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Produzierende Betriebe als touristische Attraktionen im Ruhrgebiet

Grundlagen, Erscheinungsformen, Probleme

©2003 Magisterarbeit 133 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Das Ruhrgebiet ist im Zuge seines Strukturwandels auch um einen Imagewandel bemüht. Ziel und Folge dieses gekoppelten Prozesses ist u.a. die touristische Aufwertung der Region. Denn einerseits ist Tourismus ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, andererseits beeinflusst er entscheidend das Image einer Region sowohl nach innen als auch nach außen. 1997 wurden diese Überlegungen mit dem Masterplan „Reisen ins Revier“ (MWMTV 1997) in konkrete Handlungsvorgaben überführt. Die meisten davon sind mittlerweile verwirklicht: Die Route der Industriekultur ist zum Kernstück des Ruhrgebietstourismus geworden, die Ruhrtriennale wurde implementiert, die RTG wurde gegründet etc. Das Ruhrgebiet war und ist also damit beschäftigt, die Grundlagen für einen funktionierenden Tourismus zu legen, die anderswo schon selbstverständlich sind; darum sind noch längst nicht alle Potenziale ausgeschöpft oder auch nur erkannt.
Ein bisher kaum genutztes und – wie diese Arbeit zeigt – vielversprechendes Potenzial liegt im Tourismus zu produzierenden Betrieben. In der neuesten offiziellen Expertise zur Weiterentwicklung des Ruhrgebietstourismus, „Zu Gast im Ruhrgebiet“ (PROJEKT RUHR GMBH 2003), wird dieses Segment zwar als entwicklungsfähig identifiziert, jedoch nicht in der vollen Bandbreite seiner Möglichkeiten erkannt. Insbesondere Bayern, aber auch Städte wie Köln, Bremen und Berlin sind hier weiter und bieten etwa unter dem Stichwort technical visits die Vermittlung von Betriebsbesichtigungen an. Man muss dabei nicht gleich an die Autostadt Wolfsburg denken; auch in kleinerem Maßstab sind technical visits interessant, besonders für Menschen aus der Region selbst und für Geschäftsreisende, etwa als Rahmenprogramm für Messebesuche. Bayern etwa zielt mit seinem Konzept auf den asiatischen Markt.
Dabei bietet der Tourismus zu produzierenden Betrieben gerade für das Ruhrgebiet mit seiner hohen Unternehmens- und Bevölkerungsdichte enorme Chancen: Er passt konzeptuell hervorragend zur Route der Industriekultur. Er bietet den Unternehmen eine neue und attraktive Möglichkeit der Öffentlichkeitsarbeit, wobei das Konzept je nach Interessenlage selbst zu gestalten ist; gleichzeitig profitiert die Region wirtschaftlich und imagebildend: Sie kann sich direkt über Beispiele erfolgreichen Strukturwandels als moderner und wirtschaftlich potenter Standort präsentieren. Und nicht zuletzt ist der Tourismus zu produzierenden Betrieben mit relativ geringem Aufwand seitens […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 9007
Mader, Thomas: Produzierende Betriebe als touristische Attraktionen im Ruhrgebiet -
Grundlagen, Erscheinungsformen, Probleme
Hamburg: Diplomica GmbH, 2005
Zugl.: Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Magisterarbeit, 2003
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2005
Printed in Germany

- 1 -
L
EBENSLAUF
Persönliches
Name:
Thomas Mader
Anschrift:
Tußmannstr. 117,
40477 Düsseldorf
Tel.:
0211.66 87 02 7
0172.16 07 57 4
E-mail:
thomasmader@web.de
geboren:
14.06.1976 in Oberhausen
Ausbildung
Universität
1997 - 2004
Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf
Geographie, Politik und Philosophie (MA-Abschluss: 1,3)
Magisterarbeit: Produzierende Betriebe als touristische
Attraktion im Ruhrgebiet (1,0)
Wehrersatzdienst
1995 - 96
Bischöfliches Gymnasium am Stoppenberg, Essen
Schule
1986 - 95
Städt. Gymnasium Heißen, Mülheim an der Ruhr
Abitur (2,3): Mathematik, Geographie, Englisch und Biologie
Berufspraxis
Berufstätigkeit
seit April 2004
Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ), Volontariat
2002 - 03
Welt am Sonntag NRW ­ freie Mitarbeit
seit 2001
Evangelisches Krankenhaus Mülheim-Ruhr,
Hausmagazin ,,Punct" ­ freie Mitarbeit
seit 2001
Mülheimer Theatertage NRW (,,Stücke")
Konzept & Redaktion der Festivalzeitung ,,Stück für Stück"
1999-2004
WAZ, Redaktion Mülheim ­ freie Mitarbeit
Reportagen:
Merian (April 2004, März 2005),
Messemagazin Düsseldorf (Nov. 2001)
NRW-Kulturserver (Dez. 2000)

- 2 -
Praktika
2003
Merian, Hamburg, drei Monate
2002
Welt am Sonntag NRW, Düsseldorf, sechs Wochen
1999
Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ), Mülheim-Ruhr,
sechs Wochen
Auslandsaufenthalte
2000
Irland, dreiwöchige universitäre Exkursion
1999
Peru, zweiwöchige universitäre Feldstudie, anschließend
sechswöchige private Studienreise in Peru und Bolivien
1996 - 97
Mittel- und Südamerika, einjährige private Studienreise
Sprachen
Englisch
fließend
Spanisch
gut
Portugiesisch
Grundkenntnisse
Latein
Großes Latinum
EDV-Kenntnisse
MS Office, Windows, Internet-Recherche, HTML-Grundkenntnisse
Interessen
Lesen, Schreiben, Reisen, Schwimmen, Laufen, Paragliding
Thomas Mader
Essen, 24.08.05

INHALTSVERZEICHNIS
I
Inhaltsverzeichnis
I-V
I. Inhaltsverzeichnis
I
II. Abkürzungsverzeichnis
IV
III. Abbildungsverzeichnis
V
Abbildungen Karten Tabellen
1. Einleitung
1-6
1.1. Problemstellung
1
1.2. Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
2
1.3. Hypothesen und Forschungsfragen
3
1.4. Methodische Vorgehensweise
4
2. Theoretische Grundlagen
7-42
2.1. Definition und Problematik der Begriffe
7
2.1.1. Der Oberbegriff: Industrietourismus
7
2.1.2. Der Spezialfall: Tourismus zu produzierenden Betrieben
10
2.2. Kurze Geschichte des Industrietourismus
12
2.3. Industrietourismus als regionale Entwicklungsstrategie
14
2.3.1. Theoretische Einordnung
14
2.3.2. Effekte des Tourismus
15
2.3.3. Der Wettbewerb der Regionen
16
2.4. Tourismus zu produzierenden Betrieben
18
2.4.1 Die Nachfrageseite
18
2.4.1.1. Typisierung
18
2.4.1.2. Motive
20
2.4.1.3. Potenzial
25
2.4.2. Die Angebotsseite
27
2.4.2.1. Voraussetzungen
27
2.4.2.2. Motive
29
2.4.2.3. Das touristische Potenzial nach Art der Güter
31
2.4.2.4. Konzepte und Beispiele
34
Technical visits in regionalen Tourismuskonzepten
Vom brand land zur Industrieerlebniswelt

INHALTSVERZEICHNIS
II
3. Das Untersuchungsgebiet
43-48
3.1. Fläche und Einwohner
43
3.2. Naturräumliche Grundlagen
43
3.3. Administrative und touristische Abgrenzung
44
3.4. Die regionale Branchenstruktur
45
3.5. Historische Entwicklung und Identitätsbildung
47
4. Grundlagen des Ruhrgebietstourismus
49-71
4.1. Öffentliche Akteure
49
4.1.1. Ministerium für Wirtschaft und Arbeit des Landes NRW
49
4.1.2. Projekt Ruhr GmbH
50
4.1.3. Tourismusverband NRW e.V.
50
4.1.4. Kommunalverband Ruhrgebiet (KVR)
51
4.1.5. Ruhrgebiet Tourismus GmbH (RTG)
52
4.1.6. Städte und Kreise
53
4.2. Exkurs: Die IBA Emscher Park und die Route der Industriekultur 54
4.3. Die Struktur des Ruhrgebietstourismus
56
4.3.1. Volumen und Verteilung des Touristenaufkommens
56
4.3.2. Einkommens- und Beschäftigungseffekte
des Ruhrgebietstourismus
59
4.3.3. Probleme und Chancen des Städtetourismus
61
4.4. Die Strategische Ausrichtung des Ruhrgebietstourismus ­
vom Masterplan (1997) zum Expertenforum Tourismus (2001)
63
4.4.1. Exkurs: Das Image des Ruhrgebiets
64
4.4.2. Baustein I: Industriekultur
65
4.4.3. Baustein II: Modernes Entertainment / Sportwelt Ruhr
66
4.4.4. Baustein III: Ungewöhnliche Kulturereignisse
68
4.4.5. Weiterführende Pläne und Anknüpfungspunkte
für den Tourismus zu produzierenden Betrieben
68

INHALTSVERZEICHNIS III
5. Produzierende Betriebe als touristische Attraktion im Ruhrgebiet 72-100
5.1. Erscheinungsformen
72
5.1.1. Die Vermittler
72
5.1.1.1. Die ExtraTouren des KVR
72
Das Konzept Die Nachfrageseite Die Angebotsseite
5.1.1.2. Regionale Angebotsformate
78
5.1.1.3. Lokale Angebotsformate
79
5.1.2. Die Unternehmen
81
5.1.2.1. Der Chemiepark Marl
81
5.1.2.2. Das Photovoltaik-Informationszentrum
der Shell Solar GmbH (PiZ)
84
5.1.2.3. Deutsche Steinkohle AG (DSK)
87
Grubenfahrten Das (nicht mehr) geplante Besucherbergwerk
5.1.2.4. Ergebnisse der Unternehmensbefragung
90
Die Nachfrager Die Unternehmen Professionalisierung
5.1.2.5. Exkurs: Ergebnisse einer IBA-Besucherbefragung
95
5.2. Probleme und Lösungsansätze
96
5.2.1. Unternehmen
96
5.2.2. Institutionen
97
5.2.3. Vermarktung
98
6. Empfehlungen zur Entwicklung des Tourismussegments
101-103
technical visits
im Ruhrgebiet
7. Schlussbetrachtung
104-105
8. Anhang
106-122
8.1. Literaturverzeichnis
106
Druckquellen Webquellen
8.2. Experteninterviews
115
Kontaktadressen Leitfragen
8.3. Unternehmensbefragung
117
Kontaktadressen Fragebogen (mit Anschreiben)
8.4. Eidesstattliche Versicherung
122

INHALTSVERZEICHNIS IV
II. Abkürzungsverzeichnis
AG
Aktiengesellschaft
BayTM
Bayern Tourismus Marketing GmbH
DGfI
Deutsche Gesellschaft für Industriekultur
DSK
Deutsche Steinkohle AG (Tochtergesellschaft der RAG)
DWIF
Deutsches Wirtschaftswissenschaftliches Institut für Fremdenverkehr
(der Universität München)
e.V.
eingetragener Verein
ERIH
European Route of Industrial Heritage (Europäische Route der Industrie-
kultur)
ETI
Europäisches Tourismus Institut GmbH, Trier
FUR
Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen
GmbH
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
IBA
Internationale Bauausstellung (hier: IBA Emscher Park)
KVR
Kommunalverband Ruhrgebiet
LDS
Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik des Landes Nordrhein-
Westfalen
MWA
Ministerium für Wirtschaft und Arbeit des Landes NRW (aktuelle Be-
zeichnung)
MWMTV
Ministerium für Wirtschaft und Mittelstand, Technologie und Verkehr
des Landes NRW (alte Bezeichnung für das heutige MWA)
NRW
Nordrhein-Westfalen
PiZ
Photovoltaik-Informationszentrum (der Shell Solar GmbH)
RAG
Ruhrkohle AG
RdI
Route der Industriekultur
RTG
Ruhrgebiet Tourismus GmbH
RWE
Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerke AG
RWTÜV
Rheinisch-Westfälischer TÜV
RWW
Rheinisch-Westfälische Wasserwerksgesellschaft
SMS
SMS AG ­ Holding für mehrere metallverarbeitende Unternehmen
STEAG
Energie- und Technologiekonzern (Tochtergesellschaft der RAG)
WAZ
Westdeutsche Allgemeine Zeitung

INHALTSVERZEICHNIS V
III. Abbildungsverzeichnis
Abbildungen
Abb. 1: Ausprägungen des Industrietourismus
12
Quelle: Fontanari / Weid 1999: 17
Abb.2: Typen und Trends von Industrieerlebniswelten
41
Quelle: S
TEINECKE
2002: 146
Abb. 3: Gewerbeflächenbelegung 1999 im KVR nach Branchen /
Regionen der Regionalisierten Strukturpolitik
46
Quelle: M
IELKE
/ B
ÜCHSENSCHÜTZ
2001w
Abb. 4: Der Chemiepark Marl ­ Luftaufnahme
81
Quelle: I
NFRACOR
C
HEMISTRY
S
ERVICES
(2003b)
Abb. 5: Chemiepark Marl ­ Detail
82
Quelle: I
NFRACOR
C
HEMISTRY
S
ERVICES
(2003b)
Abb. 6: Solarzellenfabrik der Shell Solar GmbH in Gelsenkirchen
85
Quelle: S
HELL
S
OLAR
D
EUTSCHLAND
G
MB
H 2003b: 1)
Abb. 7: Standorte der DSK im Ruhrgebiet
87
Quelle: DSK 2003w
Karten
Karte 1: Städte und Kreise im Ruhrgebiet mit den Grenzen der
Landschaftsverbände und Regierungsbezirke
44
Quelle: KVR 2001b: 3
Karte 2: Die Tourismusregionen in NRW ­ Ruhrgebiet hervorgehoben
45
Quelle: L
ANDESREGIERUNG
NRW (2003w)
Karte 3: Grenzen des KVR und der Regionen der Regionalisierten Strukturpolitik
46
Quelle:
M
IELKE
/ B
ÜCHSENSCHÜTZ
2001w
Karte 4: Standorte der DSK im Ruhrgebiet
87
Quelle: DSK 2003w

INHALTSVERZEICHNIS VI
Tabellen
Tab. 1: Gesprächspartner der Experteninterviews
5
Quelle: eigene Erhebung (T. Mader)
Tab. 2: Merkmale industrietouristischer Ziele
19
Quelle: nach S
TEINECKE
(2002: 145) und S
CHMIDT
(1988: 11),
modifiziert um eigene Ergebnisse
Tab.3: Erfolgsfaktoren für die Zusammenarbeit zwischen privaten und
öffentlichen Anbietern industrietouristischer Attraktionen
31
Quelle: nach Fontanari / Weid (1999: 22f.), modifiziert um eigene Ergebnisse
Tab. 4: Produktkategorien von touristischem Interesse
33
Quelle: eigener Entwurf (T. Mader)
Tab. 5: Erfolgsfaktoren von Industrieerlebniswelten
42
Quelle: eigener Entwurf nach S
TEINECKE
2002: 155ff.
Tab. 6: Verteilung der Übernachtungen im RTG-Ruhrgebiet seit 1990
57
Quelle: LDS (aus: P
ROJEKT
R
UHR
G
MB
H 2003: 19)
Tab. 7: Das touristische Marktvolumen des Ruhrgebiets
60
Quelle: RTG Jahresbericht 2002 (zit. aus: P
ROJEKT
R
UHR
G
MB
H 2003: 21);
erweitert um die nichtregistrierten Übernachtungen.
Tab. 8: Zahl der ExtraTouren-Teilnehmer
75
Quelle: interne Statistik des KVR 2003.
Tab. 9: Die ExtraTouren des KVR nach Themen, Zielen und Produktkategorien
76
Quelle: eigener Entwurf nach KVR 2000, 2001a, 2002.
Tab. 10: Das städtische Angebot von
technical visits
im Ruhrgebiet
80
Quelle: telefonische Umfrage bei Stadtmarketingagenturen und
Wirtschaftsförderungsämtern
Tab. 11: Besucherzahlen des Ankerpunktes Chemiepark Marl
im Rahmen der Route der Industriekultur
83
Quelle: I
NFRACOR
C
HEMISTRY
S
ERVICES
(2003a)
Tab. 12: Unternehmensbefragung: Teilnehmer und Nichtteilnehmer
90
Quelle: eigene Erhebung (T. Mader)
Tab. 13: Besucherzahlen und Standorte der befragten Unternehmen
92
Quelle: eigene Erhebung (T. Mader)
Anhang
Tab. 14: Gesprächspartner der Experteninterviews (alphabetisch)
115
Quelle: eigene Erhebung (T. Mader)
Tab. 15: Unternehmensbefragung: Kontaktadressen (alphabetisch)
117 / 118
Quelle: eigene Erhebung (T. Mader)

EINLEITUNG
1
,,Wie soll ich Ihnen den Eindruck dieser Schlösser aus flüssigem Metall, dieser glühenden Kathedralen, der
wunderbaren Symphonie von Pfiffen, von furchtbaren Hammerschlägen schildern, der uns umhüllt. Wie
musikalisch das alles ist. Ich habe die feste Absicht, es zu verwenden."
Der Komponist Max Reger in einem Brief, 1905 nach dem Besuch der Eisenhütten im Duisburger Norden
1
.
1. Einleitung
1.1. Problemstellung
Das Ruhrgebiet ist im Zuge seines Strukturwandels auch um einen Imagewandel be-
müht. Ziel und Folge dieses gekoppelten Prozesses ist u.a. die touristische Aufwertung
der Region. Denn einerseits ist Tourismus ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, andererseits
beeinflusst er entscheidend das Image einer Region sowohl nach innen als auch nach
außen. 1997 wurden diese Überlegungen mit dem Masterplan ,,Reisen ins Revier"
(MWMTV 1997) in konkrete Handlungsvorgaben überführt. Die meisten davon sind
mittlerweile verwirklicht: Die Route der Industriekultur ist zum Kernstück des Ruhrge-
bietstourismus geworden, die Ruhrtriennale wurde implementiert, die RTG wurde ge-
gründet etc. Das Ruhrgebiet war und ist also damit beschäftigt, die Grundlagen für ei-
nen funktionierenden Tourismus zu legen, die anderswo schon selbstverständlich sind;
darum sind noch längst nicht alle Potenziale ausgeschöpft oder auch nur erkannt.
Ein bisher kaum genutztes und ­ wie diese Arbeit zeigt ­ vielversprechendes Poten-
zial liegt im Tourismus zu produzierenden Betrieben. In der neuesten offiziellen Exper-
tise zur Weiterentwicklung des Ruhrgebietstourismus, ,,Zu Gast im Ruhrgebiet"
(P
ROJEKT
R
UHR
G
MB
H 2003), wird dieses Segment zwar als entwicklungsfähig identifi-
ziert, jedoch nicht in der vollen Bandbreite seiner Möglichkeiten erkannt. Insbesondere
Bayern, aber auch Städte wie Köln, Bremen und Berlin sind hier weiter und bieten etwa
unter dem Stichwort technical visits die Vermittlung von Betriebsbesichtigungen an.
Man muss dabei nicht gleich an die Autostadt Wolfsburg denken; auch in kleinerem
Maßstab sind technical visits interessant, besonders für Menschen aus der Region selbst
und für Geschäftsreisende, etwa als Rahmenprogramm für Messebesuche. Bayern etwa
zielt mit seinem Konzept auf den asiatischen Markt.
Dabei bietet der Tourismus zu produzierenden Betrieben gerade für das Ruhrgebiet
mit seiner hohen Unternehmens- und Bevölkerungsdichte enorme Chancen: Er passt

EINLEITUNG
2
konzeptuell hervorragend zur Route der Industriekultur. Er bietet den Unternehmen eine
neue und attraktive Möglichkeit der Öffentlichkeitsarbeit, wobei das Konzept je nach
Interessenlage selbst zu gestalten ist; gleichzeitig profitiert die Region wirtschaftlich
und imagebildend: Sie kann sich direkt über Beispiele erfolgreichen Strukturwandels als
moderner und wirtschaftlich potenter Standort präsentieren. Und nicht zuletzt ist der
Tourismus zu produzierenden Betrieben mit relativ geringem Aufwand seitens der öf-
fentlichen Hand zu implementieren.
1.2. Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
Ziel dieser Arbeit ist es zunächst, die theoretischen Grundlagen, die Bedingungen und
Möglichkeiten des Tourismus zu produzierenden Betrieben aufzuzeigen; eine eigen-
ständige theoretische Leistung wird hier v.a. bei der Kategorisierung von Gütern nach
ihrer touristischen Attraktivität erbracht. Darauf werden die Grundlagen des Ruhrge-
bietstourismus dargelegt, um den Rahmen zu skizzieren, in dem sich ein regional orga-
nisierter Tourismus zu produzierenden Betrieben entfalten muss. Nun wird das bereits
bestehende Angebot im Ruhrgebiet in seinen Erscheinungsformen untersucht und be-
wertet; dies auch mit Blick auf Regionalentwicklung und Strukturwandel. Anschließend
werden die Probleme einer Entwicklung des Tourismus zu produzierenden Betrieben in
Zusammenhang mit Lösungsansätzen aufgezeigt. Aus all dem resultieren drei konkrete
Vorschläge zur künftigen Entwicklung dieses Tourismussegments und seiner Integrati-
on in ein regionales Tourismuskonzept.
Insbesondere hier und bei der Beschreibung und Bewertung des werkstouristischen
Potenzials auf Angebots- und Nachfrageseite geht diese Arbeit über die offizielle The-
menstellung ­ Grundlagen, Erscheinungsformen, Probleme ­ hinaus. Dies auch vor dem
Hintergrund einiger Expertengespräche, in denen Interesse an einer praktische Umset-
zung der Ergebnisse dieser Arbeit bekundet wurde. Auch eine qualitative Befragung
von 7 Unternehmen (angeschrieben waren 25) erbrachte, neben konkreten Aussagen
über den Professionalisierungsstand des Tourismus zu produzierenden Betrieben im
Ruhrgebiet, ein Stimmungsbild, das eine rasche Umsetzung einiger der durch diese Ar-
beit begründeten Vorschläge möglich erscheinen lässt.
1
nach E
BERT
(1993: 19)

EINLEITUNG
3
Das Thema impliziert, wie auch Baumann erklärt, ,,einen interdisziplinären Forschungs-
ansatz, in den gleichrangig geographische, regional- und raumplanerische, betriebswirt-
schaftliche und kommunikationstheoretische Fragestellungen einzubeziehen und mit-
einander zu verknüpfen sind" (B
AUMANN
1999: 80).
1.3. Hypothesen und Forschungsfragen
Der Verfasser stellt mit Bezug auf B
AUMANN
(1999: 81) und H
ÜCHERING
(1997) fol-
gende Hypothesen auf, die den Untersuchungsprozess leiten sollen:
· Die potenzielle touristische Attraktivität produzierender Betriebe wird ­ im Ge-
gensatz zu der der Industriedenkmäler ­ von Entscheidungsträgern und Öffent-
lichkeit bislang nur ansatzweise wahrgenommen.
· Die Einbindung produzierender Betriebe in ein regionales Tourismuskonzept böte
die Möglichkeit, den Strukturwandel des Ruhrgebiets und aktuelle wirtschaftliche
Entwicklungen zu thematisieren, nach außen wie nach innen zu vermitteln und
somit die regionale Identität zu stärken.
· Das touristische Potenzial produzierender Betriebe ist in erster Linie abhängig von
der Art der von ihnen produzierten Güter. Besonders der (i.d. Regel industrielle)
Herstellungsprozess dinglicher Güter und besonders von Verbraucherendproduk-
ten ist wegen seiner Anschaulichkeit für Touristen interessant. Dienstleistungen
(etwa von Versicherungen, Banken) dagegen sind aus touristischer Sicht relativ
uninteressant.
· Für die Betriebe selbst ist die ,,Öffnung" nach außen vor allem aus Image- und
Werbegründen lohnend.
· Andererseits sind dem Touristenaufkommen durch die Aufnahmefähigkeit der Be-
triebe Grenzen gesetzt, die aber durch innovative Konzepte verschoben werden
können.
· Beim Tourismus zu produzierenden Betrieben handelt es sich um einen positiven,
langfristigen Trend, der allerdings vor allem von bestimmten Alters-, Berufs- und
Sozialgruppen getragen wird.

EINLEITUNG
4
Daraus leiten sich folgende konkrete Forschungsfragen ab:
· Welche Unternehmen und welche Güter sind inwiefern touristisch attraktiv?
· Welche Gründe veranlassen welche Unternehmen dazu, Betriebsbesichtigungen
anzubieten?
· Welches sind die soziodemographischen Merkmale und die Motive der Nachfra-
ger?
· Wie stellt sich die aktuelle Struktur des Tourismus zu produzierenden Betrieben
im Ruhrgebiet dar?
· Welcher Grad der Professionalisierung wurde in den Unternehmen erreicht? (z.B.:
Seit wann werden Führungen angeboten? Wird mit touristischen Institutionen ko-
operiert, bzw. Werbung betrieben?)
· Welche Planungen und Konzepte existieren seitens der touristischen Akteure hin-
sichtlich dieses Sektors? Welche innovativen Ansätze werden noch nicht verfolgt?
· Welches Potenzial hat das Ruhrgebiet, welche Grenzen hat der Tourismus zu pro-
duzierenden Betrieben?
1.4. Methodische Vorgehensweise
Die
Literatur zum Thema ist beschränkt. Was die Theorie angeht, sind hier v.a.
S
CHMIDT
(1988), B
AUMANN
(1999) und F
ONTANARI
/ W
EID
(1999) zu nennen. Die bei-
den letzteren Artikel sind beim ETI in Trier erschienen, das als wohl erstes Institut in
Deutschland den neuartigen Werkstourismustrend aufgriff. Auch S
TEINECKE
(2002) ist
hier zu nennen, der zum Thema Industrieerlebniswelten forscht.
Da keine Literatur existiert, die das Thema Werkstourismus exklusiv im Ruhrgebiet
verhandelt, musste für den regionalen Bezug auf Veröffentlichungen allgemein zum
(Industriedenkmal- und Städte-)Tourismus im Ruhrgebiet zurückgegriffen werden. Das
Standardwerk hat H
ÜCHERING
(1997) geschrieben; E
BERT
(1999) und K
ÖDDERMANN
(2000) sind über ihre wissenschaftliche Tätigkeit hinaus auch Protagonisten des Ruhr-
gebietstourismus, nämlich als Gründer der DGfI bzw. der Reiseagentur Zeitsprung. Die
meisten aktuellen Daten und Expertisen liefern allerdings die öffentlichen touristischen
Akteure selbst (KVR, RTG, IBA, Wirtschaftsministerium etc.).

EINLEITUNG
5
Tab. 1: Gesprächspartner der Experteninterviews
Name
Institution / Funktion
Michael Clarke
DGfI / Projektleiter
Annika Handwerker
PiZ der Shell Solar AG / Leiterin
Ulrich Heckmann und
Bettina Hartenau
KVR / stellvertretender Projektleiter, Mit-
arbeiterin Öffentlichkeitsarbeit
Frau Kaiser
RTG / Bereich: Route der Industriekultur
Peter Köddermann
Agentur Zeitsprung / Geschäftsführer
Holger Seier
DSK / Öffentlichkeitsarbeit ­
Grubenfahrten
Elke Smektala
Chemiepark Marl / Öffentlichkeitsarbeit
Christoph Sprave
Besucherzentrum der Route der
Industriekultur / Öffentlichkeitsarbeit
Rainhard de Witt
KVR / Projektbetreuer ExtraTouren
Quelle: eigene Erhebung
Um diese allgemeinen Daten nun in Beziehung zu setzen mit dem Tourismus zu produ-
zierenden Betrieben im Ruhrgebiet, um überhaupt die Struktur, das Potenzial und De-
tails zu diesem Thema
zu erfahren, wurden
zehn
Experten (in
neun
Gesprächen)
befragt (Tab. 1). Als
Instrument wurde hier
die
qualitative
Leitfadenbefragung
gewählt, da es mehr
um das Gewinnen
neuer Einsichten (context of discovery), als um die Prüfung vorhandener Hypothesen
(context
of
verification)
ging
(vgl.
S
TRATMANN
1999).
Es sollte das Meinungsspektrum von Personen mit ganz unterschiedlichem Berufs- und
Wissenshintergrund er-hoben werden. Die Ergebnisse sind also nur eingeschränkt gene-
ralisierbar. Die verwendeten Fragebögen und eine Liste mit Anschriften und Terminda-
ten sind im Anhang 8.2. zu finden.
Weiterhin wurde eine
telefonische Befragung der Stadtmarketinggesellschaften oder
ggf. der Wirtschaftsförderungsämter der größten Ruhrgebietsstädte durchgeführt (Bo-
chum, Bottrop, Dortmund, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Hamm, Herne, Mülheim
a.d. Ruhr, Oberhausen, Recklinghausen). Ziel war die Dokumentation der städtischen
Vermittlungsangebote im Bereich technical visits.
Zwischen dem 1. und dem 20.Oktober 2003 wurde überdies eine
Unternehmensbefra-
gung zum Thema Werkstourismus durchgeführt (Liste der 25 angeschriebenen Unter-
nehmen mit Ansprechpartnern, Anschreiben und Fragebogen im Anhang 8.3.).
Ziel der Befragung war es, die werkstouristischen Aktivitäten einiger wichtiger Un-
ternehmen im Hinblick auf Professionalität und Innovationskraft zu vergleichen. Der
Rücklauf fiel allerdings bescheiden aus: 14 Unternehmen nahmen an der Umfrage teil, 7
davon betreiben einen regelmäßigen Werkstourismus und füllten den Fragebogen voll-
ständig aus. Daher und auch wegen der unterschiedlichen Hintergründe der Unterneh-
men soll die Auswertung der Unternehmensbefragung nicht statistisch, sondern nur de-

EINLEITUNG
6
skriptiv bzw.qualitativ erfolgen; es wird ein Stimmungsbild gezeichnet: Wie steht die
Ruhrgebietswirtschaft zum Thema technical visits?
Zur
Auswahl der Unternehmen: In Anlehnung an eine von B
AUMANN
(1999)
durchgeführte ähnliche Untersuchung sollten solche Unternehmen (oder Betriebe) be-
fragt werden, die Betriebsbesichtigungen hauptsächlich für Nicht-Fachbesucher anbie-
ten, sowie eine ausreichende Größe aufweisen. R
AINHARD DE
W
ITT
(KVR) nennt eine
Mitarbeiterzahl von größer 100 als Voraussetzung für einen regelmäßigen Besucherver-
kehr. Außerdem wurden Unternehmen gesucht, die einen hohen Bekanntheitsgrad ha-
ben und in besonderer Weise für die Region stehen oder sich mit ihr auseinandersetzen.
Der Blick fiel auf den Initiativkreis Ruhrgebiet: ein loser Verbund von (Persönlich-
keiten des öffentlichen Lebens und) 57 Unternehmen, darunter auch alle großen im
Ruhrgebiet heimischen Unternehmen; die anderen sind teils nationale, teils internationa-
le Unternehmen, die im Revier Geschäfte machen. ,,Seit 1989 führt der Initiativkreis
zahlreiche Projekte durch, die dem Strukturwandel im Ruhrgebiet wichtige Impulse
verleihen und das Image der Region positiv fördern" (I
NITIATIVKREIS
R
UHR
2003w) ­
u.a. die Entwicklung des Weltkulturerbes Zollverein.
Alle nicht-produzierenden Unternehmen wurden aussortiert: Banken, Versicherun-
gen, Consultings, Werbe-, Managing- und Engeneeringagenturen, sowie Handel und
Immobilien.
Sonderfälle, die in die Befragung aufgenommen wurden, sind Hochtief, das als Bau-
unternehmen keine feste Produktionsstätte im eigentlichen Sinn unterhält, wohl aber
einen Fuhrpark; RWTÜV, das ebenfalls keine Produktionsstätten unterhält, aber tech-
nisch interessante Prüfstätten; und das Logistikunternehmen Düsseldorfer Flughafen,
das aufgrund seiner großen Bedeutung für die Region und seiner räumlichen Nähe auf-
genommen wurde. Die RAG wurde ausgemustert, weil sie auf ihre Tochtergesellschaft
DSK verwies, die auch im Rahmen der Experteninterviews befragt wurde. Es blieben 23
produzierende Unternehmen über. Weiterhin wurden Infracor (Chemiepark Marl) und
Shell Solar (PiZ) (auch im Rahmen der Experteninterviews) befragt.

THEORETISCHE GRUNDLAGEN
7
2. Theoretische Grundlagen
2.1. Definition und Problematik der Begriffe
Tourismus zu produzierenden Betrieben ­ in diesem Terminus stecken zwei Begriffe,
die für sich schon problematisch sind und in ihrem Zusammenspiel erst recht. Ausge-
hend von einer sehr weiten Auffassung von Tourismus und von produzierenden Betrie-
ben sollen die Begriffe deduktiv der Stoßrichtung dieser Arbeit angepasst, also einge-
grenzt und aufeinander bezogen werden. Diese Vorgehensweise empfiehlt sich, da so
auch eine Reihe weiterer Begriffe geklärt werden kann, die in der Literatur teils syn-
onym verwendet werden, jedoch nicht immer das gleiche meinen. Meist ist die Rede
von Industrietourismus (in der englischen Literatur: industrial tourism und industrial
heritage tourism); die Praktiker sprechen neudeutsch von technical visits oder Werks-
tourismus.
2.1.1. Der Oberbegriff: Industrietourismus
Eine sehr weite Tourismus-Definition ist etwa die von K
ASPAR
(1982):
,,Tourismus ist die Gesamtheit der Beziehungen und Erscheinungen, die sich aus
der Reise und dem Aufenthalt von Personen ergeben, für die der Aufenthaltsort
weder hauptsächlicher und dauernder Wohn- und Arbeitsort ist" (zit. aus S
CHMIDT
1988: 8).
Die beiden Schlüsselkriterien vieler weiterer Tourismus-Definitionen ,,Ortswechsel"
und (meist längerer) ,,Aufenthalt am Zielort" hat K
ASPAR
zwar auch integriert, aber so
allgemein, dass auch Tagesausflüge, Geschäftsreisen und sämtliche freizeitbezogenen
Mobilitätsvorgänge, etwa der Besuch einer Kneipe, unter Tourismus fallen.
Wohl deshalb ist K
ASPARS
Definition die Basis für den im bundesdeutschen Raum
maßgebenden Definitionsansatz von Industrietourismus nach S
OYEZ
(1993):
,,Kulturtourismus in Industrielandschaften sei verstanden als eine Tourismusform,
deren wesentliches Zielobjekt Industriebetriebe selbst und die von ihnen in charak-
teristischer Weise geprägten Räume sind. (...) Es seien darunter solche Formen der

THEORETISCHE GRUNDLAGEN
8
räumlichen Mobilität verstanden, die durch die Anziehungskraft ehemaliger oder in
Betrieb befindlicher Industrien auf externe Besucher ausgelöst werden" (S
OYEZ
1993, zit. aus H
ÜCHERING
1997: 66).
Bewusst fasst S
OYEZ
(im Effekt ähnlich wie K
ASPAR
) über die Verwendung des neutra-
len Terminus ,,räumliche Mobilität" auch berufs- und ausbildungsorientierte Bewegun-
gen auf industrielle Systeme unter dem Stichwort Industrietourismus zusammen ­ unter
Ausnahme der Fahrten aller Betriebsangehörigen zur Arbeitsstätte, wie der Terminus
,,externe Besucher" impliziert (und wie S
OYEZ
an anderer Stelle ausführt). Auch integ-
riert S
OYEZ
bewusst den Naherholungsverkehr in seine Definition. Denn er vermutet für
das Saarland, ,,dass industrietouristische Aktivitäten zum einen eine Sonderform der
Freizeitgestaltung im Verdichtungsraum (Naherholung) und zum anderen vorrangig
ausbildungsorientierte Besichtigungsfahrten sind." (zit. aus S
CHMIDT
1988: 10)
Damit fällt allerdings auch das Segment des Geschäftstourismus (sofern er sich in
Unternehmen und Messen und nicht in Restaurants abspielt) unter den Oberbegriff des
Industrietourismus. Diese Zu- bzw. Überordnung wird von Autoren wie S
OYEZ
oder
Schmidt mit dem Argument verteidigt, man könne das bedeutende Nachfragesegment
des Geschäftstourismus nicht einfach ausklammern.
Hier nun, denkt der Verfasser, wird es Zeit, einen ausufernden Begriff einzudämmen
und die Felder Geschäfts- und Industrietourismus stärker zu trennen ­ nicht nur wegen
des unwillkürlichen Widerwillens, den viel gebräuchlicheren Begriff Geschäftstouris-
mus dem schwammigen Industrietourismus unterzuordnen; vielmehr sollte das seg-
mentübergreifende Phänomen Industrietourismus als Spezialfall u.a. des Geschäftsrei-
severkehrs betrachtet werden. Auch wird den touristischen Akteuren des Ruhrgebiets
das Ziel unterstellt, das touristische Potenzial produzierender Betriebe v.a. für fach-
fremde Besucher entwickeln zu wollen (was noch zu untersuchen sein wird).
Es erscheint also sinnvoll, ein motivationsbezogenes engeres Tourismusverständnis
zugrunde zu legen als das von K
ASPAR
, eines, das eher mit den vorherrschenden Asso-
ziationen zum Tourismus im Einklang steht: Erholung, Zerstreuung und Weiterbildung.
Aber wo beginnt der Grenzfall, wo zieht der Verfasser die Grenze? Solche (Teile
von) Geschäfts- und Ausbildungsreisen sollen ausgeklammert werden, die in unmittel-
barem Zusammenhang mit Arbeit stehen. Sie sind in der Regel ohnehin dem Einfluss
der Touristiker entzogen. Ein Sonderfall sind sicher indirekt ausbildungsbezogene Rei-
sevorgänge, etwa der klassische Brauereibesuch des Chemieleistungskurses. Einiges

THEORETISCHE GRUNDLAGEN
9
spricht dafür, das sicher nicht unwichtige Segment der Schüler- und Studentenreisen in
die Definition hineinzunehmen; allein deshalb weil keine geschäftlichen Beziehungen
zwischen Besuchern und Besuchtem bestehen. Wenn also z.B. ein Ingenieur anreist, um
die Anlagen eines Betriebs zu besichtigen, fällt dies nur dann unter den Begriff Indust-
rietourismus, wenn er dies in seiner Freizeit tut, gewissermaßen ohne Auftrag.
Diese Ansicht wird indirekt von B
AUMANN
(1999: 82) und S
CHMIDT
gestützt: ,,In-
dustrietourismus ist sicherlich dann als touristischer Trend zu kennzeichnen, wenn sich
in einer motivationsbezogenen Betrachtung Berührungslinien zu einzelnen der gängigen
Freizeittheorien ergeben" (S
CHMIDT
1988: 4).
Freilich kommt es auch und gerade hier zu definitorischen Problemen. Lange wurde
Freizeit ausschließlich negativ bzw. als Kontrast zur Arbeit definiert. Aus Sicht des pro-
testantischen Arbeitsethos etwa, dient sie dem Individuum als Erholungsphase, damit es
später umso besser wieder seiner gesellschaftlichen Pflicht zur Arbeit nachkommen
kann. Freizeit wird damit zu einer von der Arbeit abhängigen Residualgröße.
Erst im Zuge des gesellschaftlichen Struktur- und Wertewandels in den 1980er Jah-
ren kamen verschiedene positive Freizeitdefinitionen auf: Sie verweisen auf individuelle
Bedeutungen und Funktionen der Freizeit und fassen diese als eigenständiges soziales
Handlungs- und Orientierungskonzept auf. Letztlich bleibt es damit im Grenzfall der
subjektiven Einschätzung des Besuchers überlassen, ob er eine bildungsbezogene Reise
zu einer industriellen Destination als Freizeit oder als Teil seiner Arbeit ansieht ­ so wie
es die (etwas opportunistische) Freizeitdefinition von O
PASCHOWSKI
nahelegt, derzufol-
ge Freizeit das ist, was die Mehrheit der Bevölkerung als Freizeit empfindet. (Vgl.
F
REYER
1995: 46)
Was nun den Industrietourismus (als Spezialfall des Kultur- und Geschäftstourismus)
vom Tourismus im Allgemeinen (nach K
ASPAR
) unterscheidet, ist seine Zielgerichtet-
heit: S
OYEZ
definiert den Industrietourismus primär über die von ihm angestrebten
Standorte bzw. Destinationen, die sich (wie in Abb. 1 zu sehen) gliedern lassen in: a)
Industriedenkmäler und b) produzierende Betriebe. Explizit schließt S
OYEZ
auch den
Besuch von den industriellen Systemen funktional zugeordneten Elementen ein. Darun-
ter werden etwa Industriemuseen oder -ausstellungen, Arbeiterwohnsiedlungen, Direk-
torenvillen oder Halden (als Aussichtspunkte) verstanden.
Damit ignoriert der deutsche Literaturbegriff Industrietourismus die in der engli-
schen Literatur übliche Unterscheidung zwischen industrial tourism und industrial heri-

THEORETISCHE GRUNDLAGEN 10
tage tourism. Ersterer meint ausschließlich die Besichtigung aktiver Betriebe und Anla-
gen, der zweite ist explizit auf das industrielle Kulturerbe gerichtet. Um aus dieser Ü-
bersetzungsfalle zu entkommen, verwenden einige Autoren die korrekte, wenngleich
umständliche Bezeichnung Industrietourismus zu produzierenden Betrieben
2
für den
industrial tourism. (Vgl. K
UNTZ
1999: 157f.)
2.1.2. Der Spezialfall: Tourismus zu produzierenden Betrieben
Das Adjektiv produzierend scheint selbsterklärend zu sein, aber wie noch zu erläutern
sein wird, sind den eigentlichen produzierenden Betrieben oft vielerlei Elemente ange-
gliedert, auf die evtl. der eigentliche Besuch zielt: etwa factory outlet stores, Museen
und Vergnügungsparks; man denke etwa an brand lands oder das Imhoff-Stollwerck-
Schokoladenmuseum in Köln. Außerdem finden viele Ausstellungen oder Konzerte in
Betriebsräumen statt.
Wann also gilt eine touristische Destination als produzierender Betrieb? Das Kriteri-
um sollte sein, ob die eigentliche, nicht nur simulierte Produktion als eigenständige Att-
raktion im touristischen Paket enthalten ist, aus dem der Besucher sich seine individuel-
le Mischung zusammenstellt. Um bei der oben begonnenen Argumentationslinie zu
bleiben, entscheidet im Zweifelsfall auch hier die Motivation bzw. die Einschätzung des
Besuchers: Geht es ausschließlich um die Software (also ggf. das Event in der Kulisse
eines produzierenden Betriebes) oder spielt die touristische Hardware (der Ort) eben-
falls eine Rolle?
Weiterhin ist unklar, ob Unternehmen des tertiären Sektors und des Informationssektors
oder Forschungseinrichtungen und Handwerksbetriebe unter S
OYEZ
' Definition von
Industrietourismus fallen ­ produzierende Betriebe sind sie allemal. S
CHMIDT
(1988)
plädiert für eine weite Fassung des Begriffs Industrie und für eine Einbeziehung von
kleinen Betrieben und Handwerksbetrieben. Gerade die seien wegen der zu ,,erleben-
den" manuellen Produktion für den Tourismus interessant (Glasbläsereien, Gerbereien
etc.).
2
In der Literatur finden sich alternativ auch die Bezeichnungen ,,Industrietourismus zu produzierenden
Unternehmen" und ,,Tourismus zu aktiven Betrieben/Unternehmen". Da die (industrielle) ,,Produktion"
(im weiteren Sinne) als touristische Attraktion im Mittelpunkt des Interesses steht, und da der ,,Betrieb"
(im Ggs. zum ,,Unternehmen") immer einen konkreten Standort hat, ist jedoch der Begriff ,,(Industrie-
)Tourismus zu produzierenden Betrieben" der genaueste und eindeutigste.

THEORETISCHE GRUNDLAGEN 11
Hilfreich ist es hier, sich die englische Bedeutung des Begriffs anzuschauen; dort
wird die industry oft dem trade gegenübergestellt; oder der Begriff meint schlicht Bran-
che (z.B.: Software-Industrie). Diesem Ansatz zufolge müsste man sämtliche produzie-
renden Betriebe in die Definition einbeziehen, also auch gewerbliche, landwirtschaftli-
che und solche, die Dienstleistungen, Software oder Wissen produzieren
3
.
Damit wird der einschränkende Zusatz Industrie- vor dem Tourismus zu produzie-
renden Betrieben obsolet
4
(wie auch streng genommen das Adjektiv produzierend); und
letztlich entscheidet der Praktiker welchen Betrieb oder welches betriebliche Element er
zur touristischen Destination deklariert. In der touristischen Praxis hat sich ohnehin der
nicht ganz treffende, aber umso eingängigere Begriff der technical visits durchgesetzt,
um Betriebsbesichtigungen aller Art zu vermarkten ­ etwa solche im sozialen Bereich.
Einige Unternehmen sprechen intern von Werkstourismus.
Folgend wird der Terminus Werkstourismus synonym für Tourismus zu produzieren-
den Betrieben verwendet; der Terminus technical visits bezieht auch weitergehende
verwandte Angebote mit ein.
Prinzipiell hält der Verfasser die pragmatische Vorgehensweise für richtig und sinn-
voll. Allein aus praktischen und ruhrgebietsspezifischen Gründen müssen für diese Ar-
beit Einschränkungen gemacht werden: Das Ruhrgebiet hat keine nennenswerte land-
wirtschaftliche oder handwerkliche Tradition. Es steht synonym für Bergbau, metallver-
arbeitende Industrie und Energieerzeugung, auch wenn in Folge des Strukturwandels
längst Hochtechnologie und Dienstleistungen das Gros der Wirtschaftsleistung erbrin-
gen. Wie noch zu zeigen sein wird, müssen die Touristiker diese spezifischen Stärken
aufgreifen. Zudem ist der Dienstleistungssektor (Banken, Versicherungen, Consultinga-
genturen) aus touristischer Sicht (für fachfremde Besucher) schlicht zu unspektakulär;
kleineren Betrieben ist es aus Gründen der Ressourcenknappheit oft nicht möglich, sich
regelmäßig touristisch zu öffnen. In der Folge sollen also nur produzierende größere
Betriebe des sekundären Sektors berücksichtigt werden und solche der Rohstoffgewin-
nung und Energieerzeugung. Ausnahmen bestätigen die Regel.
3
Letztlich kann der Industrietourismus auch deshalb nicht aus sektortheoretischer Sicht eingegrenzt wer-
den, weil natürlich auch in der Landwirtschaft oder im Bergbau (also im primären Sektor) industrielle
Methoden angewandt werden.
4
Der Begriff des ,,Industrietourismus" umfasst weit mehr, als die wohl allgemein vorherrschenden
Assoziationen zum Begriff der Industrie vermuten lassen. Er wird dadurch so interpretationsbedürftig,
dass er unzulänglich genannt werden muss. Dennoch können wir diesen in der Literatur und auch im
Ruhrgebiet gebräuchlichen Terminus für die vorliegende Arbeit nicht vermeiden. Auch da ein
organisierter Tourismus zu produzierenden Betrieben im Ruhrgebiet bislang nicht existiert, der
Industrietourismus (als industrial heritage tourism) dagegen häufig thematisiert wird, müssen wir in der

THEORETISCHE GRUNDLAGEN 12
Mit den oben gemachten Einschränkungen können wir folgende Graphik übernehmen,
welche die verschiedenen Felder des Industrietourismus in Zusammenhang setzt.
Abb. 1: Ausprägungen des Industrietourismus
Quelle: Fontanari / Weid 1999: 17
2.2. Kurze Geschichte des Industrietourismus
Zwar gab es schon immer Betriebsbesichtigungen seit es Betriebe gibt, besonders im
handwerklichen Bereich und in Zusammenhang mit Geschäftstourismus, aber die Ein-
sicht, dass hier ein echtes touristisches Potenzial auch für Nichtkunden und fachfremde
Besucher existiert, ist relativ neu.
In Großbritannien, dem Mutterland der Industrie, hat schon in den 1950er Jahren ei-
ne Gruppe von Enthusiasten die Disziplin der industrial archaeology gegründet und
schließlich etabliert. Allerdings konzentriert sich ihre konservatorische und aufkläreri-
sche Arbeit bis heute vor allem auf die Zeit vor 1900. Der industrial heritage tourism
begann in den frühen 70ern mit der Öffnung und Umnutzung stillgelegter Anlagen.
Seit den 1980er Jahren ist in Großbritannien eine regelrechte ,,Heritage-Euphorie" zu
beobachten; 1987 wurden an 2.666 Heritage-Attraktionen insgesamt 145 Mio. Besuche
gezählt. Ihre Anziehungskraft ist zum einen durch die mit mentaler Distanz zunehmende
trial heritage tourism) dagegen häufig thematisiert wird, müssen wir in der Folge inhaltlich differenzie-
rend auf diesen Terminus zurückgreifen.

THEORETISCHE GRUNDLAGEN 13
Neigung zur Nostalgisierung der frühen Industrialisierungsperiode zu erklären; mit dem
industriellen Erbe werden (von Seiten der enthusiasmierten Industriearchäologen) Werte
wie ,,pride, innovation, skill, strength and tradition" (K
UNTZ
1999: 58) verbunden. Zum
anderen hat der Boom etwas mit der Präsentation der Industrierelikte zu tun. Eine muse-
ale Nutzung mit Erlebniselementen (living museums et al.) ist vorherrschend und in ih-
ren verklärerischen Auswüchsen auch kritisch zu betrachten.
Nur 22% der Besucher des Rhonda Heritage Parks in Südwales sind überhaupt an
Kohleförderung interessiert. Die meisten wollen schlicht ,,a good day out" mit ihrer
Familie verbringen. (Vgl. K
UNTZ
1999)
Was den Tourismus zu produzierenden Betrieben angeht, so ist er kaum in die Kon-
zepte der Heritage-Anbieter integriert; jedoch fuhr 1988 das English Tourist Board mit
der British Tourist Authority die Kampagne See Industry at Work, die sich überwiegend
auf Betriebsbesichtigungen konzentrierte.
In Deutschland ist das Thema Industriekultur (im Sinne von heritage) erst in Zu-
sammenhang mit der Anerkennung der Völklinger Hütte im Saarland als Kulturdenkmal
(1986) und der Arbeit der IBA Emscherpark im Ruhrgebiet seit Ende der 80er bekannt
geworden. (Vgl. K
UNTZ
1999)
Ein echter Tourismus zu produzierenden Betrieben ist als Trend in Deutschland erst
ab 1992 von Audi in Ingolstadt erkannt und umgesetzt worden ­ verknüpft mit der Idee
des factory outlet: Kunden wird bei Abholung des Autos eine Werksbesichtigung ange-
boten. Im Frühjahr 1999 entstand in Rüsselsheim der 120 Mio. Mark teure Erlebnispark
,,Opel Live", der als erster der Automobilbranche in Europa ein neues Zeichen setzte.
(Vgl. B
AUMANN
1999: 79)
Und Volkswagen zog mit seiner Autostadt Wolfsburg (seit Juni 2000) und dem glä-
sernen Phaeton-Werk in Dresden nach ­ dies sind die wohl prominentesten Beispiele
für die Inszenierung und touristische Inwertsetzung von industriellen Anlagen im bun-
desdeutschen Raum.

THEORETISCHE GRUNDLAGEN 14
2.3. Industrietourismus als regionale Entwicklungsstrategie
5
2.3.1. Theoretische Einordnung
Die direkte positive Verknüpfung von Industrie mit Tourismus ist relativ neu, da die mit
den Begriffen verbundenen Vorstellungen bislang als sehr gegensätzlich empfunden
wurden ­ Industrie: Umweltbelastung, Lärm, Hektik, Arbeit, die Farbe grau; Touris-
mus: intakte Umwelt, Ruhe, Entspannung, Freizeit, wiesengrün, sandgelb oder ozean-
blau. So ist es kein Wunder, dass die meisten Autoren (vgl. S
CHMIDT
1988, H
ÜCHERING
1997, K
ÖDDERMANN
2000) Industrie und Fremdenverkehr zunächst unter konkurrieren-
dem Aspekt korrelieren ­ bevor sie ihr Plädoyer zugunsten einer neuen Sichtweise be-
ginnen.
Industrietourismus sei ein regional angepasster Fremdenverkehrsansatz, dessen Exis-
tenz sich theoretisch am besten begründen lässt, wenn man den touristischen Markt als
Ideenwettbewerb auffasst, ,,wobei Ideen aber nur dann Wettbewerbsvorteile gegenüber
anderen Regionen bewirken, wenn sie Ausprägung eines individuellen Raumverständ-
nisses bzw. ­bewusstseins sind, d.h. Potenziale in Wert setzen, die woanders in dieser
Intensität nicht oder nur ansatzweise gegeben sind" (S
CHMIDT
1988: 2).
Auch H
ÜCHERING
(1997) und K
ÖDDERMANN
(2000) sehen das Absetzen von anderen
Regionen (und eben nicht die Betonung des überall Vorhandenen) als einen Wettbe-
werbsvorteil; gerade das Fehlen eines ausgeprägten touristischen Images des Ruhrgebie-
tes könnte sich als vorteilhaft erweisen, da man jenes von Grund auf gestalten kann (wie
dies ja aktuell geschieht). Die Etablierung eines solchen Nischenprodukts wie der ex-
trem am Wirtschaftspotenzial der Region orientierte Industrietourismus fordert Abstrak-
tionsvermögen gegenüber traditionellen Tourismusvorstellungen und ein Gespür für
regional angepasste Strategien. Aber das Angebot ist nur dann konkurrenz- und überle-
bensfähig, wenn eine ausreichend große Nachfrage vorhanden ist. (Vgl. S
CHMIDT
1988:
2) Der Industrietourismus ist allerdings ein relativ junges Produkt, das noch in der
Markteinführungsphase steckt. Die Nachfrage muss sich erst entfalten, bzw. durch Mar-
ketingmaßnahmen aktiv gefördert werden.
Als fremdenverkehrsstrategisches Nischenprodukt steht der Industrietourismus dabei
,,in einem direkten Zusammenhang zu regionalen Entwicklungsstrategien, wobei regio-
5
Es ist nicht möglich, den Tourismus zu produzierenden Betrieben im Ruhrgebiet isoliert von dem viel
prominenteren Industriedenkmaltourismus zu betrachten. In der Folge wird darum allgemein die Rede
vom Industrietourismus sein, bevor wir den Spezialfall betrachten.

THEORETISCHE GRUNDLAGEN 15
nale / kommunale Identitäten als elementare Strategiebausteine über die Inwertsetzung
endogener Handwerks- und Industriepotenziale mit dem Effekt einer höheren Identifi-
kation der Bevölkerung mit ihrem näheren Lebensraum aufgebaut werden sollen"
(S
CHMIDT
1988: 5).
Was seine ökonomischen, struktur- und raumwirksamen Effekte angeht, besetzt der
Industrietourismus damit einen Grenzbereich zwischen Fremdenverkehr und Industrie
mit tourismus- und arbeitsmarktpolitischen Strategien.
2.3.2. Effekte des Tourismus
Das besondere Interesse, das dem Tourismus (in NRW dem Städte-, Kultur- und Indust-
rietourismus) als Teil einer Strategie der Regionalentwicklung entgegengebracht wird,
erklärt sich aus verschiedenen positiven Effekten, die diesem großen Wachstumsmarkt
zugeschrieben werden:
· Tourismus generiert Umsatz, Einkommen und Steuereinnahmen; er hilft, die De-
visenbilanz zu verbessern.
· Er gilt als arbeitsintensiv, schafft also auf die Investitionen umgerechnet ver-
gleichsweise viele Arbeitsplätze.
· Er entfaltet vielfältige Wechselbeziehungen auf vor- und nachgelagerte Bereiche
der Wirtschaft (vom Verkehrswesen über die Bauindustrie bis zum Verlagswesen)
und trägt so dazu bei, die regionale Wirtschaftsstruktur zu diversifizieren und so
Anknüpfungspunkte für den Strukturwandel zu schaffen: Zu den primären Be-
schäftigungs- und fiskalischen Effekten des Tourismus kommen noch Sekundär-
und Tertiäreffekte; dieser Multiplikatoreffekt liegt durchschnittlich bei 1,4: Auf
zehn Arbeitsplätze im Tourismus entstehen 4 weitere.
· Er leistet Image- und Standortwerbung, indem er ein (in der Regel positives) Bild
der Region und ihrer Wirtschaft nach außen und innen vermittelt.
· Fremdenverkehr verbessert die Lebensqualität der lokalen Bevölkerung, indem er
ein höheres Nachfragepotenzial für gewisse (kulturelle oder freizeitorientierte)
Angebote und Infrastruktur kreiert, die ohne diese zusätzliche Nachfrage nicht
rentabel wären. Evtl. vermindert er damit auch die Emigrationsrate.

THEORETISCHE GRUNDLAGEN 16
· Er steigert die Identifikation der lokalen Bevölkerung mit der Region (und ihrer
Geschichte) und trägt so dazu bei, ein evtl. vorhandenes Kirchturmdenken zu ü-
berwinden und Kräfte (für den Strukturwandel) zu bündeln.
· Tourismus hält einen Teil der Naherholungssuchenden in der Region ­ mit den
evidenten ökonomischen und ökologischen Vorteilen.
(Vgl. B
ECKER
/ J
OB
/ W
ITZEL
1996; B
RYSCH
1999; D
ATZER
1999)
Für den Tourismus zu produzierenden Betrieben besteht dabei in besonderem Maße die
Möglichkeit, vorhandene Infrastruktur und endogene Potenziale touristisch in Wert zu
setzen und so mit relativ geringen Investitionen Mehrwert zu erzeugen. Die handwerkli-
chen bzw. industriellen Erzeugnisse können darüber hinaus als Werbeträger für die Des-
tination dienen. (Vgl. F
ONTANARI
/ W
EID
1999: 18)
Es ist explizit darauf hinzuweisen, dass die genannten Effekte stark von Region zu
Region variieren. Unter 4.3.2. wird eine Rechnung für das Ruhrgebiet durchgeführt.
Aufgrund der mangelhaften Datenlage und aufgrund methodischer Schwierigkeiten sind
jedoch nicht alle Effekte zu quantifizieren.
2.3.3. Der Wettbewerb der Regionen
Zwar zielt der Industrietourismus (zur Zeit noch) primär auf Tagesausflügler, wie noch
zu zeigen ist, dennoch trägt er entscheidend zur Selbstsicht und zur Außenwirkung der
Region bei. Image ist symbolisches Kapital, das gut investiert sein will, denn auf dem
globalisierten Tourismus-Markt, der bereits partiell entgrenzt und enträumlicht ist, hat
sich der Wettbewerb der Städte auf internationaler Ebene verschärft ­ wobei vielleicht
solche Megalopolen wie New York, London oder Rio de Janeiro als eigenständige glo-
bal players bestehen können, keinesfalls jedoch Dortmund oder Essen.
Für das Ruhrgebiet mit seiner polyzentrischen, administrativ zergliederten Struktur
ergibt sich aus dieser Einsicht die Notwendigkeit, gemeinsam aufzutreten und eine Ima-
geerneuerung anzustreben, um sich im internationalen Wettbewerb der Regionen stärker
profilieren zu können. Der junge Industrietourismus kann hierzu beitragen, da er wie
kaum etwas synonym für die Region steht, muss aber auch von Marketingmaßnahmen
begleitet werden, um selbst in den Markt eingeführt zu werden. (Vgl. B
LOTEVOGEL
/
G
ÜNTNER
1999; P
ROSSEK
1999)

THEORETISCHE GRUNDLAGEN 17
In Bezug auf die touristische Positionierung einer Region mithilfe des Industrietou-
rismus ist festzuhalten:
· Die Verbindung zwischen Tourismus und Industrie ist relativ neu und stößt so-
wohl auf Anbieter- wie auf Nachfragerseite noch auf psychologische Vorbehalte.
· Industrietourismus ist (auch deshalb) noch ein Nischenprodukt.
· Aber für Regionen, denen weitere (z.B. naturräumliche) touristische Attraktionen
fehlen, stellt die Industriekultur (und hierzu zählt auch der Tourismus zu produ-
zierenden Betrieben) das zentrale touristische Angebotssegment dar; sie muss es
darum ­ um glaubwürdig zu bleiben ­ in den Mittelpunkt der Vermarktung stel-
len.
· Dennoch bleibt Industrietourismus ein Segment im touristischen Angebotsspekt-
rum einer Destination, und ein erfolgreicher Industrietourismus ist abhängig von
der touristischen Attraktivität der gesamten Region bzw. von der Attraktivität ih-
rer touristischen Infrastruktur. (Vgl. F
ONTANARI
/ W
EID
1999: 19)
Im Hinblick auf eine deutschland- und europaweite Neuorganisation der Regionen, ist
auch die Entwicklung strategischer Partnerschaften und die Akquirierung von Förder-
geldern erfolgsentscheidend: ,,Innovative Verbundvorhaben, regionale Wirtschaftsför-
derungsprogramme, Strukturprogramme der EU wie auch der Zwang zur Veränderung,
um verkrustete Strukturen zu überwinden, ermöglichen tourismusschwachen wie etab-
lierten Regionen neue Wege zur Entwicklung und Stabilisierung von Destinationen"
(F
ONTANARI
/ W
EID
1999: 11).

THEORETISCHE GRUNDLAGEN 18
2.4. Tourismus zu produzierenden Betrieben
Bislang handelte dieses Kapitel vom Industrietourismus (im Sinne von S
OYEZ
), der den
Industriedenkmaltourismus wie den zu produzierenden Betrieben meint. Im Ruhrgebiet
ist ersterer bereits implementiert und weithin akzeptiert, letzterer findet hier also wichti-
ge Anknüpfungspunkte. Die folgende tabellarische Gegenüberstellung der beiden Seg-
mente macht die Zusammenhänge, Gemeinsamkeiten und Unterschiede deutlich.
Anschließend sollen die Grundlagen des Tourismus zu produzierenden Betrieben
analysiert werden. Auch wollen wir die Perspektive wechseln: von einer makroökono-
mischen Sicht hin zu einem motivationsbezogenen Tourismusverständnis.
2.4.1. Die Nachfrageseite
2.4.1.1. Typisierung
Die verschiedenen Typen von Industrietouristen wurden schon in Abb. 1 genannt:
· Geschäftsreisende (nur ohne direkten Arbeitsbezug)
· Gruppenreisende
· Bildungsreisende
· Einkaufsreisende (unter Freizeitaspekten)
· Naherholungsreisende
Der vorherrschende Typ und die Höhe der Nachfrage hängen beim Tourismus zu pro-
duzierenden Betrieben stark vom hergestellten Produkt ab ­ so die Meinung aller für
diese Arbeit befragten Experten. Bei Unternehmen, die bekannte, vielleicht regionalty-
pische Konsumprodukte herstellen (Autos, Bier), wird man alle Gruppen treffen, vor-
nehmlich aber Ausflügler und kleine private Gruppen (Familie, Freundeskreis). Special-
interest-Güter locken vermutlich eher Geschäfts- und Bildungsreisende an.
Wie eine für diese Arbeit durchgeführte Befragung von sieben im Ruhrgebiet
vertretenen Unternehmen ergab, fragen am häufigsten Gruppen aller Art das Angebot
nach; wobei die Nichtfachleute stark überwiegen. Altersmäßig fängt es bei 15 Jahren
an; eine Lücke scheint es bei den 30-40-Jährigen zu geben. Die meisten Gäste kommen
aus der Region, bzw. dem Versorgungsgebiet des Betriebs oder Unternehmens. Nur
sehr wenige Besucher kommen aus dem Ausland. Detailliertere Ergebnisse unter
5.1.2.4.

THEORETISCHE GRUNDLAGEN 19
Tab. 2: Merkmale industrietouristischer Ziele
Industriedenkmäler
Produzierende industrielle Betriebe
Träger
·
Kommune
·
Verbände
·
Fördervereine
·
Land (Bauausstellungen, etc.)
·
Privatwirtschaftliche Einzelunterneh-
men
ggf. in Kooperation mit öffentlichen Institutionen
Motivation
·
Denkmalpflege (Heritage-Gedanke)
·
Information, Bildung
·
(wirtschaftliche) Nutzung endogener
Potenziale
·
regionalpsychologische Stabilisie-
rungseffekte
·
Imagepflege bzw. ­bildung
·
Imagepflege bzw. -bildung
·
Werbung, Absatzsteigerung
·
Information und Aufklärung (über Pro-
dukte und das Unternehmen)
·
Schaffung von Vertrauen
·
Kundendialog und ­bindung
·
Mitarbeitermotivation
·
Zusatzeinkommen durch Werksver-
kauf, Merchandising etc.
Themen
·
Industriegeschichte
·
Technikgeschichte
·
Architekturgeschichte
·
Sozialgeschichte
·
Kultur
·
Unternehmensgeschichte
·
Produktionsverfahren
·
Produktinformation
Darstellung
·
Gesamtgesellschaftlich / gesamtwirt-
schaftlich
·
Firmenspezifisch / partikular
Angebote
(Schlüssel-
komponenten)
·
Besichtigungsprogramme (museal)
·
Museen mit industrie- oder hand-
werksbezogener Thematik
·
Industrielehrpfade, Arbeiterwohnsied-
lungen
·
Ausstellungen
·
Betriebsbesichtigungen
·
Demonstrationsvorführungen
·
Tag der offenen Tür
·
Werksverkauf (auch Merchandising
etc.)
·
Ausstellungen
Funktional zu-
zuordnende
Elemente
·
Veranstaltungsort (Messen, Konzerte,
Empfänge, Hochzeiten, Tagungen
etc.)
·
Kurse, Seminare
·
Verkauf von Merchandising- oder ver-
wandten Produkten
·
Kommunale / regionale Märkte mit Be-
zug zu industriellen oder handwerkli-
chen Traditionen
·
Umgenutzte oder zusätzliche Elemen-
te (z.B. Tauchgasometer, Swimming-
pool, Fahrgeschäfte in Industriekulis-
se)
·
Veranstaltungsort
·
Kurse, Seminare
·
Aktionsmöglichkeiten, Fahrgeschäfte
·
Animation
·
Thematische Medien (IMAX etc.)
·
Museale Elemente
·
Erlebniswelten
Quelle: nach S
TEINECKE
(2002: 145) und S
CHMIDT
(1988: 11), um eigene Ergebnisse modifiziert

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2003
ISBN (eBook)
9783832490072
ISBN (Paperback)
9783838690070
DOI
10.3239/9783832490072
Dateigröße
8.9 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf – Naturwissenschaftliche Fakultät, Geographisches Institut
Erscheinungsdatum
2005 (September)
Note
1,0
Schlagworte
industrietourismus tourismuskonzept technical visits städtetourismus stadtmarketing
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Titel: Produzierende Betriebe als touristische Attraktionen im Ruhrgebiet
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