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Stadt für Alte

Stadtentwicklung im Zeichen des demographischen Wandels

©2004 Diplomarbeit 131 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Zusammenfassung:
In der vorliegenden Arbeit wird eine erstmalige Entwicklung in der Gesellschaft des Menschen betrachtet: die gesellschaftliche Überalterung und deren Folgen und Konsequenzen für die Zukunftsfähigkeit der Städte. Der gesellschaftliche Alterungsprozess vollzieht sich in Deutschland seit Jahrzehnten unaufhaltsam – und geht in vielen strukturschwachen ostdeutschen Regionen einher mit einer kontinuierlich anhaltenden Abwanderung der Jungen und Leistungsträger. Beide Prozesse parallel exponieren die Zukunft der betroffenen Städte, Gemeinden und Regionen.
Abwanderung und Überalterung bezeichnen Prozesse, die von den betroffenen Kommunen zumeist als Stigmatisierung empfunden werden. Eine offene und konstruktive Begleitung dieser Entwicklungen steckt noch in den Anfängen, häufig erfolgt die Fokussierung auf die Bedürfnisse der Abwandernden, nicht auf die der Bleibenden. Finanzierungen in soziale und technische Infrastrukturmaßnahmen erfolgen nach den jeweiligen Möglichkeiten der kommunalen Haushalte und der EU-, Bundes- und Landesförderprogramme und nicht immer nachhaltig im Sinne einer antizipativen baulichen Bestandsanpassung.
Noch ist unsere Gesellschaft in vielen Bereichen auf die wachsende Langlebigkeit ihrer Mitglieder wenig vorbereitet. Solange die Themen Alter und Altern auch in der raumrelevanten Politik nicht entstigmatisiert werden, können keine zukunftsfähigen Strategien und Lösungen für die sich ändernden Anforderungen an Lebensraum, Sozialsystem und gesellschaftliches Miteinander entwickelt werden.
Folgende Fragestellungen wurden vertiefend untersucht:
- Wie zeichnet sich die wirtschaftliche und soziale Zukunft „alternder“ und „schrumpfender“ deutscher Klein- und Mittelstädte ab?
- Welche Handlungsbedarfe bestehen?
- Welche Potenziale liegen noch brach? Wie können diese aktiviert werden?
- Leid: „Vergreiste Stadt“ oder Leitbild: „Stadt für Alte“? – Wo liegen die beiderseitigen Chancen in der bewussten und gesteuerten Profilierung zur Stadt für Alte?
- Wie begegnet man dem mentalen Problem des Entwicklungszieles „Stadt für Alte“?
Gang der Untersuchung:
Die vorliegende Arbeit gliedert sich in acht Kapitel.
Kapitel 1: Der demografische Wandel in der Bundesrepublik Deutschland
Die derzeitige Lebenssituation Älterer in der Bundesrepublik, die zunehmende Heterogenität der Lebensstile in der dritten Generation und die sich schlussfolgernd ergebenden Veränderungen der Lebens- und Wohnansprüche sind Gegenstand […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 9014
Hiller, Heidrun: Stadt für Alte - Stadtentwicklung im Zeichen des demographischen
Wandels
Hamburg: Diplomica GmbH, 2005
Zugl.: Technische Universität Berlin, Diplomarbeit, 2004
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2005
Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis
,,Stadt für Alte"
- 3 -
1
DER DEMOGRAFISCHE WANDEL IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND... 10
1.1
DIE DEMOGRAFISCHE ENTWICKLUNG...10
1.1.1
Natürliche Bevölkerungsentwicklung ...11
Überalterung der Bevölkerung ...12
Verschiebung der Jugendlast- und Alterslastquotienten ...12
1.1.2
Die räumliche Dimension des demografischen Wandels...13
Verteilung der gesellschaftlichen Alterung ...13
Transformationsprozesse in Klein- und Mittelstädten und ländlichen Regionen der neuen
Bundesländer ...14
Überalterung und regionale Schrumpfungsprozesse ...16
1.1.3
Lebenserwartung - Rückblick und derzeitiger Stand ...16
1.1.4
Grunddaten zur dritten Generation in der Bundesrepublik ...17
Bildungs- und Ausbildungsstand ...17
Eintrittsalter in den Ruhestand ...18
Finanzielle - und Eigentumssituation der Senioren ...18
Gesundheit im Alter...21
Was ist neu am Altern heute? ...22
1.2
RÄUMLICHE BEVÖLKERUNGSBEWEGUNGEN ...23
1.2.1
Internationale Wanderungsbewegungen ...23
Internationale Wanderungsbewegungen der dritten Generation...23
1.2.2
Binnenwanderungen...24
Alten- oder Altenruhesitzwanderungen innerhalb der Bundesrepublik ...25
Innerstädtische und innerregionale Wanderungsbewegungen ...25
1.2.3
Notwendigkeit und Bereitschaft des Wohnortwechsels in den einzelnen
Generationen ...26
2
LEBENS- UND WOHNBEDÜRFNISSE DER DRITTEN GENERATION ... 27
2.1
JUNG, ERWACHSEN, ALT?...27
2.1.1
Seniorentypologien nach Lebensstilen ...28
2.1.2
Die drei Altersphasen der dritten Generation...29
Die ,,Jungen Alten", Jungsenioren, Second Careers, Best Ager ...30
Die ,,Mittleren Alten", Senioren, Good Timers ...31
Die Hochbetagten, Hochaltrigen, Langlebigen...31
2.2
DIE INTEGRATION DER DRITTEN GENERATION...32
2.2.1
Familien- und Generationenbeziehungen im Wandel...32
Bedeutung innerfamiliärer Beziehungen ...32
Die Ehe oder Lebenspartnerschaft...33
Freunde ...34
2.2.2
Die gesellschaftliche Integration ...34
Politische Integration ...34
,,Altenhilfe" in der Bundesrepublik ­ eine langsame Metamorphose ...34
,,Gewachsene" Integration von Senioren in die Gesellschaft ...35
Ein Ausblick...35
2.3
MOBILITÄT IN DER DRITTEN GENERATION ...36
2.3.1
Aspekte der Mobilität für Ältere...36
Häusliche Mobilität ...36
Alltagsmobilität und außerhäusliche Mobilität ...37
Freizeit- und Reisemobilität...37

Inhaltsverzeichnis
,,Stadt
für
Alte"
- 4 -
Mobilität und Gesundheit...37
2.4
DIE VERÄNDERUNG DES TAGESABLAUFES IN DER DRITTEN GENERATION ...39
2.4.1
Schlüsselfaktor Zeit ...39
Verschiebung der Zeitanteile der Tagesgestaltung...39
2.4.2
Sinnsetzung und Lebensgestaltung nach der Erwerbstätigkeit...40
Freizeitgestaltung und Freizeitkultur der dritten Generation ...40
Sozialzeiten der dritten Generation ­ Potenziale für tragfähige Netzwerke ...41
2.5
VERÄNDERUNG DER ANSPRÜCHE AN WOHNUNG UND WOHNUMFELD IN DER
GENERATIONENFOLGE ...42
2.5.1
Wohnansprüche und Wohnverhalten...42
Haushaltsstrukturen ...43
Aspekte der Wohnungsgröße und Ausstattung...43
Frauenspezifische Belange ...43
2.5.2
Sicherheitsaspekte der Wohnung und des Wohnumfeldes...44
Sicherheitsgewährleistung in der Wohnung ...44
2.6
WOHNANGEBOTE FÜR SENIOREN IN DER BUNDESREPUBLIK...45
2.6.1
Wo wohnt die dritte Generation?...45
2.6.2
Wohnen im eigenständigen Haushalt ...46
Seniorengerechte Einzelwohnungen...46
Wohnen im Eigentum ...46
2.6.3
Wohngruppen und ,,neue Wohnmodelle"...46
,,Neue Wohnmodelle" für Senioren...47
Betreutes Einzelwohnen und betreute Wohngruppen...47
Altendörfer bzw. Altenwohnsiedlungen ...48
Fazit...48
2.6.4
Pflegeheime, Altenwohnheime, Seniorenheime...49
Die Entwicklung der Altenwohn- und Pflegeheime in der Bundesrepublik...49
Altenpflegeheime...50
Altenstifte, Altenheime und Seniorenheime ...50
Seniorenwohnanlagen, -häuser, -residenzen...51
2.6.5
Schlussbemerkung ...51
3
STADTRÄUMLICHE, FUNKTIONALE UND SOZIALE FOLGEN DER
DEMOGRAFISCHEN ÜBERALTERUNG ... 52
3.1
VERÄNDERTE NUTZUNG DES WOHNUMFELDS, DES ÖFFENTLICHEN RAUMES
UND DER SOZIALEN UND TECHNISCHEN INFRASTRUKTUR ...52
3.1.1
Direktes Wohnumfeld ...53
3.1.2
Öffentlicher Raum ...53
Transiträume ...53
Kommunikationsräume und Ruhezonen ...54
Saisonale Aspekte...54
3.1.3
Halböffentliche Räume ...54
Anpassung der Funktionsansprüche der städtischen sozialen Infrastruktur ...54
3.2
DIE AUSWIRKUNGEN AUF DIE NACHBARSCHAFTLICHEN BEZIEHUNGEN UND
SOZIALEN NETZE DER STÄDTE ...56
Bewahrung, Integration und Herstellung stabiler Nachbarschaften ...56
3.2.1
Bewertung ausgewählter Wohnquartiers- und Stadtraumtypen hinsichtlich der
Anpassungsfähigkeit alternder Bewohnerstrukturen ...56
Großsiedlungen des komplexen Wohnungsbaus...57
Gründerzeitviertel ...59

Inhaltsverzeichnis
,,Stadt für Alte"
- 5 -
Innenstadt- bzw. Altstadtbereiche ...61
Wohnsiedlungen in Einfamilien- und Doppelhausbauweise...61
Wohnquartierstypen und Alterungsfähigkeit ­ Fazit...63
4
EXKURS: SENIORENSTÄDTE IN DEN USA... 64
4.1
DIE RÄUMLICHE UND SOZIALE FRAGMENTIERUNG AMERIKANISCHER STÄDTE
...64
4.2
SENIORENSTÄDTE IN DEN USA ...66
4.2.1
Rückblick ­ Das Entstehen der Winterwohnorte und Altersruhesitze in den USA.
...66
4.2.2
Marketing der Retirement communities...66
4.2.3
Zielgruppen und Organisationsstrukturen ...67
Bewohnerstrukturen ...67
Städtische Organisation ...67
4.2.4
Bautypen und Gliederung der Retirement Communities ...68
Stadtgrundrisse und Baumerkmale ...68
Angebote und Ausstattung der Haustypen...68
Ausstattung mit Infrastruktureinrichtungen und betreuten Wohnformen ...69
Bewohnerintegration und Bewohneraktivierung...69
Freizeiteinrichtungen und -angebote...69
4.2.5
Zusammenfassung/ Fazit ...70
5
PROFILIERUNGSMÖGLICHKEITEN DEUTSCHER MITTEL- UND KLEINSTÄDTE ALS
SENIORENGERECHTE STÄDTE... 71
5.1
HANDLUNGSFELDER UND KRITERIEN AUF DEM WEG ZUR
SENIORENGERECHTEN STADT ...72
5.1.1
Kommunalpolitische Umorientierung ...72
Klares Entwicklungsleitbild ...72
Ausschöpfung der klein- und mittelstädtischen Potenziale ...72
Kommunale Altenplanung ...73
Neue Organisationsstrukturen...74
Infrastrukturanalysen und Entwicklungsszenarien ...74
5.1.2
Entspannter Wohnungsmarkt...74
5.1.3
Stadt(teil)- Seniorenmanagement ­ räumliche Schwerpunktsetzung...75
5.1.4
Integration in die Gemeinschaft ...75
Partizipations- und Netzwerkförderung ...75
5.1.5
Ausbau städtischer Strukturen und Potenziale ...75
Stärkung des Stadt- bzw. Ortszentrums...75
Versorgungsstrukturen ...76
Funktionsmischungen ...77
5.1.6
Öffentlichkeitsarbeit ...77
Stadt(teil)zeitung ...77
Bewohnerberatung ...77
Anlaufstellen für Externe ...77
5.1.7
Bewohnerwerbung...78
Der ,,Schnupperkurs" Seniorenstadt: temporäres und saisonales Wohnen für Alte...78
5.2
AKTIVIERUNG UND PARTIZIPATION DER DRITTEN GENERATION ...79
5.2.1
Methoden der Beteiligungsverfahren...79
Bürgerbefragungen ...79
Öffentliche Anhörungen, Foren und Diskussionen...80
Aktivierende Workshops...80

Inhaltsverzeichnis
,,Stadt
für
Alte"
- 6 -
Over Wonen van Ouderen Gesproken (OWOG)...81
5.2.2
Partizipation und Leitbild ...82
Bürgerjury und Bürgerbudget ...82
5.2.3
Institutionen...82
Seniorenbüros ...82
Seniorenreferate/ bzw. -beiräte, Seniorenbeauftragte und Interessenvertretungen ...84
5.2.4
Fazit und Übersicht...84
6
VON DER MIKRO- ZUR MAKROEBENE: WOHNEN IN SENIORENGERECHTEN
STÄDTEN ... 86
6.1
WOHNUNG, WOHNBERATUNG, WOHNANPASSUNG UND WOHNFORMEN ...86
6.1.1
Sozialverträgliche Mieten und Wohnsicherheit...87
6.1.2
Bauliche Voraussetzungen und Komponenten für differenzierte und alternative
Angebote an altengerechtem Wohnraum ...87
Altengerechter Neubau ...87
Strukturelle Wohnraumanpassung ...87
Private Wohnraumanpassung ...88
Finanzierung von Wohnraumanpassungsmaßnahmen...89
Das smart home ...89
6.1.3
,,Traditionelle" Wohnformen für Senioren ...89
Miet- und Eigentumswohnungen für Einzelhaushalte ...89
Service-Wohnen...89
6.1.4
,,Neue" Wohnformen für Senioren ...90
Räumliche Voraussetzungen und individuelle Hindernisse...90
Selbstbestimmte Wohnprojekte, selbstverwaltete Wohn- und Hausgemeinschaften ...91
Betreute Wohngruppen ...92
Beratung und Begleitung...92
6.1.5
Komplementäre Angebote zum Wohnen ...92
Wohnberatungsstellen und Wohnungstauschbörsen...92
Hauswirtschaftliche Dienstleistungen...93
6.1.6
Medizinische Dienstleistungen...93
Hausnotruf...93
Tages- und Kurzzeitpflegeeinrichtungen...93
Mobile Pflegedienste ...93
Häusliche Sterbebegleitung und Hospize ...94
6.2
BEDARFE UND ANGEBOTE IN WOHNUMFELD UND STADTSTRUKTUR ...95
6.2.1
Öffentlicher Raum, Grün- und Freiflächen, städtische Plätze und Möglichkeiten
auf städtischen Verfügungsflächen ...95
Stadtplätze ...95
Grünflächen und Spielplätze ...96
Gedeckte und ungedeckte Sportanlagen ...96
Gemeinschaftsgärten, Mietergärten, Generationengärten und Seniorengärten ...97
Dog-runs...97
6.2.2
Mobilitätsgerechte städtische Strukturen...98
Straßenraumgestaltung und Querungshilfen ...98
Motorisierter Individualverkehr (MIV) ...100
ÖPNV ­ Anforderungen an die Verkehrsmittel und Bahnhöfe ...101
Schutz vor Vandalismus und Kriminalität ­ Unterstützung des Sicherheitsempfindens ...101
Besondere Mobilitätsmodelle und gewährleistete Anbindung an die private Mobilität...101
7
FREIZEIT-, KULTUR- UND BILDUNGSANGEBOTE ... 102
7.1
EHRENAMTLICHES ENGAGEMENT IN SENIORENGERECHTEN STÄDTEN ...102

Inhaltsverzeichnis
,,Stadt für Alte"
- 7 -
7.1.1
Die Aspekte ehrenamtlicher Arbeit ...103
Zielsetzung ehrenamtlicher soziale Arbeit und Selbsthilfe ...104
Wohlfahrt im Alter: wer wird sie sich zukünftig leisten können?...105
7.1.2
Organisationsformen und Zielsetzungen ehrenamtlicher Arbeit ...105
Offene Altenhilfe...106
Seniorenselbsthilfeorganisationen und -selbsthilfegruppen ...106
Seniorenmentoring, Seniorenexpertenservice und Senior-Partners ...106
Freiwilligen- und Tauschzentralen...106
Wissens-, Kontakt-, Zeit- und Hobbybörsen...107
Weitere Engagementbereiche ehrenamtlicher Tätigkeiten ...107
Schaffung engagementfördernder Rahmenbedingungen ...108
7.2
KULTURVERANSTALTUNGEN UND BILDUNGSMÖGLICHKEITEN IN
SENIORENGERECHTEN STÄDTEN ...109
7.2.1
Einzelkulturevents und saisonale Veranstaltungen ...109
7.2.2
Kontinuierliche Angebote ...109
Vereine ...109
Quartiersbezogene Seniorentreffpunkte im Wohngebiet ...109
7.2.3
Bildungs- und Weiterbildungsangebote ...110
Neue Medien und Kommunikation ...110
Internetkurse und Internetcafé ...111
Kurse und Vortragsreihen und Weiterbildungsmöglichkeiten...111
7.3
SENIORENTOURISMUS ...112
7.3.1
Warum Tourismus in seniorengerechte Städte? ...113
Besonderheiten des Segments Seniorentourismus ...113
7.3.2
Alternative Reise- und Ausflugsformen...113
Angebote wie ,,Ferienlager" und ,,Klassentreffen" in seniorengerechten Städte...114
Urlaub mit der Familie oder Urlaub mit Enkeln...114
Urlaub und Bildung...114
Vereinsreisen ...115
Tagesausflüge für Bewohner von Seniorenstädten ...115
Aufgaben eines lokalen Reisevereins ...115
8
ZUSAMMENFASSUNG UND FAZIT ,,STADT FÜR ALTE"...116
8.1
DIE TRENDS...116
8.2
DIE CHANCEN UND VORTEILE...116
8.3
DIE OFFENEN FRAGEN ...119
8.4
FAZIT UND AUSBLICK...122
ANHANG ...123
ABBILDUNGEN...123
TABELLEN ...123
FOTOS ...124
LITERATURVERZEICHNIS...125
INTERVIEWS ...129
INTERNETQUELLEN ...130

Einleitung zur vorliegenden Arbeit
,,Stadt für Alte"
_________________________________________________________________________________
- 8 -
Einleitung zur vorliegenden Arbeit
Menschliche Siedlungen unterliegen Veränderungsprozessen, seit der Mensch sesshaft geworden ist.
Kriege, Feuersbrünste und Seuchen zerstörten noch vor Jahrzehnten Städte und Gemeinden und de-
zimierten deren Einwohnerzahl. Andererseits ließ massive Armut und Landflucht innerhalb weniger
Jahre Städte um ein Vielfaches expandieren.
Suburbanisierung und segregierende Siedlungsprozesse, abnehmende Wohndauern, Erwerbswande-
rung, brain-drain ganzer Regionen, sozioökonomische Veränderungen der Gesellschaft: ­ die heuti-
gen Ursachen komplexer Transformationsprozesse sind interdisziplinär. Diese gesellschaftlichen Pro-
zesse haben auch räumliche Dimensionen: Regionen entleeren, Stadtkörper perforieren, Bevölke-
rungsstrukturen verschieben sich irreparabel.
In der vorliegenden Arbeit wird eine erstmalige Entwicklung in der Gesellschaft des Menschen be-
trachtet: die gesellschaftliche Überalterung und deren Folgen und Konsequenzen für die Zukunftsfä-
higkeit der Städte. Der gesellschaftliche Alterungsprozess vollzieht sich langsam aber stetig ­ und
geht in vielen strukturschwachen ostdeutschen Regionen einher mit einer kontinuierlich anhaltenden
Abwanderung der Jungen und Leistungsträger. Beide Prozesse parallel exponieren die Zukunft der
betroffenen Städte, Gemeinden und Regionen.
Abwanderung und Überalterung bezeichnen Prozesse, die von den betroffenen Kommunen zumeist
als Stigmatisierung empfunden werden. Eine offene und konstruktive Begleitung dieser Entwicklungen
steckt noch in den Anfängen, häufig erfolgt die Fokussierung auf die Bedürfnisse der Abwandernden,
nicht auf die der Bleibenden. Finanzierungen in soziale und technische Infrastrukturmaßnahmen erfol-
gen nach den jeweiligen Möglichkeiten der kommunalen Haushalte und der EU-, Bundes- und Lan-
desförderprogramme und nicht immer nachhaltig im Sinne einer antizipativen baulichen
Bestandsanpassung.
Noch ist unsere Gesellschaft in vielen Bereichen auf die wachsende Langlebigkeit ihrer Mitglieder we-
nig vorbereitet. Solange die Themen Alter und Altern auch in der raumrelevanten Politik nicht entstig-
matisiert und aus dem Tabubereich geholt werden, können keine zukunftsfähigen Strategien und Lö-
sungen für die sich ändernden Anforderungen an Lebensraum, Sozialsystem und gesellschaftliches
Miteinander entwickelt werden.
Im ersten Teil der vorliegenden Arbeit ­ von Kapitel 1 bis 3 ­ werde ich mich unter folgenden Frage-
stellungen mit der derzeitigen Lebenssituation Älterer in der Bundesrepublik, mit Veränderungen in
Lebens- und Wohnansprüchen, mit den sozialen und stadtstrukturellen Folgen der demografischen
Entwicklung auseinandersetzen:
· Wer sind sie denn, die heutigen ,,Alten"?
· Welche Bedarfe hat das prozentual stetig wachsende Bevölkerungssegment der dritten Gene-
ration an sein Lebensumfeld und an sozialer Partizipation?
· Wie wird den Ansprüchen einer kollektiv alternden Bevölkerung an ihren Lebensraum bereits
begegnet?
· Welche Auswirkungen hat die demografische Entwicklung in Deutschland auf die Lebensbe-
dingungen in den Städten und Gemeinden? Wie stellen sich regionale Unterschiede dar?
Der zweite Teil der Arbeit ­ ab Kapitel 4 ­ beginnt mit einem nicht unkritischen Exkurs in die Senio-
renstädte der USA. Und zeigt die übertragbaren Handlungsfelder auf. Der Schwerpunkt der Betrach-
tung des zweiten Teils ­ ab Kapitel 5 ­ liegt jedoch auf den alternden deutschen Klein- und Mittelstäd-
ten. Den örtlichen und gesellschaftlichen Handlungsschwerpunkten und resultierenden sektoralen und
integralen Handlungsansätzen. Die Entwicklungsfähigkeit bisher vorrangig unbegleiteter mehrdimen-
sionaler Prozesse und Vorschläge bewusster Steuerung und Begleitung überalternder Städte zu mo-
dernen Städten mit vielseitigen altersspezifischen Angeboten sollen unter folgenden Fragestellungen
aufgezeigt werden.

Einleitung zur vorliegenden Arbeit
,,Stadt für Alte"
_________________________________________________________________________________
- 9 -
· Wie zeichnet sich die wirtschaftliche und soziale Zukunft ,,alternder" und ,,schrumpfender"
deutscher Klein- und Mittelstädte ab?
· Welche Handlungsbedarfe bestehen?
· Welche Potenziale liegen noch brach? Wie können diese aktiviert werden?
· Leid: ,,Vergreiste Stadt" oder Leitbild: ,,Stadt für Alte"? ­ Wo liegen die beiderseitigen Chancen
in der bewussten und gesteuerten Profilierung zur Stadt für Alte?
· Wie begegnet man dem mentalen Problem des Entwicklungszieles?
Im letzten Teil der Arbeit werden die räumlichen Aspekte der begonnenen demografischen Entwick-
lung und die Chancen gesteuerter Planung von Modernisierungs- und Profilierungsprozessen für al-
ternde Städte dargestellt und es wird die Vision einer modernen, sozialen und lebendigen Stadt für Al-
te entwickelt.

Lebens- und Wohnbedürfnisse der dritten Generation
Die demografische Entwicklung
__________________________________________________________________________________________
- 10 -
1 Der demografische Wandel in der Bundesrepublik Deutschland
,,Deutschland ist heute weltweit das Land mit dem vierthöchsten Durchschnittsalter der Bevölkerung
(nach Japan, Italien und der Schweiz) und das Land mit dem dritthöchsten Anteil der Bevölkerung ab
60 Jahren (nach Italien und Griechenland). Die demographische Alterung wird sich auch in den nächs-
ten Jahrzehnten fortsetzen, begleitet von einer Abnahme der Bevölkerungsgesamtzahl."
1
Der demografische Wandel ist eine ,,Revolution auf leisen Sohlen"
2
und wird als eine der großen ge-
sellschaftlichen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts betrachtet. Seine Dynamik stellt die Bundes-
republik Deutschland vor erhebliche Anforderungen in Bezug auf die materielle Sicherung der älteren
Bevölkerung, die Schaffung, Stabilisierung und Aufrechterhaltung von Wohn-, Versorgungs- und
Dienstleistungsangeboten, die zukünftige Tragfähigkeit und Finanzierbarkeit der sozialen Netze und
des Gesundheitssystems, die Erhaltung der intergenerativen Solidarität. Die Realität der Raument-
wicklung wird sich vom Ziel der Angleichung ungleicher Lebensverhältnisse nach § 1 Ziffer 6 und 7
ROG weiterhin entfernen. Dieser raumordnerische bzw. gesetzliche Anspruch wird in dünn besiedel-
ten, peripheren und strukturschwachen Regionen unter ökonomisch vertretbaren und ökologisch ak-
zeptablen Aufwänden nicht aufrecht zu erhalten sein. ,,Die aus den alten Ländern bekannt Palette öf-
fentlicher Daseinsvorsorge [...] kann bereits heute nicht und zukünftig noch weniger in allen Teilräu-
men der neuen Länder gleichermaßen angeboten werden."
3
Mit der Umkehrung des Bevölkerungsaufbaus kommt es sowohl im persönlichen Lebensalltag als
auch in den Teilbereichen der Gesellschaft zu einer Umschichtung von Lebenslagen, Bedürfnissen,
Ansprüchen und Rechten. Die politischen, sozialen und ökonomischen Auswirkungen des demografi-
schen Wandels werden sich differenziert nach regionalen und lokalen Rahmenbedingungen und
nachhaltig erst in einem mittel- bis langfristigen Zeitraum bemerkbar machen.
1.1 Die
demografische Entwicklung
Die demografische Implosion Deutschlands ­ das low-fertility-Syndrom ­ begann mit der Legalisierung
des Schwangerschaftsabbruches und der Einführung der Anti-Baby-Pille in der DDR 1969 und in der
Bundesrepublik 1972. Ab diesem Zeitraum verzeichnen auch die meisten anderen europäischen In-
dustrieländer ein kontinuierliches Geburtendefizit: die Geburtenrate liegt unter dem notwendigen Ni-
veau von 2,1 Kindern pro Frau, das benötigt werden würde, um die Gesamtbevölkerungszahl des
Landes zu erhalten. In der Bundesrepublik lag diese Kennziffer im Jahr 2000 bei 1,35
4
. Die Änderung
der Altersstruktur zeigt sich in Deutschland insbesondere durch eine abnehmende Bevölkerungsge-
samtmenge und ein steigendes Durchschnittsalter.
Abbildung 1: Entwicklung der Bevölkerungsgesamtmenge Deutschlands bis 2050
70,164
78,069
80,339
82,163
70,381
60
65
70
75
80
85
1951
1971
2000
2020
2050
Jahr
Einw
ohn
er
in M
io.
Bevölkerungsgesamtzahl
Deutschland
Quelle: BMFSFJ: (d) Vierter Bericht zur Lage der älteren Generation: Risiken, Lebensqualität und Versorgung Hochaltriger ­
unter besonderer Berücksichtigung demenzieller Erkrankungen, Berlin 2002, S. 55
1
BMFSJ: (d) Vierter Bericht zur Lage der älteren Generation: Risiken, Lebensqualität und Versorgung Hochaltriger ­ unter be-
sonderer Berücksichtigung demenzieller Erkrankungen, Berlin 2002, S. 55
2
Bayrische Akademie Ländlicher Raum e.V./ Hanns Seidel Stiftung Akademie für Politik und Zeitgeschehen: Kritische Faktoren
für die Zukunft ländlicher Gemeinden, Zuwachs ­ Abnahme ­ Überalterung, Dokumentation des Sommerkolloquium 2002,
München 2002, S. 7
3
Institut für Stadtforschung und Strukturpolitik (IfS) (Hrsg.) im Auftrag des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung: An-
passungsstrategien für ländliche/ periphere Regionen mit starkem Bevölkerungsrückgang in den neuen Ländern - Modellvorha-
ben der Raumordnung (1. und 2. Zwischenbericht), Berlin 2002/ 2003, S. 9
4
Angabe aus: http://www.bib-demographie.de/info/frame_lage2001.html, Finddatum: 10.10.2003

Der demografische Wandel in der Bundesrepublik Deutschland
Die demografische Entwicklung
__________________________________________________________________________________________
- 11 -
Abbildung 2; Entwicklung der Anteile der Bevölkerungskohorten in den Jahren 2000 bis 2040
21
56
23
19
56
25
17
55
28
17
50
33
16
50
34
0
10
20
30
40
50
60
bis 20 Jahre
20 bis 60 Jahre
60 und älter
Bevölkerungskohorten
A
n
te
ile
d
er
K
ohor
te
n
in
Pr
oz
ent
2000
2010
2020
2030
2040
Quelle: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung; Wiesbaden 2000, S. 16;
eigene Darstellung
Der prozentuale Anteil der jüngeren Altersgruppen nimmt ab, der Anteil der Personen über 60 nimmt
auch in den folgenden Jahrzehnten stark zu. ,,Steigende Geburtenzahlen oder verstärkte Zuwande-
rungen können das Altern [der Gesellschaft, d.V.] mildern, jedoch nicht in sein Gegenteil verkehren.
Das bedroht die sozialen Sicherungssysteme und verlangt nach langfristigen Anpassungsstrategien."
5
Und die Gesellschaft altert kontinuierlich weiter: So erfreulich diese Erkenntnis ist ­ für Rentensystem
und Krankenversicherungen bedeutet ein steigender Alterslastquotient reduzierte Einnahmen und
gleichzeitig erhöhte Ausgaben. Können diese nicht finanziert werden, ist die Wohlfahrt der zukünftigen
Seniorengenerationen gefährdet: Morbidität und Altersarmut zeichnen sich als wachsende Größen be-
reits ab. Die beschlossene Erhöhung des Berufsaustrittsalters im Rahmen der Rentenreform ist eine
der aktuellen Gegenmaßnahmen zur Stabilisierung der Systeme.
Die Langlebigkeit als Massenerscheinung, die Überalterung der Gesellschaft und dauerhaft anhalten-
de Sterbeüberschüsse gegenüber den Geburtenzahlen sind in der Entwicklung des Menschen neue
Phänomene. Diese ,,Überalterung" der Bevölkerung wird in vielen ländlichen und strukturschwachen
Regionen Deutschlands durch negative Wanderungssalden begleitet und beschleunigt hier das An-
steigen des Altersdurchschnittes. Die Abnahme des Erwerbspersonenpotenzials wird die wirtschaftli-
che Entwicklung und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft ebenso nachhaltig be-
einflussen, wie sie derzeit schon Veränderungen bei der Finanzierung der sozialen Sicherungssyste-
me erfordert.
1.1.1 Natürliche Bevölkerungsentwicklung
Anfang 2000 lebten in der Bundesrepublik Deutschland 82,2 Millionen
6
Menschen. Dabei war die Be-
völkerung in Deutschland im Schnitt 39,8 Jahre alt, das Durchschnittsalter der Deutschen betrug 40,8
Jahre, das der in Deutschland lebenden Ausländer 31,0 Jahre. Die Anteile der einzelnen Altersgrup-
pen der Gesamtbevölkerung splitten sich im Zeitverlauf wie folgt auf:
Tabelle 1: Bevölkerung Deutschlands nach Altersgruppen
7
Gesamtbevölkerung Deutsch-
lands (BRD und DDR summiert)
Anteile der Altersgruppen an der Bevölkerung Deutschlands
1950 bis 2002, Anteile in Prozent
Jahr
EW gesamt
in Mio.
Unter 20
20 - 29
30 - 59
60 und älter
1950 68,72 30,4 14,1 40,9 14,6
1970 78,07 30,0 12,9 37,1 19,9
1990 79,75 21,7 16,7 41,2 20,4
1998 82,04 21,4 12,3 43,9 22,4
Quelle: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung; Wiesbaden 2000, S. 9; eigene Darstellung
Eindrücklich stellen die Bevölkerungspyramiden Deutschlands die demografische Entwicklung zwi-
schen 1919 und 2050 dar
8
:
5
Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung: Bevölkerung/ Fakten ­ Trends ­ Ursachen - Erwartungen, Wiesbaden 2000, S. 5
6
http://www.bib-demographie.de/info/frame_lage2001.html, Finddatum: 10.10.2003
7
Daten aus: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, a.a.O., S. 9
8
Deutscher Bundestag, Drucksache 14/8800: Schlussbericht der Enquete-Kommission Herausforderungen unserer älter wer-
denden Gesellschaft an den Einzelnen und die Politik; Berlin 2002, S. 32

Lebens- und Wohnbedürfnisse der dritten Generation
Die demografische Entwicklung
__________________________________________________________________________________________
- 12 -
Überalterung der Bevölkerung
Der gravierendste Faktor der demographischen Alterung in der Bundesrepublik ist die kontinuierliche
zahlenmäßige Abnahme der jüngeren Bevölkerungsgruppen unter 40 Jahren. Diese Zahlen sinken
von heute ca. 41 Millionen bis zum Jahr 2020 auf ca. 33 Millionen und bis zum Jahr 2050 auf knapp
27 Millionen. Auch die Gruppe der ,,älteren Berufsfähigen" (40 bis 65 Jahre) nimmt in diesem gesam-
ten Zeitraum (nach einem zwischenzeitlichen Anstieg) zahlenmäßig um ca. 4,6 Millionen Menschen
gegenüber heute ab. Das heißt, bis zum Jahr 2050 beträgt der zahlenmäßige Rückgang (um ca. 18,7
Mio.) der jüngeren Bevölkerungsgruppen (0 bis 65 Jahre) das Dreifache der Zunahme der älteren Be-
völkerungsgruppen (65+) um ca. 6,4 Mio. Menschen.
9
Verschiebung der Jugendlast- und Alterslastquotienten
Bei einem kontinuierlich abnehmenden Anteil der unter 20Jährigen wächst gleichzeitig der prozentua-
le Anteil der über 60Jährigen:
10
die Bevölkerung ,,überaltert". Der Jugendlastquotient liegt bereits unter
dem Wert des Alterslastquotienten
11
­ eine historische Umkehrung. ,,Die Zahl Älterer, die nicht mehr
arbeiten, übersteigt die Zahl derer, die arbeiten; die Zahl älterer Wahlberechtigter wird die Zahl jünge-
rer Wahlberechtigter übersteigen, die Zahl von Großeltern wird die Zahl von Enkeln übertreffen."
12
9
vgl.: Kremer-Preiß, Ursula, Stolarz, Holger/ Kuratorium deutsche Altershilfe (Hrsg.): Neue Wohnkonzepte für das Alter ­ und
praktische Erfahrungen bei der Umsetzung; Köln 2003, S. 5
10
vgl.: Keil, Prof. Dr. Siegfried: Beziehungen der Generationen in: Bundesministerium für Familie und Senioren: Lebenszuge-
wandtes Altern, Dokumentation der Fachtagung am 1. und 2. April 1992, Bonn 1993, S. 28
11
Die so genannten Belastungsquotienten (Jugendlast- und Alterslastquotient) stellen die nicht im erwerbsfähigen Alter stehen-
den Bevölkerungsgruppen den Altersgruppen im erwerbsfähigen Alter (ab 20 bis 65 Jahre) gegenüber.
12
Hummel, Konrad: Öffnet die Altenarbeit: Zur sozialen Infrastruktur gemeinwesenorientierter Altenarbeit in: Klose, Hans-Ulrich
(Hrsg.): Altern der Gesellschaft, Antworten auf den demografischen Wandel, Köln 1993, S. 213

Der demografische Wandel in der Bundesrepublik Deutschland
Die demografische Entwicklung
__________________________________________________________________________________________
- 13 -
Abbildung 3: Auf je 100 Einwohner kamen:
5
15
29
34
16
12
0
5
10
15
20
25
30
35
40
1910
1988
2040
65 und älter
14 und jünger
Schätzung für 2040: DIW, eigene Darstellung
Mit dem anwachsenden Überhang der Lastquotienten ist die Erfüllung des gesellschaftliche ,,Genera-
tionenvertrages" gefährdet. Als ,,Generationenvertrag" wird die zum Teil gesetzlich festgelegte Über-
einkunft bezeichnet, der zufolge die mittlere Generation für den Unterhalt sowohl der Kinder als auch
der nicht mehr erwerbstätigen Älteren sorgt. Wurde dieses Vertragsverhältnis früher innerhalb der
Familie erfüllt, handelt es sich seit Einführung der Sozialversicherung um eine Umverteilung zwischen
den gesellschaftlichen Generationen im Laufe eines vollständigen Lebenszyklus.
Diese dargestellten demografischen Veränderungen resultieren aus dem Zusammenspiel verschiede-
ner Faktoren: niedrige und spätere Heiratsneigung seit den 1970er Jahren, sinkende Geburtenraten
durch die Möglichkeit bewusster Familienplanung, Emanzipationsbewegung und selbstbewusste Etab-
lierung neuer Lebensstile, hohe Abbruchraten von Schwangerschaften, späteres Erstgeburtsalter und
Zunahme des durchschnittlichen Lebensalters. Weniger als 9% der 1935 geborenen deutschen Frau-
en blieben kinderlos, bei den Frauen des Jahrganges 1965 sind es bereits ca. 30%. Aktuell ist
Deutschland das Land mit dem höchsten Anteil kinderloser Paare. ,,Kinderlosigkeit ist besonders bei
hochqualifizierten und vollerwerbstätigen Frauen anzutreffen"
13
­ ein Resultat politischer Fehlleistun-
gen und fehlender Antizipation der Folgen für die Gesellschaft.
Tabelle 2: Vergleichwerte Bevölkerungsstatistik
Prozentualer Anteil an der Ge-
samtbevölkerung
1960 (in %)
1998 (in %)
Anteil Ledige über 18 Jahre
15,7
40,6
Verheiratetenanteil 65,4
39,6
Geschiedene 2,7
8,2
Quelle: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, Wiesbaden 2000; eigene Darstellung
1.1.2 Die räumliche Dimension des demografischen Wandels
Die gesellschaftliche Alterung verläuft nicht ubiquitär sondern räumlich stark differenziert. Sie beein-
flusst die kommunalen und regionalen Entwicklungen. Kommunale Entscheidungen und Planungen ­
Infrastrukturkapazitäten, Investitionsplanungen ­ werden im Hinblick auf die perspektivischen Bewoh-
nerzahlen einer Region/ einer Stadt gefällt. Im Prozess regionaler Überalterung und Schrumpfung fo-
kussieren sich die Entscheidungsträger häufig auf die Bedürfnisse der ersten beiden Generationen ­
die tradiert der Inbegriff von Zukunft, kommunalen Einnahmen und Leistungsfähigkeit sind. Da die Er-
gebnisse heutigen kommunalen Handelns weit in die Zukunft hinein reichen, erfordert die Planung in
allen Bereichen ­ der Infrastruktur- und Siedlungsentwicklung, der Ausstattung des Freizeit- und Bil-
dungssektors, etc. ­ die Berücksichtigung realer lokaler Trends der Bevölkerungsentwicklung.
Verteilung der gesellschaftlichen Alterung
Die Alterung der Gesellschaft hat räumliche Dimensionen auf mehreren Ebenen:
· Weltweit altern die industrialisierten Staaten des Nordens gegenüber den Staaten des Sü-
dens.
· Unterhalb der nationalen Ebene bestehen regionale Entwicklungsunterschiede, die entlang
dem siedlungsstrukturellen Gefälle verlaufen (ländliche Regionen sind zumeist jünger als
13
Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, a.a.O., S. 14

Lebens- und Wohnbedürfnisse der dritten Generation
Die demografische Entwicklung
__________________________________________________________________________________________
- 14 -
hochverdichtete Agglomerationen, innerhalb der Ballungszentren wiederum haben die Städte
eine ältere Bevölkerung als ihr Umland
14
).
Der Strukturwandel des primären Sektors und der Strukturwandel der Familie ­ von der bäuerlichen
Großfamilie zur Kern- bis Kleinfamilie ­ prägten in den ländlichen Regionen die Veränderungen der
Lebens- und Wohnformen. Die strukturellen Folgen beider Prozesse reichen von der Unternutzung
des Dorfkerns, dem vereinzelten Leerstand und Brachfallen von Wohn- und Wirtschaftsgebäuden bis
zur Entleerung ganzer Regionen.
15
Die räumlich unterschiedliche Ausprägung des Alterungsprozesses wird durch regionalsozioökonomi-
sche und regionaldemografische Faktoren, ebenso wie durch Binnenwanderungen, die kontinuierliche
suburbane Bautätigkeit und von der lokalen Arbeitsmarktlage beeinflusst und ausdifferenziert. So
werden die heutigen familiengeprägten suburbanen Wohnsiedlungen in wenigen Jahrzehnten ebenso
,,Rentnernachbarschaften"
16
sein, wie bereits heute einige Gemeinden in peripheren Gebieten.
Extreme Alterungstendenzen sind in den ländlich geprägten, peripheren Regionen Mecklenburg-
Vorpommerns, Brandenburgs und Sachsens zu verzeichnen. Hier lag letztmalig Ende der 1960er Jah-
re die Fertilitätsquote hoch genug, um die Elterngeneration zu ersetzen. In den Jahren nach der politi-
schen Wende sank die Fertilitätsquote auf die Hälfte des Bundesdurchschnitts ­ und lag weltweit an
letzter Stelle
17
. Infolge der schlechten Ausbildungs- und Arbeitsplatzlage und der altersstrukturellen
Selektivität der Wanderungsbewegungen schrumpft der Anteil der jungen Bevölkerung hier weiterhin
drastisch,
18
existenzielle Bedürfnisse, wie beispielsweise eine ausreichende medizinische Betreuung
können entweder nur über einen unangemessenen Verkehrsaufwand oder gar nicht mehr eigenstän-
dig befriedigt werden.
19
Das Land Brandenburg verliert allein durch den natürlichen Sterbeüberschuss
seit Anfang der 1990er Jahre jährlich die Einwohnermenge einer Kleinstadt (1993 ca. 16.800 Perso-
nen, derzeit ca. 10.000, Prognose für 2015 ca. 20.000 Personen).
20
Damit muss die Frage gestellt
werden, wie ein Altern auf dem Lande im Falle abnehmender Bevölkerungsdichte und abnehmender
Subventionierungen perspektivisch möglich bleiben wird, zumal Auswertungen auf der Basis des So-
zioökonomischen Paneels gezeigt haben, dass die Armutsquote tendenziell desto höher liegt, je we-
niger Einwohner in einer Gemeinde leben. Die aus der Abwanderung resultierende schlechte Versor-
gungslage beschleunigt zudem ihre Ursache ­ den Abwanderungsprozess ­ noch zusätzlich.
Transformationsprozesse in Klein- und Mittelstädten und ländlichen Regionen der neuen Bun-
desländer
Klein- und Mittelstädte prägen die Siedlungsstruktur der Bundesrepublik, werden von der Stadtfor-
schung jedoch kaum thematisiert.
21
Die Forschungsergebnisse der Altersentwicklung und ­
segregation bezieht die deutsche Stadtsoziologie vorwiegend aus Untersuchungen der Großstadt.
22
Entwicklungsoptionen und ­perspektiven der Klein- und Mittelstädte stehen jedoch in direktem Zu-
sammenhang der regionalen Lage, infrastrukturellen Anbindung und lokalen Wirtschaftskraft. Eine
kommunale Einflussnahme auf die disparate Entwicklung der regionalen und lokalen Strukturen
Deutschlands ist in Ansätzen möglich. Die Stabilisierung der räumlichen Zentrenstruktur wird bei-
spielsweise durch informelle Vereinbarungen, Städtepartnerschaften und Städtekränze um Kernag-
glomerationen erreicht ­ mit dem Ansatz ,,Kooperation statt Konkurrenz".
Mit den Folgen der politischen Wende und des deutschen Einigungsvertrages beginnend unterlagen
Städte und Regionen Ostdeutschlands einem anhaltenden enormen Veränderungsdruck. Struktur-
wandel der Wirtschaft und des Agrarsektors, stadtstrukturelle Abwertungen durch Leerstand und Bra-
chen, Eigentumsverlust durch Abwicklungen und Restitutionen, gesellschaftliche und politische Um-
14
vgl.: Bucher, Hansjörg; Kocks, Martina; Siedhoff, Mathias in: Deutsches Zentrum für Altersfragen (Hrsg.) (a): Regionales Al-
tern und Mobilitätsprozesse Älterer, Expertisenband 2 zum Zweiten Altenbericht der Bundesregierung, Frankfurt, S. 14 f
15
Jahnke, Dr. Peter in: Bayrische Akademie Ländlicher Raum e.V./ Hanns Seidel Stiftung Akademie für Politik und Zeitgesche-
hen, a.a.O., S. 12
16
vgl.: BMFSFJ (j) Neue Wohnmodelle für das Alter; Dokumentation eines Workshops in Bonn-Oberkassel im Rahmen des
Bundesmodellprogramms ,,Selbstbestimmt wohnen im Alter" am 11./ 12. Juni 1997, Berlin 2000; S. 113
17
Beyer, Wolf: Langfristige Veränderungen der Bevölkerungsstruktur im Land Brandenburg in: Zöpel, Christoph (Hrsg.): Bran-
denburg 2025 in der Mitte Europas; Verein Forum Zukunft Brandenburg, Berlin 2002, S. 379
18
vgl. : Schubert, Herbert: Regionale Unterschiede von Alterungsprozessen und strukturellen Rahmenbedingungen in: Deut-
sches Zentrum für Altersfragen (a), a.a.O., S. 154
19
Institut für Stadtforschung und Strukturpolitik (IfS), a.a.O., S. 6
20
Statistisches Bundesamt, Berechnungen zur Bevölkerungsentwicklung von 1998
21
vgl.: Hannemann, Christine: ,,Soziales Kapital" kleiner Städte ­ Perspektive für schrumpfende Städte in Ostdeutschland? in:
Hannemann, Christine; Kabisch, Sigrun; Weiske, Christine (Hrsg.): Neue Länder ­ Neue Sitten? Transformationsprozesse in
Städten und Regionen Ostdeutschlands, Schelzky und Jeep, Berlin 2002, S. 11
22
Uwe-Jens Walther, Interview am 03.02.2004

Der demografische Wandel in der Bundesrepublik Deutschland
Die demografische Entwicklung
__________________________________________________________________________________________
- 15 -
brüche ­ bisher unbekannte Dimensionen folgten: Massenentlassungen, Arbeitslosigkeit, soziale Un-
sicherheit, regionaler Verlust der Humanressourcen durch radikalen Rückgang der Geburtenzahlen
und Abwanderung der Bevölkerung. Die Entwicklungen haben auch einen mentalen Aspekt: Städten
und Regionen brechen mit ihren Hauptarbeitgebern auch ihr Identifikationsbild weg ­ ehemalig nam-
hafte Industriestädte stagnieren bzw. schrumpfen ebenso wie bisherige Agrar- oder Braunkohleregio-
nen. ,,Die Abwanderungen, von vor allem den jüngeren Einwohnern und der Rückgang von Arbeits-
plätzen halten an; der Trend verstärkte sich in den letzten Jahren sogar vielerorts. [...] Diese Bevölke-
rungsrückgänge sind umso problematischer, als sie mit der Veränderung der sozialen und Alterstruk-
tur einhergehen. Die Bevölkerung der peripheren Räume überaltert und zurück bleiben vor allem die
schlechter qualifizierten uns sozial schwächeren Bevölkerungsgruppen. Dieser Trend der Schrump-
fung ist in vielen Regionen, sieht man die demografischen Fakten und schätzt man die politischen
Handlungsspielräume realistisch ein, in absehbarer Zeit nicht mehr umzukehren."
23
Die Zukunft der
,,blühenden Landschaften" Ostdeutschlands ist ungewiss und nicht allzu optimistisch, die resultierende
Abwanderung verschiebt die Zusammensetzung der Bevölkerungskohorten der Regionen und Städte.
Die ostdeutschen Klein- und Mittelstädte verteilen sich in sehr unterschiedlicher Dichte über die neuen
Bundesländer. In Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern prägen sie das lockere Siedlungsgefü-
ge, die südlichen Ballungsräume um Chemnitz und Leipzig sind von dichten Kleinstadthäufungen um-
geben. Vielfach zeichnen sich die ostdeutschen Klein- und Mittelstädte durch erhaltene historische In-
nenstadtbereiche aus ­ eine positive Bilanz DDR-deutscher Plan- und Mangelwirtschaft. Denn Erstere
konzentrierte sich mit dem Bau von Agraranlagen, Wirtschaftsgebäuden und Wohnungsneubauten auf
die Ortsrandlagen, Zweitere trug durch die Nichtverfügbarkeit von Baumaterial dazu bei, dass histori-
sche Gebäudeformen nicht in den Ausmaß überformt werden konnten, wie zur gleichen Zeit in den al-
ten Bundesländern. Der Erhalt historischer Stadtstruktur und Bausubstanz und die naturräumliche
Einbettung könnte sie als Orte hoher Lebensqualität auszeichnen. Nur weisen die ostdeutschen Klein-
und Mittelstädte meist gleich mehrere der folgenden Problemfelder auf:
· Nach dem II. Weltkrieg bis zur Wende wurden innerstädtisch kaum staatliche Investitionen
vorgenommen. Umfangreiche private Investitionen konnte es de facto nicht geben. Verfall und
Leerstand prägten bereits zu DDR-Zeiten das städtische Bild.
· Die Errichtung von Wohn- und Wirtschaftsbauten in industrieller Bauweise fand vorrangig in
Ortsrandlage statt. Strukturell abgekoppelte Funktionsbereiche entstanden und schwächten
die Innenstadtfunktionen.
· Der teilweise politisch gewollte Nichterhalt klerikaler Bauten und Gutsanlagen zerstörte Orts-
und Landschaftsbildprägende Bauwerke, städtische und regionale Wahrzeichen und Identifi-
kationspunkte gingen verloren.
· Der Zusammenbruch des primären und sekundären Sektors nach der Wende hatte die be-
kannte Folgen: Abwicklung, Arbeitslosigkeit, Abwanderung.
· Privates Eigenkapital fehlte auch nach der Wende, um flächendeckend Maßnahmen im Rah-
men von Sanierungsvorhaben durchzuführen.
· Die Innenstädte verlieren ihre Versorgungsfunktion an ,,die grüne Wiese", zunehmender Ge-
werbeleerstand im Zentrumsbereich ­ die ,,Stadt der kurzen Wege" geht verloren.
· Die Innenstadtverödung wird zusätzlich durch die Suburbanisierung gefördert, sie verliert ihre
Wohnfunktion.
· Der starke Rückgang der Kinderzahlen hat Auswirkungen auf die Kapazitäten des Personal-
einsatzes im Bildungs- und Betreuungsbereich. Betreuungseinrichtungen und Schulen werden
zusammengelegt, kleine und periphere Einrichtungen geschlossen. Lange Anfahrtszeiten re-
sultieren.
· Die rückläufige Anbindung von Klein- und Mittelstädten an den öffentlichen Nahverkehr und
das Streckennetz der Deutschen Bahn fördert deren Standortprobleme.
De-Industrialisierung, Funktionsverlust als Wohnstandort, Verödung der Innenstadt, Schulschließun-
gen, Verfall und Abwanderung, brain-drain, leere kommunale Haushalte: in der Summe eher Agonie
als Ausgangslage für Besinnung auf Vorhandenes und Neuorientierung auf mögliche Entwicklungsop-
tionen. ,,Die Rahmenbedingungen und Perspektiven für die Entwicklung der peripheren ländlichen
Räume Brandenburgs im nächsten Jahrzehnt sind prekär."
24
Die demografische Erosion, die Tertiäri-
sierung und Erwerbswanderung stellen die Zukunft des heutigen Siedlungsnetzes in Frage. ,,Nur war
[­ und ist ­ d.V.] dieses Thema politisch, vor allem kommunalpolitisch nicht ´verkaufbar`".
25
23
Institut für Stadtforschung und Strukturpolitik (IfS), a.a.O., S. 5
24
Schäfer, Rudolf: Der periphere ländliche Raum Brandenburgs in: Zöpel, Christoph (Hrsg.), a.a.O., S. 441
25
Hannemann, Christine: ,,Soziales Kapital" kleiner Städte ­ Perspektive für schrumpfende Städte in Ostdeutschland? in: Han-
nemann, Christine; Kabisch, Sigrun; Weiske, Christine (Hrsg.), a.a.O., S. 17

Lebens- und Wohnbedürfnisse der dritten Generation
Die demografische Entwicklung
__________________________________________________________________________________________
- 16 -
Überalterung und regionale Schrumpfungsprozesse
Von der Dynamik der demografischen Entwicklung sind die einzelnen Regionen und Städte sehr un-
terschiedlich betroffen. Auch die städtische Überalterung ist kein gleich verteilter Prozess. ,,Nicht nur
die Bundes- und die Landespolitik, sondern insbesondere auch die Kommunalpolitik sind angesichts
dieser Entwicklung gefordert. Denn neben einem intra- und interregionalen Gefälle der Alterungsdy-
namik gibt es auch eine Spannweite der Alternsentwicklung, die u. a. siedlungsstrukturelle Konse-
quenzen haben wird."
26
Die Folgen der derzeitigen demografischen Entwicklung wird die rasante Zunahme schrumpfender
Regionen, die schon heute gekennzeichnet sind durch traditionelle Strukturschwächen, Grenzlagen
oder geringen Industrialisierungsgrad, verstärken. Während beispielsweise das Berliner Umland seit
Anfang der 1990er Jahre von der Suburbanisierung der deutschen Hauptstadt profitiert, ist für keine
brandenburgische Stadt des äußeren Entwicklungsraumes eine auch nur stagnierende oder gar zu-
nehmende Bevölkerungszahl prognostiziert.
27
Selbst die Städte, die leichte Zuwanderungsgewinne
verzeichnen können, gleichen diese mit den hohen Sterbeüberschüssen aus. Eine Ausdünnung der
Bevölkerungszahlen wiederum hat Auswirkungen auf die kommunalen Kassen: Förderzuweisungen
und Zuweisungen aus dem Finanzausgleich sind gebunden an die Zahl hauptwohnsitzlich gemeldeter
Bewohner. Eine Aufrechterhaltung von sozialer und technischer Infrastruktur wird mit Abnahme der
Bevölkerungsdichte perspektivisch vielerorts vakant.
Die Geografie der gesellschaftlichen Alterung hat mehrere Ursachen: Rückgang der Geburtenrate,
Anstieg der Lebenserwartung, altersselektive Wanderungen. Der ,,demografische Schock" in den neu-
en Bundesländern durch die Folgen der gesellschaftlichen Verwerfungen der Wende und Nachwen-
deetappe hat ein lang anhaltendes Echo und ist auch Mitte der 1990er Jahre noch deutlich abzulesen.
Tabelle 3; Verhältnis Lebendgeborener und Gestorbener 1995 bis 1997
Bevölkerung
Einheit
1995
1996
1997
Alte
Bundesländer
10,3 10,5 10,7
Lebendgeborene
Neue
Bundesländer
5,4 6,0 6,5
Alte
Bundesländer
10,7 10,6 10,4
Gestorbene
Neue Bundesländer
Je 1.000
Einwohner
11,5 11,3 10,9
Quelle: Statistisches Bundesamt (www.statistik-bund.de/basis/d/bevoe/bevoetab2.htm)
Die Änderungen der regionalen Alters- und Sozialstruktur erfordern in den nächsten zwei Jahrzehnten
Entwicklungen, die sich nicht auf die alleinigen Fragen der zukünftigen sozialen Sicherung der Bürger
beschränken lassen. Die Abnahme der Gesamtbevölkerungszahl und der Anstieg der Alterskohorten
der dritten Generation werden für Klein- und Mittelstädte (die nicht von der Metropolensuburbanisie-
rung profitieren) zur Normalität.
1.1.3 Lebenserwartung - Rückblick und derzeitiger Stand
,,Die durchschnittliche Lebensdauer betrug um Christi Geburt nur 22, zur Zeit von Martin Luther 33,5, um 1900
noch 49,2 und heute 68,7 Lebensjahre. Die Lebensverlängerung bedeutet zugleich eine Umschichtung der Al-
tersklassen. Um 1900 stellten die Jugendlichen (bis zum 20. Lebensjahr) noch 46% der Bevölkerung, 1925 waren
es noch 36%, 1950 noch 31% und für 1975 rechnet man mit 28% jugendlichen Menschen. Entsprechend steigen
die Altersklassen (nach dem sechzigsten Jahr), um 1900 waren es noch 7% der Bevölkerung, 1975 werden es
20% sein."
28
Max Frisch, Tagebuch
1966 bis 1971
Sowohl bei Männern als auch bei den Frauen hat sich die Lebenserwartung in den letzten Jahrzehn-
ten fortwährend erhöht. In 2003 geborene Jungen haben in der Bundesrepublik eine durchschnittliche
Chance 74,47 Jahre alt zu werden. Bei den neugeborenen Mädchen beträgt die Lebenserwartung
80,57 Jahre
29
. Damit hat eine sechzigjährige Frau mit dem Eintritt in die Phase der Nacherwerbstätig-
keit noch durchschnittlich 25% -, ein fünfundsechzigjähriger Mann noch 12,71% seiner Lebenszeit vor
sich.
26
Articus, Dr. Stephan: Alternde Gesellschaft braucht Ehrenamt in: Kommunalpolitische Blätter 10/ 2001, S. 14
27
Beyer, Wolf: Langfristige Veränderungen der Bevölkerungsstruktur im Land Brandenburg in: Zöpel, Christoph (Hrsg.), a.a.O.,
S. 388
28
Frisch, Max: Tagebuch 1966 bis 1971, Frankfurt a.M., S. 11
29
Jahresangaben aus: http://www.bib-demographie.de/info/frame_lage2001.html, Finddatum: 10.09.2003

Der demografische Wandel in der Bundesrepublik Deutschland
Die demografische Entwicklung
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- 17 -
Die Erhöhung des Lebensalters erlaubt das zeitliche Zusammenleben von vier, manchmal fünf Gene-
rationen. ,,Noch vor hundert Jahren haben Eltern nur selten die Heirat ihres jüngsten Kindes erlebt.
Heute können sie sogar die Heirat ihrer Enkel miterleben, [...]."
30
1.1.4 Grunddaten zur dritten Generation in der Bundesrepublik
Der Anteil der ab 60-Jährigen betrug im Jahr 2000 bei der deutschen Bevölkerung ca. ein Viertel
(25,4 %) der Gesamtbevölkerung und nimmt in absoluten Zahlen kontinuierlich zu.
Abbildung 4: Entwicklung des Anteils der ab 60jährigen in der Bundesrepublik seit 1951
10,618
15,567
22,886
18,881
25,199
0
5
10
15
20
25
30
1951
1971
2000
2020
2050
Jahr
Einw
ohn
er
in M
io.
60 Jahre und älter
Die Angaben für die Jahre 2020 und 2050 sind Schätzwerte auf der Grundlage der 9. koordinierten Bevölkerungsvorausberech-
nung des Statistischen Bundesamtes (Variante 2), eigene Darstellung
Gesellschaftsökonomisch besonders betrachtenswert ist der Anstieg des Anteils der Hochaltrigen, d.h.
der über 80jährigen, der sich in den letzten dreißig Jahren verdreifacht hat, bzw. von 1,9% im Jahr
1070 auf 5,8% in 2003 gestiegen ist.
31
Abbildung 5: Absolute Werte der ab 80jährigen in der Bundesrepublik
30679
105347
497343
771200
1482600
783540
1536469
5068300
2934837
7922200
0
1000000
2000000
3000000
4000000
5000000
6000000
7000000
8000000
1951
1971
2000
2020
2050
Jahr
E
in
w
o
h
n
er
ab
so
lu
t
80 Jahre und älter
90 Jahre und älter
Die Angaben für die Jahre 2020 und 2050 sind Schätzwerte auf der Grundlage der 9. koordinierten Bevölkerungsvorausberech-
nung des Statistischen Bundesamtes (Variante 2), eigene Darstellung
Auch das durch Arbeitslosigkeit, Vorruhestandsregelungen und Altersteilzeit immer weiter vorverlegte
Renteneintrittsalter erhöht die gesellschaftliche Belastung des stetig steigenden Alterslastquotienten.
Der Alterslastquotient lag im Jahr 1999 bei 25,4 und variiert in verschiedenen Modellberechnungen für
das Jahr 2050 zwischen 50,9 bis 57,3.
32
Bildungs- und Ausbildungsstand
Besaß noch Ende des letzten Jahrhunderts nur ein relativ geringer Anteil der Seniorengeneration den
allgemeinen Schulabschluss der Fachhochschul- oder Hochschulreife, bzw. absolvierte ein Hoch-
schul- oder Universitätsstudium, so wird das Bildungs- und Ausbildungsniveau der nachwachsenden
Seniorengenerationen, insbesondere bei den Frauen, deutlich ansteigen.
30
Opaschowski, Horst W./ Deutsche Investment Trust (DIT) (Hrsg.): Leben zwischen Muß und Muße, Die ältere Generation:
Gestern. Heute. Morgen; Frankfurt a.M. 1998, S. 104
31
siehe: Baric-Büdel, Dragica in Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit: Der zweite Weltaltenplan ­ ein globaler Aktionsplan zu
Fragen des Alters; Heft 5/ 2002, Bonn, S. 385
32
Bundesministerium des Inneren: Modellrechnungen zur Bevölkerungsentwicklung in der Bundesrepublik bis zum Jahr 2050,
S. 13

Lebens- und Wohnbedürfnisse der dritten Generation
Die demografische Entwicklung
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- 18 -
Tabelle 4; Vergleich Bildungsniveau der über 60jährigen, (Angaben in %)
Alter in Jahren Volks- oder
Hauptschule
Realschule
Gymnasium
Lehr- oder An-
lernausbildung
Hochschul-
abschluss
60 ­ 65
77,8
12,1
9,1
52,2
4,7
über
65
79,5 12,6 7,6 47,2 3,5
Quelle: Statistisches Jahrbuch 1996 für die Bundesrepublik Deutschland, Wiesbaden 1996, S. 377; eigene Darstellung
Dieser Trend der Höherqualifizierung zukünftiger Seniorengenerationen wird sich maßgeblich in deren
Freizeitverhalten widerspiegeln. ,,Höhere Schulabschlüsse eröffnen eher den Zugang zu Bildungsein-
richtungen und anderen kulturellen Einrichtungen; die Vertrautheit mit diesen institutionalisierten Bil-
dungsangeboten bildet auch die Grundlage für eine erhöhte Bildungsaktivität im Alter. [...] Des weite-
ren wird sich auch die Gruppe derjenigen vergrößern, die durch das Anforderungsprofil ihrer früheren
beruflichen Tätigkeit günstige Voraussetzungen für Kompetenzen und Flexibilität im Alter mitbrin-
gen."
33
Eintrittsalter in den Ruhestand
Nicht immer biologische, sondern zumeist soziale Einflüsse bestimmen die Lebensgliederung des
Menschen. So ist auch die gesellschaftliche Gleichstellung mit ,,Alter" ­ der Austritt aus dem Erwerbs-
leben ­ kein biologisch zwingender Zeitpunkt mehr. Denn ,,Senior" wurde man in Deutschland in den
letzten Jahrzehnten immer früher. Der Austritt aus dem Erwerbsleben liegt derzeit in Deutschland im
Durchschnitt weit vor dem Zeitpunkt, an dem sich auch die biologische Alterung nachhaltig bemerkbar
macht: 66% der Erwerbstätigen stellen heute vorzeitig ihren Rentenantrag, meist werden sie aus ar-
beitsmarktpolitischen oder betriebsbedingten Gründen in den Vorruhestand gedrängt. In weniger Fäl-
len zwingt sie ihre Gesundheit zu diesem Schritt oder wird der Renteneintritt aus persönlichen Grün-
den vorverlegt. Für viele der Ausgemusterten ist das Ende der Berufstätigkeit ein kritisches Lebenser-
eignis, der Schritt in den Ruhestand nicht freiwillig. Die Erwerbsphase ist inhaltlich mehr als nur die
Sicherung des Lebensstandards nach der Berentung. Inhalte, Positionen, Aufgaben, Anerkennungen
entfallen. Ein gleitender Übergang in den Ruhestand, eine Vorbereitung auf die neue Lebensphase im
Rahmen einer Neuorientierung oder eines work-out-Lebenstrainings steckt in der Bundesrepublik
noch in den Anfängen. Ein prozentual hoher Anteil der Senioren leidet anfänglich unter dem ,,Fallbeil-
Charakter"
34
des ,,Pensionierungsschocks" ­ kann die damit einhergehenden psychischen, familiären
und sozialen Probleme aber kaum in geeignetem Kreis thematisieren. Hier entsteht ein unübersehba-
rer Widerspruch: die Menschen ,,gewinnen" immer mehr Lebensjahre durch zunehmende, gesund er-
lebte Hochaltrigkeit, andererseits fehlt diesen gewonnenen Jahren die soziale Anerkennung, zukünftig
auch immer mehr das familiäre Sozial- und Bezugsnetz.
Die Verschiebung der Alterskohorten der Bevölkerung muss und wird eine deutliche Verminderung
des Frühverrentungstrends zur Folge haben. Ältere Arbeitnehmer werden verstärkt bis mindestens
zum gesetzlichen Renteneintrittsalter ­ und über neue Modelle darüber hinaus ­ im Arbeitsleben
gehalten werden müssen.
Finanzielle - und Eigentumssituation der Senioren
Die finanzielle Alterssicherung setzt sich aus verschiedenen Einzelelementen zusammen und ist der-
zeit starken Veränderungsregelungen unterworfen. Die bislang wichtigste Säule ist die gesetzliche
Rentenversicherung (GRV)
35
. Dazu gehören auch die Beamtenversorgung (die bereits seit Mitte der
1990er Jahre ca. die Hälfte der Steuereinnahmen der Länderetats ausmachen)
36
und ca. 50 berufs-
ständische Versorgungswerke für die Alterssicherung von Selbstständigen und Freiberuflern. Weitere
Säulen sind die privaten Altersvorsorgen (mit wachsender Bedeutung), die betrieblichen Altersvorsor-
gen und die öffentlich-rechtliche Zusatzversorgung für den öffentlichen Dienst.
Die Wirtschaftskraft ist in der Gruppe der Senioren sehr ungleich verteilt. Es sind sowohl Ost- West-
Unterschiede als auch Unterschiede zwischen Männern und Frauen zu verzeichnen. Auch innerhalb
der drei Lebensphasen verändert sich das individuelle monatlich frei verfügbare Kapital, da mit der In-
33
Kruse, Prof. Dr. Andreas in: Lebensstile und Umwelten älterer Menschen in: BMFSFJ (g): Lebensstile ­ Wohnbedürfnisse ­
Wohnformen; Dokumentation eines Workshops in Hamburg im Rahmen des Bundesmodellprogramms ,,Selbstbestimmt wohnen
im Alter" am 20./ 21. Mai 1999, Berlin 2001, S. 82
34
Opaschowski, Horst W./ Deutsche Investment Trust (DIT) (Hrsg.): a.a.O., S. 20
35
BMFSFJ (c) : Dritter Bericht zur Lage der älteren Generation, Berlin 2001; S. 33
36
Hummel, Konrad, Öffnet die Altenarbeit: Zur sozialen Infrastruktur gemeinwesenorientierter Altenarbeit in: Klose, Hans-Ulrich
(Hrsg.): a.a.O., S. 215

Der demografische Wandel in der Bundesrepublik Deutschland
Die demografische Entwicklung
__________________________________________________________________________________________
- 19 -
anspruchnahme von Hilfs- und Pflegedienstleistungen ein hoher Prozentsatz des monatlichen Netto-
einkommens in Anspruch genommen werden muss ­ bis zur verbleibenden ,,Taschengeldzahlung" in
Alterspflegeheimen.
Die Situation der Erwerbsphase und der früheren Lebensläufe spiegelt sich im Monatseinkommen der
Senioren wider. Die Rentnerinnen im Westen haben bislang die kürzeste Erwerbsgeschichte mit ent-
sprechend wenigen Versicherungsjahren, für Rentnerinnen im Osten sieht es derzeit durch die meist
durchgehende Erwerbstätigkeit (mindestens bis 1989) besser aus. So verfügen viele Rentnerhaushal-
te in den neuen Bundesländern über zwei Renten, während ein hoher Prozentsatz westdeutscher
Rentnerhaushalte über nur ein Rente und gegebenenfalls kleine Zusatzrenten verfügt.
37
Dass der
Vergleich der monatlichen Einkommenssituationen der West- und Osthaushalte in der folgenden Dar-
stellung keine größeren Differenzen aufweist, resultiert aus den zahlreichen Nebeneinnahmen, die in
wesentlich höherem Maße in den alten Bundesländern die monatlichen Rentenzahlungen ergänzen.
,,So verfügen zum Beispiel verheiratete Bezieher einer GRV-Rente im Alter von über 65 Jahren in den
alten Bundesländern über ein Brutto-Gesamteinkommen von durchschnittlich DM 4.160. Dabei entfal-
len lediglich rund 63% des Gesamteinkommens auf die Rente der GRV und rund 37% auf andere
Einnahmen."
38
Die in der folgenden Übersicht dargestellten Nettoeinkommen sind jeweils die Summe
aller regelmäßigen monatlichen Einnahmen.
Tabelle 5; Einkommensverteilung von Rentnern nach Familienstand 1995
Durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen der über 65jährigen (in DM)
Familienstand
Alte Bundesländer
Neue Bundesländer
Ehepaare 3.769
3.118
Alleinstehende Männer
2.710
2.044
Ledige Frauen
2.112
1.550
Witwen 2.086 1.911
Geschiedene Frauen
1.890
1.343
Quelle: Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, 1998; zitiert nach Agricola, Sigurd, S. 98
Interessant ist es, die Entwicklung der durchschnittlichen Renteneinkünfte in den 90er Jahren und die
Ost-West-Unterschiede zu betrachten:
Tabelle 6; Entwicklung der Ost-West-GRV-Bezüge in den 90er Jahren
Geschlechtsspezifische durchschnittliche Altersrenten/ Ost-West-Vergleich (in DM) Mitte der 1990er
Jahre
Alte Bundesländer
Neue Bundesländer
Männer 1.558 739
Frauen
658
524
Das Ost-West-Verhältnis in den
Altersrenten betrug 47% bei den Männern und 80% bei den Frauen.
Geschlechtsspezifische durchschnittliche Altersrenten/ Ost-West-Vergleich (in DM) 1999
Männer 1.873 1.988
Frauen
833
1.158
Das Rentenverhältnis hat sich umgekehrt: Die ostdeutschen Renten lagen nun bei den
Männern um 6% und bei den Frauen
um ca. 30% über den westdeutschen Renten.
Quelle: Kruse, Prof. Dr. Andreas in: Lebensstile und Umwelten älterer Menschen in: Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend: Lebensstile ­ Wohnbedürfnisse ­ Wohnformen; Dokumentation eines Workshops in Hamburg im Rahmen
des Bundesmodellprogramms ,,Selbstbestimmt wohnen im Alter" am 20./ 21. Mai 1999, Berlin 2001, S. 78 f
Aktuelle Angaben des Sozioökonomischen Panels (SOEP)
39
zeigen bei den Durchschnittseinkünften
der Rentnerhaushalte in den neuen Bundesländern inzwischen die finanziellen Auswirkungen der Ver-
lierergeneration der Wende: ,,So sind ältere Menschen in Ostdeutschland deutlich schlechter gestellt
als in Westdeutschland. Alleinlebende - hier besonders Frauen - stärker von Armut betroffen als Paar-
haushalte."
40
Hinter den dargestellten Durchschnittseinkommen steht eine beträchtliche Streuung: 6,9% der über
60jährigen erhielt 1997 Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Damit war statistisch
in keiner Altersgruppe (Ost wie West) die Dichte von Sozialhilfeempfängern so gering, wie bei den ab
60jährigen. Allerdings täuschen hier die Zahlen ­ Altersarmut ist und wird auch in der Bundesrepublik
37
vgl.: Agricola, Sigurd; Deutsche Gesellschaft für Freizeit: Senioren und Freizeit. Aktuelle Daten und Fakten zur Altersfreizeit,
Erkrath 1998, S. 100
38
Kruse, Prof. Dr. Andreas in: Lebensstile und Umwelten älterer Menschen in: BMFSFJ (g), a.a.O., S. 79
39
erstellt vom DIW Berlin in Zusammenarbeit mit Infratest Sozialforschung, siehe: www.diw.de
40
www.leibniz-gemeinschaft.de, Finddatum: 05.03.2004

Lebens- und Wohnbedürfnisse der dritten Generation
Die demografische Entwicklung
__________________________________________________________________________________________
- 20 -
ein Thema. Jedoch werden in keiner Altersgruppe von so vielen nach BSHG Transferberechtigten die
Zahlungen nicht in Anspruch genommen, wie bei den Senioren. Dafür werden drei Ursachen benannt:
· fehlende Kenntnisse der Anspruchsvoraussetzungen
· das Gefühl von ­ und die Angst vor Stigmatisierung
· die Sorge, die Kinder indirekt zu belasten (durch die Heranziehung zum Unterhalt).
41
Die Vermutungen, dass insbesondere ältere Menschen den Gang zum Sozialamt scheuen, weil sie
den Unterhaltsrückgriff auf ihre Kinder befürchten, haben dazu beigetragen, ,,dass der Gesetzgeber im
Rahmen des Altersvermögensgesetzes 2000 zum 1. Januar 2003 eine Grundsicherung für bedürftige
Menschen ab 65 Jahren (und für dauerhaft voll Erwerbsgeminderte) auf Sozialhilfeniveau unter Aus-
schluss des Unterhaltsrückgriffs auf ihre Kinder eingeführt hat, sofern deren Jahreseinkommen
100.000 Euro nicht übersteigt."
42
Die Daten des SOEP zeigen, dass die derzeitige durchschnittliche Einkommenssituation der dritten
Generation nicht viel unter dem Durchschnitt der Gesamtheit der anderen Haushalte liegt, die Mehr-
zahl finanziell sogar deutlich besser gestellt ist als Familien mit Kindern. Die unsichere wirtschaftliche
Lage aller drei Generationen schlägt sich im Finanzverhalten der Senioren nieder und erklärt deren
beachtliche innerfamiliäre Transferzahlungen und ihr Sparverhalten: Laut der Berliner Alterstudie hat
jeder dritte über 70jährige unterstützende Transferzahlungen an die eigenen Nachkommen gezahlt ­
lediglich 8% erhielten selbst intergenerationelle familiäre Unterstützungszahlungen.
43
Für die Einschätzung der Lebenssituation Älterer muss zu den monatlichen Einnahmen noch das dar-
über hinausgehende Eigentum ­ hier besonders das Wohneigentum ­ betrachtet werden. Von den
Seniorenhaushalten verfügten im Jahre 1998 47% (West) bzw. 20% (Ost) über Immobilieneigentum,
für die durchschnittliche Verkehrswerte von DM 410.000 (West) bzw. DM 149.000 (Ost) berechnet
wurden. Der hohe Anteil von ca. 51,3% (West) und 28,8% (Ost) der über 65Jährigen
44
, die in selbst
genutztem Wohneigentum leben, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich sehr häufig auch
,,um nicht liquidierbares, nicht in verbrauchbares Geld umzusetzendes Eigentum handelt. Besonders
von Frauen in ländlichen Bereichen kennt man den Effekt, dass zwar ein buchmäßiges Eigentum am
Hof oder einer anderen Wohnstatt vorhanden ist, jedoch das Geld fehlt, um altersgemäße Wohn-
raumanpassung oder auch nur die Sanierung vorzunehmen"
45
. Zusätzlich sind Wohneigentümer in
ländlichen Gemeinden nicht selten finanziell belastet durch Kredite oder Hypotheken zur Finanzierung
des Eigenanteils von Erschließungskosten oder/ und Sanierungskosten im Zuge von Stadt- und Dorf-
erneuerungsmaßnahmen.
Die finanzielle Situation eines prozentual hohen Anteils der Senioren, räumlich konzentriert besonders
in den strukturschwachen ostdeutschen Bundesländern und in Regionen mit hohen Arbeitslosenquo-
ten, wird sich in den folgenden zwei Jahrzehnten dramatisch verändern. Mit dem verstärkten Eintritt
derjenigen Jahrgänge ins Rentenalter, deren Erwerbsbiografie nach der Wende durch Arbeitsplatzver-
lust, Langzeitarbeitslosigkeit, Arbeitsbeschaffungs- und Strukturanpassungsmaßnahmen gekenn-
zeichnet war, wird hier das durchschnittliche Rentenniveau erheblich sinken. Das Altern wird sich un-
ter ganz anderen materiellen und damit psychischen Bedingen vollziehen, als es derzeit noch vielen
Senioren möglich ist. Das Sicherungssystem ,,Sozialhilfe" ist schon heute überfordert. Finanzielle
Rücklagen, die die Renteneinnahmen aufstocken könnten, Bausparverträge, Lebensversicherungen
und Wertpapiere sind in den meisten Fällen nicht vorhanden.
46
Heute schon gibt es ,, [...] beträchtliche
Gruppen älterer Menschen, die nach Abzug der Lebenshaltungskosten kein bzw. nur ein gering ver-
fügbares Einkommen haben. Ihr Anteil liegt bei etwa 12%. Es handelt sich vor allem um verwitwete
oder geschiedene Frauen."
47
Die Unsicherheit zukünftiger Rentenhöhen, die derzeitige Umstrukturierung des Sozialstaates, die
Langzeitarbeitslosigkeit bzw. die Beschäftigung vieler Erwerbstätiger in gering bezahlten Anstellungen
und die wachsende Last an Eigenanteilen von Gesundheitsdienstleistungen wird die zukünftigen
Rentnergenerationen stärker prägen als bisher. ,,Das Einkommensgefälle bei Rentnern von morgen
41
Kruse, Prof. Dr. Andreas: Lebensstile und Umwelten älterer Menschen in: BMFSFJ (g), a.a.O., S. 80
42
BMFSFJ (d), S. 91
43
Kruse, Prof. Dr. Andreas: Lebensstile und Umwelten älterer Menschen in: BMFSFJ (g), a.a.O., S. 78
44
vgl.: AWO Bundesverband e.V.: Sozialbericht 1999 ­ Zur Lebenslage älterer Menschen und zur Zukunft der Sozialen Dienste
in Deutschland, Frankfurt a.M. 1999, S. 55
45
ebd., S. 54
46
ebd., S. 29
47
Agricola, Sigurd, a.a.O., S. 96

Der demografische Wandel in der Bundesrepublik Deutschland
Die demografische Entwicklung
__________________________________________________________________________________________
- 21 -
wird viel stärker sein als es heute ist ­ vor allem in den neuen Bundesländern."
48
Die Aufrechterhal-
tung des heutigen Lebensstandardniveaus wird für einen großen Teil der zukünftigen Senioren ohne
die Unterstützung der Kinder oder staatlicher Transferleistungen nicht mehr möglich sein. ,,Im Zu-
sammenhang mit Krankheit und Hilfebedarf steigen [...] die Armutsquoten in der Altersgruppe 75 und
mehr (im Vergleich mit der Altersgruppe 65 bis 74) deutlich an."
49
Ein prozentual wachsender Anteil
der von Altersarmut betroffenen Senioren wird derzeit in der Bundesrepublik bereits verzeichnet ­ die-
se Entwicklung muss in den Planungen für seniorengerechte Städte berücksichtigt werden.
Zusätzlich zu der finanziellen Misere dieser Jahrgänge kommt die persönliche Stigmatisierung durch
Langzeitarbeitslosigkeit und fehlende gesellschaftliche Anerkennung. Soziale Kontakte, familiäre und
außerfamiliäre Bindungen sind teilweise desolat oder aufgelöst, Selbstwertgefühl und die Fähigkeit
engagierten Einbringens in das gesellschaftliche Leben sind gestört oder nicht mehr vorhanden.
Gesundheit im Alter
In den letzten Dekaden hat sich der durchschnittliche Gesundheitszustand der älteren Generation er-
heblich verbessert, was sich unter anderem in der wachsenden Lebenserwartung widerspiegelt. Die
im Zusammenhang mit Gesundheit und Alter häufig thematisierte Kompressionstheorie besagt, dass
durch Erhalt und Förderung der Selbstständigkeit im Alter, die schwere Hilfs- und Pflegebedürftigkeit
auf die letzte Phase des Lebens komprimiert werden kann. Auch Befunde gerontologischer Studien
zur körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit von Menschen der dritten Generation verdeutlichen,
dass heute 75jährige im Vergleich zu früheren Kohorten fünf gesunde Jahre gewonnen haben. ,,Aller-
dings ist dies nicht mit einer uneingeschränkten Reduktion von gesundheitlichen Beeinträchtigungen
gleichzusetzen, vielmehr ist eine Verschiebung des Krankheitsspektrums von unmittelbar lebensbe-
drohenden Krankheiten zu chronisch-degenerativen Erkrankungen festzustellen."
50
Alt werden will jeder ­ alt sein keiner. Abnehmende körperliche Fitness und Gesundheit stigmatisieren
den Alterungsprozess. Dabei ist das Erreichen eines hohen Alters nicht zwangsläufig mit gesundheitli-
chen Beeinträchtigungen verbunden. Um die körperlichen und geistigen Einschränkungen zu verrin-
gern bzw. zeitlich heraus zu schieben, wird neben der medizinischen Grundversorgung, mit Fitness,
Wellness und bewusster Ernährung individuell vieles zum Erhalt der Gesundheit getan. ,,Dient Well-
ness den Jüngeren als Entschleunigung, als Anti-Burn-Out- Strategie, so sehen die Älteren darin das
beste Rezept für ein erfolgreiches Altern [...]. Ein wellnessorientierter Lebensstil wird für sie ­ auch
aufgrund der wachsenden Bedeutung der Eigenvorsorge ­ immer wichtiger."
51
Das Verständnis, dass
Gesundheit eine Investition in die Qualität der zukünftigen Lebensführung ist und dass die Folgen für
die eigene Lebensweise zunehmend selbst übernommen werden müssen, ist gestiegen.
Summieren sich mit wachsendem Alter sukzessiv nachlassende Körperfunktionen, treten vermehrt
Krankheiten auf und Behinderungen nehmen zu. Multimorbid bedingte Hilfsbedürftigkeit der mittleren
Alten und Hochbetagten und gerontopsychatrische Erkrankungen tragen zu wachsender Immobilität
bei und schränken die Lebensqualität erheblich ein. Die Differenz zwischen Wunsch und Machbarkeit
der Betroffenen wächst. Frustration und Rückzug verändern maßgeblich das Alltagsverhalten und be-
leben Nostalgie und Erinnerung. In der Phase der Hochaltrigkeit können Vergesslichkeit und Demenz
­ bis hin zur ,,Zeitlosigkeit des Alters"
52
die Lebenswelt des Alltags und ­ daraus resultierend ­ das
Lebensumfeld bestimmen.
Tabelle 7; Risiko der Pflegebedürftigkeit in der dritten Generation
Altersgruppe
Anteil der Pflegebedürftigen in Prozent
Vor dem 60. Lebensjahr
Ca. 0,5
Zwischen dem 60. und 80. Lebensjahr
Ca. 3,5
Nach dem 80. Lebensjahr
Ca. 28,0
Quelle: vgl.: AWO Bundesverband e.V.: Sozialbericht 1999 ­ Zur Lebenslage älterer Menschen und zur Zukunft der Sozialen
Dienste in Deutschland, Frankfurt a.M. 1999, S. 47; eigene Darstellung
Ende 1996 waren in Deutschland 2,1% der Gesamtbevölkerung regelmäßig pflegebedürftig, davon
lebten 1,5% in privaten Haushalten und 0,6% in stationären Einrichtungen. Der Frauenanteil überwiegt
­ resultierend aus der höheren Lebenserwartung ­ den Anteil pflegebedürftiger Männer. Bereits zum
48
Niejahr, Elisabeth in: Schader-Stiftung (Hrsg.), wohn:wandel ­ Szenarien, Prognosen, Optionen zur Zukunft des Wohnens,
Darmstadt 2001, S. 173
49
Schulz-Nieswandt, Frank, Diskussionspapiere des DZA (Hrsg.): Altern aus (sozial-) ökonomischer Sicht, S. 37
50
AWO Bundesverband e.V.: a.a.O., S. 42
51
Amt der Tiroler Landesregierung: a.a.O., S. 12
52
Agricola, Sigurd, a.a.O., S. 31

Lebens- und Wohnbedürfnisse der dritten Generation
Die demografische Entwicklung
__________________________________________________________________________________________
- 22 -
Jahr 2020 wird die Zahl der pflegebedürftigen Älteren mit gesetzlichem Leistungsanspruch um die
Hälfte steigen. Für sie würden dann 225.000 bis 250.000 zusätzliche Heimplätze benötigt ­ falls keine
alternativen Wohnformen bereitgestellt und präventive Maßnahmen ergriffen werden sollten.
Noch wird dem Staat im Bereich der Altersversorgung ­ trotzt Pflegenotstand und Altenhilfemängel ­
ein fast ungebrochener Vertrauensvorschuss gewährt. ,,Die Renten-, Gesundheits- und Altenhilfever-
sorgung wird, soweit sie nicht mehr in der Familie erbracht wird, vom Staat erwartet."
53
Die Situation
wird zunehmend prekär, wenn immer mehr kinderlos gebliebene Personen in das pflegebedürftige Al-
ter hineinwachsen. Selbst denen, die Kinder haben, wird die innerfamiliäre Pflege versagt bleiben,
denn die prognostizierte Längerbeschäftigung und wachsende Frauenerwerbstätigkeit provoziert die
Frage: Wer soll uns im Alter pflegen? Wenn die staatliche Versorgungsstrategie langfristig, angesichts
des wachsenden Alterslastquotienten, ohne ergänzendes bürgerschaftliches Engagement aufrechter-
halten werden sollte, werden sich erhebliche Mangel in Qualität und Quantität widerspiegeln.
Was ist neu am Altern heute?
In einigen Naturvölkern stellte man sich dem ,,Altenproblem", wenn es die Leistungs- und Mobilitätsfä-
higkeit der Gemeinschaft gefährdete, mit rituellen Altentötungen, dem Senizid. Bei den Kulturvölkern
hat es das "Überalterungsproblem" bis zur Industrialisierung nicht gegeben: gearbeitet wurde bis zum
Tod oder völligen physischen Verfall.
54
Im Gegensatz zur bisherigen Entwicklung der menschlichen Gesellschaft ist Altern heute alles andere
als ein Einzelschicksal. ,,Altern ist ein Massenphänomen."
55
Neu ist der Umstand der Hochaltrigkeit: die Verlängerung der Altersphase wird auch für die
Zukunft ansteigend prognostiziert.
Neu, durch die gute medizinische Vorsorge und Betreuung, ist eine relativ stabile Gesundheit
bis in die Hochaltrigkeit ­ und daraus resultieren eine lang anhaltende Aktivität und Mobilität
der Älteren und Alten.
Neu ist der ,,Generationenkonflikt" ­ weil sich die Kostenverteilung für die Alten durch die
jüngeren Generationen verschiebt.
Neu ist die Singularisierung und Entfamiliesierung Älterer.
Neu ist, dass ein wachsender Prozentsatz Älterer die Zeit nach der Erwerbsfähigkeit als ,,die
späte Freiheit" nach Beruf, Familie und finanziellen Verbindlichkeiten betrachtet und genießen
möchte ­ und sich mit der Lebensgestaltung sowohl inhaltlich als auch räumlich neu orientiert.
Auch, dass Frauen im Durchschnitt 6 bis 8 Jahre länger leben, ist neu ­ daraus resultierend
besteht die dritte Generation aus einer 2/3 ,,Frauengesellschaft".
Und neben vielen anderen Aspekten sei noch das regionale Altern erwähnt: das rasante An-
steigen des Durchschnittalters ganzer Städte und Regionen, forciert durch die sinkenden Ge-
burtenzahlen und damit das fast völlige Fehlen ganzer Jahrgänge Jugendlicher und Kinder
und weiterhin begünstigt durch die Abwanderung der Jungen und Leistungsträger. Eine Ent-
wicklung, die den Pilz manch regionaler Bevölkerungsstatistik auf ein haardünnes Stämmchen
stellt.
Und abschließend: jede Generation altert anders ­ denn die Grundlagen des Alterns sind die Erfah-
rungen aus den vorangegangenen Lebensphasen. Somit etabliert sich zunehmend eine Seniorenge-
neration mit zeitgemäßen Ansprüchen an Konsum, auf gesellschaftliche Teilhabe und autonome
Selbstbestimmung. Und diese neuen Seniorengenerationen erzeugen mit ihrem aktiveren Lebensstil
vielseitige, kapitalträchtige neue Märkte.
53
Hummel, Konrad: Öffnet die Altenarbeit: Zur sozialen Infrastruktur gemeinwesenorientierter Altenarbeit in: Klose, Hans-Ulrich
(Hrsg.): a.a.O., S. 219
54
vgl.: Opaschowski, Horst W./ Deutsche Investment Trust (DIT) (Hrsg.): a.a.O., S. 27f
55
Haenselt, Roland; Kuhlmey (Hrsg.), Adelheid: Altern braucht Orientierungen, Altern in Gesundheit und Krankheit, Neubran-
denburg 1999, S.5

Der demografische Wandel in der Bundesrepublik Deutschland
Räumliche Bevölkerungsbewegungen
__________________________________________________________________________________________
- 23 -
1.2 Räumliche
Bevölkerungsbewegungen
Wanderungsbewegungen führen zu Altersstrukturveränderungen in den Herkunfts- und in den Zielre-
gionen. Die wanderungsbedingten, im Zusammenhang der regionaldemografischen Alterung relevan-
ten Bestimmungsgrößen, sind das Verhältnis der Abwandernden zu denen der Zuwandernden in jeder
Generation. Da die Gruppe der Wandernden in der Regel eine andere Altersstruktur als die der Ge-
samtbevölkerung, bzw. der Sesshaften hat, kann die Selektivität der Wanderungsbewegungen zur
Hebung oder Senkung des Alterungsprozesses einer Region stärker beitragen, als die natürlichen Be-
völkerungsbewegungen der Geburten und Sterbefälle.
56
Die wachsende Umzugsbereitschaft der Se-
nioren stellt das alte Sprichwort ,,Einen alten Baum verpflanzt man nicht" in Frage: Das sozio-
ökonomische Panel macht deutlich, dass nach dem 55. Lebensjahr rund 20% der Eigentümerhaushal-
te und 50% der Mieterhaushalte noch einmal umziehen. Nach Untersuchungen der Schader-Stiftung
sind rund 65% der Altershaushalte umzugsbereit, um ihre Lebens- und Alterungsbedingungen zu
verbessern.
1.2.1 Internationale Wanderungsbewegungen
Im Jahr 1955 warb die Bundesrepublik Deutschland das erste Mal aktiv um Zuwanderer ­ damals, um
das Beschäftigtendefizit in der Landwirtschaft durch italienische Arbeitnehmer auszugleichen. Seit
dem sind ca. 30 Millionen deutsche und ausländische Zuwanderer in die Bundesrepublik gezogen.
Davon haben knapp 22 Millionen Deutschland wieder verlassen, ca. 9 Millionen sind geblieben. Für
die Bundesrepublik führen diese internationalen Wanderungsbewegungen zu einer Verlangsamung
des Alterungsprozesses, da die Zuziehenden aus dem Ausland in der Regel jünger sind als die An-
sässigen.
57
Abbildung 6: Zu- und Fortzüge in die Bundesrepublik seit 1991
803000
874000
582000
841000
1180000
755000
672000
673000
250000
500000
750000
1000000
1250000
1991
1998
1999
2000
Jahr
Z
u
- und For
tz
ü
ge
a
b
so
lut
Zuzüge
Fortzüge
Internationale Wanderungsbewegungen der dritten Generation
Mit kontinuierlich steigender Tendenz haben seit Anfang der 1980er Jahre auch deutsche Senioren
die Vorzüge des dritten Lebensabschnittes in freundlicheren Klimazonen für sich entdeckt. Verbindli-
ches Zahlenmaterial liegt jedoch nicht vor.
58
,,Auch in den sun belt Europas ziehen viele Rentner, die
ihren Lebensabend in einem angenehmen Klima verbringen möchten. Hier sind es vor allem Mallorca
und die Kanarischen Inseln, [zunehmend auch die Türkische Riviera, die portugiesische Algarve und
Tunesien
59
] wo sich die so genannten Residenten tummeln."
60
Zwischen 12.000 und 20.000 Deutsche
- so schätzt die deutsche Botschaft in Ankara - leben inzwischen schon ständig in der Türkei. 5.446
verfügen über ein "Ikamet", eine befristete Aufenthaltsgenehmigung, die anderen reisen alle drei Mo-
nate aus und wieder ein. Die Zeitung "Hürriyet" schätzte die Zahl der Deutschen kürzlich sogar auf
70.000.
61
Der auch in Deutschland ansteigende Trend, die Zeit der Nacherwerbstätigkeit in angeneh-
meren Klimazonen zu verleben, ist und wird auch in Zukunft nur einem geringen Prozentsatz der
deutschen Senioren vergönnt sein, denn ,,Altenwanderung ist ein Privileg der Gebildeten und Vermö-
genden"
62
.
56
vgl.: Bucher, Hansjörg; Kocks, Martina; Siedhoff, Mathias in: Deutsches Zentrum für Altersfragen (a), a.a.O., S. 17
57
ebd.
58
BMFSFJ (c), a.a.O., S. 254
59
siehe: Berg, Lilo: When I´m Sixty-four- Altern und Alter in Deutschland, S. 165
60
Narten Dr., Renate in: Amt der Tiroler Landesregierung (Hrsg.): a.a.O., S. 27f
61
Hielscher, Almut: Hier bin ich wieder wer in: Der Spiegel Nr. 42/ 2003
62
vgl.: Bucher, Hansjörg; Kocks, Martina; Siedhoff, Mathias in: Deutsches Zentrum für Altersfragen (a), a.a.O., S. 17

Lebens- und Wohnbedürfnisse der dritten Generation
Räumliche Bevölkerungsbewegungen
_________________________________________________________________________________
- 24 -
Der Einstieg in den Wohnortwechsel ist meist ein mehrmaliger Langzeiturlaub in den Zielländern. Die-
ses sechs- bis zwölf Wochen lange ,,überwintern" dient der Orientierung und Kontaktaufnahme vor
Ort. Die Entscheidung für den neuen Lebensort fällen die meisten in der ersten, aktiven und rüstigen
Phase des Ruhestandes ­ eine fehlende finanzielle und soziale Vorsorge für die Hochaltrigkeit kann
den Betroffenen, Angehörigen und den örtlichen Institutionen vor Ort erhebliche Probleme bereiten.
,,Problematisch an den [...] Altersruhesitzen [im Ausland; d.V.] ist, dass sie von den rüstigen und akti-
ven Älteren dominiert werden. Das gebrechliche Alter wird weitgehend verdrängt und ausgegrenzt. [...]
Über die deutschen Rentner in Mallorca gibt es erste Studien, die besagen, dass sie so wenig für ihr
gebrechliches Alter vorgesorgt haben, dass sie teilweise ihr hohes Alter unter ganz erbärmlichen Um-
ständen fristen."
63
1.2.2 Binnenwanderungen
Mit der Fluchtwelle Ostdeutscher über Ungarn und die Tschechei begann im Sommer 1989 die gravie-
rendste nationale Wanderung nach den Flüchtlingsströmen des II. Weltkrieges. Der Mauerfall am 9.
November 1989 beschleunigte die bis heute anhaltende Abwanderung Ostdeutscher in die alten Bun-
desländer. Die Städte und Regionen der alten Bundesländer konnten deutlich von den innerdeutschen
Ost-West-Wanderungen profitieren.
Abbildung 7: Veränderung des Durchschnittsalters der Bevölkerung in den Bundesländern
41
40,4
39,2
39,2
38,7
38,6
38,3
38,3
38,3
37,6
37,4
36,8
36,2
35,5
34,7
34,6
33,1
39,7
41,2
39,9
40,1
41
39,6
39,2
39,4
39,6
38,9
41,6
38,4
40,9
40,4
37,4
39,5
38,9
51,8
48,5
50,5
49,7
48,8
51
48,7
48,8
49,2
50,6
48
49,2
50
49,8
49,7
51,8
49,2
30
40
50
60
Hamburg
Bremen
Schleswig-Holstein
Berlin-West
Saarland
Hessen
Niedersachsen
Nordrhein-Westfalen
Rheinland-Pfalz
Bayern
Sachsen
Baden-Württemberg
Sachsen-Anhalt
Thüringen
Berlin-Ost
Brandenburg
Mecklenburg-Vorpommern
B
u
nde
sl
ände
r
Durchschnittsalter der Bevölkerung in Jahren
31.12.2050 -
Prognose
31.12.1998
31.12.1989
Quelle: Roloff, Juliane/ Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung: Die demografische Entwicklung in den Bundesländern
Deutschlands, Wiesbaden 2000, S. 6f und 190; eigene Darstellung
Die ostdeutschen Länder verzeichneten im angegebenen Zeitraum einen Bevölkerungsrückgang um
durchschnittlich 7%, wogegen die alten Bundesländer einen Bevölkerungszuwachs von durchschnitt-
lich 6,5% verzeichneten. Der Alterungsprozess wird in den Herkunftsregionen beschleunigt. In Meck-
lenburg-Vorpommern, dem ehemals jüngsten Land, ist das Durchschnittsalter um 5,8 Jahre gestiegen,
lediglich Hamburg als einziges Bundesland hat sich im angegebenen Zeitraum um 1,3 Jahre verjüngt.
63
Narten Dr., Renate in: Amt der Tiroler Landesregierung (Hrsg.): a.a.O., S. 27f

Der demografische Wandel in der Bundesrepublik Deutschland
Räumliche Bevölkerungsbewegungen
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- 25 -
Die Abwanderung erfolgt weder in der Fläche noch innerhalb der Generationen einheitlich: von der
Abwanderung am stärksten betroffen sind die Regionen mit überdurchschnittlicher Arbeitslosenzahl
und geringer Wirtschaftskraft. Massiver Bevölkerungsschwund entleerte hier inzwischen ganze Teil-
räume der fünf neuen Länder. Das resultierende Wegbrechen einer Grundauslastung der technischen
und sozialen Infrastruktur verschärft die Problemlagen für die Bleibenden in den Herkunftsregionen.
Alten- oder Altenruhesitzwanderungen innerhalb der Bundesrepublik
Altenwanderungen innerhalb der Bundesrepublik weisen eine hohe zeitliche Stabilität auf, da sie in
der Regel losgelöst sind von ökonomisch bedingten Zyklen der Erwerbsphase. Besonders die Groß-
städte in den altindustriealisierten Zentren sind die Abwanderungsregionen. Bei den Zielregionen wer-
den zwei Hauptgruppen unterschieden: ,,Zum einen werden ­ vorwiegend von Fernwanderern ­ die
landschaftlich reizvollen, ökologisch bisher weniger belasteten Gebiete hoch im Norden (Nord- oder
Ostseeküste) oder tief im Süden (Schwarzwald, Bodensee, Alpenrand) bevorzugt. Der andere be-
deutsame Strom der Altenwanderer geht in die Naherholungsgebiete der Agglomerationen (z.B. Sau-
erland, Hunsrück, Taunus, Odenwald)."
64
Innerstädtische und innerregionale Wanderungsbewegungen
Die Entwicklung einer Stadt wird einerseits von ihrer Baulichkeit, der räumlichen Anordnung der ver-
schiedenen Funktionen sowie deren jeweiliger Qualitäten, Homogenität oder Vermischung beeinflusst,
andererseits sind es ebenso die demografischen, wirtschaftlichen, politischen und sozialen Verände-
rungen, die den Charakter eines Quartiers oder einer Stadt prägen. Eingriffe in den physischen Körper
einer Stadt ­ zum Beispiel das Entstehen von peripheren Einfamilienhaussiedlungen oder das Brach-
fallen von innerstädtischen Nutzungen ­ lösen Wechselwirkungen im Sozialgefüge der Stadt aus:
Wohnortswechsel und damit Wanderungsbewegungen.
Die innerstädtischen und innerregionalen Wanderungsbewegungen können in drei Arten unterschie-
den werden:
Tabelle 8; Klassifizierung der Wanderungsbewegungen
Die ausgewogene Wanderung
Zu- und Abwanderung in einem Quartier/ in einer Region finden in einem sich ausgleichenden Ver-
hältnis der ethnischen ­ und Altersgruppen und der sozialen Schichten statt. Diese Wohngebiete/
bzw. Regionen gelten als ,,stabil".
Die Abwanderung
Einzelne Wohnquartiere bzw. die ganze Stadt/ bzw. Region weist eine negative Bevölkerungsbilanz
auf: mehr Menschen verlassen das Quartier/ die Region als wieder zuziehen, es kann zu Segregati-
onserscheinungen bis zu Entleerungstendenzen kommen.
Beispiel: Die Kernstädte verlieren zunehmend ihre Wohnfunktion. Qualitativ und quantitativ mangeln-
des Freiflächenangebot, Lärm und hohe Wohndichte aber auch zerfallende Nachbarschaften, bauli-
cher Zustand und/ oder Größe der Mietwohnung und der Wunsch nach Wohneigentum mindern den
innerstädtischen Wohnstandort und forcieren die Abwanderung der Bevölkerung in die städtischen
Randbereiche.
Die Zuwanderung
a) Bestandsquartiere ,,boomen"; z.B. der Ausbau von
Dachgeschossen, die Sanierung leerstehender Wohnun-
gen, die Umnutzung bisheriger Gewerbegebäude zu
Wohnzwecken ermöglicht den zahlenmäßigen Zuzug im
Bestand. Die wachsende Wohnungsnachfrage kann zur
Verdrängung der angestammten Bevölkerungsschichten
durch andere soziale Schichten führen (gentrification).
b) Bestandsquartie-
re (z.B. Einfamili-
enhaussiedlungen
mit großen Gärten)
werden nachver-
dichtet, die Anzahl
der Wohnbevölke-
rung steigt
b) Neue Wohnquar-
tiere erleben ihren
Erstbezug
z.B. Suburbanisie-
rung (die Folge ist
die Entleerung der
Bestandswohnquar-
tiere).
Eine Folge der Auflösung gewachsener Nachbarschaften ist die Segregation. Als Segregation be-
zeichnet man die Entmischung bestehender Wohnmilieus, d.h. dass sozial differenzierte Wande-
rungsprozesse räumlich eine Annäherung bis Homogenisierung sozialer Schichten innerhalb des
Stadtquartiers (bzw. ganzer Städte und ländlicher Siedlungen) erzeugen. Die Ursachen der Abwande-
rung können sich sowohl durch eine mangelnde Wohnzufriedenheit im betroffenen Stadtteil als auch
durch vielfältige externe Faktoren (Arbeitsplatzwechsel, Familiengründung, wachsende Mobilität etc.)
begründen. Segregationsprozesse können zu erheblichen Spannungsverhältnissen im Gebiet führen.
64
vgl.: Bucher, Hansjörg; Kocks, Martina; Siedhoff, Mathias in: Deutsches Zentrum für Altersfragen (a), a.a.O., S. 18

Lebens- und Wohnbedürfnisse der dritten Generation
Räumliche Bevölkerungsbewegungen
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- 26 -
1.2.3 Notwendigkeit und Bereitschaft des Wohnortwechsels in den einzelnen
Generationen
Die Kriterien für die Wahl eines Wohnortes, bzw. für einen Wohnortwechsel unterscheiden sich in den
einzelnen Generationen sehr stark. Ist der Wohnort der Kinder und Schüler in der Regel noch an das
Elterhaus gebunden, so kann dieses gemeinsame Wohnen der ersten und zweiten Generation mit
dem Beginn einer Berufsausbildung oder eines Studiums im Alter zwischen 16 bis 18 Jahren bereits
beendet sein. Hier findet sich auch die größte Umzugsmobilität: von den Altersjahrgängen zwischen
dem 18ten und 30ten Lebensjahr wechseln acht bis zwölf Prozent jährlich ihren Wohnort mindestens
über eine Kreisgrenze ­ demgegenüber der Gesamtbevölkerung mit nur 3 Prozent. Ab dem 50ten Le-
bensjahr sind es jährlich nur noch 1 Prozent.
65
Für die mittlere Generation sind für die Wahl des Wohnstandortes die Kriterien Arbeit und Familie
ausschlaggebend. Innerhalb einer Stadt spielen dann finanzielle ­ (Miete/Wohneigentum), soziale ­
(Nachbarschaften/ Schulqualitäten) rationale und pragmatische Belange (Entfernung zur Arbeit/
ÖPNV/Einzelhandel, weiche Standortfaktoren) Überlegungen in die Wahl des Wohnquartiers mit ein.
Mit steigendem Alter wächst die Wohnortverbundenheit (durch ausgebaute familiäre und soziale Net-
ze, Wohneigentumsbildung und Partnerschaftsbeziehungen) mit einer resultierenden eingeschränkten
Bereitschaft des Wohnortwechsels.
Soziale Kriterien für den Wechsel des Wohnortes der dritten Generation sind vorrangig die erwünsch-
te Nähe zu Angehörigen und/ oder Freunden aber auch die Rückkehr an einen früheren Wohnort.
Pragmatische Gründe für einen Wohnungs- aber auch Wohnortwechsel sind die Anpassung der Woh-
nung an die aktuellen und die sich absehbar ändernden zukünftigen Wohnbedürfnisse: Wohnungs-
größe, Barrierefreiheit und eine seniorengerechte Ausstattung der Wohnung sollen den absehbaren
Bedürfnissen und Möglichkeiten entgegenkommen. Die innerstädtische Erreichbarkeit, Wegedistan-
zen und die Qualität des Wohnumfeldes wachsen in der Bedeutung. ,,Es gibt Erkenntnisse über eine
hohe Umzugsbereitschaft der Älteren zwischen 55 und 65 Jahren. Rund 40% können sich einen
Wohnungswechsel vorstellen oder rechnen mit einem solchen."
66
Diese Umzugsbereitschaft resultiert
unter anderem aus den sich auflösenden Bindungen an den Arbeitsplatz nach dem Austritt aus der
Erwerbstätigkeit.
Ein Wohnortwechsel bei den Hochaltrigen resultiert meist erst aus einer Notsituation. In der Regel er-
folgt der Wohnortwechsel, weil der Verbleib in der eigenen Wohnung durch Unfall, Krankheit, einen
erhöhten Hilfe- und Betreuungsbedarf oder durch Pflegebedürftigkeit nicht mehr gewährleistet werden
kann. Als Alternative zum Wechsel in komplexe Seniorenwohnanlagen bieten manche Wohnungsge-
sellschaften ihren hochbetagten Mietern einen Wohnungstausch im Bestand an, um gleichzeitig al-
ters- und krankheitsbedingte Auszüge zu verringern. Diese Möglichkeit kommt der abnehmenden Be-
reitschaft Hochaltriger sich in neue Wohnquartiere einzuleben, meist entgegen.
65
vgl.: Bucher, Hansjörg; Kocks, Martina; Siedhoff, Mathias in: Deutsches Zentrum für Altersfragen (a), a.a.O., S. 18
66
Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales und Frauen: Wohnen im Alter, Berlin 2001, S.16

Lebens- und Wohnbedürfnisse der dritten Generation
Jung, erwachsen, alt?
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- 27 -
2 Lebens- und Wohnbedürfnisse der dritten Generation
Die heutigen Senioren sind lebensfreudiger, unternehmungslustiger, selbstbewusster und konsum-
freudiger als ihre Eltern und Großeltern im gleichen Alter waren. Die Lebensgestaltungen unterschei-
den sich aber nicht nur rückblickend, sondern auch deutlich innerhalb der heutigen dritten Generation.
Die Ursachen diese Verschiedenheit von Wertorientierungen der Senioren sind zahlreich. Aber auch
in den Lebensphasen eines jeden Einzelnen verändern sich die Ansprüche und Vorstellungen von
Wohnbedarf und Lebensalltag: Alter ist kein statischer Zustand ­ sondern ein Prozess, der viele Pha-
sen durchläuft.
Tabelle 9; Werteorientierung von Senioren, Angaben in %
Altersgruppen
Wertorientierung
Ab 14 Jahre
60-69 Jahre
Ab 70 Jahre
Recht und Ordnung
72,5
82,4
86,5
Reinlichkeit
65,8 77,5 84,0
Sicherheit,
Geborgenheit
74,8 78,2 79,3
Familienorientierung
55,1 63,8 63,3
Sparsamkeit
45,5 63,5 72,2
Christlicher
Glauben
22,7 33,4 48,5
Quelle: G+J Marktanalyse (Hrsg.): Senioren. G+J Branchenbild, Nr. 44, Stand November 1994, Tabelle eigene Darstellung
Die Vielseitigkeit und Prozesshaftigkeit des Lebensabschnittes nach der Erwerbstätigkeit sind maß-
gebliche Anhaltspunkte für die zielgruppengerechte Planung aller Lebensbereiche für und mit der drit-
ten Generation.
2.1 Jung, erwachsen, alt?
,,Graues Haar und rote Augen und hässlich und verdrießlich sein! Seht Frau Trude, das nennen wir alt!"
Theodor Storm: Die Regentrude; Erzählungen für Kinder, 1851
Die Phasen des Jungseins und Älterwerdens dehnen sich zeitlich aus. ,,Jungsein, gemessen an den
Kriterien Ausbildung, wirtschaftliche Unabhängigkeit von Elternhaus und eigene Familiengründung hat
sich in den letzten 200 Jahren verdoppelt bis verdreifacht."
67
Auch die Phase nach dem Erwerbsleben
streckte sich in den letzten 100 Jahren erheblich, einerseits wurde zwischenzeitlich das damalige
Renteneintrittsalter von 70 Jahren erheblich herabgesenkt, andererseits ist die Lebenserwartung deut-
lich gestiegen. Ursächlich der soziale Wandel und der mit der Industrialisierung beginnende gesell-
schaftliche Wohlstand hat zum Entstehen einer neuen langen Lebensphase zwischen Erwerbstätigkeit
und Hochaltrigkeit beigetragen.
,,Traditionell bezeichnet man als ,,Generation" den Altersabstand zwischen den Geburtsjahren der El-
tern und deren Kindern, der bei etwa 25 bis 30 Jahren liegt."
68
Eine verbindliche Begrifflichkeit des
,,Altseins" gibt es nicht ­ eine bloße Angabe eines kalendarischen Lebensalters ist keine verbindliche
Aussage zu Lebensgefühl und Lebensweise eines Menschen. Altern ist die Summe lebenslanger mul-
tidisziplinärer Anpassungsprozesse. Anpassung an physische Veränderungen, Anpassung an verän-
derten Bildungsstand und geistige Horizonte, veränderte Sozialbeziehungen, veränderte Bewertungs-
kriterien.
69
Erst in den hochaltrigen Lebensjahren werden die Alterungsprozesse zunehmend von Ein-
schränkungen und Reduktionen begleitet.
Die althergebrachte Wahrnehmung des Alterns ist die Betrachtung der sich summierenden physi-
schen und psychischen Ausfallerscheinungen. Das gesellschaftliche Bild auf ,,die Alten" hat sich je-
doch verändert. Dazu trugen bei:
· das sich emanzipierende Selbstverständnis Älterer,
· körperliche Fitness und Belastbarkeit bis ins hohe Alter,
· wachsende
räumliche Mobilität,
· räumliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit von der Familie,
· aktive, selbstbestimmte Lebensgestaltung,
67
Keil, Prof. Dr. Siegfried, a.a.O., S. 27
68
Opaschowski, Horst W./ Deutsche Investment Trust (DIT) (Hrsg.): a.a.O., S. 17
69
vgl.: Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit: Schichten- und Geschlechtsspezifische Aspekte der Vorberei-
tung auf Alter und Ruhestand, Bonn 1981, S. 33

Lebens- und Wohnbedürfnisse der dritten Generation
Jung, erwachsen, alt?
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- 28 -
· innovative Wohnprojekte ,,von unten",
· gesellschaftliche
Teilhabe.
In einer so stark fragmentierten Gesellschaft wie der heutigen ist es schwer, eindeutige Zuordnungen
von Lebensstil zu Altersgruppe treffen zu wollen. Noch nie war die dritte Generation so heterogen wie
heute, die Lebensstile nach der Erwerbstätigkeit derart verschieden. Es gibt heute in der dritten Gene-
ration signifikante Unterschiede zwischen den einzelnen Altersgruppen, den sozialen Milieus, familiä-
rer und gesellschaftlicher Einbindung, zwischen Stadt- und Landbevölkerung, zwischen finanziell ge-
sichert und abhängig von staatlicher Alimentierung, Sozialisierung, Mobilität, Bildungsstand, Wohnort,
Lebensstandard. ,,In einer Zeit, in der 50jährige Frührentner und 70jährige praktizierende Ärzte quasi
nebeneinander her leben, scheint die klassische Vorstellung vom Alter nicht mehr zutreffend."
70
Der heute häufig verwendete Begriff der ,,jungen Alten" oder ,,neuen Alten" deutet darauf hin, dass sich
die heutige Seniorengeneration von der älteren Bevölkerungsgruppe früherer Zeiten deutlich unter-
scheidet. ,,Angesichts eines immer weiter vorverlegten Renteneintrittsalters bei gleichzeitiger Verbes-
serung der gesundheitlichen Disposition und Verlängerung des erreichbaren Lebensalters hat sich ei-
ne grundlegend neue Situation ergeben."
71
Das spezifische ,,Altersverhalten" verlagert sich zuneh-
mend in relativ hohe Lebensalter.
Durch diese sich rapide verändernden Faktoren sämtlicher Lebensbereiche in allen Lebensaltern und
deren Einfluss auf den jeweiligen persönlichen Zeitpunkt wichtiger Lebenszyklen ­ der Berufsausbil-
dung, des Eintritts in die Erwerbstätigkeit, der Familiengründung ­ sowie das Erfordernis der lebens-
länglichen Bildung, überschneiden sich heute verschiedene Lebensphasen, die früher klar voneinan-
der getrennt waren. Wann ist man jung, erwachsen, alt? Die Abgrenzung der drei Generationen ist
nicht punktgenau mit einem bestimmten Lebensalter möglich, die klassische lineare Abfolge Ausbil-
dung ­ Erwerbstätigkeit ­ Ruhestand existiert so nicht mehr.
2.1.1 Seniorentypologien nach Lebensstilen
Die derzeitige Seniorengeneration ist eine ,,Übergangsgeneration". Die dem Klischee entsprechenden
,,alten Senioren" mit Defensivwerten wie Bescheidenheit, Sparsamkeit, familiärer Obhut mischen sich
mit den nachwachsenden Jahrgängen der ,,neuen" oder ,,jungen" Senioren, deren Wertvorstellungen
erlebnisorientierter sind. Der Wandel vom klassischen ,,alten" Senior zum ,,jungen" Senior wird durch
zahlreiche Veränderungen der Ansprüche der dritten Generation gekennzeichnet. Diese sich in ihrem
Selbstbild und in ihrer Lebensgestaltung von althergebrachten Rollenzuweisungen emanzipierende
Gruppe ,,Junger Senioren" wächst prozentual in der dritten Generation ­ mit ihren Ansätzen einer
neuen Alterskultur macht sie deutlich, dass ,,es bei der ,,demografischen Frage" im Kern um einen kul-
turellen Wandel geht".
72
Trotz der Unterscheidung in ,,neue" und ,,alte" Seniorengeneration, kann nicht von einheitlichen Le-
bensvorstellungen innerhalb dieser Abgrenzungen ausgegangen werden. In einer Studie der Institute
Infratest Sozialforschung, Sinus und Horst Becker wird die dritte Generation altersunabhängig in die
folgenden vier Typen eingeteilt:
Tabelle 10; Seniorentypologien nach Infratest/ Sinus/ Becker, 1991
Typ 1 (31 Prozent): Die pflichtbewussten häuslichen Alten
Selbstbeschränkung, Konfliktabwehr und Harmoniestreben, Anpassungsfähigkeit, Häuslichkeit, Spar-
samkeit und Skepsis gegenüber Neuem kennzeichnet sie. Geprägt von einem starken Sicherheits-
denken ziehen sie sich oft ins Private zurück. Sie sind durch starken Familienbezug gekennzeichnet
(Besuch von Kindern und Enkeln), leben in recht engem räumlichen Radius.
Typ 2 (29%): Die sicherheits- und gemeinschaftsorientierten Alten
Bei ihnen überwiegen nüchtern-kritische Einstellungen, sie suchen Ruhe, pflegen geregelte Hobbys
und sehen viel fern. Die Aufrechterhaltung traditioneller Formen der Geselligkeit wie Stammtisch oder
Schrebergarten, das Streben nach Ruhe, der Rückzug auf die persönlichen Bedürfnisse und be-
scheidenes Genießen sowie das Fehlen von Spontanität ist für diese Menschen typisch.
70
Opaschowski, Horst W./ Deutsche Investment Trust (DIT) (Hrsg.): a.a.O., S. 18
71
Tack, Eduard in: BMFSFJ (e): Engagementförderung als neuer Weg der kommunalen Altenpolitik ­ Tagungsdokumentation,
Stuttgart 1998, S.22
72
Lennartz, Dagmar (Hrsg.) Bundesinstitut für Berufsbildung: Altern in Beruf und Gesellschaft ­ Demografischer Wandel und
berufliche Bildung, Bielefeld 1996, S. 14

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2004
ISBN (eBook)
9783832490140
ISBN (Paperback)
9783838690148
DOI
10.3239/9783832490140
Dateigröße
1.4 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Technische Universität Berlin – Architektur Umwelt Gesellschaft, Stadt- und Regionalplanung
Erscheinungsdatum
2005 (September)
Note
2,3
Schlagworte
demografie bevölkerungsentwicklung überalterung städte regionalentwicklung
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Titel: Stadt für Alte
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