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Werbefernsehkinder - Kinderwerbefernsehen

Eine Analyse speziell an Kinder gerichteter Werbespots

©1995 Diplomarbeit 183 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Die Untersuchung behandelt: einmal die Werbung, die sich im Fernsehen gezielt an Kinder richtet und zum anderen die Darstellung von Kindern in den Werbespots. Bei „Kindern“ wird während der gesamten Arbeit von den 6-13jährigen ausgegangen, die Jugendlichen sind bewußt von der Untersuchung ausgeklammert.
Bei der Werbung, die Kinder anspricht, handelt es sich meist um Produkte, die direkt die kindliche Sphäre betreffen: Das sind vor allem Süßigkeiten und Spielwaren. Gerade während des Kinderprogrammes werden solche Spots in einem so hohen Maße ausgestrahlt, daß ein Kind keine Möglichkeit hat, diesen Werbungen zu entgehen.
Deswegen werden in dieser Arbeit die speziellen Programmschienen zweier Privatsender analysiert. In diesen Schienen werden täglich von sehr früh morgens bis in die frühen Abendstunden ohne Unterbrechung Zeichentrickserien und Cartoons ausgestrahlt. Verbunden werden die einzelnen Elemente mit Werbeeinblendungen, das heißt, wartet der junge Zuschauer auf die nächste Sendung, konsumiert er diese Spots mit (oder er schaltet so lange ein anderes Programm ein). Meist wird auch die Serie selbst unterbrochen, um Spots einzustreuen, nicht selten enthalten diese Werbungen während einer Zeichentrickserie auch Zeichentrickelemente. Inwieweit einem Kind bewußt ist, daß die Serie nicht weitergeht, sondern die Werbung das Sagen hat, ist eine Altersfrage. Es gibt viele verschiedene Ansichten darüber, ab welchem Lebensjahr ein Kind eindeutig unterscheiden kann zwischen Werbung und Programm. Relativ häufig wird allerdings von 8 Jahren ausgegangen, und erst mit zwölf Jahren ist ein Kind wirklich in der Lage, den Sinn und das Ziel der Werbung zu erkennen.
Demgegenüber wird als Vertreter der öffentlich-rechtlichen Sender das Mittagsprogramm des ZDF untersucht. Auch hier kann man von einem Kinderprogramm ausgehen, das allerdings weitaus kürzer, aber abwechslungsreicher ist. Hier sind ebenfalls Werbespots plaziert und es soll festgestellt werden, wieviele davon sich an Kinder richten, ob es qualitativ bessere Spots sind und wie sie in das Programm eingebettet sind.
Wichtig ist, wieviel Minuten Kinder heute vor dem Fernseher verbringen und davon ausgehend, wieviel Werbung sie dabei mitbekommen. Da Kinder für die Werbetreibenden eine sehr feste Zielgruppe sind, keine Gruppe so gut und sicher erreicht werden kann, wie die jüngsten Kinder im nachmittäglichen Programm, soll festgestellt werden, ob die Kinder hier nicht sogar […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 8819
Landwehr, Marion: Werbefernsehkinder - Kinderwerbefernsehen -
Eine Analyse speziell an Kinder gerichteter Werbespots
Hamburg: Diplomica GmbH, 2005
Zugl.: Katholische Universität Eichstätt, Diplomarbeit, 1995
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2005
Printed in Germany

Eure Kinder sind nicht eure Kinder.
Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selber.
Sie kommen durch euch, aber nicht von euch,
Und obwohl sie mit euch sind, gehören sie euch doch nicht.
Ihr dürft ihnen eure Liebe geben, aber nicht eure Gedanken.
Ihr dürft ihren Körpern ein Haus geben, aber nicht ihren Seelen,
Denn ihre Seelen wohnen im Haus von morgen, das ihr nicht besuchen könnt, nicht einmal in
euren Träumen.
Ihr dürft euch bemühen, wie sie zu sein, aber versucht nicht, sie euch ähnlich zu machen.
Denn das Leben läuft nicht rückwärts, noch verweilt es im Gestern."
-Kahlil Gibran, ,,Der Prophet"

I
N H A L T S V E R Z E I C H N I S
IV
Inhalt
I. EINLEITUNG 1
II. SEKUNDÄRANALYTISCHER TEIL 4
1
A
LLGEMEINE
B
ESTANDSAUFNAHME
4
1.1 E
NTWICKLUNG DER
K
INDERSENDUNGEN UND
-
WERBESPOTS
4
1.1.1
Entstehung der Kindersendungen bei den öffentlich-rechtlichen Sendern
4
1.1.2
Das Angebot der privaten Sender
5
1.1.3
Öffentlich-rechtliches versus privates Kinderfernsehen
6
1.1.4
Entwicklung der an Kinder gerichteten Werbespots
7
1.1.5
Öffentlich-rechtliche versus private Werbung
8
1.2 D
IE
U
NTERSCHEIDUNGSPROBLEMATIK
10
1.2.1
Erkennen der Werbung
11
1.2.2
Erkennen der Intention
12
1.2.3
Die Entwicklungsstadien nach Piaget
13
1.2.4
Wenn Käpt'n Iglo mitspielt
15
1.2.5
Merchandising
16
2
B
ISHERIGER
F
ORSCHUNGSSTAND
18
2.1 D
IE NEUESTEN
E
RKENNTNISSE
(1995)
18
2.1.1
Ergebnisse allgemein
19
2.1.2
Untersuchungsmethoden
19
2.1.3
Ergebnisse der Untersuchungen
19
2.2 D
IE ÄLTEREN
E
RGEBNISSE
(1979)
21
2.2.1
Anlage der Studie
21
2.2.2
Ergebnisse
22
2.3 W
AS DAZWISCHEN WAR
23
2.4 D
AS
F
ERNSEHLAND
A
MERIKA
24
3
A
UFBAU UND
I
NTENTION DER
S
POTS
26
3.1 F
ORMALE UND STILISTISCHE
G
ESTALTUNG
26
3.1.1
Warum Kinder Werbung lieben
27
3.1.2
Erinnern der Werbespots
28
3.1.3
Was Werbung problematisch macht
29
3.2 K
INDER ALS
D
ARSTELLER IN
W
ERBESPOTS
31
3.2.1
Die Rolle der Kinder im Werbespot
32
3.3 D
IE
(A
B
)
SICHT DER
K
REATIVEN
35
3.3.1
Die Produktbotschaft
35
3.3.2
Die Werbekampagne
36
4
K
OMMERZIALISIERTE
K
INDHEIT
38
4.1 K
INDER ALS SPEZIELLES
P
UBLIKUM
39
4.1.1
Die Kaufkraft der Kinder
40
4.1.2
Der Einfluß auf das elterliche Kaufverhalten
40

I
N H A L T S V E R Z E I C H N I S
V
4.1.3
Markenbewußtsein und -bindung
41
4.2 D
IE
K
INDHEIT IM
D
IENSTE DES
K
ONSUMS
44
4.2.1
Kinder ,,entwickeln" Produkte
45
4.2.2
Alles im Überfluß?
45
4.2.3
Das soziale Umfeld in den Spots
46
4.2.4
Kinder als Kaufargument
47
5
D
IE
W
IRKUNGEN UND
F
OLGEN
49
5.1 P
SYCHOLOGISCHE
F
OLGEN
50
5.1.1
Schädliche Einflüsse durch Werbung
51
5.1.2
Was zu tun wäre
55
5.2 S
OZIALE
F
OLGEN
57
5.2.1
Kindheit
57
5.2.2
Die kindliche Entwicklung und das Werbefernsehen
61
5.3 K
ONSUMPÄDAGOGIK ALS
L
ÖSUNG
?
63
6
R
ECHTLICHE
G
RUNDLAGEN
66
6.1 G
ESETZE FÜR DIE
W
ERBUNG VOR UND MIT
K
INDERN
66
6.1.1
Kinder- und Jugendschutz
67
6.1.2
Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG)
67
6.1.3
Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG))
68
6.1.4
Landesmediengesetze (LMedienG)
68
6.1.5
Rundfunkstaatsvertrag (RfStV))
69
6.2 D
ER
D
EUTSCHE
W
ERBERAT
71
6.2.1
Die Verhaltensregeln
71
6.2.2
Spruchpraxis Deutscher Werberat
72
6.2.3
Kritik an den bestehenden Werberegeln
72
6.3 F
ORDERUNGEN
73
6.4 R
ECHTLICHE
G
RUNDLAGEN ANDERER
L
ÄNDER
74
III. EMPIRISCHER TEIL 75
7
I
NHALTSANALYSE VON
F
ERNSEHWERBESPOTS
75
7.1 F
RAGESTELLUNG
75
7.2 M
ETHODE
76
7.3 E
RGEBNISSE
77
7.4 S
TRUKTUR DER ERFAßTEN
W
ERBESPOTS
78
7.4.1
Kinderwerbespots und Werbespots mit Kindern - Merkmale
79
7.4.2
Kinderwerbespots und Werbespots mit Kindern - Häufigkeiten
80
7.4.3
Vergleich der Kinderspots in den ausgewählten Sendern
81
7.4.4
Anteile der einzelnen Firmen an den Gesamtspots
82
7.5 I
NHALTLICHE
A
UFFÄLLIGKEITEN
83
7.5.1
Verstöße gegen die Regeln des Deutschen Werberates
84
7.5.2
Unterbrechung von Kindersendungen
85
7.5.3
Stereotypen
86
7.6 P
ROBLEMATISCHE
I
NHALTE
90

I
N H A L T S V E R Z E I C H N I S
VI
7.6.1
Vermischung von Realität und Fiktion
90
7.6.2
Häufigkeiten und Darstellung von Gewalt
92
7.6.3
Kinder als Kaufargument
93
7.6.4
Das soziale Umfeld in den Spots
94
7.7 D
ARSTELLUNG DER
P
RODUKTE
...
95
7.7.1
... als Prestigewert
95
7.7.2
... als Problemlösung
96
7.7.3
... als ,,kostenlos"
98
7.8 Z
USAMMENFASSUNG
99
IV. SCHLUß 102
8
K
RITIK UND
A
USBLICK
102
LITERATURVERZEICHNIS 109
ANHANG 118
A
NHANG
A:G
ESPRÄCHE
118
I.)
L
EITFADENGESPRÄCH MIT
I
RIS
F
ÜRST
118
II.) L
EITFADENGESPRÄCH MIT
P
ROFESSOR
D
R
. J
O
G
ROEBEL
123
III.)
L
EITFADENGESPRÄCH MIT
V
OLKER
N
ICKEL
128
IV.)
L
EITFADENGESPRÄCH MIT
P
ETER
B
ODENSOHN
133
V.)
L
EITFADENGESPRÄCH MIT
W
ALTER
W
ILKEN
135
VI.)
L
EITFADENGESPRÄCH MIT DER
M
EDIA
G
RUPPE
M
ÜNCHEN
140
VII.)
L
EITFADENGESPRÄCH MIT
E
DELTRAUD
C
EBULLA
-J
ÜNGER
141
VIII.) L
EITFADENGESPRÄCH MIT
S
TEFFEN
D
ISPAN
145
A
NHANG
B: T
ABELLEN
147
I.)
T
ABELLE
: L
ISTE DER
160 S
POTS FÜR DIE
I
NHALTSANALYSE
147
II.) T
ABELLE
: H
ÄUFIGKEITEN
,
WIE OFT EINZELNE
P
RODUKTGRUPPEN BEWORBEN WURDEN
150
III.)
T
ABELLE
: P
RODUKGRUPPEN NACH
P
LAZIERUNG DER
W
ERBUNG
150
IV.)
T
ABELLE
: A
NTEILE DER EINZELNEN
F
IRMEN AN DEN
K
INDERSPOTS
150
V.) T
ABELLEN
: V
ERSTÖßE GEGEN
W
ERBERATS
-R
ICHTLINIEN
152
VI.)
S
CHAUBILD
: V
ERTRAUTE
P
ERSONEN
152
VII.)
T
ABELLE
: M
ERKMALE DER
G
ESCHLECHTER ANHAND DER DARGESTELLTEN
G
ESCHLECHTER
AUFGELISTET
153
VIII.) T
ABELLEN
: T
ÄTIGKEITEN DER
E
LTERN
(
GEWICHTET
)
153
IX.)
T
ABELLEN
: A
RT DER
A
NSPRACHE DURCH
S
TIMMEN
154
X.) T
ABELLE
: A
RT DER
A
NSPRACHE DURCH
B
EWEGUNG
, F
ARBEN UND
M
USIK
154
XI.)
T
ABELLEN
: H
ÄUFIGKEIT VON FIKTIVEN
F
IGUREN IN
S
POTS
155
XII.)
T
ABELLEN
: H
ÄUFIGKEITEN UND
A
RT VON
G
EWALT
155
XIII.) T
ABELLE
: S
OZIALES
U
MFELD
155

I
N H A L T S V E R Z E I C H N I S
VII
XIV.) T
ABELLE
: P
RESTIGEWERT
156
XV.)
T
ABELLEN
: A
USDRUCK VON
E
MOTIONEN
156
XVI.) T
ABELLE
: K
AUFNOTWENDIGKEIT
157
XVII.) T
ABELLE
: V
ERTEILUNG DER
P
RODUKTGRUPPEN AN DEN
W
OCHENTAGEN
157
A
NHANG
C:E
RHEBUNGSINSTRUMENT
158
A
NHANG
D:G
F
K-D
ATEN
174

I. E
I N L E I T U N G
1
I. Einleitung
s war einmal eine alte Geiß, die hatte sieben junge Geißlein, die sie über alles liebte und
sorgsam vor dem Wolf hütete. Als sie jedoch einmal wegging, verschaffte sich der Wolf mit
allerhand Tricks Eingang in das Haus der jungen Geißlein und fraß sie alle auf, nur das
jüngste, das sich im Uhrenkasten versteckt hatte, fand er nicht. Dieses erzählte der Geißen-
mutter später, was geschehen war.
Schnell machten sich Mutter und Geißlein auf, den bösen Wolf zu suchen. Und tatsächlich fanden sie ihn,
durch seinen vollgefressenen Magen müde geworden, schlafend unter einem Baum. Die Geißenmutter
bemerkte, daß es im Magen des Wolfes noch rumorte und schnell schlitzte sie ihm den Bauch auf. Heraus-
gepurzelt kamen ihre sechs jungen Geißlein, die alle unversehrt waren. Dem Wolf jedoch füllten die Geißen
Wackersteine in den Bauch und nähten ihn flink wieder zu.
Als dieser nun erwachte, verspürte er Durst und wankte zum Brunnen. Doch durch das Gewicht der Steine
im Bauch wurde er beim Trinken über den Brunnenrand gezogen und mußte ganz jämmerlich ertrinken.
Als die sieben Geißlein das sahen, tanzten sie vor Freude mit ihrer Mutter um den Brunnen, und dazu san-
gen sie: `Der Wolf ist tot! Der Wolf ist tot! Der böse, böse Wolf ist tot!'"
Erzählt wird es seit Generationen, das Grimmsche Märchen vom Wolf und den sieben Geißlein. Doch den
wenigsten wird bewußt, wie grausam die Geschichte ist. Das ist gerade die Bedeutung des Märchens, das
,,Böse" in einer Form zu vermitteln, die Kinder ohne Trauma verarbeiten können (schließlich hat der Wolf den
brutalen Tod verdient, weil er ja zuvor böse war
1
). Erwachsene können das Märchen kontrollieren: Sie schwä-
chen beim Erzählen Gewalt schon allein durch ihre physische Präsenz ab oder verändern den Ausgang des
Märchens nach intuitiv wahrgenommenen Bedürfnissen der Kinder.
2
Wenn Oma früher den Kleinen ein Mär-
chen erzählte, diente das der Erziehung. Heute ersetzt etwas ganz anderes die Horrorpädagogik früherer
Lichtstubengeschichten: Der Fernsehapparat.
Die Gewalt des Fernsehens nimmt im Vergleich zum Märchen keine Rücksicht auf Kinder. Gewaltdarstellun-
gen auf dem Bildschirm können Kinder spontan zu aggressivem Verhalten animieren, wenn sie ohnehin span-
nungsgeladen oder unglücklich sind. Außerdem kann das Mitleidsgefühl der Kinder ebenso abstumpfen wie
die Bereitschaft, anderen zu helfen. Die Angst, die Kinder bei Gewaltdarstellungen empfinden, ist bei denjeni-
gen besonders schlimm, die allein vor dem Fernseher sitzen
3
, und denen die Wärme einer erzählenden Oma
fehlt. Die Inhalte der Fernsehprogramme sind unterschiedlich, oft kindgerecht aufbereitet und dem Verständ-
nishorizont der Kleinen angepaßt, zuweilen sind sie auch einfach nach dem Gut-Böse-Schema gestrickt. Zu
beobachten ist außerdem: Werbespots, um die eigentlichen Kindersendungen drapiert, sind meist noch kindge-
rechter aufbereitet als die Sendungen selbst. Die aufwendig produzierten Spots erregen die Aufmerksamkeit
der Kinder viel mehr, als die Sendungen für die Unterhaltung. Daraus resultiert die Frage, ob Kinder zwischen
Fiktion der Werbung und nonfiktionalem Alltag zu unterscheiden in der Lage sind. Denn oft glauben sie, daß
sich Konflikte durch das richtige Waschmittel lösen lassen, und daß Anerkennung vom richtigen Paar Turn-
schuhe abhängt.
Neu ist die Problematik Kinder und Fernsehwerbung keinesfalls. Schon 1979 befaßte sich eine AfK-Studie
4
mit einer Inhaltsanalyse der an Kinder gerichteten Spots und einer Untersuchung der Werbewirkung auf Kin-
der - das war vor Einführung des privaten Rundfunksystems. Doch seitdem krankt das Thema an einer wenig
1
So erklärte es eine vierjährige Bekannte der Autorin, als sie gefragt wurde, ob ihr der Wolf denn leid tue!
2
Postman, Neil: Das Verschwinden der Kindheit; Frankfurt 1983, S. 110 f
3
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: ,,Nicht nur laufen lassen! Kinder und Fernsehen"; Köln 1990, S. 16
4
Böckelmann, Frank/Jürgen Huber/Astrid Middelmann: Werbefernsehkinder; Berlin 1979
E

I. E
I N L E I T U N G
2
zuverlässigen Forschung. Trotz der immer heftigeren Diskussion über den Einfluß der Werbung auf Kinder
sind die Ergebnisse über Umstände und Folgen, mit denen Werbung auf Kinder wirkt, dürftig. Erst wieder
1993 gab es im Auftrag des Bundesministeriums für Frauen und Jugend ein Gutachten
5
, das den For-
schungsstand aufarbeitete und auf die Lücken hinwies. Im März 1995 erschien in der Schriftenreihe Medien-
forschung der Landesanstalt für Rundfunk Nordrhein-Westfalen
6
eine Fortführung der Untersuchungen von
Böckelmann. Auch diese aktuelle Studie, die Spots inhaltsanalytisch untersuchte und in der Kinder sowohl
beobachtet als auch befragt wurden, beklagt die spärliche Zahl von Projekten zu diesem Thema. Im deutsch-
sprachigen Raum sind nur wenige Studien zu finden, die sich mit dem Anteil von Kinderwerbung im Fernseh-
programm sowie mit der Analyse unterschiedlicher Strukturen und Ansprachen der Kinder in den für sie vor-
gesehenen Werbespots im Fernsehen befassen. Die vorhandenen Untersuchungen beleuchten die Einbettung
von Werbung in das Kinderprogramm der privaten Fernsehsender, und sie zeigen auf, daß gerade in den Kin-
derfenstern gezielt für Produkte geworben wird, die Kinder ansprechen sollen.
Das ist bekannt und verständlich, denn vor dem Kinderprogramm sitzen Kinder. Kein Publikum ist folglich
für die Werbung so gezielt und sicher zu erreichen, wie die Zielgruppe Kinder. Und daß es sich lohnt, sie zu
erreichen, belegt die Statistik: In Deutschland leben etwa 12,3 Millionen
7
Kinder unter vierzehn Jahre. Sie
verfügen über eine Kaufkraft von 11,5 Milliarden Mark. Hinzu kommt der Einfluß auf das Kaufverhalten der
Eltern in Höhe von rund 23 Milliarden Mark.
8
Kinder bestimmen nicht nur, daß Nutella statt einer Nuß-Nou-
gat-Creme aufs Brot kommt, sondern sie beeinflussen den Kauf von Stereoanlagen, Computern, Autos, und
sie entscheiden mit, wohin der Urlaub geht. Und schließlich gilt es, frühzeitig in den Köpfen der Kinder das
Image für ein Produkt aufzubauen.
Die Folge ist: Kinder sind auf Marken und Konsum fixiert, sie vertreten auch den Erwachsenen gegenüber
ihre Urteile zu Produkten mit Nachdruck und Überzeugung. Bevor die Kleinen in die Schule kommen, lernen
sie schon die Bedeutung von Markensymbolen. Sie rühren nicht Kakaopulver in die Milch, sondern Kaba oder
Nesquik, sie verspeisen keinen Joghurt, sondern Fruchtzwerge, und sie haben das Pausenbrot durch die
Milchschnitte ersetzt. Angeregt werden sie durch ungefähr 30 Werbespots, die sie durchschnittlich pro Tag
sehen
9
- bei einer täglichen Fernsehdauer der 6- bis 13jährigen von 106 Minuten
10
.
Ziel dieser Arbeit soll es sein, herauszufinden, ob und wie Werbefernsehen das Konsumverhalten und die
Lebenswelt von Kindern beeinflußt und mit welchen Mitteln die Werbetreibenden die Beeinflussung zu errei-
chen versuchen. Die Fragestellung richtet sich dabei auf folgende Phänomene.
1)
Wie ist es zu dem speziellen Werbeangebot für Kinder gekommen?
2)
Können Kinder zwischen dem normalen Programm und Werbeanteilen des Programms unterscheiden?
3)
Was wurde bis jetzt erforscht und untersucht?
4)
Wie stellt sich der formale Aufbau und die inhaltliche Komponente von Werbebotschaften für Kinder dar?
5)
Übermittelt Werbung Stereotypen?
6)
In welchem Zusammenhang stehen die Rezeption von Werbung und das Markenbewußtsein beziehungs-
weise die Konsumfixierung von Kindern?
7)
Wie wirkt sich Werbung auf die Sozialisation (die psychische und soziale Entwicklung) von Kindern aus?
5
Baacke, Dieter/Uwe Sander/Ralf Vollbrecht: Kinder und Werbung; Stuttgart 1993.a
6
Charlton, Michael/Klaus Neumann-Braun/Stefan Aufenanger/Wolfgang Hoffmann-Riem u.a.: Fernsehwerbung und Kinder, Opladen 1995
7
Statistisches Jahrbuch 1993
8
O.V.: ,,Spiel mit mir Seife Fa!", in: Der Spiegel, Nr. 50/1993, S. 79
9
Schönwälder, Johannes: Kinder lieben Werbung, in: Bilderkiste Nr. 4/1994 (Themenheft) ,S. 5
10
Wankell, Susanne: Alles so schön bunt, in: journalist Nr. 6/1995, S. 18
Die Passivität der Kinder während dieser Zeit erachtet der Autor Antoine de Saint-Exupery als der kindlichen Akkomodation entzogen: ,,Was ich am
tiefsten verabscheue, ist die traurige Rolle des Zuschauers, der unbeteiligt tut oder ist. Man soll nie zuschauen - man soll mittun und Verantwortung
tragen. Der Mensch ohne Verantwortung? Der zählt nicht!"

I. E
I N L E I T U N G
3
8)
Wie reagieren Kinder und Jugendliche auf Gewaltdarstellungen in der Werbung?
9)
Welche (rechtlichen) Vorgaben rahmen den Komplex Werbung vor und mit Kindern ein?
Um die Fragen zu beantworten, wird auf zwei Ebenen gearbeitet: Einmal soll die relevante Literatur aufberei-
tet werden. Zu diesem Zweck wurden vorwiegend neuere und neueste Titel verwendet, da Ergebnisse aus der
älteren Literatur nicht ohne weiteres auf die veränderte Situation des Fernsehens übertragen werden können:
Die Form, in der heute Werbung an Kinder gerichtet ist, gibt es erst seit der Zulassung der privaten Veranstal-
ter (sehen Kinder heute durchschnittlich für sie gedachte 30 Spots pro Tag, waren es zu Zeiten des öffentlich-
rechtlichen Monopols zehn
11
).
Die Werbespots speziell für Kinder, deren Umfang und Präsentation sollen in einem zweiten Teil mit Hilfe
einer Inhaltsanalyse untersucht werden. Es handelt sich dabei um Spots aus dem Umfeld des Kinder-
programms von PRO 7, aus dem Umfeld des Kinder- und teilweise Erwachsenenprogramms von Kabel 1 und
um Spots aus dem Vorabendprogramm des ZDF. Das Kinderprogramm wurde deshalb gewählt, weil dort
gehäuft explizit an Kinder adressierte Produkte beworben werden. Deshalb ist davon ausgehen, daß die von
den Werbetreibenden erwartete Zielgruppe identisch mit der tatsächlichen Zielgruppe ist. Wenn demzufolge
werbetreibende Unternehmen annehmen, daß sie mit einer Werbebotschaft im Kinderprogramm eine weit-
gehend homogene Kinderzielgruppe erreichen, so ist zu vermuten, daß die Botschaft speziell für ihre Ziel-
gruppe zugeschnitten ist. Mit diesem Wissen lassen sich Ergebnisse eindeutig bewerten. Im Vergleich dazu
wurden die Spots des ZDF aufgezeichnet, so daß eine Gegenüberstellung von Werbung bei Privaten und
Öffentlich-Rechtlichen möglich wurde; außerdem sollte festgestellt werden, ob und in welchem Umfang auch
beim ZDF Spots für Kinder nach der in dieser Untersuchung erarbeiteten Definition auftauchen. Mit Hilfe der
Erwachsenenprogramme von Kabel 1 und ZDF waren Vergleiche mit den Kinderprogrammen möglich.
In beiden Teilen der Arbeit wird stets unterschieden zwischen den Werbespots für Kinder und der Darstellung
von Kindern in der Werbung. Letzteres wird noch einmal unterteilt in Kinder als Darsteller in Erwachsenen-
spots und Kinder als Darsteller in Kinderspots. Untersuchungsgegenstand ist ausschließlich der Fernsehspot
(Eigenwerbung der Sender und Vorankündigungen ausgenommen); Sonderwerbeformen wie Game- und
Spielshows, Bartering oder Product Placement wurden außer acht gelassen. Eine Erforschung der Auswir-
kungen solcher Werbeformen hätte den Rahmen dieser Arbeit gesprengt. Lediglich das Merchandising wurde
in einzelnen Fällen angeschnitten, weil es sich dabei um eine Produktbewerbung handelt, die die zu unter-
suchende Unterscheidungsproblematik zwischen Werbung und Programm erschwert. Hierzu, wie auch zu
anderen wichtigen Aspekten dieser Arbeit, kommen durch Leitfadengespräche befragte Fachleute zu Wort.
Die empirische Untersuchung und auch der Hauptteil der Sekundäranalyse verstehen unter ,,Kinder" stets die
6- bis 13jährigen.
12
Die jüngeren Kinder dieser Altersgruppe können vermutlich noch nicht zwischen Fiktion
und Realität unterscheiden, so daß es ihnen schwerfällt, Werbung als solche zu erkennen. Ältere Kinder sind
häufig einem Markendruck ausgesetzt, sie müssen unter Gleichaltrigen und Freunden gewisse Produkte besit-
zen, um akzeptiert zu werden. Dieser diskussionswürdige Zustand in der Gesellschaft ist der Grund, warum
die vorliegende Arbeit verfaßt wurde. Denn bei dieser Problematik geht es um Dimensionen, die mit der klas-
sischen, personalen, unmittelbaren Erzählweise des Märchens nichts mehr gemeinsam haben.
11
Haase, Henning: Kinder - Medien - Werbung, in: Media Perspektiven Nr. 10/1981, S. 742
12
Wobei gelegentliche Ausnahmen gemacht werden müssen, z.B. wenn es um die Entwicklung der Fähigkeit geht, Werbung vom Programm zu
unterscheiden. Dann werden alle Altersstufen der Kindheit unter entwicklungspsychologischen Gesichtspunkten betrachtet.

1
A
L L G E M E I N E
B
E S T A N D S A U F N A H M E
4
II. Sekundäranalytischer Teil
1 Allgemeine Bestandsaufnahme
Das Fernsehen ist aus dem Alltag eines Kindes nicht mehr wegzudenken. Alleine oder gemeinsam mit Eltern
und Freunden sehen Kinder alles, was das Programm zu bieten hat. Obwohl die kognitive und sprachliche
Entwicklung noch lückenhaft ist, richten Kinder schon ab dem zweiten Lebensjahr ihre Aufmerksamkeit auf
das Medium Fernsehen. Sie versuchen, das Geschehen auf dem Bildschirm mit ihren Mitteln zu begreifen.
Diese Verstehensleistung wird zu jeder Phase auf der Grundlage ihres momentan erreichten kognitiven Ent-
wicklungsniveaus und bereits vorhandenem Weltwissen vollzogen.
1
Das wohl erfolgreichste Programm für Kinder ist das Werbefernsehen. Was ehrgeizig andere Kinder-
programme mit viel Mühe und wechselndem Erfolg anstreben, erreichen Werbespots ganz nebenbei: gesell-
schaftliche Normen, Einstellungen und Verhaltensdispositionen werden einfach und wirksam vermittelt, ohne
daß das Kind den Lehrer merkt. So wird das Werbefernsehen zur Vorschule der Nation.
2
Der zeitliche Schwerpunkt der Fernsehnutzung der 6- bis 13jährigen lag 1992 laut GfK zwischen 15.00 Uhr
und 22.00 Uhr. Am Nachmittag verfolgten 700 000 Kinder, am Abend rund 1,3 Millionen Kinder das Fern-
sehprogramm. Dabei haben die Kinder deutlich ausgeprägte Programmvorlieben, am meisten werden Zei-
chentrickfilme gesehen.
3
Mit der Einführung des dualen Rundfunksystems hat es in der Sparte Kinder-
programme eine deutliche Erweiterung des Programmangebots gegeben, dabei finden sich auch viele Zei-
chentrickserien. Schon am frühen Vormittag können sich die 6- bis 13jährigen speziell für dieses Alter konzi-
pierte Darbietungen ansehen. Das war nicht immer so. Kinder wurden von den Programmachern zu Zeiten des
öffentlich-rechtlichen Monopols nicht so sehr verwöhnt wie heute. Ein Blick auf die ,,Geschichte" des Kinder-
fernsehens soll dies bestätigen.
1.1 Entwicklung der Kindersendungen und -werbespots
1.1.1
Entstehung der Kindersendungen bei den öffentlich-rechtlichen Sendern
Nachdem am 25. Dezember 1952 der NWDR mit der regelmäßigen Ausstrahlung von Fernsehprogrammen
begonnen hatte, wurde bereits am 17. März 1953 eine halbstündige Kindersendung gezeigt. Das war der
,,Fernsehkinderfunk mit Dr. Ilse Obrig" von 16.00 Uhr bis 16.30 Uhr. Die Inhalte des werktäglichen Kinder-
programms waren in den 50er Jahren idyllische, vom Kinderalltag ferne Bastel-, Spiel-, Marionetten- und
Tierwelt-Sendungen. Sonntagmittags offerierte das Fernsehen Abenteuer- und Wildwest-Szenerien.
Eltern konnten nur schwierig mit der Fernseh-Faszination der Kinder umgehen: Sie verhängten entweder Fern-
sehverbot oder benutzten Fernsehen als Babysitting oder als Erziehungsmittel.
4
Und die Lehrer stellten schon
damals fest, daß bereits in den ersten Klassen das Fernsehen Hauptgesprächsthema in den Pausen war.
5
Während sich in den 50er Jahren die ARD um einen intensiven Ausbau des Kinderfernsehens bemühte, unter-
nahm das ZDF bis Ende der 60er Jahre keine großen Anstrengungen in diese Richtung. Die kommerzialisierte
Kinderunterhaltung in der ARD erfolgte durch in- und ausländische (Kauf-)Produktionen (vor allem wegen
der Mittelknappheit).
6
Schon in den 60er Jahren wuchs der Umfang des Kinderprogramms bei der ARD und
Anfang der 70er Jahre auch beim ZDF ständig. Bei letzterem wurde das Programm aufgeteilt in reine Kinder-
unterhaltung, wozu ,,Pipi Langstrumpf" oder ,,Pan Tau" zählten und in ein pädagogisch inspiriertes Pro-
1
Charlton, Michael u.a. 1995, a. a. O., Band 2, S. 17
2
Holzer, Horst: Kinder und Fernsehen; München 1974, S. 78 f
3
O.V.: Die Fernseh-Hits der 6- bis 13jährigen: Unterhaltung und Werbung, in: FUNK-Korrespondenz: Nr. 11/18. März 1994, S. 21 f
4
Erlinger, Hans-Dieter/Dirk Ulf Stötzel: Geschichte des Kinderfernsehens in der Bundesrepublik Deutschland; Berlin 1991, S. 47 f
5
Schmidbauer, Michael: Die Geschichte des Kinderfernsehens in der Bundesrepublik Deutschland; München 1987, S. 33
6
Ebendort, S. 43

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5
gramm wie ,,Sesamstraße" und ,,Das Feuerrote Spielmobil".
7
Dagegen war das ARD-Kinderprogramm noch
in den frühen 60er Jahren gekennzeichnet von ,,viel Gemüt und wenig Witz" (,,Biedermeier-Unterhaltung").
8
In den 70er Jahren wurde der Ausbau des Kinderprogramms bei der ARD enorm vorangetrieben, und auch in
den dritten Programmen war ein Kinderprogramm gestartet worden. Der Fernsehkonsum der Kinder war
dementsprechend hoch
9
. 1972/73 begann das ZDF mit der Etablierung des Kinderfernsehens: Mindestens
dreimal wurde wöchentlich ein inoffizielles Programm für Kinder gesendet, das im Werberahmenprogramm
plaziert war (z.B. ,,Dick & Doof", ,,Schweinchen Dick").
10
Obwohl man sich beim ZDF am Ende dieses Jahrzehnts über die Ausweitung des Kinderprogramms freute,
blieben Defizite: die mangelnde Resonanz von Informationssendungen, die Unterrepräsentation von geschicht-
lichen, musischen und Science Fiction-Stoffen. Zur Anregung und für das Sozialverhalten wurden ,,Kli-Kla-
Klawitter" und die ,,Rappelkiste" in das Programm aufgenommen.
11
Die ARD präsentierte in den 80er Jahren anspruchsvolle Filme wie ,,Die rote Zora", baute Kooperationen aus
(,,Die kleine Hexe"), verstärkte Abenteuer- und Unterhaltungsserien (,,Klamottenkiste") und kaufte Disney-
Cartoons ein. Das ZDF erklärte ab 1983 das Kinderprogramm zu einem Teil des nachmittäglichen Familien-
programms. Dazu gehörte leichte und aktionsreiche Unterhaltung. Die explizit an Kinder gerichteten Sendun-
gen waren zu der Zeit dünn gesät. Erst 1988 gab es eine neue Konzeption für das ZDF-Kinderprogramm mit
den Zielen Realitätsaneignung, Identitätsfindung und Phantasieentfaltung.
12
1.1.2
Das Angebot der privaten Sender
War bis zur Einführung des dualen Fernsehsystems das Angebot inhaltlich, vom Umfang und von den Sende-
zeiten her beschränkt, senden nun die Privaten eine Vielzahl von Zeichentrickfilmen, die es in Art und Ausmaß
bei den Öffentlich-Rechtlichen vorher nicht gegeben hat. Auch die Ausstrahlung von sehr früh morgens bis
spät in die Nacht erweitert ganz enorm das potentielle Publikum. Infolge des erweiterten Angebotes ist es zu
einer Art Mißachtung des Kinderprogramms gekommen.
13
Ab den frühen Morgenstunden gibt es für jede Altersgruppe ein speziell zugeschnittenes Kinderprogramm, das
in täglichen Schienen wie ,,Bim Bam Bino" (Kabel 1), ,,Vampy" (RTL 2) oder ,,Trick 7" (PRO 7) läuft.
14
Betrachtet man die altersspezifischen Einschaltquoten, scheint der Geschmack der Kinder von den Programm-
machern getroffen zu sein. Sendungen dieser Art sind kein als Ganzes konzipiertes und zusammengehöriges
Programm. Vielmehr werden unter dem Obertitel des jeweiligen Programmplatzes in erster Linie kürzere
Zeichentrick- oder Realfilmserien mehr oder weniger beziehungslos hintereinander plaziert. Dazwischen treten
als Moderation die Protagonisten der jeweiligen Sendung auf
15
, gelegentlich findet sich auch ein redaktioneller
Beitrag, in dem es um Tiere, Sport oder Hobbys geht. Dazwischen läuft Werbung. Die Kommerzialisierung
des Kinderprogramms stößt bei der Werbeindustrie auf positive Resonanz.
16
Das ist der elementare Unter-
schied zwischen den Kinderprogrammen der privaten Anbieter und denen der ARD und des ZDF.
7
Erlinger/Stötzel 1991, a. a. O., S. 49-51
8
Schmidbauer 1987, a. a. O., S. 51
9
Bei den 3- bis 7jährigen täglich eine Dreiviertelstunde, am Wochenende eineinviertel Stunden; bei den 8- bis 13jährigen täglich eineinviertel Stunden
und am Wochenende eineinhalb Stunden. Siehe Schmidbauer 1987, a. a. O., S. 73
10
Erlinger/Stötzel 1991, a. a. O., S. 51 ff
11
Schmidbauer 1987, a. a. O., S. 117 ff
12
Ebendort, S. 152 ff
13
Aufenanger, Stefan: Pädagogisch wertvoll: Für Kinder kein Kriterium, in: Medien und Erziehung, Nr. 1/1991, 35. Jg. (Themenheft), S. 203
14
Schaar, Erwin: Wie bewältigen Kinder Fernsehinhalte?, in: Medien und Erziehung, Nr. 1/1992, 36. Jg., S. 131
15
Bei Bim Bam Bino ist das beispielsweise die Moderationsmaus Bino, d. Verf.
16
Baacke, Dieter/Uwe Sander/Ralf Vollbrecht: Die Werbewelt der Kinder, in: Kinderzeit (Sozialpädagogische Blätter) Nr. 44/1993.b, H. 1, S. 24

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1.1.3
Öffentlich-rechtliches versus privates Kinderfernsehen
Der Anteil der öffentlich-rechtlichen Sender an Kinder- und Jugendsendungen / Zeichentrick belief sich 1991
(bei 1153 Minuten insgesamt) auf 38,8 %, der Anteil der privaten Veranstalter auf 61,2 %.
17
PRO 7 und
RTL 2 sendeten pro Woche rund 100 Stunden Kinderprogramm, ZDF und ARD boten zusammen knapp
mehr als 20 Minuten Kinderprogramm an.
18
Zu dem vermehrten Angebot und dem täglichen Rhythmus der
Magazin-Schienen gesellt sich die Tatsache, daß Kinder die privaten Anbieter bevorzugen. Woran liegt das?
Bei den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten gibt es vorwiegend starre und auf ungünstig gelegte Zeiträume
beschränkte Ausstrahlungstermine für gute Kindersendungen. Diese Zeiträume - meist der frühe Nachmittag
während der Woche oder am Sonntag die Mittagszeit - liegen nicht nur quer zur Hauptnutzungszeit von Kin-
dern (zwischen 18.00 Uhr und 19.00 Uhr), sondern kollidieren mit den Freizeitaktivitäten der Kinder. Mehr
Attraktivität für das Kinderprogramm würde eine günstigere Sendezeit bringen. Diese Termine sind aber
Hauptwerbezeiten und müssen hohe Einschaltquoten bringen.
19
Die Sehzeiten, die für Kinder wichtig sind,
decken sich mit den Sendeplätzen, an denen (bei den Privaten, d. Verf.) schwerpunktmäßig Cartoons ausge-
strahlt werden, das gilt vor allem für die 4- bis 10jährigen, die täglich das Nachmittagsprogramm sehen, das
mit Cartoons gefüllt ist. Für die ganz Kleinen, die 4- bis 6jährigen, ist der morgendliche Cartoon-Block der
privaten Sender ebenfalls eine wichtige Sehzeit, die am Wochenende noch stark an Bedeutung gewinnt.
20
Cartoons und Zeichentrick sind bei den Privaten stark überrepräsentiert, was daran liegt, daß sie für den
schnellen Gebrauch bestimmt sind, und weil sie den kindlichen Zuschauer an den Bildschirm fesseln sollen.
21
Öffentlich-rechtliche Kindersendungen mit pädagogischer Intention geraten durch das Trickfilm-Übergewicht
zunehmend in eine marginale Position.
22
Die Sympathie der jüngeren Kinder für Zeichentrick weist eine Parallele zur Entwicklungspsychologie auf:
Kinder bis acht Jahre sind besonders phantasiebezogen, das hat mit der früheren Märchenvorliebe zu tun. Sie
sind erst einmal damit beschäftigt, sich selbst auf der Welt zurechtzufinden und sich in eine Welt zu versetzen,
die ihnen einerseits alle Wünsche erfüllt, andererseits sich aber in eine Welt zu begeben, in der man dann auch
Realität und Fiktion voneinander trennen muß. In der nächsten Phase, sieben bis neun Jahre, dominiert eine
stärkere Orientierung an den Sozialisationsanforderungen der Gesellschaft. Es verlagern sich Präferenzen weg
vom Zeichentrickfilm, hin zu Angeboten mit geschlechtsspezifischen Gesichtspunkten.
23
Die Vorliebe für Cartoons gab es bei den Kindern schon vor 20 Jahren. Damals liebten sie ,,Schweinchen
Dick", das in der Öffentlichkeit sehr umstritten war. Die Serie zeichnete sich durch Gewalt und Hinterlist aus
und man fragte sich, was die Kinder daran finden.
24
Heute gibt es quantitativ bedeutend mehr Serien, die sich
in Sachen Gewalt mit ,,Schweinchen Dick" messen lassen. Zehn,- elfjährige Kinder nennen als Lieblings-
sendungen ,,Hero Turtles"
25
. Außerdem werden genannt ,,Die Schlümpfe", ,,Disney Club" und ,,Bim Bam
17
Krüger, Udo Michael: Rundfunktypen formieren ihre Profile. Programmanalyse 1991, in: Media Perspektiven Nr. 8/1992, S. 513
18
Heimann, Andreas: Ohne Werbung und Gewalt: Zwölf Stunden für die Kleinen, in: Die Zeit Nr. 14/31. März 1995, S. 78
19
Aufenanger, Stefan, in: Medien und Erziehung, Nr. 1/1991, a. a. O., S. 203
20
Rogge, Jan-Uwe: "Die Mahlzeit ist immer die gleiche, auf die Soße kommt es an", in: Medien und Erziehung, Nr. 1/1992, 36. Jg., S. 133
21
Thull, Martin: Wenn He-Man durch's Kinderzimmer schlumpft, in: FUNK-Korrespondenz Nr. 39/28. September 1990, S. 19
22
Krüger, Udo-Michael, in: Media Perspektiven Nr. 8/1992, a. a. O., S. 521
23
Jungen fangen an, Krimis zu sehen, Mädchen sehen Familienserien. Die Abwendung vom Fernsehen ist mit der beginnenden Auseinandersetzung mit
dem anderen Geschlecht zu begründen und das geht weniger gut vor dem Fernseher, als wenn man zusammen tanzen geht. Gespräch mit Prof. Dr. Jo
Groebel, tätig am Lehrstuhl für Massenkommunikation und Public Relations an der Universität Utrecht, am 20. April 1995 in Frankfurt a.M., siehe
S. 123
24
An der Beliebtheit der Zeichentrickserien hat sich nichts geändert, nur deren Qualität und Quantität und die Nutzungsformen selbst. Das heißt, schauten
sich Kinder vor 15 Jahren eine Geschichte von Anfang bis Ende an, sind sie heute viel schneller bereit - wenn nicht ein Höhepunkt den anderen jagt -
umzuschalten. Man hat heute nicht das storybezogene Schauen, sondern das höhepunktbezogene Schauen. Gespräch mit Jo Groebel, siehe S. 123
25
Sie kämpfen unter dem Deckmantel des Guten mit fiesen Krötenfratzen gegen fiese Widersacher, die auch vor Mord und Totschlag nicht
zurückschrecken. In: O.V.: ,,Bei diesen Kindersendungen sollten Sie abschalten!", in: TV neu, Heft 46, 19.-25.11.1994, S. 2

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Bino". Das sind alles Cartoons, die meisten laufen bei Privatsendern.
26
Der ,,Disney Club" in der ARD stellt
eine Verpackung der Zeichentrickserien des Disney-Konzerns dar, Werbung für den Euro-Disney-Park einge-
schlossen. ,,Bim Bam Bino" von Kabel 1 (vormals bei Tele 5, d. Verf.) umfaßt Zeichentrickserien und Wer-
bung für Süßigkeiten und Kinderspielzeug. Das Kinderprogramm der Privaten beinhaltet vor allem Wieder-
holungen aus der preiswert eingekauften Massenware (aus den USA oder Japan), damit finanziell keine zu
große Belastung für das Kinderprogramm entsteht.
27
Die öffentlich-rechtlichen Kinderprogramme können sich gegen die primär als Werbeträger ausgerichteten
kommerziellen Kanäle nur noch dann behaupten, wenn sie anderen Maßstäben als nur quantitativen Werbe-
reichweiten folgen. Um eine Senderidentifikation seitens der Kinder zu erreichen, wurden auch bei den Öffent-
lich-Rechtlichen inzwischen Verbund- und ,,Club"-Angebote eingeführt (,,Theo" zum Beispiel ist Moderator
im Kinder-Geburtstags-Club und damit ist seine Funktion der von Bino ähnlich, d. Verf.). Geplant ist deswei-
teren ein Kinderkanal
28
von ARD und ZDF, der ab 1998 von acht 8.00 Uhr morgens bis 20.00 Uhr abends
als Alternative zu den kommerziellen Fernsehveranstaltern ein werbefreies Programm anbieten soll. Eine Ent-
scheidung des ZDF steht aber noch aus.
29
Die gerade bei Kindern hohe Fluktuation der Zielgruppendurchläufe nach Alters- und Interessenskriterien
setzt allerdings solchen Maßnahmen Grenzen. Dabei spielt auch die generelle Fernsehnutzung eine Rolle. Bei
den Anhängern der öffentlich-rechtlichen Kanäle liegt die Nutzung unter dem Durchschnitt, Bevorzuger der
kommerziellen Programme zählen eher zu den Vielsehern. Unterschiede gibt es zwischen den Nutzungstypen
auch in Bezug auf die Schulbildung: Hauptschüler bevorzugen die kommerziellen Sender, Grundschüler und
Gymnasiasten haben eine stärkere Bindung an öffentlich-rechtliche Programme. Anhand der Tatsache, daß
Grundschüler Vorschul-Magazine hoch einschätzen, lassen sich auch medienbiographische Familien- und
Erziehungseffekte der Generationen nachweisen, die selbst schon als jüngere Eltern die Erfahrung einer Fern-
sehkindheit gemacht haben.
30
1.1.4
Entwicklung der an Kinder gerichteten Werbespots
Zeichentrick rangiert zwar auf der Beliebtheitsskala der Sprößlinge ganz vorne, doch bereits an zweiter Stelle
folgt die Werbung
31
. Ebenso wie die Beliebtheit des Genres Zeichentrick nicht erst mit den privaten Pro-
grammen aufgetaucht ist, hat auch das Interesse für die Werbung eine längere Geschichte.
Schon ab 1956/57 existierte das regionale Werbe- und Werberahmenprogramm, das gerade Kinder magne-
tisch ansaugte,
32
was bereits eine frühe ,,Konkurrenz" für das Kinderfernsehprogramm war. Und bereits 1959
boten alle Sender Werbung in dieser Form an.
33
Die Sendungen für Kinder im Werberahmenprogramm
34
waren in den 70er Jahren nicht zufällig, sondern explizit und mit entsprechender Altersangabe an Kinder
gerichtet. Trotz des erweiterten Kinderprogramms konnten die Serien des ZDF in diesen Jahren nicht an das
26
Bei einer Befragung von 1032 Kindern zwischen 4 und 14 Jahren lagen "Die Schlümpfe" (Kabel 1) und "Die Simpsons" (PRO 7) ganz vorne. Die
meisten Nennungen befanden sich bei den Privatsendern und dort vor allem bei PRO 7, in: Aufenanger, Stefan, in: Medien und Erziehung Nr. 1/1991,
a. a. O., S. 206 f
27
Holdenried, Ute/Udo Mattusch: ,,Nicht immer - aber immer öfter". Audiovisuelle Gestaltungsmittel in Werbespots des Kinderrahmenprogramms; in:
Mattusch, Udo/Kerstin Eßer: Kinderfernsehen 4; Essen 1993, S.153
28
Der Kanal soll gebührenfinanziert sein und ein gewalt- und werbefreies Kinderprogramm ausstrahlen. In.: Heimann, Andreas, in: Die Zeit Nr. 14/31.
März 1995, a. a. O., S. 78
29
Wankell, Susanne, in: journalist Nr. 6/1995, a. a. O., S. 18/19
30
Neumann, Klaus: Nach der Medienwende: Das Kinderpublikum im dualen Fernsehsystem, in: Televizion Nr. 6/1993/2 (Themenheft), S. 37-39
31
Das ergab die ZDF-Medienforschung bei einer Befragung von 6- bis 13jährigen. Siehe genauere Zahlen und Quellenangabe auf S. 27 der vorliegenden
Arbeit.
32
Erlinger/Stötzel 1991, a. a. O., S. 47
33
Schmidbauer 1987, a. a. O., S. 13
34
wozu auch die Mainzelmännchen zählten!

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Interesse für die Werbung heranreichen.
35
Dagegen gab es bei der ARD ein spaßigeres und spannenderes
Programm, keine seichte Unterhaltung. Doch auch hier sah man die Kluft zwischen den pädagogischen Plus-
punkten des Programms und den kindlichen Interessen an der Werbung. Daraus entwickelte die Arbeitsge-
meinschaft Rundfunkwerbung (ARW) die Taktik, gezielt im Werberahmenprogramm ,,kinderattraktive", aber
als Kinderprogramm untaugliche Sendungen als Lockvogel unterzubringen (z. B. Polizeiinspektion 1).
36
In
den 70er Jahren arbeitete die ARD bereits mit der ARW zusammen, wenn es um Sendungen ging, die im
Werberahmen- und zugleich im Kinderprogramm Platz fanden (,,Pumuckl", ,,Tom Sawyer").
37
Das Fami-
lienprogramm, zu dem 1983 das ZDF-Kinderprogramm deklariert wurde, enthielt ebenfalls das Werberah-
menprogramm, mit dem ein möglichst großes Publikum angesprochen werden sollte.
38
Mit dem erweiterten Senderangebot durch die privaten Anbieter Mitte der 80er Jahre ging auch die Erwei-
terung des Werbeangebots im Fernsehen einher. Der Werbewirtschaft ist es dadurch gelungen, ein breites
Spektrum verschiedener Anspracheformen zu entwickeln, die bei den Kindern ausgesprochen gut ankommen.
Werbung nimmt Kinder scheinbar ernst und behandelt sie weniger ,,oberlehrerhaft" als pädagogische Institu-
tionen, mit denen sie täglich zu tun haben. Das macht sich der Marketingbereich zunutze, indem er für Kinder
Verhaltensmodelle, soziale Gruppenzugehörigkeit und Lebensziele anbietet und verkauft. ,,In der gegenwärti-
gen gesellschaftlichen Situation, die den maximalen Konsum der Waren und Dienstleistungen zur Erhaltung
ihres Wohlstandes zwangsläufig voraussetzen muß, werden Kinder wie Erwachsene gleichermaßen versorgt
und gedrängt, Sicherheit und Vertrauen im Waren- und Medienmarkt zu suchen."
39
Es zeigt auch die Entwicklung, daß schon 1988, also recht bald nach Einführung des dualen Systems, die 6-
bis 13jährigen ausgerechnet SAT.1, dem Sender mit dem größten Werbevolumen, am meisten zusprachen.
40
1.1.5
Öffentlich-rechtliche versus private Werbung
Ein Blick auf die Anteile der Werbung in den einzelnen Sendern und auf die Netto-Umsätze des Werbefern-
sehens 1993 (jeweils auf die Gesamtprogramme bezogen, nicht nur auf das Kinderprogramm) zeigt die Diffe-
renz zwischen den beiden Anbietertypen auf:
Tabelle 1.1: Vergleich zwischen Werbeanteilen und Werbeeinnahmen 1993
ARD
ZDF
SAT.1
RTL
PRO 7
Kabel 1
VOX
RTL2
Sendedauer Werbespots
in %
1,3
1,2
11,6
12,2
11,4
8,7
5,7
10,6
Nettoumsätze des Werbe-
TV in Mio. DM
444,8
370,4
1564,6
1844,1
1121,8
61,4
41,2
240,3
Quelle: Media Perspektiven, Basisdaten 1994 und ZAW Jahrbuch 1995
Die ARD offeriert ihre Werbebeiträge im Vorabendprogramm montags bis samstags zwischen 17.50 Uhr und
20.00 Uhr. So bleibt das Werbefernsehen ein gutes Stück vom Kinderprogramm entfernt. Das ZDF plaziert
Werbung ebenfalls von montags bis samstags, den ersten Werbeblock jedoch bereits kurz nach 16.00 Uhr und
den letzten knapp vor 19.30 Uhr
41
. Das ZDF führt die Kinder insofern der Werbung zu, als die Anstalt auch
35
Erlinger/Stötzel 1991, a. a. O., S. 55 und Schmidbauer 1987, a. a. O., S. 112
36
Schmidbauer 1987, a. a. O., S. 85
37
Erlinger/Stötzel 1991, a. a. O., S. 58
38
Schmidbauer 1987, a. a. O., S. 179
39
Cebulla-Jünger, Edeltraud: Kleine Menschen, große Kasse oder die Vermarktung der kindlichen Bedürfnisse, in: Dokumentation des Expertenforums
Kinder & Werbung am 16.5.1990 in Bonn, S. 48 f
40
Kübler, Hans-Dieter: Werbung in der Lebenswelt von Kindern heute, in: Dokumentation des Expertenforums Kinder & Werbung 1990, S. 20; Kinder
sahen 1988 26 Minuten SAT.1, jeweils 16 Minuten RTL plus und ARD und 15 Minuten ZDF. Sie verbrachten insgesamt fast die Hälfte der täglichen
Fernsehzeit von 95 Minuten mit den privaten Kanälen.
41
Diese Zeiten sind über größere Zeiträume betrachtet nicht fix, denn während der Inhaltsanalyse bewegten sich die ersten und letzten Werbeblöcke beim
ZDF in anderen Zeiträumen: Der erste gegen 17 Uhr und der letzte ganz knapp vor 20 Uhr, d. Verf.

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an Kinder adressierte Werbespots im Rahmen eines kinderattraktiven Serienprogramms ausstrahlt, das sich,
nur durch eine Minute ,,Heute-Schlagzeilen" getrennt, dem ,,ZDF-Kinderstudio" anschließt.
Es wird deutlich, daß Fernsehwerbung keinesfalls eine spezifische Angelegenheit der privaten Veranstalter ist.
Bei den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten erfolgt die Werbung zur Hauptsehzeit der Kinder, ist das pro-
grammliche Umfeld so gestaltet, daß der Zuschauer Werbung nicht als Störfaktor empfindet, und sind mit den
Mainzelmännchen oder anderen Maskottchen Elemente vorhanden, die dafür sorgen, daß sich Kinder die
Werbeschaltungen ansehen.
42
Allerdings sind die Rahmenbedingungen im privaten Rundfunk günstiger als im öffentlich-rechtlichen: Die
kommerziellen Veranstalter können die Werbesendungen über das gesamte Tages- und Nachtprogramm ver-
teilen. Der Anteil der Werbesendungen darf 20 % und der Anteil der Werbung mit Spots 15 % des tägli-
chen / nächtlichen Gesamtprogramms nicht übersteigen (laut Rundfunkstaatsvertrag von 1991 darf der Anteil
der Spot-Werbung sogar auf 20 % pro Stunde steigen). Die meisten Spots sind etwa 30 Sekunden lang.
43
Die
öffentlich-rechtlichen Sender haben entsprechend ihrer größeren Blocklänge auch eine bedeutend höhere
durchschnittliche Spotanzahl pro Block als die privaten Sender.
44
1993 sahen die 6- bis 13jährigen täglich 27 Minuten RTL, zwölf Minuten SAT.1 und 20 Minuten PRO 7;
Sonstige Sender (Kabelkanal, RTL 2 usw.) machten 18 Minuten aus. Auf die ARD und die dritten Pro-
gramme entfielen insgesamt 18 Minuten, auf das ZDF zehn Minuten.
45
Da die Kinder im gleichen Jahr über
50 % kommerzielle Programme sahen, dürften sie wesentlich mehr von der Werbung dieser Sender als von
der Werbung der Öffentlich-Rechtlichen erreicht worden sein. Außerdem werden sie vermutlich von den Spots
der Privaten intensiver angesprochen, weil sie in kinderorientierte Sendungen integriert sind.
46
Gerade diese
unmittelbar an Kinder adressierten Spots sind bei ARD und ZDF weit seltener zu finden. Da das Werbepro-
gramm der öffentlich-rechtlichen Anstalten innerhalb eines für Erwachsene konzipierten Vorabend- und
Nachmittagsprogramms ausgestrahlt wird, richtet es sich nicht primär an Kinder. Dagegen können sich die
kommerziellen Veranstalter im Rahmen bestimmter Programmteile ,,werbemäßig" voll auf die Kinder
konzentrieren.
47
Diesen Vorteil einer klar definierten Zielgruppe nutzt die Werbeindustrie. Während in dem die ganze Familie
ansprechenden Vorabendprogramm von ARD und ZDF eine relativ breite Palette von Gütern und Dienst-
leistungen beworben wird, findet sich bei den Spots im Kinderprogramm der Privaten ein Schwerpunkt auf
Produkten, die für Kinder interessant sind. Dabei steht die Firma Nintendo an der Spitze der Werbeeinschal-
tungen. Daneben fällt ein hoher Anteil von Werbung für unterschiedliche Spielfiguren auf (z. B. Batman).
48
Betrachtet man die Gestaltungsprinzipien der Spots, stellt man fest, daß sie sich (zumindest formal) im Kin-
derprogramm oft nur wenig vom redaktionellen Umfeld. Das birgt die Gefahr, daß zumindest kleinere Kinder
nicht eindeutig zwischen Programm und Werbung unterscheiden können.
49
42
Wolsing, Theo: ,,Früher oder später kriegen wir Euch alle!" In: Preuß, Volker/Heiko Steffens: Marketing und Konsumerziehung. Goliath gegen David?
Frankfurt a.M. 1993, S. 141
43
Schmidbauer, Michael: Televisionäre Lieblingsspeise mit Werbe-Ingredienzen, in: Televizion Nr. 6/1993/2, S. 17
44
Krüger, Udo Michael: Werbung im Fernsehen - Angebotsformen, Tageszeiten und Produkte, in: Media Perspektiven Nr. 4/1990, S. 226
45
Darschin, Wolfgang/Bernward Frank: Tendenzen im Zuschauerverhalten, in: Media Perspektiven Nr. 3/1994, S. 99
46
Einer exemplarischen Untersuchung zufolge wurden 1993 bei RTL, SAT.1, PRO 7 und RTL 2 täglich durchschnittlich 625 Werbespots für Kinder
gesendet; das waren insgesamt 208 Minuten. Charlton, Michael u.a. 1995, a. a. O., Band 1, S. 30
47
Schmidbauer, Michael, in: Televizion Nr. 6/1992/2, S. 17 f
48
Baacke, Dieter/Uwe Sander/Ralf Vollbrecht 1993.a, a. a. O., S. 81
Siehe auch: Krüger, Udo-Michael, in: Media Perspektiven Nr. 4/1990, a. a. O., S. 222-230
49
Gleich, Uli/Jo Groebel, ARD-Forschungsdienst: Funktionen von Werbung für Kinder und Jugendliche, in: Media Perspektiven Nr. 6/1994, S. 311

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1.2 Die Unterscheidungsproblematik
,,Ist Werbung `richtiges' Fernsehen?" Diese Frage wurde Sechs- bis Zwölfjährigen in einer Untersuchung des
Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) und der Abteilung Medienfor-
schung des ZDF gestellt.
50
Drei von vier Kindern meinten, Werbung sei etwas anderes als Nachrichten oder
Spielfilme.
51
Es waren fast nur die jüngsten, die Sechs- bis Siebenjährigen, der Auffassung, Fernsehreklame
sei ,,richtiges" Fernsehen.
52
,,Rundfunkrechtlich ist jede Sendung Werbung, mit der ein Rundfunkveranstalter oder ein die Rundfunkver-
anstaltung nutzender Dritter werbend - das heißt, nicht nur informierend, unterhaltend oder bildend im Sinne
der Rundfunkaufgabe - auf eine der Rezeption nachfolgende Entscheidung der Rezipienten einwirken will.
Ziel der werblichen Einwirkung kann danach die ökonomische Absatzförderung, aber an sich auch die Förde-
rung eines sonstigen (zum Beispiel ideellen) Interesses sein. Entscheidend ist in jedem Fall, daß die Sendung
noch andere, (zusätzliche) Ziele als die der immer mit dem Rezeptionsakt verbundenen Möglichkeit der Infor-
mation, Unterhaltung und Bildung der klassischen Rundfunkaufgabe verfolgt."
53
Es liegt demzufolge rund-
funkrechtlich ein Ausschlußverhältnis zwischen Werbung und Programm vor.
Demnach besteht gerade für Kinder die Schwierigkeit, beides nicht voneinander trennen zu können. Das heißt,
sie können die Bedeutungsebene des einen nicht von der des anderen Programms trennen. Erschwerend wirkt
sich die extreme Nähe von redaktionellem und Werbeprogramm aus, die für Kinder die eine Programmart
unmerklich in eine andere übergehen läßt. Dadurch verfolgen Kinder beide Programme mit der gleichen Auf-
merksamkeit und schreiben ihnen von vornherein die gleiche Bedeutung zu. Ein Beispiel hierfür: Ein Sechs-
jähriger zählt als eine seiner Lieblingswerbungen die Sendung ,,Bitte lächeln" auf, die bei RTL läuft.
54
Wegen
der Vorliebe der Kinder für Cartoons oder andere, mit häufigen Schnitten und auffälligen formalen Eigen-
schaften ausgestatteten Programme, schauen sie sich die Werbespots gerne an, weil diese auch durch solche
Techniken und Eigenschaften dominiert werden.
Selbst sogenannte ,,Separators" bringen die (jüngeren) Kinder nicht unbedingt dazu, genau zu erkennen, wann
ein Werbespot und wann eine redaktionelle Sequenz beginnt. Zudem werden diese Separators meist am
Anfang, aber nicht am Ende des Spots oder des Spot-Blocks als spezielles Logo eingeblendet. Diese Trenn-
marken führen deshalb nicht zu einer Differenzierung zwischen redaktionellem und Werbeprogramm, weil sie
für die Kinder eine Brücke zwischen den beiden Programmsparten darstellen, ohne jedoch beide voneinander
zu unterscheiden.
55
Ab welchem Alter ein Kind die Fähigkeit der Unterscheidung entwickelt, ist ein umstrittenes Thema. Ward
u.a. erfuhren mit Hilfe von Interviews, daß Sieben- bis Achtjährige angesichts der Unterscheidung Verwirrung
zeigten.
56
Die neueste Repräsentativbefragung von Charlton u.a.
57
hat deutliche Differenzierungen bei der
Frage nach dem Verstehen und Erkennen von Spot-Werbung zutage gefördert: Knapp ein Viertel der Vor-
schulkinder (vier bis sechs Jahre alt) haben Werbung überhaupt nicht erkannt, knapp die Hälfte der Grund-
50
Karin Böhme-Dürr, die an dieser Untersuchung mitgearbeitet hat, konnte auf ein bereits bestehendes Kinderpanel zurückgreifen, so daß im Herbst 1993
500 bereits repräsentativ ausgewählte Kinder telefonisch befragt wurden.
51
Begründet wurde die Aussage, Werbung sei kein richtiges Fernsehen, damit, daß Fernsehwerbung zu kurz sei, daß sie nur der Kaufaufforderung diene,
daß sie keine Geschichten enthalte, daß sie nur ,,Pausenfüller" sei und daß sie ja eigentlich Produkte darstelle (Nennung der Begründungen in dieser
Reihenfolge). In: Böhme-Dürr, Karin: Nur ältere Kinder sind (manchmal) von Fernsehwerbung genervt, in: Televizion Nr. 6/1992/2, S. 6 f
52
Ebendort, S. 7
53
Charlton, Michael u.a. 1995, a. a. O., Band 2, S. 366
54
Gespräch mit dem sechsjährigen Steffen Dispan am 19. Juli 1995 in Heidelberg, siehe S. 145
55
O.V.: Kinder als Kunden. Mädchen reagieren nicht so heftig wie Jungen, in: Televizion Nr. 6/1993/2, S. 20 ff
56
Ward, Scott/Daniel B. Wackmann/Ellen Wartella: How Childrean learn to buy. Beverly Hills/London 1977, S. 100
Siehe auch: Roberts, Donald F./Christine M. Bachen: Mass Communication Effects, in: Annual Review of Psychology, Volume 32, 1981, S. 336-338
57
Charlton, Michael u.a. 1995, a. a. O., Band 2, S. 264 f

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schulkinder und immer noch ein Drittel der Sekundarstufen-Schüler war nicht in der Lage, Werbung unab-
hängig von formalen Merkmalen zu erkennen.
58
Der Kommunikationswissenschaftler und Medienexperte Jo Groebl betrachtet die Fähigkeit der Kinder, zwi-
schen Werbung und Programm zu unterscheiden, nach Altersstufen. Die Entwicklung ist zwar von Kind zu
Kind verschieden, siedelt sich aber zwischen sieben und neun Jahren an. In dieser Phase kann deutlich zwi-
schen redaktionellem- und Werbeinhalt unterschieden werden, da hier der Übergang von der konkreten Infor-
mationsverarbeitung zur abstrakten stattfindet. Das heißt, nicht nur das Bild alleine zählt, sondern auch die
Fähigkeit, das Bild in einen abstrakten Kontext einzuordnen. Ein Kind kann zwar in jüngerem Alter benennen,
daß eine Sendung anders ist als die andere. Das geht aber nicht mit der Fähigkeit einher, auch die Botschaft zu
verstehen. Man muß differenzieren zwischen dem Erkennen einer Werbeabsicht und dem Erkennen der unter-
schiedlichen Formen und der Intention. Im Schnitt, so die Kinderpsychologin Iris Fürst, können Kinder frühe-
stens im Alter zwischen zehn und zwölf Jahren nicht nur erkennen, sondern auch realisieren, was Werbung
ist.
59
Es gibt neben dem reinen Lebensalter das sogenannte psychologische Alter, das heißt, einzelne Kinder
sind schneller oder langsamer im Erreichen der nächsten kognitiven Stufe.
60
Dieser Meinung ist auch Volker Nickel vom Zentralausschuß der deutschen Werbewirtschaft (ZAW). Er hält
es jedoch für ,,unnötig, große Diskussionen zu führen, ab wieviel Jahren dies der Fall ist. Viel wichtiger ist,
daß die Tendenz erkannt wird, und diese Tendenz heißt: Kinder erkennen sehr früh, was Werbung und was
Programm ist.
61
Sie erkennen das jedoch nicht alle gleichmäßig und ad hoc."
62
1.2.1
Erkennen der Werbung
Die Landespresse- und Landesmediengesetze schreiben vor, daß sich Werbung vom redaktionellen Programm
unterscheiden muß. In den Printmedien geschieht dies durch den Schriftzug ,,Anzeige", sofern der Werbe-
charakter nicht schon durch die Anordnung und Gestaltung der Inserate offensichtlich wird. In Hörfunk und
Fernsehen wird Werbung durch akustische und / oder optische Signale angekündigt.
63
Weil das Ende eines
Werbeblockes nicht gekennzeichnet ist, fordern Charlton u.a., die Blöcke durchgehend mit einem Sender-
Werbesignet zu versehen und um eine verbale Kennzeichnung zu ergänzen. Kinder würden so eine Hilfestel-
lung erhalten, Werbung zu erkennen.
Außerdem erachten die Forscher die Einführung eines Werbeinforma-
tionsspots für sinnvoll, der die Besonderheit der Werbung in kindgerechter Weise deutlich machen könnte (der
den Werbeblöcken vorangestellt werden soll).
64
Für die Fähigkeit, Werbung zu erkennen, spielt auch das Vertrauen in die Werbung eine große Rolle. Miß-
trauen bei älteren Kindern ist auf mehr Erfahrung im Verständnis von Werbung zurückzuführen, auf vergan-
gene Erfahrungen mit dem beworbenen Produkt oder auf den Druck durch den Freundeskreis. Je besser Kin-
der Werbung als solche erkennen können, desto weniger anfällig sind sie gegenüber der Manipulation durch
Werbung.
65
Kinder im Vorschulalter nehmen dagegen Werbung nicht als manipulierten oder idealisierten
58
siehe genauere Zahlen S. 20 der vorliegenden Arbeit.
59
Gespräch mit Iris Fürst, Diplom-Psychologin und Ausbilderin für ErzieherInnen, am 19. April 1995 in Rastatt, siehe S. 119. Diese Altersangabe deckt
sich mit den Ergebnissen von Charlton u.a., die in ihrer Befragung zu der Aussage gelangen, daß Kinder ab dem 11. Lebensjahr Werbung verstehen.
Dann wissen sie, daß sich Werbung auch an sie persönlich wendet und auf ihre eigene Kaufentscheidung Einfluß nehmen will. Sie selbst allerdings
halten sich für immun und schätzen die Glaubwürdigkeit der Werbung gering ein. In: Charlton, Michael u.a. 1995, a. a. O., Band 2, S. 265
60
Gespräch mit Jo Groebel, siehe S. 123
61
Er verweist auf eine US-Studie; laut dieser können Kinder schon zwischen 4 und 8 Jahren TV-Werbespots deutlich vom übrigen redaktionellen
Programm unterscheiden: In: Television Advertising and Children - Issues, Research and Findings, Library of Congress Catalogue Card Number 81-
66045, New York 1981
62
Gespräch mit Volker Nickel, Geschäftsführer des Zentralverbandes der deutschen Werbewirtschaft, am 25. April 1995 in Bonn, siehe S. 128
63
Wolsing, Theo: Die Werbung, in: ? (dieser Artikel wurde ohne Angaben über die Veröffentlichung zugeschickt), S. 256
64
Charlton, Michael u.a. 1995, a. a. O., Band 2, S. 448 f
Die Forderungen basieren auf den Ergebnissen der psychologisch-qualitativen Untersuchung.
65
Roberts, Donald F./Christine M. Bachen, in: Annual Review of Psychologie, Volume 32, 1981, a. a. O., S. 337 f

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Weltausschnitt wahr, sondern als erstrebenswerte Wirklichkeit, die ihnen die Möglichkeiten verheißt, sich auf
diese Weise Ersatz für all das zu holen, was ihnen täglich durch ihre Lebenssituation versagt bleibt.
66
Ab
einem Alter von neun, zehn Jahren schenken Kinder dem Werbefernsehen immer weniger Beachtung und
reagieren auf Werbesendungen oft mit einer Art Zynismus. Volker Nickel bestätigt diese Tendenz: Kinder
könnten mit zunehmendem Alter nicht nur immer besser Werbung vom Programm unterscheiden, sondern sie
entwickelten auch zunehmend eine kritische bis ablehnende Haltung ihr gegenüber.
67
Nach und nach folgen dann die Einsichten, daß Werbung die Notwendigkeit des Kaufaktes verschweigt, daß
Markenprodukte teurer sind, und daß Werbung Methoden zur Beeinflussung benutzt. Zuletzt erkennen die
Kinder auch, daß in den Werbespots eine ,,heile Welt" gespielt wird, die die gesellschaftliche Wirklichkeit
verzerrt darstellt. Die Fähigkeiten entwickeln sich mit zunehmendem Alter. Da Kinder noch nicht lesen gelernt
haben müssen, um fernzusehen, kann Fernsehwerbung schon Kleinkinder beeinflussen. Je jünger sie sind,
desto mehr vertrauen sie der Werbung. Ihre Kauf- und Besitzwünsche sind stärker als bei älteren Kinder, die
wissen, welche Absichten Werbung verfolgt.
68
1.2.2
Erkennen der Intention
Bis zum Alter von etwa sechs Jahren sehen Kinder den Sinn von Werbespots im Erzählen kleiner Bilderge-
schichten. Erst später erkennen sie, daß die Bildergeschichte nur die Oberfläche und die Marke die eigentliche
Botschaft der Werbespots ist. Ab dem siebten Lebensjahr erkennen die Kinder die einseitige Darstellung der
Produkte in den Spots, damit geht das Realisieren der Unglaubwürdigkeit und Wirklichkeitsfremdheit der
Werbespots einher.
69
Ab dem zehnten Lebensjahr etwa wird sowohl die wirtschaftliche Funktion von Wer-
bung erkannt als auch die Absicht zu überreden, zu beeinflussen und zu verführen. Dieses Verständnis beginnt
sich ab dem achten Lebensjahr zu entwickeln, ist aber meist erst bei Elf- und Zwölfjährigen ausgebildet.
70
Es zeigt sich eine unabhängige Entwicklung vom Verständnis der Absichten der Hersteller einerseits und der
Übernahme dieser Absichten in das persönliche Konzept von Glaubwürdigkeit und Wichtigkeit der aufge-
nommenen Informationen andererseits. Ältere Kinder mögen zunehmend die Erfahrung machen, daß nicht
alles zutreffend ist, was Werbung ihnen vermitteln möchte.
71
So stellen viele Zehnjährige bei Befragungen
fest, daß ,,Werbung lügt", was aber nicht heißt, sie würden sich nicht an einzelnen Werbesendungen
begeistern können.
Doch trotzdem sind auch in diesem Alter nicht alle Kinder in der Lage, klar zu umschreiben, worauf Werbe-
sendungen abzielen. Zwar halten sich viele bei der Einschätzung von Werbesendungen nicht mit Äußerlichkei-
ten auf, denn aufgrund ihrer kognitiven Entwicklung komplexer Möglichkeiten der Informationsverarbeitung
wissen sie, daß Werbesendungen ein bestimmtes Ziel verfolgen. Allerdings können nur wenige Kinder das
Geschäfts- und Gewinnmotiv als ,,Hinter-Grund" angeben.
72
Neben dem Alter spielt für das Erkennen der Werbeintention und auch für die Glaubwürdigkeit die Fernseh-
nutzung allgemein eine große Rolle, denn Vielseher vertrauen der Werbung mehr als Wenigseher.
73
Interes-
66
Cebulla-Jünger, Edeltraud, in: Dokumentation des Expertenforums Kinder & Werbung 1990, a. a. O., S. 44
67
Gespräch mit Volker Nickel, siehe S. 128
68
Eicke, Ulrich/Wolfram Eicke: Die Werbewirtschaft entläßt ihre Kinder, in: InSight Nr. 3/1994, a. a. O., S. 42 f
69
In einer Untersuchung glaubten drei Viertel der Kinder unter 8 Jahre und nur noch ein Viertel der Kinder über zehn Jahre, daß Werbespots wahr sind, in:
Eicke, Ulrich/Wolfram Eicke, in: InSight Nr. 3/1994, a. a. O., S. 43
70
Kinder, die jünger als 7 Jahre sind, zeigen sich noch stark verunsichert darüber, was überhaupt unter Werbung zu verstehen ist. Ein 6jähriger Junge
antwortete bei der Frage, welche Werbung im Fernsehen komme: "Da kommt Barbie, dann kommen noch so Sachen, wo man kaufen kann. Und dann
kommt noch was für das RTL-Programm und dann noch alles, was man sehen möchte." Offensichtlich verwechselt er Programmvorschauen und
Werbung, und er identifiziert nicht alle Werbespots gleichermaßen als Produktbewerbungen. Gespräch mit Steffen Dispan, siehe S. 145
71
Haase, Henning: Aspekte der (Werbe-)Fernsehwirkung, in: Media Perspektiven Nr. 4/1980, S. 228 f. Siehe auch: Ward, Scott u.a. 1977, a. a. O.,
S. 38 ff
72
O.V., in: Televizion Nr. 6/1993/2, a. a. O., S. 23
73
Weitzel, Jürgen: Kleinkinderprogramm im Wandel; in: Grewe-Partsch, Marianne/Jo Groebel: Mensch und Medien, München 1987, S. 158

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sant ist, daß die meisten Kinder, die die Werbebotschaften für Unsinn oder für falsch halten, diesen Sendungen
dennoch etwas Sinnvolles zuschreiben. Das könnte damit erklärt werden, daß die meisten Werbesendungen
mit einer Anpreisung der Produkte eine einfache positiv-soziale ,,Verortung" der potentiellen Käufer und eine
Zuschreibung von leicht nachvollziehbaren Merkmalen verbinden, welche jenen zukommen sollen, die über
das beworbene Produkt verfügen: Für beides sind die Kinder aufgrund ihrer Entwicklung zu persönlicher und
sozialer Identität bekanntermaßen besonders empfänglich. Und es scheint offensichtlich so zu sein, daß sich
die Kinder, wenn sie solchen Reizen ausgesetzt sind, der Beeinflussung nur schwer entziehen können, auch
wenn sie eine negative Einstellung zum Werbefernsehen ausgebildet haben: Sie schalten kurzfristig ihre kriti-
schen Vorbehalte aus, da die Werbesendungen sie an - oft unbewußten - Motiven packen, die für sie zentral
sind: Bedürfnis nach Dazugehörigkeit, nach Größe und Stärke, nach Erfolg und ,,Lebensstilsicherheit".
74
Mit zunehmendem Alter steigt die Fähigkeit zur Koordination und Decodierung der optischen und akustischen
Botschaft, was eine Voraussetzung für sinnvolle Fernsehrezeption allgemein darstellt. ,,Ein Medium zu
`entcodieren', setzt die Kenntnis seiner Konventionen und seiner `Grammatik' voraus, eine Fähigkeit, die von
der Medienerfahrung des Kindes und dem Stand seiner sozialen und kognitiven Entwicklung abhängt."
75
Diese generell noch nicht ausgereifte Fähigkeit zur Differenzierung bezieht sich nicht nur auf den Bereich
Werbung / Rahmenprogramm, sondern greift sogar auf die Ebene Fernsehinhalt / Wirklichkeit über. Das Kind
möchte in seinem Identitätsfindungsprozeß das Wahrgenommene mit seiner eigenen Realität in Einklang brin-
gen und paßt daher auch seine Wirklichkeit dem Geschehen an. Der Identitätsfindungsprozeß kann folglich
nicht losgelöst vom Entwicklungsprozeß des Kindes betrachtet werden.
1.2.3
Die Entwicklungsstadien nach Piaget
Die Entwicklung der Wahrnehmung basiert auf der Interaktion von persönlichen und situationsbedingten
Faktoren in der Entwicklung der Fähigkeiten des Kindes, Aspekte seiner Umwelt wahrzunehmen und zu
organisieren, die das Denken und das Verhalten beeinflussen. Diese Entwicklung erscheint nach Piaget in
verschiedenen Phasen und Altersstufen der kindlichen Wahrnehmung. Diese Phasen sind:
·
Die sensomotorische Intelligenz (bis zum Alter von etwa zwei Jahren)
·
Die präoperationale Phase (zwischen zwei und sieben Jahren)
·
Die konkreten Operationen (zwischen sieben und elf Jahren)
·
Die formal-abstrakten Operationen (ab elf Jahren bis in das Erwachsenenalter)
Jede Phase ist differenziert nach psychologischen oder kognitiven Strukturen, die die Basis für die geistigen
Fähigkeiten bilden. Diese beeinflussen Einstellungen, Wissen und Verhalten der Kinder.
Die Tätigkeiten der sensomotorischen Intelligenz bestehen darin, aufeinanderfolgende Wahrnehmungen und
Bewegungen zu koordinieren. So stellt ein Kind fest, daß ein Objekt verschiedenen kognitiven Schemata zuge-
ordnet werden kann: Derselbe Gegenstand kann betrachtet, angefaßt, herangezogen, fortgeworfen werden. Der
Gegenstand behält dabei seine Identität. In der sensomotorischen Etappe kommt es zu Anfängen einer Unter-
scheidung zwischen Selbst und Umwelt.
Die präoperationale Etappe wird gegliedert in die Periode des symbolisch-vorbegrifflichen Denkens und die
des anschaulichen Denkens. Im Unterschied zur sensomotorischen Etappe, in der das Denken unmittelbar
handlungsbezogen war, ist das Kind jetzt fähig, Handlungen ,,in Gedanken" vorzunehmen, kann also ,,im
voraus" überlegen. So lernt das Kind, mit Vorstellungen und symbolischen Schemata umzugehen, die eine
nicht gegenwärtige Situation bezeichnen. Im Mittelpunkt des vorbegrifflich-symbolischen Denkens steht die
egozentrische Assimilation an die eigene Tätigkeit (ein Stück Holz kann für einen Zweijährigen ein freundli-
74
O.V., in: Televizion Nr. 6/1993/2, a. a. O., S. 25
75
Steiner, Karin: Werbung im Fernsehen, 25 Jahre Fernsehen ORF; Wien 1980, S. 63

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cher Gegenstand oder ein Ungeheuer sein
76
). Im Alter des anschaulichen Denkens (bei den Vier- bis Sieben-
jährigen) findet eine wachsende Verbegrifflichung statt. Bezeichnend ist ebenfalls, daß das Kind keinen ande-
ren Standpunkt als den eigenen kennt (,,Egozentrismus"). Das gilt sowohl im physikalischen Sinne, als auch
für das soziale Verhalten. Und schließlich ist das Denken nicht umkehrbar, es ist vielmehr eingleisig.
Eine charakteristische Struktur junger Kinder im präoperationalen Stadium ist die Zentrierung. Diese hängt
mit der Tendenz der Kinder zusammen, nur einen Aspekt einer Sache zu betrachten. Mit zunehmendem Alter
wandelt sich die Zentrierung in eine Dezentrierung, so daß ein Kind mehrere Dimensionen einer Sache
beleuchten und auch beurteilen kann. Bezogen auf die Werbung folgt daraus, daß ältere Kinder ab acht Jahre
besser Werbung erinnern und deren Aussage verstehen können, als jüngere Kinder mit einer eindimensionalen
Betrachtungsweise.
77
Die Etappe der konkret-logischen Operationen ist dadurch gekennzeichnet, daß der Heranwachsende jetzt die
Gesamtheit eines konkreten Systems erfassen kann; die anschaulichen Beziehungen eines Systems werden
gruppiert, die einfache Wenn-Dann-Beziehung steht nicht mehr im Vordergrund. In dieser Phase, also etwa ab
dem sechsten bis siebten Lebensjahr bis etwa zum zwölften Lebensjahr, sind die kognitiven Strukturen mit
steigendem Alter immer mehr in der Lage, die Absichten der Werbung zu verstehen, Urteile über den Wahr-
heitsgehalt von Werbeaussagen abzugeben und die soziale Symbolik der in der Werbung vertretenen Rollen
und Leitbilder zu verstehen.
78
Piaget setzt den Beginn des Denkens im Jugendalter fest, beginnend zwischen elf und zwölf Jahren. Auf dieser
letzten Stufe in der Intelligenzentwicklung, der Phase der formalen Operationen, gewinnen die Bezüge und
Operationen Unabhängigkeit von den konkreten Gegenständen, auf die sie sich bisher stützten.
79
Ist man Piagets Ansatz so weit gefolgt, erkennt man, warum die gleichen Hörfunk- und Fernsehsendungen von
unterschiedlichen Rezipienten unterschiedlich verstanden werden: Man nimmt vorab das heraus, was dem
eigenen kognitiven Entwicklungsstand entspricht. Medienspezifische Präsentationsformen haben stets mit
Beziehungen und Verknüpfungen zu tun: Es geht um Schnitte, Schwenks, wechselnde Kameraeinstellungen,
Um- und Überblendungen, Montagen, Zooms, Pausen und Wort-Bild-Beziehungen. So kann im Fernsehen ein
Sachverhalt sowohl eingleisig, unidirektional, langsam fortschreitend dargestellt werden als auch in raschen
Bezugswechseln, unter Einschluß von abstrakten Benennungen und Symbolen.
80
Der Zuschauer kann eine
Information jedoch nur dann aufnehmen, wenn er sie versteht. Die individuelle Verarbeitung von Medieninhal-
ten ist in hohem Maße vom Entwicklungsstand der kognitiven Schemata eines Kindes mediatisiert.
Erst wenn Handlungen innerlich durchgespielt werden können, scheint Fernsehen sinnvoll und für die Kinder
nachvollziehbar zu sein. Das Kind benötigt in dieser Phase die dingliche Erfahrung mit den Gegenständen
seiner Umwelt, da die geistige Entwicklung im handelnden Umgang mit der Umwelt ihren Ausgang nimmt.
Fernsehen setzt letztlich eine Handlungserfahrung voraus und wendet sich stärker an Anschauungen und
Vorstellungen. Deshalb brauchen bildlich vermittelte Informationen immer direkte Erfahrungen aus dem han-
delnden Umgang und sind nicht in der Lage, diese auf der inaktiven, handelnden Stufe zu ersetzen.
81
76
Vgl. Iris Fürst: Kinder vermenschlichen viel: Sie sagen, ,,der Tisch ist böse" oder ,,das Stuhlbein hat mir wehgetan", wenn sie sich gestoßen haben. (Für
das Kind gibt es keine scharfe Trennungslinie zwischen leblosen Gegenständen und lebendigen Wesen. Die Beziehungen zur unbelebten Welt sind für sie
gleichgeartet wie die zur belebten Menschenwelt. In: Bettelheim, Bruno: Kinder brauchen Märchen; Stuttgart 1977.) Insofern nutzt die
Werbepsychologie das Kindheitsalter aus und impliziert durch Werbespots, daß Dinge menschlich sind. Gespräch mit Iris Fürst, siehe S. 121
77
Ward, Scott: How Children understand with Age, in: Ward, Scott u.a.: Commercial Television and European Children; Aldershot, Hants 1986, S. 33 ff
78
Roth, Richard: Die Sozialisation des Konsumenten; Frankfurt a.M. 1983, S. 302
79
Piaget, Jean: Probleme der Entwicklungspsychologie. Kleine Schriften; Frankfurt a.M. 1976, S. 46 ff und Piaget, Jean: Meine Theorie der geistigen
Entwicklung; München 1983, S. 39 ff
80
Sturm, Hertha/Sabine Jörg: Informationsverarbeitung durch Kinder. Piagets Entwicklungstheorie auf Hörfunk und Fernsehen angewandt; o.O. 1980,
S. 12 bis 18
81
Stötzel, Dirk Ulf: Das Magazin ,,Die Sendung mit der Maus"; Wiesbaden 1990, S. 173 ff

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Aus dieser Sicht wird nun verständlich, warum Vorschulkinder Werbung und Programm nicht unterscheiden
können: Sie verstehen längere und schwierigere Geschichten dann, wenn diese eingleisig, unidirektional ange-
boten werden, aus einer Erzählperspektive, ohne Szenen- und Standortsprünge, ohne Schnitte, Schwenks,
ohne Umsprünge von Wort auf Bild. Diese Merkmale berücksichtigen weder Werbespots, noch das redaktio-
nelle Programm, so daß ein Kind schon die Geschichten, die erzählt werden, nicht versteht, geschweige denn
einen Unterschied zwischen den Inhalten feststellen kann.
82
1.2.4
Wenn Käpt'n Iglo mitspielt
Zusätzliche Probleme ergeben sich für Kinder dann, wenn Programmteile und Werbespots inhaltlich ähnlich
gestaltet sind. So erschweren die in Programm und Werbung verwendeten Zeichentrickfiguren die Unterschei-
dung zwischen diesen beiden Kategorien bedeutsam.
83
Von den Werbetreibenden wird oft von einem kriti-
schen Sinn der Kinder ab acht Jahre ausgegangen, doch dieser kritische Sinn kann mit verschiedenen Mitteln
umgangen werden: Zum Beispiel durch die Verwendung von Tieren, durch das Auftreten sympathischer Per-
sonen, Zeichentrick-Figuren, Helden und Berühmtheiten.
Wie eng die Vernetzung zwischen Werbung und Programm durch Zeichentrickelemente und -figuren in der
Werbung noch einmal zusätzlich werden kann, soll ein Beispiel zeigen: Ein Spot für Iglo-Rahmspinat arbeitet
mit animierten Zwergenfiguren und ist am Ende eines Blockes plaziert. Er geht direkt über zum Vorspann des
folgenden ,,Popeye"-Zeichentrickfilms, dessen Held seine Kraft bekanntlich aus übermäßigem Spinatkonsum
schöpft. Zum Ende der Zeichentrickserie wird nochmals der Spot für den Rahmspinat eingeblendet, zwar wird
der Beginn durch eine ,,Werbung" signalisierende Unterbrechung deutlich gemacht, der Iglo-Spot bezieht sich
allerdings inhaltlich auf die Zeichentrickserie.
84
Man kann nachweisen, daß die Verwendung von bekannten Figuren nicht nur einen dreimal höheren Auf-
merksamkeitswert erzielt als unbekannte Personen, sondern daß sie auch die Neigung zum Kauf belebt. Nach
dem Anschauen einer Anzeige, auf der der Rosa Panther Eiskrem verzehrte, fragte man die Kinder: ,,Warum
essen Kinder Eiskrem?" Die Mehrzahl der Kinder antwortete: ,,Weil der Rosa Panther Eiskrem mag." So
kann ein Kriterium für die Produktwahl übernommen werden, das überhaupt nichts mit der Qualität des Pro-
duktes zu tun hat.
85
Die Hereinnahme von positiv bewerteten Personen und Figuren in Werbespots kann einen
günstigen emotionalen Übertragungseffekt für das beworbene Produkt haben.
86
Wohl deshalb heißt es in den Verhaltensregeln des Deutschen Werberats für die Werbung vor und mit Kin-
dern in Ziffer 4: Werbemaßnahmen ,,sollen nicht das besondere Vertrauen, das Kinder bestimmten Personen
entgegenzubringen pflegen, mißbräuchlich ausnutzen".
87
Doch bereits das regelmäßige Erscheinen einer Figur
kann Grundlage für Zuneigung und Vertrauen sein. Dieser Effekt läßt sich über die Orientierungs- und Zuver-
lässigkeitsbedürfnisse erklären: Auf die, die täglich oder wöchentlich zur gleichen Zeit erscheinen, kann man
sich verlassen. Ebenso kann man sich auf die verlassen, die Sicherheit verheißen.
Das hält Walter Wilken vom
Deutschen Kinderschutzbund für schwerwiegender als das Auftreten von beispielsweise Elterndarstellern.
Denn Vertrauenspersonen können ebenso Lehrer oder der Pastor sein, die zu zeigen aber für die Werbung
sinnlos wäre. Viel spannender ist es, ein Symbol für Vertrauen und Schutz zu nehmen, wie zum Beispiel
Käpt'n Iglo, der Kinder auf einem Schiff durch wildeste Stürme steuert, und dessen Bart sowie die sonore
82
Sturm, Hertha/Sabine Jörg, a.a.O., S. 18
83
Charlton, Michael u.a. 1995, a. a. O., Band 2, S. 265
84
Holdenried, Ute/Udo Mattusch, in: Mattusch, Udo/Kerstin Eßer; Essen 1993, a. a. O., S. 151
85
Dejemeppe, Pierre: Die Werbung und das Kind, in: Preuß, Volker/Heiko Steffens 1993, S. 124 ff
86
Haase, Henning, in: Media Perspektiven Nr. 10/1981, a. a. O., S. 741
87
Verhaltensregeln des Deutschen Werberats für die Werbung vor und mit Kindern in Werbefunk und Werbefernsehen, Fassung von 1992, in: Jahrbuch
Deutscher Werberat 1995, Bonn 1995, S. 57 ff; vgl. Kapitel 6.2.1 (,,Die Verhaltensregeln") dieser Arbeit, S. 71

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Stimme ihn zu einer Person des Vertrauens machen. Das symbolisiert viel mehr als ein Lehrer oder Eltern.
88
Wenn dieser Käpt'n Iglo
89
nun für Fischstäbchen wirbt, entscheiden Kinder nicht mehr nach funktionalen,
sondern nach äußeren Gesichtspunkten.
90
1.2.5
Merchandising
Das kommt noch deutlicher zum Ausdruck, wenn es um Merchandising geht. Bei diesem Verkaufsprinzip
wird ein Produkt im Verbundsystem
91
mehrerer Anbieter vermarktet. Die Produkte werden häufig mit belieb-
ten Personen oder Figuren aus Fernsehserien verknüpft (beliebt sind vor allem: ,,Alf", ,,Die Schlümpfe",
,,Familie Feuerstein", ,,Turtles" und ,,Jurrasic Park"). Durch die Vergabe von Lizenzen werden die unter-
schiedlichsten Wirtschaftszweige wie zum Beispiel Buch-, Textil-, Nahrungsmittel- und Schreibwarenher-
steller an der Vermarktung der Figur beteiligt.. Zeitgleich mit der neuen Fernsehserie erscheinen die Figuren
auf T-Shirts, Tapeten und Schlüsselanhängern oder Verpackungen.
92
Somit ist Merchandising der Begriff für
die vielfältigen programmbegleitenden Maßnahmen, die Filme, Serien und Helden vielfach weiterverwerten.
93
Deshalb bezeichnen Charlton u.a. Das Merchandising als eine Art ,,Zwitter" von Werbung und Konsum.
94
Dabei wird genauestens darauf geachtet, daß das gemeinsame Image eines Produktes in der Werbung von
Trickfilmzeichnern, Spielzeugdesignern und Kindermodenproduzenten durchgehalten wird. In sogenannten
,,Briefing Books" werden sämtliche Action-Szenen, Posen, Farben und Accessoires der einzelnen Charaktere
festgelegt.
95
Wie auch schon die Darstellung von bekannten Figuren in Werbespots auf Orientierungslosigkeit und Identi-
fikation eingeht, so greift auch das Merchandising dieses Problem auf, weil es den Kindern einen bestimmten
Wiedererkennungseffekt bietet: Kinder erkennen wieder, was sie im Fernsehen, im Film gesehen haben und
möchten das Produkt dann auch besitzen, weil es gerade aktuell ist. Denn der Faszination der Comicfiguren
kann sich kaum jemand entziehen. ,,Sie sind sympathisch und niedlich, einfach liebenswert, manchmal gefähr-
lich, meist stark und schier unbesiegbar. Sie sind voller Esprit, witzig, klopfen Sprüche, schlagen und werden
verprügelt, nichts kann sie erschüttern. Sie heben die Gesetze von Ursache und Wirkung auf, sind unverletz-
bar und erleben ständig die tollsten Situationen und Abenteuer. Zwar weitgehend der Realität enthoben, sind
sie jedoch äußerst faszinierend, ob Held oder Schwächling, und alle Kinder zwischen drei und 80 Jahre lieben
sie."
96
Trotzdem interessieren sich vor allem Kinder und Jugendliche für Comicfiguren. So eignen sie sich gut
als Sympathieträger zur Einführung neuer Produkte auf dem Markt.
88
Gespräch mit Walter Wilken, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderschutzbundes, am 16. Juni 1995 in Hannover, siehe S. 138
89
Ein anderes Beispiel ist Thomas Gottschalk , der für ,,Haribo"-Gummibärchen wirbt. Durch solche Symbolfiguren steigt die Werbung in Kinder- und
Jugendkultur ein, Produkte werden zu Acessoires von Lebensstilen. So resümiert auch die Merkel-Studie (= Baacke, Dieter /Uwe Sander/Ralf
Vollbrecht 1993.a, a. a. O.), daß der Medienmarkt, der Werbemarkt und der Kinderspielzeugmarkt eine innige Symbiose eingegangen sind. In: Deul,
Dieter: Hemmungslos auf dem Weg zur Konsum-Elite, in: Rheinischer Merkur Nr. 45/5. November 1993
90
Podiumsdiskussion, in: Landesanstalt für Rundfunk Nordrhein-Westfalen: Das Fernsehen im Alltag von Kindern, LfR-Workshop am 26. Oktober 1990
in Münster, S. 86
91
D.h. wenn Speilzeughersteller einen Film produzieren und dessen Protagonisten Spielzeugfiguren sind, z. B. wurde die Turtles-TV-Serie von einem US-
Spielzeughersteller und einer Pizza-Kette produziert.
92
Cebulla-Jünger, Edeltraud, in: Dokumentation des Expertenforums Kinder & Werbung; Bonn 1990, a. a. O., S. 46. Siehe auch: Landesanstalt für
Rundfunk Nordrhein-Westfalen: Literaturdokumentation anläßlich einer Fachtagung ,,Kinder als Zielgruppe der Fernsehwerbung" am 9. März 1995 in
Düsseldorf, S. 2
93
Saldecki, Hans Dieter, Programmgruppenleiter für das Kinder- und Jugendfernsehen beim Westdeutschen Rundfunk, hält dies für Vertrauensmißbrauch:
,,Merchandising ist zunächst einmal, wenn man nach moralischen Kategorien geht, absolut unmoralisch. Der Micky Mouse würde ich auch nicht gerne
das ganze Geld überlassen." Auszug aus der Podiumsdiskussion in Münster 1990, a.a.O., S. 76
94
Charlton, Michael u.a. 1995, a. a. O., Band 1, S. 36
95
Baacke, Dieter/Uwe Sander/Ralf Vollbrecht 1993.a, a. a. O., S. 71
96
Godde, Cornelia: Wie man mit Micky Mäuse macht - Gehen wir in die Falle?, in: Bilderkiste Nr. 8/1994 (Themenheft), S. 4

1
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L L G E M E I N E
B
E S T A N D S A U F N A H M E
17
Neu ist der Ansatz des Merchandising nicht, denn die Disney-Studios profitieren bereits seit den 30er Jahren
von der Grundidee des Merchandising von Filmcharakteren.
97
Mittlerweile erreicht der Konzern einen Umsatz
von 3,2 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Die Vermarktung von Fernsehcharakteren hat auch zu Veränderungen
der Ziele und Formen der Spielzeugwerbung geführt. Da die Fernsehprogramme selbst die Kinder mit den
Produkten bekanntmachen, kann die Werbung stärker darauf gerichtet werden, den imaginativen Spielwert
des Spielzeugs herzustellen. Fernsehprogramme und Werbung werden so als Tandem bei der Promotion für
ein Produkt eingesetzt. Bei vielen Werbekampagnen entsteht das Gefühl eines scheinbar fließenden Übergangs
zwischen dem kindlichen Spiel und der Phantasiewelt der Trickfilmgeschichten.
98
Ein Beispiel hierfür ist der
,,Disney-Club" am Sonntag in der ARD, der gleichzeitig Werbung für Euro-Disneyland ist. Währenddessen
,,verlustieren sich auf allen anderen Kanälen Donald (Duck) und seine Freunde in den Werbespots für Süßig-
keiten und Suppen aus dem Hause Nestlé, der Welt größtem Nahrungsmittelkonzern. Denn mit dem Slogan
`Food and Fun' forcieren die beiden Konzerne synergetische Effekte für ihre beiden Märkte. [...] In den Kühl-
regalen des Supermarktes warten daher `Micky Mouse', der `Wackel-Goofy' und andere Köstlichkeiten auf
hungrige Mäuler."
99
Auf der Frankfurter Zeil eröffnete Ende 1993 der erste Disney-Store auf deutschem
Boden. Dort gibt es vom Schnuller mit Tick-, Trick- und Truck-Portraits über die Dagobert-Uhr bis zum
Computerspiel Produkte zwischen 2 Mark und 15 000 Mark.
100
Die Medien fungieren bei diesem Handel als Transferagenturen: einerseits wollen sie selbst als Waren ver-
kauft und konsumiert werden, andererseits sind sie als Werbeträger von der Konsumindustrie abhängig. Da
diese Medienarrangements immer teurer werden, entstehen für die Produktion und Distribution ständig grö-
ßere Konzerne, die weltweit operieren. Die Produktion von Kindersendungen ist heute ohne die Einplanung
der Gewinne aus dem Merchandising nicht mehr möglich. Selbst das öffentlich-rechtliche Fernsehen ist auf
diese Art der Finanzierung angewiesen. So war der WDR beispielsweise nur durch eine Kooperation mit dem
Otto-Maier-Verlag sowie einer weiteren privaten Produktionsgesellschaft in der Lage, die Herstellung der
,,Käpt'n Blaubär"-Sendung zu realisieren. Somit wird die Vermarktbarkeit von Charakteren, Szenen und
Logos zu einer bedeutenden Einnahmequelle bei der Produktion von Kindersendungen.
Wie gezeigt wurde, können Kinder im Vorschulalter die klassischen Werbeblöcke nicht von redaktionellen
Programmen unterscheiden. Werbesonderformen wie das beschriebene Verbundsystem verstärken diese Ten-
denzen und führen dazu, daß auch ältere Kinder Werbung nicht erkennen können.
101
97
Anfang der 30er Jahre warb Micky Mouse für Marmelade, Damen-Dessous und Diamantarmbanduhren von Cartier, sie prangte auf Schulmäppchen
und Kinderpullis. Damit ist sie die erste Figur des Merchandising für den Kindermarkt. In: Kübler, Hans-Dieter: Markenköder und Zeigefinger, in:
Medien praktisch Nr. 2/1994, H. 10 (Themenheft), S. 7
98
Kline, Stephen: Let's make a Deal, in: Media Perspektiven Nr. 4/1990, S. 224-229
99
Kübler, Hans-Dieter: Kommerzialisierte Kindheit, in: Medien und Erziehung Nr. 1/1994, 38. Jg., S. 8
100
Ebendort, S. 8
101
Cebulla-Jünger, Edeltraud: Kinder als ,,Kaufmotoren der Familie"? in: Theorie und Praxis der Sozialpädagogik Nr. 1/1995, S. 19

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18
2 Bisheriger Forschungsstand
Forschungen, Untersuchungen und Berichte zum Thema Kinder und Fernsehen allgemein gibt es sehr viele.
Sie beschäftigen sich mit der Frage, ob und inwiefern Fernsehen schädlich für Kinder ist. Das spezielle Thema
Kinder und Fernsehwerbung wird zwar in manchen Fällen angeschnitten, jedoch nur sehr kurz und empirisch
nicht fundiert. Ein Beispiel hierfür ist das 1981 in der Schriftenreihe Media Perspektiven erschienene Werk
,,Kinder - Medien - Werbung". Auf 431 Seiten wird sowohl eine Literaturexpertise
1
als auch ein Forschungs-
bericht
2
vorgestellt. Von den 431 Seiten werden dem Thema Fernsehwerbung lediglich 84 Seiten gewidmet.
3
Ähnlich verhält es sich mit der Vergleichsstudie zwischen alten und neuen Bundesländern von Jo Groebel und
Walter Klingler. Auch dort wird die Werbung relativ kurz abgehandelt.
4
Da es schwierig ist, Wirkungen des Fernsehens einfach auf Wirkungen der Werbung zu übertragen, und man
spezielle Ergebnisse nur durch das spezifische Erforschen der Werbung erhalten kann, ist allgemeine Literatur
zu Kinder und Fernsehen für diese Arbeit keine Grundlage. Vielmehr werden schwerpunktmäßig solche Stu-
dien beleuchtet, die sich speziell mit Kinder und Fernsehwerbung beschäftigen. Nach dieser Eingrenzung ist
die Bandbreite der Veröffentlichungen schon stark verringert. Dennoch sind auch hierzu einige Veröffent-
lichungen vorhanden, allerdings handelt es sich dabei meist um das Aufarbeiten vorhandener Literatur oder
Untersuchungen: Die Wissenschaftler Jo Groebel und Uli Gleich beispielsweise praktizieren dies für den
ARD-Forschungsdienst.
5
In diesem Kapitel soll auch nicht auf Literatur eingegangen werden, die allgemeine Literatur für bestimmte
Forschungsinteressen ableitet, wenn beispielsweise die Vorlagen der Werbewirkunsforschung allgemein auf
die Wirkung von Werbung auf Kinder speziell übertragen werden. Auch Untersuchungen der Werbebotschaf-
ten in den Printmedien und im Hörfunk werden dort eingebaut, wo man ihre Ergebnisse auf das aktuelle
Thema übertragen kann. Nicht berücksichtigt werden zudem die meist älteren Studien, die sich mit dem Ein-
fluß der Eltern auf die kindliche Rezeption der Fernsehwerbung beschäftigen, da diese Untersuchungen eine
eigene Arbeit wert wären.
6
Zuletzt wurde diejenige Literatur nicht beachtet, die sich speziell um (Fernseh-)
Werbung und Vorschulkinder kümmert, denn diese Altersgruppe entspricht nicht der Vorgabe dieser Arbeit.
Relevant für die vorliegende Arbeit sind folglich diejenigen Veröffentlichungen, die eine eigene empirische
Untersuchung beinhalten oder zumindest neue Aspekte zur Problematik Kinder und Fernsehwerbung
beisteuern.
2.1 Die neuesten Erkenntnisse (1995)
Im Auftrag der Landesanstalt für Rundfunk Nordrhein-Westfalen haben die Wissenschaftler Michael Charl-
ton, Klaus Neumann-Braun, Stefan Aufenanger und Wolfgang Hoffmann-Riem ab Mai 1993 ein großange-
legtes Forschungsprojekt durchgeführt: Das Angebot der Werbung vor und mit Kindern wurde in privaten
und öffentlich-rechtlichen Fernsehprogrammen untersucht (Teil I). Der Schwerpunkt der Untersuchung lag
auf der Analyse der Verarbeitung der Fernsehwerbung durch Kinder (Teil II). Außerdem wurde die Fernseh-
1
Wobei das Themenspektrum von der Mediennutzung Kinder und Jugendlicher allgemein, über Programmpräferenzen und Einstellungen bis hin zu den
Wirkungen reicht.
2
Grundlage war eine repräsentative mündliche Befragung bei 6- bis 13jährigen und eine repräsentative schriftliche Befragung bei Müttern
beziehungsweise einem anderen Haupterziehungsberechtigten. Sie bekamen ähnliche Fragen wie die Kinder. Fragekomplexe waren:
Freizeitbeschäftigungen und Mediennutzung der Eltern, Fernsehnutzung und Einstellung der Eltern zum Fernsehen und Werbefernsehen und
Einstellungen der Mutter zum (Werbe-)Fernsehkonsum und zum Konsumverhalten des Kindes.
3
Haase, Henning 19981, a. a. O.
4
Groebel, Jo/Walter Klingler: Kinder und Medien 1990, in: Media Perspektiven Nr. 3/1991, S. 633-648
5
Z. B. Uli Gleich/Jo Groebel: ARD-Forschungsdienst, in: Media Perspektiven Nr. 6/1994, a. a. O., S. 311-314 oder für amerikanische
Veröffentlichungen: Groebel, Jo/Uli Gleich: ARD-Forschungsdienst. Kinder und Werbung, in: Media Perspektiven Nr. 5/1990, S. 348-351
6
Beispiele für solche Untersuchungen sind: Prasad, Kanti/Tamiru R. Rao/Anees A. Sheikh: Can People affect Television? Mother versus Commercial, in:
Journal of Communication No. 28/1978/1, S. 35-41; oder Reid, Charles/F. Frazer: Commercials to initiate social Interaction in Family Viewing
Situation, in: Journal of Broadcasting No. 24/1980/2, S. 149-158

2
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19
werbung aus juristischer Sicht analysiert, wobei insbesondere die Aspekte des Jugend- und Verbraucher-
schutzes neu überdacht wurden (Teil III). Die Untersuchung wurde im Frühjahr 1995 veröffentlicht.
2.1.1
Ergebnisse allgemein
Die Forscher fanden heraus, daß Kinder heute einem zunehmendem Werbedruck ausgesetzt sind. Um die
Vorweihnachtszeit steigt die Werbespotmenge gegenüber der Sommerzeit um 50 % an, dabei nimmt der
Anteil von Kinderwerbung von 30 auf 40 % der Gesamtspotzahl zu. Den Markt der Kinderwerbung dominie-
ren bei dieser Menge die privaten Veranstalter. Die Spots werden häufig wiederholt und nur etwa zehn aller
werbenden Firmen im Bereich Kinderwerbung stellen ca. ein Drittel aller pro Woche ausgestrahlten Kinder-
spots
7
. Kinderwerbung wird vor allem im Bereich der Sendungen für Kinder an Werktagen nachmittags und
am Wochenende ausgestrahlt, wird aber dessen ungeachtet auf alle Tageszeiten gestreut.
Beklagt wird von den Wissenschaftlern, daß der Übergang von Programm zu Werbung für Kinder (vor allem
jüngere) häufig nicht durchschaubar ist. Sie beanstanden weiterhin die extrem kurze Schnittfrequenz, die eine
rationale Rezeption einschränkt. Ihnen fiel auf, daß in einzelnen Kinderwerbespots immer noch stark
geschlechtsrollenspezifische Stereotypen vermittelt werden, die die Mädchen an eine traditionelle Frauenrolle
und die Jungen an aggressive Verhaltensweisen binden. Außerdem werden Produkte häufig so angeboten, als
ob sie eine hohe Bedeutung für die Lebenswelt von Kindern hätten, indem sie vorgeben, Freundschaften zu
stiften, Erlebnisse zu vermitteln und Zauberkraft verleihen zu können. Ein letztes Ergebnis schließlich bezieht
sich auf Spielshows: Dort stehen öfter die Gewinnprodukte als das Spiel der Kinder im Vordergrund. Die
Gewinne werden so präsentiert, daß die Markennamen zu erkennen sind.
2.1.2
Untersuchungsmethoden
In der Untersuchung zum Werbeverständnis von 4- bis 14jährigen Kindern wurden quantitative (eine weit-
gehend repräsentative Befragung von 1115 Kindern in den alten und neuen Bundesländern) und qualitative
(19 Einzelfallstudien) Untersuchungsansätze kombiniert.
Für die quantitative Analyse kam es darauf an, sowohl für alle Kinder geltende allgemeine Trends aufzu-
decken als auch alters- und geschlechtsspezifische Rezeptionsweisen und den Einfluß der Familie zu isolieren.
Die Stichprobe wurde nach sozialen und biographischen Gesichtspunkten entsprechend der neuesten zugäng-
lichen Bevölkerungsstatistik quotiert. Der Analyse lag ein Leitfadeninterview zugrunde, das ungefähr 20 bis
30 Minuten dauerte, wobei die Interviewfragen in der Formulierung, teilweise auch im Schwierigkeitsgrad,
auf die unterschiedlichen Fähigkeiten der Kinder Rücksicht nahmen. Ein weiteres Hilfsmittel zur gegenseitigen
Verständigung bildeten Fotografien von Fernsehdarstellungen.
Grenzen liegen bei dieser Herangehensweise in der eingeschränkten Fähigkeit der Kinder zur Selbstbeobach-
tung, der sehr unterschiedlichen kognitiven Kapazität von Kindern verschiedener Altersgruppen und der
Unmöglichkeit, den Alltag und die Handlungsroutinen der Kinder in der Interviewsituation direkt zu beobach-
ten. Deshalb bekamen 19 der Kinder zusätzlich einen Demonstrationsfilm mit kritischen Werbeelementen
vorgeführt, sie wurden zusammen mit ihren Eltern beim Fernsehen beobachtet, es fand eine Elternbefragung
und ein ergänzendes Tiefeninterview mit jedem dieser Kinder statt.
2.1.3
Ergebnisse der Untersuchungen
Die Befragung ergab, daß knapp 80 % aller 4- bis 14jährigen meist täglich fernsehen. Sie sind mit audio-
visueller Werbung gut vertraut. Deshalb kann mehr als die Hälfte die meisten Werbesprüche (,,Nicht immer,
aber immer öfter", ,,Haribo macht Kinder froh") korrekt erinnern. Kinder verfügen über einen großen Fundus
an konkretem Wissen über einzelne Sendungen und Spots. Deshalb ist man versucht, Kindern mehr Werbe-
7
Vgl. auch Böckelmann, Frank u.a. 1979, a. a. O., S. 235

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kompetenz zuzusprechen, als tatsächlich vorhanden ist: Memorierleistung sollte jedoch nicht mit Reflexions-
fähigkeit verwechselt werden.
Weiterhin konnte bestätigt werden, daß Kinder Werbung mögen, was nicht für alle zutrifft: 40 % der Vier- bis
Sechsjährigen geben an, Werbung zu mögen, bei den Sieben- bis Zehnjährigen sind es nur noch 29 % und bei
den 11- bis 14jährigen sinkt die Zahl auf unter 20 %. Ihre Attraktivität scheint die Werbung aus dem Kontrast
zum Fernsehprogramm zu ziehen. Etwa ein Viertel der befragten Kinder mag Werbung wegen ihrer Machart,
17 % wegen ihrer sympathischen Akteure (es faszinieren vor allem Zeichentrickfiguren). Informationen zum
Produkt scheinen bei Kindern keinen besonders großen Stellenwert zu haben. Besonders beliebt ist die Wer-
bung für Kinderprodukte, in denen Kinder auch agieren. Ein Drittel aller Befragten wollen so sein wie
,,Werbekinder" - diese üben demzufolge einen großen Einfluß aus.
Auch die Präsentation von prominenten oder interessanten Figuren ist von handlungsrelevanter Attraktivität:
Sehen Kinder eine Figur, die für ein Produkt wirbt, möchten sie dieses haben; es scheint sich demzufolge kein
Gewöhnungseffekt einzustellen. Die Attraktivität der Werbung erfährt nur dann eine Relativierung, wenn das
Kind schlechte Erfahrungen mit dem beworbenen Produkt machen mußte.
Der wichtigste Untersuchungsschwerpunkt war die Frage der Unterscheidung zwischen Werbung und Pro-
gramm. Etwa 37 % der Vierjährigen kennen den Unterschied zwischen Werbung und Programm nicht. Sie
haben keine Kategorisierungsstrategien. Das gleiche gilt noch für 21 % der fünfjährigen und 12 % der sechs-
jährigen Kinder. Von 10 % der Siebenjährigen sinkt der Anteil schließlich auf 4 % der 10- bis 14jährigen. Aus
den Ergebnissen konnten eindeutige Aussagen über die Werbekompetenz gemacht werden, die dann erreicht
ist, wenn die Zuschauer Spot- und Non-Spotwerbung vom übrigen Programm unterscheiden können. Das ist
dann der Fall, wenn sie wissen, wer Werbung in Auftrag gibt, wer sie bezahlt und warum Sender sie ausstrah-
len und wenn sie wissen, was Werbung vom Zuschauer will (Kaufappell, Information, Meinungsbildung).
8
Der Anteil der Werbekompetenten, die zielsicherer als nur durch formale Kriterien Werbung vom Programm
unterscheiden können, indem sie die Bedeutung erkennen, bleibt über alle Altersgruppen hinweg bei nicht
mehr als 2,4 %.
9
Die Intention der Werbung erkennen schließlich 9,3 % der Jüngsten, 25 % der Sieben- bis Zehnjährigen und
47,5 % der 11- bis 14jährigen. Die anderen fühlen sich nicht direkt als Konsumenten angesprochen. Nur die
Hälfte der vierjährigen Kinder ist in der Lage, mindestens einen Aspekt der Werbekommunikation (wie z. B.
Informationen über Produkte, Kaufappell) zu benennen. Doch bereits 76 % der Siebenjährigen nannten min-
destens einen relevanten Werbeaspekt und nur 4 % der 14jährigen nannten keinen.
Das juristische Gutachten der Studie schließlich macht anhand dieser Grundlagen deutlich, daß die rechtlichen
Instrumente die Unterscheidbarkeit von Werbung und Programm nicht ausreichend gewährleisten. Vor allem
seien die rundfunkrechtlichen Trennungs- und Kennzeichnungsregelungen bisher nicht kindgerecht ausdiffe-
renziert. Aufgrund dieser Tatsache und der dargestellten Unterscheidungsschwierigkeiten der Kinder zwischen
Werbung und Programm halten es die Gutachter für sachgerecht, Zeiten generalisierend zu markieren, in
denen Kinder verstärkt fernsehen (Kinderwerbeschutzzeiten). Innerhalb solcher Zeiten könnten dann beson-
dere Werberestriktionen mit Schutzwirkung für Kinder gelten. Die bisherige Orientierung der Werberestrik-
tionen an Kindersendungen könnte dann entfallen.
10
8
Andere Meinungen waren: Werbung zeigt etwas Neues (6,5 %), bietet Spannung (5 %), ist kurzweilig (4,3 %) oder gibt Anregungen für den Einkauf
(3,5 %).
9
Der Artikel von Seifert, Heribert: Werbung - mehr Kinderschutz nötig? in der Neuen Züricher Zeitung vom 7. April 1994 (genauere Angaben fehlen, da
Volker Nickel den Artikel unvollständig zur Verfügung stellte) sieht die Aussagen zur Unterscheidungsproblematik als fragwürdig an. Es wird von
,,luftiger Empirie" gesprochen, weil nur wenige Einzelinterviews geführt worden sind. Volker Nickel schließt sich dem an: ,,Was auf deutsch heißt: eine
sehr schlampige Anlage der ganzen Studie. Die Ergebnisse gehen aus Einzelinterviews von nur 19 Kindern hervor. Wenn da welche dabei waren, die das
nicht unterscheiden konnten, kann man das nicht verallgemeinern." Gespräch mit Volker Nickel, siehe S. 129
10
Charlton, Michael u.a. 1995, a. a. O.

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21
2.2 Die älteren Ergebnisse (1979)
Grundlage für die meisten Publikationen zum Thema Kinder und Fernsehwerbung ist die 1979 veröffentlichte
Untersuchung von Frank Böckelmann, Jürgen Huber und Astrid Middelmann, die von der Arbeitsgemein-
schaft für Kommunikationsforschung e.V. (AfK) in Auftrag gegeben wurde. Bis zu der Veröffentlichung von
Charlton u.a. war die Situation in Deutschland dadurch gekennzeichnet, daß das Thema zwar in aller Munde
geführt wurde, die argumentative und empirische Basis der sich Duellierenden aber schwach war. Michael
Schmidbauer begründet dies im Themenheft von Televizion
11
damit, daß ,,hierzulande keine größeren sozial-
und medienwissenschaftlichen Anstrengungen unternommen worden sind, mit denen das Projekt Kinder und
Fernsehwerbung fundiert, verläßlich und eben bezogen auf die
deutsche Fernsehsituation verhandelt werden
kann." Der Beleg für diesen Vorwurf ist darin zu sehen, daß in den vergangenen Jahren nur zwei Studien
vorgelegt wurden, die sich um eine solche Orientierung bemüht haben: Böckelmann u.a. 1979 und
Heining/Haupt 1988
12
.
Die Studie von Böckelmann u.a. kann als pilotartig bezeichnet werden, zumal sie bis Ende der 80er / Anfang
der 90er Jahre die einzige war.
2.2.1
Anlage der Studie
Im Rahmen des Gesamtprojektes wurden zwei Literaturanalysen, eine empirisch repräsentative Inhaltsanalyse
und eine psychologisch-qualitative Studie erarbeitet. In den beiden Literaturanalysen werden zum einen die
relevanten Rahmenbedingungen der Gesamtuntersuchung dargestellt - das Spektrum reicht dabei vom ,,Kind
als Zielgruppe der Werbung" bis zu ausgewählten verbraucherpolitischen Fragen und zu Strukturdaten der
Süßwarenwirtschaft - und zum zweiten wird der Forschungsstand zusammengestellt. Als modifizierte Fort-
schreibung einer 1973 ebenfalls von der AfK durchgeführten Inhaltsanalyse untersuchten die Autoren Wer-
bespots und skizzierten die in der (Nahrungsmittel-) Fernsehwerbung mit und / oder für Kinder vertretenen
Produkte und Anbieter.
In der psychologisch-qualitativen Analyse wird dem komplexen Phänomen der Wirkung von Fernsehwerbung
bei Kindern nachgegangen. Durch verschiedene methodische Untersuchungsansätze, die auch die Begrenztheit
der Befragbarkeit von Kindern berücksichtigen und unterschiedliche psychologische Verfahren beinhalten,
können nun eine Reihe von Bedingungsfaktoren und Zusammenhängen bezüglich dieser Wirkung formuliert
werden. Diese basieren auf der Beobachtung von insgesamt 260 Kindern im Alter von 6 bis 14 Jahren.
13
Es
wurden insgesamt vier Untersuchungsgruppen gebildet, die voneinander unabhängig jeweils einen speziellen
Aspekt des Untersuchungsobjektes detailliert erforschten, andere Aspekte dagegen nur tangierten.
Das Erkenntnisinteresse bei der ersten Projektgruppe galt der Wahrnehmung und Rezeption von Werbung
allgemein, also ohne spezifische Medienvorgabe. In der zweiten Gruppe wurden Motive für die Wahrnehmung
und Rezeption von Werbung im Trägermedium Fernsehen untersucht. Die Erfassung und Analyse kurzzeiti-
ger Werbewirkungseffekte war Schwerpunkt bei der dritten Projektgruppe. Und schließlich wurden in der
vierten Gruppe Einkaufsverhalten, Kaufmotive und Kaufeinflüsse, unmittelbar im Anschluß an den Kauf
eines Produktes im Lebensmittelbereich erhoben.
In den Projektgruppen 1 und 2 wurden die Methoden Gruppendiskussionen und psychologische Einzelopera-
tionen angewandt, in der dritten Gruppe ein Studiotest in quasi-biotischer Situation (der Stimulation einer
Alltags-Fernsehsituation) und in Gruppe 4 wurden eine Einkaufsbeobachtung und psychologische Kurzbefra-
gungen durchgeführt.
11
Schmidbauer, Michael, in: Televizion Nr. 6/1993/2, a. a. O., S. 14
12
Auf diese Studie soll auch noch einmal bei der Wirkung der Werbung auf Kinder im 5. Kapitel dieser Arbeit eingegangen werden.
13
So haben die Ergebnisse noch einen weitgehend hypothetischen Charakter, denn zum einen sind 260 Kinder relativ wenig, zum anderen wurden
Vorschulkinder nicht beachtet; doch auch diese Gruppe konsumiert bereits in hohem Maße Fernsehen und Werbung.

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22
2.2.2
Ergebnisse
Bezogen auf die Situation vor 16 Jahren ergab die Studie: Das Fernsehen stellt für die Sechs- bis
Zwölfjährigen eine attraktive Freizeitbeschäftigung dar (nicht mehr so sehr für die 12- bis 14jährigen).
Fernsehen dient vor allem der Ablenkung, Entspannung, als Ersatz für mangelnde Kommunikation und bei
Langeweile. Die Verfasser beschreiben aber Fernsehen, vor allem viel Fernsehen, bei Kindern als etwas
,,Schlechtes".
Werbung wird mitangesehen, wenn der Apparat an ist. Der Fernsehtag beginnt spätestens um 17.00 Uhr und
dauert zwei bis drei Stunden. Die Werbung wird dabei zumindest passiv aufgenommen. Die Kinder trennen
im Verständnis des Vorabendprogramms auch nicht strikt zwischen dem Werbeteil und anderen Programmtei-
len. Einen zusätzlichen Anreiz stellen die ,,Mainzelmännchen" dar, die dazwischen gesetzten Spots
,,mitzunehmen". Daß dabei aber die Werbung nicht wirkungslos bleibt, beweist die ,,Kennerschaft" der Kin-
der hinsichtlich Slogans oder Melodien.
Die Einstellung der Kinder zur Fernsehwerbung ist nach Aussagen der Experten ambivalent. Einerseits sind
die Kinder durchaus aufgeschlossen für Neues, das interessant und kurzweilig dargeboten wird. Allerdings
belegen die Urteile der Kinder, daß sie der Werbung eher vorsichtig bis skeptisch gegenüberstehen. Dabei
bleibt allerdings offen, was an dieser Haltung der Kinder durch Eltern und Altersgruppeneinflüsse aufgesetzt
ist. Mit Gewißheit können die Forscher nicht feststellen, daß Kinder von Werbung unmittelbar und direkt
beeinflußt werden. Die Frage bleibt, wann und wo ,,Kritik" ein- oder aussetzt - vor allem in Fällen, in denen
keine direkte oder unmittelbar negative Produkterfahrung ein empirisches Gegengewicht gegenüber werbli-
chen Aussagen bildet. Abhängig zeigt sich die Wirkung der Werbung vor allem von folgenden Faktoren: Vom
Gegenstand der Werbung (die Rezeption ist abhängig vom subjektiven Interessengrad der beworbenen Sache.
Eine erhöhte Aufmerksamkeitsbereitschaft gibt es bei Produkten, die Kinder unmittelbar tangieren: Süßwaren,
Getränke und Spielwaren). Zum zweiten sind Wirkungen von der Werbedarbietung als solcher abhängig
(Kinder lieben lustige, spannende Präsentationen, sind aber dann empfindlich, wenn sie Werbung für
,,unwahr" halten). Schließlich spielt auch die eigene Produkterfahrung eine große Rolle bei der Frage, ob und
wie Werbung wirkt. Die Darstellung von Kindern erhöht nur selten, meist bei Kinderprodukten, die Akzeptanz
des Spots.
Nur knapp über die Hälfte der beim Kauf beobachteten Kinder geben das Taschengeld für Süßigkeiten aus,
der Rest bezahlt aus anderen Quellen. Ansonsten informieren sich die Kinder bereits vor dem Kauf über den
Preis und sparen darauf hin. Der eigentliche Einkauf verläuft dann schnell. So hat Werbung für Produkte, die
Kinder interessieren, eher die Chance, glaubwürdig zu wirken, wenn sie den ,,Haushaltsbestrebungen" der
Kinder entgegenkommt und mit Produktbeschreibung und eigener Produkterfahrung in Einklang zu bringen
ist. Hinsichtlich des Konsumverhaltens in Bezug auf Fernsehwerbung halten es die Forscher für sinnvoll, das
Kaufverhalten und die werblichen Einflüsse in den Bereichen zu untersuchen, die außerhalb des täglichen
Taschengeld-Konsums liegen und nicht dem vorwiegend gegebenen ,,empirischen Kauf-Test" unterliegen.
Außerdem sollte man erforschen, wie das nicht routinierte Kaufverhalten und seine werbliche Beeinflussung
aussieht, wenn ein neues ,,Kinderprodukt" auf den Markt kommt und beworben wird.
Die Autoren fordern abschließend, auf Fernsehwerbung in den Nachmittags- und Vorabendprogrammen zu
verzichten. Argumente dafür sind: Kinder werden mehr von der Werbung als vom Rahmenprogramm erreicht,
sie werden besonders beeindruckt von der Werbung und sind angesichts der Kluft zwischen realer und Wer-
bewelt frustriert. Werbebotschaften verschweigen Kindern, daß für den Erwerb eines Produktes Arbeit und
Geld investiert werden muß.
14
Außerdem erkennen Kinder aufgrund spezifischer Wahrnehmungsmuster und
14
Im Rahmen der psychologisch-qualitativen Untersuchung konnten die Autoren feststellen, daß von drei vorgegebenen Erwerbskategorien ,,Kauf",
,,Geschenk", ,,Produkt einfach da", fast nur die letztgenannte belegt wurde. Siehe S. 95

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23
Sehgewohnheiten nicht die Trennung zwischen Werbung und Programm. Und schließlich werden infantile
Konsumhaltungen verstärkt und die Informationskosten erhöht.
15
2.3 Was dazwischen war
Wie bereits erwähnt, fehlen den Studien, die zwischen den beiden obengenannten liegen, die empirischen
Grundlagen. Einige haben kurze Untersuchungen durchgeführt, die aber neben den empirisch großangelegten
der Charlton- und Böckelmann-Untersuchungen wenig aussagekräftig sind. Ein Beispiel für solche kleineren
Untersuchungen ist die Programmanalyse ,,Kinder und Werbung", die 1991 von den Vertretern verschiedener
Landesmedienanstalten durchgeführt wurde. Daneben ist die Studie von Heining/Haupt (1988) von Interesse,
die sich vorwiegend mit der Wirkung von Fernsehwerbung auf Kinder beschäftigt, dasselbe gilt für die Publi-
kation von Jo Groebel und Uli Gleich für den ARD-Forschungsdienst 1991. Kinder als Darsteller betrachtet
Stefan Aufenangers Untersuchung 1993.
16
Als ,,größere" Untersuchung ist erst wieder die von Baacke u.a.
1993 anzusehen, die im Auftrag des Bundesministeriums für Frauen und Jugend durchgeführt wurde. Sie soll
repräsentativ vorgestellt werden.
Die Autoren gehen zunächst allgemein auf die Werbung ein, das heißt, sie betrachten die Entwicklung des
Werbemarktes seit den 80er Jahren, streifen die Werbung in der DDR und stellen die Produktion von Wer-
bung dar. Außerdem erläutern sie die neueren Werbeformen wie Teleshopping, Licensing und Merchandising
und die dazugehörigen gesetzlichen Grundlagen. Den Hauptteil der Literaturstudie nimmt schließlich die Wer-
bewirkung ein.
Die Wissenschaftler kommen zu dem Ergebnis, daß vor falschen Aufgeregtheiten und kurzschlüssigen
Schlußfolgerungen zu warnen ist. Viele Ängste müssen als unbegründet zurückgewiesen werden, da bisherige
Untersuchungen längerfristige, direkt auf Werbeeinflüsse nachweisbare Wirkungen nicht belegen. Eine an
Kindern orientierte Werbewirkungsforschung fragt nach Wirkungen, die sich, über kognitives Erfassen hin-
aus, auf das gesamte Feld der Sozialisation beziehen. Deshalb verlangen die Autoren einen veränderten Wir-
kungsbegriff mit folgenden Anforderungen: Statt einzelner Werbemedien sollen die Medienumgebungen
untersucht werden, in denen Kinder sich bewegen. Die Wirkung ist durch querschnittartige Momentstudien
nicht zu erfassen, sondern die Multiperspektivität von ,,Wirkung" muß berücksichtigt werden (so ist z.B.
Werbung eingebettet in das allgemeine Freizeitverhalten, die Vorbildfunktion der Eltern spielt eine Rolle und
die sozialökologischen Kontexte müssen einbezogen werden).
Bedeutsam ist jedoch, daß Werbung als Stimmungs- und Sympathieträger funktioniert sowie als Stimulator
von Wunschspannungen. Dies wird durch die Allgegenwart der Werbung noch krasser: Licensing und
Merchandising haben zu einer engen Verzahnung von Kindermedien und Spielzeugherstellern geführt. So
machen Multi-Media-Verbundsysteme Werbung zu einem immer schwieriger abgrenzbaren und definierbaren
Phänomen. Währenddessen hilft die parallel laufende Entwicklung spezieller Kinderwerbemärkte, spezifische
Konsumentenkonzepte zu entwickeln. Freizeit ist Konsumzeit geworden. Dabei ist Werbung mehr als Hinweis
auf ein Produkt. Sie entwickelt längst eigene Ausdruckscodes und stellt produktive Beiträge für die Kinder-
und Jugendkulturen bereit (z.B. im Zusammenhang mit berühmten Pop-Idolen).
Die Autoren formulieren den Schluß, daß die Auseinandersetzung mit Werbung zu kurz greift, wenn sie sie
lediglich in der Analyse der Werbebotschaften einzelner Firmen materialisiert. Werbung ist vielmehr ein
umgreifendes Kulturphänomen geworden und damit ein nicht mehr wegdenkbares Zeichen entwickelter
Wohlstandsgesellschaften und der Mentalität ihrer Bewohner.
17
15
Böckelmann, Frank u.a. 1979, a. a. O.
16
Die aufgeführten Veröffentlichungen sind aus der Fülle der vergleichbaren Studien die repräsentativsten und aussagekräftigsten.
17
Baacke, Dieter/Uwe Sander/Ralf Vollbrecht 1993.a, a. a. O.

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24
2.4 Das Fernsehland Amerika
Die Untersuchungen zum Einfluß des Werbefernsehens auf Kinder und Jugendliche sind in den USA vor
allem Mitte / Ende der 70er Jahre stark vorangetrieben worden. Diskutiert wurden schwerpunktmäßig fol-
gende Themen: Die Rolle der Werbung in der Konsumentensozialisation; der Einfluß der Werbung auf die
Eltern-Kind-Beziehung, soweit sie konsumrelevant sind; die Verführung der Kinder, nutzlose, ungesunde oder
gefährliche Dinge zu kaufen; der Einfluß der Werbung aufgrund ihrer besonderen stilistischen Darbietungs-
techniken auf die kognitive Entwicklung von Kindern und Jugendlichen.
18
Die Ergebnisse lassen sich als folgende Fakten zusammenfassen: In den USA verbringen rund 80 % der 6- bis
13jährigen jährlich zwischen 1500 und 1800 Stunden mit dem Programm des kommerziellen Fernsehens.
19
Die Kinder sind pro Fernsehstunde mit 20 bis 30 Spots konfrontiert.
20
Bei einer durchschnittlichen Sehdauer
pro Tag von vier bis fünf Stunden sehen die Kinder täglich 130, wöchentlich 900 und jährlich 45 000 Spots.
Es wird geschätzt, daß das amerikanische Kind bis zum Erreichen des College-Alters mehr Zeit vor dem
Fernsehapparat als in der Schule verbracht und in dieser Zeit mehr als 200 000 Werbespots gesehen hat. In
amerikanischen Kindersendungen ist die Werbezeit an Wochentagen auf 14 Minuten pro Sendestunde gestie-
gen, soll aber in Zukunft auf zwölf Minuten begrenzt werden.
21
Laut einer relativ neuen amerikanischen Stu-
die
22
verfügen Kinder und Jugendliche in den USA über eine Kaufkraft von ca. 1 Milliarde Dollar pro Woche.
Die Ausgaben für Kinder und von Kindern haben sich bei den Vier- bis Zwölfjährigen 1990 auf 75 Milliarden
erhöht.
23
Nun ist dieses Szenario nicht ohne weiteres auf die deutschen Verhältnisse zu übertragen. Erstens verbringen
die Kinder hierzulande längst nicht so viel Zeit vor dem Bildschirm
24
, zweitens werden in der Bundesrepublik
weniger Kinder erreicht (1992 betrug die Fernsehreichweite der 6- bis 13jährigen 63 %), drittens stehen den
Fernsehunternehmen bei der Gestaltung des Werbegeschäftes einige Hindernisse im Weg, womit noch nicht
ganz der Aktionsraum eröffnet werden kann, in dem sich die kommerziellen Sender in den USA bewegen.
Auch die sozialen und kulturellen Bedingungen des Aufwachsens von Kindern sind in den USA andere als in
Deutschland. Aus diesen Gründen ist es schwierig, Ergebnisse angloamerikanischer Studien einfach auf die
deutsche Werbewelt für Kinder zu übertragen.
25
In einem Vergleich des Werbeangebotes für Kinder in den großen amerikanischen Networks mit dem Angebot
in den Kabelsendern sowie mit jenem unabhängiger Fernsehsender fanden Kunkel und Gantz 1992 heraus: In
den Networks wird am häufigsten Werbung für Kinder ausgestrahlt, in den Kabelsendern am wenigsten. Die
unabhängigen Sender profitieren dagegen am stärksten bei der Werbung für Kinderspielzeug.
26
Die Autoren
18
Haase Henning 1981, a. a. O., S. 175
19
Signorielli, N.:A Sourcebook on Children and Television; New York 1991; zitiert nach: Schmidbauer, Michael, in: Televizion Nr. 6/1993/2, a. a. O.,
S. 16
20
Zusätzliche Schwierigkeiten hat das amerikanische Kind im Vergleich zum deutschen mit der Unterscheidung zwischen Werbung und Programm, da in
Deutschland Werbespots nur in Blöcken und mit Ankündigung ausgestrahlt werden, was in Amerika nicht der Fall ist, in: Eicke, Ulrich/Wolfram Eicke,
in: InSight Nr. 3/1994, a. a. O., S. 42
21
Van Evra, J.: Television and Child Development; Hillsdale 1990; zitiert nach: Schmidbauer, Michael, in: Televizion Nr. 6/1993/2, a. a. O., S. 16
Hier stellt sich ein Unterschied dar zu Werbezeiten in Deutschland, die von vornherein auf zwölf Minuten - 20 % Werbespots pro Stunde - beschränkt
sind, siehe auch S. 9 der vorliegenden Arbeit, d. Verf.
22
Selling America's Kids, in: Consumers Union of United States - Education Services Division. Commercial Pressures on Kids of the 90's; New York
1990
23
Eicke, Ulrich: Die Werbelawine. Angriff auf unser Bewußtsein; München 1991, S. 71
Hier stellt sich ein Unterschied dar zu Werbezeiten in Deutschland, die von vornherein auf zwölf Minuten - 20 % Werbespots pro Stunde - beschränkt
sind, siehe auch S. 9 der vorliegenden Arbeit, d. Verf.
24
1994 waren es 106 Minuten, siehe Einleitung dieser Arbeit, S. 2
25
Schmidbauer, Michael, in: Televizion Nr. 6/1993/2, a. a. O., S. 16 und Kübler, Hans-Dieter, in: Dokumentation des Expertenforums Kinder & Werbung
1990, S. 25
26
Folglich kommt der Anstoß für die Produktion neuer Kinderfernsehprogramme in den USA auch von den Produzenten, Vertreibern und Lizenzhabern
von Spielzeug. Es ist die Folge eines neuen Marketingansatzes, der die Produktion von Kindermedien mit der Lizenzierung der entsprechenden Marken
und Figuren verband.

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25
führen in dieser Studie auch eine Analyse von Werbespots durch und typologisieren diese hinsichtlich ihres
Aufforderungscharakters: Mit Fast Food wird vor allem Spaß verbunden, mit Frühstückskost Geschmack, mit
Spielzeug Produktperformance sowie Action, Kraft und Geschwindigkeit.
27
Weitere amerikanische Inhalts-
analysen stellt Haase in seiner Literaturexpertise vor, hauptsächlich fallen die Namen Ward, Wackmann,
Wartella und Rossiter.
28
27
Kunkel, Dale/W. Gantz: Children's Television Advertising in the Multichannel Environment, in: Journal of Communication No. 42/1992, S. 134-152
28
Haase, Henning 1981, a. a. O., S. 176 ff

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3 Aufbau und Intention der Spots
Nachdem dargestellt wurde, welche Rahmenbedingungen man bei der Diskussion Kinder und Fernsehwer-
bung kennen sollte und was die Forschung bis jetzt ergeben hat, soll im folgenden konkret auf den Aufbau der
Spots und die Absicht der Werbetreibenden bei der Produktion eingegangen werden. Vor allem geht es um die
Frage, wie das Interesse der Kinder für Werbung gewonnen wird.
Die Aufmerksamkeit gegenüber dem Fernsehen wird gesteuert durch formale Gestaltungsmittel. Kinder rea-
gieren besonders gespannt auf Zeichentrickfilme, Kinderstimmen, komische Szenen und hohen Actiongehalt.
Diese Merkmale sind wichtigere Determinanten der Aufmerksamkeit als aggressive Inhalte. Fernsehdrama-
turgie dient jedoch nicht nur der Erregung von Aufmerksamkeit. Kindern hilft sie vielmehr bei der aktiven
gedanklichen Verarbeitung des Inhalts.
1
Fernsehwerbespots überreden nicht, sondern verwenden Bilder. ,,Soweit Sprache gebraucht wird, ist sie hoch
emotional. Somit sind Werbespot einer logischen Analyse nicht zugänglich, sie lassen sich nicht widerlegen
und verlangen auch keine differenzierte Bewertung durch einen Erwachsenen. Dem Verbraucher werden keine
Fakten dargeboten, sondern Idole, für die sich Erwachsene und Kinder gleichermaßen begeistern können, ohne
sich um Logik und Nachprüfung bemühen zu müssen."
2
Kritischer formuliert es Horst Holzer:
,,Fernsehwerbung nimmt das kindliche Verlangen nach Realitätserklärung, Dissonanzreduktion, Identitätsfin-
dung und Spieltätigkeit auf - deutet dieses aber durch direkten Bezug auf die schillernde Welt der Waren um,
die dann die Kommunikationsbedürfnisse der Kinder als ein unentwirrbares, suggestiv-attraktives Amalgam
aus Pseudo-Realität, Warenfetischismus, Prestigeideologie und ewiger Gaudi zurückgibt."
3
Das Ganze wird
verpackt in einem immer wiederkehrenden gleichen Aufbau präsentiert: Werbespots haben eine einfache,
melodramatische Komposition, nur einen Handlungsstrang und garantierte Problemlösung als ,,Happy End".
So sind sie für Kinder viel leichter verständlich als andere Fernsehsendungen. Und weil Werbespots (gerade
die für Kinder, d. Verf.) meist nur etwa 30 Sekunden dauern, erfordern sie nur eine kurze Aufmerksamkeits-
spanne und wenig Konzentration.
4
Durch die werbetypische Appellfunktion sowie das begrenzte Format
ergibt sich ein ganz spezifischer Bedingungskontext für den formal-präsentatorischen und dramaturgischen
Aufbau von Werbespots.
5
3.1 Formale und stilistische Gestaltung
Charakteristisch ist der inhaltliche Verbund von visuellen und auditiven Informationsebenen, die die gleiche
Information simultan auf verschiedenen Kanälen (Bild, Sprache, Musik) präsentieren. In Werbespots muß die
Information auffällig präsentiert werden, leicht faßlich sein und ein positives Stimmungsbild vermitteln, das
den Wunsch nach dem Erwerb des beworbenen Produkts wecken soll. Die zeitliche Begrenzung läßt die
Anwendung bekannter Gestaltungsprinzipien nur in komprimierter Weise zu und bewirkt eine Verdichtung
formaler und dramaturgischer Mittel im Werbespot. Musik präsentiert sich in diesem Zusammenhang als ein
wesentliches Gestaltungsmittel, das im engen Wirkungsverbund sowohl mit bildlich-ästhetischen als auch
dramaturgischen Mitteln eine Verbindung zu dem beworbenen Produkt aufbaut. Die Verknüpfung verschie-
dener Informationsformen dient dabei der Steigerung beziehungsweise Intensivierung der Wahrnehmung dar-
gebotener Inhalte. Das Angebot von Informationen auf verschiedenen Ebenen fördert die Behaltensleistung.
6
1
Wright, John C./Aletha Huston: A Matter of Form: Potential of Television for young Viewers, übersetzt in: Grewe-Partsch, Marianne/Jo Groebel: Eine
Formsache: Die Einwirkungsmöglichkeiten des Fernsehens auf Kinder; München 1987, S. 42
2
Postman, Neil 1983, a. a. O., S. 125
3
Holzer, Horst 1974, a. a. O., S. 79
4
Eicke, Ulrich/Wolfram Eicke, in: InSight Nr. 3/1994, a. a. O., S. 42
5
Holdenried, Ute/Udo Mattusch, in: Mattusch, Udo/Kerstin Eßer 1993, a. a. O., S. 131
6
Ebendort, S. 131 f

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Speziell für Kinder sind eine Reihe von Kurzzeitreizen bedeutsam, die eine intensive punktuelle Konzentration
verlangen: Schneller Wechsel von Wort zu Bild und umgekehrt, abrupte Änderung der Perspektiven, Über-
und Umblendungen, Akzente auf Geräusche und Farben und rascher Themenwechsel. Diese Faktoren
begünstigen die fragmentierte Wahrnehmung der Kinder und stehen der Entwicklung längerer Konzen-
trationsprozesse hemmend entgegen. Genau diese Komponenten lassen Werbung auch reizvoll erscheinen:
Bereits das Kleinkind reagiert auf rasche Bewegung, Farbe, Musik - die klassischen Elemente zur Dynamisie-
rung des Spots - mit Aufmerksamkeitszuwendung. Später wird das Kind außerdem noch beeindruckt durch
die Tatsache, daß es der werblichen Argumentation ohne Schwierigkeiten intellektuell folgen kann, zumal der
Aufbau eines Spots einem bestimmten Schema folgt, der typischen Dreiteilung:
1. Konfliktdarstellung
2. Eintritt des Produktes als ,,Problemlöser"
2. Konfliktfreier Endzustand
Diese Gedankenschritte, die anschaulich in Wort und Bild demonstriert werden, kann auch das Vorschulkind
nachvollziehen, was zweifellos eine Art Erfolgserlebnis darstellt. Verstärkend kommt hinzu, daß das Kind
durch die oftmalige Wiederholung und generelle Stereotypie von Werbespots hier auf eine Reizsituation stößt,
die ihm bekannt, daher angenehm und willkommen ist. Zu den genannten Kurzzeitreizen kommt der Einsatz
von Slapstick und Gags, beides Merkmale, die Kinder faszinieren und daher die Medienzuwendung begünsti-
gen.
7
3.1.1
Warum Kinder Werbung lieben
So nehmen denn auch die Werbespots in der Reihe kindlicher Programmvorlieben hinter Zeichentrickfilmen
(66 %) mit 48 % den zweiten Platz in der Rangfolge der ,,oft gesehenen" Programmgenres ein. Damit liegen
sie noch vor den ,,Sendungen für Kinder" (38 %).
8
Dieses Ergebnis verwundert nicht, denn die Werbemacher
wissen genau, was Kindern gefällt: Witz und Fun, Action, Spannung, Fantasy und Science Fiction, Trickfilme
und Trickaufnahmen, Detailgenauigkeit, Ehrlichkeit
9
. Iris Fürst fügt dem weitere Merkmale hinzu: ,,All die
Werbung kommt gut an, die Lebensgefühl vorgaukelt, [...] Power, Kraft, Macht, Schönheit
10
, Geschicklich-
keit, keine Probleme, keine Mutter, die sagt: `Bring' den Mülleimer runter'."
11
Das bedeutet, Werbung darf nichts mit Pädagogik zu tun haben und muß auch noch verschiedene Merkmale
vereinen. Jo Groebel faßt dies zusammen: ,,Werbung erfüllt in sehr konzentrierter Form die Ansprüche von
Kindern: Stark höhepunktorientiert zu sein, stark actionorientiert zu sein. Das bringt Werbung innerhalb von
wenigen Sekunden. Es geht nicht um die Story, es geht um den physiologischen Reiz und das ist in der Wer-
bung hervorragend repräsentiert. [...] Außerdem sind die Jingles sehr einprägsam und Kinder gehen spielerisch
mit Werbung um, indem sie zum Beispiel Jingles nachsingen."
12
Und der kleine Steffen nennt einen weiteren
wichtigen Punkt: Werbung ist schön, denn ,,wenn man das nicht sieht, weiß man nicht, was man einkaufen
möchte."
13
7
Steiner, Karin 1980, a. a. O., S. 61 f
8
Schönwälder, Johannes, in: Bilderkiste Nr. 4/1994, a. a. O., S. 5
9
Mit Ehrlichkeit ist informative und glaubwürdige Sachlichkeit gemeint. Das wird bestätigt in: Böhme-Dürr, Karin: Nicht so doof wie die Persil-Mutter,
in: Bilderkiste Nr. 4/1994, S. 8 und Telefongespräch mit Peter Bodensohn, bei der Werbeagentur Ogilvy & Mather in Frankfurt zuständig für die
Werbespots der Firma Mattel, am 16. Mai 1995. Siehe S. 133
10
Vgl. auch Kübler, Hans-Dieter, in: Medien und Erziehung Nr. 1/1994, a. a. O., S. 12. Dort wird überspitzt formuliert: ,,Das alles passiert [...] mit
eingängigen Slogans und süffigen Songs zum Repetieren und Imitieren sowie mit hübschen Menschen, die meist lustig, ohne Probleme, jedenfalls rasch
aufzuheitern und umstandslos einordenbar sind, im angenehmen Ambiente oder gar in idyllischen Szenarien."
11
Gespräch mit Iris Fürst, siehe S. 121
12
Gespräch mit Jo Groebel, siehe S. 124
13
Gespräch mit Steffen Dispan, siehe S. 145. Der Junge erklärte weiter, er schalte auf gar keinen Fall um, wenn Werbung kommt.

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Vermutet werden darf ferner, daß für Kinder Werbebotschaften einerseits Vorbildcharakter und Identifika-
tionspotentiale haben und daß vor allem die präsentierten Figuren und Personen zeitweilige Idole werden kön-
nen. Die Werbespots im Fernsehen dürften zumal von den kleinen Kindern außerdem als episodische, hoch-
komprimierte Dramen oder Konfliktlösungsmodelle betrachtet werden. Das alles passiert schnell und strapa-
ziert die Augen mehr oder weniger angenehm, mit klaren, polaren Konturen, die sonst nur noch im Märchen
vorkommen.
14
Der Grund für die Schnelligkeit des Spotablaufes liegt auf der Hand: Der Sender muß für die
Verbreitung des Werbespots bis zu 180 000 Mark bezahlen. Für die Produktion kommen Kosten hinzu, und
die Agentur muß bezahlt werden. Das heißt, Werbung ist so teuer, daß der Hersteller den Spot so kurz wie
möglich hält, denn Sendezeit kostet Geld. Also muß er in der Kürze das Wesentliche über das Produkt erzäh-
len können und auf einen roten Faden achten, der die Handlung strukturiert. In Ausnahmefällen ist die Hand-
lung auch bewußt diffus.
15
Alle diese Merkmale kommen der Situation der jungen Zuschauer entgegen. Alleingelassenwerden, Streß und
Überforderungen, Anpassung an die Erwachsenenwelt sowie Krankheit durch Umweltverschmutzung gehören
zum Alltag von Kindern. ,,Sie werden immer mehr in gesellschaftlich organisierte Kinderräume gedrängt, und
die damit verbundene Zerstückelung ihrer Lebenswelt begünstigt ihre Suche nach Ersatzwelten. Und von
denen hat die Werbung genug anzubieten. Die schönen verlockenden Bilder wecken in den kindlichen Köpfen
die Vorstellung von einer `paradiesischen' Scheinwelt, in der alles für die schnelle Bedürfnisbefriedigung und
den sofortigen Genuß verfügbar ist - natürlich ohne Geld und ohne Arbeit! So werden Gefühle von Entbeh-
rung, Mangel und Unzufriedenheit aufgefangen oder aber zu Wünschen, Erwartungen und Forderungen
umformuliert."
16
So ist es zu erklären, daß bei der IZI-Kinderbefragung
17
25 % der Kinder angab: ,,Mir gefällt Fernsehwer-
bung gut." 34 % stimmten dem teilweise zu, vor allem jüngere Kinder, deren Eltern über eine formal niedrige
Bildung verfügen. Insgesamt lehnten jedoch auch 41 % die Aussage ab. Manche Kinder erklärten, wie Wer-
bung nicht sein sollte: ,,Die Darsteller sollen nicht so doof gucken wie die `Persil'-Mutter", ,,nicht so total
langweilig sein wie `Always'", oder ,,nicht so kitschig wie die Deo-Werbung, die kann ich nicht ausstehen."
18
Außerdem sind Produktdemos, Klischees, Plagiate und falsch inszenierte Authentizität unbeliebt.
19
Werbung scheint also aus diversen, hier nur zum Teil genannten Gründen mit ihren formalen und inhaltlichen
Qualitäten dem kindlichen Entwicklungsstand einerseits mehr zu entsprechen als manche anderen Programm-
teile und gleichzeitig mit wesentlichen sozial-emotionalen Funktionen gerade bei Kindern assoziierbar zu
sein.
20
3.1.2
Erinnern der Werbespots
Es spielt auch keine Rolle, ob Kinder die Produkte schon kennen oder konsumieren können. Man gebe ihnen
dessen ungeachtet einen Textanfang vor, und sie können die Sprüche und Verse souverän fortführen. Ähnlich
verhält es sich mit den Erkennungsmelodien, den Jingles.
21
Begünstigt wird das dadurch, daß in manchen
Werbespots Reime verwendet werden. Kitzel- und Schmusereime verstehen Kinder auch schon mit 18 Mona-
ten, denn im Reim lernt es sich besser. Zudem wird über die Musik viel mehr getragen als über das Bild;
14
Kübler, Hans-Dieter, in: Medien und Erziehung Nr. 1/1994, a. a. O., S. 12
15
Gespräch mit Volker Nickel, siehe S. 132
16
Cebulla-Jünger, Edeltraud: Kinder im Konsumrausch, in: PRO Jugend Nr. 3/1994, S. 7
17
Siehe entsprechende Fußnote Nr. 50 auf S. 10 (Böhme-Dürr, Karin in: Televizion Nr. 6/1993/2, a. a. O., S. 4)
18
Böhme-Dürr, Karin, in: Televizion Nr. 6/1993/2, a. a. O., S. 6
19
Koeblin, Marco: Kids as Customers, in: planung und analyse Nr. 2/1994, S. 54
20
Six, Ulrike: Einflüsse der Werbung auf die Lebenswelt von Kindern; in: Dokumentation des Expertenforums Kinder & Werbung 1990, S. 39
21
Baacke, Dieter/Uwe Sander/Ralf Vollbrecht, in: Kinderzeit Nr. 44/1993.b, H. 1, a. a. O., S. 22

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kommen also Reime und eingängige Melodien zusammen (wie bei den meisten ,,Barbie"-Spots, d. Verf.), sind
viele Voraussetzung für das Erinnern gegeben.
22
Die Macher der Werbung weisen zusätzlich noch darauf hin,
daß Kinder merkfähig sind, und daß die umgangssprachliche Formulierung der Spots das Behalten fördert.
23
Hinzu kommt, daß Werbebeiträge aufgrund ihrer Kürze der kindlichen Lernfähigkeit eher gerecht werden als
Spielhandlungen, deren Inhalte sich den Zuschauern dieses Alters weniger eindeutig erschließen. Deshalb
erinnern sich Kinder eher an Werbung. Wenn sie zusätzlich pädagogisch unerwünschte Erziehungsstile auf-
greift, werden diese durch Einbeziehung in Werbespots nicht nur erinnert, sondern auch verfestigt.
24
Informationen können jedoch nur dann erinnert und verstanden werden, wenn sie aufgenommen, verarbeitet
und gespeichert wurden. Das sind komplexe Vorgänge, die unterschiedliche Voraussetzungen haben und
unterschiedlichen Regeln folgen. Deshalb soll im folgenden dargelegt werden, welche Faktoren das Erinnern
und Wiedererkennen der Spots begünstigen; diese werden im Zusammenhang mit Spots für Kinder kommen-
tiert (die Merkmale sind Ergebnisse einer Untersuchung von Studenten unter Laborbedingungen):
Je mehr ablenkende Elemente (Distractors) die Sendung enthält, desto geringer ist die Wiedererkennungsrate
(deshalb sind Kinderspots kurz und haben eine einfache Handlung). Die wiederholte Ausstrahlung eines Spots
verringert den störenden Einfluß ablenkender Elemente (deshalb erkennen Kinder auch Spots für Erwachsene
wieder). Anhand von Bildvorlagen werden die Spots generell besser wiedererkannt als anhand von Schlagwor-
ten. Das kann daher kommen, daß Bilder im Gedächtnis vermutlich doppelt - als visuelle und verbale Infor-
mation - gespeichert werden.
Fernsehspots werden besser wiedererkannt als erinnert. Bei einmaliger Ausstrahlung bestehen dabei ganz
erhebliche Unterschiede zwischen Wiedererkennen und Erinnern. Die Wiederholung von Spots verringert
diese Unterschiede jedoch, bei viermaliger Wiederholung ist die Erinnerung ähnlich gut wie die Wiedererken-
nung.
25
Außerdem sind der Grad der Neuigkeit, die Realität der Darstellung, die unterhaltende Form und
eventuell der Auftritt eines Idols entscheidende Komponenten für den Erinnerungswert einer Werbesendung.
26
Die Ergebnisse der Untersuchung von Studenten unter Laborbedingungen können nicht ohne weiteres auf
reale Situationen übertragen werden, sie deuten jedoch darauf hin, daß die Wiederholung gleicher Spots die
Erinnerung wesentlich verbessert und dem Wiedererkennen annähert. (Man muß also davon ausgehen, daß
Kinder eine Werbung sehr oft sehen, damit sie diese so gut rezitieren können). Eine genaue Analyse der Ent-
wicklungen zeigt, daß trotz einer relativen Wirkungslosigkeit einzelner Spots durch Kumulation große Wir-
kungen erzielt werden können.
27
3.1.3
Was Werbung problematisch macht
Das bedeutet, daß die kritischen Inhalte in der Werbung für Kinder ebenfalls Wirkung erreichen. Es sind fünf
Besonderheiten, die nach Ulrich Eicke die an Kinder gerichtete Werbung äußerst problematisch machen.
Erstens sind Kinder wegen ihrer Unerfahrenheit leicht beeinflußbar und deshalb auch für Werbung besonders
aufnahmefähig. Da sie zweitens als ,,Anfänger" erst wenig mit Werbung in Berührung gekommen sind, kann
man ihnen leicht Markennamen eintrichtern. Drittens können sie noch nicht durchschauen, daß der Werbezau-
ber nur inszeniert wird, damit sie sich alle diese Dinge wünschen, sie von ihren Eltern haben wollen und eines
Tages selbst kaufen. Wenn es viertens mit Hilfe von Werbung gelingt, sie als markentreue Konsumenten zu
22
Gespräch mit Iris Fürst, siehe S. 118
23
Gespräch mit Peter Bodensohn, siehe S. 133
24
Wolsing, Theo, in: Preuß, Volker/Heiko Steffens 1993, a. a. O., S. 156
25
Kepplinger, Hans Matthias: Sehen ist nicht Erinnern, Erinnern ist nicht Verstehen, in: Viertel-Jahreshefte für Media und Werbewirkung Nr. 1/1990,
S. 26-30
26
Renner, Johannes: Werbung bei Jugendlichen; Wiesbaden 1972, S. 88
27
Kepplinger, Hans Matthias, in: Viertel-Jahreshefte für Media und Werbewirkung Nr. 1/1990, a. a. O., S. 26-30

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gewinnen, hat Werbung Wirkung erzielt. Durch ihre Allgegenwart läßt Werbung fünftens die Fähigkeiten
verkümmern, an immateriellen Werten Gefallen zu finden.
28
Letzteres wird von psychologischer Seite bestätigt. Iris Fürst nennt Ostern als Beispiel dafür, daß für Kinder
materielle Werte wichtiger sind als immaterielle. Ostern sei fast schon mit Weihnachten gleichgesetzt, was die
Masse an Geschenken betrifft. Deshalb sei es dazu gekommen, daß viele Kinder eine Barbie viel mehr zu
schätzen wissen als einen Osterspaziergang. Davon abgesehen sei es für die Schenkenden auch einfacher,
etwas zu kaufen, als sich ein paar Stunden Zeit zu nehmen.
29
Noch problematischer liegen die Dinge, wenn nachweislich gesundheitsschädliche Artikel (Zigaretten, Alkohol
und Süßigkeiten) zu Zeiten vermittelt werden, in denen auch Kinder Zugang zum Fernseher haben. ,,Die große
weite Welt" und die problemlösende Wirkung von Alkohol kann speziell die unkritischen Kinder beein-
drucken.
30
Die hohen Ausgaben der Kinder für Süßigkeiten bezifferten bereits Böckelmann u.a. in ihrem Gut-
achten von 1979 auf 300 Millionen Mark. Aufgrund des starken Genusses dieser Produkte hat die Kassen-
Zahnärztliche Vereinigung Nordrhein in den 70er Jahren Aufklärungsarbeit über die Ursachen von Zahner-
krankungen und entsprechende Vorbeugungsmaßnahmen betrieben. Dabei wurde dem Konsum von Zucker
und Süßwaren vor allem durch Kinder als eine Hauptursache von Karies besondere Aufmerksamkeit
geschenkt. Auch andere Zahnärzteverbände entwickelten ähnliche Aktivitäten. Gleichzeitig stagnierte - auch
schon in den Jahren davor - die deutsche Süßwarenindustrie, und diese Stagnation sah die Deutsche Süßwa-
renindustrie (BDS) in einer ,,Verteufelung der süßen Sachen als Dickmacher, Krankmacher und Kariesverur-
sacher etc."
31
Verstärkte Werbemaßnahmen waren die Konsequenz.
32
Hinsichtlich der angepriesenen Waren wird man unterscheiden müssen zwischen denen, die fast nur sinnliche
oder gar vegetative Strebungen ansprechen, also vor allem die diversen Süßigkeiten und Getränke - sie
machen noch vor den Waren für Körperpflege und Kosmetik in der Fernsehwerbung das Hauptkontingent aus
- und jenen Waren, die auch kognitive Anforderungen sowie soziale Prestige-Indikatoren verkörpern.
33
Denn
diese sind ein weiterer Grund für die Beliebtheit der Werbung bei Kindern: Spots zeigen Erstrebenswertes
(angenehmes Familienklima, zufriedene Eltern etc.) in positivem Kontext und sofort auch den Weg zur Errei-
chung dessen.
34
,,In der Fertiggericht-Familie gibt es nie Streit, weil Mutti dem gestreßten Ehemann schnell
etwas auftischt. Und der gemütliche Opa darf natürlich ungestraft naschen. Solche Märchen merken sich die
Sprößlinge - der Markenname bleibt in Erinnerung."
35
Volker Preuß faßt die angesprochenen Problembereiche in Fragen: ,,Darf es sein, daß sich Erwachsene mit
systematisch verdeckten Absichten Kindern aus kommerziellen Gründen nähern dürfen? Sollen Marketing-
aktivitäten sich auf Kinder unter [...] acht Jahre richten dürfen, in einer Weise, die von diesen prinzipiell nicht
als das, was diese Aktivitäten tatsächlich sind, erkannt werden können?"
36
Es geht nicht darum, Kinder vor
denjenigen Marketingbemühungen des Fernsehens, die sich an Ältere richten, zu schützen, dies ist ein eigener
Problembereich. Es geht auch nicht darum, Kinder von Lernerfahrungen mit wesentlichen Phänomenen der
Konsumgesellschaft abzuschneiden. Die ,,Diskrimination" zwischen tatsächlichem und vorgeblichem Spiel ist
28
Eicke, Ulrich 1991, a. a. O., S. 56
29
Gespräch mit Iris Fürst, siehe S. 120
30
Schmidt, Wilhelm: Werbung - eine Gefahr für die kindliche Entwicklung? In: Dokumentation des Expertenforums Kinder & Werbung 1990, S. 82
31
Böckelmann, Frank u.a. 1979, a. a. O., S. 43
32
Ebendort, S, 41-43
33
Kübler, Hans-Dieter, in: Medien und Erziehung Nr. 1/1994, a. a. O., S. 12
34
Six, Ulrike, in: Dokumentation des Expertenforums Kinder & Werbung 1990, a. a. O., S. 39
35
Presler, Eckard: Der ,,Blubb" in der Zeichentrickserie, in: Saarbrücker Zeitung vom 16. Juni 1993; (weitere Angaben fehlen, da der Bericht ohne
ausführliche Erscheinungsdaten vom Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik zur Verfügung gestellt wurde.)
36
Preuß, Volker: Zum Verhältnis von Marketing und Konsumerziehung, in: Preuß, Volker/Heiko Steffens 1993, S. 282 und S. 283

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der Zielgruppe, für die die entsprechenden Programme gesendet werden, nicht möglich. Verkaufsförderung
vor kleineren Kindern, die sich als Spiel maskiert, lehnt Preuß deshalb aus ethischen Gründen ab.
37
Da Kinder
jedoch in einem Kontext aufwachsen, in dem sie von Werbung nicht unberührt bleiben, fragt Jo Groebel eher
danach, wie Werbung höchstens aussehen kann, wenn sie Kinder direkt anspricht und welche Dinge nicht
vorkommen dürfen. Er beantwortet die Frage dahingehend, daß eine nicht eindeutige Trennung zwischen
redaktionellem- und Werbeinhalt, eine eindeutige Verherrlichung von Gewalt und eindeutiges Benutzen von
Stereotypen (z.B. negative Darstellungen ethnischer Minderheiten) abzulehnen ist.
38
3.2 Kinder als Darsteller in Werbespots
Führend bei der ethischen Diskussion um Kinderwerbung ist der Deutsche Kinderschutzbund in Hannover
hinsichtlich der Problematik Kinder als Darsteller. Walter Wilken hält das Mitwirken von Kindern in Wer-
bespots für harte Kinderarbeit. Er ist der Meinung, ,,Kinder werden dadurch psychisch verbogen."
39
Ein Kind
würde zwar keinen Schaden nehmen, wenn es einmal als Darsteller im Werbespot mitarbeitet, aber wenn es
oft eingesetzt wird - und das werden diejenigen Kinder, die gut herauskommen - und obendrein ehrgeizige
Eltern hat, ist das schädlich. Meist müssen Kinder auch noch ein bestimmtes Rollenklischee vor der Kamera
erfüllen. Die Gefahr ist, daß sie den Kontakt zu Gleichaltrigen verlieren, weil dieser dadurch kompliziert wird,
daß sie ein Star sind und die anderen nicht. Das führt zu Spannungen im Verhältnis zu anderen Kindern. Sie
können sich außerdem so hineinsteigern, daß die Konzentrationsleistungen in der Schule - wenn sie in der
Schule sind - geringer werden.
40
Iris Fürst spricht demgegenüber nicht von einem Schaden, sondern eher von
einer Überforderung durch das Leben mit Kameras und Spots.
41
Volker Nickel sieht keinen Schaden, solange man keinen beweisen kann. Er verweist auf die strengen Aufla-
gen des Jugendschutzes, die verhindern sollen, daß Kinder bei der Darstellung in Werbespots überfordert
werden.
42
Denn dem Jugendarbeitsschutzgesetz
43
zufolge ist das Modeling Kinderarbeit und nur einge-
schränkt erlaubt: Kinder dürfen am Tag nicht mehr als drei Stunden arbeiten und das auch nur höchstens
30mal im Jahr. Sie brauchen Genehmigungen vom Arzt, von der Schule und vom Gewerbeaufsichtsamt.
44
Letzteres muß für die Werbetreibenden Ausnahmegenehmigungen für Kinder als Mitwirkende erteilen und das
geschieht laut Walter Wilken recht fahrlässig. Denn eigentlich dürften Kinder nur gestaltend an Werbespots
partizipieren. An der Stelle müßte man die Definition dieser gesetzlichen Auslegung schärfen, da das Gesetz
37
Ebendort, S. 282-284
38
Gespräch mit Jo Groebel, siehe S. 126
39
Interview mit Walter Wilken, o.V.: ,,Produktwerbung mit Kindern verbieten", in: Osnabrücker Zeitung vom 27. Juni 1992, S. 4 (genauere Angaben
fehlen, da der Artikel aus dem Archiv des Kinderschutzbundes stammt)
40
Gespräch mit Walter Wilken, siehe S. 136. Als abschreckendes und auch überzogenes Beispiel nennt er sogenannte ,,Miss-Wahlen" in den USA, die es
demnächst auch in Deutschland geben soll: Mädchen zwischen drei und sechs Jahren reisen, als Barbie-Puppen herausgemacht, durch ganz Amerika.
Die Kinder leben auf Diät, bekommen Dauerwellen ins Haar und werden auf die Sonnenbank geschickt. Das möchte ein Veranstalter aus Oldenburg
kopieren. In: Grix, Stephanie: Arme Püppchen, in: BILD am Sonntag vom 11. Juni 1995 (nähere Angaben fehlen, da dieser Artikel als schlechte Kopie
zur Verfügung gestellt wurde)
41
Gespräch mit Iris Fürst, siehe S. 121
42
Gespräch mit Volker Nickel, siehe S. 131
43
Die §§ 5 und 6 des Jugendarbeitsschutzgesetzes (JArbSchG) enthalten Regelungen zum Schutz des Kindes vor Überforderung und Beeinträchtigung
seiner Entwicklung. Gemäß § 6 Abs. 1 kann eine Ausnahmebewilligung des Arbeitsverbotes von Kindern erteilt werden, wenn eine gestaltende
Mitwirkung des Kindes bei Musikaufführungen und anderen Aufführungen, bei Werbeveranstaltungen sowie bei Aufnahmen im Rundfunk, auf Ton-
und Bildträger sowie bei Film- und Fotoaufnahmen vorliegt. Die Beschäftigung von Kindern ist dann auf Dauer und Tageszeiten beschränkt. Sie ist auch
nur auf Antrag durch behördliche Ausnahmen der Aufsichtsbehörde mit Einwilligung des Personenberechtigten zulässig. Vor einer Zulassung der
Beschäftigung von Kindern ist das zuständige Jugendamt anzuhören, Betreuung und Beaufsichtigung des Kindes bei der Beschäftigung müssen
sichergestellt sein, das Fortkommen in der Schule darf nicht beeinträchtigt werden, es müssen die erforderlichen Maßnahmen getroffen sein, daß das Kind
gegen Gefahren für Leben und Gesundheit und einer Beeinträchtigung der körperlichen oder seelisch-geistigen Entwicklung geschützt ist. In: Deutscher
Bundestag, 11. Wahlperiode, Drucksache Nr. 11/4980 vom 24. 07. 89, S. 3 und Kunz, Eduard/Edgar Wiedemann: Jugendarbeitsschutz; Assenhausen
1985, S. 13-19
44
ZDF PUR-Info ,,Alles Werbung oder was?" (ohne Ort und Datum vom ZDF zugeschickt), S. 4
Für die Ausnahme vom generellen Verbot der Kinderarbeit hatte sich insbesondere der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft eingesetzt. In:
ZAW-Jahrbuch Werbung 1994; Bonn 1994, S. 104

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zu einer Zeit entstanden ist, als es den ,,Werberummel" mit Kindern noch nicht gab. Der Kinderschutzbund
geht sogar darüber hinaus und verlangt ein Arbeitsverbot von Kindern in der Produktwerbung.
Walter Wilken kennt persönlich keinen Fall, in dem ein Schaden aufgetreten ist. Er weiß jedoch von den bei-
den Kindermodel-Agenturen in Deutschland
45
, daß oft ,,neurotische" Eltern hinter den Auftritten von Kindern
in der Werbung stehen.
46
3.2.1
Die Rolle der Kinder im Werbespot
In diesen Agenturen werden Fotos von Kindern archiviert, die dann an Werbetreibende weitergeleitet werden.
So kann sich jeder Produzent ,,sein" geeignetes Kind für den Spot aussuchen.
47
Das gehört zum sogenannten
"Casting", wobei Agenturmitarbeiter mit der Kamera Drehorte und Darsteller für die Spots sichten. Das
geschieht auch, wenn Kinder über eine Model-Agentur vermittelt werden, denn das Engagement läuft in den
meisten Fällen über die Filmproduktionsgesellschaft. Kinder als Darsteller sind für die Produzenten deshalb
hilfreich, weil sie durch Alter, Geschlecht, Aufmachung und Sprache die Produktpositionierung reflektieren
können.
48
Andere Gründe spielen eine Rolle, wenn es um Kinder in Werbespots für Erwachsenenprodukte geht. Deje-
meppe schätzt, daß in 70 % der Werbung, die sich nicht an Kinder richtet, Kinder auftreten.
49
Wilhelm
Schmidt, MdB und Vorsitzender des Deutschen Kinderhilfswerks, findet es schlimm, ,,wenn Kinder inzwi-
schen als Medium zur Verbreitung des Angebots von Autos, Kreditkarten, Waschmittel, Fluglinien u.ä. einge-
setzt werden. Diese mißbräuchliche Werbeform, die aber immer noch mit dem geltenden Recht und den
Selbstbeschränkungsregeln konform geht, sollte überprüft und verboten werden. Wenn ein ausschließlich für
Erwachsene bestimmtes Produkt lediglich dadurch vom Käufer akzeptiert wird, weil ein Kind seine Verträg-
lichkeit und seine Vorzüge preist, so ist dies kein objektiver Maßstab und ein Mißbrauch vom Kinderinteres-
sen."
50
Denn es steht der Akt des Konsumierens, nicht die Individualität von Personen im Vordergrund. Per-
sonen werden nur benötigt, um ein Produkt vorzuführen. Nach den Ergebnissen von Aufenanger werden dafür
an Wochentagen in einem Viertel aller Spots (sowohl für Kinder als auch für Erwachsene) Kinder genommen,
davon sind sie in zwei Dritteln aller Fälle Hauptdarsteller. An den Werbesendungen am Wochenende erhöht
sich der Anteil der Werbespots mit Kindern (vor allem im Umfeld von Kindersendungen) auf 41 % aller
Spots. Dabei übernehmen Kinder in über drei Viertel der Fälle eine Hauptrolle.
51
Charlton u.a. konnten dieses
Ergebnis noch einmal konkretisieren: Kinder spielen überwiegend Hauptrollen in Kinderwerbungen und
überwiegend Nebenrollen in Erwachsenenwerbungen. Dort wiederum sind mehr Jungen zu finden als
Mädchen.
52
,,Da Werbebotschaften zum Maßstab für Realität werden, werden auch Kinder in Werbespots zum Maßstab,
vor allem, wenn sie niedlich sind."
53
Die Niedlichkeit eines Kindes wird nach ganz starken Stereotypen beur-
teilt, die durch die Werbung geboren werden. Das real existierende Kind hat kaum eine Chance, gegen diese
Werbeschönheiten anzukommen. Die Familie ist dann oft enttäuscht, wenn ihr Kind dem Ideal des Werbekin-
des nicht entspricht.
54
Die Werbetreibenden halten es dagegen für ganz normal, Kinder in Spots für Kinder-
45
Kindermodel-Agentur Kids in Düsseldorf und Agentur Hoppel in Hamburg
46
Gespräch mit Walter Wilken, siehe S. 135 und Interview in der Osnabrücker Zeitung vom 27.6.92, a. a. O., S. 4
47
Telefonate mit beiden Agenturen am 15. Februar 1995
48
Gespräch mit Peter Bodensohn, siehe S. 133
49
Dejemeppe, Pierre in Preuß Volker/Heiko Steffens 1993, a. a. O., S. 127
50
Schmidt, Wilhelm, in: Dokumentation des Expertenforums Kinder & Werbung 1990, a. a. O., S. 81 f
51
Aufenanger, Stefan : Kinder im Fernsehen, Familien beim Fernsehen; München 1993, S. 95 f
52
Charlton, Michael u.a. 1995, a. a. O., Band 1, S. 63 und S. 64
53
Gespräch mit Walter Wilken, siehe S. 135
54
Ebenfalls Walter Wilken

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
1995
ISBN (eBook)
9783832488192
ISBN (Paperback)
9783838688190
DOI
10.3239/9783832488192
Dateigröße
1021 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt – Sprach- und Literaturwissenschaften
Erscheinungsdatum
2005 (Juni)
Note
2,0
Schlagworte
medienpädagogik inhaltsanalyse werbewirtschaft werberat kinder
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Titel: Werbefernsehkinder - Kinderwerbefernsehen
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