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Taijiquan - eine neue Interpretation

©2005 Doktorarbeit / Dissertation 442 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Theorie und Methoden des Taijiquan sind nicht leicht zu erschließen. Die in der Qing-Zeit entstehende literarische Überlieferung besteht aus zumeist kurz und knapp gefassten Texten, deren Inhalt reich, aber auch vieldeutig ist. Das klassische Werk „Über das Taijiquan“ von Wang Zongyue (1736-1795) aus der Provinz Shanxi, umfasst nur etwa 300 Schriftzeichen. Von ähnlicher Kürze sind die Dokumente „Wichtige Erklärungen über die Ausführung der dreizehn Stellungen“ von Wu Yuxiang (1812-1880) und „Erläuterung zu den fünf Wörtern [Begriffen]“ von Li Yiyu (1832-1892). Diese Werke fassen den jeweiligen Forschungsstand über das Taijiquan zusammen. Ihre Kürze darf jedoch nicht darüber täuschen, dass sie das Ergebnis intensiver theoretischer Studien sind. Beispielsweise schreibt Wang Zongyue in seinem Werk „Über das Taijiquan“: „Was das Taiji betrifft, so entsteht es aus dem Wuji. [Es] hat den Zustand von Bewegung und Ruhe und ist die Mutter von Yin und Yang“ (Wang Zongyue, 1791).
Hierbei handelt es sich offensichtlich um die Zusammenfassung seiner Theorie über die Bewegungen des Taijiquan, zu dem er aufgrund seiner intensiven Studien über die chinesische traditionelle Philosophie und Kultur gelangte. In seiner Schrift finden sich jedoch keinerlei Äußerungen über die von ihm benutzten Quellen oder den von ihm eingeschlagenen Erkenntnisweg. Dies führt dazu, dass seine Theorien und Methoden des Taijiquan nicht nur schwer zu begreifen sind, sondern auch dazu, dass in der weiteren Entwicklung von Theorie und Methode des Taijiquan Mehrdeutigkeit und Unklarheit auftauchen. Es geht daher heute darum, sowohl die theoretischen Voraussetzungen als auch die Denkweise der Verfasser der klassischen Schriften des Taijiquan zu ergründen und sich dabei bewusst zu sein, dass dies die eigentliche Schwierigkeit beim Verständnis der traditionellen Theorien und Methoden des Taijiquan ist. Bis heute fehlen für die Praxis des Taijiquan eindeutige Begriffe, die das System erhellen. Allein dass ein Gelehrter wie Wang Zongyue seinen Denkprozess nicht offen legt, bedeutet nicht, dass dem Ergebnis kein Prozess intensiver theoretischer Überlegungen vorausgegangen ist. Wenn es der heutigen Forschung gelingt, sowohl diesen Prozess als auch dessen Prämissen herauszuarbeiten und so die traditionellen theoretischen Auffassungen und Methoden greifbar und für die Praxis verständlich zu machen, dann werden gerade die von der traditionellen chinesischen Philosophie […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 8893
Jian, Teng: Taijiquan - eine neue Interpretation
Hamburg: Diplomica GmbH, 2005
Zugl.: Deutsche Sporthochschule Köln, Dissertation / Doktorarbeit, 2005
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Haftung für evtl. verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen.
Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2005
Printed in Germany

1
Lebenslauf
Name:
Teng,
Jian
Geburtsdatum: 15.07.1957
Geburtsort: Lanzhou, Volksrepublik China
1964-1969: Grundschule, Lanzhou
1970-1974: Gymnasium, Gansu
1974-1977: Volleyballtrainer der Mannschaft der Stadt Wuwei
1978-1982: Studium der Sportwissenschaft an der Sport Universit
ä
t Beijing
1982-1984: Fortbildung in Pädagogik und Management an der Beijing Normal
University
1982-1985: Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent am Lehrstuhl von Prof.
Zhichao Wu an der Sport Universit
ä
t Beijing
1985-1991: Institutsleiter für Sportmanagement und Sportökonomie an der
Sport Universität Beijing
1985-1992: Vize-Generalsekretär des Verbands ,,Sozial- und Geisteswissen-
schaften im Sport Chinas"
1987-1991: Stellvertretender Dekan des Fachbereichs Sportmanagement und
Sportökonomie an der Sport Universität Beijing
1988-1991: Vorstandsmitglied der Sport Universität Beijing
1988-1991:
Hauptdozent des Masterstudiengangs Sportmanagement für das
Sportministerium Chinas
1989: Erster Preis der Nationalen Sportwissenschaft des Jahres
1992-1995: Fortbildung an der Deutschen Sporthochschule Köln
1995-2000: Gründung des Qian Kun-Taiji-Systems
1996- Teilnahme an Seminaren zur Vorbereitung der Dissertation an der
Deutschen Sporthochschule Köln
2000-
Erster Vorsitzender der International Qian Kun Taiji Association
e.V. in Köln

2
Akademischer Werdegang
1982-1984: Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent am Lehrstuhl am
Institut für Sportpädagogik und allgemeine Sporttheorie an der
Sport Universität Beijing.
ca. 500 Stunden Unterricht zu den Themen:
· Pädagogik
· Sport Pädagogik
· Moderne Management
1985-1991:
Institutsleiter und Dozent für Sportmanagement und
Sportökonomie an der Sport Universität Beijing.
ca.1000 Stunden Unterricht zu den Themen:
· Modernes Management
· Sportmanagement
· Sportorganisation
1985-1991: Hauptdozent des Masterstudiengangs Sportmanagement für das
Sportministerium China.
ca. 500 Stunden Unterricht für Sportminister und Direktoren aus
verschiedenen Provinzen und Städten der V.R.China
zu den Themen:
· Modernes Management
· Sportmanagement
· Politikwissenschaft (Moderne Führungswissenschaft)
· Moderne Systemtheorie und Management
1988-2004: Forschung über traditionelle chinesische Bewegungs- und
Kampfkünste. Gründung und Entwicklung des Qian
Kun-Taiji-Systems.
Entwicklung der folgenden Formen:
· 120 Formen des Qian Kun Taijiquan,
· 82 Formen des Qian Kun Taiji Schert

3
· Das Spiel der 5 Tiere des Qian Kun Taiji
· 8 Formen des Qian Kun Taiji Gong
Veröffentlichungen in Zeitschriften
1981 Forschung über Trainingsmodelle über die Beziehung von Schrittgröße und
Geschwindigkeit beim 100m Lauf. Beijing ti yuan xue bao, 3, Beijing.
100 3
1982 Forschung über Trainingsmodelle in der Leichtathletik. Beijing ti yuan xue bao,
3, Beijing.
3
1983 System von Beurteilungsmethoden zur Optimierung von Trainingsplänen.
Beijing ti yu ke ji, 2, Beijing.
2
1983 Forschung über die Auswahl von Studienfächern und Disziplinen auf Basis der
Fähigkeiten der Studenten zur Erlangung des Sportdiploms. Beijing ti yuan xue
bao, 3, Beijing.
3
1983 Forschung über Entwicklungsstrategien der Sporthochschule Peking. Quan guo
ti wei zhu ren lun wen bao gao ji, Beijing.
1983 Neue Planungsmethoden für den Leistungssport. Ti yu yan jiou, 3, Beijing.
3
1985 Analyse der Managementprozesse beim Leistungssporttraining mit moderner
Systemtheorie. Beijing ti yu ke ji, 1, Beijing.
1
1985 Moderne Systemtheorie und Auswirkungen auf die Sportforschung. Haerbin ti
yuan xue bao, 2, Haerbin.

4
2
1985 Abhandlung zu Praxis und Theorie des Sportmanagements. Haerbin ti yuan
xue bao, 4, Haerbin.
4
1985 Basistheorie über Sportmanagement. Ti yu ke xue, 3, Beijing.
3
1986
1987 Forschung über Sportmanagementprozesse. Shanghai ti yu ka xue xue hui ti yu
xue shu bao gao lun wen ji, Shanghai.
Monographien
1985 Sportmanagement. Beijing ti yu xue yuan chu ban che, Beijing.
1984 Führungswissenschaft und Sportmanagement. Beijing ti yu xue yuan chu ban
che, Beijing
1985 Forschung über Wissensmanagement im Leistungssporttraining. Ren min ti yu
chu ban che, Beijing.
"",
1989
1989 Lehrbuch für Sportmanagement. Ren min ti yu chu ban she, Beijing.

1
Inhaltsverzeichnis 1
Vorwort 5
Einleitung 10
1.
Die Bedeutung des Taiji, Wuji und des Dao in der
traditionellen chinesischen Philosophie und ihr Einfluss auf
das Taijiquan 17
1.1
Die Bedeutung des ,,Yi Zhuan" für die Taijiquan-Theorie 21
1.1.1
Die Zahlen und Wandlungen im ,,Kommentar zum Buch der Wandlungen"
23
1.1.2 Die Bedeutung von Bildern und Symbolen im ,,Kommentar zum Buch der
Wandlungen" 24
1.1.3 Der Begriff des Dao im ,, Kommentar zum Buch der Wandlungen" 26
1.1.4 Der dialektische Grundgedanke und die ganzheitliche Interpretation des
Taijiquan 29
1.2
Zhou Dunyis Verständnis von Taiji und Wuji 38
1.3
Zhu Xis Ansichten über Taiji und Wuji 41
1.4
Wang Fuzhis Ansichten über das Gesetz und die Materie und ihren Einfluss
auf das Taijiquan 44
1.5
Dai Zhens Verständnis des Dao und Taiji 46
1.6
Der Einfluss von Lao Zi auf Theorie und Praktiken des Taijiquan 47
1.6.1 Das namen- und formlose Dao als Grundlage für die Entstehung des Seins
48
1.6.2 Der dialektische Gehalt des Dao 49
1.6.3 Dao als Prozess ohne Anfang und Ende 51
1.6.4 Das Dao folgt seinen eigenen Regeln 53
1.6.5 Das Dao als Geist der Gesellschaft 54

2
1.7
Die Weiterentwicklung der Theorie Lao Zi's durch Zhuang Zi 56
1.7.1 Alle Dinge gehen aus dem Dao hervor, das allgegenwärtige Dao 56
1.7.2 Das Dao als die Eins 59
2.
Die Grundlagen der Theorie und Praxis des traditionellen
Taijiquan ­ eine Bewertung der Theorie und Praxis Wang
Zongyues 65
2.1
Die Bedeutung der Einheit für das Taijiquan 71
2.1.1
Die Theorien Wu Yuxiangs und Li Yiyus über das Taiji und Wuji 76
2.1.2 Die Ergänzung und Erweiterung des Verständnisses von Taiji und Wuji
durch Hao Yueru 80
2.1.2.1 Taiji als Bezeichnung für den ganzen Körper 81
2.1.2.2 Taijiquan als Zustand der Vollkommenheit der Bewegungen 83
2.1.2.3 Das Verständnis des Wuji und Taiji als Zustand der Ruhe und Bewegung ­
der ganzheitliche Zustand vor Übungsbeginn 84
2.1.2.4 Die Bedeutung der ,,Leere" im Taijiquan 88
2.2
Die Bedeutung der Yin/Yang- Lehre im Taijiquan nach Wang Zongyue 90
2.2.1 Die Trennung von Yin und Yang 96
2.2.2
Die Verbindung von Yin und Yang 101
2.2.3
Der Wechsel zwischen Yin und Yang 110
2.2.4
Die Balance zwischen Yin und Yang 112
2.3
Die Lehre vom Verständnis des Jin 117
2.3.1
Die Lehre vom Verständnis des Jin (Dong Jin) von Wang Zongyue 127
2.3.2 Das Verständnis des Jin nach Wu Yuxiang 143
2.3.3
Vereintes Jin - Li Yiyu´s Ergänzungen über Jin 162
3.
Meister der Herzmethode ­ Die Taijiquan Theorie nach Wu
Yuxiang 179
3.1
Die Herz-Methode von Wu Yuxiang 191

3
3.2
Die Entwicklung der Herz-Methode nach Li Yiyu 216
3.3
Ergänzungen der Herz-Methode von Hao Yueru und Hao Shaoru 226
4.
Meister darin, ,,den Gegner zu verleiten, vorzudringen und
sich im Leeren zu erschöpfen" sowie ,,Jin von innen
auszustoßen" ­ Li Yiyu 233
4.1
Die 5-Wörter-Theorie von Li Yiyu 233
4.2
Verleiten vorzudringen, sich im Leeren zu erschöpfen ­ Jin im Innern
wechseln 248
4.2.1 ,,Das Lied des Kampfes" und verleiten vorzudringen, sich im Leeren zu
erschöpfen 248
4.2.2 Wang Zongyue´s Taijiquan Theorie vom Verleiten vorzudringen und sich im
Leeren zu erschöpfen 250
4.2.3 Wu Yuxiang's Ausführungen zu ,,Verleiten vorzudringen, sich im Leeren zu
erschöpfen" 255
4.2.4 Li Yiyu's Erläuterungen über ,,Verleiten vorzudringen, sich im Leeren zu
erschöpfen" 258
4.2.4.1 ,,Verleiten vorzudringen, sich im Leeren zu erschöpfen", ,,mit vier Liang
1000 Jin bewegen" 260
4.2.4.2 Sich selbst und den Anderen kennen 269
4.2.4.3 Man vernachlässigt sich selbst und folgt dem Gegenüber nach 279
4.2.4.4 Der gesamte Körper wird zu einer Familie 303
4.2.4.5 Vereinte Form und perfektionierte Technik 308
4.2.4.6 Den Geist und das Qi stimulieren, die allgemeine Verfassung soll angehoben
werden 319
4.2.4.7 Den Geist konzentrieren, die äußere und die innere Form soll einsatzbereit
sein 329
4.2.4.8 Die vereinte Jin-Kraft 333
4.3
,,Die Jin-Kraft im Inneren wechseln" 346

4
5.
Schlußbemerkungen 359
6.
Literaturverzeichnis 373
7.
Glossar 388
8. Anhang 402
Die
klassischen
Schriften

5
Vorwort
Die Idee für diese Arbeit entstand in Zusammenarbeit mit Professor Zhichao Wu. Als
Sportpädagoge beschäftigte Professor Wu sich lange Zeit mit der traditionellen
chinesischen Bewegungskultur und mit verschiedenen Gesundheitsmethoden an der
Sporthochschule Beijing. Sein Forschungsgebiet war über lange Jahre das Qigong.
Sein Schwerpunkt lag auf archäologischen Studien sowie der Analyse antiker
Schriften über das Qigong und andere Bewegungskulturen. Gern hätte er eine
wissenschaftliche Arbeit über das traditionelle Taijiquan verfasst, es fehlte ihm
jedoch immer an Zeit. Anfang der achtziger Jahre war ich als wissenschaftlicher
Mitarbeiter und Dozent am Lehrstuhl von Professor Wu an der Sporthochschule
Beijing tätig. In dieser Phase wurde ich von seiner Denk- und Arbeitsweise erheblich
beeinflusst. Zudem interessierte ich mich schon lange Zeit für die Forschung über die
traditionelle chinesische Kampf- und Bewegungskunst des Wushu und Taijiquan. Ich
hatte bereits bei verschiedenen Wushu- und Taijiquanspezialisten, insbesondere bei
Professor Mingda Ma, Lehrstuhl für Geschichte an der Universität Lanzhou, der
zudem aus einer angesehenen Wushu-Familie stammt und durch seine zahlreichen
Veröffentlichungen zur chinesischen Kampf- und Bewegungskunst zu großem
Ansehen gelangt war, gelernt. Dies veranlasste mich, eine Forschungsarbeit über das
traditionelle Taijiquan zu schreiben, welches bisher noch nicht systematisch
analysiert worden war. Bis Anfang der neunziger Jahre beschäftigten mich jedoch
noch andere wissenschaftliche Arbeiten, zudem entschloss ich mich zu einer
Fortbildung an der Deutschen Sporthochschule Köln. In Deutschland interessierten
sich viele für das Taijiquan und Qigong. Sie stellten mir die unterschiedlichsten
Fragen, etwa was bedeutet Taiji oder was Yin und Yang? Sie fragten nach Theorie
und Methoden des traditionellen Taijiquan, ob es eine sogenannte Geheimmethode
für das Erlernen dieser Kampfkunst gebe. Es bestand Bedarf für eine
wissenschaftliche Forschungsarbeit. Die Deutsche Sporthochschule Köln bot mir ein
attraktives akademisches Forschungszentum, welches für die vielgestaltigsten
wissenschaftlichen Themen eine offene Tür hat. Professor Dr. Walter Tokarski und
Professor Dr. Bernd Wirkus nahmen mein Thema an, ihre wissenschaftliche

6
Forschungsmethode und Denkweise haben entscheidenden Einfluss auf meine Arbeit
ausgeübt. Ihnen gilt insbesondere mein Dank für ihr verständnisvolles Eingehen auf
meine Konzeption und die Betreuung meiner Arbeit bis zum Abschluß. Für die
Übernahme des zweiten Gutachtens bin ich Herrn Professor Dr. Wolfgang
Ommerborn, Ruhr-Universität Bochum, zu großen Dank verpflichtet.
Das traditionelle Taijiquan ist ein Teil der traditionellen chinesischen Kampf- und
Bewegungskultur und steht mit der traditionellen chinesischen Philosophie, der
Medizin, der Kunst, insbesondere der Kampfkunst, den Bewegungsübungen und
Atemübungen in direkter Verbindung. Gibt es eine systematische Theorie über das
Taijiquan? Was sind ihre Kernaussagen? Diese zu erfassen ist ein schwieriges
Unterfangen. Zunächst ist es unabdingbar die einzelnen Bewegungsabläufe des
Taijiquan und den eigentlichen Lernprozess zu verstehen. Es geht nicht allein darum
eine Kampfmethode zu beherrschen oder seinen Gesundheitszustand zu verbessern,
sondern vielmehr darum die einzelne Übung und den Übungsprozess selbst zu
erlernen. Mit den Übungen erlernt man zugleich die schönen traditionellen
Bewegungen und einzelnen Methoden, entwickelt die eigene Bewegungsfähigkeit
und verbessert das eigene Verständnis für die traditionelle chinesische
Bewegungskultur. Damit einher geht die Entwicklung eines Verständnisses für die
Prinzipien, Begrifflichkeiten und unterschiedlichen Aspekte der traditionellen
chinesischen Kultur, Philosophie und Medizin. Kennzeichnend für das Taijiquan ist
die ihm eigene Sprache der traditionellen Texte, welche von Taijiquanmeistern
überliefert worden sind. ,,Bewegen sie sich, dann trennen [sie sich]; sind sie in Ruhe,
dann [sind sie] vereint". ,,Ist der Gegner hart, bin ich weich; dies heißt Ausweichen.
Ich folge, und der Gegner [kommt in eine] ungünstige [Position]; dies heißt Sich-
Anheften" (Wang Zongyue,1791, Seite 24). ,,Obwohl der Körper sich bereits bewegt,
ist es wichtig, dass das Herz noch ruhig bleibt; das Qi muss gesammelt werden, der
Geist und die Verfassung sollen entspannt sein". ,,Zuerst das Herz, dann der
Körper" (Wu Yuxiang, 1852, Seite 60). Diese Übungsprinzipen sind zwar sehr kurz
gehalten, sind jedoch reich an Bedeutung und enthalten verschiedene Aspekte der
traditionellen chinesischen Bewegungskultur, Kampfkunst und Gesundheitsübungen
diverser Taijiquan-Schulen oder Meister, welche über einen langen Zeitraum

7
überliefert worden sind. Einige Prinzipien sind der traditionellen chinesischen
Philosophie entlehnt wie etwa das Zitat ,,was das Taiji betrifft, so entsteht es aus dem
Wuji. [Es] hat den Zustand von Bewegung oder Ruhe und ist die Mutter von Yin und
Yang" (Wang Zongyue,1791, Seite 24). Daher bilden die traditionellen Ideen,
Aspekte und Prinzipen die Anforderungen an die Bewegung des Taijiquan, welche in
den klassischen Schriften niedergelegt und Jahre lang praktisch umgesetzt worden
sind, den zentralen Anknüpfungspunkt für die Taijiquan-Theorie und für den ihr
eigenen kulturellen Reichtum. Damit ist klar, dass der Schwerpunkt dieser Arbeit auf
der Erforschung eben dieser Prinzipien, Ideen und Aspekte der klassischen Texte der
wichtigsten Taijiquanschulen und Meister liegt. Zunächst werden die einzelnen Ideen
und Denkweisen sowie ihr Einfluss auf die Taijiquanpraxis behandelt, sodann die
Unterschiede und Zusammenhänge ihrer Aspekte beleuchtet. Manche Ideen sind in
den Texten versteckt, vieles erscheint nebulös und ist nur schwer zu klären. Wichtig
ist es daher durch eingehende Erläuterungen, Ergänzungen und neue Interpretationen
ein grundlegendes Theoriesystem für das Taijiquan aufzubauen. Insbesondere soll
versucht werden die den Ideen eigenen Ausgangspunkte sowie die Gedankengänge
herauszuarbeiten. Hier ist auszuwählen zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem.
Mein Blick richtet sich stets auf die Kernprinzipien der traditionellen chinesischen
Bewegungskultur, um sie unter dem Gesichtpunkt der einzigartigen traditionellen
Taijiquan-Theorie zu bündeln. Jedoch ist die Untersuchung nicht allein eine
philosophische Forschungsarbeit, obgleich die Begriffe des Taiji, Wuji, Dao, Yin und
Yang, welche allesamt der traditionellen chinesischen Philosophie entstammen,
erheblichen Einfluss auf die Taijiqantheorie ausgeübt haben. Um das Dickicht zu
lichten und die zunächst nur schwer zu durchschauenden Zusammenhänge zwischen
dem Taijiquan und diesen Begriffen aufzudecken, soll die tatsächliche Bedeutung
dieser Begriffe erläutert werden.
In diese Arbeit werden zunächst das Verständnis des Jin, sodann die Herz-Methode
und im Anschluss daran das Prinzip ,,den Gegner verleiten vorzudringen, sich im
Leeren zu erschöpfen" als die drei bedeutendsten Lehren des Taijiquan, die bisher
wenig beschrieben worden sind, erläutert und neu interpretiert. Diese Lehren sind die
Kerntheorien des Taijiquan und bilden für dessen Studium und Weiterentwicklung

8
den Leitfaden.
Das Fundament der Taijiquan-Forschung besteht aus den klassischen Texten, welche
in der klassischen chinesischen Sprache geschrieben sind. Ihre Interpretation ist den
Philologen vorbehalten. Obwohl die Forscher des Taijiquan auf die philologischen
Analysen zurückgreifen können, bedarf es weiterer mühevoller Anstrengungen, die
logische Struktur des jeweiligen theoretischen Systems zu erkennen und dessen
Denkansatz zu verstehen. Insbesondere das richtige Verständnis der oftmals
mehrdeutigen alten chinesischen Sprache und ihre Übersetzung ins Deutsche ist
schwierig. Zum Teil fehlt es an deutschen Entsprechungen, die den Inhalt identisch
wiedergeben könnten. Obwohl ich mich jahrelang mit den Originalschriften befasst
habe, hat mich so manches Wort unendlich lange beschäftigt. So sind einige
Unzulänglichkeiten wohl unvermeidlich. Für das richtige Verständnis der klassischen
Texte ist daher die Einbettung der Zitate in ihren Kontext unabdingbar.
Will man über die traditionelle Theorie des Taijiquan forschen, sollte man daher die
früheren Werke, die Materialien aus erster Hand studieren und ihre theoretische
Bedeutung verstehen lernen. Auch die Praxis des Taijiquan kann dazu beitragen, ein
Gefühl für diese Bewegungskultur zu erlangen. Dies kann zweifellos das Verständnis
früherer Schriften über das Taijiquan erleichtern und zur Bildung eigener
Erkenntnisse beitragen. Aus diesem Grund ist meine jahrelange Erfahrung im
Taijiquan, Qigong und Wushu, meine eigene Ausbildung durch verschiedene Meister
sowie meine langjährige Unterrichtspraxis äußerst hilfreich für die Analyse und
Neuinterpretation des Taijiquan.
Für das Verständnis der Arbeit seien mir noch einige Hinweise gestattet: bei der
Definition von Fachbegriffen und der zeitlichen Einordnung historischer Daten habe
ich mich hauptsächlich auf das ,,Große Wörterbuch des chinesischen Wushu" von
Mingda Ma und auf die ,,Chinesischen Enzyklopädie" von Sheng Hu gestützt. Im
Anhang finden sich die zehn klassischen Schriften in der alten chinesischen Sprache
sowie meine Übersetzung ins Deutsche.

9
Das Interesse meiner Schüler am Taijiqan und an meinen theoretischen Forschungen
hat mich stets angespornt und mir die Kraft gegeben, die Arbeit fertigzustellen. Ich
hoffe, dass diese Arbeit ihnen nunmehr die langersehnten Antworten gibt. Ganz
besonders ist für ihre Unterstützung zu danken: Dr. jur. Stefanie Beyer, Dipl.
Psychologin Gudrun Kriesche, Dipl. Sportwissenschaftlerin Ines Kutt, Dipl. Ing.
Uwe Meyer, Dipl. Phys. Jochen Müller, Vertreter von Yang Zhenduo Taijiquan in
Deutschland, Frank Grothstück, Dipl. Sportwissenschaftler, Vorsitzender der Daoyin
Yangsheng Gong Vereinigung Deutschlands, Martin Pendzialek, Dipl. Bibl. Elke
Steinhausen.
Besonders danke ich Herrn Dr. Gerd Helmer, Sporthochschule Köln, für langjährige
Begleitung meiner Studien. Danken möchte ich auch Frau Dipl. Übers. Chu Hui-lien
für tatkräftige Hilfe bei der technischen Fertigstellung des Manuskripts und Dr.
Sabine Werner für hilfsreiche Hinweise.
Den Lesern wünsche ich viel Erfolg beim Studium dieser Arbeit und viel Freude
beim Erlernen der Kampf- und Bewegungskunst des Taijiquan.

10
Einleitung
Theorie und Methoden des Taijiquan sind nicht leicht zu erschließen. Die in der
Qing-Zeit entstehende literarische Überlieferung besteht aus zumeist kurz und knapp
gefassten Texten, deren Inhalt reich, aber auch vieldeutig ist. Das klassische Werk
,,Über das Taijiquan" von Wang Zongyue (1736-1795) aus der Provinz Shanxi,
umfasst nur etwa 300 Schriftzeichen. Von ähnlicher Kürze sind die Dokumente
,,Wichtige Erklärungen über die Ausführung der dreizehn Stellungen" von Wu
Yuxiang (1812-1880) und ,,Erläuterung zu den fünf Wörtern [Begriffen]" von Li
Yiyu (1832-1892). Diese Werke fassen den jeweiligen Forschungsstand über das
Taijiquan zusammen. Ihre Kürze darf jedoch nicht darüber täuschen, dass sie das
Ergebnis intensiver theoretischer Studien sind. Beispielsweise schreibt Wang
Zongyue in seinem Werk ,,Über das Taijiquan": ,,Was das Taiji betrifft, so entsteht es
aus dem Wuji. [Es] hat den Zustand von Bewegung und Ruhe und ist die Mutter von
Yin und Yang" (Wang Zongyue, 1791, Seite 24).
Hierbei handelt es sich offensichtlich um die Zusammenfassung seiner Theorie über
die Bewegungen des Taijiquan, zu dem er aufgrund seiner intensiven Studien über
die chinesische traditionelle Philosophie und Kultur gelangte. In seiner Schrift finden
sich jedoch keinerlei Äußerungen über die von ihm benutzten Quellen oder den von
ihm eingeschlagenen Erkenntnisweg. Dies führt dazu, dass seine Theorien und
Methoden des Taijiquan nicht nur schwer zu begreifen sind, sondern auch dazu, dass
in der weiteren Entwicklung von Theorie und Methode des Taijiquan Mehrdeutigkeit
und Unklarheit auftauchen. Es geht daher heute darum, sowohl die theoretischen
Voraussetzungen als auch die Denkweise der Verfasser der klassischen Schriften des
Taijiquan zu ergründen und sich dabei bewusst zu sein, dass dies die eigentliche
Schwierigkeit beim Verständnis der traditionellen Theorien und Methoden des
Taijiquan ist. Bis heute fehlen für die Praxis des Taijiquan eindeutige Begriffe, die
das System erhellen. Allein dass ein Gelehrter wie Wang Zongyue seinen
Denkprozess nicht offenlegt, bedeutet nicht, dass dem Ergebnis kein Prozess
intensiver theoretischer Überlegungen vorausgegangen ist. Wenn es der heutigen

11
Forschung gelingt, sowohl diesen Prozess als auch dessen Prämissen
herauszuarbeiten und so die traditionellen theoretischen Auffassungen und Methoden
greifbar und für die Praxis verständlich zu machen, dann werden gerade die von der
traditionellen chinesischen Philosophie geprägten Begriffe des Taijiquan durch ihre
Offenheit Raum für neue Interpretationen bieten.
Wenn ein Taiji-Gelehrter tief in sein Forschungsgebiet eingedrungen ist und die von
ihm erzielten Einsichten vielfältig sind, dann darf man dahinter ein systematisches
Denken vermuten, selbst wenn dies die äußere Form seiner Aussagen nicht ohne
weiteres erkennen lässt. Würde es an diesem systematischen Denken fehlen, so wäre
er gar kein Gelehrter des Taijiquan, und weder würden seine Erklärungen und
Einsichten die Praxis des Taijiquan anleiten, noch würde er in der Theorie des
Taijiquan eine Position einnehmen. Aufgabe der vorliegenden Untersuchung soll es
sein, hinter den Schriftzeugnissen dieser frühen Gelehrten das System ihres Denkens
und ihrer Theorien sichtbar zu machen. Dies soll durch die Einordnung, Beurteilung
sowie Ergänzung der zum Teil nur bruchstückhaft erhaltener Materialien erfolgen.
In den ursprünglichen Theorien und Schriften des Taijiquan werden zahlreiche
ausgewählte Begriffe der chinesischen Philosophie verwendet wie etwa die des Taiji,
Yin und Yang oder des Dao. Diese Begriffe dienen dazu, das Taijiquan als
Körperbewegungskultur zu beschreiben und zu erklären. Ihr Gebrauch erfolgt jedoch
nicht einheitlich, und es wird weder ihr genauer Inhalt noch ihre Funktion definiert.
Das erschwert die Analyse und Beurteilung der traditionellen Theorie und der
Methoden des Taijiquan. Will man einen Gedanken oder Lehrsatz des Taijiquan
erklären und seine Stellung innerhalb des Systems des traditionellen Taijiquan
bestimmen, so kann dies nicht gelingen, wenn man sich keine klare Vorstellung von
der ursprünglichen Quelle und von den der traditionellen chinesischen Philosophie
entlehnten Inhalten macht. Erst danach ist es möglich zu erkennen, wie diese
Begriffe in die Theorie des Taijiquan eingeführt wurden, welchen Einfluß und welche
Funktion sie hatten und haben.
Die erste Aufgabe der vorliegenden Arbeit liegt daher darin, die in der traditionellen

12
Taijiquan-Theorie üblichen Begriffe zu klären und zu diskutieren. Welche
Bedeutungen und Inhalte haben sie? Auf welche Weise wurden sie in die traditionelle
Theorie des Taijiquan eingeführt? Welchen Veränderungen unterliegen sie nach der
Einführung in das System und welche Funktion nehmen sie darin ein? Bei der
Analyse der Begriffe wie Taiji, Wuji, Yin und Yang, Dao u.a., die eine wichtige
Position und grundlegende Funktion in den traditionellen Theorien des Taijiquan
haben, wird daher zuerst nach der Quelle gesucht. Die genauen und teilweise
unterschiedlichen Inhalte dieser Begriffe in der Philosophie einerseits und den
traditionellen Theorien des Taijiquan andererseits sind zu untersuchen sowie
Bedeutung und Einfluss der traditionellen chinesischen Philosophie auf das Taijiquan
zu klären. Das soll die theoretische Grundlage und Voraussetzung für die weitere
Diskussion bilden, in der es um die Analyse der Besonderheit und Systematik der
traditionellen Theorien des Taijiquan geht. Die Suche nach den theoretischen Quellen
des Taijiquan ist eine grundlegende Arbeit und unabdingbar für das tiefere
Verständnis der traditionellen Theorie und der Methoden des Taijiquan.
Die zweite Aufgabe der hier vorgelegten Untersuchung ist es, die traditionellen
Theorien und Methoden des Taijiquan zu erklären und einzuordnen. Die mehr als
zweihundert Jahre alte Schrift von Wang Zongyue ,,Über das Taijiquan" ist
wegweisend für die Entstehung von Theorie und Methoden des Taijiquan. Heute gibt
es zahllose Artikel und Bücher über das Taijiquan. Diese beschreiben jedoch zumeist
die Eindrücke von Praktizierenden und Liebhabern des Taijiquan bzw. beschäftigen
sich mit einzelnen Fragen des Taijiquan. Einige handeln von der Theorie und den
Methoden des Taijiquan und geben den jeweiligen Stand der Forschung wieder.
Hieraus folgt die Aufgabe, aus den vorhandenen Darstellungen und Materialien jene
Werke, die einen starken Einfluss auf Bildung und Entwicklung des Taijiquan
ausüben, auszuwählen und in Beziehung zueinander zu setzen, um der Theorie und
den Methoden des Taijiquan eine klare Struktur zu geben. Ferner sollen die
wichtigsten Theorien und Methoden seit Entstehung des Taijiquan beleuchtet werden.
Neben den traditionellen Schriften des Taijiquan entstanden im Zeitraum zwischen
Mitte des achtzehnten Jahrhunderts bis Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts heute
allgemein anerkannte klassische Dokumente von großer wissenschaftlicher

13
Bedeutung. Diese knapp gefassten Texte sind in altertümlicher Sprache geschrieben
und enthalten nur wenige Fachausdrücke. Sie müssen daher in die moderne Sprache
übertragen und kommentiert werden, um die traditionellen Theorien und Dokumente
besser verstehen zu können. Dies stellt eine wesentliche Aufgabe der Taijiquan -
Forschung dar.
Die dritte Aufgabe besteht darin, das theoretische System des Taijiquan in den Texten
einzelner Gelehrter herauszuarbeiten. Praxis und Theorien des Taijiquan beschäftigen
sich mit den gleichen Fragen, die Wissenschaftler haben zum Teil aber
unterschiedliche Denkansätze. So setzt der Gelehrte, der das ,,Wushi" (Kampfkultur),
d.h. den Angriff und die Abwehr betont, andere Schwerpunkte als derjenige, der sich
den positiven Auswirkungen des Taijiquan auf die Gesundheit oder seinem
Freizeitwert widmet. Jedes einzelne System ist vergleichbar einem menschlichen
Individuum, welches eine einzigartige Gestalt besitzt. Die Gelehrten mögen die
gleichen Bewegungsformen des Taijquan erlernt haben, bilden aber ihren je eigenen
Stil aus. Ihr jeweiliges System sollte daher konkret erklärt werden, um es lebendig
und anschaulich werden zu lassen. Der Interpretation des Taijiquan ist es nicht
zuträglich, das lebendige System eines Taijiquan Meisters unnatürlich aufzuspalten.
Dies wäre wie einen lebenden Menschen zu zerteilen um ihn anschließend wieder
zusammenzusetzen. Selbst wenn dies gelänge, wäre dieser Mensch nicht mehr am
Leben.
Die vierte Aufgabe liegt darin, die Prämissen und Denkansätze der Auffassungen und
theoretischen Systeme verschiedener Gelehrter zueinander in Beziehung zu setzen
sowie deren Übereinstimmungen und Differenzen herauszuarbeiten. Die
Ausgangsfragen des theoretischen und praktischen Ansatzes sind dabei gleich. Daher
existiert eine objektive Beziehung zwischen den einzelnen wissenschaftlichen
Arbeiten, sie bilden den gemeinsamen Ausgangspunkt für die Erforschung des
Taijiquan. In diesem Zusammenhang soll weiterhin versucht werden zu klären, wie
die einzelnen Autoren zu bestimmten Schlussfolgerungen gelangt sind, was bedeutet,
sowohl die Voraussetzungen als auch den Prozess selbst, der zu den jeweiligen
Aussagen geführt hat, zu analysieren. Das kann nicht nur zum Verständnis der

14
klassischen traditionellen Theorie und Methoden des Taijiquan führen, sondern
zugleich der Schulung des theoretischen Denkens des Taijiquan-Übenden wie der
heutigen Taijiquan-Forscher dienen.
Wenn die vorangegangenen Überlegungen und Untersuchungen zur Entwicklung
einer objektiven Basis für die Betrachtung der unterschiedlichen Theorien,
Äußerungen und Methoden geführt haben, so sollen zuletzt die jeweiligen
Besonderheiten analysiert werden. Jeder Forscher des Taijiquan beobachtet, denkt
und berichtet aus seiner Sicht und aufgrund seiner persönlichen Erfahrung. Von
diesen Darlegungen sind manche wesentlich, andere unwesentlich, teils sind sie
vielseitig, teils einseitig. Manchmal handelt es sich sogar um bloße Mutmaßungen,
die jeder Grundlage entbehren. An dieser Stelle werden nur solche Theorien und
Methoden, deren Geschichte einer objektiven Überprüfung standhält und die das
Wesen der Praxis des Taijiquan widerspiegeln, ausgewählt. Ein umfassendes
theoretisches System, welches auch die wesentlichen Besonderheiten des Taijiquan
einschließt, bedarf der Erläuterung und Begründung, damit das Wesen des Taijiquan
tiefer begriffen werden kann. Dann lässt sich auch von einem fundamentalen System
sprechen, das die Basis der Forschung bilden kann und quasi den Prototyp der
Taijiquan-Theorie. In der vorliegenden Arbeit soll dies das Ergebnis der
Überarbeitung der Theorien, bei der Ganzheitaspekt und das Außerordentliche des
Taijiquan im Vordergrund stehen, sein.
Sämtliche Aspekte dieser Untersuchung haben folgendes gemeinsam: will man die
Meinungen und Theorien des Taijiquan erforschen, hat man sich zunächst der
Prämissen der Forscher zu vergegenwärtigen, d.h. die Frage nach dem Inhalt seiner
Gedanken aufzuwerfen und zu untersuchen, wie und warum er auf seine Weise denkt
und sich ausdrückt. Erst dann lassen sich die Theorien, unterschiedlichen Meinungen
und Vorstellungen richtig wiedergeben. Dies ist ein äußerst schwieriges Unterfangen.
Denn das Taijiquan ist als traditionelle Körperbewegung und Bewegungskultur
zunächst Praxis. Ohne Blick auf die praktische Seite des Taijiquan lassen sich die
Meinungen und Theorien daher nicht verstehen. Daher gilt es auch diese Seite zu
begreifen und zu beherrschen. So sind die Ergebnisse der praktischen Taijiquan-

15
Forschung nicht nur hilfreich, um die Praxiserfahrungen zu vertiefen, sondern auch
um zum Verständnis der Theorie des Taijiquan beizutragen. Auf dieser Basis lassen
sich Leitlinien und Regeln für die Theorie des Taijiquan aufstellen, welche der Praxis
des Taijiquan eine klare theoretische Anleitung geben und die Herausforderung für
ihre Weiterentwicklung darstellen.
Bedeutsam für die Forschung sind ferner geschichtliche Daten und Fakten. Unsere
Kenntnisse über das Taijiquan basieren auf ausreichend umfassenden, historischen
Dokumenten, die sorgfältig zu analysieren und in einen Gesamtkontext zu stellen
sind. Der Forschungsprozess ist vergleichbar mit dem eines Bauprojektes, bei dem
das Fundament die notwendige Basis für den gesamten Bau bildet. Bei der Taijiquan-
Forschung besteht das Fundament aus geschichtlichen Daten und Fakten. Die
heutigen Erkenntnisse gründen sämtlich auf den Schriften der frühen Taijiquan-
Gelehrten. Dieses sind die aufschlussreichsten Materialien, weil sie Primärquellen
aus erster Hand sind, d.h. direkt von den frühen Gelehrten verfasst wurden. Da sie in
der klassischen Schriftform geschrieben sind, ist ihre Interpretation zumeist den
Philologen vorbehalten. Die Forscher des Taijiquan können jedoch aufbauend auf
den Ergebnissen der philologischen Forschung die theoretische Bedeutung der
philosophischen Texte analysieren. Insoweit ist die logische Struktur des jeweiligen
theoretischen Systems zu erkennen und dessen Denkansatz zu verstehen. Erst dann
lassen sich die philosophischen Meinungen und Erkenntnisse über das Taijiquan
sicher einschätzen und die Inhalte einzelner Theorien lebendig und anschaulich
beschreiben.
Will man über die traditionelle Theorie des Taijiquan forschen, sollte man daher die
früheren Werke, die Materialien aus erster Hand studieren und ihre theoretische
Bedeutung verstehen lernen. Auch die Beobachtung und Ausübung des Taijiquan
kann dazu beitragen, ein Gefühl für diese Bewegungskultur zu bekommen. Dies kann
zweifellos das Verständnis früherer Schriften über das Taijiquan erleichtern und zur
Bildung eigener Erkenntnisse beitragen.
Als traditionelle Kultur weist die Theorie des Taijiquan einen Mischcharakter auf.

16
Deren theoretische Aussagen stehen in enger Beziehung zur Philosophie, Kultur und
traditionellen chinesischen Medizin. Insbesondere in den frühen Schriften des
Taijiquan finden sich die Begriffe der traditionellen chinesischen Philosophie wie die
des Taiji, Wuji, Yin und Yang. Mittels dieser Begriffe versuchte man bereits damals,
das Taijiquan zu analysieren und zu veranschaulichen. Die Besonderheit des
Taijiquan zeichnet sich durch eben seinen engen Bezug zur chinesischen Philosophie
und Kultur aus. Sowohl diese philosophische Fachsprache als auch der Inhalt dieser
Kategorien ist Gegenstand der vorliegenden Forschungsarbeit.

17
1.
Die Bedeutung des Taiji, Wuji und des Dao in der
traditionellen chinesischen Philosophie und ihr Einfluss auf das
Taijiquan
Das Wort Taiji, das sich zum ersten Mal in dem Yi-Buch der Zhou-Zeit, einem
philosophischen Werk aus der Zeit der Streitenden Reiche (475-221 v. Chr.) findet,
entstammt der traditionellen chinesischen Philosophie und ist Gegenstand zahlreicher
Erörterungen. Auch in der traditionellen chinesischen Kultur und Medizin ist es seit
langem gebräuchlich. Während der Regierungszeit des Kaisers Qianlong der Qing-
Dynastie verfasste Wang Zongyue, wie bereits erwähnt, nach gründlichem Studium
chinesischer Schriften über die Philosophie, Kultur und Bewegungslehren sowie
basierend auf eigenen Erfahrungen in den Faustkampf-Übungen das Werk ,,Über das
Taijiquan". Darin führte er erstmals die Begriffe des Taiji sowie Yin und Yang in die
Übungen des Faustkampfs ein, mit denen er die theoretischen Grundlagen für das
Taijiquan zu veranschaulichen suchte. Seitdem fand das Taijiquan als Bezeichnung
für die Kampf- und Bewegungskunst allmählich Verbreitung.
Die Frage, von wem Wang Zongyue das Taijiquan erlernte und welchen Stil er
praktizierte, ist bisher ungeklärt. Es existieren lediglich lückenhafte historische
Berichte, so dass die Auffassungen stark divergieren. Das heißt, dass die
Bezeichnung Taijiquan von Wang Zongyue stammt, dass aber die Frage, wann und
wie das Taijiquan entwickelt wurde, trotzdem offen bleiben muss. Einige bekannte
Meister des Taijiquan vertreten die Ansicht, dass das Taijiquan auf einen daoistischen
Priester namens Zhang Sanfeng im Wudang-Gebirge zurückgeht. Doch diese sowohl
in China als auch im Ausland verbreitete Auffassung entbehrt jeder überzeugenden
Grundlage. Nach einer anderen Theorie soll das Taijiquan von Chen Wangting (?-
1719), einem ehemaligen General der späten Ming-Dynastie, entwickelt worden sein.
Ein schlagendes Argument für diese Behauptung ist, dass die gegenwärtig beliebten
fünf Schulen des Taijiquan ­ Chen-, Yang-, Wu-Hao-, Wu- und der Sun-Stil ­ dem
von Chen Wangting geschaffenen Taijiquan ähneln, und zwar in ihren Sequenzen,
den Namen der einzelnen Übungen, sowie den Haltungen und Besonderheiten der

18
Bewegungen an sich. Chen Wangting hat die theoretischen Prinzipien des Taijiquan
jedoch nicht systematisiert, so dass an dieser Theorie wohl eher Zweifel angebracht
sind. Auch Xu Xuanping und Li Daozi, die während der Tang-Dynastie (618-907)
lebten, sowie Qi Jiguang (1568-1644) und Chen Bu (1528-1587) kommen als
Begründer des Taijiquan in Betracht. Die Diskussion darüber ist jedoch bis heute
nicht abgeschlossen.
Fest steht lediglich, dass das Taijiquan gegen Ende der Ming-Dynastie (1368-1644)
und Anfang der Qing-Dynastie (1644-1911) bekannter wurde. Dies ist ein allgemein
anerkanntes historisches Faktum. Zwar kam der Begriff des Taijiquan erst relativ spät
auf, gesichert ist aber, dass der Ursprung des Taijiquan in der Song-Dynastie (960-
1179) liegt oder sogar auf eine noch frühere Zeit zurückzuführen ist. Denn das
Taijiquan steht nicht nur mit der traditionellen chinesischen Philosophie in
Beziehung, sondern auch mit den traditionellen chinesischen Körperübungen und
dem Qigong, insbesondere mit der chinesischen Wushu-Kultur. Wushu,
früher ,,Shoubo" , ,,Jiji" oder ,,Wuyi" genannt, ist eine chinesische Kampfkunst,
deren Entstehung bis in die Dynastien Shang (1600-1066 v. Chr.) und Zhou (1066-
476 v. Chr.) zurückverfolgt werden kann (Ma Mingda, 1987, Seite 22). Das Taijiquan
kann also auf eine Geschichte von mehreren Jahrtausenden zurückblicken. Erst in
den Jahren des Übergangs von der Ming- zur Qing-Dynastie entwickelte sich das
Taijiquan zu einer selbständigen Art der Bewegungskultur. In seinem Werk ,,Über
das Taijiquan" setzte Wang Zongyue das Taijiquan mit der chinesischen Philosophie
und Kultur in Beziehung und schuf damit einen intellektuellen Überbau. Das
Taijiquan wurde in der Folge zu einer bedeutenden Kampf- und Bewegungskunst
(Ren Hai, 1997, Seite 97).
In der Schrift ,,Über das Taijiquan" finden sich Kategorien und Begriffe wie etwa
Taiji, Wuji, Yin und Yang, Geist, Bewusstsein, Ruhe und Bewegung, Sanftheit und
Gemächlichkeit oder das Anhaften. Einige dieser Begriffe werden von Wang erläutert,
zu anderen äußert er nur Grundgedanken. Zu den Begriffen, die der traditionellen
chinesischen Philosophie entstammen, kommen Ausdrücke wie der eines sanften und
gemächlichen Kräfteeinsatzes oder der des sich-Anheftens hinzu, die aus der Praxis

19
des Taijiquan selbst hervorgingen.
Was jedoch bedeuten diese Begriffe? Warum wurden sie in das Taijiquan eingeführt?
Wie fasste Wang Zongyue diese Begriffe auf? Eine eindeutige Antwort lässt sich in
dem Werk ,,Über das Taijiquan" nicht finden. Es erfordert einen intensiven
Denkprozess, ehe sich Fragen zum Taijiquan beantworten lassen, selbst die
Entwicklung neuer Ansätze ist für einen Taijiquan Meister zumeist langwierig.
Leider hat Wang Zongyue seine Gedankengänge nicht niedergeschrieben. Das was er
ausgelassen hat, soll nunmehr in Worte gefasst und durch Erläuterungen ergänzt
werden. Daher ist es erforderlich sich ein klares Bild von den Begriffen Taiji, Wuji,
Yin und Yang, der Bewegung und Ruhe sowie deren Beziehungen, Inhalten und
ursprünglichen Bedeutungen zu verschaffen. Anderenfalls lassen sich das Werk von
Wang Zongyue sowie andere Schriften des Taijiquan nicht sachgemäß verstehen.
Wang Zongyue schrieb: ,, Was das Taiji betrifft, so entsteht es aus dem Wuji. [Es]
hat den Zustand von Bewegung und Ruhe und ist die Mutter von Yin und Yang"
(Wang Zongyue, 1791, Seite 24). Das Verständnis von Taiji verdankte Wang
Zongyue vornehmlich Zhou Dunyi (1017-1073), einem der Begründer des Neo-
Konfuzianismus. Aus dem Buch ,,Das illustrierte Taiji" von Zhou Dunyi stammt
folgendes Zitat: ,,Von Wuji zu Taiji. Durch die Bewegung des Taiji entsteht Yang,
die äußerste Bewegung führt zur Ruhe, durch Ruhe entsteht Yin und die äußerste
Ruhe führt erneut zur Bewegung. Ruhe und Bewegung bedingen sich gegenseitig,
wenn sich Yin und Yang trennen, bestehen bereits die zwei Grundkräfte" (Zhou
Dunyi, ,,Illustrierte Lehre des Taiji", 1994, Seite 643). Mit seiner Schrift ,,Illustrierte
Lehre des Taiji" wollte Zhou Dunyi die ,,Große Abhandlung, das Yi-Buch der Zhou-
Zeit" erläutern, in welchem sich zum ersten Mal der Begriff des Taiji findet: ,,In den
Wandlungen gibt es den großen Uranfang. Dieser erzeugt die zwei Grundkräfte. Die
zwei Grundkräfte erzeugen die vier Bilder. Die vier Bilder erzeugen die acht
Zeichen" (,,Das Yi-Buch der Zhou-Zeit, Große Abhandlung", I. Abteilung, Seite
424). Hier wird Taiji (großer Uranfang) als die höchste Kategorie eingestuft. Wang
Zongyues und Zhou Dunyis Erklärungsansätze scheinen identisch zu sein, es bedarf

20
jedoch einer detaillierten Analyse, sie ist ein Anliegen der hier vorgelegten
Abhandlung.
In den Schriften zum Taijiquan finden sich diverse Meinungen über den
Bedeutungsgehalt des Begriffes Taiji. Chen Xin (1849-1929), der das Taijiquan im
Chen-Stil theoretisch zusammenfasste, schrieb folgendes: ,,Taiji und die zwei
Grundkräfte, Himmel und Erde, Yin und Yang" (Chen Xin, 1955, Seite 121). Nach
diesem Verständnis ist Taiji die höchste Kategorie und wird nicht zu Wuji in
Beziehung gesetzt. In diesem Zusammenhang führt der zeitgenössische Taijiquan-
Experte Kang Gewu aus: ,,In den Wandlungen gibt es den großen Uranfang. Dieser
erzeugt die zwei Grundkräfte." Dies bedeutet, dass das Taiji als Ursprung aller Dinge
anzusehen ist. Nach dieser Auffassung gab es einen großen Uranfang, bei dem die
zwei Grundkräfte noch nicht getrennt waren (Kang Gewu, 1990, Seite 50). Taiji wird
in diesem Kontext als Zustand beschrieben, der durch einen ,,Geist ohne Gestalt",
durch ,,Bewegung im Inneren und Ruhe im Äußeren" gekennzeichnet ist. Auch Yu
Gongbao, ein zeitgenössischer Wissenschaftler der Qigong- Bewegungskultur vertritt
die Auffassung: ,,dass die eingangs beschriebene These den ursprünglichen Zustand
der Entstehung aller Dinge beschreibe. In der Praxis des Taijiquan symbolisiert die
Standposition diesen Uranfang, mithin das Taiji; der Beginn der Bewegung hingegen
ist Ausdruck der Trennung der gegensätzlichen Kräfte. Wie Yang Chengfu meint,
,verkörpert das Taiji die Bewegung`. Für Chen Xin ist ,Taiji der erste Augenblick
und, auf den Körper bezogen, ein ruhiger Zustand, in dem man den Körper noch
nicht bewegt, dies jedoch zu tun gedenkt'" ( Yu Gongbao, 1999, Seite 153). Taiji
existiert damit objektiv. Ren Hai, ein zeitgenössicher chinesischer
Sportwissenschaftler äußerte sich zur Bedeutung des Begriffes Taiji wie folgt: ,,Das
Wort Taiji kommt zum ersten Mal im Yi-Buch der Zhou-Zeit vor. Mit Taiji ist das
trübe Element vor der Trennung von Himmel und Erde gemeint. Alle Dinge der Welt
stammen aus diesem Element. Für das Taijiquan macht man von dieser alles
umfassenden Taiji-Theorie Gebrauch um zu zeigen, dass diese Art Faustkampf dem
zwischen Himmel und Erde herrschenden Element zugrunde liegt und dass sie
genauso wie dieses Element zahlreiche Wandlungen ermöglicht, wobei das
Wesentliche jedoch unverändert bleibt. Es wundert mich nicht, wenn man Taijiquan

21
den philosophischen Faustkampf nennt" (Ren Hai, 1996, Seite 86-87).
Aus den oben genannten Ansichten ist zu ersehen, dass bei der Auslegung des
Begriffs Taiji nicht nur Wang Zongyues ,,Über das Taijiquan" und das ,,Illustrierte
Taiji" von Zhou Dunyi, sondern das frühe ,,Buch der Wandlungen" (Yi Jing) der
Zhou-Zeit" herangezogen worden sind. Die Ansichten beider weisen trotz einiger
Unterschiede Gemeinsamkeiten auf. Sie teilten nämlich die Auffassung, dass Taiji
eine objektive Existenz der Materie sei, die mit der Reihenfolge der Zeit zu tun habe;
Taiji sei ein trübes Element, überall zwischen Himmel und Erde, während das
Taijiquan eine Körperbewegung sei, deren Veränderungen und Übungen auf diesem
Element basieren. Was ist jedoch der tiefere Sinn des Wortes Taiji in den
,,Beigefügten Urteilen" (Xici-Zhuan) des Yi Zhuan? Ist dasselbe gemeint, wie es
Zhou Dunyi und Wang Zongyue ausgelegt haben? Das sind Grundlagen, über die
keine speziellen Darlegungen in den vorhandenen Taijiquan-Schriften existieren, die
aber für das richtige Verständnis der Taijiquan-Theorie zu klären sind.
1.1
Die Bedeutung des ,,Yi Zhuan" für die Taijiquan-Theorie ­ Der
ganzheitliche Aspekt des Taijiquans
Das ,,Yi-Buch der Zhou-Zeit (Zhou Yi ) besteht aus dem ,,Buch der
Wandlungen" (Yi Jing ) und dem ,,Kommentar zum Buch der Wandlungen" (Yi
Zhuan ). Das Buch der Wandlungen ist eine aus zwei Teilen bestehende
Anleitung zur Vorhersage zukünftiger Entwicklungen, welche Zeichen (Gua ),
Urteile ( Gua Ci), und Linienkommentare ( Yao Ci) enthält. Es wird der
Yin- und Zhou-Dynastie (1066-771 v. Chr.) zugerechnet. ,,Der Kommentar zum
Buch der Wandlungen" (722-481 v. Chr.) ist eine Sammlung von Texten, sie bestehen
aus den Namen sowie Entscheidungen ( Tuan Ci), den Urteilen zu den Zeichen
( Xiang Ci), den Beigefügten Urteile ( Xi Ci), den Kommentaren zu den
Textworten ( Wen Yan), der Anordnung der Zeichen ( Xu Gua), der
Besprechung der Zeichen ( Shuo Gua) und vermischte Zeichen ( Za Gua).

22
Diese Texte dienen zur Auslegung des Buchs der Wandlungen.
Bis heute ist ungeklärt, wann das ,,Buch der Wandlungen" entstanden ist und wer es
geschrieben hat. Es wird allgemein angenommen, dass das Buch nicht einem
einzigen Zeitalter entstammt sowie einer einzigen Person zuzurechnen ist, sondern
von mehreren Autoren verfasst wurde. In der ,,Geschichte der Han-Dynastie (206
v.Chr.- 9 n.Chr.)", dem Han Shu, heißt es, dass der legendäre Kaiser Fu Xi die acht
Zeichen ( Ba Gua) malte, König Wen der Zhou-Dynastie die acht Zeichen durch
mögliche Kombinationen zu 64 Zeichen ( Gua) erweiterte und zudem Urteile (
Gua Ci) und Linienkommentare ( Yao Ci) geschrieben habe. Auch Kong Zi
(Konfuzius) soll Erläuterungen zum Buch der Wandlungen verfasst haben. Diese
Behauptung lässt sich jedoch nicht belegen.
Das ,,Buch der Wandlungen" diente ursprünglich der Vorhersage zukünftiger
Ereignisse, wurde
im Laufe der Zeit durch die ergänzenden Kommentare jedoch zu
einem sogenannten ,,Weisheitsbuch". Während der Frühling- und Herbst-Periode
(722-481 v. Chr.) und der Zeit der Streitenden Reiche (403- 221 v. Chr.) begann man
für die Veränderungen der Dinge Erklärungen zu suchen. In den Auslegungs- und
Deutungshilfen, wie sie in ,,Zuo Qiumings Kommentar zu den Frühlings- und
Herbstannalen" (Zuo Qiuming, 722-454 v. Chr.) und im Buch ,,Guo Yu" (Zuo
Qiuming, 722-454 v. Chr.) zu lesen sind, finden sich bereits philosophische Ansätze.
Kong Zi zählte zu den Befürwortern solcher Studien (Zhu Bokun, 1987, Seite 1093).
Er schrieb: ,,Mit fünfzig würde ich anfangen, die ,,Wandlungen" zu studieren, und
würde das Leben kennen und weniger Fehler machen" (Konfuzius, ,,Gespräche",
1962 neue Auflage, Seite 76). Für ihn war das ,,Buch der Wandlungen" daher wohl
nicht nur ein Buch zur Voraussage zukünftiger Ereignisse, sondern auch eine
Morallehre. Xun Kuang (313-238 v. Chr.) zitiert des öfteren das ,,Buch der
Wandlungen" und erweitert dabei die Bedeutung der Zeichen und Auslegungshilfen,
hiervon machte er auch in der
philosophischen Diskussion Gebrauch. (Xun Kuang,
1991 neue Auflage, Seite 344).

23
In der Frühling- und Herbst-Periode und während der Zeit der Streitenden Reiche
studierten und kommentierten viele Leute die ,,Wandlungen". Ihre Äußerungen
wurden gesammelt und zusammengestellt. So entstanden Werke wie der
,,Kommentar zum Buch der Wandlungen". Das hierin enthaltene Gedanken- und
Erkenntnissystem ist Ausdruck der zeitgenössischen Ansichten der Chinesen über die
Gesellschaft, Mensch und Natur. Diese Ideen finden sich vor allem in
den ,,Beigefügten Urteilen" des ,,Kommentars zum Buch der Wandlungen". Wie
bereits erwähnt, fand das Wort Taiji zum ersten Mal in diesem Teil des Kommentars
Erwähnung. Um den Begriff des Taiji zu erfassen, ist es daher unerlässlich sich näher
mit dem Inhalt der ,,Beigefügten Urteile" zu beschäftigen.
1.1.1 Die Zahlen und Veränderungen im ,,Kommentar zum Buch der
Wandlungen"
Das Buch der Wandlungen war ursprünglich eine Art Wahrsagebuch zur
Vorausbestimmung zukünftiger Ereignisse. Das Kapitel IX der ,,Beigefügten
Urteile" des ,,Kommentars zum Buch der Wandlungen" befasst sich mit den
Methoden zur Weissagung. So heißt es dort: ,,Der Himmel ist eins, die Erde zwei, der
Himmel drei, die Erde vier, der Himmel fünf, die Erde sechs, der Himmel sieben, die
Erde acht, der Himmel neun, die Erde zehn. Zahlen des Himmels gibt es fünf, Zahlen
der Erde gibt es auch fünf. Wenn man sie auf die fünf Plätze verteilt, so hat jede ihre
Ergänzung. Die Summe der Zahlen des Himmels ist 25. Die Summe der Zahlen der
Erde ist 30. Die Gesamtsumme der Zahlen des Himmels und der Erde ist 55. Dies ist
es, was die Veränderungen und das Umgestalten vollendet und Dämonen und Götter
in Bewegung bringt" (,,Beigefügte Urteile", Chen Xuguo, 1991 neue Auflage, Seite
199).
Die Veränderungen von Natur, Gesellschaft und Mensch sind kompliziert und
vielfältig. Die Verfasser der ,,Beigefügten Urteile" hatten im Buch der Wandlungen
einige relevante Eigenschaften der Zahl entdeckt und versuchten mit Hilfe der Zahl
die Naturerscheinungen zu erklären und auf die Wandlungen des Menschenlebens
aktiv einzuwirken. Sie glaubten von der Addition gerader und ungerader Zahlen

24
gingen bestimmte Wirkungen aus.,,Die Gesamtsumme der Zahlen des Himmels und
der Erde ist 55. Dies ist es, was die Veränderungen und Umgestaltungen vollendet
und Dämonen und Götter in Bewegung bringt". Das heißt, mit den Kombinationen
der Zahl 55 wollte man die Erscheinungen und Veränderungen des Himmels und der
Erde vergleichen und das Orakel befragen, um Heil und Unheil in der Natur und der
Gesellschaft vorherzusehen und Entscheidungen für anstehende Handlungen zu
treffen. Nach den ,,Beigefügten Urteilen" sollten die Zahlen mit den Erscheinungen
der Natur und der menschlichen Gesellschaft in Beziehung stehen. Auch wenn zu
den damaligen Zeiten den Zahlen nicht vergleichbar wie heute in den
unterschiedlichsten Anwendungsfeldern Bedeutung zukam, glaubte man doch
gewisse, gar mystische Wirkungen der Zahlen zu kennen. So meinte man durch
Zahlenveränderungen die Komplexität der Natur und der Gesellschaft erfassen zu
können; die Zahlen könnten, von der Materie getrennt, allein existieren, durch die
Zahlen würden alle Dinge ins Leben gerufen und wären die Wandlungen der Dinge
vorherzusehen. Die wichtige objektive Rolle der Zahlen aufzudecken, die
Veränderungen der Dinge mit Hilfe der Zahlen zu errechnen und vorauszusagen und
die Gesetze der Veränderungen der Natur und Gesellschaft herauszufinden, das war
der Zweck des ,,Kommentars zum Buch der Wandlungen".
Der zweite Abschnitt des Kapitels IX der ,,Beigefügten Urteile" handelt von dem
Ablauf und den Prinzipien des Orakels mit Schafgarbenstengeln. Während des
ganzen Prozesses verändern sich die von Schafgarbenstengeln vertretenen
Zahlen. ,,Darum: Es sind vier Verrichtungen nötig, um eine Wandlung zu ergeben; 18
Veränderungen ergeben ein Zeichen" (,,Beigefügte Urteile", Deng Qiubai, 1993 neue
Auflage, Seite 419 ). Der ,,Kommentar zum Buch der Wandlungen" ist durch eben
diesen Begriff der Wandlung gekennzeichnet. Durch Beobachtung dieser
Veränderungen der in den Zeichen enthaltenen Bilder und der Striche bildete sich die
Vorstellung von der Wandlung und letztlich die Begrifflichkeit der Wandlung selbst,
welche zur Entstehung der alten dialektischen Gesichtspunkte wesentlich beigetragen
haben.

25
1.1.2 Die Bedeutung von Bildern und Symbolen im ,,Kommentar zum Buch
der Wandlungen"
Insbesondere ,,Bilder" sind kennzeichnend für den ,,Kommentar zum Buch der
Wandlungen". An vielen Stellen der ,,Beigefügten Urteile" finden sich
Beschreibungen von Bildern. Man liest zum Beispiel an einer Stelle: ,,So besteht das
Buch der Wandlungen aus Bildern" (,,Kommentar zum Buch der Wandlungen", Chen
Xuguo, 1991, Seite 201). An einer anderen Stelle: ,,Die heiligen Weisen vermochten
die wirren Erscheinungen unter dem Himmel zu erkennen. Sie beobachteten die
Formen und Erscheinungen und bildeten die Dinge und ihre Eigenschaften ab. Das
nannte man ,,die Bilder" (,,Kommentar zum Buch der Wandlungen", Chen Xuguo,
1991, Seite 200). Dies bedeutet, dass die für die Dinge geltenden Regeln,
insbesondere die für die Bewegung an sich geltenden Gesetze, sich in den Bildern
der Welt widerspiegeln (Deng Qiubai, 1993, Seite 431). Bilder sind dieser
Erläuterung nach Abbildungen von Zuständen existenter Dinge der Welt. Dieser
Schluss findet in den ,,Beigefügten Urteilen "seine Bestätigung: ,,Die Bilder sind
Nachbildungen" (,,Kommentar zum Buch der Wandlungen", Chen Xuguo, 1991,
Seite 201).
Diese Nachbildungen bzw. Bilder sind weder Abbildungen objektiver Erscheinungen
noch der menschlichen Gesellschaft. Sie sind ,,Wege (Dao)" oder ,,Gesetze (Li)",
die als Symbole bzw. Formeln die Dinge darstellen. Sie sind abstrakte Variablen. Ein
variabler Terminus lässt sich durch eine oder mehrere Kategorien ersetzen, soweit
bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Schon am Anfang der ,,Beigefügten
Urteile" heißt es: ,,Bewegung und Ruhe haben ihre bestimmten Gesetze, danach
werden feste und weiche Linien unterschieden. Die Ereignisse folgen entsprechend
ihrem Wesen bestimmten Richtungen. Die Dinge unterscheiden sich voneinander
nach bestimmten Klassen. Auf diese Weise entstehen Heil und Unheil. Am Himmel
bilden sich Erscheinungen, auf Erden bilden sich Gestalten, daran offenbaren sich
Veränderung und Umgestaltung" (,,Kommentar zum Buch der Wandlungen", Chen
Xuguo, 1991, Seite 201). In den ,,Beigefügten Urteilen" heißt es, jedes Ding gehöre

26
zu einer Klasse; Dinge, die zu einer oder mehreren Klassen gehören, könnten ein
gewisses Zeichen oder einen gewissen Strich vertreten, wenn sie bestimmte
Bedingungen erfüllten. Die Texte zu dem jeweiligen Zeichen und Strichen seien
Formeln, Wege oder Gesetze, die für die Dinge Geltung beanspruchten. Die
gesamten Wandlungen seien ein Satz von ,,Bildern", welche die Gestalt der
objektiven Welt einschließlich der diversen Gestalten des Himmels und der Erde, des
Menschen und der Tiere darstellen. Das bedeutet, dass das Wesen der Wandlungen
die Bilder selbst sind und das Wesen der Bilder die Symbole der Wandlungen.
Das ,,Buch der Wandlungen" spiegelt nicht nur Erscheinungen der Natur wider,
sondern auch gesellschaftliche Entwicklungen. Es enthält die Erkenntnis, dass die
Dinge im Universum und in der Gesellschaft komplex und veränderlich sind. Durch
Wege oder Gesetze, die sich durch Bilder und Zeichen veranschaulichen lassen, kann
die ursprüngliche Bedeutung der Dinge erkannt und als Anleitung für das richtige
Handeln des Menschen herangezogen werden. Bilder sind ein zentrales Element des
,,Buchs der Wandlungen". Sie zeigen die objektive Welt mittels Symbolen, welche
den Weg (Dao) bzw. das Gesetz (Li) widerspiegeln.
1.1.3 Der Begriff des Dao im ,, Kommentar zum Buch der Wandlungen"
In Anknüpfung an die im ,,Buch der Wandlungen" beschriebenen Methoden zur
Weissagung stellt der Kommentar zu diesem Werk die Welt in ihrer Gesamtheit dar,
der gewisse Veränderungsgesetze innewohnen. Anhand der Betrachtung der Natur,
der Gesellschaft und des menschlichen Lebens versuchte man diese Ganzheit zu
erfassen und aufzuzeigen. Insbesondere sollte der Beweis angetreten werden, dass
die Welt als Ganzheit existiert, der gewisse Veränderungsgesetze innewohnen,
welche erfahrbar und anwendbar sind.
In den ,,Beigefügten Urteilen" finden sich folgende Thesen: ,,in den Wandlungen
liegt der Anfang aller Dinge, die Wandlungen vollenden die Dinge und umfassen alle
Wege auf Erden. Dies und nichts anderes. Deshalb nutzten sie die Heiligen, um alle

27
Willen auf Erden zu durchdringen, alle Wirkungsfelder auf Erden zu bestimmen und
alle Zweifel auf Erden zu entscheiden. Darum gibt es in den Wandlungen das Taiji.
Das Taiji erzeugt die zwei Grundkräfte. Die zwei Grundkräfte erzeugen die vier
Bilder. Die vier Bilder erzeugen die acht Zeichen. Die acht Zeichen bestimmen Heil
und Unheil. Heil und Unheil bestimmen die Entwicklung aller Dinge"(,,Beigefügte
Urteile", Chen Xuguo, 1991 neue Auflage, Seite 199). Diese Thesen bringen den
wesentlichen Inhalt des ,,Buchs der Wandlungen" und dessen Kommentars zum
Ausdruck. Die Wandlungen umfassen alle Wege auf Erden, d.h. die Wandlungen
vollziehen sich entsprechend dem Wesen der Dinge. Das Wesen selbst weist auf die
Ursachen für die Veränderungen der Natur hin und führt zu einer natürlichen
Entwicklung der Gesellschaft und Natur.
Die Relevanz der ,,Beigefügten
Urteile" liegt gerade darin, dass sie den Begriff des Dao als Kategorie neben anderen
hervorheben und das Wort Taiji zum ersten Mal verwenden.
Was ist jedoch
mit dem Begriff des ,,Dao" gemeint? In Zeichen und Strichen, für die
man im ,,Buch der Wandlungen" nach einer Deutung suchte, sollte ein das Orakel
Befragender die Antwort auf seine Fragen finden. Die im ,,Buch der Wandlungen
enthaltenen Zeichen- und Auslegungshilfen sind Formeln bzw. Ausdrücke für
Zustände gleichartiger Dinge. Die Verfasser des Kommentars gingen einen Schritt
weiter, indem sie die Bedeutung eben dieser Formeln herausstellten. Ihrer Ansicht
nach vertrat jedes Zeichen eine Kategorie, jede Erklärung eines Zeichens bzw. jede
Auslegungshilfe eine Formel und jede Formel drückte Prinzipien der Natur, der
Gesellschaft und des Menschen aus. Diese Prinzipien nannten sie Wege oder Gesetze
(Feng Youlan, 1964(2), Seite 128).
Nach alledem lässt sich folgendes Zitat ,,darum gibt es in den Wandlungen das Taiji.
Dieses erzeugt die zwei Grundkräfte. Die zwei Grundkräfte erzeugen die vier Bilder.
Die vier Bilder erzeugen die acht Zeichen. Die acht Zeichen bestimmen Heil und
Unheil. Heil und Unheil erzeugen das große Wirkungsfeld" (,,Beigefügte Urteile",
Chen Xuguo, 1991 neue Auflage, Seite 199) aus dem ,,Kommentar zum Buch der
Wandlungen" so verstehen, dass es eine Formel, eine Kategorie ausdrückt, ein
Prinzip der Natur und der Gesellschaft, nämlich das Dao. Das heißt, dass das Taiji

28
hier keine Materie, sondern die Besonderheit der Entwicklung der Dinge
kennzeichnet, ein zusammenfassender Ausdruck für die Veränderung und den Grund
ist. Das Taiji ist der Weg bzw. das Gesetz nach welchem die Dinge sich ausrichten.
Das Taiji ist damit eine Abstraktion für alle Dinge. Das Taiji als Einheit teilt sich in
zwei Hälften, dann in vier und so weiter. Mit dieser Aufteilung entsteht der
Entwicklungsprozess. Dies ist eine Regel, genannt Dao, wonach sich alle Dinge
orientieren.
Im ,,Kommentar zum Buch der Wandlungen" findet sich weitere bedeutsame
Aussage: ,,Was einmal das Dunkle und einmal das Lichte hervortreten lässt, das ist
das Dao" (,,Beigefügte Urteile", Chen Xuguo, 1991 neue Auflage, Seite 196). Das
entspricht der Behauptung: ,,In den Wandlungen gibt es das Taiji. Diese erzeugt die
zwei Grundkräfte". Das Dao ist hier im Sinne des Taiji zu verstehen, das Dunkle und
das Helle, nämlich die zwei Grundkräfte. Dem korrespondiert die These, dass es in
den Wandlungen das Taiji gebe, welches die zwei Grundkräfte erzeuge. Dies stellt
das grundlegende Prinzip der Wandlungen dar. Das bedeutet, dass jede Ganzheit oder
jedes System in zwei Teile aufgeteilt werden kann und gleiches für diese zwei Teile
gilt. Dieses Prinzip folgt dem Grundsatz: Eins teilt sich in zwei. So ist es möglich,
alle Dinge, seien sie auch noch so komplex, zu analysieren. ,,Was einmal das Dunkle
und einmal das Lichte hervortreten lässt, das ist das Dao" (,,Beigefügte Urteile",
Chen Xuguo, 1991, Seite 196).
Dies ist das Hauptgesetz der Zusammensetzung und
Entwicklung aller Dinge.
Yin (das Dunkele) und Yang (das Helle) sind die wichtigsten Begriffe des ,,Yi-Buchs
der Zhou-Zeit". Im ,,Zhuang Zi", Kapitel Zhuang Zi ­ die Erde heißt es, ,,dass die
Wandlungen Yin und Yang erklären" (,,Lao Zi, Zhuang Zi, Lie Zi", Zhang Zhen,
1996, Seite 414). Mit Yin und Yang ist hier die Kategorie der gegensätzlichen Seiten
der Dinge gemeint. Das bedeutet, dass die Gegensatzbeziehung und Bewegung von
Yin und Yang, diesen zwei dem Wesen nach verschiedenen Teilen, die Ursache und
die treibende Kraft für die Herausbildung bzw. die Entwicklung der Dinge ist. Diese
Regel wurde Dao oder Gesetz genannt. Die von dem Dao verkörperten
Gesetzmäßigkeiten der Herausbildung und Entwicklung der Dinge erkannten die

29
Verfasser des ,,Kommentars zum Buch der Wandlungen", nachdem sie die
komplexen Erscheinungen in der Natur und Gesellschaft sowie in den menschlichen
Beziehungen betrachtet, analysiert und sich an den im Buch der Wandlungen
beschriebenen Methoden des Weissagung orientiert hatten. Im ,,Kommentar zum
Buch der Wandlungen" heißt es zudem, dass es möglich sein solle, mit Hilfe der
Gesetzmäßigkeiten und Erkenntnismethoden auf die das Dao hinweist, sämtliche
Dinge und Fragen zu unterscheiden und die Richtung der Entwicklung der Dinge zu
erfassen. Das Dao ist demnach das Gesetz der Dinge im Universum und in der
Gesellschaft, die Beziehung zwischen den Dingen selbst, die sich aus der Natur, der
Gesellschaft und den Menschen ergibt. Im ,,Kommentar zum Buch der
Wandlungen" wird ferner die Ansicht vertreten, dass die im Buch der Wandlungen
erwähnten 64 Zeichen und 384 Striche sowie die dem ,,Kommentar zum Buch der
Wandlungen" enthaltenen Kategorien, Symbole und Formeln das Dao der Dinge im
Universum verkörpern und die Beziehungen zwischen den Dingen wieder spiegeln.
Daraus folgt, dass die Aussage, dass es in den Wandlungen das Taiji gebe, welches
die zwei Grundkräfte erzeuge, die Wechselbeziehung zwischen den vom Dao
verkörperten gegensätzlichen Teilen der Dinge sowie die Gesetzmäßigkeit der
Einheit der Gegensätze beschreiben. Das Wort Taiji, also der große Uranfang, ist der
zusammenfassende Ausdruck der Regeln für die Entwicklung und Veränderung der
Dinge, welcher auf der Betrachtung vielfältiger und komplexer Erscheinungsformen
der Dinge basiert. In der chinesischen Philosophie bildet Taiji eine wichtige
Kategorie, die das Wesen der Dinge und deren allgemeine Beziehungen aufzeigen.
Hier heißt das Wort Taiji soviel wie Dao im Sinne einer anderen Bezeichnung für
Regel und Gesetz.
Die Kategorien Taiji und Dao wie oben beschrieben sind mittlerweile zu abstrakten
Begriffen geworden, ihr Bedeutungsgehalt wurde erheblich erweitert, indem sie sich
von konkreten Dingen der Natur, der Gesellschaft und des menschlichen Lebens
losgelöst haben. Die Abstraktion hat auf der einen Seite den Vorteil, dass diese
Begriffe auch in anderen Kontexten Anwendung finden können. Auf der anderen
Seite entsteht dadurch ein weiter Interpretationsspielraum. Der Bedeutungsgehalt der
Begriffe ist daher oftmals nur schwer zu erfassen, mitunter kommt es zu falschen

30
Auslegungen. Ersetzt man die Erscheinungen der Natur und Gesellschaft durch
allgemeine abstrakte Begriffe, führt dies häufig zu schematischen und
formalistischen Fehlern, was die Interpretation des Taijiquan erschwert.
1.1.4 Der dialektische Grundgedanke und die ganzheitliche Interpretation
des Taijiquan
Durch die Betrachtung der Natur und Gesellschaft und auch durch die Befragung des
Orakels versuchten die Verfasser des ,,Kommentars zum Buch der Wandlungen" die
den Veränderungen der Dinge innewohnenden Gesetzlichkeiten zu erfassen, um
mittels daraus neu gewonnener Erkenntnisse die im Buch der Wandlungen
enthaltenen dialektischen Ideen systematisch weiter zu entwickeln. Durch eben
dieses dialektische Gedankengut zeichnet sich der ,,Kommentar zum Buch der
Wandlungen" aus. Diese Ideen haben auch das Taijiquan geprägt.
Im ,,Kommentar zum Buch der Wandlungen" heißt es: ,,durch die Betrachtung der
Veränderung von Yin und Yang ensteht das Bild (Gua) bestehend aus mehreren
Zeichen, und einzelne Striche (Yao) entwickeln sich aus harten und sanften
Elementen" (,,Kommentar zum Buch der Wandlungen", Chen Xuguo, 1991, Seite
206). Mit den Zeichen sind die sich durch die Lichtverhältnisse verändernden Dinge
gemeint, mit den Strichen die Wechselwirkung zwischen den harten und sanften
Elementen. Einfacherer gesagt bedeutet dies, dass sich die Veränderungen der
Zeichen aus dem Gegensatz zwischen den negativen und positiven Strichen ergeben.
Mittels dieser Spiele erkannte man demnach die zwei gegensätzlichen Seiten eines
Dings sowie den jeweiligen Veränderungsprozess.
Im ,,Kommentar zum Buch der Wandlungen" wird die Ansicht vertreten, dass
Gleiches auch für die Veränderung sämtlicher anderer Dinge gelte. Jedes Ding habe
zwei Seiten, die dunkle und die helle Seite die gegensätzlich sind, sich aber zugleich
ergänzen (Feng Youlan, 1964, Seite 346).
Diese Ansicht hat die chinesische Philosophie erheblich geprägt. Ihre Wirkung auf
Wang Zongyues Schrift ,,Über das Taijiquan" ist offensichtlich. Wang Zongyue

31
schrieb: ,,Was das Taiji betrifft, so entsteht es aus dem Wuji.. [Es] hat den Zustand
von Bewegung und Ruhe und ist die Mutter von Yin und Yang". Und er fährt fort:
,,Bewegen sie sich, dann trennen [sie sich]; sind sie in Ruhe, dann [sind sie] vereint.
[Es soll] kein Zuviel oder Zuwenig [geben], folgt [man dem Gebeugten, [so erreicht
man] die Streckung. Ist der Gegner hart, bin ich weich; dies heißt Ausweichen. Ich
folge und der Gegner [kommt in seine] ungünstige [Position]; dies heißt sich-
Anheften. Auf schnelle Bewegung [folgt] schnelle Reaktion, auf langsame
Bewegung reagiert man mit langsamen Folgen. Obwohl die Änderungen unzählig,
bleibt das Prinzip [doch immer dasselbe]" (Wang Zongyue, 1791, Seite 24).
Bewegung und Ruhe, nicht mehr und nicht weniger, Krümmung und Ausdehnung,
Härte und Weichheit, vorteilhaft und nachteilig, das alles spiegelt die den Dingen
innewohnenden beiden Seiten wider, die miteinander in Gegensatz wie in
Wechselwirkung stehen. Der Gegensatz und die Einheit dieser beiden Seiten ergeben
die Bewegungen und Veränderungen in allen Dingen und treiben die
Körperbewegungskunst ­ Taijiquan voran. Mit Hilfe der traditionellen chinesischen
Philosophie, insbesondere aufgrund der im ,,Kommentar zum Buch der
Wandlungen" erwähnten Kategorien, Begriffe und Aspekte hat Wang Zongyue in
seinem Buch ,,Über das Taijiquan" seine Erfahrungen und Erkenntnisse analysiert
und dargelegt, so dass das Buch keine Zusammenfassung von allgemeinen oder
persönlichen Erfahrungen darstellt, sondern vielmehr ein verhältnismäßig komplettes
System der Theorie und Technik von Taijiquan vermittelt. Dieses System wurde von
den Taijiquan-Meistern des Chen-Stils, Yang-Stils, Wu-Hao Stils, Sun-Stils und Wu-
Stils übernommen, und Wang Zongyues Theorie des Taijiquan gilt bis heute als
klassisches Werk. In der Tat spiegelt das Buch ,,Über das Taijiquan" viele Prinzipien
und Regeln, die den Taijiquan-Übungen entsprechen.
Im ,,Kommentar zum Buch der Wandlungen" wird die Frage nach der Ursache für
die Veränderung der Dinge aufgeworfen. Zur Erklärung stellte man auf die in den
Dingen selbst vereinigten Gegensätze ab, welche sich gegenseitig bedingen und
letztlich die Veränderung verursachen. Was jedoch genau macht das Wesen dieser
gegensätzlichen Seiten aus und wie vollziehen sich die Veränderungen selbst? Diese
Fragen beantwortet das Werk wie folgt: ,,In den Wandlungen gibt es das Taiji. Dieses

32
erzeugt die zwei Grundkräfte. Die zwei Grundkräfte erzeugen die vier Bilder. Die
vier Bilder erzeugen die acht Zeichen. Die acht Zeichen bestimmen Heil und Unheil.
Heil und Unheil erzeugen das große Wirkungsfeld". Nach dieser These enthält das
Taiji zwei gegensätzliche Seiten, aus deren gegenseitiger Beeinflussung weitere
Erscheinungen resultieren. Daraus folgt, dass der Entwicklungsprozess der Dinge ein
Prozess ist, welcher sich aus der Spaltung und anschließenden erneuten Vereinigung
von Gegensätzen ergibt (Feng Youlan, 1984, Seite 347). Zu dem Schluss, dass die
Veränderungen auf die in den Dingen selbst angelegte Widersprüchlichkeit
zurückzuführen seien, gelangten die Verfasser des Kommentars durch die
Betrachtung der Dinge. Sie konkretisierten diese Wechselwirkung der
gegensätzlichen Seiten wie folgt: ,,Festes und Weiches verdrängen einander", ,,Festes
und Weiches reiben sich aneinander" und ,,die acht Zeichen lösen einander
ab" (,,Beigefügte Urteile", Chen Xuguo, 1991, Seite 201). Eben diese Formen von
Wechselwirkungen erzeugen die Wandlung der Dinge. Ohne Veränderung der einen
Seite entsteht keine gegenseitige Beeinflussung.
Diese Gedanken hatten großen Einfluss auf die Theorie und Methoden des Taiji.
Shen Jiazhen, ein Taijiforscher des letzten Jahrhunderts, hat in vieler Hinsicht die
Merkmale des Taijiquan im Chen-Stil erläutert: ,,Der ganze Körper muss aufrecht
sein, der Ober- und Unterkörper müssen durch den Hüftbereich als Achse
miteinander verbunden sein". Die Kraft kommt aus dem Rücken und der Taille, das
Bewusstein muss mit der Bewegung des Körpers eins sein, die Bewegungen müssen
ununterbrochen und fließend ausgeführt werden, von hart zu weich und umgekehrt,
demnach Härte und Weichheit verbinden, von langsam zu schnell und umgekehrt und
so Schnelligkeit und Langsamkeit in gleicher Weise betonen" (Shen Jiazhen, 1988,
Seite 5-59). Die Bewegungen des Taijiquan sind durch gegensätzliche Faktoren wie
oben und unten, hohl und massiv, innen und außen, hart und sanft, schnell und
langsam gekennzeichnet, die miteinander in Wechselwirkung stehen und einander
bedingen. Taijiquan besteht daher nicht nur aus sanften und langsamen Bewegungen.
So werden auch ,,Härte im Nachgeben" und ,,Nachgeben in der Härte" angestrebt. In
der Langsamkeit steckt zugleich die Schnelligkeit, in der Weichheit die Kraft.
Taijiquan zielt nicht allein auf die Bewegung des Inneren ab, es erfordert eine

33
harmonische Übereinstimmung zwischen dem Inneren und dem Äußeren, dem
Bewusstsein und dem Körper. Dieser ganzheitliche Ansatz stellt eines der
wesentlichsten Merkmale des Taijiquan dar. Es besteht aus Bewegungen, die sich
durch eben die Veränderungen von Gegensätzen auszeichnen, d.h. durch die
Aufspaltung der ursprünglichen Einheit von Yin und Yang selbst und ist daher
unmittelbar Ausdruck des im ,,Buch der Wandlungen" enthaltenen dialektischen
Grundgedankens. In manchen Schriften wird Taijiquan als ,,leichte und langsame
Bewegungen", als ,,Kampfkunst zur Stärkung der inneren Organe", als ,,Weg zur
Ruhe" und als ,,Innere-Faustkampfmethode" bezeichnet. Diese Beschreibungen
reduzieren das Taijiquan auf den einen genannten Aspekt und übersehen dabei die im
Taijiquan selbst angelegte Dialektik. Das Wesen des Taijiquan erhält gerade durch
die ihm innewohnenden Gegensätze seine Prägung, durch die Wandlungen der
Gegensätze, die ursprünglich eine Einheit bildeten. Hart und sanft, schnell und
langsam, innen und außen, Ruhe und Bewegung, eben diese Unterschiede und
Widersprüche führten zur Entwicklung des Taijiquan.
Im ,,Kommentar zum Buch der Wandlungen" wird weiterhin
festgestellt: ,,Veränderungen und das Umgestalten sind die Nachbildungen von
Fortschritt und Rückschritt" (,,Kommentar zum Buch der Wandlungen" Chen Xuguo,
1991, Seite 196). In den Veränderungen der Dinge erfolgt also eine Abbildung der
Entwicklung selbst. Weiter heißt es: ,,Wenn eine Wandlung an ihr Ende gelangt ist,
beginnt eine neue. Durch Veränderung wurde ein Zusammenhang hergestellt und
durch den Zusammenhang wurde Dauer erreicht" (,,Kommentar zum Buch der
Wandlungen", Chen Xuguo, 1991, Seite 201). Mit dem Begriff Ende ist der
Extrempunkt gemeint, den die Dinge infolge ihrer Entwicklung erreichen. Nach
Erreichen dieses Höchstmaßes verkehren sie sich in ihr Gegenteil. Zusammenhang
steht für eine neue Entwicklung der Dinge, die Herstellung eines neuen Bezuges,
nachdem sich die Dinge in ihr Gegenteil verwandelt haben. Unter Dauer ist die Zeit
zu verstehen, die diese neue Entwicklung beansprucht. Diese jedoch ist nicht ewig.
Irgendwann wird auch sie an ihr Ende gelangen. Die Dinge verkehren sich in ihr
Gegenteil, wenn sie ihren Extrempunkt erreicht haben. Nach dem Kommentar ist
dies ein Gesetz für die Veränderung der Dinge, gleichsam für Leben und Tod. Daher

34
stellt die Veränderung der Dinge einen Prozess dar, in dem sich die gegensätzlichen
Seiten ineinander verwandeln. Yin und Yang, Leben und Tod, Gedeih und Verderb,
Kommen und Gehen bilden diese jeweiligen gegensätzlichen Seiten.
Die
gegenseitige Verwandlung von Entstehen und Verschwinden der Dinge ist unendlich.
Ausgehend von dieser Theorie erläuterte Wang Zongyue: ,,Was das Taiji betrifft, so
entsteht es aus dem Wuji. [Es] hat den Zustand von Bewegung und Ruhe und ist die
Mutter von Yin und Yang". Hier wird der gegenseitige Verwandlungsprozess
zwischen dem Sein und Nichtsein bzw. der sie vertretenden Kategorien des Taiji und
Wuji umschrieben. Unter der Schlußfolgerung ,,Was das Taiji betrifft, so entsteht es
aus dem Wuji" ist eben diese Verwandlung von Sein und Nichtsein zu verstehen. Mit
anderen Worten bedeutet dies, dass sich das Taiji als Vertretung für die Einheit der
Dinge bildet, verändert und entwickelt, indem die unterschiedlichen Seiten einander
fördern und sich ineinander verwandeln. Die Kategorie des Taiji steht für die Einheit
an sich. Hier geht es nicht um die zeitliche Dimension, wann das Sein erstmals
entsteht, sondern um die Bedeutung dieser Einheit und um die in ihr angelegten
Widersprüche. Mit Sein ist nicht die Materie gemeint, genauso wie das Nichtsein
nicht im Sinne von ,,nichts vorhanden" zu verstehen ist.
Vielmehr geht es um die
zwei gegensätzlichen Seiten eines Dinges oder eines Widerpruchs. Das heißt, dass
Taiji aus Sein und Nichtsein, den beiden gegensätzlichen Seiten besteht, die einander
bedingen und sich ineinander verwandeln. Die Entstehung und Entwicklung von
Taiji ist ein Prozess, in dem die beiden in Taiji als Einheit enthaltenen
gegensätzlichen Seiten ­ Sein und Nichtsein ­ einander vorantreiben und sich
ineinander verwandeln. Darüber hinaus ist Taiji der Zustand von Bewegung und
Ruhe. Mit Zustand ist sowohl Ursache als auch der Prozess selbst gemeint. Taiji ist
also zugleich ein Prozess, in dem die gegensätzlichen Seiten ­ Bewegung und Ruhe
­ sich gegenseitig bedingen und ineinander verwandeln oder anders gesagt, die
Veränderung und Verwandlung von Bewegung und Ruhe sind die Ursache und die
treibende Kraft für die Veränderung und Entwicklung der von Taiji dargestellten
Einheit.
Mit dem Ausdruck ,,Mutter von Yin und Yang" beschreibt Wang Zongyue diese zwei
gegensätzlichen Seiten einer Einheit. Das unterschiedliche Wesen von Yin und Yang

35
begründet sowohl diese Widersprüchlichkeit als auch durch ihre Verbindung die
Einheit von Taiji. Da das Taiji den Yin/Yang-Gegensatz (Ruhe und Bewegung,
Nichtsein und Sein) in sich vereinigt, verändert es sich mit dem Beginn der
Aufspaltung in Yin und Yang selbst ebenfalls. Dies ist die eigentliche Ursache für die
ständige Veränderung des Taiji. Hier wird ersichtlich, wie sehr Wang Zongyue von
der traditionellen chinesischen Philosophie beeinflusst war, als er versuchte, die
Gesetzmäßigkeiten des Taijiquan zu erklären. Die Erkenntnis dass zunächst das Wuji,
dann das Taiji entstehe, das Taiji den Zustand von Bewegung und Ruhe habe und die
Mutter von Yin und Yang sei, machte deutlich, dass diverse Faktoren das Taiji
bestimmen, in dem sie sich gegenseitig beeinflussen und fördern. Eben ihr Gegensatz
und ihre Verwandlung ermöglichen dem Taijiquan die Wandlung und Entwicklung.
Diese sind zu erforschen und darzulegen, will man die Gesetzlichkeiten des Taijiquan
erfassen.
Im ,,Kommentar zum Buch der Wandlungen" findet sich ferner folgende
Aussage: ,,Als Erzeuger der Dinge heißt [der Weg (Dao)] die
Wandlung."(,,Kommentar zum Buch der Wandlungen", Chen Xuguo, 1991, Seite
197) Dies bedeutet dass sich alles in Bewegung, in einer ständigen Veränderung und
Wandel befindet. Wang Zongyue schrieb: ,,Ist [der Übende mit dem System] vertraut,
dann versteht er allmählich Jin. Versteht man diese Kraft, so folgt ein tiefes
Verständnis und ein vollständiges Beherrschen." (Wang Zongyue, 1791, Seite 24).
Das sind die drei Phasen, die der das Taijiquan Lernende zu durchlaufen hat, will er
diese Bewegungsform beherrschen. Die erste Phase besteht aus dem Erlernen der
Kampftechnik und der Kampfmethoden. Die zweite Phase ist gekennzeichnet durch
die Eigengesetzlichkeiten des Krafteinsatzes, die es zu erkennen gilt. Das Erreichen
der dritten Phase der Vollkommenheit führt zu einer Wesensänderung,
einem ,,qualitativen Sprung", der Übende beherrscht nunmehr das Taijiquan und
wird daher ,,heiliger Weiser" genannt. Nach Gu Fuhou, einem bekannten Taijiquan-
Forscher, erreicht der Übende dann den Höhepunkt, wenn er das Taijiquan so
praktiziert, wie es seinem Willen entspricht. Diese Einsicht beruht auf dem im
,,Kommentar zum Buch der Wandlungen" enthaltenen Gedanken, dass die den

36
Dingen innewohnende Veränderung nicht eine bloße graduelle Veränderung darstellt,
sondern eine qualitative Neuerung insbesondere bestimmt durch einen Gewinn an
Aktivität.
Was die Beziehungen zwischen Bewegung und Ruhe betrifft, hält der ,,Kommentar
zum Buch der Wandlungen" die Bewegung für wesentlich. Bewegung solle im
Vordergrund stehen. Das ist ein anderes Merkmal der dialektischen Gedanken im
,,Kommentar zum Buch der Wandlungen". Demnach ist Bewegung Ausdruck der
Kraft. Alle Handlungen und alle Errungenschaften im Universum beginnen also mit
Bewegung und sind deren Folge. Das Bewegung symbolisierende Zeichen heißt
Qian, das erste Zeichen (Gua) im Buch der Wandlungen.
Der Kommentar zu diesem
Bild besagt, dass die Macht der himmlischen Kräfte in der Bewegung
versinnbildlicht werde, mit deren Hilfe der edle Mensch unablässig bemüht sei,
seinen eigenen Charakter zu stärken (,,Kommentar zu den Bildern", Chen Xuguo,
1991, Seite 10). Dies bedeutet, dass man sich das Qian zum Vorbild nehmen soll um
die eigene Kraft aufzubauen. Eine vergleichbare Ansicht vertritt Wang Zongyue in
seinem Werk ,,Über das Taijiquan" wenn er schreibt, dass Taiji den Zustand von
Bewegung und Ruhe habe und die Mutter von Yin und Yang sei" (Wang Zongyue,
Seite 24). Das bedeutet, dass Taijiquan auf den Veränderungen basiert, die aus der
Wechselwirkung von Bewegung und Ruhe bzw. Yin und Yang resultieren. Damit
wird eine dualistische Weltanschauung ausgedrückt. Es wird die Wirkung sowohl
von Bewegung als auch von Ruhe herausgestellt. Auch in seinen anderen Schriften
vertrat Wang Zongyue stets den Standpunkt, dass das Taijiquan nur aus Sicht der
Bewegung und Veränderung zu begreifen sei. Insoweit war er der Auffassung:
,,Anhaften ist Nachgeben, Nachgeben ist auch Anhaften. Yin verlässt Yang nicht,
Yang verlässt Yin nicht, ergänzen sich Yin und Yang, so [führt] dies zum
Verständnis von Yin und Yang" (Wang Zongyue, 1791, Seite 24. Betont wird damit
weder die Wirkung von Yin noch die von Yang, sondern vielmehr die gegenseitigen
Einflüsse von Yin und Yang und deren Übergänge ineinander. In manchen Artikeln
über das Taijiquan wird die Meinung geäußert, dass das Taijiquan ausschließlich aus
sanften und langsamen Bewegungen bestehe oder dass beim Üben des Taijiquan
Ruhe im Vordergrund zu stehen habe. Tatsächlich ist mit Ruhe und Langsamkeit

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2005
ISBN (eBook)
9783832488932
ISBN (Paperback)
9783838688930
DOI
10.3239/9783832488932
Dateigröße
1.7 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Deutsche Sporthochschule Köln – unbekannt, Freizeitwissenschaft
Erscheinungsdatum
2005 (Juli)
Note
1,0
Schlagworte
jin-kraft herzmethode fünf wörter prinzip yang
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Titel: Taijiquan - eine neue Interpretation
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