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Jugend und Identität

Identitätskonzepte und Identitätstheorien in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts

©2002 Diplomarbeit 149 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Das Wort Identität kommt ursprünglich von dem lateinischen Demonstrativpronomen „idem“. Es bedeutet „eben der, der ein und derselbe“. Später im 18. Jahrhundert erweiterte sich die Vokabel zu „identitas“. Sie meint eine „vollkommene Übereinstimmung zweier Dinge oder Personen.“ (Quelle: Herkunftswörterbuch) Unser Verb „identifizieren“ ist in diesem Kontext so zu verstehen: Etwas genau wiedererkennen, die Identität einer Person feststellen. Der Brockhaus definiert Identität „als Gleichheit mit sich selbst“.
In dieser Diplomarbeit werde ich aus heutiger Sicht auf die klassischen Identitätstheorien schauen und gesellschaftliche Entwicklungen betrachten, die einen bedeutenden Einfluss auf die Identität des Menschen haben. Erikson, der Vater der Entwicklungspsychologie, hatte ein sehr idealisiertes und auf die Einheit, Harmonie und Kontinuität der Person abzielendes Identitätsverständnis. Dabei werden seine biographischen und makrogesellschaftlichen Umstände beschrieben, die Einfluss auf die Konzeption von Identität ausübten. Marcia überführte das von ihm aufgestellte Acht-Stufenmodell in die Praxis. Durch empirische Erhebungen und dank ausgiebiger Tests operationalisierte er Eriksons theoretische Konzeption. Für ihn war Identität messbar. Er konnte mittels einer von ihm entwickelten Kategorisierung erkennen, in welchem Zustand die Identität eines Menschen sich gerade in einem bestimmten Lebensbereich befand. Inwiefern sich nun diese Konzepte auch noch in der Postmoderne anwenden lassen, ohne sie kräftig zu „verbiegen“, untersuchte u.a. Keupp. Er sprach als erster von dem „Patchwork der Identität“. Er analysiert genau die gesellschaftlichen Umbruchserfahrungen und deren Auswirkungen auf die Identität.
Es soll herausgearbeitet werden unter welchen Umständen und wie Jugendliche ihre Identität aus verschiedenen Komponenten zusammenbauen. Ich werde einige interessante Ergebnisse aus der Shell Jugendstudie 2000 mit einbringen. Eine umfassende Darstellung aller identitätsrelevanten Erkenntnisse kann jedoch hier nicht gegeben werden.
Bei manchen Punkten, die mich persönlich sehr interessierten, haben ich einen Exkurs gemacht.
Zum Schluss werde ich mir im Ausblick Gedanken machen, welche praxisrelevanten Folgen es für meine Arbeit mit Jugendlichen hat.

Zusammenfassung:
Wir haben also gesehen, dass Identität in der Postmoderne nicht mehr das widerspruchsfreie Zusammenpassen einzelner Identifikationen in verschiedenen […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 8823
Müller, Daniel: Jugend und Identität - Identitätskonzepte und Identitätstheorien in der
zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
Hamburg: Diplomica GmbH, 2005
Zugl.: Universität Siegen, Diplomarbeit, 2002
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http://www.diplom.de, Hamburg 2005
Printed in Germany

Wassily Kandinsky : Gelb ­ Rot ­ Blau, 1925

Gliederung
1.1.)
Vorwort
und
Dank
S.
1
1.2.)
Eidesstattliche
Erklärung
S.
2
1.3.)
Einleitung
S.
3
2.)
Darstellung
Klassischer
Identitätskonzepte
S.
4
2.1.) Erik H. Erikson´s Stufenmodell
(1979)
S. 4
2.2.) James E. Marcia
S. 31
3.) Gesellschaftliche Umbrüche in der Postmoderne und
ihre Auswirkungen auf die
Identitätskonstruktion
S. 48
3.1.)
Herkunft
des
Begriffs
:
,,Postmoderne" S.
48
3.2.)
Selbstverständnis
der
Postmoderne
S.
49
3.3.)
Auswirkungen
auf
den
individuellen
Bereich
S.
59
4.) Darstellung des Identitätskonzepts von Heiner Keupp
S. 85
4.1.)
Wie
alles
anfing...
S.
85
4.2.)
Ausrichtung
und
Forschungsziel S.
87
4.3.)
Dimensionen
der
Identität
S.
88
4.4.)
Ressourcen
für
die
Identitätsarbeit
S.
95
5.) Überprüfung der theoretischen Konzeption durch ein 10 jähriges
Forschungsprojekt
S. 101
5.1.) Schlüsselbereiche der Jugendlichen
S. 102
6.)
Resümee
und
Ausblick
S. 131
7.)
Literaturverzeichnis
S.
133
8.)
Abbildungsverzeichnis
S. 138
9.)
Tabellenverzeichnis
S. 140

Gliederung
1.1.)
Vorwort
und
Dank
S.
1
1.2.)
Eidesstattliche
Erklärung
S.
2
1.3.)
Einleitung
S.
3
2.)
Darstellung
Klassischer
Identitätskonzepte
S.
4
2.1.) Erik H. Erikson´s Stufenmodell
(1979)
S. 4
2.1.1.) Biographie und Hintergrund
S.
6
2.1.2.)
Epigenetisches
Prinzip
S.
6
2.1.3.) Der Lebenszyklus ­ Die Acht
Entwicklungsstufen
S.
8
2.1.3.1.) 1. Phase: Urvertrauen
versus
Urmißtrauen
S.
9
2.1.3.2.) 2. Phase: Autonomie versus Scham und Selbstzweifel
S. 11
2.1.3.3.) 3. Phase: Initiative
versus
Schuldgefühle
S.
13
2.1.3.4.) 4. Phase: Werksinn
versus
Minderwertigkeit
S.
15
2.1.3.5.) 5. Phase: Identität
versus
Identitätsdiffusion
S.
18
2.1.3.6.) 6. Phase: Intimität
versus
Isolierung
S.
25
2.1.3.7. ) 7. Phase: Generativität versus
Stagnation
S.
27
2.1.3.8.) 8. Phase: Integrität
gegen
Verzweiflung
S.
28
2.1.4.) Schaubild: Zusammenfassung der Entwicklungsstufen nach Erikson
S. 30
2.2.) James E. Marcia
S. 31
2.2.1.) James E. Marcia´s
Identity-Status-Modell
(1993)
S.
31
2.2.1.1.) Erarbeitete Identität
(Identity
Achievement)
S.
32
2.2.1.2.) Übernommene Identität (Foreclosure)
S.
34
2.2.1.3.) Moratorium
S. 35
2.2.1.4.)
Identitätsdiffusion
S.
36
2.2.1.5.)
Zusammenfassung
S.
38
2.2.2.)
Ego
Identity
(Ich
Identität)
S.
39
2.2.3.)
Identitätsdiffusion
in
der
Postmoderne
S.
44
2.2.3.1.) Kulturell adaptive Diffusion (,,cultural adaptive
diffusion")
S.
45
2.2.3.2.) Gestörte Diffusion
(,,disturbed
diffusion")
S.
45
2.2.3.3.) Sorglose Diffusion (,,carefree
diffusion")
S.
45
2.2.3.4.) Entwicklungsdiffusion
S. 45

2.2.3.5.)
Selbstfragmentierung
S.
46
2.2.4.)
Zusammenfassung S.
46
3.) Gesellschaftliche Umbrüche in der Postmoderne und
ihre Auswirkungen auf die
Identitätskonstruktion
S. 48
3.1.)
Herkunft
des
Begriffs
:
,,Postmoderne" S.
48
3.2.)
Selbstverständnis
der
Postmoderne
S.
49
3.3.)
Auswirkungen
auf
den
individuellen
Bereich
S.
59
3.3.1.) Subjekte fühlen sich ,,entbettet"
S. 60
3.3.2.) Entgrenzung individueller und kollektiver Lebensmuster
S. 64
3.3.3.) Erwerbsarbeit als Basis von Identität
wird
brüchig
S.
65
3.3.4.)
Fragmentierung
von
Erfahrungen
S.
66
3.3.5.) Virtuelle Welten als neue Realitäten
S. 70
3.3.6.) Zeitgefühl erfährt ,,Gegenwartsschrumpfung"
(Keupp,
1999)
S.
75
3.3.7.)
Pluralisierung
von
Lebensformen
S.
76
3.3.8.) Dramatische Veränderung der Geschlechterrollen
S.
79
3.3.9.)
Individualisierung
und
Solidarität
S.
80
3.3.10.) Verlust des Glaubens an ,,Metaerzählungen"
S.
81
4.) Darstellung des Identitätskonzepts von Heiner Keupp
S. 85
4.1.)
Wie
alles
anfing...
S.
85
4.2.)
Ausrichtung
und
Forschungsziel S.
87
4.3.)
Dimensionen
der
Identität
S.
88
4.3.1.) Identität, Identitätsziel, Identitätsarbeit
S.
88
4.3.2.)
Identitätskonstruktion
S.
89
4.3.3.) Identitätsentwurf, Identitätsprojekt,
Realisierung
S.
90
4.3.4.) Identitätsgefühl
S. 90
4.3.5.)
Gelingende
Identität
S.
91
4.3.5.1.) Variable 1: Kohärenzgefühl
S. 91
4.3.5.2.)
Variable
2:
Authentizität
S.
92
4.3.5.3.) Variable 3: Anerkennung
S.
93
4.3.5.4.) Variable 4:
Handlungsfähigkeit
S.
94

4.4.)
Ressourcen
für
die
Identitätsarbeit
S.
95
4.4.1.)
materielle
Ressourcen
S.
95
4.4.2.)
soziale
Ressourcen
S.
96
4.4.3.)
Ressource
3:
Lebenssinn
S.
97
4.4.4.)
Ressource
4:
Ambiguitätstoleranz
S.
99
5.) Überprüfung der theoretischen Konzeption durch ein 10 jähriges
S. 101
Forschungsprojekt
5.1.) Schlüsselbereiche der Jugendlichen :
S. 102
5.1.1.)
Erwerbsarbeit
S.
102
5.1.2.) Zukunftssicht ? ...recht optimistisch...
S. 105
5.1.3.) Partnerschaft und Intimität
S. 106
5.1.3.1.) Wie aber entwerfen Jugendliche heute ihre Rolle als junge Frau/ Mann? S.107
5.1.3.2.) Welche Rolle spielt die Partnerschaft im Hinblick auf die
Identitätskonstruktion?
S. 109
5.1.3.3.) Wie gehen Jugendliche Sexualität um ?
S. 111
5.1.3.4.) Sieben Selbstverständlichkeiten bei Partnerschaft
S. 111
5.1.3.) Soziale Netzwerke
S. 114
5.1.4.1.) Unverbindlichkeit und Kurzfristigkeit als neue Werte
S. 114
5.1.4.2.) Funktion sozialer Netzwerke für die Identität des Jugendlichen S. 115
5.1.5.) Religion und Spiritualität
S. 117
5.1.5.1.) Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft
S. 117
5.1.5.2.) Religiöse Praktiken
S. 118
5.1.5.3.) Privatisierung von Religion
S. 122
5.1.5.4.) Die unleugbare Sehnsucht nach Transzendenz des Menschen S. 122
5.1.5.5.) Vorherrschende religiöse Einstellungen in Deutschland
S. 123
5.1.5.6.) Ergebnisse aus einer anderen tiefenpsychologischen Studie
S. 126
5.1.5.7.) Jesus in der Postmoderne
S. 129
6.)
Resümee
und
Ausblick
S. 131
7.)
Literaturverzeichnis
S.
133
8.)
Abbildungsverzeichnis
S. 138
9.) Tabellenverzeichnis
S. 141

1
1.1.) Vorwort und Dank
Identität ­ was ist das überhaupt? Fast jeder kann mit dem Begriff ,,Identität" etwas
anfangen. Doch eine eindeutige Beschreibung, was ,,Identität" denn nun ist, können
nur wenige geben. Er wird häufig in alltäglichen Kontexten gebraucht und gewinnt
auch in Human - und Geisteswissenschaften an Bedeutung.
Die häufige Erwähnung des Begriffes führt jedoch zur Inflation des
Identitätsbegriffes. Diese Situation fordert nunmehr eine klare Abgrenzung und
Definition. Identität beantwortet die Frage: ,,Wer bin ich?" und im sozialen
Beziehungsnetz auch die Frage nach dem ,,Wer bist Du?"
Ich werde drei verschiedene Identitätstheorien und Identitätskonzepte vorstellen. Es
handelt sich dabei um die Klassiker Erikson, Marcia und Keupp.
Persönlich motiviert wurde ich bei der Auswahl dieses Themas durch die Frage :
,,Woher weiß ein Mensch, wer er ist und wer er sein will ?"
Besonders in der Arbeit mit Jugendlichen ist es m. E. sehr wichtig den Jugendlichen
zu helfen, eine Identität zu entwickeln. Alle späteren Entscheidungen und
Verhaltensweisen richten sich zu einem Großteil danach, wie sich jemand selbst
sieht und mit wem man sich identifiziert. Aber wie entwickelt man eine Identität in der
heutigen Gesellschaft, ohne zu verstehen, wie sie funktioniert? Deshalb hat mir
besonders die Auseinandersetzung mit den soziostrukturellen Komponenten sehr
viel Spaß gemacht. Die größte Motivation jedoch ist für mich gewesen,
herauszufinden, ob der biblische Glaube heute noch tragfähig ist, und ob die
Identität, die er den Menschen bietet, eine solide Grundlage für alle Bereiche des
Lebens schafft.
Besonderen Dank möchte ich Julia Burgmann und Gunar Kapp sagen für das
Korrekturlesen. Ihr seid einfach spitze gewesen!
Auch Ihnen Frau Behnken sage ich herzlichen Dank für ihre große Unterstützung bei
Fragen und für ihre Freundlichkeit und Lebensfreude.
Frau Woll ­ Schumacher danke ich für ihre gut strukturierten und herausfordernden
Seminare und dafür, daß sie sich nicht mit oberflächlichen Erklärungen zufrieden
geben. Ich hoffe, daß Sie, geehrter Leser, viel Freude beim Lesen haben.

2
1.2.) Eidesstattliche Erklärung
Hiermit versichere ich, daß ich diese Diplomarbeit über das Thema :
Jugend und Identität -
Identitätskonzepte und Identitätstheorien
in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
selbständig angefertigt habe und alle verwendeten Hilfsmittel und
Quellen angegeben habe.
____________________________
Datum / Unterschrift

3
1.3. ) Einleitung
Das Wort Identität kommt ursprünglich von dem lateinischen Demonstrativpronomen
,,idem". Es bedeutet ,,eben der, der ein und derselbe". Später im 18. Jahrhundert
erweiterte sich die Vokabel zu ,,identitas". Sie meint eine ,,vollkommene
Übereinstimmung zweier Dinge oder Personen." (Quelle: Herkunftswörterbuch)
Unser Verb ,,identifizieren" ist in diesem Kontext so zu verstehen: Etwas genau
wiedererkennen, die Identität einer Person feststellen.
Der Brockhaus definiert Identität ,,als Gleichheit mit sich selbst".
In dieser Diplomarbeit werde ich aus heutiger Sicht auf die klassischen
Identitätstheorien schauen und gesellschaftliche Entwicklungen betrachten, die einen
bedeutenden Einfluß auf die Identität des Menschen haben. Erikson, der Vater der
Entwicklungspsychologie, hatte ein sehr idealisiertes und auf die Einheit, Harmonie
und Kontinuität der Person abzielendes Identitätsverständnis. Dabei werden seine
biographischen und makrogesellschaftlichen Umstände beschrieben, die Einfluß auf
die Konzeption von Identität ausübten. Marcia überführte das von ihm aufgestellte
Acht-Stufenmodell in die Praxis. Durch empirische Erhebungen und dank ausgiebiger
Tests operationalisierte er Eriksons theoretische Konzeption. Für ihn war Identität
meßbar. Er konnte mittels einer von ihm entwickelten Kategorisierung erkennen, in
welchem Zustand die Identität eines Menschen sich gerade in einem bestimmten
Lebensbereich befand. Inwiefern sich nun diese Konzepte auch noch in der
Postmoderne anwenden lassen, ohne sie kräftig zu ,,verbiegen", untersuchte u.a.
Keupp. Er sprach als erster von dem ,,Patchwork der Identität". Er analysiert genau
die gesellschaftlichen Umbruchserfahrungen und deren Auswirkungen auf die
Identität.
Es soll herausgearbeitet werden unter welchen Umständen und wie Jugendliche ihre
Identität aus verschiedenen Komponenten zusammenbauen. Ich werde einige
interessante Ergebnisse aus der Shell Jugendstudie 2000 miteinbringen. Eine
umfassende Darstellung aller identitätsrelevanten Erkenntnisse kann jedoch hier
nicht gegeben werden.
Bei manchen Punkten, die mich persönlich sehr interessierten, haben ich einen
Exkurs gemacht.
Zum Schluß werde ich mir im Ausblick Gedanken machen, welche praxisrelevanten
Folgen es für meine Arbeit mit Jugendlichen hat.

4
2.) Darstellung Klassischer Identitätskonzepte
Mit dem Schwerpunkt auf psychologische Identitätskonzepte möchte ich an dieser
Stelle erwähnen, daß soziologische Theorien der Identität wie zum Beispiel von
George Herbert Mead oder Karl Marx und anderen dieser Darstellung einen
gehaltvolleren Charakter geben würden. Damit die Qualität der Theoriedarstellungen
bei mehreren Beschreibungen nicht verlorengeht, treffe ich hier eine Auswahl, die im
pädagogischen Bereich zu den klassischen Identitätskonzepten gehört. Dazu
gehören das ,,psychosoziale Stufenmodell" von Erik Homburger Erikson und das
,,Identity-Status" Modell von James E. Marcia. In einem Atemzug ist auch Alan S.
Waterman zu nennen, der eng mit Marcia zusammengearbeitet hat, der hier nicht
extra behandelt werden soll.
2.1) Erik H. Erikson´s Stufenmodell
2.1.1) Biographie und Hintergrund
Abb. 1: Erik Homburger Erikson
Erik Homburger Erikson lebte von 1902 bis 1994. Sein leiblicher dänischer Vater,
dessen Name uns unbekannt ist, hat seine jüdische Mutter Karla Abrahamsen vor
der Geburt verlassen. Seine Kindheit verbrachte er aber nicht nur mit einem
Elternteil. Er wuchs bei seinem Stiefvater Dr. Theodor Homburger auf, den Klara
heiratete als Erik drei Jahre alt war. Das brachte einiges an Konfliktpotential mit sich.
Seine Klassenkameraden haben ihn beispielsweise in der Grundschule wegen
seinem eher nordischen Aussehen ­ er war groß, blond und blauäugig ­ wie einen
Nordischen behandelt. Später auf dem Gymnasium schauten sie auf seine jüdische
Herkunft mit Verachtung herab.

5
Erikson mußte also schon früh nationale und kulturelle Identitätskonflikte bewältigen.
In diesem Licht ist auch seine Entwicklungspsychologie zu sehen.
Der oft auch als ,,Krisentheoretiker" bezeichnete Erikson interessierte sich
zunehmend für Kunst und konzentrierte sich darauf Künstler zu werden. Er reiste viel
durch Europa, besuchte Museen und führte ein Leben eines sorglosen Rebellen.
Oftmals übernachtete er unter Brücken. Mit 25 Jahren schlug ihm sein Freund Peter
Blos, der auch Künstler und später Psychoanalytiker wurde vor, sich für eine
Lehramtsstelle für Kunst an einer Montessori Schule zu bewerben, wo er auch dann
arbeitete. Die Leiterin war eine gute Freundin von Anna Freud, die dann auf Erikson
aufmerksam wurde. Erikson selbst wurde von ihr in der Psychoanalyse unterwiesen
und zum Kinder und Jugendtherapeuten ausgebildet. Der junge Kunstlehrer, der von
dem Wiener Institut für Psychoanalyse eine Auszeichnung für Montessori Pädagogik
bekam, traf bald auf seine kanadische Frau Joan Serson, die als Tanzlehrerin
arbeitete. Erikson heiratete und hatte drei Kinder.
1933 sind Erik und Joan jedoch wegen den Nazis in die USA ausgewandert. Dort
arbeitete er an verschiedenen medizinischen Schulen und Instituten und wurde in
Bosten der erste Kinderanalytiker. Seine Arbeit umfaßte dort klinische
Beobachtungen bei Kindern und versuchte pädiatrische und psychoanalytische
Aspekte in die Therapie zu integrieren. Wo beispielsweise bei Epilepsie sedierende
Medikamente gegeben wurden, erkannte man immer mehr daß Anfälle, die bisweilen
durch recht harmlose Reize ausgelöst werden, eine psychogene Komponente haben.
Erikson schaute sich die Familienkonstellationen an und bezog die psychosoziale
Komponente in seine Therapie mit ein. Hier geht er über die klassische
Psychoanalyse hinaus. Er erweitert die ,,psychosexuelle Entwicklung " und zieht stark
die ,,psychosoziale" Komponente in Betracht . Er schreibt in seinem ersten Aufsatz
über eine Jungen Sam :
,,Denn eine psychosomatische Krise ist in dem Maß eine emotionale Krise, als das
kranke Individuum auf latente Krisen bei wichtigen Personen seiner Umgebung
reagiert." (Erikson 1971, S. 25)
Ein paar Jahre später untersuchte Erikson Kinder der Sioux und Yurok Indianer.
Diese zeigten bei der staatlichen Indianererziehung eine große Apathie im Verhalten.

6
Die Krisenhaftigkeit bestand in dem sukzessiven Entzug der kollektiven Identität des
Indianerstamms durch die Weißen. Zwischen den Kulturen seine Identität zu bilden
erinnerte Erikson an seine Kindheit. Aufgrund persönlicher und beruflicher
Erfahrungen bei klinischen Beobachtungen von Kindern mit pathologischem Erleben
und Verhalten kristallisierte sich eine Psychologie heraus, die zunehmend
psychosoziale Faktoren in der Persönlichkeitsentwicklung und Identitätsbildung als
relevant ansah.
Seine Hauptwerke :
1950 : ,,Childhood and Society", New York
1959 : ,,Identity and Life Cycle", New York
1968 : ,,Identity ­ Youth and crisis", New York
1974 : ,,Dimensions of a new Identity", New York
1982 : ,,The Life Cycle comlpleted" , New York, London
Andere Werke, die in dieser Arbeit eine weniger relevante Rolle spielen, sind
1958 : ,,Young Man Luther", New York
1964 : ,,Insight and Responsibility", New York
1975 : ,,Life Historie and the historical Movement", New York
1970 ging er in den offiziellen Ruhestand, was seine Lehrtätigkeit anging. Seine Frau
und er arbeiteten und forschten jedoch weiter. 1994 starb Erik Erikson und hinterließ
der Nachwelt ein Standardwerk über psychosoziale Entwicklungspsychologie.
2.1.2 ) Epigenetisches Prinzip
Das epigenetische Prinzip stammt nicht von Erikson selbst, jedoch benutzt er dieses,
um seinen Entwicklungsstufen eine Struktur zu verleihen. Ursprünglich ist dieses
Prinzip eine Beschreibung der Organismusentwicklung in utero. Von dieser Definition
etwas abgelöst definiert Erikson,
,,daß alles was wächst, einen Grundplan hat, und daß die Teile aus diesem
Grundplan heraus erwachsen, wobei jeder Teil seinen Zeitpunkt der speziellen

7
Aszendenz, bis alle Teile entstanden sind, um ein funktionierendes Ganzes zu
bilden."(Erikson, 1974, S. 92)
So wie der genetische Grundplan bestimmte Entwicklungszeitspannen für die
Reihenfolge der Ausbildung von Organen festlegt, so verhält es sich auch mit der
Entwicklung der Persönlichkeit. Übertragen auf die Wechselwirkungen zwischen
Individuum und Umwelt bedeutet das,
,,daß die Persönlichkeit in Abschnitten wächst, die durch die Bereitschaft des
menschlichen Organismus vorherbestimmt sind, einen sich ausweitenden sozialen
Horizont bewußt wahrzunehmen und handelnd zu erleben. Einen Horizont, der mit
dem nebelhaften Bild einer Mutter anfängt und mit der Menschheit endet."
(Erikson, 1966, S. 58)
Das Individuum entwickelt seine Persönlichkeit also durch die Interaktion mit
bedeutsamen Individuuen, über Institutionen bis hin zur Gesellschaft. Diese
Entwicklung folgt einem Stufenplan, der in der Bereitschaft des menschlichen
Organismus vordefiniert ist. Ein weiteres wichtiges Kriterium ist, daß die Stufen
aufeinander aufbauen und voneinander abhängen. So wie das menschliche Herz von
Anfang an da sein muß, um das Wachstum der Organe zu ermöglichen, bauen die
Phasen, die im nächsten Kapitel beschrieben werden aufeinander auf. Jede
Entwicklungsstufe hat eine bestimmte Zeit und Position im Lebenszyklus. Man kann
hier die starke Prägung durch Freud erkennen, die sich dadurch zeigt, daß Freud
ebenfalls behauptete, daß seine psychosexuellen Phasen aufeinander aufbauen.
Seiner Pathologie nach entstehen neurotische Störungen und Abhängigkeiten durch
zu viel Verwöhnung oder Frustration der Triebe in bestimmten Phasen. Es kommt zu
einer Fixierung, die eine Unfähigkeit zur Bewältigung der nächsten Phase bedeutet.
Erikson spricht analog von der Fehlanpassung. Was das bedeutet wird im nächsten
Kapitel beschrieben.

8
2.1.3 ) Der Lebenszyklus ­ Die Acht Entwicklungsstufen
Im Jahr 1979 beschreibt Erikson die Entwicklung der gesunden Persönlichkeit an
Hand von acht aufeinanderfolgenden Stufen. Diese acht Stufen sind zwar
chronologisch strukturiert, aber sie existieren schon in irgendeiner Form, bevor sie
normalerweise in ihre entscheidende, kritische Zeit eintreten. Jede Stufe konfrontiert
das Individuum mit einem Konflikt, der zwischen dem Individuum selbst und dem
Interaktionspartner bzw. in der späteren Entwicklung der Gesellschaft besteht.
Erikson lehrte, daß jede Phase ein höheres Niveau sozialer Interaktion darstellt und
immer höhere Anforderungen an das Individuum hat.
Erikson, der auch an Kulturanthropologie interessiert war, erläutert ferner, daß zwar
der Inhalt der verschieden Stufen von Kultur zu Kultur verschieden ist, das Wesen
der Stufen jedoch kulturübergreifend sei.
In der Literatur werden die einzelnen Phasen auch ,,psychosoziale
Entwicklungsstufen"(vgl. Zimbardo,1992, S.38) genannt. Reichwein unterteilt eine
psychosoziale Entwicklungsstufe in eine Wachstumsphase, eine psychosoziale Krise
mit einen spezifischen Kernkonflikt und eine Entwicklungsphase. (Reichwein, 1984,
S. 115)
Wesentlich bei jeder Stufe ist also eine Krise oder der Kernkonflikt des Individuums,
der zu einer bestimmten Zeit einen Höhepunkt erreicht und eine Lösung des Konflikts
erfordert. In dieser kritischen Zeit wird das Individuum herausgefordert den
momentanen Konflikt zu lösen. Es kann dann entweder zur Lösung des Konflikts
kommen oder zu einer Regression auf die vorige Entwicklungsstufe. Im Falle des
Mißlingens spricht Erikson von Fixierungen (vgl. Zimbardo, 1992, S. 83), die von dem
freudianischen Konzept abgeleitet wurden. Erfolgreiche Krisenbewältigung zielt auf
folgendes ab :
,, Das menschliche Wachstum soll hier unter dem Gesichtspunkt der inneren und
äußeren Konflikte dargestellt werden, welche die gesunde Persönlichkeit
durchzustehen hat und aus denen sie immer wieder mit einem gestärkten Gefühl
innerer Einheit, einem Zuwachs an Urteilskraft und der Fähigkeit hervorgeht, ihre
Sache ,,gut zu machen",...(Erikson, 1966, S. 56)

9
Erfolgreiche Bewältigung der Krisen führen also nach Erikson zu mehr ,,Ich ­ Stärke",
aber auch zu einer wichtigen Ressource für die Bewältigung der nächsten
Entwicklungsaufgabe. Nach Erikson entsteht in der Kindheit ein Fundament, das
beim Individuum aus Identitätsgefühl und Ich ­Qualitäten besteht. Auf dieser
Grundlage wird in der Adoleszens aufgebaut, um die Ausbildung der ,,Ich-Identität" zu
ermöglichen. Diese wiederum braucht das Individuum um weitere
Entwicklungsaufgaben zu meistern. Der Lebenszyklus schreitet fort und dauert ein
Leben lang an. Wenngleich Erikson die Kernkonflikte als generell lösbar ansah, was
in den Zeiten der Postmoderne etwas illusorisch klingt, und die Phasen sich
nacheinander ablösen, ist dies keineswegs als etwas Statisches zu betrachten. Das
ganze Leben hindurch bleibt ein beachtliches Potential für Veränderungen
erhalten. Der nächste Abschnitt wirft mehr Licht auf die gerade vorgestellten
theoretischen Aussagen.
2.1.3.1.) 1. Phase: Urvertrauen versus Urmißtrauen
Das Säuglingsalter (0 ­ 1,5 Jahre)
Ausgehend von Freuds ,,oraler Phase", in der der Mund die primäre Quelle der
Befriedigung ist, nimmt der Säugling durch Nahrungsaufnahme ersten Kontakt zur
Umwelt auf. Die Stimulation des Mundes läßt das Kleinkind Lust erleben. Erikson
nennt diese Tätigkeit die ,,Einverleibung". Er schreibt :
,, Für ihn ist der Mund das Zentrum einer ersten allgemeinen Annäherung an das
Leben, und zwar auf dem Wege der Einverleibung" (Erikson, 1966, S.63)
Der Säugling ist hierbei völlig auf die Mutter angewiesen und bedarf abgesehen von
dem Nahrungsangebot ein ausgewogenes Maß an Reizen, auf die das Kind rezeptiv
reagiert. Wieviel an Reizen hierbei ,,gut" ist, schreibt Erikson, ist davon abhängig
wozu ein Kind heranwachsen soll. Wenn ein Kind Nahrung oder Zärtlichkeiten
aufnimmt, identifiziert es sich nach der Lehre der Psychoanalyse auch mit dem
Geber; der Mutter in der Regel. Soweit die Bedürfnisse des Säuglings befriedigt
werden ihm Lustgewinn verschaffen, ist die Welt für das Kleinkind in Ordnung. Es

10
fühlt sich wohl und in einer sicheren Umgebung. Was aber ist die postulierte Krise in
dieser Phase des Urvertrauens versus des Urmißtrauens ?
Erikson nennt drei Erfahrungen, die zu dem Kernkonflikt führen :
1) Die physiologische Entwicklung : Die steigende aktive Einverleibung durch den
Mund, der durch den Prozess des Zahnens bestimmt wird.
2) Die psychische Entwicklung : Das Kind löst sich ein Stück weit von der Mutter-
Kind - Symbiose und nimmt sich zunehmend als eigenes Individuum wahr. Es
kann zwischen sich selbst und anderen unterscheiden. Diese Trennung zwischen
Ich und Anderen ist der Beginn der Identitätsbildung.
3) Die Umweltentwicklung : Die Mutter wendet sich scheinbar vom Kleinkind ab
und widmet auch wieder anderen Menschen (Ehepartner) und Beschäftigungen
(Haushalt) Zeit.
Am Beispiel des Stillens wird deutlich, was Erikson meint. Wenn das Stillen bis ins
Beißstadium fortgesetzt wird, wird die Mutter ihre Brust aus Schmerz und Ärger dem
Kind entziehen. Aufgrund von klinischer Beobachtung postuliert Erikson,
,,daß sich hier in der Frühgeschichte der Persönlichkeit ein grundsätzliches
Verlustgefühl einschleichen kann,..."(Erikson, 1966, S.69)
Wenn die ,,Einheit mit einer mütterlichen Matrix" (Erikson, 1966, S.69) zerstört wird,
muß ein geeigneter Ersatz her. Es geht hier weniger um die Quantität der
mütterlichen Beziehung, als viel mehr um ihre Qualität. Fehlt dieser Ersatz oder wird
er nur unzureichend geleistet, so stellt sich im weiteren Leben des Kindes ein
negativer Unterton ein.
Erikson bezeichnet es als Urmißtrauen. Häufen sich die Verlusterfahrung der
mütterlichen Geborgenheit und Sicherheit, so verstärkt es die Sehnsucht des Kindes
im weiteren Leben nach der Wiederherstellung eines verloren Paradies. Extreme
Deprivationserlebnisse eines Kleinkindes können zu chronischem Trauergefühl und
zu Untergrunddepression führen. Die positive Herausforderung der Mutter ist das
Vertrauen des Kindes in ihre Versorgung und Befriedigung seiner Bedürfnisse. Aber
das Urvertrauen ist nicht nur auf die Mutter fixiert. Das Kleinkind vertraut auch seiner

11
Funktionsfähigkeit des Körpers und verläßt sich auf ihn. Werden mehr Erfahrungen
gemacht, die dem Kind Urvertrauen ermöglichen, wird das Urmißtrauen überlagert.
Die Sicht der Welt ist eine lebensbejahende und positive. Andernfalls erscheint das
Leben als eine Last, als Schwierigkeit, als generell unsicher und Angst einflößend.
Erikson bemüht sich bei der Schilderung seiner klinischen Beobachtung zugleich um
die pädagogische Anwendung, die wie folgt aussieht:
,,Das Vertrauensgefühl des Kindes zur Mutter wird durch eine Versorgung erweckt,
die mit der sensitiven Befriedigung der individuellen Bedürfnisse des Kindes zugleich
auch ein starkes Gefühl seiner eigene Vertrauenswürdigkeit innerhalb des
zuverlässigen Rahmens des herrschenden Lebensstils erzeugt."
(Erikson, 1966, S.72)
Dieses Vertrauensgefühl stellt die Grundlage der Identität dar: Das Individuum ist,
was man ihm gibt. Es läßt das Individuum fühlen, daß es ,,in Ordnung ist". Damit
kann es sich identifizieren.
Wenn das Individuum einen für sich gangbaren Ausweg oder Lösung des Konfliktes
zwischen Urvertrauen und Urmißtrauen gefunden hat, so stellt sich ein grundlegend
stabiles Selbstbewußtsein ein, daß es für die Bewältigung der nächsten
Entwicklungsaufgaben benötigt. Wird dieser Konflikt nicht gelöst, so stellt sich
grundlegende Angst und ein geringes Selbstbewußtsein beim Individuum ein.
2.1.3.2.) 2. Phase: Autonomie versus Scham und Selbstzweifel
Das Kleinkindalter (1,5 ­ 3 Jahre)
In dieser Phase vergrößert sich der Handlungsspielraum des Kindes und die
Möglichkeiten zur Exploration von Gegenständen und Menschen. Physiologisch reift
das Muskelsystem an und erlaubt dem Kind durch seinen Willen den Muskeln zu
befehlen Dinge oder Personen festzuhalten oder loszulassen. Wenn ein Kind zu
laufen und zu sprechen beginnt, erlebt es sich als Verursacher von Geschehnissen.
In Anlehnung an die Psychoanalyse erreicht das Kind in der analen Phase ein
besseres Ausscheiden der Exkremente und ein bessere Koordinierung derselben.

12
Die Erfahrung Dinge durch den eigenen Willen fallenzulassen und festzuhalten gibt
dem Kind ein Gefühl von Selbstkontrolle und Autonomie :
,,Aus einer Empfindung der Selbstbeherrschung ohne Verlust des Selbstgefühls
entsteht ein dauerndes Gefühl von Autonomie und Stolz; aus einer Empfindung
muskulären und analen Unvermögens, aus dem Verlust der Selbstkontrolle und dem
übermäßigen Eingreifen der Eltern entsteht ein dauerndes Gefühl von Zweifel und
Scham." (Erikson, 1966, S.78 f)
Zwei Komponenten bestimmen beim Kind den Ausgang dieser Entwicklungsaufgabe:
Erstens wirkt sich die Erziehung der Eltern entweder positiv oder negativ auf die
Lösung des Kernkonfliktes aus und zweitens ist der gangbare Ausweg aus der Krise
abhängig von dem Maß des in der ersten Phase erlangten Urvertrauens. Erikson
beschreibt, wenn Eltern vor allem übermäßige Kontrolle oder Kritik an ihrem Kind
üben, daß der Zögling anfängt an seinen Fähigkeiten und an sich selbst zu zweifeln.
Er schämt sich, weil er sich beobachtet fühlt und sich von seinen Eltern exponiert
glaubt. Es kann ferner dazu kommen, daß er Dinge gerade dann heimlich tut oder sie
mit einem Tabu belegt. Als Beispiel ist gerade in der analen Phase die übertriebene
Reinlichkeitserziehung. Alle Dinge, die unsauber sind, werden mit einer stark
negativen Konnotation belegt und jeglicher Wunsch mit den Exkrementen zu spielen
wird verdammt. Wie nun auf der einen Seite übertriebene Kontrolle und Kritik
Autonomieentwicklung blockiert, so führt auch zu große Gleichgültigkeit in der
Erziehung zu einem An-sich-selbst-Zweifeln.
Die pädagogische Applikation wäre hier:
,,Sei gegenüber dem Kind in diesem Stadium zugleich fest und tolerant, und es wird
auch gegen sich selbst fest und tolerant werden." (Erikson, 1966, S.82 f)
Das Autonomiegefühl, das Eltern den Kindern zu gewähren imstande sind, hängt
wiederum von ihrem persönlichen Gefühl von Autonomie und Unabhängigkeit ab.
In gleicher Weise, wie die Lösung des ersten Konfliktes dem Leben einen positiven
Unterton verleiht, besteht die Lösung dieser Entwicklungsaufgabe
,,zur endgültigen Identitätsbildung eben in dem Mut, ein unabhängiges Individuum zu
sein, das seine eigene Zukunft wählen und lenken kann." (Erikson, 1974, S.116)

13
Die unangemessene Lösung wäre hier der Zweifel an der Fähigkeit Dinge und
Ereignisse zu kontrollieren. Auch hier, aufbauend auf der Urvertrauen / Urmißtrauen
Phase, entscheidet die Lösung der Entwicklungsaufgabe über die Qualität des
weiteren Lebens im Aspekt der Selbstwahrnehmung als autonomes Individuum.
In dieser Phase erwirbt das Kind bei gelungener Bewältigung eine Überzeugung, die
Erikson mit ,,Ich bin, was ich will" beschrieben hat.
2.1.3.3.) 3. Phase: Initiative versus Schuldgefühle
Das Spielalter (3-6 Jahre)
Die nächste Krise besteht nun darin herauszufinden,
,,was für eine Art Person das Kind werden will." (Erikson, 1966, S.87)
Erikson beschreibt hier drei Entwicklungsschübe im linguistischen, geistigen und
motorischen Bereich. Die sprachliche Auffassungsgabe und das Artikulieren von
Gefühlen, sowie die Vorstellungswelt des Kindes erweitern sich. Zudem erfährt es ca.
gegen Ende des dritten Lebensjahres, daß die Koordination der Beine ganz von
alleine abläuft, wenn es irgendwo hin laufen will. Das Kind kann sich nun kraftvoll
und selbstinitiativ an Orte bewegen. Es beginnt Dinge mehr als je zuvor zu
erforschen und zu entdecken. Erikson erkennt beim Verhalten des Kindes ein
durchgängiges Muster, was er den ,,eindringenden Modus" nennt. Das Eindringen in
Räume durch kraftvolle Fortbewegung, das Eindringen in Unbekanntes durch
vezehrende Neugier, das Eindringen in die Ohren von andern Leuten durch eine
aggressive Stimme, das Eindringen auf den Körper durch körperlichen Angriff und
die Vorstellung vom sexuellen Eindringen. Am ausgeprägtesten ist hier wohl die
große Wißbegier bezüglich allen sichtbaren und unsichtbaren Dingen. In seiner
Phantasie stellt es sich oft vor, wie es wäre, ein Elternteil zu sein, oder verheiratet zu
sein. Geroge H. Mead beschriebt diesen Vorgang auch als ,,`taking the role of the
other`"(vgl. Bellebaum, Alfred, 1994,S.70) Das Kind versetzt sich in die Perspektive
eines anderen und sieht sich mit dessen Augen.
Analog zu Freuds ,,phallischer" Phase, in der der Ödipuskomplex bzw.
Elektrakomplex angesiedelt wird, spricht auch Erikson von der vermehrten
Beschäftigung mit sexuellen Dingen. Das Eifersüchtigsein auf den

14
gleichgeschlechtlichen Elternteil in der Phantasie des Kindes läßt es neben dem
Wunsch den gegengeschlechtlichen Elternteil zu heiraten auch Schuldgefühle
entwickeln. Hier setzt seine Entwicklungsstufe an. Die Natur der Schuldgefühle, so
Erikson, ist das verbotene Taten und Verbrechen nur in der Imagination des
Menschen existieren. Freuds gelungene Krisenlösung ist die Identifikation mit dem
gleichgeschlechtlichen Elternteil. Damit werden auch die elterlichen Werte
internalisiert und das Über-Ich ausgebildet. Erikson erklärt das Gewissen als ,,Lenker
der Initiative". Das Kind beginnt seine Missetaten und schon die Gedanken an diese
zu fürchten. Hier liegt der Grundstein für die Moralität. Erikson hat Kinder beobachtet,
die alle Triebe durch Verbote abschnürten und einen ,,Buchstabengehorsam"
entwickelten. Das pathologische Moralisierungen der Eltern kann bei dem Kind alle
Dinge, die es gern mal tun will, dazu führen, daß beim Kind Schuldgefühle zum
ständigen Begleiter im späteren Leben werden. Alle Eigeninitiative führt nur zur
Selbsteinschränkung, die verhindert, daß das Individuum seine inneren Fähigkeiten
entfaltet und Gefühle zuläßt. Ein Abwehrmechanismus ist die Überkompensation.
Man stürzt sich zum Beispiel so in die Arbeit, daß man überhaupt nicht mehr
entspannen kann. Die Wertigkeit wird dann an dem Ausmaß des erwünschten
Charakterzuges festgemacht.
1
Soweit zu der mißlungenen Lösung des
Kernkonfliktes zwischen Initiative und Schuldgefühle. Die gelungene Lösung
geht hier einher
,,mit einem Gefühl ungebrochener Initiative als Grundlage eines hochgespannten und
doch realistischen Strebens nach Leistung und Unabhängigkeit."
(Erikson, 1966, S.87 f)
Das bedeutet für die Identität Zielstrebigkeit und Freisetzung der Fähigkeiten , damit
das Kind zu dem werden kann, was es sich bezüglich seiner Person vorstellt. Erikson
fordert den Leser auf:
"die Initiative und das Gefühl für den Zweck erwachsener Aufgaben beim Kind
freizusetzen, die eine Erfüllung seiner Spannweite an Fähigkeiten versprechen (aber
nicht garantieren können). Das bereitet sich in der fest verwurzelten, ständig
1
In der rationalen emotiven Therapie von Ellis begünstigt ein solcher Prozess die Bildung eine irrationalen
kognitiven Überzeugung, welche Auswirkung auf die emotionale Befindlichkeit hat.

15
wachsenden Überzeugung vor, daß, unbedrängt von Schuldgefühlen 'ich das bin,
wovon ich mir vorstellen kann, daß ich es sein werde'." (Erikson, 1966, S. 124)
2.1.3.4.) 4. Phase: Werksinn versus Minderwertigkeit
Das Schulalter (6 Jahre ­ Pubertät)
In der auch von Freud bezeichneten Latenzperiode, in der u.a. sexuelle Triebkräfte
von sexuellen Zielen abgelenkt werden, sublimiert das Individuum seine Energie auf
den kulturellen, gesellschaftlichen Bereich. Erikson erkannte, daß das Kind sich
Anerkennung verschaffte durch, daß was es gelernt oder hergestellt hat. Das Lernen
beschränkt sich aber keineswegs nur auf den technischen Bereich, sondern umfaßt
auch den zwischenmenschlichen Bereich sowie das Planen von gemeinsamen
Unternehmungen. Die Identifizierung mit dem Elternteil wird nun in der Praxis
erprobt. Jungen spielen die Rolle eines späteren Ernährers. Das Kind entwickelt :
,,Beharrlichkeit und paßt sich den anorganischen Gesetzen der Werkzeugwelt an und
es kann zu einem eifrigen und völlig beteiligten Mitwirkenden in einer produktiven
Situation werden."(Erikson,1974, S. 126)
Erikson beschränkt sich hier hauptsächlich auf die männliche Biographie. In Schule
und zu Hause, in der Nachbarschaft und bei der Verwandtschaft gibt es
Gelegenheiten Dinge zu lernen und auch schon gelernte Dinge anzuwenden. Diese
Erfahrungen bereiten das Kind auf einen immer größer werdenden Umkreis der
Gesellschaft vor, indem sie ihm Zugang zu Rollen gewährt, die später im
wirtschaftlichen und technologischen Leben bedeutend sind. Kinder identifizieren
sich nicht mehr nur mit den Eltern, sondern mit anderen Menschen und
Berufsgruppen. Das bedeutet konkret, daß sie anfangen die Dinge zu tun, die die
andern tun, wobei diese wissen, wie man die Dinge tut. Wenn zum Beispiel einem
Lehrer gelingt, daß Kinder Freude an der Arbeit bekommen, so fühlen sich die
Kinder kompetent und sind stolz auf ihre Leistung. Erikson nennt das
Betätigungsgefühl. Es will die Dinge meistern und perfekt hin bekommen,

16
,,obwohl alle Kinder Stunden und Tage in einer spielerischen Als-ob-Welt verbringen
müssen, werden sie doch alle früher oder später unbefriedigt und mürrisch, wenn sie
nicht das Gefühl haben, auch nützlich zu sein, etwas machen zu können und es
sogar gut und vollkommen zu machen; dies nenne ich den Werksinn."
(Erikson,1966, S.102)
Das Träumen von Dingen wird von der Herstellung von Dingen, der Durchführbarkeit
und Logik abgelöst. Kinder haben dadurch Anteil an der realen Welt der
Erwachsenen. Soweit nun alle Komponenten für den positiven Ausgang des
Konfliktes zwischen Kompetenz und Minderwertigkeitsgefühl vorhanden sind und
vom Kind genutzt werden, findet das Individuum einen positiven Ausgang. Disziplin,
Leistung und Übernahme von Verpflichtungen stellen sich ein. Negativ oder
unangemessen verläuft die Konfliktbewältigung dann, wenn das Kind immer wieder
die Erfahrung macht, daß sein Verhalten weniger gut oder schlecht und
unzureichend ist. Das Gefühl sich weniger wert zu fühlen entfremdet das Kind aber
nicht nur von den mißglückten Bemühungen bei einer Tätigkeit, sondern es
durchdringt auch das Selbstbild mit Wertlosigkeit. Was die Lerntheoretiker eine
Generalisierung nennen, könnte hier den Sachverhalt ganz gut beschreiben. Kein
Mensch kann zufriedenstellend damit leben, daß das was er tut keine Bedeutung
oder Sinn für andere hat. Doch gerade das Gefühl der Nutzlosigkeit oder
Unzulänglichkeit wirkt oben drauf noch als eine negative Verstärkung und blockiert
allein schon den Versuch Dinge anzupacken und zu meistern. Erikson nennt hier
wieder einige Ursachen, wie es dazu kommen kann und natürlich auch wie man es
verhindern kann. Zum Einen kann das Minderwertigkeitsgefühl durch unvollständige
Lösung vorangegangener Konflikte verstärkt werden: Das Kind hat immer noch
Schuldgefühle, wenn es etwas anpackt. Zum Anderen könnte eine mangelnde
Vorbereitung auf das Schulleben ein Grund sein: In der Schule gelten eben andere
Regeln als in der Familie. Als letztes wird dem Kind keine Gelegenheit gegeben,
vorhandenes Talent und Potential zu nutzen und auszubauen. Somit ist die
Förderung und die Anerkennung des Werksinns ein pädagogisches Postulat des
Entwicklungspsychologen.
Der Kritiker könnte jedoch einwenden, daß Erikson seine Psychologie sehr auf
moderne materialistische Industrienationen abgestimmt hat. Zweifelsohne lebte er in
diesem Kontext, gibt aber in seinen Aufsätzen zu bedenken, daß eine zu starke

17
Identifikation mit der Arbeit zur Fachidiotie führen kann und den Wert eines
Menschen an seiner Leistung festmacht. Trotzdem haben die Mehrzahl der
Menschen ,,immer ihre Identitätsbedürfnisse rund um ihre technischen und
beruflichen Fähigkeiten konsolidiert."(Erikson, 1966, S.130)
Kurz gesagt : Ich bin , was ich gelernt habe und bewerkstellige .
Die Adoleszens
Die Adoleszens kann man im allgemeinen definieren als ein Lebensabschnitt, der mit
der Pubertät beginnt und dessen Ende nicht allgemein zu fassen ist ­ vielmehr ist es
vom individuellen Entwicklungsstand eines Individuum abhängig und weniger durch
das Alter beschreibbar.
Zimbardo beschreibt, daß es universelle und kulturabhängige Erfahrungen in der
Jugendphase gibt. So ist die körperliche Fähigkeit zur Reproduktion zwar in allen
Kulturen zu finden, jedoch gestalten verschiedene Kulturkreise die Jugendphase
anders. Der gesellschaftliche Kontext, der sich u.a. in der Wirtschaftsform, in der
Regierungsform sowie in der Weltanschauung widerspiegelt hat prägenden Einfluß
auf den Jugendlichen. Deswegen ist es auch ganz wichtig, Erikson in seinem
gesellschaftlichen Kontext zu sehen.
In den vorindustriellen Gesellschaften gab es so etwas wie die ,,Jugendphase" nicht.
Kinder wurden schon früh an Aufgaben heran geführt, die wir heute als Erwachsene
tun: Arbeit, Pflicht und Verantwortung. Die zunehmende Industrialisierung
ermöglichte jedoch einen Schonraum für Heranwachsende, weil der Bedarf an
billigen Arbeitskräften durch die unabhängige Lohnarbeit reduziert wurde. Frau und
Kinder konnten sich anderen Aufgaben widmen, der Mann sorgte in der Regel für
den Lebensunterhalt. Die Jugendphase wurde also durch den Wunsch motiviert,
junge Leute von den harten Arbeitsmarkt, den Pflichten des bürgerlichen Lebens,
fernzuhalten. In sofern ist die Jugendphase zwischen der von den Eltern abhängigen
Kindheit und des unabhängigen Erwachsenenlebens einzuordnen.

18
2.1.3.5.) 5. Phase: Identität versus Identitätsdiffusion
Erikson beschreibt diese Phase als die wichtigste, was die Identitätsbildung und
Stabilisierung von Identität angeht. Sie passiert, nicht wie in der Kindheit als
unbewußte Aneignung, sondern als bewußte Auseinandersetzung mit verschiedenen
Identitätsangeboten. Alle Kindheitsidentifikationen werden erneut in Frage gestellt
und finden im Kernkonflikt : ,,Identität versus Identitätsdiffusion" Ausdruck. Hier stellt
man sich zum ersten Mal die Frage : ,, Wer bin ich und wer bin ich nicht ? " Dabei hat
der Jugendliche ein wachsendes Interesse, wie er in den Augen der anderen
gesehen wird und wie diese Sichtweise zu seinem individuellen Selbstgefühl paßt.
Sein Selbstgefühl besteht aus allen in der Kindheit gesammelten Identifikationen mit
Rollen und Fähigkeiten. Diese werden mit aktuellen Idealen oder Idolen abgestimmt.
Hier zeigen sich desöfteren Überidentifikationen mit Stars, Peergroups begleitet von
rigeroser Intoleranz gegenüber allem andern. Erikson erklärt dieses Phänomen
damit, daß Jugendliche sich deswegen an eine Sache oder Person hingeben, um
nicht selbst auseinander zu fallen. Auch wenn sie scheinbar dabei ihre Individualität
völlig einbüßen, hilft es ihnen, daß
,,eine derartige Intoleranz für eine Weile eine notwendige Verteidigung gegen ein
Gefühl des Identitätsverlust sein kann..." (Erikson, 1974, S. 135)
In dieser Phase des Übergangs, wie es Abels beschreibt, schwankt der Jugendliche
extrem zwischen Erwachsensein und Kind - sein hin und her. Erikson spricht sogar
von der ,,permanenten Identitätskrise" :
,, Ich bin, was ich sein werde, aber ich bin nicht mehr, was ich war."
( Erikson, 1966,S. 112, Anmerkung)
Es ist also unbedingt notwendig eine Antwort auf die Frage : ,,Wer bin ich ?" zu
finden. Abels schreibt :
"Ohne diese Antwort sind weder eine sichere Identität noch eine Integration in die
Gemeinschaft auf Dauer möglich." (Abels, 1993, S.242)
Die Integration und die Fähigkeit zur Hingabe an einen Lebenspartner und an einen
Beruf wird hier vorbereitet und ist für die weiteren Entwicklungsstufen unverzichtbar.

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Folgende Anforderungen werden in der Jugendphase an den Heranwachsenden
gestellt:
1) Annehmen der körperlichen Reife und der eigenen Sexualität
2) Abwägen und Neubestimmung sozialer Rollen mit Ablösung von den
Eltern
3) Festlegung von Berufszielen
Zu 1.) Annehmen der körperlichen Reife und der eigenen Sexualität
Der Wachstumsschub und die Geschlechtsreife fordert den Jugendlichen auf sich als
körperliches Wesen anzunehmen. Das bedeutet, daß das Individuum seine
körperliche Erscheinung akzeptiert, indem es die Sichtweise der Peergroup und der
Schönheitsideale in der Gesellschaft mit dem eigenen Schönheitsgefühl vergleicht.
Mitunter kann es hier zu übertriebener Beschäftigung mit dem eigenen Körper oder
zu Gleichgültigkeit des Aussehens kommen. Die sexuelle Komponente der
körperlichen Reife zeigt sich hier primär in der Phantasie des Jugendlichen.
Ausgelöst durch die körperliche und hormonelle Entwicklung konfrontieren sexuelle
Vorstellungen und Gedanken den Jugendlichen mit konträren gesellschaftlichen
Normen und elterlichen Wertvorstellungen. Um diese, aber auch andere
widersprüchlichen Anforderungen zu meistern, bedarf es eines Spielraumes zum
freien Experimentieren.
Psychosoziales Moratorium
Erikson nennt diesen ein ,, psychosoziales Moratorium". Er schreibt :
,,Man kann diese Periode als psychosoziales Moratorium sehen, während dessen der
junge Erwachsene durch freies Experimentieren mit Rollen einen passenden Platz in
irgendeinem Ausschnitt der Gesellschaft finden sollte, einen passenden Platz, der
fest umrissen ist und doch ausschließlich für ihn gemacht zu sein scheint."
(Erikson, 1966, S. 160)

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Abels bezeichnet diesen Raum als ,,psychosoziale Nische" (Abels,1993, S.252) Sie
ist ein Raum zur spielerischen und manchmal provokanten ,,Probeidentifikation"
(Abels,1993, S.252) mit Menschen, Berufen, Ideologien, sexuellen Orientierungen.
Hier dient dieser Freiraum dazu, seine eigene sexuelle Orientierung zu finden und
einen für sich gangbaren Ausweg aus dem herrschenden Spannungsfeld zwischen
sexuellen Energien und dem verantwortlichen Umgang damit zu finden. Erikson sieht
eine gelungene Lösung darin, daß man bei sexueller Aktivität die Folgen für sein
Handeln abschätzt und bereit ist die Konsequenzen zu tragen. Ein Indiz, daß dies in
der Jugendphase noch nicht völlig erreicht ist, könnten die
Teenagerschwangerschaften und übertragene Geschlechtskrankheiten sein. Eng mit
der Verantwortlichkeit und Treue ist die Sexualmoral verbunden. Ihre Grundlage wird
in der Jugendphase gelegt und erwächst aus einem ausgewogenen Verhältnis
zwischen eigenen Präferenzen und sozialen Wertvorstellungen. Die moralische
Orientierung sollte am Ende der Jugendphase relativ gefestigt sein. Erikson besteht
auch hier auf dem Erreichen einer harmonischen Beziehung zwischen Individuum
und Gesellschaft. Grund dafür war die Verallgemeinerung der Erfahrungen mit
Kindern und Jugendlichen aus der Oberschicht und die Orientierung an den Werten
des amerikanischen Bürgertums. Erikson ist eben Kind seiner Zeit. Zur Kritik später
mehr.
Zu 2.) Abwägen und Neubestimmung sozialer Rollen mit Ablösung von
den Eltern
In der Jugendphase lösen sich die Heranwachsenden von den Eltern ab, indem sie
mehr und mehr Zeit außerhalb bei ihren Freunden verbringen. Dabei lernen die
Jugendlichen die Welt außerhalb des Elternhauses kennen, stoßen auf neue Werte
und machen viele neue Erfahrungen. Weil die Ablösung von den Eltern den
Jugendlichen auf neuen Grund stellt, indem er Dinge hinterfragt und seine eigene
Meinung bildet, braucht er ganz besonders die Unterstützung durch seine Peergroup.
Durch Gespräche, Verhalten und Konflikte innerhalb ihrer Gruppe lernen die
Jugendlichen soziale Fertigkeiten und agieren in verschiedenen Rollen. Auch hier
bedeutet das für den Entwicklungspsychologen ein Ausprobieren von verschiedenen
Rollenidentifikationen.(Auch hier kommt das psychosoziale Moratorium zur Geltung)

21
Jugendliche suchen nach einem befriedigendem Gefühl der Zugehörigkeit. Sie
schließen sich einer Gruppe an, mit der sie sich identifizieren können. Dabei müssen
sie eigene Vorlieben herausfinden und diese mit den Identitätsangeboten
2
der
Gesellschaft abwägen. Erikson spricht hier das Phänomen der Banden in Amerika
an.(vgl. Erikson,1966, S.108)
An dieser Stelle möchte ich einige Punkte zu der von Erikson benannten ,,negativen
Identität" sagen.
Exkurs: Negative Identität
Wird die Krise der Identitätsdiffusion nicht bewältigt, so verliert ein Jugendlicher sein
Gefühl für Identität. Unter bestimmten weiteren Umständen kann das bedeutet, daß
er sich mehr und mehr als Nobody sieht. Ist das Familienklima von wenig
Anerkennung geprägt, wenn Dinge nach dem Muster der Eltern laufen, lernt das
Kind, daß es nur Anerkennung in Form von Regelbruch und der Strafe bekommt, so
wählt es diese Möglichkeit. Meistens herrscht in solch einer Erziehung eine
übertriebene Betonung des Überich´s vor. Da Menschen ein grundlegendes
Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und Hingabe haben, kompensiert derjenige sein
Identitätsdefizit durch eine Identifikation mit dem Gegensätzlichen, was in der
Gesellschaft oder von der Familie Norm ist. Alle Teilaspekts der angebotenen Rollen
können ,,Zielpunkt der ätzenden Verachtung des jungen Menschen werden."
(Erikson,1966, S. 163) Ob dabei die soziale Schicht, aus der man kommt oder die
Geschlechtsrolle vom Jugendlichen verachtet wird, ist zweitrangig. Wichtig ist, daß
die ,,negative Identität" dem Jugendlichen realer vorkommt und ihm mehr
Identitätsgefühl gibt, als wenn er sich mit der Regelfügung gleichmacht. Insofern ist
die Bildung einer negativen Identität eine Erleichterung und ein Ausweg aus der
Identitätsdiffusion des Heranwachsenden.
Wozu führt aber die Identitätsdiffusion bei den Jugendlichen, die nicht ,,aussteigen"
und eine negative Identität annehmen ? Erikson beschreibt in seiner klinischen
Beobachtung Menschen, die folgende Merkmal aufweisen: (vgl.Erikson,1966, S.154)
2
Identitätsangebote kann man als ein Komplex von Werten, anthropologischen und weltanschaulichen Aussagen
zusammenfassen, die durch eine Gruppierung verkörpert werden.

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1) Zersplitterung des Selbstbildes
2) Verlust der Balance
3) Gefühl von Verwirrung
4) In schweren Fällen eine Furcht vor völliger Auflösung der Identität
Identitätsdiffusion ist der Gegenpol zu Identitätsausbildung des Jugendlichen. Wie
anfangs schon erwähnt, überdenkt der Jugendliche in der Pubertät seine bisherigen
Identifikationen, übernommene Werte und Normen der Eltern und setzt sich mit
widersprüchlichen Erwartungen und Meinungen bewußt auseinander. Manchmal ist
diese Phase durch völlige Desorientierung gekennzeichnet, zu andern Zeiten
scheinen sich Jugendliche so stark mit Idolen und Gruppen zu identifizieren, daß
man den Eindruck bekommen könnte, sie seien gefestigt.
Erikson beschreibt dieses Auf und Ab als Ausdruck vieler Fragen:
,,ob man imstande sein wird, seine Triebe zu beherrschen, ob man einmal wirklich
weiß, wer man ist, ob man weiß, was man werden will, weiß, wie einen die anderen
sehen, und ob man jemals verstehen wird die richtigen Entscheidungen zu treffen,
ohne sich ein für allemal mit dem falschen Mädchen, Geschlechtspartner, Führer
oder Beruf anzulegen."(Erikson, 1966, S.111 f)
Diese Krisenhaftigkeit ist für Erikson relativ normal, jedoch kann die Diskontinuität in
diese Phase zur dominierenden Kraft werden und eine Auflösung von dem bewirken,
was man eigentlich zu wissen wußte. Man weiß nicht mehr, wer man ist, ist daher
auch verwirrt, sich mit einer Gruppe oder einem Lebensentwurf zu identifizieren.
Jedoch muß sich ein Jugendlicher abgrenzen, um nicht in der Masse seine
Individualität einzubüßen. Zuweilen führt es dazu, daß Jugendliche sich verschanzen
und alles rigoros ablehnen, was nach Konformität aussieht: ,,Hauptsache dagegen."
Die Psychopathologie hat für dieses zur Persönlichkeit gewordenes Phänomen die
Profilneurose definiert. Das Tragische dabei ist, daß der Jugendliche weiß, daß er
,,innerlich am zerfallen ist", was die ganze Sache noch schlimmer macht.
Um so mehr ist nicht verwunderlich, daß Erikson den gelungenen Ausweg darin sieht
eine ,,relativ" stabile Ich-Identität aufzubauen.

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,,Eine gelungene Krisenlösung am ende dieser Phase führt zu einer sich selbst
vertrauenden Identität. Sie ist sowohl Gewißheit des eigenen Selbst wie auch
Gewißheit, dieses eigene Selbst in immer neuen Interaktionen zu bewähren."
(Abels,1993, S.256)
Der Eckstein und gleichzeitig die Ich - Qualitäten der Identität sind innere
Verpflichtung und Treue.
Zu 3.) Festlegung von Berufszielen
Aber auch im beruflichen Bereich werden in der Jugendphase die Weichen gestellt
und Entscheidungen getroffen. Was jemand mal werden will, mit welcher Ausbildung
man zurecht kommt und ob man sich mit der gewählten Berufsidentität arrangieren
kann, sind Fragen, mit denen sich Jugendliche auseinandersetzen müssen. Die
Zukunft gerät immer mehr in den Fokus, wohingegen im Kindesalter eher der
Moment zählte. Von der Berufswahl wird der Lebensstandard, das Einkommen und
die soziale Schicht abhängen. Auch hier brauchen die Heranwachsenden einen
Spielraum zum Experimentieren. Das Moratorium schiebt die beruflichen Pflichten
auf, gibt ihnen etwas Zeit Entscheidungen zu überdenken und Dinge auszuprobieren.
Manche nutzen diese Zeit, um erst mal gar nichts zu tun, bevor sie eine von der
Gesellschaft propagierte Karriere anfangen. Auch hier kann der Kernkonflikt einen
ungünstigen Ausgang finden. Jugendliche können im Dschungel, wie es Erikson
einmal nennt, in Verwirrung geraten und nicht wissen, für welchen Beruf sie sich
entscheiden sollen. Erikson sieht die Unsicherheit in der beruflichen Orientierung als
häufigstes Phänomen. Das Ausbrechen aus dem gesellschaftlichen System, das
Herumstreunen beobachtete er immer wieder bei seinen Klienten.
Ich Identität
Obwohl Eriskons psychosoziale Stufentheorie eine Entwicklungstheorie der
gesunden Persönlichkeit ist, geht es im wesentlichen um die Entwicklung des Ich.
Deswegen ist sie im Kern auch eine Identitätstheorie.

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Weil Erikson die Jugendphase als die wichtigste Entwicklungsstufe für die Ich-
Identität ansieht, komme ich nicht umhin, Identität endlich a la Erikson zu definieren:
Er schreibt :
,,Das Gefühl der Ich-Identität ist also eine gesammelte Zuversicht des Individuums,
das der inneren Gleichheit und Kontinuität auch die Gleichheit und Kontinuität seines
Wesens in den Augen der anderer entspricht,..."(Erikson,1971, S.256).
Mit der Herausbildung der Ich-Identität am Ende der Adoleszens ist ein Grundgerüst
aufgestellt, daß das weitere Leben entscheidend determiniert. Dieses Gerüst von
mehr oder weniger dauerhafter Ich-Identität zeigt sich darin,
,,daß man auf eine erreichbare Zukunft zu schreitet, daß man sich zu einer
bestimmten Persönlichkeit innerhalb einer nunmehr verstandenen sozialen
Wirklichkeit entwickelt." (Erikson,1966, S.107).
Die Qualität der Ich-Identität - bei der positiven Bewältigung des Kernkonflikts - zeigt
sich in dem Entstehen von Treue.
Er meint damit, daß ein Individuum erstens auf einer höheren Ebene sich selbst
vertrauen kann. Zweitens bedeutet es auch vertrauenswürdig anderen gegenüber zu
sein und seine
,,Treue mit einer guten Sache ­ungeachtet ihrer ideologischen Ausrichtung ­ zu
verbinden." (Erikson, 1988, S.76)
Erikson leitet den Begriff von dem biblischen Begriff Glaube ab und ­ wie wir sehen
werden ­ kann man im weiteren Verlauf des Lebenszyklus Hoffnung und Liebe als
Synonyme für die noch fehlenden Ich-Qualitäten verwenden. Ein Mangel an Treue
bedeutet ein geringes Selbstvertrauen, was in offene Verachtung anderer
umschlagen kann. Ein anderes Extrem ist die treue Ergebenheit gegenüber
Gruppierungen, die sich durch mangelnde Selbstsicherheit auszeichnet. Das gerade
die Herausbildung von Vertrauenswürdigkeit / Treue und Selbstvertrauen sich
konstruktiv auf die weitere epigenetische Entwicklung auswirkt, ist angesichts der
folgenden drei Stufen einleuchtend. Betrachtet man den ganzen Lebenszyklus, so ist
die kritische Auseinandersetzung mit verschiedenen Einstellungen und die

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Festlegung auf einen Beruf, das Eingehen einer Partnerschaft, sowie das Finden von
eigenen Werten und Idealen, Ziel einer gelungenen Integrationsleistung von oft
widersprüchlichen Strebungen.
Das Erwachsenenalter
Das Erwachsenenalter gliedert sich in
-
frühes Erwachsenenalter
-
Erwachsenenalter
-
Reifes Alter.
In diesen letzten drei Stufen muß sich die in der Adoleszens gebildete Identität
bewähren. Erikson sieht deshalb die Jugendphase, wenn sich im positiven Fall eine
dauerhafte Ich-Identität herausbildet, als eine Identitätsplattform. Entscheidungen
über die Fortsetzung der Ausbildung, über Weiterbildung, Einstieg ins Berufsleben
sowie die Bindung an einen Lebenspartner und die eventuelle Heirat stehen bevor.
Besonders im Bereich der Intimität legt Erikson in der sechsten Entwicklungsstufe
seinen Schwerpunkt.
2.1.3.6.) 6. Phase: Intimität versus Isolierung
Die Fähigkeit zu einer festen Bindung in dieser Phase bedeutet sich emotional,
moralisch und sexuell an eine andere Person zu binden. Erikson benutzt, wie auch
bei der Berufswahl das englische Wort ,,commitment", was soviel heißt wie
Verpflichtung, Engagement, Hingabe, Zusicherung, Versprechen. Für die Bindung an
eine andere Person ist es jedoch nötig, zu wissen, wer man selber ist. Man benötigt
dafür Offenheit, Mut und moralische Stärke. Nach Erikson enthält ein klares und
stabiles ­ aber nicht starres ­ Identitätsbewußtsein diese Tugenden. Der
Jugendliche, der sich seiner Identität noch nicht sicher ist, wird Probleme haben bei
der Intimität mit dem anderen Geschlecht.
,,Aber erst nachdem ein einigermaßen sicheres Gefühl der Identität erreicht ist, ist
eine wirkliche Intimität mit dem anderen Geschlecht (...) möglich."
(Erikson, 1966, S. 114)

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2002
ISBN (eBook)
9783832488239
ISBN (Paperback)
9783838688237
DOI
10.3239/9783832488239
Dateigröße
1.1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Siegen – Erziehungswissenschaften
Erscheinungsdatum
2005 (Juni)
Note
1,0
Schlagworte
eriksons stufenmodell identity-status-modell postmoderne schlüsselbereich shell
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Titel: Jugend und Identität
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