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Antiamerikanismus in der Bundesrepublik Deutschland

©2002 Diplomarbeit 227 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Die Idee, die deutsche Variante des Antiamerikanismus zum Thema meiner Diplomarbeit zu machen, entstand bei der Zeitungslektüre nach dem 11. September 2001. Über Wochen und Monate tauchte das Schlagwort „Antiamerikanismus“ immer wieder in den Medien auf, wurde verwendet von und gegen recht unterschiedliche Personen und Gruppen verschiedener politischer Couleur, und war im Allgemeinen immer emotional besetzt.
Ein Blick auf die Geschichte des Antiamerikanismus als politischem Kampfbegriff zeigt, dass diese Keule zur Diskreditierung politischer Gegner in der Geschichte der Bundesrepublik ursprünglich in rechten Händen war, inzwischen aber auch mit links bedient wird und gegen fast alles und jeden eingesetzt werden kann.
Was sich aber genau hinter diesem Label verbirgt und welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit von Antiamerikanismus gesprochen werden kann, darüber ist man sich auch in der Fachwelt relativ uneins. Als Arbeitsdefinition gilt hier die generelle Ablehnung von etwas, weil es der Betrachter individuell als typisch amerikanisch identifiziert. Diese Ablehnung kann in der Regel den Bereichen Politik oder Kultur zugeordnet werden. Wichtig ist, dass mit zunehmender Emotionalisierung und Negativkategorisierung die Sachkritik verlassen wird und Kritiker mit verstärkter Übernahme von Vorurteilen in die habituelle Ablehnung „Amerikas“ abrutschen. Ein Blick auf die Erkenntnisse aus Vorurteils- und Stereotypenforschung liefert das theoretische Gerüst, mit dessen Hilfe das Phänomen des deutschen Antiamerikanismus interpretiert wird.
In einer historischen Analyse wird untersucht, warum ausgerechnet die Vereinigten Staaten von Amerika so anregend für den Aufbau von Vorurteilen in deutschen Köpfen sind. Als regelrechte Provokation wird bis heute das amerikanische Selbstverständnis aufgefasst, das einer akribischen Gegenüberstellung mit der „Realpolitik“ in den Augen vieler Kritiker nicht standhält. Der daraus entstehende „Entlarvungsdiskurs“ ist dann auch typisch für das Jahr nach dem 11. September 2001. Eine Untersuchung der gängigsten Themen ergab, dass besonders auf die Gegensatzpaare „Recht/Macht“ und „Moral/Interessen“ zurückgegriffen wird. Überraschenderweise ähneln sich Argumentationsmuster und Stereotype in den deutschen Qualitätsmedien trotz unterschiedlichen politischen Affinitäten sehr, aber auch die (vom Verfassungsschutz beobachteten) Publikationen an den rechts und links ausfransenden Rändern des politischen […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 8890
Schnieders, Barbara: Antiamerikanismus in der Bundesrepublik Deutschland
Hamburg: Diplomica GmbH, 2005
Zugl.: Universität zu Köln, Diplomarbeit, 2002
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2005
Printed in Germany

2 Barbara
Schnieders
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Inhaltsverzeichnis
I. Vorwort... 4
II. ,,Ein Gespenst geht um in Deutschland":
Antiamerikanismusdefinitionen ... 17
A. Inhaltsebene: Versuch einer Diskursanalyse ... 17
B. Funktionsebene: Antiamerikanismus als politischer Kampfbegriff ... 28
C. Interpretationsebene: Sozialpsychologische Erklärungen ... 34
1. Stereotypen und Vorurteile... 35
2. Drei Forschungsansätze... 38
3. Konsequenzen des Denkens in Stereotypen und Vorurteilen... 44
4. Fazit ... 46
D. Synthesevorschlag: ... 48
1. Begriffliche Alternativen... 48
2. Definition... 50
3. Anwendungsbeispiele... 53
III. Historische Analyse... 57
A. Extrinsische Komponente: Provokationen einer Supermacht ... 58
1. Gegen ,,Bad Guys", ,,Evil Empires" und die ,,Achse des Bösen":
Warum Amerikaner immer ,,die Guten" sind... 60
2. ,,Der USA die Maske vom Gesicht zu reißen": Der deutsche
Entlarvungsdiskurs ... 66
3. Kleine antiamerikanische Quellenkunde: Amerikas Aufstieg zur
Weltmacht aus deutscher Perspektive ... 80

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B. Intrinsische Komponente: Sicherheitsatlantiker und Kulturpessimisten ­
Bundesrepublikanische Ambivalenzen ... 90
1. Methodische Vorbemerkungen: Nationale Identität, Nationalismus und
Stereotype ... 90
2. Die Gründungs- und Konsolidierungsphase der Bundesrepublik: ... 94
3. Psychologische Interpretationsansätze: ... 113
4. Paradigmenwechsel? Drei Phasen antiamerikanischer
Ressentimentverdichtungen... 122
IV. Mögen Sie eigentlich die Amerikaner? Demoskopische Befunde ... 134
A. Vorbemerkung: Interesse und Informationsbereitschaft ... 136
B. Meinungen zur US-Außenpolitik: traditionelle Kritikmuster ... 142
C. Allgemeine Einstellungen zu den USA und den Amerikanern ... 151
D. Empirische Stereotypenforschung: Was die Deutschen von sich selbst
halten und wie sie die Amerikaner sehen ... 161
1. Stereotype Eigenschaften ... 162
2. Sozialpsychologische Erläuterungen ... 165
E. Fazit ... 184
V. Schlussbemerkungen ... 189

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Abbildungen und Tabellen
Abbildung 1: Analyseraster für Antiamerikanismusdefinitionen... 21
Abbildung 2: Synthesevorschlag Fadenkreuzdiagramm. ... 51
Abbildung 3: Illustrationsbeispiel ... 54
Abbildung 4: Antiamerikanische Elemente und Intensitäten ... 68
Abbildung 5: Interessieren Sie sich für Politik? ... 138
Abbildung 6: Informationsquellen über die USA... 140
Abbildung 7: Vermutete Motive hinter dem Marshallplan ... 145
Abbildung 8: Allgemeine Motive für internationales US-Engagement ... 146
Abbildung 9: Halten sie die Militäraktion gegen den Irak für gerechtfertigt? 149
Abbildung 10: Hauptmotiv der USA für einen Angriff auf den Irak. ... 150
Abbildung 11: Mögen Sie eigentlich die Amerikaner? ... 153
Abbildung 12: Kreuztabelle Einstellung zur US-Politik und den Amerikanern
... 154
Abbildung 13: Sind sie stolz darauf, Deutscher zu sein? ... 170
Abbildung 14: Einstellungen zu Amerikanern, US-Politik, Eigenschaften und
Kultur... 174
Abbildung 15: Einstellungen zu US-Politik, Amerikanern, und US - Kultur . 175
Abbildung 16: Meinungen über US-Präsidenten... 181
Abbildung 17: Mit welchen Ländern sollte Deutschland möglichst eng
zusammenarbeiten? ... 182
Abbildung 18: Rolle der USA und der EU als Supermächte... 186
Abbildung 19: Spezialisierung USA auf militärische Konflikte, EU auf
Entwicklungshilfe und Wiederaufbau? ... 187

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Abbildung 20: Baukastensystem Antiamerikanismus
191

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I. Vorwort
,,Schreckliches ist geschehen, ... doch die Wörter in den Reaktionen
haben mich ebenfalls erschreckt."
Günther Grass
1
Seit dem 11. September 2001 haben sich die deutsch-amerikanischen Bezie-
hungen auf dramatische Weise verschlechtert. Zwar waren schon im März 2000
ein Drittel der Bundesbürger der Meinung, dass Europa und die Vereinigten
Staaten von Amerika ,,immer weniger gemeinsame Ziele und Vorstellungen"
hätten.
2
Die Verantwortung für die ,,offensichtliche Verschlechterung des dip-
lomatischen Verhältnisses" zwischen den USA und der Bundesrepublik wird
aus deutscher Sicht mit einer absoluten Mehrheit von 63% hauptsächlich den
Amerikanern angelastet.
3
Sogar im Bundestagswahlkampf 2002 wurde das ge-
störte amerikanisch-deutsche Verhältnis zum Politikum. Kanzler Schröder habe
dabei, so der Umfrageforscher Klaus-Peter Schöppner, ,,aus parteitaktischen
Gründen bewusst das Feindbild USA [instrumentalisiert], weil er weiß, dass der
Mehrheit der Deutschen das Großmachtstreben des US-Präsidenten nicht ge-
fällt".
4
Die meisten Befragten waren sich im August 2002 jedoch einig, dass
nicht Wahlkampftaktik, sondern sachliche Gründe die strikte Ablehnung deut-
scher Beteiligung an einer Militäraktion im Irak motiviert hat.
5
Über zwei Drit-
tel der Wahlberechtigten, vor allem die jüngeren, fanden, Kanzler Schröder sol-
le auf seiner Position zum Irakkrieg beharren, selbst wenn dies in den USA of-
fensichtlich für Verstimmung sorgt.
6
Eine von amerikanischer Seite wiederholt
1
Grass in DER SPIEGEL 47/2001.
2
Allensbacher Jahrbuch 1998-2002.
3
Emnid 1/2 2003. In Ostdeutschland sind sogar 85% der Bevölkerung dieser An-
sicht. Selbst die Hälfte aller befragten Anhänger der CDU/CSU, in allen Umfragen
der US-Politik sehr freundlich gesonnen, bestätigt diese Schuldzuweisung.
4
Schöppner in Emnid 3/4 2003: 31.
5
Emnid 2002. Anderer Ansicht waren nur CDU/CSU-Wähler, von denen 52% für
die Option ,,Wahlkampftaktik" entschieden, und Nichtwähler, die mit 46% eben-
falls Parteistrategen am Werk sahen.
6
Infratest DeutschlandTrend Oktober 2002.

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angeführte historisch begründete moralische Verpflichtung Deutschlands, den
USA beim Sturz des irakischen Diktators beizustehen, lehnen 72% der Bundes-
bürger strikt ab.
7
Bemühungen zur Normalisierung der Beziehungen zwischen
den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik rechnet die absolute Mehrheit
der Deutschen zu den dringlichsten Aufgaben ihrer Regierung.
8
Was war geschehen, seit Bundeskanzler Gerhard Schröder den Amerikanern
unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ,,uneingeschränkte
Solidarität" zugesagt hatte? Ist der von der Washington Post geäußerte Ver-
dacht, dass ,,Anti-Americanism moves to ... political mainstream", tatsächlich
eine Erklärung für die ungünstige Entwicklung der deutsch-amerikanischen Be-
ziehungen?
9
Schon die unmittelbare mediale Rezeption der Terrorakte innerhalb der Ber-
liner Republik hat das Etikett ,,zutiefst ambivalent" verdient. ,,Gesinnungsmittä-
ter", ,,dumpfer Antiamerikanismus" aus ,,Schadenfreude", dies waren auch in
der Bundesrepublik Vorwürfe an jene, denen die ,,uneingeschränkte Solidarität"
mit der USA nicht geheuer war. Lehrer wurden wegen ,,antiamerikanischer Um-
triebe" suspendiert.
10
Selber ,,Taliban", ihr ,,Vasallen"
11
- höhnte es zurück.
Eine Diskussion um die Ursachen des Terrors beziehungsweise einen Zusam-
menhang mit der US-Außenpolitik dürfe ebenso wenig unterbleiben wie Mah-
nungen an die Adresse des US-Präsidenten, die Verhältnismäßigkeit der Mittel
zu wahren; Freiheit beginne schließlich mit der Freiheit des Wortes. ,,Kritische
Solidarität" mit den USA sei das äußerste, was sich mit einem selbständigen po-
litischen Intellekt vertrüge, Kritik gegenüber den USA sei außerdem ein
7
Emnid 1/2 2003.
8
Emnid 2002.
9
Frankel in WASHINGTON POST 11.2.2003.
10
Lentz in DIE WELT 15.9.2001; Gafron in DIE WELT 4.10.2001; Lechleitner in
DIE WELT 9.10.2001; DIE WELT 4.1.2002; Antiamerikanismus in NZZ
8.10.2001.
11
Bittermann in TAZ 14.03.2002.

8 Barbara
Schnieders
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,,Freundschaftsdienst".
12
An Innenminister Otto Schily wurde wegen seiner in-
toleranten Haltung gegenüber den Amerikakritikern das Prädikat ,,neuer Mc-
Carthy" vergeben.
13
Das Charakteristikum der deutschen Diskussion nach dem
11.09. sei, so DIE ZEIT, ,,dass sie auf merkwürdige Weise um sich selber krei-
se: Es wurde nicht einfach reagiert, es wurde auf Reaktionen reagiert, auf wirk-
liche, vorweggenommene oder unterstellte".
14
Der Antiamerikanismusvorwurf
steht im Zentrum der Auseinandersetzung und richtet sich zum einen gegen die
PDS und Friedensbewegte, manchmal sogar gegen die Regierungskoalition, und
zum anderen ganz allgemein gegen ,,Intellektuelle".
15
Verwirrt konnte man zur
Kenntnis nehmen, dass die Argumentationslinien der analysierten Printmedien
nicht entlang ihrer traditionellen weltanschaulichen Verortung verlaufen. So
mahnte DIE WELT mehr Besonnenheit an und warnte vor ,,anachronistischen
Vorwürfen" und ,,Verleumdungsversuchen" mit Hilfe des Antiamerikanismus-
vorwurfs. Bei Jungle World war man glücklich, im Namen des ,,Traum[es] von
individueller Freiheit" in den muslimischen Fundamentalisten ein gemeinsames
Feindbild gefunden zu haben: ,,Fanta statt Fatwa!". Und DER SPIEGEL geißel-
te den ,,Hass" auf die Amerikaner, der angeblich ,,längst zum guten Ton auf al-
12
Grass in DER SPIEGEL 47/2001. Sehr scharfe Kritik übt die Internetzeitschrift
ARRANCA 23/2001 in ,hate ist in the air ­ 11- September, Krieg und die antikapi-
talistische Bewegung', abrufbar unter
www.nadir.org
. Hinter dieser Internetadresse
verbirgt sich ein Zusammenschluss verschiedener linker Zeitschriften. Alle diese
Seiten stehen seit Jahren unter Beobachtung des Verfassungsschutzes, Rubrik
,,Linksextremismus".
13
Von Peter Sloterdijk und Hilmar Hoffmann (,,neuer Franz Josef Strauss"), für sei-
ne Bemerkungen in der Märkischen Zeitung über ,,wirklich schlimme Entgleisun-
gen gewisser intellektueller Kreise". Ross in DIE ZEIT 45/2001; Gaus in TAZ
17.9.2001; Werneburg in TAZ 22.9.2001; Seidel in TAZ 26.09.2001.
14
Ross in DIE ZEIT 45/2001.
15
Seidel in TAZ 26.09.2001; Bittermann in TAZ 14.3.2002; Kohl in DIE WELT
14.11.2001; Krauses Klartext in DIE WELT 24.11.2001; Kurbjuweit in Spiegel
43/2001; Assheuer in DIE ZEIT 40/2001.

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len Partys" gehöre.
16
Auffällig oft fand sich diesbezüglich der Hinweis auf ty-
pisch deutsche ,,alte Reflexe".
17
Der Komplex ,,Antiamerikanismus" erwies sich allerdings schnell als sehr
problematisch, denn er ist methodisch wie thematisch an der Schnittstelle zwi-
schen Sozial- und Geisteswissenschaften angesiedelt.
Zunächst ist der politikwissenschaftliche Rahmen abzustecken. Das Phä-
nomen des Antiamerikanismus ist vor dem Hintergrund zu interpretieren, dass
die deutsch-amerikanischen Beziehungen in den letzten Jahrzehnten eine unge-
wöhnliche Emotionalisierung erfahren haben. Freundschaft wird auf eine Art
und Weise zelebriert, dass sogar in seriösen wissenschaftlichen Publikationen
die Umschreibung ,,Liebesverhältnis" symptomatisch ist.
18
Jedes Lehrbuch über
internationale Beziehungen besteht jedoch darauf, dass Staaten keine Freunde,
sondern einzig Interessen hätten - ,,versöhnte Feindschaften", also Interessen-
ausgleich, seien das höchste der Gefühle.
19
Es ist also zu prüfen, ob es sich bei
Antiamerikanismus nicht lediglich um eine solche nationale Interessenvertre-
tung handelt, die vor dem Hintergrund des propagierten Freundschaftsverhält-
nisses als unziemlich und angesichts der deutschen Geschichte als undankbar
empfunden wird.
Nationenbilder mit ihren positiven wie negativen Aspekten sind aber auch
Teil der ,,politischen Kultur" eines Landes, ein ,,weicher Faktor", der die At-
mosphäre politischen Handelns bestimmt.
20
Sie sind die soziale Matrix, deren
16
Broder in DER SPIEGEL 17.9.2001; Dehning in DIE WELT 24.09.2001; Dürr
in DIE WELT 25.09.2001; Grass, Sloterdijk in DIE WELT 21.10.2001; JUNGLE
WORLD 43/01. Speziell der ,,Fanta statt Fatwa!"-Artikel wurde dort so kontrovers
rezensiert, dass die Interpretation einer ,,Spaltung" der Linken über diesem Thema
nicht aus der Luft gegriffen ist.
17
Merz in TAGESTHEMEN 17.02.2002; Dehning in DIE WELT 24.9.2001; Gaus
in TAZ 17.10.2001; Herzinger in DIE ZEIT 40/2001; Augstein in DER SPIEGEL
49/2001.
18
STERN (1986: 127, 130); Schmiese in DIE WELT 3.6.2000; Schneider in DIE
WELT 31.10.2001; Knauer (1987: 13).
19
Künhardt in Ashmann (2000: 16); Joffe (2001: 50).
20
Zur Analogie mit Nye's ,,soft power" siehe Oppelland (2000: 152).

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Einfluss auf die politischen Akteure der Politik zwar schwer zu bestimmen und
kaum untersucht ist, aber doch als vorhanden gilt.
21
Unbestritten ist auch der
Rückkopplungseffekt zwischen der Struktur der internationalen Beziehun-
gen und der Ausbildung und Entwicklung von nationalen Stereotypen. Das
beeinflusst wiederum die Wahrnehmung der Politik, so dass eine Art doppelter
Wirklichkeitsfilter entsteht.
22
Dieser Gedankengang wird durch eine Darstel-
lung verschiedener Aspekte sozialpsychologischer Stereotypenforschung theo-
retisch vorbereitet. Es ist also relativ unbedeutend, ob man der These vom Ü-
bergang der Staatenwelt zur Gesellschaftswelt
23
folgen möchte, das Ende der
Nationalstaaten heraufziehen sieht oder Dahrendorfs ,,Glokalisierungsprognose"
für plausibel hält. Das Bild von ,,den Anderen", den ,,Amerikanern" in seiner
Funktion als Mittel der Gruppendifferenzierung wird als Faktor des öffentlichen
Lebens seine politische Relevanz behalten.
24
Antiamerikanismus kann man aber auch interpretieren als direkte Reaktion
auf amerikanische Hegemonie, sowohl auf wirtschaftlichem als auch auf politi-
schem und militärischem Gebiet. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen dabei
die Bereiche ,,politische Kritik" und ,,psycho-cultural ... balancing".
25
Struktu-
relle Gegenmachtbildungen, etwa im Sinne eines Ausbaus europäischer Institu-
tionen und Militärkapazitäten, werden in der demoskopischen Analyse als Indi-
kator der Zufriedenheit und des Vertrauens den Vereinigten Staaten gegenüber
Krakau (1985:15) findet, dass man ,,internationale Beziehungen als interkulturelle
Beziehungen charakterisieren" kann.
21
Dobler (1989); Holsti (1962: 245); Stapf et al. (1986: 31f).
Die meisten Wissenschaftler halten jedoch die Konsistenz zwischen Einstellung
und Verhalten, in diesem Fall Antiamerikanismus und außenpolitischen Entschei-
dungen, für gering. Sontheimer (1985: 118); Link (1981: 85). Oppelland (2000:
151). Ausnahme sind hier Buchanan / Cantrill (1972).
22
Adams (1985: 10).
23
Dahrendorf in DIE WELT 20.07.2001. Mit ,,Glokalisierung" ist die gleichzeitige
Stärkung von globalen und lokalen Entscheidungsfindungsprozessen.
24
Dröge (1967: 114 ff). Siehe auch: Hoffmann in DIE ZEIT 42/2001.
25
Joffe (2001: 43).

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thematisiert. Im Wesentlichen geht es hier also um Emotionen und Mentalitä-
ten.
26
Was den übrigen sozialwissenschaftlichen Kanon betrifft, so werden für De-
finition und Interpretation des Antiamerikanismus als Stereotyp respektive Vor-
urteil sowohl die Sozialpsychologie als auch die Soziologie bemüht. Auf Über-
schneidungen und Abgrenzungen zur Nationalismustheorie wird im Text ver-
wiesen. Methodisch bin ich auf eine Sekundäranalyse von Umfragedaten an-
gewiesen.
Da nationale Vorurteile wie der Antiamerikanismus in seinen unterschiedli-
chen Ausprägungen auch ein Produkt der historischen Entwicklungen sind,
muss die Geschichtswissenschaft mit ihren Subdisziplinen wie historischer
Stereotypenforschung, Mentalitätsgeschichte, Diplomatiegeschichte und Anth-
ropologie ebenfalls einbezogen werden. Methodisch relevant sind vor allem
Techniken der Quellenanalyse, etwa Komparatistik und Hermeneutik,
27
die
hier implizit angewendet werden und auf die später nicht mehr konkret einge-
gangen werden kann.
Ein Problem bei der Konstruktion dieser Arbeit ergab sich aus dem Fehlen
wissenschaftlicher Arbeitsvorlagen. Über Antiamerikanismus ist zwar viel
geschrieben worden, aber meistens aus sehr geringer Distanz. Parteipolitische
Färbungen schimmern durch, einiges artet in Polemik aus - und manchmal ist
sogar der Hinweis, man halte ,,kein Sachbuch" in den Händen, freundlicherwei-
se gleich auf den Einband gedruckt.
28
Eine allgemein akzeptierte Definition von
Antiamerikanismus und seinen verschiedenartigen Ingredienzien ist nicht vor-
handen. Deswegen ist es nötig, eigene Operationalisierungsmethoden zu finden.
Ein weiteres Problem ist die komplizierte Quellenlage. Da der Begriff An-
tiamerikanismus der öffentlichen Diskussion entlehnt ist, kann ich ohne syste-
26
Jäger (2000); Rodman (2000: 36).
27
Oppelland (2000: 113 f).
28
Herzinger / Stein (1995); Hollander (1992). Die Motivation Hollanders besteht
darin, Antiamerikanismus zu kritisieren und die wichtigsten Argumente zu widerle-
gen.

12 Barbara
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matische Inhaltsanalyse zum Beispiel der Printmedien seit Gründung der BRD
auch keine detaillierte Diskursanalyse liefern. Außerdem ist Antiamerikanismus
nur in den allerseltensten Fällen eine Selbstbezichtigung.
29
Folglich ist die kriti-
sche Quelleninterpretation ein großes Dilemma, weil ich selbst bewerten muss
was antiamerikanisch ist und was gerade noch als Kritik durchgeht. Selbst Se-
kundärliteratur kann unter diesen Umständen als Primärquelle gelten, soweit
auf die Prädisposition des Autors geschlossen werden kann.
Diese Prädispositionen lassen sich jedoch nicht immer an den parteipoliti-
schen Einstellungen ablesen. Überhaupt wird sich im weiteren Verlauf dieser
Arbeit zeigen, dass die grobrastrige Einteilung in ein politisches rechts/links-
Schema im Bezug auf Antiamerikanismus wenig hilfreich ist. Bei der Selektion
der Zitate ist deshalb darauf geachtet worden, dass beide Seiten gleichermaßen
zu Wort kommen. Neben Publikationen des jeweiligen ,,lunatic fringe" an bei-
den Enden der politischen Skala werden Pressestimmen aus dem konservativen,
liberalen, und linken Lager eingearbeitet.
30
Auf diese Weise werden Beweisket-
ten nach dem ,,eins-rechts-eins-links-Strickmuster" zusammengestellt. Unter die
Kategorie ,,rechts" werden im folgenden Text sowohl rechtsradikale Parteien
wie die Republikaner als auch konservative wie CDU und CSU subsumiert.
Auch die Bezeichnung ,,links" deckt das gesamte Spektrum von linksradikalen
Gruppierungen bis zur SPD ab.
Literarische Quellen, ,,veröffentlichte" Meinung also, sind Individualmei-
nungen einer gesellschaftlichen Gruppe, die gerne als ,,intellektuell" bezeichnet
wird.
31
Ihre Beiträge sind schichtspezifisch, wenn auch durch die politische
29
Ausnahme: Merchtesheimer (1991: 105-120).
30
Es handelt sich hierbei nicht um systematische quantitative Inhaltsanalysen. Pri-
mär ging es mir darum, Ähnlichkeiten im Argumentationsmuster.
31
Leonhardt (1987: 480); Hasler (1985: 21f); Markovits (1984: 4f); Sontheimer
(1985: 118); Diner (1993: 20f, 32); Kramer in FAZ 11.04.1986. Was die Definition
von ,,intellektuell" betrifft, folge ich den Ausführungen Schumpeters: ,,Die Schwie-
rigkeit [der Definition] ist in der Tat symptomatisch für den Charakter dieser Spe-
zies. Die Intellektuellen sind nicht eine soziale Klasse in dem Sinne, wie die Bauern
oder Industriearbeiter soziale Klassen bilden; sie kommt aus allen Ecken und Enden

Antiamerikanismus in der Bundesrepublik Deutschland
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Kultur vorgeformt. Der Verbreitungsgrad, die unmittelbare Wirkung literari-
scher oder populärwissenschaftliche Abhandlungen über die USA, sowie die
Multiplikatorwirkung durch die Tagespresse und vor allem das Feuilleton ist
kaum abzuschätzen.
32
Unklar ist überhaupt der Einfluss der Massenmedien auf Nationenbilder, al-
so ob sie lediglich schon vorhandene Stereotype transportieren beziehungsweise
verstärken oder ob sie ihrerseits neue generieren, die stärker von der Haltung
ihrer Produzenten, jener ,,Intellektuellen" abhängen. Die Stellungnahmen diver-
ser Sozialwissenschaftler zu diesem Themenkomplex sind relativ uneinheit-
lich.
33
Dieses Dilemma leitet zu den Problemen der quantitativen Analyse von
Nationenbildern über. Die gesteigerte Verfügbarkeit von Massenmedien in der
Geschichte der Bundesrepublik, etwa des TV, versorgt mehr Menschen mit In-
formation über die USA und außenpolitische Themen. Dies lässt aber neben der
klassischen ,,außenpolitischen Öffentlichkeit" eine ,,erweiterte außenpolitische
Öffentlichkeit" entstehen ­ eine Bevölkerungsgruppe, die sich nicht sehr inten-
siv mit Sachthemen und Hintergründen befasst, aber oberflächlich ,,Bescheid
weiß". Bezogen auf Umfragedaten über das Verhältnis der Deutschen zu den
USA und den Amerikanern, die seit den frühen 50ern in recht unterschiedlicher
Detailliertheit vorliegen,
34
resultiert daraus ein Interpretationsproblem. Denn
die Meinungen dieser ,,erweiterten Öffentlichkeit" über die USA sind recht in-
stabil und werfen verstärkt das Problem der ,,Nicht-Meinungen" auf, während
generelle Einstellungen als konstant vorausgesetzt werden müssen.
35
Nicht zu
der sozialen Welt, und ein großer Teil ihrer Tätigkeit besteht darin, sich gegenseitig
zu bekämpfen ...". Schumpeter (1950: 236f).
32
Fraenkel (1959: 15f).
33
Krakau (1985: 13); Behrmann (1984: 6, 13). Duijker / Frijda (1960: 5). Vgl. zur
Medienwirkungsforschung Schenk (2002).
34
Zum Problem der Sekundäranalyse bereits vorhandenen Datenmaterials siehe
Stewart / David (1987). Über sonstige drawbacks informiert Keller (2001).
35
Dobler (1989: 11); Converse (1970: 168-189); Haftendorn (1985: 134-154); Mül-
ler (1986: 35f, 40).

14 Barbara
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vernachlässigen bei der Analyse von Umfragen ist außerdem der ,,sponsorship
bias", besonders da einige der verwendeten Studien in Auftrag gegeben wurden,
um die Hysterie in den frühen 80ern um den deutschen Antiamerikanismus zu
widerlegen.
36
Aufgrund dieser Ausgangslage habe ich mich für eine hermeneutische Ar-
beitsweise entschieden, bei der ich mich der unterschiedlichen Methoden und
Interpretationsansätze nach Bedarf bediene. Ziel ist die Vermittlung eines Ge-
samtüberblicks zum Thema Antiamerikanismus unter Berücksichtigung der fol-
genden Fragen.
1. Was verbirgt sich hinter dem Begriff ,,Antiamerikanismus"?
Zur Klärung wird zunächst ein Screening der verfügbaren Literatur durchge-
führt und nach wesentlichen Kriterien systematisiert. Nachdem keine zufrie-
den stellende Definition destilliert werden konnte und die Interpretations-
vielfalt nur zur Konfusion beiträgt, soll die alltagspolitische Anwendung des
Begriffes ,,Antiamerikanismus" untersucht werden. Aus diesen Instrumenta-
lisierungsfunktionen sollen Rückschlüsse auf das ,,Vulgärverständnis" des
Begriffes gezogen werden. Dieses allgemeine Verständnis legt nahe, Anti-
amerikanismus unter ,,nationales Vorurteil" zu rubrizieren. Also schließt sich
ein Theoriekapitel über Vorurteile, Stereotypen und die Bedingungen sozia-
ler Wahrnehmung an. Im Verlauf der weiteren Ausführungen wird auf die in
diesem Kapitel vorgestellte Terminologie zurückgegriffen werden. Ein Syn-
thesekapitel mit einer für diese Arbeit gültigen Antiamerikanismusdefinition
schließt die Überlegungen zu diesem Komplex mit einigen illustrativen Bei-
spielen ab.
2. Welche Beziehung besteht zwischen Antiamerikanismus und der realen
politischen Ereignisebene?
36
Crespi (1950: 151-178). Ein anderes Beispiel ist eine Studie der Friedrich Ebert
Stiftung, die die Vermutung über einen um sich greifenden Antiamerikanismus un-
ter Beteiligung der SPD widerlegen sollte. Sinus (1985: IV).

Antiamerikanismus in der Bundesrepublik Deutschland
15
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Diese Frage zielt auf einen Anlass-Reaktionszusammenhang von antiameri-
kanischen Ressentiments und der US-amerikanischen Außenpolitik. Dabei
sind nicht nur reale politische Ereignisse von Bedeutung, sondern auch ihre
Interpretation durch die Bundesbürger. Relevant ist in diesem Zusammen-
hang, welche Motivationen den Amerikanern unterstellt werden und ob diese
als Gegensatz zu den von der US-Regierung verkündeten moralischen Hand-
lungsmaximen interpretiert werden. Ein historischer Überblick zeigt, dass
die antiamerikanischen Elemente, die seit dem 11. September 2001 in der
Presse zu finden waren, eine lange Tradition haben und bereits zu Zeiten der
Weimarer Republik voll ausgeprägt waren. Aufgrund der Ähnlichkeit der
Argumente im rechten wie linken politischen Spektrum wird eine ausgewo-
gene Auswahl der belegenden Quellen angeboten. Ein kurzer demoskopi-
scher Überblick über die allgemeine Verbreitung antiamerikanischer Einstel-
lungen in der bundesdeutschen Bevölkerung zeigt, inwieweit die Skepsis ge-
genüber der US-Außenpolitik Bestandteil der politischen Kultur geworden
ist.
3. Lassen sich im Erscheinungsbild und in der Genese antiamerikanischer
Stereotype typisch deutsche Komponenten nachweisen?
In diesem Kapitel wird zunächst ein Blick auf die Anfangsjahre der Bundes-
republik geworfen. Die Einstellungen auf politischer wie kultureller Ebene
werden kurz erläutert. Die Ambivalenz den Vereinigten Staaten gegenüber
auf dem kulturellen Sektor wird durch einen Rückblick auf die etwas kom-
plizierte Nation-Building-Phase Deutschlands erklärt. In diesem Zusammen-
hang wird mit dem Begriffspaar ,,Kulturnation" versus ,,Staatsnation" ope-
riert werden, das zeigt, dass sich die Deutschen schon früh und sehr bewusst
von den Amerikanern und vor allem von deren Kultur abgesetzt haben. An
dieser Stelle wird auch der Begriff ,,Nationalismus" relevant. Zentral ist die
These vom Antiamerikanismus als Synonym für Antimodernismus. Im An-
schluss an diese historische Analyse wird anhand von psychodynamischen
Erklärungsmodellen der Frage nachgegangen, warum die Deutschen sich ei-

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Schnieders
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nerseits sehr den USA orientieren, andererseits bestimmte Elemente der a-
merikanischen Politik und Kultur so vehement ablehnen. Das Interpretati-
onsmodell der nationalen Identität wird an dieser Stelle wieder aufgegriffen
und durch den Nationalismusbegriff ergänzt. Abschließend werden kurz die
drei Hauptphasen bundesdeutschen Antiamerikanismus vorgestellt.
4. Angenommen, man führte aufgrund demoskopischer Erhebungen eine
Rasterfahndung nach ,,dem Antiamerikaner" durch ­ welche Bevölke-
rungsgruppen gerieten ins Visier?
Anhand der Theorien zur Vorurteils- und Stereotypenforschung sollen an-
hand demoskopischer Untersuchungen Bevölkerungsgruppen identifiziert
werden, die den Amerikanern und den Vereinigten Staaten ablehnend gege-
nüberstehen. Zunächst werden Meinungen der Bundesbürger zusammenge-
tragen, um ein Muster in der Bewertung von U.S.-amerikanischer Außenpo-
litik zu suchen. Mit Hilfe von Eigenschaftenlisten sollen dann Auto- und He-
terostereotype der Deutschen von sich selbst und den Amerikanern ermittelt
werden. Dabei wird auf das Konzept der nationalen Identität zurückgegriffen
und die Validität der sozialtheoretischen Thesen am Beispiel der deutsch-
amerikanischen Selbst- und Fremdbilder getestet. Es fällt auf, dass beide
Stereotypenkomplexe ungewöhnlich starr und veraltet wirken. Dies wird in
Beziehung gesetzt zur relativ schwach ausgeprägten Identifizierung der
Deutschen mit ihrer Nationalität. Einen Ausweg bietet die isolierte Betrach-
tung des Kulturbereiches, der einen prominenten Platz im Selbstbild der
Deutschen einnimmt. Zudem fühlen sie sich den Amerikanern hier traditio-
nell überlegen. Abschließend werden die Einschätzungen der deutsch-
amerikanischen Beziehungen untersucht, ebenso wie das Vertrauen bezie-
hungsweise das Misstrauen, das die Deutschen den Amerikanern entgegen-
bringen.

Antiamerikanismus in der Bundesrepublik Deutschland
17
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II. ,,Ein Gespenst geht um in Deutschland"
37
: Antiamerikanismusdefinitionen
"Anti-Americanism is an amorphous, wholly subjective, feeling. It is
therefore difficult to agree on an acceptable definition. For my part I
approach it as one of our Supreme Court justices approached pornog-
raphy; I can't define it but I sure can recognise it when I see it. And
nowadays I see a lot of it ..."
U.S.-Botschafter Charles Price
38
A. Inhaltsebene: Versuch einer Diskursanalyse
Ein offensichtlicher Fan von Verschwörungstheorien gab in der Anonymität ei-
nes Internetforums seine Überzeugung zum Besten, das diskriminierende Wort
,,Antiamerikanismus" sei ,,offensichtlich von US-Amerikanern selbst eingeführt
worden", um die Europäer zu ärgern und zu beschämen.
39
Entkräften kann diese
Behauptung mit Hilfe einer Diskursgeschichte niemand, denn es ist völlig un-
geklärt, auf wessen Konto die Wortschöpfung ,,Antiamerikanismus" geht oder
wann der Begriff zum ersten Mal in der öffentlichen Diskussion in Deutschland
oder anderswo aufgetaucht ist.
40
Es scheint sich um eines dieser ,,ideell besetz-
te[n] und international ausgeweitete[n] Schlüsselworte" zu handeln, die ,,in vie-
len Sprachen zu Zauberwörtern aufsteigen oder gemacht werden".
41
Der Begriff
,,Antiamerikanismus" ist mit Sicherheit nicht aus der wissenschaftlichen Dis-
kussion in den Einflussbereich der Politik und der Massenmedien abgerutscht,
wo er als Streitbegriff spätestens seit Ende der siebziger Jahre geradezu inflati-
onär verwendet wird, sondern umgekehrt.
42
Das Phänomen respektive das Label
37
Bax in TAZ 24.9.2001; Augstein in DER SPIEGEL 49/2001; Fest in FAZ
29.9.1990; Hasler (1985: 1); Schwan (1999: 22).
38
Price in THE GUARDIAN 22.3.1987.
39
www.antiamerikanismus.de
(anonyme Beiträge).
40
Kremp in DIE WELT 21.2.2002, Reuband (1985: 47). Andere Quellen, die sich
mit dem Phänomen Antiamerikanismus befassen, umgehen diesen Aspekt mehr o-
der minder stilvoll, indem sie von einer Begriffsgeschichte absehen.
41
Bracher (1978: 17).
42
Schwan (1999: 18). Gassert (2001: 751).

18 Barbara
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Antiamerikanismus hat seinen Ursprung in der tagespolitischen Auseinander-
setzung.
Eine merkwürdige Zurückhaltung ist bei den Verfassern von Fachlexika
festzustellen, sich mit diesem Thema zu befassen. Weder das ,,Staatslexikon",
noch das ,,Lexikon der Politik", das ,,Sachwörterbuch der Politik" oder ,,Ge-
schichtliche Grundbegriffe", nicht einmal die Enzyklopädie ,,Sowjetsystem und
demokratische Gesellschaft" führt einen Eintrag.
Der alternative Versuch, den Begriff Antiamerikanismus semantisch zu zer-
legen und aus der Erklärung von ,,Amerikanismus" die Bedeutung der Anti-
Haltung abzuleiten, scheitert ebenfalls und stiftet eher noch mehr Verwirrung.
Sowohl ,,Amerikanismus"
43
als auch die oft synonym gebrauchte Bezeichnung
,,Amerikanisierung"
44
sind in ihrer Interpretation zu vielfältig, um eine eindeu-
tige Definition zuzulassen. Außerdem ist ihre historische Provenienz ebenfalls
nicht verbürgt und ihre Politisierung im Verlauf ihrer Geschichte nicht geringer
als die des Begriffes Antiamerikanismus. Ist zum Beispiel Amerikanismus im
Sinne einer amerikanischen ,,Ziviltheologie"
45
, einem besonderen Set von Nor-
men und Werten zu deuten, denen die (US-)Amerikaner anhängen? Dagegen
spräche, dass selbst McCarthy zu ,,antiamerikanischen Umtrieben" wenig mehr
als ,,kommunistisch", synonym für ,,politisch unkorrekt", eingefallen ist.
46
An-
tiamerikanismus als Gegenbewegung zu einer von außen oktroyierten ,,Ameri-
43
Die Herkunft dieses Begriffes ist ebenfalls unklar. Mal wird er wie von Gassert
(1999: 530 ff) zurückgeführt auf William T. Steads ,,The Americanization of the
World, Or, The Trend of the Twentieth Century" von 1902. Andere Autoren neh-
men an, dass das Wort ,,Amerikanisierung" bereits um 1850 in ganz Europa ver-
wendet wurde. Vgl. auch Cunliffe (1991: 323f).
44
Verstanden als Ausdruck eines ,,intellektuellen Transfers" von Amerikanismen
(Produkte, Institutionen, Normen, Werte, Gebräuche, Verhaltensweisen, Verfah-
rensnormen, Symbolen und ,,icons"), vgl. Gassert (1999: 531). Was am Ende dieses
Prozesses jetzt genau ,,amerikanisch" gewesen sei, dass könne, so Ermath, wohl
nicht einmal mehr mit Hilfe von Oral-History-Methoden geklärt werden. Maase
(1997: 224).
45
Gebhard (1976: 148).
46
Schrecker (1999).

Antiamerikanismus in der Bundesrepublik Deutschland
19
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kanisierung" zu sehen greift ebenfalls zu kurz, schließlich wird niemand mit
Gewalt in McDonalds-Filialen oder zum Konsum von Pop-Musik gezwungen.
47
Jedenfalls gehört ,,Amerikanismus ... anscheinend nicht zum Grundwortschatz
der Begriffe, mit denen Amerikaner oder Nicht-Amerikaner sich über die Ver-
einigten Staaten verständigen".
48
Ergänzend ist auch die Frage zu stellen, warum die USA das einzige Land
der Welt sind, das ein eigenes ,,Anti"-Präfix verdient hat.
49
Das Amerikanische
sei als idealer Sündenbock geeignet, so die simple Feststellung Ludwig Marcu-
ses, ,,weil es überall da ist"
50
, und außerdem die Amerikaner weltweit ,,in jeden
Konflikt verwickelt" seien.
51
Symptomatisch für Antiamerikanismus sei deshalb
der generalisierende ,,Vorwurf an die USA, für alle Übel der Welt ursächlich zu
sein": ,,Was die Amis tun ist falsch". Immer.
52
Der Einwand Henry Kissingers,
dass dies jeder Regel der Wahrscheinlichkeitsrechnung zuwiderlaufe, kann ig-
noriert werden. Schließlich geht es hier nicht um verifizierbare Tatsachen, son-
dern um subjektive Einstellungen von Individuen.
53
Da sich der Dispositionsbegriff Antiamerikanismus offensichtlich nicht aus
sich selbst heraus erklären lässt, werden im folgenden Analyseschritt die Positi-
onen von Experten gegeneinander abgewogen, die von populär- und realwissen-
schaftlicher Warte aus versucht haben, eine Definition zu konstruieren.
47
An dieser Stelle sei an die bei Kulturwissenschaftlern beliebte ,,black box" erin-
nert, in der kulturelle Symbole aus ihrem Kontext gelöst, übersetzt und auf einen
unterschiedlichen Kontext übertragen werden. Vgl. Kroes (1996: XI). Zugespitzt
formuliert bedeutet das: keine Amerikanisierung ohne Germanisierung. Vgl. Gas-
sert (1999: 531).
48
Behrmann (1984: 5).
49
,,Antisemitismus" zählt hier nicht, da es weder für ein Land (geographisch) ge-
braucht wird und sich auch nicht gegen eine ,,Nation" richtet... Es wunderte sich
über dieses Phänomen auch der DEUTSCHLANDFUNK, 23.2.2002, 18:40.
50
Marcuse in NEUE SCHWEIZER RUNDSCHAU 21, 1953.
51
Müller (1986: 141).
52
Diner (1993: 13); Brinck in Liberal (1987:13); Prof. Kriele in einem offenen
Brief an Willy Brandt in der FAZ, 23.3.85; Scheuch in DEUTSCHLANDFUNK,
Juni 1970.

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Über das ,,genus proximus" ,,Antiamerikanismus" als Einstellung oder Haltung
gegenüber den USA herrscht noch weitgehende Einigkeit. Konstituierend sind
eine ,,ausgeprägte Antipathie gegen die USA"
54
, eine ,,negative predispositi-
on"
55
zu Amerika, ein ,,pejoratives Bild"
56
eben. Unter Antiamerikanismus im
Allgemeinen sei folgendes zu subsumieren: ,,Haltungen, Einstellungen und Be-
wegungen, die sich gegen das richten, was als typisch amerikanisch definiert
oder empfunden"
57
, oder was ,,für das Wesen der USA"
58
gehalten wird. An-
tiamerikanismus kann sich beziehen auf ,,America the nation, the government,
the foreign policy, way of life, symbols, products, people ..."
59
. Alles in allem
gilt ,,Amerika" den meisten Autoren als ein sehr ,,undifferenziertes Referenz-
system"
60
, Antiamerikanismus äußere sich in mindestens ebenso ,,undifferen-
zierten Pauschalurteilen"
61
. Der allgemeine Konsens ist allerdings an diesem
Punkt schon erschöpft. Hardliner unter den Experten gehen so weit, ,,jede ame-
rikakritische Haltung" als Antiamerikanismus zu bezeichnen.
62
Wogegen Kol-
legen, unter anderem auch solche aus den USA, scharf protestieren.
63
Andere halten nur ,,einseitige Kritik" an den USA für antiamerikanisch, wo-
bei das Versäumnis synchronen Unwillens je nach politischer Orientierung
wahlweise auf den Ostblock
64
oder auf das gesamte kapitalistische System
65
be-
zogen wird.
53
Zitiert in Brinck (1987: 13).
54
Behrmann (1984: 5).
55
Hollander (1992: viii).
56
Moltmann (1986: 363).
57
DEUTSCHLANDFUNK 23.02.2002, 18:40.
58
Schwan (1986: 11).
59
Ellwood (1999: 2).
60
Daxner (2000: 11).
61
Moltmann (1979: 85).
62
Müller (1986: 21).
63
vgl. die Quellen in Hollander (1992: x, 259-333).
64
Sinus (1986: 50 ff), Kriele in FAZ 23.03.1985.
65
Gremliza in KONKRET 1 (2002).

16:12, 21.07.2005, Layout-gesamt.doc
Abbildung 1: Analyseraster für Antiamerikanismusdefinitionen.
G E N U S PR O X IM U S : A n tiam er ik an ism u s
1. E s existiert keine ko nsistente o der verbind liche A ntiam erika nism usdef initio n.
2. E s besteht U neinigkeit über die Z uo rdnung vo n A ntiam erika nism us in der po litische n rec hts / li nks - T o pographie.
3. S chlüssel der I nterpretatio n vo n A ntiam erika nism us ist die B eurteilung der R ef erenzbereiche.
4. D ie D ef initio n ist abhä ngig vo m erkennt nisleite nde n Interesse des A nalysten und sei ner individue lle n P rädispositio n zum
T hem enko m ple x U S A .
IN T E N S I TÄ T
R E FE R E N ZB E R E IC H E
R ATI O N A LIT Ä T
1. nur aktive Fo rm ?
2. nur passive Fo rm ?
3. S im ulta n
aktive + passive Fo rm ?
1. P olitik:
K ritik Po licy, S ystem kritik
2. K ultur:
natio naler Ü ber-
legenheitsa nspr uc h
3. Interaktio n
po litische K ritik +
kult ure lle V o rurteile
pa s s iv
a k tiv
P oliti k
ra tio na l
irra tio na l
behavio ur
tho ug ht
K u l tur
R egierung
Po licy
po litische
K ult ur
G esellsc haf t
Lebensstil
B ewusst-
sein als
U rteils-
G rund lage
Vo rurteile
Affekte
1. bewußtes N egativurteil
2. unbew ußt gef aßte
Vo rurteile
3. irratio nale R essentim ents
eingebunde n i n
welta nsc ha ulic hes
Ko nzept
R E S Ü M E E S
a ntide m o k ra ti s c h
le gi ti m
nic ht e x is te n t
U S A = D emo kratie =
Zerstörer N atio nalkult ur
= gef ährlic h
U S A nicht im m er D e-
m o kratievo rbild = K ritik
in der B R D existiert kein
dem o kratief eindlic her
A ntiam erika nism us
Quelle: eigene Darstellung.

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Auch die Ansicht, die Kritik sei jeweils zu recht geäußert, aber zu Unrecht ge-
bündelt in systemischer, amerikafeindlicher Interpretation, wird von einem kon-
zilianteren Flügel vertreten.
66
Noch deutlicher werden die definitorischen Differenzen zwischen den jewei-
ligen Positionen bei der Untersuchung verschiedener, aus den Definitionen des-
tillierten ,,differentia specifica".
Zunächst soll das Kriterium der ,,Intensität" betrachtet werden. Oft wird
beispielsweise unterschieden zwischen aktivem und passivem Antiamerikanis-
mus. Die aktive Variante manifestiert sich in Demonstrationen und offenen
Aggressionen und gehört zu der Kategorie ,,behaviour". Von passivem, der Ka-
tegorie ,,thought" zugeordnetem Antiamerikanismus wird besprochen, wenn die
Ablehnung von Amerikanischem als Empfindung latent vorhanden ist und
leicht aktiviert werden kann.
67
Eine andere Gruppe versteht unter Antiamerika-
nismus nur die latente, ,,normative und psychische Einstellung"
68
und sieht in
der aktiven Form lediglich eine ,,Erweiterung" derselben.
69
Entgegengesetzter
Auffassung ist Stephan Hasler, der als Antiamerikanismus allein die aktive
,,straightforward opposition" versteht, deren Fundament ,,rage based on resent-
ment and envy" sei.
70
Ein weiteres, den differentia specifica zugeordnetes Kriterium ist der Refe-
renzbereich, auf den sich Antiamerikanismus beziehen kann. Die meisten Au-
toren differenzieren hier zwischen ,,Politik" und ,,Kultur", bewerten die Berei-
che allerdings recht unterschiedlich. Weitgehende Einigkeit besteht darüber,
dass die Policy der USA der auslösende Moment für heftige Proteste ist.
71
Die-
ser Zusammenhang wird von manchen Autoren direkt im Sinne eines ,,Rück-
66
Daxner (2000: 12); Gassert (2001: 755).
67
Müller (1986: 32f); Hollander (1992: viii); Cunliffe (1986: 33); Ellwood (1999:
29).
68
Schwan (1999: 19); vgl. auch Markovits (1985: 15).
69
Link (1981: 84f).
70
Hasler (1985: 6).
71
Polity als Normensystem wird meist dem Bereich ,,Kultur" zugeschlagen.

Antiamerikanismus in der Bundesrepublik Deutschland
23
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stoßes" angenommen.
72
Oder er wird mittelbar verstanden als ein Faktor, der
lediglich die situative Zusammensetzung von Antiamerikanismus beeinflusst.
73
Im alltäglichen Sprachgebrauch, von dem man quasi als Vulgärdefinition aus-
gehen muss, werden ablehnende Reaktionen auf US-Außen- und Wirtschaftspo-
litik regelmäßig als Antiamerikanismus bezeichnet.
74
Das amerikanische
,,Council on Foreign Relations" ist übrigens derselben Auffassung.
75
Die Moti-
vation der Abwehrhaltungen wird im wissenschaftlichen Definitionszusammen-
hang relativ positiv bewertet als ,,justifiable if not necessarily irrefutable com-
plaint",
76
,,a natural response to power and success" und ein ,,enduring desire
for independence and self-determination".
77
Oder, noch einfacher, als legitimes
,,national interest".
78
Opposition gegen ,,particular US policies or administra-
tions" lassen viele daher auch nicht als Antiamerikanismus durchgehen und wi-
dersprechen damit dem allgemeinen Gebrauch des Antiamerikanismusbeg-
riffs.
79
Auf subtile Weise bedauern sie aber oft mit Fritz Stern, dass sich die
Kritik ,,zu einer nahezu permanenten Stimmung der Nörgelei und des Unbeha-
gens verhärtet" hat.
80
Andrei Markovits formuliert etwas großzügiger und
schließt alles, was ,,contingent or politically motivated" ist, von der Antiameri-
72
Johnson (2000: Kap. 1); vgl. Sontheimer (1985: 118). In den USA sieht man das
anders, wie Umfragen von Worldviews (2002) belegen: Nur 18% der U.S.-
amerikanischen Führungskräfte nehmen einen Zusammenhang zwischen US-Politik
und den Terroranschlägen vom 11.9.01 an. Dagegen sind 36% der europäischen
Führungskräfte fest davon überzeugt. Vgl. auch STERN 02.05.2002.
73
Oppelland (2000: 152).
74
Leonhardt (1987: 481).
75
US Council on Foreign Relations in einer Pressemitteilung, X-Medias-Agentur,
22.08.2002. Antiamerikanismus zeige sich als ,,negative Haltung zur U.S.-Politik ...
auch in starker Form ...unter unseren engsten Verbündeten".
76
Cunliffe (1986: 33).
77
Hasler (1985: 4, 44).
78
Sontheimer (1985: 118).
79
Hasler (1985: 1); Ehmke (1985: 40); Beyme (1986: 160); Sontheimer (1985: 118,
122).
80
STERN (1986: 131).

24 Barbara
Schnieders
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kanismusdefinition aus.
81
Lösche geht am weitesten, indem er selbst
,,prinzipielle Kritik" am politischen Organisationssystem der USA mit dem Hin-
weis auf U.S.-interne Meinungen für zulässig erklärt.
82
Karl Heinz Reuband
hält dagegen, indem er zwischen Kritik am ,,Staat" USA und Kritik an der
,,Regierung" differenziert, legitim sei lediglich letztere.
83
Der Ex-Botschafter in
den USA und zeitweiliger Atlantik-Brücke-Vorsitzende Berndt von Staden steht
jedenfalls mit seiner Einschätzung, Antiamerikanismus spiele sich nur auf
,,politischer Ebene" ab, recht einsam da.
84
Ein breiter Konsens herrscht dagegen darüber, dass im Zentrum der Anti-
amerikanismusdefinition die Auseinandersetzung um den kulturellen Aspekt
stehen sollte.
85
Kulturell motivierte Ablehnung der USA, die sich auf den ame-
rikanischen ,,Lebensstil" inklusive der Tendenz zum ,,Coca-Colonizing" beruft,
wird als Antiamerikanismus akzeptiert, gleichzeitig aber als vergleichsweise le-
gitim bezeichnet.
86
Verurteilt wird jedoch oft die Opposition zum amerikani-
schen ,,Politik- und Gesellschaftsmodell"
87
mit dem implizierten Hintergedan-
ken, dass damit gleichzeitig die politische Kultur der USA mitsamt Werten wie
Demokratie oder ,,social equality" abgelehnt würde.
88
Das eigentliche Kriteri-
um, diese Ablehnung als Antiamerikanismus zu bezeichnen, ist der zugrunde
liegende ,,rigorose Überlegenheitsanspruch" des eigenen Ideen- und Wertesys-
tems, das von amerikanischen Einflüssen nicht zerstört werden soll.
89
Zwischen
den Referenzbereichen Politik und Kultur bestehen in den Augen einiger Auto-
ren erhebliche Interdependenzen. Rainer Benthin interpretiert Antiamerika-
81
Markovits (1985: 114).
82
Lösche (1986: 356). Er weitet den ,,Politikbereich" also aus auf die polity und po-
litics der USA.
83
Reuband (1985: 47).
84
Staden (1986: 47). Fairerweise muss hinzugefügt werden, dass er die politische
Ebene der menschlichen gegenübergestellt hat.
85
Markovits (1985: 10, 13, 15); Glotz (1986: 35, 38); Ehmke (1985: 40).
86
Shell (1986: 371); Cunliffe (1986: 31, 33).
87
Schwan (1999: 34, 60f); Gassert (2001: 945).
88
Hasler (1985: 22f, 36f); Shell (1986: 371).

Antiamerikanismus in der Bundesrepublik Deutschland
25
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nismus in simpler Form als Ablehnung der führenden politischen und kulturel-
len Rolle der USA.
90
Kurt Shell bezeichnet als Antiamerikanismus, wenn ame-
rikanische Fehler aus dem Bereich der Politik nur aufgegriffen werden, um eine
a priori bestehende negative Einschätzung der USA zu bestätigen und dieses
Urteil ,,aufgrund des Bewusstseins der eigenen Wertordnung oder einer ideolo-
gischen Grundhaltung" gefällt wurde.
91
Ähnlich äußert sich Torsten Oppelland,
der überzeugt ist, dass die ,,aktuelle politische Konstellation" determiniert, wel-
ches Stereotyp aus dem kulturellen Fundus benutzt wird.
92
Umgekehrt
argumentiert Thymian Bussemer, wenn er feststellt, dass sich der vordergründig
politische Antiamerikanismus als moderne Ausprägung eines bereits lange
existierenden kulturellen ,,Anti-Amerika-Effekts" entpuppt.
93
Die letzten Äußerungen lassen die Frage nach der Stellung des Kriteriums
Rationalität bei der Definition von Antiamerikanismus aufkommen. Häufig
wird von den Klassifizierungen ,,Vorurteil" oder ,,Klischee" Gebrauch gemacht,
ohne die unterschiedlichen sozialpsychologischen Interpretationen zu berück-
sichtigen. Für viele Definitionen ist eine nachträgliche Einordnung anhand des
Rationalitätskriteriums daher schlicht unmöglich, weil unklar ist, was der Ver-
fasser gemeint hat. Kurt Schells Antiamerikanismusbegriff ist eindeutig rational
bestimmt, da er ein ,,Bewusstsein" als Urteilsgrundlage voraussetzt.
94
Gesine
Schwan nimmt ebenso wie Günter Behrmann, David Ellwood und Dan Diner
die Position ein, dass die primäre Motivation im Bereich des Irrationalen liegt,
also auf Klischees, Ressentiments und Antipathien - Affekten eben - beruht.
Auf diesem Fundament sei jedoch recht rational eine gegen die USA gerichtete
89
Moltmann, (1979: 104); vgl. auch Sontheimer (1985:117); Gassert (2001: 950).
90
Benthin (2000: 46f).
91
Shell (1986: 371). Ähnlich Sontheimer (1985: 117).
92
Oppelland (2000: 134).
93
Bussemer (2000: 37f).
94
Schell (1986: 371).

26 Barbara
Schnieders
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(Quasi-) Ideologie konstruiert worden.
95
Lediglich Günter Moltmanns Antiame-
rikanismusdefinitionen sind so eng, dass nur die als irrational oder ,,unbewusst"
bezeichneten Vorurteile erfasst werden, auf die ein ,,Automatismus des Urtei-
lens" folgt.
96
So unterschiedlich die Definitionen in der gesichteten Literatur sind, so sehr
weichen die Resümees voneinander ab. Einige Autoren läuten mit einer gewis-
sen ,,Aufregung vom Dienst"
97
die Alarmglocken, melden ,,Vorbehalte gegen
die Stabilität des demokratischen Bewusstseins" in Deutschland an und sehen
die ,,Zugehörigkeit der Bundesrepublik ... zur westlich-demokratischen Wert-
gemeinschaft in Frage gestellt" durch ein ,,deutsches Sonderbewusstsein".
98
Zentrale These für diese Fraktion ist, dass Amerikagegner pauschal davon aus-
gehen, dass Demokratie ihre Kultur zerstöre. Dan Diner spricht sogar von Anti-
amerikanismus als einem ,,kulturelle[n] Code" der Deutschen, dessen Weiterga-
be er über Generationen hinweg bis heute nachzuweisen versucht und auf deren
Parallelen um Antisemitismus er immer wieder hinweist.
99
Etwas moderater, aber ebenfalls von dem Standpunkt aus, die Einstellung zu
den USA ließe Rückschlüsse auf die Akzeptanz der demokratischen und ,,libe-
ralkapitalistischen Ordnung" zu, formulieren Werner Link und Gerhard
Schweigler. Antiamerikanismus in Deutschland sei folglich ,,innengewendet".
Allerdings gehen sie davon aus, dass graduelle Abstufungen möglich sind und
nicht jede Ablehnung des amerikanischen Modells oder die Verweigerung von
,,supporting cooperation" mit Demokratieaversion gleichzusetzen ist. Außerdem
95
Schwan (1986: 11); Diner (1993: 13, 32); Ellwood (1999: 1f); Behrmann (1984:
5); Lösche (1986: 354); Gassert (2001a: 945); Frankel in WASHINGTON POST
Foreign Service, 11.2.2003.
96
Moltmann (1979: 85); Moltmann (1986: 363).
97
Schmidt in DIE ZEIT 13.4.1973.
98
Schwan (1999: 18f), mit Berufung auf Almond (1987: 27-38). Die Argumentation
ist in sich schlüssig. Ähnlich Hasler (1985: vii). Problematisch ist, dass der Begriff
,,Kultur" in keinem der analysierten Texte näher erläutert wird, was die Definition
von Antiamerikanismus zusätzlich erschwert.
99
Diner (1993: 29); Diner in WIRTSCHAFTSWOCHE 27.02.2003.

Antiamerikanismus in der Bundesrepublik Deutschland
27
16:12, 21.07.2005, Layout-gesamt.doc
gelte dies nur, solange die USA guten Gewissens als ,,Repräsentant demokrati-
scher, innergesellschaftlicher und internationaler Ordnung" akzeptiert werden
können.
100
Dass man über diesen Punkt streiten kann, gesteht auch Emil-Peter
Müller indirekt ein. Kritik an den USA, die er per se als Antiamerikanismus be-
zeichnet, sei ,,nicht notwendigerweise gegen Inhalte des ,,Amerikanismus", also
die ,,Summe der Normen und Werte der Gesellschaft der USA", gerichtet.
101
Keiner dieser Interpretationslinien zuzuordnen ist das vage Statement von
Herbert Strauss, Antiamerikanismus sei eine ,,emotionale Spiegelung ungelöster
nationaler Probleme".
102
Daneben gibt es die Leugner, die mit ihrem Fazit ,,there is no anti-
Americanism" den Verdacht von Dan Diner auf sich ziehen, sie seien kleinmü-
tige Vertuscher und selbst verkappte Antiamerikanisten.
103
Über die Frage, ob Antiamerikanismus in der allgemeinen politischen To-
pographie eher rechts oder links angesiedelt ist, herrscht keine Einigkeit. Sie ist
mit der Zuordnung zu den Referenzbereichen ,,Politik" und ,,Kultur" verknüpft.
Mögliche Gründe sind auch die unterschiedlichen Zyklen, die die Opposition zu
den USA in der Bundesrepublik durchlebt hat und die zu unterschiedlichen Zei-
ten verfassten Schriften über das Phänomen. Generell wird das kulturell moti-
vierte Ressentiment als eine Sache der Konservativen angesehen, die politische
Kritik als Terrain des linken Spektrums, die totale Ablehnung der USA wird je
nach Gesamtdefinition wahlweise beiden Fraktionen zugeschrieben.
Aus dieser Analyse verschiedener Definitionen von Antiamerikanismus
muss das wenig ermutigende Fazit gezogen werden, dass es unmöglich ist, An-
tiamerikanismus objektiv zu beschreiben. Anscheinend kann dieses ,,Wort" je
nach erkenntnisleitendem Interesse des Untersuchenden mit unterschiedli-
chen Inhalten gefüllt und gemäß der eigenen Einstellung zu den USA belie-
100
Schweigler (1985: 13ff); Link (1981: 63f).
101
Müller (1986: 55).
102
Strauss (1985: 21).
103
Sommer (1985: 125); Sontheimer (1985: 119); Lösche (1986: 357); Dönhoff in
DIE ZEIT, 27.06.1980; Diner (1993: 30f).

28 Barbara
Schnieders
16:12, 21.07.2005, Layout-gesamt.doc
big interpretiert werden. Als Indikator für allgemeine Einstellungen gegenüber
den USA ist ,,Antiamerikanismus" allein schon deshalb untauglich, weil ein all-
gemein akzeptierter Maßstab für eindeutige Wertungen fehlt: Soll von einer po-
sitiven oder neutralen Primärdisposition als Normalzustand ausgegangen wer-
den?
104
Am Ende dieser Begriffsgeschichte steht also die Erkenntnis, dass Anti-
amerikanismus streng genommen nicht einmal ein wissenschaftlicher Begriff
ist. Weil nicht von der persönlichen Vorstellung des Benutzers abstrahiert wer-
den kann, ist eine einheitliche Definition daher, wie oben bewiesen, nicht mög-
lich.
Aber was man nicht definieren kann, ist vielleicht mit einer Begriffsexplika-
tion zu beschreiben. Im nächsten Absatz soll das Wort Antiamerikanismus da-
her auf seine reale Verwendung und Funktion überprüft werden.
B. Funktionsebene: Antiamerikanismus als politischer Kampfbegriff
,,Jemandem Antiamerikanismus vorzuwerfen ist Ausdruck eines Man-
gels an Phantasie, der Unfähigkeit, die Welt anders zu sehen als in der
vom Establishment vorgesehenen Weise ­ wer nicht gut ist, ist böse."
Arundhati Roy
105
In der politischen Diskussion ist die Bezeichnung ,,Antiamerikanismus" erst-
mals Anfang der 70er Jahre nachgewiesen. Seit diesem Zeitpunkt ist die allge-
meine Verwendungshäufigkeit dieses Wortes als geradezu inflationär zu be-
zeichnen.
Dabei will niemand freiwillig Antiamerikanist sein. Das Prädikat ,,Anti-
amerikanismus" ist mit einem derartigen Stigma behaftet, dass sowohl politi-
sche Parteien und Organisationen als auch Einzelpersonen aus dem öffentlichen
104
Vgl. auch Überlegungen zu Operationalisierungsmöglichkeiten bei Kleinsteuber
(1986: 380f).
105
Roy in FAZ, 02.10.2002.

Antiamerikanismus in der Bundesrepublik Deutschland
29
16:12, 21.07.2005, Layout-gesamt.doc
Leben diese Bezeichnung aufs schärfste zurückweisen, was ich hier nur durch
eine keineswegs erschöpfende Auswahl belegen möchte.
Petra Pau, stellvertretende PDS-Vorsitzende, insistierte anlässlich des Bush-
Besuchs am 21.5.02, es sei ,,falsch, Friedenspolitik mit Antiamerikanismus
gleichzusetzen" und damit die PDS zu diskreditieren. Ähnlich äußerte sich der
Generalsuperindendent der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburgs, Rolf
Wischnat. Er versicherte, sein ,,Protest [sei] nicht gegen die Amerikaner gerich-
tet, sondern gegen eine Politik". Auch Kerstin Müller von den Grünen bestrei-
tet, dass die jüngste Kritik an den USA etwas mit Antiamerikanismus zu tun
habe, und Ludger Vollmer versucht aus der Retrospektive eines Beteiligten zu
belegen, dass selbst die 68er nicht eigentlich antiamerikanistisch waren. Günter
Grass hält Kritik an den USA bekanntlich nicht für Antiamerikanismus, sondern
schon seit Jahrzehnten für einen Loyalitätsbeweis und Freundschaftsdienst.
Selbst Teile der autonomen Szene oder die Antifaschistische Aktion weisen in
ihren Aufrufen jeglichen Antiamerikanismus weit von sich. Und Mitglieder von
,,Linksruck" zeigen sich durch den Antiamerikanismusvorwurf so schwer ge-
troffen, dass sie einige der beanstandeten Demoplakate vom 23.5.02 ins Internet
stellten mit der Aufforderung ,,Urteilen Sie selbst!".
106
Nicht einmal der Ano-
nymus im world wide web will sich diesem Verdacht ausgesetzt sehen. Auf den
Chat-Beitrag, er habe Verständnis wenn den El-Qaida-Anhängern in Afghanis-
tan ,,das Messer in der Tasche aufgeht", folgt sofort das Dementi: ,,Diese Er-
kenntnis hat nichts mit Antiamerikanismus zu tun!".
107
Ähnliche Reaktionen
kamen aus den Reihen der SPD nach Bekannt werden der verunglückten Ver-
gleiche der damaligen Justizministerin Däubler-Gmelin im Bundeswahlkampf
106
Anlässlich des Besuches des US-Präsidenten George Bush II. in Berlin am
21.Mai 2002: Süselbeck, Ostensacken in JUNGLE WORLD 22.05.2002; Redema-
nuskript von Rolf Wischnat unter
www.friedenskooperative.de
; STERN 18.2.2002;
Vollmer in DAS PARLAMENT 20.06.1997; Grass in DER SPIEGEL 47/2001;
linksruck bei
www.achse-des-friedens.de
. Die Ausnahmen von der Regel: Winter
(1990: 12); Merchtesheimer (1991: 105ff.); Zahn in: WIENER 1/1992.
107
www.antiamerikanismus.de

30 Barbara
Schnieders
16:12, 21.07.2005, Layout-gesamt.doc
2002. Selbst Willy Brandt musste in der ,,Bonner Runde" 1985 richtig laut wur-
de, um sich gegen Helmut Kohls Unterstellung eines taktischen ,,primitiven An-
tiamerikanismus" zu wehren.
108
Generalisierend ist festzustellen, dass der Vorwurf des Antiamerikanismus
aus dem politisch ,,rechten" Lager gegen die Positionen weiter ,,links" vorge-
bracht wird. Aber warum konnte dieses nicht präzisierbare ,,Wort" Antiameri-
kanismus in Deutschland überhaupt zum ,,politischen Totschlagargument", zum
,,Dreschflegel" und zur ,,moralischen Keule" im politischen Alltagsgeschäft
aufsteigen?
109
Ohne in ,,crudely instrumentalist fashion" argumentieren zu wollen, fallen
Andrei Markovits dazu nur ,,domestic electoral needs" ein. Zeitnahe Analysten
wie beispielsweise Theo Sommer und Marion Gräfin Dönhoff teilen diese An-
sicht und haben diese Taktik der CDU als höchst unseriös und unfair verur-
teilt.
110
Schon zu Beginn der 70er wurde die SPD von Rainer Barzel beschul-
digt, ,,von geübter Hand Antiamerikanismus" zu verbreiten, dieser sei ebenso
,,dumm" wie ,,primitiv". Als alarmierend empfanden sie die ,,zunehmende
Macht der Anti-NATO- und Neutralismus-Fraktion" innerhalb der SPD, die
man als von Friedensbewegten unterwandert und unter zunehmendem Einfluss
der moskaugesteuerten DKP vermutete. Franz Joseph Strauß traute der SPD in-
folgedessen sogar eine regelrechte ,,Unterwerfung unter sowjetische Machtpoli-
tik" zu. CDU-Generalsekretär Heiner Geißler trat Mitte der 80er eine regelrech-
te Anti-Antiamerikanismus-Wahlkampfkampagne mit Slogans wie ,,Die Sozis
108
Bonner Runde, Transkript abgedruckt in: Die Neue Gesellschaft/Frankfurter
Hefte (1986: 34).
109
Knauer (1987: 25); Sinus (1986: 5); Gassert (1999: 536); DEUTSCHLAND-
FUNK 23.02.02, Ilken in DIE WELT 24.9.2001; Corsten in DIE WELT
21.10.2001; Schwilk in DIE WELT 21.10.2001, Behrmann (1984: 4); Dettke
(1985:2); Kleinsteuber (1986: 375).
110
Markovits (1985: 24, 27); Sommer in DIE ZEIT 13.04.1973, Dönhoff in DIE
ZEIT 27.06.1980. Ähnlich Lösche (1986: 355); Link spricht von einer gewissen
,,propagandistischen und wahlkampftaktischen Überspitzung" (1981: 85); Schoen-
baum (1985: 6); Kleinsteuber (1986: 381); Shell (1986: 374).

Antiamerikanismus in der Bundesrepublik Deutschland
31
16:12, 21.07.2005, Layout-gesamt.doc
sitzen in einem Boot mit der Sowjetunion" los.
111
Der Kern der Argumentation
von rechts war bis zum Ende des Ost-West-Konfliktes eindeutig ideologischer -
das heißt antikommunistischer - Natur. Das Verhältnis zu den USA wurde zum
Prüfstein der deutschen Zuverlässigkeit und Bündnisloyalität stilisiert. Die Ver-
suche der SPD, sich gegen diese Vorwürfe zur Wehr zu setzen mit dem Argu-
ment, die CDU wolle die ,,nationale Identität der Deutschen zu einer Funktion
des Ost-West-Konfliktes" reduzieren und gehöre mit ihrem Freund-Feind-
Denken zur Fangemeinde von Carl Schmitt, muten einigermaßen hilflos an.
112
Und selbst innerhalb der SPD gab es Warner wie Hans-Ulrich Wehler, die den
Vorwurf des Antiamerikanismus mit seinen durch Blocklogik bestimmten Imp-
likationen durchaus als internes Problem begriffen.
113
Aber die Debatte um Antiamerikanismus war nicht nur auf Polarisierungen
zwischen den politischen Parteien beschränkt, auch die Medien argumentierten
von ihrem jeweiligen weltanschaulichen Standpunkt aus. Schon 1970 räsonierte
Erwin Scheuch besorgt, nach welchen Kriterien gewisse linksliberale Zeitungen
und Magazine ihre Amerikakorrespondenten anwerben. Elisabeth Noelle-
Neumann diagnostizierte ein gutes Jahrzehnt später sogar, dass einige Massen-
medien, getrieben von antiamerikanischen Hintergedanken, die öffentliche
Meinung sogar mit Mitteln der psychologischen Kriegsführung bearbeiteten.
Und Hilton Kramer beklagte in der FAZ, dass Antiamerikanismus regelrecht
zum ,,Berufsprestige westlicher Intellektueller" gehöre, Journalisten einge-
schlossen.
114
111
Barzel zitiert in KONKRET 03.05.1970; Erklärung des Bundesvorstands der
CDU 22.4.1985, Kohl in Bonner Runde (1986: 34), nach Landtagswahlen in NRW.
Kohl in DIE ZEIT, 27.6.1980. Strauß in DIE ZEIT, 27.6.1980. Geißler in DER
SPIEGEL, 19/1985. Gremlizas aktueller Kommentar zum gleichen Thema 2002:
,,Antiamerikanismus ist eine Pest. Anti-Antiamerikanismus ist keine Medizin, son-
dern die Cholera" in KONKRET 1/2002.
112
Eppler (1986: 32), Glotz (1986: 36f). Er bezog sich auf Schmitt (1963).
113
Wehler (1981: 30-35).
114
Scheuch in DIE WELT 4.7.1970; Scheuch in DEUTSCHLANDFUNK, Juni
1970; Noelle-Neumann (1983: 49); Kramer in FAZ 11.4.1986; aktuell: Interview

32 Barbara
Schnieders
16:12, 21.07.2005, Layout-gesamt.doc
Wenn es aber vornehmlich um die simple Gleichung ,,Anti-Amerikanismus
= Pro-Kommunismus" ging: Warum ist die politische Diskussion um ,,Anti-
amerikanismus" nach 1989 nicht einfach implodiert? Und warum wird so aus-
giebige Intellektuellenschelte betrieben? DIE WELT schreibt zwar, der Anti-
amerikanismus, ,,früher stets wirksames Mittel der Denunziation", habe seine
Koordinaten verloren und ,,wirkt heute angestrengt". Trotzdem hallt der alte
Vorwurf der Unzuverlässigkeit offenbar bis heute nach und weckt Assoziatio-
nen. Zumindest versucht Kanzlerkandidat Edmund Stoiber, diese zu instrumen-
talisieren wenn er befindet, die Amerikaner hätten kein Vertrauen zu einem
Kanzler, der eine Koalition der SPD mit der PDS, dem ,,Hort des Antiamerika-
nismus", in der Bundeshauptstadt Berlin toleriere. CDU-Chefin Angela Merkel
sieht Schröder wegen seiner Verweigerungshaltung im Irakkonflikt sogar als
eine ,,Gefahr für Deutschland".
115
Anscheinend macht es aber tatsächlich einen
ideologisch relevanten Unterschied, ob man einem ganzen ,,evil empire" oder
lediglich einer imaginären ,,Achse des Bösen" aus vereinzelten ,,Schurkenstaa-
ten" gegenübersteht.
116
Jedenfalls wird trotz des Antiamerikanismusvorwurfes
an die neue Friedensbewegung selbiger kaum ernsthafte Sympathie für die Ter-
roristen von El-Qaida oder etwa für Saddam Hussein unterstellt.
117
Bemer-
mit Helmut Kohl in DIE WELT 14.11.2001. Der Ex-Kanzler spricht von ,,intellek-
tuellen Hilfstruppen" des Antiamerikanismus ,,auch in manchen Medien".
115
Ilken in DIE WELT 24.9.2001; Griese in DIE WELT 16.10.2001. Ähnlich auch
Burger in DIE WELT, 27.10.2001; SPIEGEL ONLINE 20.03.2003. Vgl. auch
Merkel in WASHINGTON POST; 20.02.2003. Ähnliches von Guido Westerwelle
in einem Interview im DEUTSCHLANDFUNK 30.10.2002, 7.15 Uhr. Dass der
damalige CDU-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber mit seiner Haltung bezüglich der
US-Überflugsrechten im Falle eines Irakkrieges selbst nicht sehr vertrauenswürdig
gewirkt haben kann, sei hier nur am Rande erwähnt. Vgl. SPIEGEL ONLINE
20.09.2002.
116
Bush verwendet den Begriff ,,Achse" falsch, der Iran, der Irak und Nordkorea
stehen in keinen Bündnisbeziehungen, unterhalten teilweise nicht einmal diplomati-
sche Kontakte. ,,Schurkenstaat" ist eine recht krude und überspitzende Übersetzung
von rouge state.
117
Zumal selbst unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stehende Zeitschriften
mit Artikeln wie ,,Fanta statt Fatwa" ihre zwar nicht uneingeschränkte, im Prinzip

Antiamerikanismus in der Bundesrepublik Deutschland
33
16:12, 21.07.2005, Layout-gesamt.doc
kenswert ist allerdings, dass der Antiamerikanismusvorwurf als politisches In-
strument immer weiter nach ,,links" wandert und offensichtlich dem Gesetz
der Entropie unterlegen ist. Er gehört inzwischen auch bei den beiden Regie-
rungsparteien zum Repertoire. So adressierte Joschka Fischer seine Basisgrünen
anlässlich des Bush-Besuchs im Mai 2002 mit der Aufforderung, durch gewalt-
tätige Proteste doch bitte keinen ,,hässlichen Antiamerikanismus" zu verbrei-
ten.
118
Besonders die Grünen hätten eben, so DIE WELT, ,,in den vergangenen
Jahren einen bemerkenswerten Reifungsprozess durchgemacht".
119
CDU-
Fraktionschef Friedrich Merz und Generalsekretär Laurenz Mayer warnen zwar
immer noch vor ,,antiamerikanischen Reflexen" der SPD und der Grünen, aber
erheblich unspektakulärer als es in früheren Zeiten Usus war.
120
Wesentlich
selbstbewusster fällt allerdings deren Konter aus: Man müsse in der Außenpoli-
tik gegenüber den USA eben ,,eine abgewogene Position einnehmen und nicht
der Speichelleckerei verfallen", so Grünen-Fraktionschef Rezzo Schlauch.
121
Gewisse Auflösungserscheinungen im Hinblick auf die Linientreue der Print-
medien sind, wie eingangs erwähnt, ebenfalls beobachtbar. Eine Versachli-
chung der Diskussion ist in nächster Zukunft dennoch nicht zu erwarten,
nach wie vor gilt: ,,Das Wort ist tödlich."
122
Abschließend bleibt zu konstatieren, dass, würde man die Geschichte des
Begriffs Antiamerikanismus ,,charakterisieren als fortwährenden Kampf um die
Macht der Worte als Fähigkeit, Schwächeren die Bedeutungsinhalte von sprach-
jedoch vorhandene Sympathie mit den USA bekräftigen. JUNGLE WORLD
43/2001.
118
SZ 21.5.2002. Ganz in linke Hände scheint der ,,Knüppel Antiamerikanismus"
gefallen zu sein, wenn man sich unter
www.sozialismus-jetzt.de/linx-01-
19/npd_flugis.html
die scharfe Verurteilung von NPD-Flugblättern betrachtet. Ob
die Kritikmotivation allerdings der Sympathie für die USA oder dem üblichen
,,Keinen Fußbreit den Faschisten" entspringt, bleibt mehr als unklar ...
119
Gedim in DIE WELT 20.11.2001.
120
TAGESTEHMEN 17.2.2002; SPIEGEL ONLINE 14.02.2003.
121
SZ 15.2.2002.
122
Schneider in DIE WELT 31.10.2001.

34 Barbara
Schnieders
16:12, 21.07.2005, Layout-gesamt.doc
lichen Symbolen vorzuschreiben"
123
und so ,,Begriffe zu besetzen"
124
: die Kon-
servativen im Allgemeinen und die CDU/CSU im Besonderen würden nach
Punkten eindeutig führen.
Für die Begriffsanalyse ist der Blick auf die offensichtliche politisch wirk-
same Funktion des fest etablierten ,,politischen Kampfbegriffes" leider wenig
ergiebig. Er wird nicht erklärt, sondern plakativ verwendet und soll negative
emotionale Konnotationen wecken wie ,,Unzuverlässigkeit", ,,Kollaboration
mit dem Feind", Verärgerung des ,,Freundes" und ähnlichem. Es handelt sich
um ein Abgrenzungsinstrument, mit dem man die eigene politische Gruppe als
,,gut" darstellt und die Gegner als moralisch fragwürdig abqualifiziert. Auf die
Frage, wie und warum es zu diesen Zuordnungen kommt, warum das ,,Antiame-
rikanismus"-Schlagwort so beliebt ist und was auf in den Köpfen der Menschen
dabei vorgeht, könnte die Disziplin der Sozialpsychologie Antworten bereithal-
ten. Von Bedeutung wären hier die Entstehung und Aufrechterhaltung von Vor-
urteilen und Stereotypen im Zusammenhang mit ,,Gruppenidentitäten". Auch in
den wissenschaftlichen Definitionsversuchen des dictum horribile werden mehr
oder minder große Anleihen bei der Vorurteils- und Stereotypenforschung ge-
macht, allein durch den Gebrauch der Begriffe.
C. Interpretationsebene: Sozialpsychologische Erklärungen
,,The most part we do not first see and then define. We define first and
then see. In the great blooming, buzzing confusion of the outer world
we pick out what our culture has already defined for us, and we tend to
perceive that which we have picked out in the form stereotyped for us
by our culture."
Walter Lippmann
125
123
Bracher (1978: 17).
124
Peter Glotz, Bundesgeschäftsführer der SPD Anfang der 80er, zitiert von Wal-
ther in
www.links-netz.de
.
125
Lippmann (1922: 81). Lippmann gilt als Begründer der Stereotypenforschung, er
nahm die drei wichtigsten Forschungsansätze zu den Stereotypen vorweg. Den kul-

Antiamerikanismus in der Bundesrepublik Deutschland
35
16:12, 21.07.2005, Layout-gesamt.doc
Dieses Kapitel soll im Wesentlichen der Erläuterung psychologischer Fachbeg-
riffe dienen und eine Zusammenfassung der am häufigsten verwendeten Theo-
rien aus dem Bereich der Vorurteilsforschung geben. Relevant ist dies für das
Verständnis der Antiamerikanismusdefinitionen, außerdem legen die Theorien
das Fundament für die Gliederung der historischen Analyse und für die Organi-
sation der empirischen Untersuchungen.
126
1. Stereotypen und Vorurteile
Über 80% der Deutschen sind davon überzeugt, dass es so etwas wie einen Na-
tionalcharakter gibt, Tendenz im Zeitverlauf steigend.
127
Es kann also davon
ausgegangen werden, dass man in Deutschland bestimmte ,,vorgefertigte Vor-
stellungen", ein bestimmtes Image von den USA und ihren Bewohnern
pflegt.
128
Diese Nationenbilder werden in der Sozialpsychologie in der Regel als nati-
onale Stereotypen behandelt, oder, umgekehrt argumentiert, die Stereotypen
turellen Ansatz, nach dem das Stereotyp Teil des kulturellen Erbes ist, das die be-
stehenden Verhältnisse rechtfertigt. Den psychodynamischen Ansatz, nach dem das
Stereotyp integraler Bestandteil der Persönlichkeit ist und der Abwehr von negati-
ven Erfahrungen dient. Den kognitiven Ansatz, nach dem das Stereotyp eine verein-
fachende Repräsentation der sozialen Umwelt sowie ein kognitives Schema zur
schnellen Informationsverarbeitung in einer komplexen Welt sei. vgl. Bierhoff
(2000: 286f).
126
Es kann nicht Ziel dieser Überblicksdarstellung sein, unterschiedliche
Denkschulen samt Axiomen und Thesen und Entwicklung kritisch zu diskutieren.
Von einer getrennten Darstellung allgemeiner Stereotypen- und Vorur-
teilsforschung und der Forschung zu Nationenbildern wird, zugunsten der Kürze
der Darstellung, abgesehen. Die Stereotypenforschung steht im Mittelpunkt der
theoretischen Überlegungen. Einige Autoren argumentieren mit dem Begriff
,,Image". Im allgemeinen sozialpsychologischen Verständnis ist dieser Begriff
kennzeichnend für relativ volatile Bilder und Assoziationen. Er ist als Basis für
diese Arbeit aufgrund der zugrunde liegenden historischen Perspektive
unbrauchbar. Vgl. Wilke (1989: 12ff).
127
Allensbacher Jahrbücher 1993-2002.
128
Henningsen (1974: 25).

36 Barbara
Schnieders
16:12, 21.07.2005, Layout-gesamt.doc
als ,,mehr oder weniger verzerrte und vielleicht auch polemisch überspitzte Wi-
derspiegelung" der nationalen Charaktere.
129
,,Nation" sei in diesem Zusam-
menhang verstanden als ,,soziale Gruppe", die definiert wird durch die Summe
ihrer Normen, die über die formale Existenz hinausgehen.
130
Eine Nation in die-
sem Sinne ist ein ,,kulturelles System", bestehend aus kollektiven Erinnerungen,
geistigen Überlieferungen, politischen und sozialen Arrangements, Werten und
Institutionen, mit spezifischen Formen sozialer und politischer Organisation und
Kontrolle und jeweils eigenen Mythen und Symbolen.
131
Als Stereotype oder ,,pictures in our head"
132
bezeichnet man ganze Kom-
plexe von Eigenschaften, die Personen aufgrund ihrer Zuordnung zu Gruppen
nachgesagt werden (Attribution). Einige Autoren schließen auch Vorstellungen
über Interessen und Verhaltensweisen in die Definition ein.
133
Das Stereotyp
kann im allgemeinen Sprachgebrauch in einer Weise eingesetzt werden, dass
die zugeschriebenen Eigenschaften nicht einzeln aktualisiert werden müssen,
sondern über Konnotationen präsent werden. In anderen Worten: Es wird eine
Art Prototyp von ,,dem" Amerikaner und ,,seinem" Amerika konstruiert.
134
Konsens besteht darüber, dass das Vorurteil aus einer Koppelung von Stereo-
type und affektiven ,,Einstellungen" resultiert. Einstellung ist definiert als die
Bereitschaft zur positiven oder negativen Bewertung eines Einstellungsobjektes,
die auf Gefühlen und Meinungen über diesen Einstellungsgegenstand beruht.
135
Meinungen sind Wahrscheinlichkeitsurteile über das Bestehen einer Verbin-
dung zwischen dem Einstellungsobjekt und einem Attribut. Sie beruhen in der
129
Duijker (1960: 4); Link (1991: 30).
130
Durkheim, zitiert in: Müller (1986: 12).
131
Konzept nach White (1975); Krakau (1985: 11); Boulding (1959: 120f). Michel
Foucaults Gedankenspiel, ob Symbole und Mythen (als diskursive Gegenstände)
erst Nationalcharaktere entstehen lassen oder umgekehrt, soll hier vernachlässigt
werden.
132
Hofstätter (1960: 8).
133
Stapf (1986: 15); Kühnhardt (2000: 14).
134
Hentschel (1995: 14).
135
Bierhoff (2000: 267ff) zum 2-Komponenten-Ansatz.

Antiamerikanismus in der Bundesrepublik Deutschland
37
16:12, 21.07.2005, Layout-gesamt.doc
Regel auf Wissen, und können dementsprechend individuell und qualitativ recht
unterschiedlich ausfallen.
136
Schwierig ist die Beurteilung, inwieweit Stereoty-
pen verbale Äußerungsformen von Überzeugungen sind, die als Teil eines ste-
reotypen Systems oder gar eines weltanschaulichen ,,belief system" interpretiert
werden können.
137
Richtig ist in jedem Fall der Hinweis auf die potentielle poli-
tische Sprengkraft von Stereotypisierungen, da sie beliebig mit Affekten auf-
ladbar sind.
138
Überzeugungen oder gar Ideologien und Weltbilder können als
Rationalisierungen für Affekte fungieren, Stereotypen gelten als die kognitiven
Komponenten von Vorurteilen.
139
Diese Interpretation legitimiert dazu, sowohl
Anti- als auch Proamerikanismus als Vorurteil zu bezeichnen, ohne sich auf
ein zugehöriges belief system festzulegen.
Aber wie und warum entstehen Stereotype und Vorurteile? Die psychologi-
sche Stereotypenforschung wird im Wesentlichen von drei theoretischen Analy-
seebenen dominiert.
136
Stapf (1986: 15), zurückgehend auf: Fishbein / Ajzen (1975); Bierhoff (2000:
267f).
137
Quasthoff (1973: 27); Iwand (1982: 13); Bergler (1966: 112); Holsti (1962:
245). Ideologie sei hier verstanden als die Gesamtheit der Gedanken, Vorstellungen
und Wertungen einer Kultur, eines Staates oder eines Volkes, einer Gesellschaft
oder Gesellschaftsgruppen über wirtschaftliche, soziale, philosophische religiöse,
politische und künstlerische Ereignisse und deren Tatbestände und deren bisherige
und zukünftige Entwicklung, systematisch geordnet und logisch verknüpft. aus:
Beck (1986: 410f).
138
Lösche (1986: 356).
139
Quasthoff (1973: 27); Stapf (1986:15); Link (1991: 16); Boulding (1959: 121);
Bierhoff (2000: 285). Abweichend Garleff (1995: 175). Für ihn sind Stereotype le-
diglich sprachliche Konkretisierungen von Vorurteilen.

38 Barbara
Schnieders
16:12, 21.07.2005, Layout-gesamt.doc
2. Drei Forschungsansätze
2.1. Soziokulturelle Ansätze
Zunächst werden die soziokulturellen Ansätze kurz erläutert, diese beschäftigen
sich primär mit den Inhalten und der Weitergabe von Stereotypen.
Gemäß der Theorie der Sozialen Identität (SIT) hegt jedes Individuum das
Bedürfnis nach positiver Selbstbewertung. Diese ist zum Teil abhängig von der
Bewertung der Gruppe, hier der ,,soziale[n] Großgruppe Nation", mit der es sich
identifiziert. Durch das Streben nach positiver Distinktion wird versucht, die ei-
gene Gruppe positiv von der Fremdgruppe abzuheben.
140
Für die Genese und Entwicklung von Nationenbildern sind zwei Arten von
Stereotypen essentiell. Das Autostereotyp, also das Bild, das die Deutschen
von sich selbst haben und das der ,,Erklärung eigener historisch-
gesellschaftlicher Existenz für sich selbst" dient, steht dem Heterostereotyp
gegenüber, das sie sich von den Amerikanern machen.
141
Nationale Stereotypi-
sierung hat also aufgrund des innergesellschaftlich angenommenen Stereoty-
penkonsenses sowohl eine integrierende als auch eine ausgrenzende Funktion.
Sie kann nur als synchrones System von Äquivalenzen und Gegensätzen im
Vergleich zu anderen Nationen Bestand haben. Interessant ist die anthropologi-
sche Feststellung, dass die Bewertung der Fremdgruppen in der Regel negativer
ist als die der Eigengruppe. Das negative Vorurteil gegenüber der Fremdgruppe
der Amerikaner im Sinne von Antiamerikanismus entspräche demnach einem
positiven Vorurteil über die eigene Gruppe der Deutschen.
142
Dieses Phänomen
wird auf zwei mögliche Ursachen zurückgeführt: ,,ingroup love" oder ,,out-
140
Wiswede (2002: 623ff, 659); Link (1991: 9, 32). Angelegt ist dieser Gedanken-
gang schon in Lippmann (1974: 88).
141
Krakau (1985: 12f); grundlegend Sodhi et al. (1957: 503ff).
142
Link (1991: 91); Stapf (1986: 15); Jacobsen (1982: 109); Hofstätter (1960: 17f).

Antiamerikanismus in der Bundesrepublik Deutschland
39
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group hate".
143
Generell wird, wie zahlreiche Studien belegen, die eigene
Gruppe primär als ,,ehrlich, friedfertig und tugendhaft" dargestellt, die Fremd-
gruppen je nach empfundener Nähe als mehr oder weniger ,,unehrlich, kriegs-
lüstern und verlogen". Feindbilder oder so genannte universelle Stereotype sind
weltweit und unabhängig von der soziokulturellen Matrix nahezu identisch.
144
In der Regel enthalten Stereotype unter anderem die beiden Dimensionen
,,Kompetenz" und ,,emotionale Wärme". Gemäß der Theorie des ambivalenten
Inhalts von Stereotypen werden beide Dimensionen nahezu immer kontrastiert,
es kommt zur Kombination ,,kompetent aber kalt" versus ,,warm aber inkompe-
tent".
145
Stereotypisierungen sind, so ein weiterer Konsens, keineswegs statisch, son-
dern korrelieren mit dem Prozess des ,,nation building". Autostereotype for-
mieren sich aufgrund des Bewusstseins, wichtige und emotional aufgeladene
Ereignisse und Erfahrungen, insbesondere Kriegserlebnisse, zu teilen.
146
Hete-
rostereotype entstehen als Reaktionen einer Nation auf Signale, die sie von ei-
ner anderen Nation in der Vergangenheit erhalten hat, um dadurch ein stimmi-
ges Bild der entstandenen Beziehung herzustellen. Auto- und Heterostereotype
sind also ursächlich miteinander verknüpft. Logische Konsequenz ist die Inter-
pretation von nationalen Stereotypen als ,,mirror of power relations between
countries", der die bestehenden Muster und Charakteristika internationaler Be-
ziehungen reflektiert.
147
Wesentlich für die Aufrechterhaltung von Stereotypen sind die so genannten
soziokulturellen Normen. Sie bilden das Bezugssystem für die Bewertung der
Attribute, die man sich selbst oder einer anderen Nation zuschreibt; diese Uni-
versalisierung der eigenen Meßlatte wird als Ethnozentrismus bezeichnet. Ver-
143
Breuer (1999: 429-444).
144
Bierhoff (2000: 286ff).
145
Bierhoff (2000: 290).
146
Hahn (1995: 10); Boulding (1959: 122).
147
Buchanan (1972: 183); Duijker (1960: 125); Krakau (1985: 10); Stapf (1986:
19).

40 Barbara
Schnieders
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treter der normativen Vorurteilstheorie gehen davon aus, dass Individuen Vor-
urteile haben, ,,weil sie in Gesellschaften großgezogen werden, die das Vorur-
teil als Facette des normativen Systems ihrer Kultur aufweisen".
148
Im Prozess der Sozialisation werden diese Einstellungen internalisiert, Sozi-
alisationsagenten sind Eltern, Schule, peer-group und Massenmedien. Die Me-
dien werden zum einen für den Aufbau von Stereotypen bei Kindern und Ju-
gendlichen mitverantwortlich gemacht. Zum anderen trügen sie im späteren Le-
bensalter zur Aufrechterhaltung und Verfestigung von Stereotypen bei.
149
Letztendlich führt dies zur Einbindung in Bezugsgruppen, mit denen das Indi-
viduum Einstellung und Werte teilt und an denen es sich bei der Beurteilung
anderer Gruppen orientiert. Die bereits vorhandenen Stereotype werden durch
den Prozess des sozialen Lernens und die Konformitätsbemühungen des Indivi-
duums zusätzlich verstärkt. Nicht sehr ins Gewicht fällt die theoretische Diffe-
renzierung Bouldings zwischen den Images der ,,powerful" und der ,,ordinary
people", da es hier nicht um die Analyse von Entscheidungsprozessen geht. Un-
terschiede in der Stereotypisierung bezüglich sozialer Cleavages wie Bildung,
Alter, Parteiaffinität etc. sind dagegen sehr wohl von Interesse.
150
Ob ein höhe-
rer Bildungsstand oder die Zugehörigkeit zu privilegierteren Bevölkerungs-
schichten gegen nationale Vorurteile und Stereotype immunisiert, ist zumindest
sehr umstritten.
151
148
Stapf (1986: 20).
149
Stapf (1986: 22f); Dröge (1967: 114ff). Das Ausmaß des Einflusses, der von den
Massenmedien, insbesondere vom Fernsehen, ausgeht, ist unter Experten umstrit-
ten. Und überhaupt sind die Wirkungsanteile der Sozialisationsagenten variabel.
Vgl Schenk (2002).
150
Boulding (1959: 121). Außerdem weist Boulding nach, dass beide Imagesets
nicht allzu sehr divergieren können in demokratischen Systemen (bezogen auf die
Akzeptanz politischer Entscheidungen).
151
Stapf (1986: 20).

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41
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2.2. Motivationaler, psychodynamischer Ansatz
Aus einer anderen theoretischen Perspektive betrachtet, die eng an die Psycho-
analyse angelehnt ist, bestimmen individuumsspezifische motivationale Bedin-
gungen die Entstehung von Stereotypen und Vorurteilen.
Frustration beispielsweise, besonders wenn sie auf unpersönlichen Quellen
beruht wie wirtschaftlichen Krisen oder einschränkenden sozialen Normen,
sucht sich gemäß der Frustrations-Aggressions-Hypothese ein Ventil, bei-
spielsweise eine Außengruppe als ,,Sündenbock". Allerdings kann diese Theorie
zur Entwicklung negativer Stereotype nicht erklären, warum bestimmte Außen-
gruppen als Aggressionsopfer gewählt wurden, empirische Bestätigung fehlt
ebenfalls.
152
Wesentlich plausibler und der ersten Hypothese sehr ähnlich - aber nicht un-
bedingt besser belegt - ist die auf Sigmund Freud zurückgehende Projektions-
these. Sowohl Individuen als auch Kollektive wie Nationen verpacken die rea-
len sozialen, politischen und kulturellen Probleme, die nicht mit ihrem Autoste-
reotyp vereinbar sind, in Heterostereotype über die Anderen. Es handelt sich in
diesem Sinne um ,,abgespaltene Anteile des Selbsthasses", die Intensität der
Projektion kann als ,,Index der eigenen Verfassung" interpretiert werden. Die
USA eignen sich also optimal als Projektionsfläche für alle Bilder und Meta-
phern, die dem Antagonismus zu Old Europe entspringen.
153
Erstens sind sie
geographisch relativ weit entfernt, Erfahrungen werden darum in der Regel
nicht unmittelbar gemacht, zweitens hält man die U.S.-Amerikaner für prinzi-
piell vergleichbar, da den Deutschen recht ähnlich.
154
Sehr großer Beliebtheit erfreute sich einst die Theorie vom autoritären
Charakter, die von der Annahme ausging, dass es gewisse Persönlichkeits-
152
Stapf (1986: 24).
153
Barres (1978: 115ff); Duijker (1960: 126); Horkheimer (1963: 9); Diner (1993:
11); Lösche (1986: 356). Die Projektionsthese geht auf Sigmund Freud zurück. Ei-
nen neueren Ansatz vertreten Newman et al. (1997: 980-1001).
154
Allensbacher Jahrbücher (1958-1964, 1998-2002).

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2002
ISBN (eBook)
9783832488901
ISBN (Paperback)
9783838688909
Dateigröße
1.3 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität zu Köln – Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
Note
1,0
Schlagworte
september stereotyp nationalismus extremismus
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Titel: Antiamerikanismus in der Bundesrepublik Deutschland
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