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Die Liberalisierung des Erdgasmarktes in Europa

©2005 Diplomarbeit 65 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Am 22. Juni 1998 wurde vom Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union die Richtlinie 98/30/EG beschlossen. Hauptsächlicher Bestandteil ist die „Verwirklichung eines wettbewerbsorientierten Erdgasmarktes.“
In den Ländern der Europäischen Union sind die Ausgangspositionen sowie die Entwicklungen zu einem solchen Markt sehr unterschiedlich. Die folgende Arbeit konzentriert sich daher auf die beiden Länder Deutschland und Großbritannien. Es handelt sich bei diesen Ländern um die größten Gasmärkte in Europa. In Deutschland begann die Liberalisierung mit der Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes von 1998. Der britische Liberalisierungsprozess setzte bereits 1986 mit der Verabschiedung des Gasgesetzes ein. Auf dem Weg zu einem wettbewerbsorientierten Erdgasmarkt ist Großbritannien daher schon weiter fortgeschritten als Deutschland.
Zunächst soll die Ausgangssituation beider Länder miteinander verglichen werden. Großbritannien verfügt über weitreichende heimische Produktionsstätten und zählt zu den Gasexportländern in Europa. Anders ist die Situation in Deutschland. Der Gasbedarf wurde hier im Jahr 2000 nur zu ca. 19 % aus heimischen Quellen befriedigt. Der größte Teil musste importiert werden.
Anschließend werden die jeweiligen Maßnahmen zur Verwirklichung des wettbewerbsorientierten Marktes skizziert und miteinander verglichen. Der Markt in Deutschland bestand vor Beginn der Liberalisierung aus einigen Ferngasgesellschaften sowie über 700 Regionalverteilern (zum Beispiel Stadtwerke). In Großbritannien gab es mit „British Gas“ hingegen nur ein öffentliches Unternehmen, welches in allen Bereichen der Gasindustrie tätig war. Der Transport und der Vertrieb von Erdgas waren nicht getrennt und die entstandenen Kosten nicht transparent. Kostentransparenz ist aber eine Grundvoraussetzung für einen diskriminierungsfreien Zugang zum Leitungsnetz. Jeder Gasanbieter muss die gleichen Chancen bekommen, Erdgas zum Kunden zu transportieren. Ein Schwerpunkt dieser Arbeit ist daher die Entflechtung vertikal integrierter Unternehmen. Die Regelung des Netzzugangs und damit verbunden der Zugang zu Speichern und zum Bilanzausgleich sind weitere wichtige Bestandteile. Um einen liquiden Markt zu erreichen, müssen geeignete Handelsplattformen (Hubs) entwickelt werden. Dort kann Erdgas in einem standardisierten Verfahren gekauft und verkauft werden. Gasgeschäfte können dann schnell und ohne langwierige Verhandlungen getätigt […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Grundlagen des Erdgasmarktes
2.1 Erdgasvorkommen in der Welt
2.2 Verbrauchsentwicklung in Europa

3 Liberalisierung des Erdgasmarktes
3.1 Entflechtung der Gasindustrie
3.2 Transport und Verteilung von Erdgas
3.3 Neue Marktplätze für Erdgas
3.4 Erdgasspeicher im liberalisierten Markt
3.5 Bilanzausgleich im Erdgasnetz

4 Nutzen der Liberalisierung
4.1 Senkung der Verbraucherpreise
4.2 Verbesserte Dienstleistungsqualität
4.3 Erhöhte Wettbewerbsfähigkeit
4.4 Hohe Versorgungssicherheit
4.5 Effizienzsteigerung

5 Schlussbetrachtung

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Konventionelle Welt-Erdgasvorkommen

Abbildung 2: Erdgasaufkommen in Deutschland

Abbildung 3: Aufteilung der Endverbraucher

Abbildung 4: Kontraktpfadmodell

Abbildung 5: Entry/Exit-Modell

Abbildung 6: Netto-Endverbraucherpreise Juli 2004

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Am 22. Juni 1998 wurde vom Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union die Richtlinie 98/30/EG beschlossen. Hauptsächlicher Bestandteil ist die „Verwirklichung eines wettbewerbsorientierten Erdgas­marktes.“[1]

In den Ländern der Europäischen Union sind die Ausgangspositionen sowie die Entwicklungen zu einem solchen Markt sehr unterschiedlich. Die folgende Arbeit konzentriert sich daher auf die beiden Länder Deutschland und Großbritannien. Es handelt sich bei diesen Ländern um die größten Gasmärkte in Europa.[2] In Deutschland begann die Liberalisierung mit der Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes von 1998.[3] Der britische Liberalisierungsprozess setzte bereits 1986 mit der Verabschiedung des Gasgesetzes ein.[4] Auf dem Weg zu einem wettbewerbsorientierten Erdgas­markt ist Großbritannien daher schon weiter fortgeschritten als Deutsch­land.

Zunächst soll die Ausgangssituation beider Länder miteinander verglichen werden. Großbritannien verfügt über weitreichende heimische Produktions­stätten und zählt zu den Gasexportländern in Europa. Anders ist die Situation in Deutschland. Der Gasbedarf wurde hier im Jahr 2000 nur zu ca. 19 % aus heimischen Quellen befriedigt. Der größte Teil musste importiert werden.[5]

Anschließend werden die jeweiligen Maßnahmen zur Verwirklichung des wettbewerbsorientierten Marktes skizziert und miteinander verglichen. Der Markt in Deutschland bestand vor Beginn der Liberalisierung aus einigen Ferngasgesellschaften sowie über 700 Regionalverteilern (zum Beispiel Stadt­werke).[6] In Großbritannien gab es mit „British Gas“ hingegen nur ein öffentli­ches Unternehmen, welches in allen Bereichen der Gasindustrie tätig war.[7] Der Transport und der Vertrieb von Erdgas waren nicht getrennt und die entstandenen Kosten nicht transparent. Kostentransparenz ist aber eine Grundvoraussetzung für einen diskriminierungsfreien Zugang zum Leitungsnetz. Jeder Gasanbieter muss die gleichen Chancen bekommen, Erdgas zum Kunden zu transportieren. Ein Schwerpunkt dieser Arbeit ist daher die Entflechtung vertikal integrierter Unternehmen. Die Regelung des Netzzugangs und damit verbunden der Zugang zu Speichern und zum Bilanzausgleich sind weitere wichtige Bestandteile. Um einen liquiden Markt zu erreichen, müssen geeignete Handelsplattfor­men (Hubs) entwickelt werden. Dort kann Erdgas in einem stan­dardisierten Verfahren gekauft und verkauft werden. Gasgeschäfte können dann schnell und ohne langwierige Verhandlungen getätigt werden.

Das Europäische Parlament und der Rat sehen in der Realisierung des Ergasbinnenmarkts den Nutzen „in Form von Effizienzsteigerungen, Preissenkungen, einer höheren Dienstleistungsqualität und einer größeren Wettbewerbsfähigkeit.“[8] Es soll gezeigt werden, wie weit diese Ziele bisher erreicht wurden. Als weiterer Punkt soll die Liberalisierung auch unter dem Blickwinkel der Versorgungssicherheit betrachtet werden. In einer Schluss­betrachtung werden die wichtigsten Punkte noch einmal zusammengefasst und es wird ein kurzer Ausblick für die Zukunft gegeben.

2 Grundlagen des Erdgasmarktes

In diesem Abschnitt wird erläutert, wo die Ware „Erdgas“ ge­fördert wird und wo Bedarf nach Erdgas besteht. Es werden auch Prognosen zur zukünftigen Entwicklung vorgestellt.

2.1 Erdgasvorkommen in der Welt

Die Erdgasvorräte der Erde unterscheidet man in Reserven und Res­sourcen. Bei den Reserven ist die vorhandene Menge relativ genau abgeschätzt und eine Förderung ist mit den derzeitigen technischen Mitteln wirtschaftlich durchführbar. Ressourcen sind geologisch noch nicht genau erfasst oder mit den heutigen technischen Mitteln nicht wirtschaftlich förderbar. Die Art der Lager­stätten kann sehr unterschiedlich sein. Es ist weiter zu unterscheiden zwischen konventionell förderbarem und nicht konventionell förderbarem Erdgas. Im zuletzt genannten Fall handelt es sich zum Beispiel um Gashydrate, Kohle-Flözgas, Lagerstätten in dichtem Gestein und Aquifergas.[9]

Im Jahr 2002 betrugen die konventionellen Gasreserven der Welt 155.673 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Der größte Teil lag mit ca. 36 % im Nahen Osten und mit ca. 35 % in der GUS.[10] Die konventionellen Ressourcen werden von verschiedenen Autoren sehr unterschiedlich geschätzt. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften hat 1999 ein Gesamtpotential (Estimated Ultimate Recovery) von 415 Billionen Kubikmetern geschätzt. Wie Abbildung 1 zu ent­nehmen ist, haben sich konventionelle Reserven und Ressourcen in den letzten Jahren durch weitere Gasfunde deutlich erhöht.[11]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Konventionelle Welt-Erdgasvorkommen

Quelle: Rempel, Vortrag: Erdgas in 21. Jahrhundert, Frühjahrstagung 2001 des Fachbereichs Aufsuchung und Gewinnung der DGMK, Celle 26.04.2001.

Es ist zu erwarten, dass in Zukunft noch weitere Ergasvorkommen entdeckt werden. Gemessen am Weltgasverbrauch von 2002 mit 2534 Milliarden Kubikmetern reichen die konventionellen Reserven noch ca. 61 Jahre.[12] Es wird allerdings vermutet, dass die nicht konventio­nellen Vorkommen mehr als 3242 Billionen Kubikmeter Gas umfassen.[13] Für genauere Angaben ist noch weitere Forschung nötig.

Im Jahr 2002 betrugen die bestätigten europäischen Reserven ca. 4,5 % der Weltreserven. Davon liegen 80 % in Norwegen, den Niederlanden und Großbritannien.[14] In Deutschland liegt das Potential der Erdgasreserven bei ca. 377 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Bei konstanter Förderung von ca. 20 Milliarden Kubikmetern pro Jahr reichen die Vorkommen noch ca. 19 Jahre.[15] In Großbritannien wurden im Jahr 2000 ca. 115,3 Milliarden Kubikmeter Erdgas gefördert. Die Reserven betragen hier etwa 760 Milliarden Kubik­meter, so dass die Vorkommen bei konstanter Förderung in sieben Jahren erschöpft sein werden.[16]

Weltweit sind für die kommenden Jahrzehnte genügend Erdgasvorräte vorhanden. Allerdings wird der Anteil heimischer Gasreserven zurückgehen und die europäischen Länder werden stärker gezwungen sein, ihren Bedarf durch Importe aus dem außereuropäischen Ausland zu decken.

2.2 Verbrauchsentwicklung in Europa

Die europäischen Länder der OECD verbrauchten im Jahr 2001 ca. 490 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Der Verbrauch stieg von 1973 bis 2000 um durchschnittlich 3,7 % pro Jahr an. Voraussichtlich wird der Bedarf in Zukunft um 2,1 % pro Jahr ansteigen, so dass im Jahr 2030 der Bedarf bei ca. 901 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr liegen wird.[17]

Im Jahr 2001 lag die europäische Produktion bei ca. 308 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Großbritannien verbraucht das Gas aus heimischer Produktion hauptsächlich selbst und exportiert nur einen geringen Anteil in andere europäische Länder. Die Niederlande exportieren ca. 50 % des geförderten Erdgases, während Norwegen nahezu seine gesamte Produktion exportiert. Bis zum Jahr 2020 wird von einer weitgehend konstanten Fördermenge auf dem derzeitigen Niveau ausgegangen. Erst danach werden die Fördermengen leicht sinken.[18]

Verbrauch in Deutschland

Die Entwicklung des Erdgasbedarfs in Deutschland lässt sich der folgenden Abbildung 2 entnehmen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Erdgasaufkommen in Deutschland

Quelle: Energiewirtschaftliches Institut an der Universität zu Köln, Integrierte Mikrosysteme der Versorgung – Sektorenreport Gas, Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, 9.5.2003, S. 6.

Der Bedarf an Erdgas nahm stetig zu. Im Vergleich zum Jahr 2000 wird bis zum Jahr 2020 der Bedarf in Deutschland um 34 % ansteigen.[19] Anhand der Abbildung 2 lässt sich gut erkennen, dass Deutschland im Laufe der Zeit immer stärker von Importen abhängig wurde, um die Nachfrage zu befriedigen. Aufgrund der begrenzten heimischen Vorkommen wird sich diese Entwick­lung vermutlich fortsetzen.

Verbrauch in Großbritannien

Auch in Großbritannien stieg der Verbrauch in den letzten Jahren stark an. Im Jahr 2000 betrug der Jahresverbrauch 102 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Dies sind ca. zehn Milliarden Kubikmeter Erdgas mehr als noch ein Jahr zuvor. Da mehr Erdgas produziert als verbraucht wurde, wurden ca. 13,38 Milliarden Kubikmeter Erdgas exportiert.[20] Es ist auch in Zukunft von einem stark ansteigenden Bedarf an Erdgas auszugehen. Großbritannien wird sich von einem Exportland zu einem Importland wandeln.

Die meisten europäischen Länder müssen ihren Bedarf hauptsächlich durch Importe decken. Die größten Gaslieferanten außerhalb Europas sind Russland mit 117 Milliarden Kubikmeter Erdgas und Algerien mit 55 Milliarden Kubikmetern Erdgas.[21] Bezüglich der Liberalisierung ist es wichtig, dass die Versorgungssicherheit gewahrt bleibt. Die Abhängigkeit von einem einzelnen Exportland ist möglichst zu vermeiden.

Der Bedarf an Erdgas ist nicht gleichmäßig über das Jahr verteilt, sondern Schwankungen unterworfen. Die Größe dieser Schwankungen hängt zu einem großen Teil von der Art der Endverbraucher ab. Diese teilten sich im Jahr 1999 entsprechend ihres Anteils am europäischen Gesamtverbrauchs wie in Abbildung 3 auf.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Aufteilung der Endverbraucher

Quelle: Madden / White, Liberalising Gas Markets in Europe, Januar 2001, S. 20.

Die Bedarfschwankungen haben je nach Endverbraucher unterschiedliche Ursachen:

- Im Bereich der Haushalte und der öffentlichen Gebäude wird Erd­gas vor allem zum Heizen, Kochen und zur Warmwasserbereitung verwendet. Der Verbrauch wird daher stark von Wetter und Jahreszeit beeinflusst.
- In der Industrie wird der größte Teil des Erdgases verbraucht. Auch hier kann der Bedarf stark schwanken. Einfluss haben sowohl das Wetter als auch die Arbeitszeiten.
- Die Stromerzeugung ist ein sehr rasch wachsender Markt. Gaskraft­werke sind sehr effizient und haben im Vergleich zu anderen Kraft­werken mit fossilen Brennstoffen einen geringen Schadstoffausstoß. Sie werden zunehmend zur Deckung der elektrischen Grundlast eingesetzt. Im Grundlastbereich wird unabhängig von äußeren Einflüssen immer die gleiche Menge an Strom produziert und dementsprechend ist auch der Verbrauch an Erdgas konstant.[22] Im Bereich der Stromerzeugung sind die Bedarfsschwankungen im Vergleich zum hohen Verbrauch daher gering. Der Gasanteil zur Stromerzeugung wird sich insbesondere in Deutschland noch erhöhen.[23] In Europa werden voraussichtlich 72 % des zusätzlichen Gasbedarfs bis zum Jahr 2030 für die Stromerzeugung benötigt.[24]
- Weiterer Gasbedarf entsteht durch die Verwendung in anderen Produkten sowie als Treibstoff für Kraftfahrzeuge. Im Vergleich zu den bereits genannten Bereichen sind der Verbrauch und die damit verbundenen Bedarfsschwankungen sehr gering.[25]

Der tatsächliche Bedarf lässt sich nie exakt vorhersagen, da unvorher­sehbare Einflüsse (zum Beispiel plötzliche Wintereinbrüche) zu Last­schwankungen führen. Bezüglich der Liberalisierung haben hier der freie Zugang zu Speichern sowie die Organisation des Bilanzausgleichs besondere Bedeutung.

3 Liberalisierung des Erdgasmarktes

Mit der Richtlinie 98/30/EG wurde am 22. Juni 1998 die „Verwirklichung eines wettbewerbsorientierten Erdgasmarktes“ in Europa eingeleitet.[26] Ihr folgte am 26. Juni 2003 die Richtlinie 2003/55/EG. Ziel ist ein vollständig geöffneter Erdgasmarkt, in dem alle Verbraucher ihren Lieferanten frei wählen können und alle Anbieter ihre Kunden frei beliefern können.[27]

Damit dies erreicht wird, muss jeder Anbieter von Erdgas die gleichen Möglichkeiten erhalten, Erdgas über das Leitungsnetz transportieren zu dürfen. Um Bevorzugungen bestimmter Anbieter zu verhindern, soll das Leitungsnetz als natürliches Monopol von den übrigen Aktivitäten entflochten werden. Für einen wirtschaftlichen Handel zwischen Verkäufer und Käufer von Erdgas ist neben dem Leitungsnetz zum Transport des Erdgases auch der gleichberechtigte Zugriff auf Speicher und Bilanzausgleich notwendig. Erst dann können neue Anbieter mit den bestehenden Energieversorgungsunternehmen konkurrieren. Mit der Liberalisierung entstehen zudem neue Produkte. Der Kunde kann seinen Erdgasbedarf optimal decken und seine Kosten minimieren. Ein Beispiel sind die Futures. Sie werden genutzt, um Gaspreise für die Zukunft festzulegen und dadurch die Preisrisiken für den zukünftigen Gasbezug zu vermindern. Der Handel findet an Hubs oder an der Börse statt. Käufer und Verkäufer finden dort schnell zusammen und Handelsgeschäfte können aufgrund standardisierter Verfahren kostengünstig und schnell abgewickelt werden.

Innerhalb Europas ist die Liberalisierung des Gasmarktes unterschiedlich weit fortgeschritten. In Großbritannien ist der Wettbewerb am weitesten entwickelt. Die ersten Reformen gab es dort schon Ende der achtziger Jahre. In Kontinentaleuropa begann die Liberalisierung erst mit der Umsetzung der EG-Richtlinie im August 2000.[28]

Im Folgenden werden die Maßnahmen zur Erreichung eines liberalisierten Ergasmarktes erläutert und die Entwicklung von Deutschland und Großbritannien verglichen.

3.1 Entflechtung der Gasindustrie

Vor der Liberalisierung waren die Bereiche Erzeugung, Netzbetrieb, Energiehandel und -versorgung oft integrierte Bereiche eines Energiever­sorgungsunternehmens. Für einen fairen und diskriminierungsfreien Wettbewerb ist eine Entbündelung (Unbundling) des Netzbetriebs von den anderen Bereichen notwendig. Damit wird sichergestellt, dass ein Wettbewerber bei der Durchleitung von Erdgas nicht schlechter gestellt wird als das Unter­nehmen, welches das Netz betreibt.[29]

Der Grad der Entflechtung lässt sich in vier Stufen unterteilen:

- Buchhalterische Trennung heißt, dass der Kauf und Verkauf von Erdgas von den Transportaktivitäten getrennt auf unterschiedliche Konten gebucht werden muss. Ein vertikal integriertes Unter­nehmen muss sich für Transport und den damit verbundenen Leistungen wie Bilanzausgleich und Qualitätssicherung die gleichen Kosten ausweisen wie einem Wettbewerber.[30] Durch die buchhalte­rische Tren­nung soll Quersubventionen innerhalb der verschie­denen Bereiche integrierter Unternehmen vorgebeugt werden. Ab dem 1. Juli 2007 ist diese Trennung für alle Energieversorgungs­unternehmen in der Europäischen Union Pflicht.[31]
- Funktionelle Trennung besteht aus der buchhalterischen Trennung und der informatorischen Trennung. Dies führt dazu, dass der Bereich des Ein- und Verkaufs eines vertikal integrierten Unternehmens lediglich über die gleichen Informationen bezüglich des Leitungsnetzes verfügt wie jeder andere Wettbewerber. Damit ist auch eine Trennung des Personals verbunden. Personen, die mit Aufgaben (Funktionen) des Netzbetriebs betraut sind, dürfen nicht auch beim Ein- und Verkauf tätig sein und umgekehrt.[32] Die EG-Richtlinie spricht hier zunächst nur von Personen mit Leitungs-aufgaben.[33]
- Operationelle Trennung bedeutet, dass die Entscheidung sowie die Durch­führung von Investitionen das Netz betreffend in der Verant­wortung des entsprechenden Bereichs liegen und unabhängig vom Gashandel des verbundenen Unternehmens getätigt werden. Die Besitzverhältnisse bleiben davon noch unberührt.
- Eigentumsrechtliche Trennung heißt, dass der Netzbetrieb von den anderen Bereichen abgeteilt wird und daraus ein rechtlich unabhängiges Unternehmen entsteht. Dieses Unternehmen hat ein eigenes Management, eine eigene Organisation und es gibt keinen wesentlichen gemeinsamen Besitz zusammen mit dem ursprüngli-chen Unternehmen.[34]

Laut EG-Richtlinie muss der Netzbetrieb in einem vertikal integrierten Unternehmen in Zukunft hinsichtlich der Rechtsform, Organisation und Entschei­dungsgewalt unabhängig vom Rest des Unternehmens sein. Im Gegensatz zur beschriebenen „Eigentumsrechtlichen Trennung“ besteht aber keine Verpflichtung, den Besitz zu trennen. Es sind zudem Kombinations­netzbetreiber erlaubt. Das heißt, dass der gleichzeitige Betrieb von Transportnetz, Verteilnetz, LNG- und Speicheranlagen möglich ist.[35]

Deutschland

Den Markt in Deutschland teilen sich bisher ca. 750 Gasversorgungs­unternehmen. Diese lassen sich in drei Stufen unterteilen. Zuerst gibt es die importierende Ferngasstufe, in der ungefähr fünf Unternehmen tätig sind. Es folgen ca. 30 Regionalverteiler. Diese transportieren das Gas zu den lokalen Endverteilern, welche den Rest der Gesellschaften ausmachen. Die Abgrenzung zwischen den Stufen ist nicht eindeutig. Es gibt Ferngasunternehmen, die zusätzlich einige Endkunden beliefern, und lokale Endverteiler, die auch in der regionalen Weiterverteilung tätig sind.[36] Vor Beginn der Liberalisierung verfügte jeder lokale Gasversorger über ein Leitungsnetz in einem bestimmten Gebiet. Konzessionsverträge mit den Städten und Gemeinden sicherten den Versorgern das alleinige Recht zu, in diesem bestimmten Gebiet Erdgas zu verkaufen. Netzbetreiber und Anbieter waren identisch.[37]

Integrierte Gasversorgungsunternehmen müssen in Deutschland seit April 1998 in ihrer Buchführung separate Konten für Transport, Verteilung und Speicherung führen. Für die einzelnen Bereiche müssen intern separate Bilanzen sowie Gewinn- und Verlustrechnungen erstellt werden.[38] In Zukunft wird zusätzlich zu der buchhalterischen auch die funktionelle und operationelle Trennung vorgeschrieben. Bis spätestens zum 1. Juli 2007 wird in Deutschland eine rechtliche Trennung zwischen Netzbetrieb und Gashandel erforderlich. Der Netzbetrieb umfasst hier den Betrieb von Transportnetzen, Verteilnetzen sowie LNG- und Speicheranlagen. Ausgenommen von der rechtlichen Trennung werden Unternehmen mit weniger als 100.000 Kunden sein.[39] Diese Unternehmen sollen durch den Aufwand, der durch die Entflechtung entstehen würde, nicht unverhältnismäßig stark belastet werden.[40]

In Zukunft ist zwischen Netz- und Vertriebsgebiet zu unterscheiden. Bedingt durch die Entflechtung gehen die Unternehmen im Durchschnitt von einer Kostensteigerung von 3,6 % aus. Kleinere Unternehmen sind aufgrund des regulatorischen Aufwandes stärker betroffen als große Unternehmen. Um die Synergieverluste zu mindern, ist ein Trend zu Kooperationen und Partnerschaften zu beobachten.[41] Es bleibt abzuwarten, ob es zur Minderung der Kosten im Zuge der Entflechtung verstärkt zu Zusammenschlüssen von Unternehmen kommen wird. Bisher gibt es dazu keine einheitliche Expertenmeinung.[42]

Großbritannien

In Großbritannien gab es vor Beginn der Liberalisierung mit „British Gas“ ein öffentliches Unternehmen, welches in allen Bereichen des Gasgeschäftes tätig war und eine dominierende Position innehatte.

Mit dem Gasgesetz wurden 1986 drei unterschiedliche Tätigkeiten innerhalb der Gasindustrie definiert. Für jede Tätigkeit ist eine Genehmigung erforderlich:

- Transport: Hierbei handelt es sich um die Beförderung des Gases durch ein Rohrleitungssystem. Um Gas transportieren zu dürfen, muss ein sogenannter Netzcode mit den Netzzugangsbedingungen veröffentlicht und von der Regulierungsbehörde genehmigt werden. Jedem Teilnehmer, der die dort genannten Kriterien erfüllt, muss Zugang zum Netz gewährt werden. Unternehmen mit einer Trans­portlizenz können keine Liefer- oder Verteillizenz erhalten.
- Lieferung: Lieferanten kaufen Gas von einem Förderunternehmen oder anderen Lieferanten und verkaufen es an Verteilunternehmen. Dazu treffen sie entsprechende Vereinbarungen mit dem Gastrans­porteur.
- Verteilung: Verteilerunternehmen kaufen Gas von den Lieferanten und verkaufen es an die Endkunden. Die Lizenzen zur Lieferung und Verteilung können auch zusammen erworben werden.
British Gas wurde 1986 privatisiert.[43] Anfang der neunziger Jahre mussten die Tarife für den Netzzugang veröffentlicht werden und British Gas musste einen Teil des Erdgashandels an andere Anbieter abgeben.[44] Im Jahr 1997 teilte sich das Unternehmen und es entstanden die Vertriebsgesellschaft „Centrica“ und die Transportgesellschaft „Transco“.[45] Damit ist das Gasnetz eigentumsrechtlich vom vormals integrierten Unternehmen entflochten.[46]

[...]


[1] Europäisches Parlament und der Rat: Richtlinie 98/30/EG, 22. Juni 1998, Grund (3).

[2] Vgl. Cornot-Gandolphe , Dickel: Flexibility in Natural Gas supply and demand, 2002, S. 165.

[3] Vgl. Held: Struktur und rechtliche Rahmenbedingungen des Energiemarktes in Deutschland. In: Associated European Energy Consultants EWIV, Der Energiebinnenmarkt in Europa - Ein Rechts- und Strukturvergleich, 1. Auflage 2003, S. 73 f.

[4] Vgl. Blunsdon: Struktur des Gasmarktes in Großbritannien. In: Associated European Energy Consultants EWIV, Der Energiebinnenmarkt in Europa - Ein Rechts- und Strukturvergleich, 1. Auflage 2003, S. 271 f.

[5] Vgl. Energiewirtschaftliches Institut an der Universität zu Köln: Integrierte Mikrosysteme der Versorgung – Sektorenreport Gas, Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, 9.5.2003, S. 6.

[6] Vgl. Haag, Hannes, Weiß: Vision einer neuen Struktur in der deutschen Gasindustrie. In: Schneider und von Weizsäcker, Zeitschrift für Energiewirtschaft, 3/2001, S. 165.

[7] Vgl. Blunsdon: Struktur des Gasmarktes in Großbritannien. In: Associated European Energy Consultants EWIV, Der Energiebinnenmarkt in Europa - Ein Rechts- und Strukturvergleich, 1. Auflage 2003, S. 272.

[8] Europäisches Parlament und der Rat: Richtlinie 2003/55/EG, 26. Juni 2003, Grund (2).

[9] Vgl. Exxon/Mobil Central Europe Holding GmbH: ESSO Energieprognose 2001, Potential der Öl- und Gasvorräte, S. 1.

[10] Vgl. Exxon/Mobil Central Europe Holding GmbH: Oeldorado 2003, S. 5 ff.

[11] Vgl. Rempel: Vortrag: Erdgas in 21. Jahrhundert, Frühjahrstagung 2001 des Fachbereichs Aufsuchung und Gewinnung der DGMK, 26.04.2001.

[12] Vgl. Exxon/Mobil Central Europe Holding GmbH: Oeldorado 2003, S. 5 ff.

[13] Vgl. Exxon/Mobil Central Europe Holding GmbH: ESSO Energieprognose 2001, Potential der Öl- und Gasvorräte, S. 3.

[14] Vgl. Cornot-Gandolphe, Dickel: Flexibility in Natural Gas supply and demand, 2002, S. 46.

[15] Vgl. Exxon/Mobil Central Europe Holding GmbH: ESSO Energieprognose 2001, Potential der Öl- und Gasvorräte, S. 4.

[16] Vgl. IEA: Flexibility in Natural Gas supply and demand, 2002, S. 246.

[17] Vgl. IEA: Flexibility in Natural Gas supply and demand, 2002, S. 41 ff.

[18] Vgl. Cornot-Gandolphe, Dickel: Flexibility in Natural Gas supply and demand, 2002, S. 46.

[19] Vgl. Exxon/Mobil Central Europe Holding GmbH: ESSO Energieprognose 2001, Potential der Öl- und Gasvorräte, S. 2.

[20] Vgl. Cornot-Gandolphe, Dickel: Flexibility in Natural Gas supply and demand, 2002, S. 243 ff. und Madden, White: Liberalising Gas Markets in Europe, Januar 2001, S. 136.

[21] Vgl. Cornot-Gandolphe, Dickel: Flexibility in Natural Gas supply and demand, 2002, S. 46.

[22] Vgl. Madden, White: Liberalising Gas Markets in Europe, Januar 2001, S. 19 ff.

[23] Vgl. Exxon/Mobil: ESSO Energieprognose 2003, S. 2 ff. und Cornot-Gandolphe / Dickel: Flexibility in Natural Gas supply and demand, 2002, S. 37.

[24] Vgl. Cornot-Gandolphe, Dickel: Flexibility in Natural Gas supply and demand, 2002, S. 45.

[25] Vgl. Madden, White: Liberalising Gas Markets in Europe, Januar 2001, S. 20 ff.

[26] Vgl. Europäisches Parlament und der Rat: Richtlinie 98/30/EG, 22. Juni 1998, Grund (3).

[27] Vgl. Europäisches Parlament und der Rat: Richtlinie 2003/55/EG, 26. Juni 2003, Grund (4).

[28] Vgl. Cornot-Gandolphe, Dickel: Flexibility in Natural Gas supply and demand, 2002, S. 44.

[29] Vgl. Held: Struktur und rechtliche Rahmenbedingungen des Energiemarktes in Deutschland. In: Associated European Energy Consultants EWIV, Der Energiebinnenmarkt in Europa - Ein Rechts- und Strukturvergleich, 1. Auflage 2003, S.75.

[30] Vgl. Hierl: Regulatory Reform: European Gas, 2000, S. 81.

[31] Vgl. Europäisches Parlament und der Rat: Richtlinie 2003/55/EG, 26. Juni 2003, Artikel 17, Punkt (3).

[32] Vgl. Hierl: Regulatory Reform: European Gas, 2000, S. 81.

[33] Europäisches Parlament und der Rat: Richtlinie 2003/55/EG, 26. Juni 2003, Artikel 9, Punkt 2a und Artikel 13 Punkt 2a.

[34] Vgl. Hierl: Regulatory Reform: European Gas, 2000, S. 81.

[35] Vgl. Europäisches Parlament und der Rat: Richtlinie 2003/55/EG, 26. Juni 2003, Artikel 9, Absatz (1), Artikel 13 Absatz (1) und Artikel 15.

[36] Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit: Bericht an den Deutschen Bundestag über die energiewirtschaftlichen und wettbewerblichen Wirkungen der Verbändevereinbarungen (Monitoring-Bericht), 31. August 2003, S. 34.

[37] Vgl. Held: Struktur und rechtliche Rahmenbedingungen des Energiemarktes in Deutschland. In: Associated European Energy Consultants EWIV, Der Energiebinnenmarkt in Europa - Ein Rechts- und Strukturvergleich, 1. Auflage 2003, S.65 ff.

[38] Vgl. Deutscher Bundestag und Bundesrat: Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung, 24. April 1998, § 9a.

[39] Vgl. Deutscher Bundestag und Bundesrat: Zweites Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts, 28. Juli 2004, Teil 2.

[40] Vgl. Zenke, Thomale: Der europarechtliche Rahmen für den Strom- und Gasmarkt. In: Associated European Energy Consultants EWIV, Der Energiebinnenmarkt in Europa - Ein Rechts- und Strukturvergleich, 1. Auflage 2003, S. 58.

[41] Vgl. Oldenbourg Industrieverlag GmbH: Zeitschrift: „gas“, September/Oktober 2004, S. 38 f.

[42] Vgl. Energie Informationsdienst GmbH: EID, Nr. 50/04, S. 16.

[43] Vgl. Blunsdon: Struktur des Gasmarktes in Großbritannien. In: Associated European Energy Consultants EWIV, Der Energiebinnenmarkt in Europa - Ein Rechts- und Strukturvergleich, 1. Auflage 2003, S. 272 f.

[44] Vgl. Hollos: Privatisierung und Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen in der EU-15 – Teil 10: Gas, Mai 2004, S. 15.

[45] Vgl. Detti, Signer, Kaufmann: Marktöffnung im Gasbereich, 22. Mai 2001, S. 13.

[46] Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaft: Third benchmarking report on the implementation of the internal electricity and gas market, 1.3.2004, S. 39.

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Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2005
ISBN (eBook)
9783832488437
ISBN (Paperback)
9783838688435
DOI
10.3239/9783832488437
Dateigröße
553 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Technische Hochschule Köln, ehem. Fachhochschule Köln – Wirtschaftswissenschaften
Erscheinungsdatum
2005 (Juni)
Note
2,0
Schlagworte
energie wettbewerb verbändevereinbarung binnenmarkt unbundling
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