren. Die Ergebnisse zeigten, dass die Erholungsphase in
der Gruppe der älteren Probanden während der simultanen kognitiven Zusatzaufgabe im
Vergleich zu der motorischen Zusatzaufgabe wesentlich länger dauerte als in der jüngeren
Altersgruppe. Die Leistung der Zusatzaufgaben wurde nicht quantifiziert. Die Autoren schlossen
aufgrund der verlängerten Erholungsphase, dass bei älteren Probanden die Fähigkeit,
mechanische Störungen während einer posturalen Aufgabe zu kompensieren, defizitär ist infolge
einer beeinträchtigten Integration mehrerer sensorischer Informationen in eine motorische
Antwort (Stelmach, 1989, 1990).
Dieses Ergebnis allein kann jedoch nicht als altersspezifisches Doppelaufgabendefizit betrachtet
werden, da eine Quantifizierung der Leistung der Zusatzaufgabe erforderlich gewesen wäre.
Möglicherweise wiesen beide Altersgruppen unterschiedliche Handlungsregulationen auf, indem
sie beispielsweise unterschiedliche Aufgabentypen priorisierten. Dies ist zwar spekulativ, für die
Interpretation der Ergebnisse jedoch unbedingt zu beachten. Um eine Aussage über eine
Ressourcenbeanspruchung treffen zu können, ist es dringend erforderlich, die Leistung beider
Aufgaben zu bemessen, da andererseits unklar bleibt, auf welche Weise junge und ältere
Probanden den Aufgaben kognitive Ressourcen zuteilten.

Einleitung 16
Ähnliche Ergebnisse wie bei Stelmach (1989, 1990) lieferten Studien von Brown et al. (1999)
und Teasdale & Simoneau (2001).
In der ersten Studie wurden bei jungen und älteren
Erwachsenen Strategien zum Ausgleich einer plötzlichen Störung der körperlichen Stabilität
während des ruhigen Stands auf einer Kraftmessplatte untersucht. Die Störungen wurden durch
Bewegungen der Kraftmessplatte initiiert, die Strategien wurden in ausgleichende Schritte
(Stepping-Strategie) bzw. Gewichtsverlagerungen durch ausgleichende Bewegungen in der
Hüfte (Hip-Strategie) unterteilt. Zusätzlich zu der sensomotorischen Aufgabe führten die
Probanden kontinuierlich Subtraktionen durch.
Die Ergebnisse zeigten eine im Alter signifikant
verringerte Leistung in der kognitiven Zusatzaufgabe, welche vermutlich durch einen im Alter
signifikant erhöhten kognitiven Aufwand für die Erhaltung des Gleichgewichts zustande kam
(Brown et al., 1999). Bei schnelleren Bewegungen der Kraftmessplatte zeigte sich bei den
Älteren die Tendenz, die Stepping-Strategie der Hip-Strategie vorzuziehen. Dies hatte
vermutlich eine Vergrößerung der Unterstützungsfläche und infolgedessen eine verbesserte
motorische Kontrolle zur Folge.
In einem späteren Experiment von Teasdale & Simoneau (2001) handelte es sich ebenfalls um
eine Standaufgabe auf einer Kraftmessplatte. In dieser Studie hatten die Probanden die
Anweisung, die posturale Aufgabe als primäre Aufgabe zu betrachten. Gemessen wurden
Bewegungsgeschwindigkeiten des Körperschwerpunkts in veränderten sensorischen
Bedingungen, während junge und ältere Probanden fortwährend durch verbale Antworten auf
akustische Stimuli reagierten. Die Reaktionen erfolgten randomisiert kurz bevor oder nachdem
visuelles oder propriozeptives Feedback durch Vibrationen der Kraftmessplatte unterbunden
worden war. Es zeigte sich, dass Bewegungen des Körperschwerpunktes bei Älteren im
Vergleich zu den jungen Erwachsenen insbesondere dann eine signifikant erhöhte
Geschwindigkeit aufwiesen, wenn sensorische Informationen durch eine Wiederbereitstellung
des propriozeptiven Feedbacks in die Kontrolle der körperlichen Stabilität re-integriert werden
mussten. Die Reaktionszeiten waren in der Doppelaufgabe in beiden Altersgruppen in ähnlicher
Weise beeinträchtigt. Die Autoren schlussfolgerten speziell aufgrund der erhöhten
Bewegungsgeschwindigkeit des Körperschwerpunktes nach der Wiederbereitstellung
propriozeptiver Informationen, dass die Re-Integration sensorischer Informationen im Alter nicht
nur durch eine altersbedingt erhöhte Reizschwelle peripherer Systeme beeinträchtigt zu sein
scheinen, sondern vermutlich auch durch eine limitierte Kapazität zentraler
Integrationsmechanismen.

Einleitung 17
Die Ergebnisse der vorangegangenen Studien zeigen, dass infolge mechanischer Störeffekte
altersspezifische Interferenzen auftreten können und folglich die Kontrolle über die körperliche
Stabilität im Alter vermehrt von kognitiven Regulationsmechanismen abzuhängen scheint.
Neben mechanischen Störungen als mögliche Erklärung für altersspezifisch erhöhte
Interferenzen, ist ebenso denkbar, dass als
zweite Ursache eine Erhöhung des
Schwierigkeitsgrades der posturalen Aufgabe in Form einer Reduktion der Unterstützungsfläche
zu erhöhten kognitiven Regelungsprozessen im Alter führt.
In einer Untersuchung von Lajoie et al. (1996) führten junge und ältere Probanden kontinuierlich
Reaktionen auf akustische Stimuli durch. Bei der posturalen Aufgabe wurden drei Positionen
unterschieden: die Probanden saßen, standen aufrecht auf einer schulterbreiten
Unterstützungsfläche oder standen aufrecht auf einer engen Unterstützungsfläche. Die Analyse
der Reaktionszeiten ergab, dass Ältere durch Einschränkung der Unterstützungsfläche signifikant
stärker betroffen waren als die jungen Teilnehmer. Für die posturale Aufgabe wurde keine
Analyse durchgeführt, weswegen die Daten lediglich darauf hin weisen, dass in der
Doppelaufgabe altersspezifisch erhöhte Einbußen in der kognitiven Aufgabe eintraten, wenn der
Schwierigkeitsgrad der posturalen Aufgabe stieg. Über eine Zuteilung kognitiver Ressourcen auf
die Standaufgabe kann folglich keine Aussage getroffen werden.
Teasdale et al. (1993) berichteten, dass sich die Reaktionszeiten auf eine kontinuierliche
akustische Reaktionsaufgabe bei jungen und älteren Probanden signifikant erhöhten, wenn die
Probanden auf einer engen Unterstützungsfläche standen im Vergleich zu einer sitzenden
Position bzw. zu einer schulterbreiten Unterstützungsfläche. Dieser Effekt zeigte sich signifikant
stärker bei den Senioren, während die Standaufgaben durch die Reaktionsaufgabe in beiden
Gruppen nicht betroffen war.
Eine zusätzliche Verminderung der sensorischen Information durch
reduziertes visuelles Feedback wirkte sich darüber hinaus insbesondere in der Seniorengruppe
verstärkt auf die Reaktionsgeschwindigkeit aus
.
Die Autoren vermuten, dass eine schmale
Unterstützungsfläche sowie die Reduktion der sensorischen Rückmeldung zu einem erhöhten
Bedarf an kognitiven Ressourcen für die Aufrechterhaltung der körperlichen Stabilität führt und
somit die für die Reaktionsaufgabe zur Verfügung stehenden kognitiven Kapazitäten maßgeblich
einschränkt (Teasdale et al., 1993).
In einem ähnlichen Experiment von Shumway-Cook & Woollacott (2000) wurden Bewegungen
des Körperschwerpunktes auf einer beweglichen Kraftmessplatte bei jungen, gesunden älteren

Einleitung 18
und älteren Probanden mit Balancestörungen registriert, während bei geöffneten und
verschlossenen Augen verbale Reaktionen auf einen akustischen Stimulus ausgeführt werden
mussten. Bei einer Erhöhung des Schwierigkeitsgrades der posturalen Aufgabe durch die
Reduktion des visuellen Feedbacks zeigten sich bei den gesunden Älteren im Vergleich zu
jungen Erwachsenen signifikant verlängerte Reaktionszeiten. Signifikant erhöhte
Körperschwankungen zeigten sich bei den gesunden Älteren darüber hinaus erst, wenn sowohl
visuelles als auch somatosensorisches Feedback durch Bewegungen der Plattform reduziert
wurden. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass im Alter ein größerer Anteil kognitiver
Ressourcen auf die posturale Aufgabe verteilt werden muss, wenn der Zugriff auf sensorische
Informationen erschwert wird.
Die Befunde der älteren Probanden mit Gleichgewichtsstörungen zeigten darüber hinaus bereits
bei geöffneten Augen durch die gleichzeitige Bearbeitung der Reaktionsaufgabe eine
Beeinträchtigung der körperlichen Stabilität, das heißt, das die posturale Kontrolle älterer
Erwachsener mit Balancestörungen vermutlich bereits in einfachen Aufgabenbedingungen einen
größeren kognitiven Aufwand erfordert als bei nicht betroffenen Älteren.
Eine
dritte Ursache für im Alter erhöhte Interferenzeffekte stellt möglicherweise die Bedeutung
des auch in den beiden zuletzt erwähnten Studien beschriebenen Anteils der visuellen
Information an der motorischen Kontrolle dar. Während wie oben beschrieben eine Reduktion
des visuellen Feedbacks zu alterspezifischen Interferenzen führen kann, zeigen sich ebenfalls
Störeffekte bei Doppelaufgaben, in denen beide Aufgabentypen die Verarbeitung visueller
Information erfordern. In einer Untersuchung von Maylor & Wing (1996) wurden verschiedene
kognitive Zusatzaufgaben mit einer ruhigen Standaufgabe kombiniert. Abgesehen davon, dass
junge Probanden in vier von fünf Zusatzaufgaben signifikant besser abschnitten als ältere,
zeigten sich zusätzlich altersspezifische Beeinträchtigungen der körperlichen Stabilität während
der Bearbeitung einer visuo-spatialen Gedächtnisaufgabe nach Brook`s (1967). Die Autoren
weisen darauf hin, dass Aufgaben wie die räumliche Gedächtnisaufgabe nach Brook`s (1967),
die auf das visuo-spatiale Sketchpad (VSSP) des Arbeitsgedächtnis zurückgreift (Baddeley,
1986), zu erhöhten Interferenzen führen, weil sowohl die erfolgreiche Bearbeitung der posturalen
Aufgabe als auch der Zusatzaufgabe visuo-spatialen Informationsverarbeitungsprozessen
unterliegen. Diese Vermutung entspricht der Annahme von Baddeley (1994), der die
artikulatorische Schleife und das visuell-räumliche Sketchpad als modalitätsspezifische
Submodule des Arbeitsgedächtnis formuliert und annimmt, dass parallele Aufgaben, die jeweils
eine Verarbeitung visuell-räumlicher Information erfordern, in erhöhtem Maße interferieren.

Einleitung 19
Maylor et al. (2001) konnten die oben beschriebenen Ergebnisse unterstützen, nachdem sie in
einem ähnlichen Experiment im Alter ebenfalls erhöhte Doppelaufgabenkosten bei der
Kombination zweier räumlich-visueller Aufgaben fanden.
Die Ergebnisse der Studien, die Interferenzeffekte bei der Kombination solcher Aufgaben
untersuchten, sind allerdings nicht konsistent. Die Hypothese bzgl. erhöhter Interferenzen bei der
Kombination einer räumlich-visuellen Aufgabe mit einer posturalen Aufgabe konnte bei einem
Vergleich junger, gesunder älterer und älterer Probanden mit Gleichgewichtsstörungen von
Shumway-Cook et al. (1997) nicht bestätigt werden. Obwohl angenommen worden war, dass
eine visuo-spatiale Zusatzaufgabe stärker mit einer Standaufgabe interferieren würde als eine
kognitive Verständnisaufgabe (Satzvervollständigung), zeigte sich eine altersspezifische
Beeinträchtigung der körperlichen Stabilität bei den gesunden älteren Probanden nur in
Kombination mit der Verständnisaufgabe und erst nach einer zusätzlichen Reduktion der
sensorischen Information durch das Stehen auf einer Schaumstoffmatte. Als Erklärung für
erhöhte Interferenzen der Standaufgabe und der Verständnisaufgabe wurde die visuelle
Darbietungsform dieser Aufgabe angeführt. Anzumerken ist, dass die jungen Probanden in dieser
Untersuchung von keiner Zusatzaufgabe betroffen waren, die älteren Probanden mit
Gleichgewichtsstörungen hingegen bei beiden Zusatzaufgaben erhöhte Interferenzen aufwiesen.
Kritisch zu betrachten ist auch hier, dass die Leistung in den Zusatzaufgaben nicht gemessen
wurde.
Wenngleich die Ergebnisse einiger Studien aufgrund einer fehlenden Leistungsbemessung in den
Zusatzaufgaben fraglich sind, zeigt sich zusammenfassend, dass die Kontrolle über die
körperliche Stabilität im Alter zunehmend sensorische und insbesondere visuelle Information
erfordert, während junge Erwachsene eine erfolgreiche posturale Kontrolle auch bei einer
Reduktion dieser Zuflüsse aufrecht erhalten können. Bei älteren Erwachsenen mit
Gleichgewichtsstörungen scheint die motorische Kontrolle darüber hinaus einen noch größeren
Teil der zur Verfügung stehenden kognitiven Ressourcen zu beanspruchen als bei gesunden
älteren Probanden.

Einleitung 20
1.5.2
Doppelaufgaben mit dynamischer sensomotorischer Aufgabe "Gehen"
Unfälle im Alter ereignen sich in erster Linie während des Gehens (Berg et al., 1997; Blake et al,
1988; Lipsitz et al., 1991), und zwar dann, wenn ältere Menschen während des Gehens
gleichzeitig eine zusätzliche Aufgabe bearbeiten (Tideiksaar, 1996). Eine Untersuchung von
Lundin-Olsson et al. (1997) wies darauf hin, dass Patienten eines geriatrischen Zentrums eher
sturzgefährdet schienen, wenn sie nicht gleichzeitig spazieren und eine Unterhaltung führen
konnten. Aus diesem Grund scheint es für das Verständnis altersbedingter Unfälle von größerem
Interesse zu sein, den kognitiven Aufwand für Gehbewegungen zu untersuchen.
Im Folgenden werden vier mögliche Ursachen für erhöhte Leistungseinbußen in Kombination
mit Gehaufgaben im Alter aufgezeigt, die zum Teil auch schon für statische Aufgaben im
vorangegangenen Kapitel benannt wurden.
Eine
erste mögliche Ursache für eine verringerte posturale Kontrolle während des Gehens
betrifft die im Alter scheinbar verminderte Fähigkeit, auf plötzlich auftretende situative
Störfaktoren zu reagieren. In einer Studie von Chen et al. (1996) wurde die Erfolgsrate junger
und älterer Erwachsener untersucht, die die Aufgabe hatten, während des Gehens nicht auf
plötzlich eingeblendete virtuelle Hindernisse zu treten, die in unregelmäßigen Abständen 350 ­
450 ms vor Aufsetzen des Fußes in Form roter Lichtbalken auf dem Laufband dargestellt
wurden. In der Doppelaufgabenbedingung leuchteten zusätzlich Lichter am Ende des Laufbandes
auf, auf welche die Probanden verbal reagieren mussten. Die visuellen Stimuli für die
Reaktionsaufgabe wurden entweder zeitgleich mit dem virtuellen Hindernis eingeblendet oder
400 ms bzw. 200 ms vor oder nach diesem. Bezüglich der Reaktionszeiten zeigte sich in beiden
Gruppen weder ein Unterschied im Reaktionsverhalten in Abhängigkeit vom Zeitpunkt der
Stimuluspräsentation, noch ein altersspezifisches Doppelaufgabendefizit in der Zusatzaufgabe
vorhanden. Eine Analyse der posturalen Aufgabe ergab, dass beide Altersgruppen mehr Fehler
produzierten, wenn sie zusätzlich zu den Hindernissen auch auf Reaktionsstimuli reagieren
mussten. Ein altersspezifisches Defizit zeigte sich in der Fehlerhäufigkeit: die älteren Probanden
produzierten signifikant mehr Fehler, indem sie auf den Lichtbalken traten, wenn diese 350 ms
vor Aufsetzen des Fußes eingeblendet wurden (Chen et al., 1994). Die Ergebnisse deuten
folglich darauf hin, dass ältere Probanden nicht in größerem Maße durch die Lichtbalken
beeinträchtigt waren als junge solange ausreichend Zeit für eine adäquate motorische Reaktion
gegeben war, sondern dass die posturale Kontrolle der älteren Probanden nur dann verringert
war, wenn eine motorische Antwort unter Zeitdruck erfolgen musste.

Einleitung 21
Eine
zweite mögliche Ursache für erhöhte Doppelaufgabendekremente im Alter könnte ein
gesteigerter Schwierigkeitsgrad der Gehaufgabe darstellen. In diesem Zusammenhang
untersuchten Lajoie et al. (1996a) zunächst den kognitiven Aufwand für die Bewältigung einer
simplen, störfreien Gehaufgabe in einer Gruppe älterer Erwachsener zwischen 69 und 77 Jahren
im Vergleich zu jungen Erwachsenen. Die Aufgabe der Probanden bestand darin, eine Strecke
von acht Metern in "alltäglichem" Tempo zu gehen und währenddessen durch verbale Antworten
auf akustische Stimuli zu reagieren. In der Gruppe der älteren Probanden zeigte sich im
Vergleich zu den jungen Erwachsenen in der Einzel- und Doppelaufgabe ein verändertes
Gangmuster, welches von den Autoren als konservativ bezeichnet wurde und sich in einer
verringerten Geschwindigkeit und Schrittlänge sowie einer erhöhten Zyklusdauer äußerte.
Bezüglich der Reaktionszeiten konnte ein wichtiger Altersunterschied festgestellt werden:
während die jungen Probanden signifikant schneller reagieren konnten, wenn die Stimuli
während der stabileren Doppelstützphase präsentiert wurden im Vergleich zur Einzelstützphase,
zeigte sich bei den älteren Teilnehmern kein Phaseneffekt: die älteren Erwachsenen reagierten in
beiden Phasen gleichermaßen verlangsamt. Die Autoren vermuteten in diesem Zusammenhang,
dass die Regulation der körperlichen Stabilität während des Gehens im Alter unabhängig von
Doppel- oder Einzelstützphase ein größerer kognitiver Aufwand zugeschrieben werden muss als
im jungen Erwachsenenalter und folglich weniger Kapazität für eine ungeminderte Bewältigung
der Zusatzaufgabe zur Verfügung steht. Abgesehen von diesem Unterschied von sich in der
Untersuchung kein weiteres altersspezifisches Leistungsdefizit.
In einer Ausweitung der Frage nach dem kognitiven Aufwand für die Bewältigung von
Gehaufgaben bei jungen und älteren Erwachsenen betrachteten Lajoie et al. (1996b) im
Anschluss spezielle Aspekte der Gehbewegung: untersucht wurden die Auswirkungen einer
auditiven Reaktionsaufgabe auf die Regulation der Schrittlänge, die für das präzise Positionieren
des rechten Fußes am Ende einer vier bis acht Meter langen Strecke auf einem Zielpunkt
erforderlich war. Die Schrittlänge wurde erstens während der Gehbewegungen und zweitens bei
der Initiierung der Gehbewegung betrachtet. Die akustischen Stimuli wurden auch hier ebenfalls
sowohl in der Einzel- als auch in der Doppelstützphase präsentiert, um eventuelle Unterschiede
der Reaktionszeiten während des Gehzyklus zu quantifizieren. Die Analyse der Daten ergab für
die erste Untersuchung eine gleichermaßen signifikant verlängerte Reaktionszeit der älteren
Teilnehmer sowohl in der Einzel- als auch in der Doppelaufgabe, jedoch zeigte sich kein
Unterschied zwischen den Gruppen in Abhängigkeit von Einzel- oder Doppelstützphase. Zudem
wiesen die Älteren in beiden Aufgabenbedingungen zwar eine verkürzte Schrittlänge auf,
darüber hinaus hatten die Zielpunkte jedoch keinen zusätzlichen Einfluss auf die Qualität der

Einleitung 22
Gehaufgabe. In der vorliegenden Aufgabenstellung zeigte sich folglich kein altersspezifisch
erhöhter kognitiver Aufwand für die Regulation der Schrittlänge.
Ein ähnliches Ergebnis zeigte auchin der zweiten Untersuchung. Beginnend mit dem linken Fuß
sollten die Probanden nach etwa acht Metern präzise auf einem Zielpunkt stehen bleiben.
Untersucht wurden die Reaktionszeiten während der Bewegungsinitiierung im Vergleich zum
Verlauf der Gehbewegung, da vermutet worden war, dass sich die Reaktionszeiten bei der
Bewegungsinitiierung aufgrund der Zielvorgaben insbesondere im Alter verlängern würden. Es
zeigte sich jedoch, dass die Initiierung der Gehbewegung keinen erhöhten kognitiven Aufwand
von den älteren als von den jüngeren Probanden erforderte, da die älteren Teilnehmer in der
Reaktionsaufgabe zwar insgesamt langsamer reagierten, jedoch keinen Altersunterschied in
Abhängigkeit vom Zeitpunkt der Stimuluspräsentation aufwiesen.
Es ist allerdings fraglich, ob sich der kognitive Aufwand für die Regulierung der Schrittlänge
möglicherweise tatsächlich zu Beginn der Bewegung erhöht, oder eher je mehr sich der Proband
dem Ziel nähert. Die Ergebnisse der vorgestellten Studie liefern hierfür allerdings keine Antwort.
Auf eine genaue Darstellung der Gehgeschwindigkeit sowie Schrittlänge und Schrittdauer wird
in den vorliegenden Ergebnissen verzichtet. Die Autoren bemerkten in einer umfassenden
Diskussion der Ergebnisse beider Untersuchungen (Lajoie et al., 1996a,b) jedoch, dass die
älteren Probanden in beiden Untersuchungen sowohl in der Einzel- als auch in der
Doppelaufgabe ein eher konservatives Gangmuster aufweisen. Festzuhalten ist, dass die
vorangegangene Studie aufgrund ausbleibender altersspezifischer Interferenzen kein
altersbedingtes Dopppelaufgabendekrement darstellt. Kritisch anzumerken ist allerdings, dass
wegen der undurchsichtigen Darstellungsweise der Befunde in Lajoie et al. (1996b) eine exakte
Interpretation der Ergebnisse erschwert wird.
Anzufügen ist, dass in einer nachfolgenden Untersuchung von Azizah Mbourou, Lajoie &
Teasdale (2003) ein Vergleich der Bewegungsinitierung junger, älterer und gestürzter älterer
Probanden unternommen wurde. Zwar handelte es sich hierbei nicht um eine Doppelaufgabe,
jedoch ist zu beachten, dass in einer Einzelaufgabe festgestellt werden konnte, dass die
gestürzten älteren Probanden im Vergleich zu den nicht gestürzten älteren und den jungen
Probanden bei der Bewegungsinitiierung eine signifikant verkürzte Schrittlänge und verlängerte
Doppelstützphase sowie eine mehr als doppelt so hohe Variabilität der Schrittlänge des ersten
Schritts aufwiesen. Die Autoren begründeten die Befunde damit, dass in dieser nachfolgenden
Studie zum einen Gestürzte untersucht worden waren, die sich bezüglich der posturalen
Kontrolle bereits von nicht gestürzten Älteren unterschieden, und zum anderen damit, dass die

Einleitung 23
Untersuchung nicht unter Laborbedingungen, sondern in vertrauter Umgebung im Wohnheim
durchgeführt wurden.
Eine
dritte Möglichkeit für alterspezifisch erhöhte Interferenzen bei der Bewältigung einer
Doppelaufgabe stellt eine strukturelle Interferenz zweier Aufgaben dar, welche beispielsweise
gleichermaßen die Verarbeitung visueller Information erfordern.
In einer Untersuchung von Sparrow et al. (2002) mussten junge und ältere Versuchsteilnehmer
entweder eine störfreie Strecke von acht Metern gehen oder aber in einer schwierigeren Variante
während des Gehens einen Fuß präzise auf einem Zielpunkt nach etwa sechs Metern der Strecke
plazieren. Während des Gehens wurden entweder akustische oder visuelle oder in zufälliger
Abfolge akustische und visuelle Stimuli präsentiert, auf die die Probanden durch Drücken eines
Knopfes reagieren sollten. Es zeigten sich in beiden Ausprägungen der Gehaufgabe keine
Gruppenunterschiede in der Gehgeschwindigkeit. In der akustischen Zusatzaufgabe fanden sich
ebenfalls keine Altersunterschiede, es ergaben sich lediglich gleichermaßen verlängerte
Reaktionszeiten auf akustische Stimuli für junge und ältere Probanden, wenn sie während des
Gehens einen Fuß präzise positionieren mussten. Im Vergleich dazu waren die Reaktionszeiten
auf visuelle Stimuli in der Einzelaufgabe in beiden Gruppen gleich, stiegen dann aber in der
Seniorengruppe in beiden Doppelaufgabenbedingungen in signifikant höherem Maße an als in
der Gruppe der jungen Probanden. Wenn entweder akustische oder visuelle Stimuli in
randomisierter Abfolge präsentiert wurden, wiederholte sich dieses Ergebnis für die Gehaufgabe,
die das präzise Positionieren des Fußes erforderte. Die Autoren begründeten die verlängerten
Reaktionszeiten auf visuelle Stimuli durch strukturelle Interferenz der visuellen
Reaktionsaufgabe mit der Gehaufgabe, die ihrerseits ebenfalls insbesondere für die genaue
Fußpositionierung visuelle Information benötigte (Sparrow et al., 2002).
Zusätzlich fanden sich in dieser Untersuchung Hinweise auf die Richtigkeit der oben erwähnten
Vermutung, dass der kognitive Aufwand für die Regulierung der Schrittlänge steigt, je mehr sich
der Proband einem Zielpunkt nähert. Die Reaktionszeiten insbesondere auf visuelle Stimuli
verlängerten sich in beiden Altersgruppen stärker, kurz bevor die Probanden das Ziel für die
Fußpositionierung erreichten. Für den verbleibenden störfreien Verlauf der Strecke verkürzten
sich die Reaktionszeiten wieder (Sparrow et al., 2002) Die Verlängerung der Reaktionszeiten in
Zielnähe läßt vermuten, dass der kognitive Aufwand für die Regulation der Schrittlänge, die zur
erfolgreichen Bewältigung eines Hindernis in weiterer Entfernung erforderlich ist, nicht wie von
Lajoie et al. (1996b) angenommen, bereits zu Beginn der Strecke anzusteigen scheint, sondern
eher nahe des Hindernis. Diese Vermutung scheint jedoch gleichermaßen auf junge und ältere
Probanden zuzutreffen.

Einleitung 24
Einen
vierten Anhaltspunkt für erhöhte Interferenzeffekte im Alter liefern Studien, deren
Ergebnisse darauf hin weisen, dass ältere Probanden bei der Bearbeitung einer posturalen
Aufgabe in Kombination mit einer Zusatzaufgabe möglicherweise bewußt Leistungseinbußen in
der letzteren in Kauf nehmen, indem sie der posturalen Aufgabe einen Großteil ihrer kognitiven
Ressourcen zuteilen, um der körperlichen Stabilität aufgrund der größeren ökologischen
Relevanz Priorität einzuräumen. In einer Studie von Ebersbach et al. (1995) wurde der Einfluss
einer Gedächtnisaufgabe, einer Fingertapping-Aufgabe sowie einer feinmotorischen
Knopfaufgabe auf Gehbewegungen in einer Gruppe junger Probanden im Alter von 25 bis 42
Jahren untersucht. Zwar handelte es sich in dieser Untersuchung nicht um einen Vergleich junger
und älterer Erwachsener im Sinne der vorliegenden Arbeit, doch soll die Untersuchung des
Designs wegen vorgestellt werden. Bei Ebersbach et al. (1995) gingen die Probanden mit einer
"alltäglichen" Geschwindigkeit, registriert wurden die Doppelstützphase und die Schrittdauer.
Die Analyse der Daten ergab, dass die Doppelstützphase während der gleichzeitigen Bearbeitung
aller Zusatzaufgaben im Vergleich zur Einzelaufgabe signifikant verlängert war. Eine Reduktion
der Schrittdauer sowie eine Erhöhung der Schrittfrequenz konnte nur während der gleichzeitigen
Fingertapping-Aufgabe festgestellt werden, die Veränderung der Schrittfrequenz wurde auf eine
erhöhte Interferenz der Schritt- und Fingerrhythmen zurückgeführt. Die Knopfaufgabe blieb von
der Gehaufgabe unbeeinträchtigt. Darüber hinaus zeigte sich während des Gehens eine
Beeinträchtigung der Gedächtnisaufgabe. Die Autoren vermuteten, dass diese infolge einer nicht
ausreichenden Menge kognitiver Ressourcen entstand, welche daraus resultierte, dass die
Probanden den größten Anteil ihrer kognitiven Ressourcen der posturalen Aufgabe widmeten,
um die körperliche Stabilität zu schützen (Ebersbach et al., 1995).
Eine unterschiedliche Priorisierung der Aufgaben bei der Bearbeitung einer Doppelaufgabe
fanden auch Lindenberger et al. (2000) und Li et al. (2001) im Rahmen der BASE (Berliner
Altersstudie, 1999). Untersucht wurden Doppelaufgabenkosten bei jungen und älteren
Probanden, wenn diese gleichzeitig gingen und eine Gedächtnisaufgabe durchführten. Die
Autoren vermuteten, dass sich im Alter nicht nur die Größe der kognitiven Kapazität reduziert,
sondern auch die Effektivität und Zweckmäßigkeit, mit der diese auf verschiedene Aufgaben
verteilt werden, verändert sind (vgl. Baltes & Baltes, 1990). Bei Lindenberger et al. (2000)
mussten junge und ältere Probanden gleichzeitig gehen und sich anhand einer Mnemotechnik,
der Methode der Orte, Begriffe einprägen. Die Teilnehmer wurden zuvor über mehrere
Sitzungen in dieser Technik trainiert, zudem übten sie, auf einer engen Strecke so schnell wie
möglich zu gehen. Die Autoren hatten angegeben, bewußt schwere Aufgaben gewählt zu haben,
um ein Ausbleiben altersspezifischer Effekte aufgrund zu leichter Aufgaben ausschließen zu

Einleitung 25
können. Die Doppelaufgabenkosten waren in der Gruppe der Senioren signifikant erhöht, im
Vergleich zu den jungen Probanden zeigten die Senioren sowohl Einbußen in der
Gedächtnisaufgabe als auch eine Reduktion der Gehgeschwindigkeit. Aufgrund gleichermaßen
erhöhter Doppelaufgabenkosten in der Gehaufgabe und der Gedächtnisaufgabe scheinen die
älteren Probanden keinen der beiden Aufgabentypen bevorzugt bearbeitet zu haben. Die
altersspezifisch erhöhten Doppelaufgabenkosten könnten daraus resultieren, dass die
Aufgabenkombination bei Lindenberger et al. (2000) einen erhöhten kognitiven
Bewältigungsaufwand von den älteren Probanden erforderte als beispielsweise die Untersuchung
von Lajoie et al. (1996a,b): mit maximaler Geschwindigkeit zu gehen und eine
Gedächtnisaufgabe nach der Methode der Orte zu bearbeiten ist vermutlich kognitiv
anspruchsvoller als mit selbst bestimmter Geschwindigkeit zu gehen und bei Tonsignal eine
verbale Reaktion zu produzieren. Zum zweiten argumentierten die Autoren, dass in der
vorliegenden Aufgabenkombination ein erhöhter Wettkampf um Verarbeitungsprozesse visueller
Information stattgefunden haben könnte, weil sowohl die Gehaufgabe als auch die
Gedächtnisaufgabe der angewandten Methode der Orte wegen die Verarbeitung visuell-
räumlicher Informationen erforderte (Lindenberger et al., 2000).
In einer Erweiterung der zuvor beschriebenen Studie forcierten Li et al. (2001) eine
Verschiebung der Ressourcenzuteilung, indem die Probanden in mehreren Sitzungen in der
Gehaufgabe und auch in der Gedächtnisaufgabe bis an die Grenzen ihrer Maximalleistung
trainiert wurden. Zusätzlich wurde die Darbietungszeit der einzuprägenden Stimuli reduziert und
Hindernisse auf dem Parcours installiert. Während die Doppelaufgabenkosten in der Gehaufgabe
in beiden Altersgruppen ähnlich waren, zeigten die Senioren deutlich höhere Kosten in der
Gedächtnisaufgabe. Die Autoren vermuteten daher, dass die älteren Probanden die
Aufrechterhaltung der körperlichen Stabilität priorisierten, da sie gezwungen waren, an den
Grenzen ihrer Maximalleistung zu arbeiten. Einen weiteren Hinweis auf eine Bearbeitung der
Aufgaben in Abhängigkeit von der ökologischen Relevanz ergab folgendes Ergebnis: zusätzlich
zur Bearbeitung der Aufgaben auf maximalem Niveau wurden die Teilnehmer im Gebrauch
kompensatorischer Hilfsmittel trainiert. Kompensatorische Hilfen waren entweder ein Geländer,
welches während des Gehens gegriffen werden konnte, oder aber die Möglichkeit, die
Darbietungszeit der akustischen Stimuli zu verlängern. Es zeigte sich, dass ältere Teilnehmer
häufiger Gebrauch von dem Geländer machten, während die jungen Probanden eher die
Einprägungszeit der Stimuli verlängerten. Die Befunde unterstrichen die unterschiedliche
Priorität der Aufgaben in den zwei Altersgruppen.

Einleitung 26
Aufgrund der Vielzahl der vorgestellten Ergebnisse geht aus der Literatur nicht eindeutig hervor,
welche Ursachen altersspezifischen Leistungseinbußen bei der Bearbeitung von Doppelaufgaben
zugrunde liegen. Ähnlich wie bei statischen posturalen Aufgaben scheinen auch bei
dynamischen Aufgaben der Schwierigkeitsgrad der Einzelaufgaben oder eine strukturelle
Ähnlichkeit erhöhte kognitive Anforderungen an ältere Erwachsene zu stellen. Möglich ist auch,
dass Ältere einen Großteil ihrer kognitiven Ressourcen der erfolgreichen Bearbeitung der
posturalen Aufgabe widmen, um die körperliche Stabilität zu schützen.
Um eine detaillierte Aussage über mögliche Ursachen für eine verminderte Handlungsregulation
in Doppelaufgaben im Alter treffen zu können, ist es erforderlich, die Aufgabenbewältigung
systematisch unter Berücksichtigung der oben angesprochenen möglichen Gründe für
altersspezifische Leistungseinbußen in Doppelaufgaben zu betrachten.
Ausgehend von der Annahme, dass altersbedingt bestehende sensomotorische oder kognitive
Funktionseinschränkungen die Handlungsregulation älterer Menschen beeinträchtigen können,
ist überdies fraglich, ob solche Defizite durch eine Verbesserung kognitiver und motorischer
Fertigkeiten ausgeglichen werden können. Im Folgenden werden Interventionsmaßnahmen
vorgestellt, welche anhand von Bewertungen und motorischen Trainingsprogrammen auf eine
Einstufung des Unfallrisikos älterer Menschen sowie eine Verbesserung ihrer
Handlungskompetenz infolge verbesserter motorischer und kognitiver Funktionen abzielen.
1.6
Interventionsmaßnahmen
In der Literatur existiert eine Vielzahl von Interventionsmaßnahmen zur Sturzprävention im
Alter. Diese können unterteilt werden in Beurteilungen in Form von Richtskalen, anhand derer
das Sturzrisiko älterer Menschen eingruppiert und bewertet wird, und in praktisch ausgerichtete
Ansätze wie motorische, kognitive oder psychomotorische Interventionsprogramme.
Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über bestehende Interventionsmaßnahmen gegeben
werden.
Insbesondere in der Pflege werden
Skalen eingesetzt, die zur Erfassung der Selbständigkeit und
Beweglichkeit älterer Menschen dienen. Ein solches Erfassungsinstrument ist beispielsweise der
so genannte Barthel-Index (Mahoney & Barthel, 1965). Dieser nimmt anhand einer Bewertung
des Aktivitätslevels, welches alltägliche Aufgaben wie Waschen und Anziehen betrifft, eine
Eingruppierung der Patienten vor. Auch außerhalb der Pflege werden Bewertungsverfahren

Einleitung 27
angewandt, die unter anderem auf Tinetti (1986) zurückgehen. Anhand eines standardisierten
Testverfahrens ("Tinetti-Test") zur Bemessung des Sturzrisikos wurden wie folgt neun
verschiedene Risikofaktoren benannt: Mobilität, Visus, Gehör, Stimmung, kognitiver Status,
Haltung, Orthostase, Medikation und eine allgemeine Behinderung die Aktivitäten des täglichen
Lebens betreffend ("Activities of Daily Living" (ADL)-Defizite, Mahoney & Barthel, 1965;
Lawton & Brody, 1969). Gemäß der noch vorhandenen Qualität dieser Faktoren werden die
Probanden auf der so genannten "Tinetti-Skala" eingeordnet (Tinetti, 1986), welche in der
Gerontologie ein häufig angewandtes Messinstrument zur Erhebung und Bewertung von
Mobilitätsstörungen darstellt. In diesem Zusammenhang sind auch Beurteilungsverfahren
zusehen, welche die Probanden anhand einer Überprüfung funktioneller Fertigkeiten wie Sitzen,
Aufstehen, freies Stehen, freies Gehen und Vorwärtslehnen im Stand beurteilen und in
Risikogruppen einordnen ("Berg-Skala", Berg et al., 1989; Tinetti & Speechley, 1989; "Timed-
up-and-go-Test", Posaidlo & Richardson, 1991).
Eine Überprüfung der kognitiven Leistungsfähigkeit bei geriatrischen Patienten erfolgt in der
Regel anhand der "Mini Mental State Examination" (MMSE, Folstein et al., 1975), anhand
welcher Orientierung, Gedächtnis, Aufmerksamkeit und visuell-konstruktive Fähigkeiten
überprüft werden.
Eine zweite Gruppe von Interventionsmaßnahmen bilden
Gleichgewichtsschulungen. Solche
Maßnahmen umfassen die Schulung motorischer Strategien im Sitzen und im Stand, um die
Kontrolle über selbst induzierte Körperschwankungen, beispielsweise beim Zubinden der
Schuhe, zu fördern (Shumway-Cook & Horak, 1992; Carr & Sheperd, 1998). Ebenso erfolgen
Schulungen sensorischer Funktionen, zum Beispiel anhand des "Clinical Test for Sensory
Interaction in Balance" (CTSIB) nach Nashner (1981), welcher im Stand die Anpassung an
reduzierte oder veränderte sensorische Rückmeldung trainiert. Zu Gleichgewichtsschulungen
gehören darüber hinaus Verfahren, welche auf eine Reduktion der Körperschwankungen und
eine verbesserte Kontrolle über die Position des Körperschwerpunktes abzielen. Zu diesem
Zweck werden sowohl klassische Methoden im Sinne eines verbal, manuell und visuell
geleiteten Balancetrainings angewandt, aber auch Trainingsgeräte wie Kraftmessplatten mit
integrierten Biofeedback-Systemen (Shumway-Cook, 1988), welche den Probanden sofortige
Rückmeldung über den Schwankungsradius geben. Der Balance Performance Monitor (BPM)
stellt ein in der Rehabilitation häufig eingesetztes Trainingsgerät dar, welches die
Gewichtsverteilung bei Körperschwankungen (lateral und anterior / posterior) misst und den
Probanden anhand visueller und auditiver Rückmeldung Informationen über die posturale
Stabilität im Stand gibt. Als erfolgreich erwies sich in diesem Zusammenhang eine

Einleitung 28
Untersuchung von Lindemann et al. (2004), in der ein Balancetraining anhand eines solchen
computergesteuerten Trainingsgeräts verglichen wurde mit einem privat durchgeführten
Trainingsprogramm. Beurteilt wurde die Balancefähigkeit im ruhigen Stand und während des
Gehens sowie die funktionelle Reichweite der Patienten. Während in der Gruppe der privat
Trainierenden nach einem Zeitraum von acht Wochen keine Veränderungen der
Balancefähigkeit durch ein Training festgestellt werden konnten, verbesserten sich die mit dem
Computer trainierenden Älteren signifikant.
Die Befunde vorangegangener motorischer
Trainingsprogramme, die zumeist auf eine
Stärkung der Muskelkraft und Balance ausgerichtet waren, sind zahlreich aber kontrovers (für
eine Übersicht vgl. Gillespie et al., 2003). Im Folgenden werden daher nur einige Beispiel
genannt.
Robertson et al. (2002) berichteten einen Rückgang der Sturzhäufigkeit und sturzbedingter
Unfälle in einer Trainingsgruppe im Vergleich zu einer Kontrollgruppe als Auswirkungen einer
Intervention, in welcher die Probanden Kräftigungsübungen für die unteren Extremitäten
durchführten. Ein Training motorischer Funktionen von Nitz et al. (2004) wirkte sich infolge
einer Verbesserung der Flexibilität, Balance und Koordination ebenfalls in einer Reduktion der
Sturzhäufigkeit der Betroffenen aus, ähnlich wie eine 15-wöchige Tai Chi - Intervention von
Wolf et al. (1997).
Allerdings berichten nicht alle Untersuchungen dieser Art signifikante Leistungsanstiege in der
Trainingsgruppe: im Gegensatz zu den oben benannten Ergebnissen zeigten die Untersuchungen
von Gillespie et al. (2003) nach einem Ausdauer- bzw. Tai Chi - Training keine signifikanten
Unterschiede in der Sturzhäufigkeit zwischen einer Trainingsgruppe und einer Kontrollgruppe.
Kritisch anzumerken ist, dass für präventive oder rehabilitative Interventionsmaßnahmen
aufgrund einer Vielzahl von Trainingsmöglichkeiten und innovativen Ansätzen keine
einheitlichen Regelungen bestehen. Die Designs der oben vorgestellten Untersuchungen sind
sehr unterschiedlich und folglich kaum vergleichbar. Bei Robertson et al. (2002) handelte es sich
um eine Gruppenintervention, bei Nitz et al. (2004) im Gegensatz dazu um einen individuellen
Ansatz. Darüber hinaus erfolgten die Interventionen zum Teil angeleitet, zum Teil ohne
fachliche Hilfe, wodurch eine kontrollierte Abwicklung des Trainings fraglich ist.
Neben einer Verbesserung motorischer Funktionen haben einige wenige vorangegangene
Studien Auswirkungen eines Trainings auf kognitive Funktionen untersucht.
Dustman et al. (1984) konnten nach einem viermonatigem Ausdauertraining eine signifikante
Verringerung der Reaktionszeiten in einer einfachen Reaktionsaufgabe sowie in einer Stroop-
Aufgabe feststellen, Shay & Roth (1992) hingegen fanden einen signifikanten Einfluss eines

Einleitung 29
Ausdauertrainings im Alter auf die Bearbeitung visuell-räumlicher Aufgaben. Es wurde
vermutet, dass insbesondere Ausdauertraining kognitive Prozesse begünstigt, weil
experimentelle Untersuchungen an Ratten zeigen konnten, dass infolge einer Verbesserung der
aeroben Kapazität die Durchblutung kortikaler Gefäße sowie die synaptische Aktivität und
Zellneubildung im Hippocampus gesteigert wird (Colcombe & Kramer, 2003).
Allerdings zeigten sich auch in diesem Zusammenhang widersprüchliche Befunde: Studien von
Blumenthal et al. (1991) und Hill et al. (1993) beispielsweise untersuchten den Einfluss eines
Ausdauertrainings auf kognitive Funktionsmechanismen, jedoch konnten sie keine signifikanten
Unterschiede zwischen einer Trainingsgruppe und einer Kontrollgruppe feststellen.
Aufgrund der widersprüchlichen Befunde auf diesem Gebiet führten Colcombe & Kramer (2003)
eine Meta-Analyse durch, um zu bestimmen, aufgrund welcher Faktoren sich Effekte eines
Trainings zeigen würden. Die Ergebnisse wiesen darauf hin, dass der Umfang der Auswirkungen
eines Ausdauertrainings auf kognitive Funktionen zum einen abhängig ist von
Durchführungsweise, Länge und Umfang des Trainings sowie von sozio-kulturellen
Voraussetzungen der Teilnehmer. Darüber hinaus zeigte die Analyse, dass insbesondere visuo-
spatiale Aufgaben von einem Ausdauertraining zu profitieren schienen, weil visuo-spatiale
Prozesse im Alter infolge degenerativer Prozesse oftmals beeinträchtigt sind. Aus dem gleichen
Grund zeigten sich auch exekutiv kontrollierte Prozesse als besonders empfänglich für
Ausdauertraining.
Zur Auswirkung von Interventionsprogrammen auf die Bewältigung komplexer Aufgaben,
beispielsweise die Bearbeitung von Doppelaufgaben, existiert bis dato nur eine veröffentlichte
Untersuchung von Hawkins et al. (1992). Die Autoren berichteten, dass ein 10-wöchiges
Ausdauertraining mit jungen und älteren Probanden sich insbesondere auf die
Doppelaufgabenperformanz bei der Ausübung einer visuellen und einer akustischen Aufgabe
auswirkte. Zu bemerken ist, dass es sich hierbei um Auswirkungen eines Ausdauertrainings auf
kognitive Funktionen handelte.
Im Kontext der vorliegenden Arbeit ist eine Erweiterung der Datengrundlage wünschenswert, da
nur unzureichend geklärt ist, inwiefern neben einer isolierten Funktionsverbesserung motorischer
oder kognitiver Fertigkeiten tatsächlich auch eine Verbesserung der Handlungskompetenz im
Alltag erzielt werden kann. Aus diesem Grund untersucht die vorliegende Arbeit die
Doppelaufgabenperformanz bei jungen und älteren Erwachsenen vor und nach einem Training,
welches kombiniert motorische und kognitive Funktionen trainiert. Dieses Training wird in

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2005
ISBN (eBook)
9783832490492
ISBN (Paperback)
9783838690490
DOI
10.3239/9783832490492
Dateigröße
1.9 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Deutsche Sporthochschule Köln – III, Physiologie und Anatomie
Erscheinungsdatum
2005 (Oktober)
Note
1,0
Schlagworte
altern lokomotion doppelaufgaben stürze intervention
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Titel: Beanspruchung kognitiver Ressourcen für die Handlungsorganisation bei jungen und älteren Erwachsenen
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