Lade Inhalt...

Bewegungsbezogenes Sicherheitsmanagement von Frauen im Alter

Theoretische Überlegungen und empirische Untersuchungen

©2003 Doktorarbeit / Dissertation 334 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Zusammenfassung:
Bewegung im Alter ist mit Risiken und mit Chancen verbunden. Die Risiken der Bewegung im Alter liegen vor allem in der erhöhten Gefahr zu stürzen und sich dabei schwerwiegende Verletzungen zuzuziehen. Bewegungssicherheit im Alter ist folglich ein zentrales Anliegen sowohl für jeden Einzelnen zur Gewährleistung der eigenen Lebensqualität bis ins hohe Alter als auch aus Gründen der Kostensenkung im Gesundheitswesen. Gezielte Bewegungs- und Sportaktivitäten vermögen einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung der Bewegungssicherheit im Alter zu leisten. Ältere Menschen scheinen von den Chancen der Gesundheitsförderung durch Bewegungs- und Sportangebote jedoch nur in geringem Maß Gebrauch zu machen. Existierende Bewegungsprogramme zur Sturzprophylaxe sind zudem bislang eher wenig erfolgreich.
Ältere Frauen sind von dieser Problematik besonders betroffen, weil sie öfter und vor allem schwerwiegender verunfallen als Männer ihres Alters. Diese Umstände bildeten einen spezifischen Anlass, sich mit dem Phänomen der Bewegungssicherheit älterer Frauen auseinander zu setzen. In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema der Bewegungssicherheit im Alter erfolgte zunächst eine eingehende Betrachtung der Bewegungs- und Sportaktivitäten Älterer. Vor dem Hintergrund der Forschungslage zu Motiven und Barrieren, die mit dem Sporttreiben im Alter verbunden sind, wurde eine dynamische Sicht des Handlungsraums individueller sportlicher Aktivitäten entworfen und skizziert.
Es konnte gezeigt werden, dass sich die Zugänge zu Bewegungs- und Sportaktivitäten im Alter erst durch eine Analyse individueller lebenslanger Bewegungserfahrungen erschließen. Diese unterliegen spezifischen soziohistorischen und geschlechtsspezifischen Bedingungen. In der Forschungskonzeption der vorliegenden Arbeit wurde folglich davon ausgegangen, dass ein Zusammenhang zwischen der individuellen Bewegungsbiografie und der Bewegungssicherheit im Alter besteht.
Die vorgenommene Analyse von Unfällen im Alter und die kritische Auseinandersetzung mit Sturzursachen machten deutlich, dass Unfälle und Stürze als komplexe Ereignisse zu betrachten sind, die sich als Situationen mit spezifischen person-, umwelt- und aufgabenspezifischen Merkmalen darstellen. Bei der Erklärung von Stürzen im Alter dominieren in der sportwissenschaftlichen Fachliteratur bislang biomechanische Arbeiten, die psychologische Einflussvariablen (wie beispielsweise die „Angst vor dem Fallen“) […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 8797
Lobinger, Babett Helen: Bewegungsbezogenes Sicherheitsmanagement von Frauen im
Alter - Theoretische Überlegungen und empirische Untersuchungen
Hamburg: Diplomica GmbH, 2005
Zugl.: Deutsche Sporthochschule Köln, Dissertation / Doktorarbeit, 2003
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte,
insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von
Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der
Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen,
bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung
dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen
der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik
Deutschland in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich
vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des
Urheberrechtes.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in
diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme,
dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei
zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
Die Informationen in diesem Werk wurden mit Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können
Fehler nicht vollständig ausgeschlossen werden, und die Diplomarbeiten Agentur, die
Autoren oder Übersetzer übernehmen keine juristische Verantwortung oder irgendeine
Haftung für evtl. verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen.
Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2005
Printed in Germany

Lebenslauf
Persönliche Daten
Babett Helen Lobinger
geb. am 12.01.1967 in Bonn
wohnhaft in Heerstraße 92, 53340 Meckenheim
verheiratet mit WP StB Dipl.-Phys., Dipl.-Volksw. Anselm Schuster
Schulischer Werdegang
1973 - 1977
Evangelische Grundschule Meckenheim
1977 - 1986
Konrad Adenauer Gymnasium Meckenheim
Universitäre Ausbildung an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-
Universität Bonn
1986 - 1992
Studium der Diplom-Psychologie
1994 - 1999
Magisterstudium Sportwissenschaft mit dem Schwerpunkt
Alterssport
Beruflicher Werdegang
1992 - 1994
Freie Mitarbeit als Diplom-Psychologin bei der Intelligenz-System-
Transfer GmbH in Königswinter
1994 - 1996
Wissenschaftliche Hilfskraft an der Universität Gesamthochschule
Siegen, Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte
1996 - 1997
Wissenschaftliche Hilfskraft an der Universität Gesamthochschule
Siegen, Lehrstuhl für Psychologie
1997
Promotionsstipendium gemäß Graduiertenförderungsgesetz
Nordrhein-Westfalen an der Universität Gesamthochschule Siegen
seit 1998
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Psychologischen Institut der
Deutschen Sporthochschule Köln
Außeruniversitäre Lehrtätigkeiten
seit 1996
Lehraufträge im Rahmen der Fachweiterbildung für Intensivpflege
und Anästhesie am Kreiskrankenhaus Siegen
1997 ­2000
Lehraufträge im Rahmen der Ausbildung zum Altenpfleger/ zur
Altenpflegerin bei der Tertia GWb in Alfter
1999 - 2001
Lehraufträge im Rahmen der Ausbildung zum Altenpfleger/ zur
Altenpflegerin und im Rahmen der Weiterbildung zum Stationsleiter/
zur Stationsleiterin im Alten- und Pflegewesen beim
Berufsfortbildungswerk (BfW) in Siegen
2000
Fortbildung für Leitungskräfte in ambulanten und stationären
Einrichtungen der Altenarbeit bei der Paritätische Akademie GmbH in
Frankfurt
seit 1999
Lehrtätigkeit im Rahmen der Diplom-Trainer Ausbildung und
verbandsspezifischen Fortbildung an der Dt. Trainerakademie Köln
seit 1998
Fort- und Weiterbildungen Sportärztebund Westfalen e.V.,
Sportärztebund Nordrhein e.V.
seit 1999
Trainerfortbildungen Dt. Kanuverband e.V., Dt. Eishockeyverband
e.V., Dt. Leichtathletikverband e.V., Schiedsrichterfortbildung Westdt.
Basketball-Verband e.V.

Vorwort
Herr Prof. Dr. Jürgen Nitsch hat diese Arbeit betreut. Ihm gilt mein
besonderer Dank für seine Anregungen und die gemeinsamen Gespräche, die
die Entwicklung dieser Dissertation begleitet haben.
Weiterhin danke ich den Kolleginnen und Kollegen des Psychologischen
Instituts der Deutschen Sporthochschule Köln, die mich ebenfalls mit Rat und
Tat unterstützt haben, besonders Herrn Dr. Jens Kleinert, Herrn PD Dr. Thomas
Schack, Herrn Dipl.-Sportwiss. Thomas Heinen und Herrn Dipl.-Sportl. Werner
Mickler.
Für ihre Unterstützung bei der Suche nach Seniorinnen und Senioren für
die Fragebogenuntersuchung möchte ich mich bei Frau G. Rost, Frau E. Meyer
zu Drewer, Herrn N. Waschk, Herrn R. Voss, Frau Dr. E. Sticker von der
Universität Köln und Frau Dipl.-Psych. U. Späte, Herrn Prof. Dr. G. Naegele und
Herrn Prof. Dr. L. Veelken von der Universität Dortmund bedanken.
Ein herzliches Dankeschön geht an die ,,Seniorinnen" und ,,Senioren", die
an den Untersuchungen teilgenommen haben, und vor allem an die
Interviewpartnerinnen für ihre Bereitschaft maßgeblich an dieser Arbeit
mitzuwirken.
Meinen Schwiegereltern Lotte und Paul Schuster, meinen Eltern Martina
und Hans-Joachim Lobinger und besonders meinem Ehemann Anselm danke
ich für ihre fürsorgliche Unterstützung bei diesem Vorhaben.
Für meine beiden Großmütter

Inhaltsverzeichnis
4
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
13
2
Bewegung als Risiko und Chance
20
2.1 Bewegungs- und Sportaktivitäten im Alter
21
2.1.1 Motive und Barrieren
22
2.1.2 Funktionen von Bewegung und Sport
25
2.1.3 Sport- und Bewegungsbiografien
32
2.2 Bewegung im Alter als Risiko
34
2.2.1 Unfälle im Alter
35
2.2.2 Sturzursachen im Alter
39
2.2.3 Veränderungen der Gehbewegung im Alter
43
2.3 Bewegung im Alter als Chance
47
2.3.1 Aktivität und Mobilität
48
2.3.2 Motorische
Kompetenz
53
2.4 Zusammenfassung und Konsequenzen für den Forschungs-
ansatz 59
3
Bewegungssicherheit im Alter durch bewegungsbezogenes Sicher-
heitsmanagement 63
3.1 Handlungstheoretische
Grundlagen der Bewegungssicherheit
63
3.1.1 Systemcharakter der Bewegungssicherheit
64
3.1.2 Intentionale
Organisation
der Bewegungssicherheit
66
3.1.3 Situationsbezug der Bewegungssicherheit
70
3.2 Sicherheit und Handlungsfehler
75
3.2.1 Handeln in gefährlichen Situationen
75
3.2.2 Sicherheit durch Fehler
86
3.2.3 Ansatzstellen bewegungsbezogenen Sicherheits-
managements im Alter
98
3.3 Selbsterleben und Entwicklungspotenziale im Alter
104
3.3.1 Erleben von Alternsprozessen
104
3.3.2 Erwerb von Handlungsstrategien
109
3.4 Zusammenfassung und Konsequenzen für den Forschungs-
ansatz 112

Inhaltsverzeichnis
5
4
Interviewstudie zu Bewegungsbiografien
118
4.1 Fragestellung
118
4.2 Methodik
119
4.2.1 Interviewkonzeption
119
4.2.2 Interviewpartnerinnen
123
4.2.3 Durchführung und Auswertungsschritte
135
4.3 Ergebnisse
137
4.3.1 Bewegung und Sport im Lebenslauf
138
4.3.2 Bewegungsbezogenes Risiko- und Sicherheits-
erleben 152
4.3.3 Bewegungsselbstkonzepte
161
4.3.4 Bewegungsbezogene und sicherheitsrelevante
Handlungsorientierungen und ­strategien
166
4.4
Interpretation und Diskussion
171
4.5 Zusammenfassung
179
5
Fragebogenstudie zu Bewegung und Sicherheit im Alter
184
5.1 Fragestellung
184
5.2 Methodik
185
5.2.1 Fragebogenkonzeption
185
5.2.2 Untersuchungsgruppe
193
5.2.3 Untersuchungsdurchführung
196
5.2.4 Auswertung
197
5.3 Ergebnisse
198
5.3.1 Stürze und körperliche Verfassung
198
5.3.2 Aktivitäten
204
5.3.3 Handlungsbedingungen
210
5.3.4 Sicherheitsverhalten
217
5.3.5 Fehler und Missgeschicke
223
5.3.6 Anmerkungen der Untersuchungsgruppe
233
5.4
Interpretation und Diskussion
235
5.5 Zusammenfassung
246

Inhaltsverzeichnis
6
6 Experimentelle
Einzelfallstudien
zur mentalen Repräsentation der
Gehbewegung 249
6.1 Fragestellung
249
6.2 Methodik
251
6.2.1 Untersuchungsverfahren
251
6.2.2 Auswahl der Beschreibungseinheiten
252
6.2.3 Untersuchungsteilnehmerinnen und Untersuchungs-
durchführung 253
6.2.4
Auswertung
6.3 Ergebnisse
255
6.4
Interpretation und Diskussion
258
6.5 Zusammenfassung
265
7
Folgerungen für das bewegungsbezogenen Sicherheitsmanage-
ment im Alter
267
7.1
Bewegungserfahrungen und Bewegungsselbstkonzept
268
7.2
Handlungsorientierungen und Handlungsstrategien
277
7.3
Bewegungsunsicherheit, Fehlermanagement, Sicherheits-
maßnahmen und Bewegungsvorstellungen
279
8 Gesamtzusammenfassung
284
Literaturverzeichnis 289
Anhang 306

Abbildungsverzeichnis
7
Abbildungsverzeichnis
Abbildungen Kapitel 2
2.1
Dynamische Sicht des Handlungsraums individueller sportlicher Akti-
vitäten 28
2.2
Schematische Zeichnung des Gangbildes eines jüngeren Erwachse-
nen (a) und eines älteren Erwachsenen (b) sowie Charakteristika des
Gangbildes im Alter (Text und Abbildung aus Runge, 1998, S. 160
bzw. 161)
44
2.3 Schematischer Vergleich der Ausgleichsbewegung von Jüngeren,
Älteren und Parkinsonpatienten bei Seitneigung des Untergrunds
(Abbildung aus Bloem, Visser & Carpenter, 2002, p. 58)
45
Abbildungen Kapitel 3
3.1
Bezüge der Sicherheitsintention im Bewegungshandeln (vgl. Nitsch &
Munzert, 1997, S. 122; Nitsch, 2000, S. 81)
68
3.2
Grundaspekte subjektiver Situationsdefinition (Nitsch, 2000, S. 99)
73
3.3 Handlungsstruktur eines Verunfallten (in Anlehnung an Rümmele,
1989, S. 29)
84
3.4
Ansatzstellen für das bewegungsbezogene Sicherheitsmanagement
99
3.5
Synchronisation als Voraussetzung sicherheitsbezogenen Handelns
100
3.6 Problemaufriss
113
3.7 Forschungskonzeption
117
Abbildung Kapitel 4
4
Forschungsanliegen und Forschungskonzeption der Interviewstudie
118
Abbildungen Kapitel 5
5.1 Inhaltliche
Fragebogenkonzeption
186
5.2
Alters- und Geschlechterverteilung (n=226)
194
5.3
Prozentualer Anzahl der Stürze im Vergleich der Frauen (n=158) und
Männer (n=70)
199
5.4
Sturzerfahrung der 65-70 Jährigen (n=72), 71-76 Jährigen (n=76) und
77-93 Jährigen (n=78)
199
5.5 Anteile der Einmal-Gestürzten (n=49) und Mehrfach-Gestürzten
(n=43) an den geschilderten Verletzungsfolgen (Mehrfachnennungen)
200
5.6 Behandlungsbedürftige Verletzungsfolgen (Mehrfachnennungen) der
gestürzten Seniorinnen (n=78) und Senioren (n=21)
200
5.7
Body-Mass-Index der Nicht-Gestürzten (n=132), Einmal- (n=48) und
Mehrfach-Gestürzten (n=40) im prozentualen Vergleich
201
5.8
Chronische gesundheitliche Beschwerden und Erkrankungen (Mehr-
fachnennungen) und ihre prozentuale Verteilung innerhalb der Sturz-
gruppen 202
5.9 Regelmäßige Einnahme von Medikamenten (Mehrfachnennungen)
und ihre prozentuale Verteilung innerhalb der Sturzgruppen
203

Abbildungsverzeichnis
8
5.10 Bewegungs- und Sportaktivitäten-Scores der Frauen (n=119) und
Männer (n=53)
207
5.11 Verteilung der Altersgruppen der 65-70-Jährigen (n=63), 71-76-
Jährigen (n=54) und der 77-93-Jährigen (n=54) auf die Gruppen des
Bewegungs- und Sportaktivitäten-Scores
208
5.12 Verteilung der Nicht-Gestürzten (n=103), Einmal-Gestürzten (n=38)
und Mehrfach-Gestürzten (n=31) auf die Gruppen des Bewegungs-
und Sportaktivitäten-Scores
209
5.13 Nutzung der Bewegungsangebote von Sportvereinen durch Nicht-
Gestürzte (n=119), Einmal-Gestürzte (n=44) und Mehrfach-Gestürzte
(n=34) 209
5.14 Prozentuale Verteilung der Sturzgruppen auf die Antwortmöglichkei-
ten des Items ,,Ich bin sicher in meinen Bewegungen." (n=220)
212
5.15 Prozentuale Verteilung der Sturzgruppen auf die Antwortmöglichkei-
ten des Items ,,Ich bin wacklig auf den Beinen." (n=216)
212
5.16 Prozentuale Verteilung der Sturzgruppen auf die Antwortmöglichkei-
ten des Items ,,Ich habe ein gutes Bewegungsgefühl." (n=223)
213
5.17 Prozentuale Verteilung der Sturzgruppen auf die Antwortmöglichkei-
ten des Items ,,Ich bin körperlich geschickt." (n=223)
213
5.18 Wahrgenommene Bewegungsunsicherheit in Abhängigkeit der Be-
wegungs- und Sportaktivitäten (n=164)
214
5.19 Wahrgenommene Bewegungsunsicherheit innerhalb der drei Alters-
gruppen Alter (n=206)
215
5.20 Wahrgenommene Bewegungsunsicherheit bei Frauen (n=140) und
Männern (n=68)
216
5.21 Prozentuale Verteilung der Sturzgruppen auf die Antwortmöglichkei-
ten des Items ,,Ich mache Dinge bewusst langsamer, damit alles gut
geht." (n=224)
219
5.22 Prozentuale Verteilung der Sturzgruppen auf die Antwortmöglichkei-
ten des Items ,,Ich bleibe beim Gehen stehen, um auf die Uhr zu
schauen oder mir die Nase zu putzen." (n=222)
219
5.23 Fehlerscores der Nicht-Gestürzten (n=115), Einmal- (n=40) und
Mehrfach-Gestürzten (n=37) im prozentualen Vergleich
224
5.24 Verteilung des großmotorischen Fehlerscores für Nicht-Gestürzte
(n=126), Einmal-Gestürzte (n=43) und Mehrfach-Gestürzte (n=41)
225
5.25 Verteilung des feinmotorischen Fehlerscores für Nicht-Gestürzte
(n=124), Einmal-Gestürzte (n=44) und Mehrfach-Gestürzte (n=40)
226
5.26 Verteilung des psychomotorischen Fehlerscores für Nicht-Gestürzte
(n=123), Einmal-Gestürzte (n=43) und Mehrfach-Gestürzte (n=40)
226
5.27 Verteilung des sensorischen Fehlerscores für Nicht-Gestürzte
(n=125), Einmal-Gestürzte (n=43) und Mehrfach-Gestürzte (n=40)
227
5.28 Verteilung des kognitiven Fehlerscores für Nicht-Gestürzte (n=125),
Einmal-Gestürzte (n=44) und Mehrfach-Gestürzte (n=39)
227
5.29 Fehlerscores der Gruppen des Bewegungs- und Sportaktivitäten-
Scores (n=155)
232
5.30 Verteilung der Gruppen des Fehlerscores auf die Bewegungsunsi-
cherheit (n=184)
232
5.31 Teufelskreis aus Sturz und Angst vor Fehlern und Missgeschicken
248

Abbildungsverzeichnis
9
Abbildungen Kapitel 6
6.1
Dendrogramm mit Begriffs-Clusterung der 60-jährigen Probandin (d
krit
= 4.450; = 1.25)
255
6.2
Dendrogramm mit Begriffs-Clusterung der 71-jährigen Probandin (d
krit
= 4.450; = 1.25)
256
6.3
Dendrogramm mit Begriffs-Clusterung der 84-jährigen Probandin (d
krit
= 4.450; = 1.25)
258
Abbildung Kapitel 7
7
Kernpunkte des bewegungsbezogenen Sicherheitsmanagements von
Frauen im Alter
267

Tabellenverzeichnis
10
Tabellenverzeichnis
Tabellen Kapitel 2
2.1 Überblick über Sinnorientierungen und Werthierarchien der Bewe-
gungs- und Sportaktivität
26
2.2 Überblick über Funktionen und Dimensionen der Bewegungs- und
Sportaktivität 30
2.3 Schwerpunkte der Tätigkeiten bei Unfallverletzungen (Datenquelle:
BAuA, 2002)
36
2.4
Schwerpunkte der Unfallart (Datenquelle: BAuA, 2002)
36
2.5 Schwerpunkte der Unfallursachen (Mehrfachnennungen; Datenquel-
le: BAuA, 2002)
37
2.6 Beispielhafte Zuordnung der Risikofaktoren für einen Sturz zu Um-
welt, Aufgabe und Person
42
2.7
Beispiele für kompensatorische Strategien (Bloem, Visser & Carpen-
ter, 2001, p. 57)
46
2.8
Begünstigende Faktoren für Sicherheit und Mobilität (Wyman, 1992,
S. 169)
52
2.9 Übersicht über unterschiedliche Verständnisweisen der Kompetenz
im Bereich der Sportwissenschaften
54
2.10 Übersicht über Verständnisweisen der Kompetenz im Bereich der
Gerontologie bzw. Ökogerontologie
55
Tabellen Kapitel 3
3.1 Aspekte der Bewegungssicherheit auf den unterschiedlichen Sys-
temebenen der Verhaltensorganisation
66
3.2 Unfallkonzepte und Erkenntnisse der Sicherheitspsychologie (nach
Monteau et al. 1988; Wenniger, 1992)
77
3.3
Begünstigende Faktoren von Fehlhandlungen im Alter
92
3.4
Beispielhafte strukturelle Interferenzen in Sturzsituationen
93
3.5 Beispielhafte Checkliste für ein Wohnraumassessment bei Gehstö-
rungen (Beispiele entnommen aus Runge & Rehfeld, 2001, S.163f)
94
3.6
Grundstrategien der Fehlerkontrolle (n. Nitsch, 2001) und Konkretisie-
rungen im Hinblick auf die Bewegungssicherheit im Alter
97
Tabellen Kapitel 4
4.1 Übersicht über soziodemographische Daten der Untersuchungsteil-
nehmerinnen 124
4.2 Themenübergreifende
Auswertungsebenen
137
4.3
Zusammenfassung der Kategorien zu Bewegungs- und Sportaktivitä-
ten im Lebenslauf
151
4.4
Überblick über die Bewegungsselbstkonzepte der interviewten Senio-
rinnen 165
4.5 Gegenüberstellung der Hypothesen über das Auftreten von Fehlern
(n. Nitsch, 2001) und den naiven Ursachenzuschreibungen der inter-
viewten Seniorinnen in Zusammenhang mit Sturzerfahrungen und
persönlichen Sicherheitsmaßnahmen
175
4.6
Beispielaussagen für ein Fehlermanagement und Lernen aus Fehlern
im Rahmen eines bewegungsbezogenen Sicherheitsmanagements
178

Tabellenverzeichnis
11
Tabellen Kapitel 5
5.1
Übersicht über die Generierung, Gestaltung und Auswahl der Items
187
5.2 Beispielitems zur Erfassung der sicherheitsrelevanten, bewegungs-
bezogenen Handlungsbedingungen
188
5.3
Beispielitems zur Erfassung des Sicherheitsverhaltens
189
5.4
Beispielitems zur Erfassung von Fehlern und Missgeschicken
190
5.5
Übersicht über die Zusammensetzung der Untersuchungsgruppe
194
5.6
Übersicht über die Mitbewohner bzw. die Wohnform (Häufigkeiten)
195
5.7
Übersicht über Aktivitäten in Zusammenhang mit der Hausarbeit (An-
gaben in %; n=228)
204
5.8 Übersicht über Aktivitäten zu Mobilität und körperlicher und geistiger
Fitness (Angaben in %; n=228)
205
5.9 Übersicht über Bewegungs- und Sportaktivitäten (Angaben in %;
n=228) 206
5.10 Übersicht über die Ergebnisse der sehr signifikanten Items zu den
Handlungsbedingungen für Nicht-Gestürzte und Gestürzte im Ver-
gleich (Angaben in %)
206
5.11 Korrelationen (Spearman-Rho) der Sturzerfahrung mit den Bewe-
gungs- und Sportaktivitäten (signifikante Korrelationen, = 5 %)
210
5.12 Korrelationen (Spearman-Rho) der Sturzerfahrung mit Items des Fra-
gebogens zu den Handlungsbedingungen (sehr signifikante Korrelati-
onen, = 1 %)
210
5.13 Übersicht über die Ergebnisse der sehr signifikanten Items zu den
Handlungsbedingungen für Nicht-Gestürzte und Gestürzte im Ver-
gleich (Angaben in %)
211
5.14 Signifikante Unterschiede der Handlungsbedingungen zwischen
Frauen und Männern (Mann-Whitney-U-Test)
216
5.15 Korrelationen (Spearman-Rho) der Sturzerfahrung mit Items des Fra-
gebogens zum Sicherheitsverhalten
218
5.16 Signifikante Unterschiede im Sicherheitsverhalten zwischen den drei
Sturzgruppen (Kruskal-Wallis-H-Test)
220
5.17 Signifikante Unterschiede im Sicherheitsverhalten zwischen Frauen
und Männern (Mann-Whitney-U-Test)
221
5.18 Signifikante Unterschiede im Sicherheitsverhalten zwischen den drei
Altersgruppen (Kruskal-Wallis-H-Test)
222
5.19 Übersicht über die Fehlerscores für Nicht-Gestürzte (NG) und Ge-
stürzte (G), Frauen (Fr) und Männer (Mä) und die drei Altersgruppen
(Angaben in %)
224
5.20 Ergebnisse der Gruppenvergleiche im Hinblick auf die Fehlerscores
228
5.21 Korrelationen (Spearman-Rho) der Sturzerfahrung mit Items des
Fragebogens zu Fehlern und Missgeschicken
229
5.22 Signifikante Unterschiede bei Fehlern und Missgeschicken zwischen
den drei Sturzgruppen (Kruskal-Wallis-H-Test)
230
5.23 Signifikante Unterschiede bei den Fehlern und Missgeschicken zwi-
schen Frauen und Männern (Mann-Whitney-U-Test)
231
5.24 Übersicht Items mit sehr geringer und sehr hoher Anzahl der fehlen-
den Werte im Fragebogenteil zu Fehlern und Missgeschicken (n=228)
242

Tabellenverzeichnis
12
5.25 Alternative Itemformulierungen und ­konzeptionen für eine Überarbei-
tung des Fragebogenteils zu Fehlern und Missgeschicken
243
5.26 Prozentuale Antworthäufigkeiten des Items ,,Ich verzichte auf sportli-
che Aktivitäten, weil ich sie mir nicht zutraue." in Abhängigkeit von der
Nutzung kommerzieller Sportangebote (n=185) und der Sturzerfah-
rung (n=218)
244
Tabelle Kapitel 6
6
Eingesetzte Beschreibungseinheiten der Bewegungsausführung und
­kontrolle der Gehbewegung
253

Einleitung
13
1 Einleitung
Im gesamten Lebenslauf stellt die Bewegung einen zentralen Zugang zu
der Erschließung von Handlungs-, Entwicklungs- und Lebensräumen dar. Als
Kinder eignen wir uns unsere räumliche Umwelt über unsere Bewegungen an,
wir be"greifen" Gegenständliches und erweitern unseren Erfahrungshorizont
,,Schritt für Schritt". Wir erlernen den aufrechten Gang bis wir uns schließlich
sicher durchs Leben bewegen. Mit zunehmendem Alter scheint unser Körper
seine Beweglichkeit zu verlieren und unseren Bewegungsradius (wieder) einzu-
schränken. Gehen damit auch Reduktionen des Handlungs-, Entwicklungs- und
Lebensraumes einher?
Stellt die nachlassende motorische Kompetenz ein wenig zu beeinflus-
sendes Risiko dar oder wird die Bewegung im Alter zur Chance für ein erfolg-
reiches und zufriedenes Altern? Wie managen Seniorinnen und Senioren ihre
Bewegungssicherheit?
Laut Unfallstatistiken sind knapp 70 % aller schwerwiegenden Unfälle der
Altersgruppe ab 65 Jahren auf einen Sturz zurückzuführen (vgl. BauA, 2002).
Stürze sind die siebthäufigste Todesursache insgesamt bei Personen über 65
Jahren und die häufigste nicht-natürliche Todesursache (Specht-Leible, Hauer,
Oster & Schlierf, 1997).
Degenerative Alterserscheinungen, ein damit einhergehender unsicherer
Gang und Gleichgewichtsstörungen sowie chronische Erkrankungen und ,,weib-
liches Geschlecht" erhöhen das statistische Sturzrisiko (Wyman, 1992). Ge-
sundheitliche Schädigungen, die als Folge von Stürzen entstehen, erfordern
nicht nur kostenintensive medizinische Behandlungen sondern bringen zudem
erhebliche psychosoziale Beeinträchtigungen mit sich. So wird ein Sturz häufig
auch zum Ausgangspunkt gravierender Änderungen einer selbständigen Le-
bensführung, indem in seiner Folge Betreuung und Hilfeleistungen notwendig
werden. Sturzgefährdung ist eine zentrale Begründung für die Aufnahme in ein
Altenheim.
Wie nehmen Ältere dieses Risiko wahr? Welche Konsequenzen hat es für
ihr Bewegungsverhalten?

Einleitung
14
In zahlreichen Studien wird ,,Angst vorm Fallen" (,,fear of falling") als wich-
tiger Einflussfaktor des individuellen Bewegungsverhaltens und des Ausmaßes
körperlicher Tätigkeiten genannt (vgl. Cumming, Salkeld, Thomas & Szonyi,
2000; Franzoni, Rozzini, Bofelli, Frisoni & Trabucchi, 1994; Freiberger, 1998;
Lachmann et al., 1998). Für die durch einen Sturz betroffenen Seniorinnen und
Senioren entsteht ein Teufelskreis aus erhöhter Angst, erneut zu stürzen, ver-
mindertem Selbstvertrauen, verringerter körperlicher Aktivität und einer deutlich
erhöhten Wahrscheinlichkeit eines neuerlichen Sturzes (vgl. u.a. Berg, Alessio,
Mills & Tong, 1997; Meier-Baumgartner & Nikolaus, 1999; Rose & Clark, 2000).
Bewegungsprogramme zur Förderung der koordinativen und konditionel-
len Fähigkeiten könnten helfen diesen Teufelskreis zu durchbrechen (vgl.
Daugs, Emrich, Igel & Kindermann, 2001; Huber, 1997). Die biopsychosozialen
Möglichkeiten, die Bewegung und Sport im Alter bieten, spiegeln sich jedoch
derzeit generell nicht in der Nachfrage von Sportangeboten durch Ältere wider.
Zwischen sechs und zehn Prozent der über 65jährigen betreiben regelmäßig
Sport (vgl. BMFSFJ, 1997; DSB, 2001). Die Gründe für eine sportliche Nichtbe-
tätigung sind vielfältig und reichen von konkreten Barrieren der Vorsatzrealisie-
rung, wie z.B. fehlenden Angeboten in Wohnnähe über eine prinzipielle Ableh-
nung von Vereinsmitgliedschaften bis hin zu anderen Interessen (vgl. Allmer,
1986; Lehr & Jüchtern 1997). Als Sportwissenschaftler/innen stehen wir vor ei-
nem scheinbaren Dilemma: Warum können wir die Zielgruppe der Älteren, für
die gezielte Bewegungsaktivitäten so wichtig wären, mit unseren Sportangebo-
ten nicht erreichen?
Welche Bedeutung haben Bewegungs- und Sportaktivitäten für Seniorin-
nen und Senioren überhaupt?
Wirft man einen Blick auf die Bewegungsbiografien der ,,heutigen Alten",
stellt man fest, dass die Möglichkeiten Sport auszuüben und vielfältige Bewe-
gungserfahrungen zu sammeln über weite Teile ihres Lebens durch sozio-
historische Rahmenbedingungen reduziert waren. Für die Frauen der betreffen-
den Kohorten erwiesen sich zudem die Zugänge zu Sport- und Bewegungsan-
geboten aus sozio-kulturellen Gründen als eingeschränkt gegenüber den Mög-
lichkeiten gleichaltriger Männer (Diketmüller, 2001; Lehr & Jüchtern, 1997).

Einleitung
15
Wie beurteilen Seniorinnen ihre Bewegungsbiografie? Welche Erfahrun-
gen haben sie im Laufe des Älterwerdens mit ihrer Beweglichkeit gemacht? Wie
erleben sie ihre Altersveränderungen?
Altersspezifische Veränderungen des Gangmusters und seine bedingen-
den Faktoren, wie Kraftparameter und Gleichgewichtsfähigkeit finden beson-
ders innerhalb der Biomechanik Berücksichtigung bei der Erforschung von
Sturzursachen (Gehlsen et al., 1990; Lee & Kerrigan, 1999; Lichtenstein et al.,
1990; Martin & Grabiner, 1999; Wolf & Gregor, 1999).
Dabei führt ein veränder-
tes Gangmuster nicht notwendigerweise zu einer Zunahme an Stürzen. Viele
Seniorinnen und Senioren verändern ihr Gangbild deshalb, weil sie sich ­ intui-
tiv oder intentional ­ um mehr Sicherheit bemühen. Die Veränderung des Be-
wegungsverhaltens vollzieht sich vor dem Hintergrund lebenslanger individuel-
ler Bewegungserfahrungen und erworbener, ,,naiver" Strategien zur Sturzpro-
phylaxe (vgl. Bloem, Visser & Carpenter, 2001).
Die Vernachlässigung solch individueller Strategien mag eine Ursache da-
für sein, dass die Effekte von Trainingsmaßnahmen und deren genaue Wir-
kungsweisen im Hinblick auf eine Sturzprophylaxe bislang umstritten sind. ,,Al-
though commonly suggested, the influence of exercise on the incidence of fal-
ling by older adults has not been convincingly demonstrated" (Owings
,
Pavol,
Foley, P.C. Grabiner & D.M. Grabiner, 1999, p. 60).
Aufschlussreicher scheint demnach die Untersuchung der individuellen
Gefährdung zu sein. ,,Therefore, it seems reasonable that the more important
issue facing biomedical science is not falls per se, but rather, how to identify
individuals at risk for injurious falls" (Owings et al., 1999, p. 60). Die spezifische
Gefährdung einer Person liegt jedoch nicht nur in ihren Eigenschaften oder Fä-
higkeiten begründet, sondern besonders in ihrem Umgang mit diesen Voraus-
setzungen und dem resultierenden konkreten Handlungsvollzug.
Als Gerontologinnen und Gerontologen wissen wir um die
Entwicklungspotenziale des Alters. Welche Strategien haben Ältere im Umgang
mit Alterseinschränkungen entwickelt? Welche Sicherheitsmaßnahmen
ergreifen sie? Wie behelfen sie sich selber?

Einleitung
16
Welche Erkenntnisse aus der Unfall- und Sicherheitspsychologie können
zu einem Verständnis des Phänomens Bewegung und Sicherheit im Alter bei-
tragen?
Ein Unfallgeschehen stellt unzweifelhaft eine komplexe Handlungssituati-
on dar (vgl. Hoyos, 1980, 1987; Hoyos & Zimolong, 1988). ,,Basisdaten für eine
differenzierte Analyse und Bestimmung von Unfallursachen ­ und damit für die
Ableitung präventiver Maßnahmen ­ sind deshalb Fehler, kritische Situationen
und bereits geschehene Unfälle." (Wenniger, 1992, S. 152).
Zur Analyse des Verhaltens in kritischen Situationen bedarf es der ver-
stärkten Berücksichtigung der inneren Sichtweise der handelnden Personen,
ihrer
subjektiven Theorien und Binnenlogiken in Bezug auf die sie umgebende
Umwelt und die eigene Person (vgl. Filipp, Ferrig & Klauer, 1989; Kaiser,
1992a, 1992b; König, 1992; Pache, 2001; Perrig-Chiello
,
Perrig, Stähelin & Ehr-
sam, 1997).
Der Bewegung kommt in der Auseinandersetzung mit der Umwelt eine
zentrale Bedeutung zu. So schätzen ältere Menschen ihren allgemeinen Ge-
sundheitszustand oftmals danach ein, wie gut sie (noch) in der Lage sind, ge-
wohnte Bewegungsaktivitäten, wie z.B. Einkäufe zu Fuß, längere Spaziergänge
oder Treppensteigen, auszuüben (vgl. Wyman, 1992). Die körperliche Leis-
tungsfähigkeit lässt dabei, anders als die kognitive Leistungsfähigkeit, wenig
subjektive Überschätzung eigener Fähigkeiten und Fertigkeiten zu. ,,'Optimisti-
sche Verzerrungen' des eigenen Alters sind im körperlichen Bereich wohl am
schwierigsten aufrechtzuerhalten" (Filipp et al. 1989, S. 299). Eine Überschät-
zung eigener Fähigkeiten als Unfallursache wäre demzufolge im Alter eher un-
wahrscheinlich.
Zusätzlich zur Selbsteinschätzung sind zweifelsohne die Beschaffenheit
der Umgebung und ihre Gestaltung von großer Bedeutung für die Unfallprophy-
laxe. Räumliche und technische Sicherheitsvorkehrungen haben einen großen
Anteil an der Bewegungssicherheit im Alter. Im Haushalt können beispielsweise
das Entfernen von losen Teppichen (zur Minderung der Stolpergefahr), das An-
bringen von Haltegriffen oder das Benutzen einer Sicherheitstrittleiter schutz-
bringende Maßnahmen sein.

Einleitung
17
Im Bereich der Pflege gibt es eine Fülle von technischen Kompensations-
möglichkeiten, die eine selbständige Lebensführung auch bei stärkerer körperli-
cher Beeinträchtigung (wieder) ermöglichen (vgl. Kruse, 2001). Die Wirksamkeit
dieser Maßnahmen ist jedoch letztlich von psychologischen Faktoren abhängig.
Grundlegende Voraussetzung für das Ergreifen solcher Sicherheitsvorkehrun-
gen ist zunächst das Sich-Eingestehen von Defiziten und deren realistische
Einschätzung. Zur konkreten Vermeidung von Unfällen sind weiter das Infor-
miertsein über mögliche Gefahrenquellen und Protektoren und schließlich deren
Akzeptanz und Nutzung unabdingbar.
Hat sich ein Unfall (trotz aller Sicherheitsvorkehrungen) ereignet, spielen
seine kognitive und emotionale Verarbeitung eine entscheidende Rolle für das
weitere Handeln. ,,Damit spielt das Subjekt als Agent seines Lebens nicht nur
als eingreifend Handelnder (primäre Kontrolle), sondern auch als Definierender,
als Interpretierender eine entscheidende Rolle (sekundäre Kontrolle)" (Ditt-
mann-Kohli, 1989, S. 301).
Welche Ursachen schreiben Ältere ihren Unfällen zu? Nutzen sie Fehler
und Missgeschicke für die Optimierung ihres Sicherheitsmanagements?
Betrachtet man die Angaben Versicherter zu den Ursachen Ihres Unfalls
(vgl. BauA, 1999), so rangieren die Begründungen, die eigenem Fehlverhalten
(z.B. Unkonzentriertheit oder Hast) zuzuschreiben sind, an vorderster Stelle.
Unfälle scheinen damit ­ aus Sicht der Betroffenen - zu einem Großteil durch
eigenes Handeln begünstigt oder gar verursacht (und damit prinzipiell vermeid-
bar).
Der Unfall kann so nicht mehr allein als Störung des Normalablaufs der
Bedingungsfaktoren verstanden werden, sondern muss nun auch aus der
Sicht der Betroffenen als Ergebnis von fehlgeschlagenen Anpassungsver-
suchen, von Fehleinschätzungen, kurz von Fehlhandlungen diskutiert wer-
den. (Rümmele, 1988, S. 16)
Unfälle, ebenso wie Beinaheunfälle und Missgeschicke, führen dazu, dass
eine Person ihr Handeln überdenken muss. Handlungsfehler liefern demnach
möglicherweise wichtige Erkenntnisse über eine bestehende Gefährdung und
könnten somit für ein gezieltes Sicherheitsmanagement genutzt werden.
Nitsch
manifestiert die Vorzüge und die praktische Relevanz einer Fehlerforschung in
drei Punkten.

Einleitung
18
Wir können jedoch (a) die Wahrscheinlichkeit von Fehlern und (b) deren
nachteilige Wirkungen reduzieren sowie (c) unseren (kognitiven, emotiona-
len und sozialen) Umgang mit Fehlern optimieren. (Nitsch, 2000, S. 4)
Innerhalb der Sportwissenschaft hat sich die Analyse von Fehlern bereits
als gewinnbringend erwiesen (vgl. Baumann, 1988; Mehl, 1989, 1993; Munzert,
1996; A.C. Zimmer, 1996). Es ist zu prüfen, ob die Berücksichtigung von Hand-
lungsfehlern einen Beitrag zum Verständnis individuellen bewegungsbezoge-
nen Sicherheitsmanagements im höheren Erwachsenenalter leisten kann. Eine
damit verbundene Kennzeichnung biopsychosozialer Einflussfaktoren der
Sturzgefährdung würde neue Möglichkeiten der Erforschung und Prävention
von ,,Bewegungsunfällen" im Alter eröffnen.
Die Einflussnahme auf das Bewusstsein über Sicherheit und Kontrollmög-
lichkeiten, die pädagogische Endung des Themas also, ist ein ausgespro-
chen vernachlässigtes Gebiet. Pionierarbeit ist gefragt. (Kaiser, 2000, S.
435)
Die Auseinandersetzung mit dem aktuellen Forschungsstand zu Bewe-
gungs- und Sportaktivitäten im Alter, den Motiven und Barrieren der sporttrei-
benden Seniorinnen und Senioren, den Funktionen von Bewegung und Sport
und der Bedeutung von Sport- und Bewegungsbiografien, bildet die Grundlage
für eine Betrachtung der Risiken und Chancen, die mit dem Sport im Alter ver-
bunden sind (Kap. 2).
Unfälle und Stürze, sowie eine Analyse von Sturzursachen und die Verän-
derung der Gehbewegung im Alter dokumentieren das Risiko der Bewegung.
Forschungsergebnisse und Ansätze zu den Chancen gezielter Bewe-
gungs- und Sportaktivitäten im Alter werden unter den Begriffen ,,Aktivität" und
,,Mobilität" vorgestellt und kommentiert. Die Diskussion um die ,,motorische
Kompetenz" zeigt, wie disziplinspezifische Sichtweisen interdisziplinäre For-
schung behindern können und wie richtungsweisend die Präzisierung von Kon-
strukten ist.
Mit der Konzeption des bewegungsbezogenen Sicherheitsmanagements
wird eine theoretische Ausgangsposition gewählt, die (Bewegungs-) Handlun-
gen in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses stellt (Kap. 3). Damit werden
einerseits defizitäre Forschungsperspektiven des altersspezifischen Verhaltens
überwunden und andererseits Möglichkeiten der Integration von Forschungser-

Einleitung
19
gebnissen aus unterschiedlichen Disziplinen, wie der Unfall- und Sicherheits-
psychologie oder der Gerontologie gegeben, die die Diskussion um die Bewe-
gungssicherheit im Alter in vielerlei Hinsicht bereichern.
Die kritische Betrachtung des Forschungsstands und die theoretische
Verortung führen zu einem dreischrittigen methodischen Vorgehen.
Eine Interviewstudie zu Bewegungsbiografien älterer Frauen exploriert das
Forschungsfeld Bewegung und Sicherheit im Alter und liefert wichtige Hinweise
zu einer Anamnese der individuellen bewegungsbezogenen, sicherheitsrelevan-
ten Handlungsorientierungen und -strategien und Bewegungsselbstkonzepte
(Kap. 4).
Die Entwicklung eines Fragebogens zum Thema Bewegung und Sicher-
heit konkretisiert und operationalisiert biopsychosoziale Aspekte eines bewe-
gungsbezogenen Sicherheitsmanagements im Alter (Kap. 5). Seine Anwendung
im Rahmen einer Fragebogenstudie mit Seniorinnen und Senioren liefert Einbli-
cke in die Charakteristika bewegungsbezogenen Sicherheitsmanagements von
Gestürzten und Nicht-Gestürzten. Die Berücksichtigung von Fehlhandlungen
eröffnet dabei den Blick auf die Gestaltung von Bewegungsprogrammen zur
Sturzprophylaxe.
Beide methodische Zugangsweisen können als Bausteine eines Bewe-
gungssicherheits-Assessments verstanden werden, das durch den dritten me-
thodischen Schritt, einer experimentellen Studie zur mentalen Repräsentation
der Gehbewegung fortgesetzt und ergänzt wird (Kap. 6).
Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses stehen dabei individuelle Strate-
gien der Bewegungsorganisation im Zuge von Altersveränderungen und damit
Entwicklungspotenziale des Alters.
Die Erkenntnisse der Studien werden schließlich als Folgerungen für ein
bewegungsbezogenes Sicherheitsmanagement im Alter zusammengetragen
und abschließend diskutiert (Kap. 7).

Bewegung als Risiko und Chance
20
2
Bewegung als Risiko und Chance
Den Chancen und Möglichkeiten gezielter Bewegungsaktivitäten im Alter
steht eine geringe Anzahl von Seniorinnen und Senioren gegenüber, die ver-
einsbezogene Sportangebote nutzen. Mitgliedschaften in Sportvereinen werden
von circa acht bis zehn Prozent der über 65-Jährigen wahrgenommen (vgl.
DSB, 2001). Die Zugehörigkeit zu einem Verein stößt bei dieser Altersgruppe
generell eher auf Ablehnung (Statistisches Bundesamt, 2000). Sechs bis acht
Prozent der über 70-Jährigen gaben 1995 an, in ihrer Freizeit zu wandern, zu
schwimmen oder zu turnen bzw. Gymnastik zu betreiben (BMFSFJ, 1997). Ins-
gesamt nimmt das Ausmaß dieser Aktivitäten mit zunehmendem Alter ab. Re-
präsentativen Untersuchungen zufolge sind in der Gruppe der 50- bis 60-
Jährigen zwischen 16 % und 18 % sportlich aktiv, bei den 61- bis 70-Jährigen
13 % und lediglich noch 6 % der über 70-Jährigen. An der Spitze der Sportakti-
vitäten stehen Wandern, Schwimmen, Gymnastik und Kegeln (Pache, 1998).
Auffällig erscheint, dass es sich dabei um Aktivitäten handelt, die weitestgehend
selbst organisiert werden (können). Angaben zu Bewegungsaktivitäten, wie z.B.
Gartenarbeit oder körperlich beanspruchende, handwerkliche Tätigkeiten, sind
in den einschlägigen Statistiken zu Sport- und Freizeitaktivitäten eher selten zu
finden.
Daher bedürfen die Motive, die mit dem Sporttreiben verbunden sind, und
die Barrieren, die einer Ausübung von Bewegungs- und Sportaktivitäten gege-
nüberstehen, ebenso wie die Funktionen, die Sport und Bewegung für die psy-
chosoziale Entwicklung haben können, einer eingehenderen Betrachtung. Das
Risiko, das mit Bewegung im Alter verbunden ist, manifestiert sich in einer mit
zunehmendem Lebensalter steigenden Unfall- und Sturzgefahr. Die Chancen,
die mit gezielten Bewegungsaktivitäten im Alter verbunden sind, zeigen sich in
den positiven Auswirkungen von Aktivität und Mobilität auf den allgemeinen
Gesundheitszustand und das Wohlbefinden. Die Möglichkeiten des Ausgleichs
altersbedingter motorischer Defizite und die Erhaltung der ,,Funktionsfähigkeit"
im Alter werden in der Fachliteratur vorrangig unter dem Begriff der motorischen
Kompetenz untersucht und erörtert.

Bewegung als Risiko und Chance
21
2.1
Bewegungs- und Sportaktivitäten im Alter
Es gibt bislang innerhalb der sportwissenschaftlichen Forschung zu Be-
wegungs- und Sportaktivitäten im Alter keine einheitliche Lösung für die Erhe-
bung relevanter Aktivitäten im Alter. Das betrifft zum einen die Definition der
verwendeten Begriffe und zum anderen ihre Operationalisierung. So wird bei-
spielsweise der Begriff ,,Sportaktivität" als Sammelbegriff für so unterschiedliche
Aktivitäten wie Wandern, Spazieren gehen und Kegeln, aber auch Schwimmen
oder Gymnastik angewandt. So verwendet fallen unter diesen Begriff Aktivitäten
im Sinne der Ausübung normierter Sportarten (z.B. bei ,,Seniorensportler" im
Tennis oder in der Leichtathletik) ebenso wie die morgendliche Gymnastik nach
dem Aufstehen oder auch das ,,Fahrradfahren" auf dem Heimtrainer. Die Krite-
rien, wann eine Person als ,,sportlich aktiv" eingestuft wird, sind zumeist unter-
schiedlich, was die Vergleichbarkeit der Studien untereinander erschwert.
Im deutschsprachigen Raum wird in der Mehrzahl keine strikte Differenzie-
rung der Begriffe sportliche Aktivität, bzw. Sport- und Bewegungsaktivität vor-
genommen, was in empirischen Untersuchungen einerseits die Erhebung der
Aktivitäten und andererseits deren Interpretation erschwert (vgl. Eichberg &
Schulte, 1999). Die Operationalisierung der Sportaktivitäten erfolgt in der Regel
über die Festlegung ihrer Häufigkeit(en). Die Intensität wird weniger berücksich-
tigt. Häufig fallen unter die Bezeichnung ,,sportlich aktiv" alle Personen, die min-
destens einmal in der Woche aktiv sind, ohne dass eine weitere Differenzierung
vorgenommen wird. Im Extremfall wäre so eine Person, die einmal pro Woche
einen 30-minütigen Spaziergang macht, ebenso ,,sportlich aktiv" wie eine Per-
son, die zweimal in der Woche ins Fitnessstudio geht oder gar viermal in der
Woche für 45 Minuten joggt. Zumeist wird diese Problematik dadurch umgan-
gen, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Gymnastikgruppen bzw.
Sportgruppen für Untersuchungen herangezogen werden und mit Seniorinnen
und Senioren verglichen werden, die sich keiner Sportgruppe angeschlossen
haben.
Der Einsatz von Verfahren aus der Gerontologie zur Erhebung der Bewe-
gungsaktivitäten, wie beispielsweise die ADL-Skala (,,Activities of Daily Living"),
die Aktivitäten erfasst, die die Aufrechterhaltung der Selbstversorgung gewähr-
leisten (wie Körperpflege oder die Zubereitung von Mahlzeiten), bringt das

Bewegung als Risiko und Chance
22
Problem mit sich, dass diese Verfahren in erster Linie für eine klinische Popula-
tion entwickelt wurden. Die Aktivitäten von nicht-pflegebedürftigen, wenig be-
wegungseingeschränkten und mobilen Seniorinnen und Senioren lassen sich
damit nur ungenügend abbilden.
Eine Erhebung von sportlichen Aktivitäten im Alter sollte erstens die inhalt-
liche Unterscheidung zwischen Bewegungs- und Sportaktivitäten ermöglichen,
zweitens das Ausmaß der Aktivität einschätzen helfen und drittens unterschied-
liche Organisationsformen (Verein, kommerzielle Anbieter, selbst organisierbar)
berücksichtigen. Die Gruppe der Älteren ist zudem so heterogen, dass in Unter-
suchungen zur Bewegungs- und Sportaktivität darüber hinaus Einschränkungen
im Hinblick auf die verfolgte Fragestellung und die in Aussicht genommene
Zielgruppe wünschenswert wären.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass einer Fülle von Instrumenta-
rien im angloamerikanischen Sprachraum (Übersicht bei Kriska & Caspersen,
1997) nur wenige deutschsprachige Instrumentarien, wie beispielsweise der
,,Freiburger Fragebogen zu körperlichen Aktivität" (Frey, Berg, Grathwohl &
Keul, 1999) gegenüberstehen. Entsprechend verhält es sich mit den Arbeiten
zur Entwicklung und Validierung der Verfahren.
Die Suche nach den Ursachen der Sportaktivität oder Sportabstinenz Älte-
rer lenkt den Blick einerseits auf Motive der Sporttreibenden, andererseits auf
Barrieren, die der Ausübung sportlicher Aktivitäten im Wege stehen. Die Funkti-
onen der Bewegung für den einzelnen sind Grundlage für eine Entscheidung für
die Handlungsalternative Sport. Die individuelle Bedeutungszuschreibung kör-
perlicher Aktivität im Alter wird erst auf der Grundlage der individuellen Sport-
bzw. Bewegungsbiografie nachvollziehbar.
2.1.1 Motive und Barrieren
Als Motive für eine sportliche Betätigung im Alter werden innerhalb der
Fachliteratur in erster Linie Gesundheit, körperliche Fitness und Beweglichkeit
sowie Geselligkeit, Leistung und Spaß benannt. Der methodische Zugang zu
den Motiven erfolgt vorwiegend über standardisierte Befragungen der Seniorin-
nen und Senioren (wie z.B. bei Denk & Pache, 1996, 1997), seltener über Inter-

Bewegung als Risiko und Chance
23
viewdaten (wie z.B. bei Allmer, 1986; 1990; Brehm, 1992). Hinsichtlich der
Rangfolge der Beweggründe für das Sporttreiben im Alter herrscht Überein-
stimmung darüber, dass Gesundheit und Wohlbefinden eine führende Position
einnehmen.
Weniger einheitlich sind die Befunde hinsichtlich der anderen Begründun-
gen der sportlichen Aktivität, da sich die Untersuchungen in der Anzahl der
erfragten Begründungen unterscheiden und bedeutsame Einflussgrößen
wie bisherige Sporterfahrung, Art und Intensität der sportlichen Aktivität
(z.B. gewählte Sportart, zeitliches Engagement) oder die bevorzugte Orga-
nisationsform (Verein, Seniorensportkurs, Selbstorganisation) nicht in ver-
gleichbarer Weise berücksichtigt wurden. (Allmer, 1996, S. 11)
Erschwert wird die Suche nach Beweggründen durch die Tatsache, dass
zumeist nicht ein Motiv, sondern ein Bündel von Motiven wirksam wird, das sich
zudem über die Zeit verändert. Als problematisch erweist sich auch der Um-
stand, dass individuelle Präferenzen eher auf unbewussten, emotionalen Pro-
zessen als auf rationalen Überlegungen basieren (vgl. Pfister, 1996). Durch ei-
ne standardisierte Befragung können stets nur die Beweggründe erfasst wer-
den, die kognitiv repräsentiert und damit bewusst und sprachlich zugänglich
sind.
Allmer (1996) setzt sich mit der ,,Handlungswirksamkeit" der einschlägig
erhobenen Motive für das Sporttreiben im Alter auseinander. Er weist darauf
hin, dass die Klärung der Motive allein noch keinen Aufschluss darüber erlaubt,
unter welchen Bedingungen sportliche Aktivitäten tatsächlich aufgenommen
bzw. unterlassen werden. So werde das Motiv Gesundheit erst dann ,,hand-
lungswirksam", wenn gesundheitliche Beeinträchtigungen verspürt werden und
nicht mehr tolerierbare Veränderungen eintreten. Zu solchen deutlichen Verän-
derungen zählt Allmer (1996) Beeinträchtigungen des Bewegungsverhaltens
und des physischen Wohlbefindens, wahrgenommene soziale Veränderungen,
Veränderungen der bisherigen Strukturierung des Tages- und Wochenablaufs
und Veränderungen des Selbstwertgefühls. Aus diesen Überlegungen resultie-
ren zwei Vorbedingungen sportlicher Aktivität im Alter, erstens die der Kontrol-
lierbarkeit, d.h. der subjektiven Überzeugung, bestimmte Ziele mit sportlicher
Aktivität verwirklichen zu können, und zweitens die des Informiertseins über
diese Zusammenhänge, d.h. des Wissens um die Möglichkeiten der gezielten
Bewegung.

Bewegung als Risiko und Chance
24
Konsequenzen aus der bisherigen Forschung ergeben sich nach Ansicht
Allmers (2001) zum einen in der notwendigen Verschiebung der motivations-
psychologischen Fragestellung nach Motiven hin zu der Frage nach der Hand-
lungswirksamkeit und damit zu den Intentionen des sportlichen Handelns. Zum
anderen müsse dem Prozesscharakter des Sporttreibens, und damit der Mög-
lichkeit sich wandelnder Motive (auch) im Alter Rechnung getragen werden.
Damit lösten Überlegungen zu der Herausbildung sportbezogener Handlungsin-
tentionen und deren Realisierung bisherige Zustandsuntersuchungen ab. Es
sind dann beispielsweise Bedingungen für die Initiierung und Realisierung
sportbezogener Intentionen zu untersuchen. Dieser Ansatz hat den Vorteil,
dass er sportliche Inaktivität ebenso wie Aktivität abbilden kann.
Zu Barrieren sportlicher Aktivität im Alter liegen vergleichsweise weniger
Untersuchungen vor. Zumeist setzten sich diese mit den Gründen für einen
Verzicht auf Sportaktivitäten aus der Sicht sportlich inaktiver Seniorinnen und
Senioren auseinander. Sportliche Inaktivität Älterer ist oftmals eine Folge der
Überzeugung, dass der Alterungsprozess durch eigenes Zutun nicht merklich
zu beeinflussen sei. Ältere Menschen sehen in der sportlichen Aktivität kein Mit-
tel zur Intentionsrealisierung, weil soziale Ängste sie behindern, sie befürchten
durch sportliche Aktivität unnötig Kräfte zu verbrauchen oder sie sportliche Akti-
vität als zu anstrengend empfinden (Allmer, 1992).
Brehm (1992) folgert aus der Analyse von Interviews mit Seniorinnen,
dass einer ,,Beteiligung an körperlicher Aktivität" alterstypische psychische Bar-
rieren wie Defizit-Vorstellungen, wahrgenommene Beschwerden und Bewe-
gungseinschränkungen, Ängste, fehlende Handlungsorientierungen und geringe
Selbstmotivation entgegenstehen (Brehm, 1992, S. 166). Als Ängste führt er
vorwiegend soziale Ängste wie Scheu, ,,Kontakt zu einer unbekannten Gruppe
und zu fremden Menschen" und Hemmungen, die eigene, als problematisch
empfundene Körperlichkeit zu präsentieren, an (Brehm, 1992, S. 156).
Neben Barrieren, die eher in der Person des Sporttreibenden liegen, las-
sen sich Aspekte ausmachen, die das konkrete Sportsetting, d.h. die ökologi-
schen Bedingungen betreffen. Dazu gehören zu lange Anfahrtswege zur in
Aussicht genommenen Sportstätte, ungünstige Tageszeiten (z.B. zu früh am
Tag oder abends, wenn es bereits dunkel ist), schmutzige Turnhallen,

Bewegung als Risiko und Chance
25
Schwimmbäder, die eine zu niedrige Wassertemperatur haben oder ver-
gleichsweise hohe finanzielle Aufwendungen (Teilnahmegebühren, Trainer-
stunden, Platzmiete, Vereinsgebühren, Kleidung, Ausrüstung usw.).
Weitere Barrieren liegen darüber hinaus im Bild der Älteren in unserer Ge-
sellschaft (vgl. Beckers & Mayer, 1991; Lehr & Niederfranke, 1991; Vertinsky,
1995), indem das Alter vielfach als ,,Ruhestand" aufgefasst wird und Sport und
Sportlichkeit als Kennzeichen und ,,Vorrecht" der Jugend verstanden werden.
Häufig werden in der Literatur auch fehlende Erfahrungen mit Sport und Bewe-
gung im gesamten Lebenslauf der heutigen Alten, d.h. der Geburtsjahrgänge ab
ca. 1920 und älter, für ein geringes Sportengagement verantwortlich gemacht
(Lehr & Jüchtern, 1997).
Another very important barrier is the individual's "sport biography", which is
characterised by lack of experience in the vast majority of the older genera-
tion of today. In the group of women, 75 years and over, there were no
great opportunities to participate in sport during their school-age and ado-
lescence. (Lehr & Jüchtern, 1997, p. 27)
Aus dieser Beobachtung ist jedoch nicht zwingend zu folgern, dass die
betreffenden Geburtsjahrgänge weniger körperlich aktiv waren, denn die Tätig-
keiten und Verrichtungen in Beruf und Haushalt oder die Fortbewegung (z.B.
Schulwege zu Fuß statt mit dem Auto) waren damals mit einem weitaus höhe-
ren Maß an Bewegung verbunden.
Insgesamt handelt es sich bei der Diskussion um Barrieren, die der Aus-
übung von Bewegungs- und Sportaktivitäten im Wege stehen, vorwiegend um
die Auseinandersetzung mit Begründungen für die fehlende Teilnahme an Be-
wegungs- und Sportangeboten. Eine Tatsache, die besonders aus dem Interes-
se der Sportlehrer und Übungsleiter an der Zielgruppe der Älteren zu erklären
ist und vor diesem Hintergrund zweifelsohne zu befürworten ist. Es geraten
damit jedoch Barrieren aus dem Blick, die sich auf psychophysiologische As-
pekte beziehen, wie beispielsweise depressive Verstimmungen oder Schmer-
zen.
2.1.2 Funktionen von Bewegung und Sport
Der subjektiven Bedeutung von Bewegung und Sport für den Einzelnen
lässt sich mit der Analyse von Sinnorientierungen Sporttreibender und der Be-

Bewegung als Risiko und Chance
26
trachtung unterschiedlicher Funktionen von Bewegung näher kommen. Es kann
zwischen übergeordneten Konzepten zu Sinnbezirken im Sport allgemein (vgl.
Gruppe, 1976; Kurz, 1986, 1988) und altersgebundenen Übersichten (Brehm,
1992; Philippi-Eisenburger, 1990; R. Zimmer, 1993; Zukowska, 1991) unter-
schieden werden. Die nachstehende Tabelle 2.1 gibt einen Überblick über Ein-
teilungen zu Sinnorientierungen und Werthierarchien von Bewegungs- und
Sportaktivitäten.
Tabelle 2.1. Überblick über Sinnorientierungen und Werthierarchien der Bewegungs-
und Sportaktivität.
Grundlegende
Fragestellung
Konzeption
(Autor/in)
Inhaltliche Aspekte der Konzeption
Was suchen
Menschen im
Sport?
,,Sinnbezirke"
(Kurz, 1988, S.
127)
1. Körperlichkeit, Fitness, Gesundheit
2. Eindruck, Erlebnis, Sensation
3. Ausdruck, Ästhetik, Gestaltung
4. Leistung, Aktivierung, Selbstbewusstsein
5. Spannung, Dramatik, Abenteuer
6. Miteinander, Geselligkeit, Gemeinschaft
Welche Sinner-
fahrungen er-
möglichen sport-
liche Aktivität
und Bewegung
Älteren?
,,Sinnerfahrungen"
(Leye, 1996, S.
65f; in Anlehnung
an Kurz, 1986;
Grupe, 1976)
1. Die Beziehung zu anderen Menschen
2. Körperlichkeit
3. Fitness
4. Wohlbefinden,
Gesundheit
5. Aktivierung, Leistung, Selbstbewusstsein
6. Spannung, Erregung, Abenteuer
7. Beziehung zur Natur
8. Das
Spielmotiv
Welchen Sinn
sehen ältere
Menschen in der
Ausübung von
Sport?
,,Sinnorientierun-
gen der körperli-
chen Aktivierung"
(Brehm, 1992, S.
163)
·
Gesundheit
·
Geselligkeit
·
Leistung
·
Figur und Aussehen
·
Exploration und Körpererfahrung
·
Präsentation und Selbstdarstellung
Welche Werte
realisieren Ältere
im Sport?
,,Werthierarchie"
(Zukowska, 1990,
S. 35)
1. Gesundheitliche
Werte
2. Soziozentrische
Werte
3. Emotionale
Werte
4. Ästhetische
Werte
5. Intellektuelle
Werte
6. Annehmlichkeitswerte
7. Prestigewerte
8. Vervollkommnungswerte
In der Übersicht sind bewusst unterschiedliche Konzeptionen zusammen-
getragen worden. Die linke Spalte, in der die grundlegende Fragestellung for-
muliert ist, verdeutlicht bereits die Spannbreite der unterschiedlichen Zugangs-
weisen.

Bewegung als Risiko und Chance
27
Für Kurz (1988) erfüllt der Sport eher kompensatorische Funktionen, in-
dem er es ermöglicht, Defizite der gesellschaftlichen Lebensbedingungen aus-
zugleichen. Der Sport wird somit zur ,,humanen Notwendigkeit".
Leye (1996) bezeichnet die von ihr benannten ,,subjektiven Bedeutungs-
zuweisungen" als mögliche Erfahrungen in der Bewältigung ,,alternsspezifischer
belastender Situationen". Sie sind im ,,überdauernden Sinn", d.h. als ,,Lebens-
sinn" zu verstehen.
Brehm (1992) versteht die von ihm formulierten Sinnorientierungen als
Handlungsorientierungen und damit als kognitive Konstrukte und Teil subjekti-
ver Theorien, die als Handlungsanreize oder Handlungsmotive wirksam werden
können.
Nach Zukowska (1990) können älter werdende Menschen ihr ,,Bedürfnis
nach Selbstrealisierung" im Sport verwirklichen. Vor dem Hintergrund spezifi-
scher Motive ergibt sich folglich eine Hierarchie der Werte für physische und
psychische Aktivität.
Zusammenfassend lässt sich kritisch anmerken, dass in den oben ge-
nannten Beiträgen methodische Zugangsweisen zur Erhebung der jeweiligen
Aspekte ebenso wenig diskutiert werden, wie ein präzises Begriffsverständnis
von ,,Sinnbezirk", ,,Sinnerfahrung", ,,Sinnorientierung" oder ,,Wert", noch wird das
Aufstellen von Hierarchien problematisiert.
Eine empirische Analyse des Phänomens der Bewegungs- und Sportakti-
vitäten im Alter verlangt eine Präzisierung der Fragestellung und eine Systema-
tisierung der zu untersuchenden Aspekte im Hinblick auf
· ihre theoretische Verortung,
· ihre begriffliche Präzisierung,
· ihre Operationalisierung und
· ihre Relativierung, d.h. die Einschränkung ihres Gültigkeitsbereichs.
Ausgangspunkt einer Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Bewe-
gungs- und Sportaktivitäten im Alter muss zunächst die Klärung des Verständ-
nisses von Bewegung, Sport, Bewegungs- und Sportaktivitäten sein. Das bein-
haltet die Klärung des wissenschaftlichen Hintergrunds ebenso wie die Erörte-
rung des Alltagsverständnisses. Daraufhin hat eine begriffliche Präzisierung zu

Bewegung als Risiko und Chance
28
erfolgen; werden beispielsweise Beweggründe (bewusst?), Motive (unbe-
wusst?) oder Motivationen betrachtet? Metaanalysen (Schick, 1998) machen
die Bandbreite der unterschiedlichen empirischen Zugänge zur ,,Motivation Älte-
rer zu Bewegungs- und Sportaktivitäten" deutlich.
Die von den Seniorinnen und Senioren geäußerten Gründe für eine sport-
liche Betätigung im Alter werden in der Literatur vorwiegend als ,,Motive" be-
zeichnet, es stellt sich jedoch die Frage, ob es sich bei den angegebenen ,,Mo-
tiven" weniger um solcherlei dispositionelle Beweggründe (im Sinne von
,,needs") sondern eher um persönliche Anliegen (Spaß), angestrebte Ziele (Ge-
sundheit) oder zuweilen sogar propagierte Konstrukte (Fitness) handelt. Inte-
ressant wird die Gegenüberstellung von (Sport-)Angebot und individuellen Be-
dürfnissen dann, wenn man ihre Beziehung als dynamische Wechselwirkung
versteht. Den Gegebenheiten des Bereichs Sport mit seinen Zielen, Inhalten
und Angebotsformen steht dann das Individuum mit seinen spezifischen Moti-
ven, Interessen, Einstellungen und Werten gegenüber (vgl. Abbildung 2.1).
Variabler Überschneidungsbereich von
Sportangebot und Anliegen des Individuums
Sport
Ziele
Inhalte
Angebotsformen
Individuum
Motive
Interessen
Einstellungen
Werte
Wahr-
genommene
Funktionen
Anforderungen
Fähigkeiten
Abbildung 2.1. Dynamische Sicht des Handlungsraums individueller sportlicher
Aktivitäten.

Bewegung als Risiko und Chance
29
Gemäß dieser Vorstellung wird das Ausmaß der sportlichen Aktivität eines
Individuums davon abhängig sein, inwieweit es seine Anliegen im und mit dem
Sport meint realisieren zu können. Mit dem Sporttreiben verbinden sich folglich
spezifische Funktionen, die durchaus über die vom Individuum antizipierten
Möglichkeiten hinausgehen können. Die Dynamik dieses Handlungsraums wird
deutlich, wenn man berücksichtigt, dass sowohl die Sportangebote als auch das
Individuum einer Entwicklung unterliegen. So können sich im Laufe des Lebens
Überschneidungen unterschiedlichen Ausmaßes ergeben. Die wahr-
genommenen Funktionen des Sports können als Möglichkeiten der Eigenreali-
sation innerhalb der Lebenswelt Sport betrachtet werden.
Entsprechend lässt sich sportliche Inaktivität (auch) dadurch erklären,
dass das Individuum keinen Überschneidungsbereich eigener Interessen, Moti-
ve und Werte mit den Inhalten und Angeboten des Sports sieht. Das ist bei-
spielsweise der Fall, wenn eine Person in ihrer Freizeit lieber singt als Sport
treibt, ausgewogene Ernährung für gesundheitsförderlicher hält als sportliche
Aktivität oder wenn ihr keine Angebote bekannt sind, die ihren Anliegen entge-
genkämen.
Die subjektive Wahrnehmung des Sportangebots lässt Vermutungen über
die dort gestellten Anforderungen entstehen, die mit den bei sich selbst wahr-
genommenen Fähigkeiten abgeglichen werden. Wenn die Anforderungen als
hoch eingestuft werden (,,Da wird 'richtig Sport' gemacht.") und gleichzeitig die
eigenen Fähigkeiten, z.B. aufgrund mangelnder Erfahrungen (,,Ich bin schon
seit Jahren nicht mehr gelaufen.") oder negativer Erlebnisse (,,Ich hatte in der
Schule immer nur eine drei in Sport.") gering geschätzt werden, sinkt die Wahr-
scheinlichkeit, die Teilnahme an einem solchen Sportangebot überhaupt nur in
Erwägung zu ziehen. In der Praxis des Alterssports hat man gute Erfahrungen
mit ,,Schnupperkursen" oder einem ,,Tag der offenen Tür" gemacht. Seniorinnen
und Senioren haben hier die Möglichkeit, sich unverbindlich über ein Sportan-
gebot zu informieren und sogar an einer Probestunde teilzunehmen. Auf diese
Weise können Anforderungen und Fähigkeiten realistisch eingeschätzt und mit-
einander abgestimmt werden.
Funktionen der Bewegung werden im Rahmen der Bewegungserziehung
in ihrer Bedeutung für die kindliche Entwicklung diskutiert (R. Zimmer, 1993).

Bewegung als Risiko und Chance
30
Tabelle 2.2 stellt diesen Funktionen Dimensionen der Bewegung, wie sie von
Philippi-Eisenburger (1990, 1991) innerhalb der Motogeragogik entwickelt wer-
den, gegenüber.
Tabelle 2.2. Überblick über Funktionen und Dimensionen der Bewegungs- und Sport-
aktivität.
Grundlegende
Fragestellung
Konzeption
(Autor/in)
Inhaltliche Aspekte der Konzeption
Welche Funktio-
nen hat die Be-
wegung für die
kindliche Entwick-
lung?
,,Funktionen der
Bewegung"
(R. Zimmer, 1993,
S. 15)
· Personale Funktion
· Soziale Funktion
· Produktive Funktion
· Expressive Funktion
· Impressive Funktion
· Explorative Funktion
· Komparative Funktion
· Adaptive Funktion
Welche Bedeu-
tung hat die Be-
wegung für ältere
Menschen?
,,Dimensionen der
Bewegung" (Philip-
pi-Eisenburger,
1990, S. 13f; in
Anlehnung an
(Grupe, 1976) [hier
paraphrasiert]
· Instrumentelle Dimension der Bewegung/
Erschließung von Lebensbereichen
· Explorativ-erkundende Dimension der
Bewegung/ Erfahrung des Selbst und der
Umwelt
· Soziale Dimension der Bewegung/ Bewe-
gung als Kommunikationsform
· Personale Dimension der Bewegung/
Bewegungs(selbst)erfahrung und ­
verwirklichung
Die Funktionen der Bewegung, wie sie von R. Zimmer (1993) expliziert
werden, können abhängig von den verschiedenen Entwicklungsstufen und Le-
bensabschnitten der kindlichen Entwicklung eine unterschiedliche Gewichtung
erfahren. Die Trennung der einzelnen Aspekte versteht R. Zimmer als analyti-
sche Unterscheidung. In der spezifischen Tätigkeit überlagern und ergänzen
sich die einzelnen Funktionen.
Philippi-Eisenburger (1990) stellt auf der Grundlage der von ihr ausgeführ-
ten Dimensionen Vergleiche zwischen der kindlichen Motorik und der Motorik
im Alter an.
Im Alter verändern sich nicht nur die motorischen Fähigkeiten, die Bewe-
gung erhält auch eine andere Bedeutung. Im Kindesalter explorativ-
erkundender Zugang zur Welt, wird sie im Alter allmählich zu einem der
wichtigsten Mittel zur Erhaltung und Realisierung des selbständigen und
kompetenten Lebens. (Philippi-Eisenburger, 1990, S. 20)
In beiden Ansätzen wird primär der funktionale Aspekt motorischer
Entwicklung hervorgehoben. Diese starke Betonung des funktionalen Aspekts
führt innerhalb der Wissenschaft immer wieder zu einem Vergleich zwischen

Bewegung als Risiko und Chance
31
innerhalb der Wissenschaft immer wieder zu einem Vergleich zwischen Kindheit
und Alter.
Das erschwert die Überwindung der innerhalb der Entwicklungspsycholo-
gie längst zurückgewiesenen Defizitmodelle. So lange das Erwachsenenalter
(oftmals auch unbewusst) als Ausgangspunkt der Forschungsfragen gewählt
wird, stellen sich Fragen wie ,,Was kann das Kind gegenüber dem Erwachsenen
noch nicht?" bzw. ,,Was kann eine Person im hohen Erwachsenenalter gegen-
über einer Person im mittleren Erwachsenenalter nicht mehr?.
Im Bereich der Alternsforschung besteht häufig ein Altersbias zwischen
den jüngeren Forschern und ihrer Zielgruppe der Älteren. Eine vermehrte Be-
fragung Älterer und der Einbezug der ,,Forschungsobjekte" in den Forschungs-
prozess kann zu einer Überwindung dieser Verzerrung beitragen.
Betrachtet man Entwicklung mit Brandtstädter (2001) als ,,intentionale
Selbstentwicklung", ist weniger ein funktionaler Sinn als vielmehr ein reflexiv-
intentionaler Sinn von Aktivitäten anzunehmen. Für das Kindesalter ist nach
Brandtstädter (2001) die funktionale Sichtweise angemessen, da ein Kind seine
Umwelt spielerisch exploriere und kognitive Schemata aufbaue und ausdiffe-
renziere. Damit bewirke es in seiner Aktivität Entwicklungseffekte, die nicht be-
zweckt seien, selbst wenn das Handeln des Kindes intentional sei.
Der erwachsene Mensch hat im Laufe seiner Entwicklung hingegen be-
reits die Fähigkeit erworben, die eigene Person und ihre Entwicklung zu reflek-
tieren und auch die Sichtweisen und Forderungen seiner sozialen Umwelt in
sein Handeln einzubeziehen. Damit gilt für die Beziehung zwischen Handeln
und Entwicklung folgende Bedingungsrelation: ,,Intentionale Aktivitäten und die
ihnen zugrunde liegenden Orientierungen werden zunehmend selbst zum Motor
und Regulativ der persönlichen Entwicklung." (Brandtstädter, 2001, S. 13). Ent-
sprechend dürfte in Hinblick auf Bewegungs- und Sportaktivitäten im Alter we-
niger nach deren Funktion für die motorische Entwicklung im Alter gefragt wer-
den sondern nach ihrem reflexiv-intentionalen Sinn (vgl. auch Allmer, 1996). Zu
einer Analyse des reflexiv-intentionalen Sinns sportlichen Handelns bietet sich
beispielsweise der handlungstheoretische Ansatz des Bewegungs-
selbstkonzepts an (Quinten, 1994).

Bewegung als Risiko und Chance
32
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich das Ausmaß der Bewe-
gungs- und Sportaktivitäten im Alter erst vor dem Hintergrund individueller
Handlungssituationen erschließen lässt. Die Bedeutung der Bewegungs- und
Sportaktivitäten für den Einzelnen wird nur aus der vergangenen und aktuellen
Lebenssituation verständlich. Sie entsteht in Folge individueller Erfahrungen,
Präferenzen und Möglichkeiten als Manifestation intentionaler Selbstent-
wicklung.
2.1.3 Sport- und Bewegungsbiografien
Die Sportbiografie wird zumeist als Sportengagement während des ge-
samten Lebensverlaufs verstanden. Als solche drückt sie sich in Einteilungen
wie z.B. ,,Lebenszeitsportler", ,,Wiedereinsteiger", ,,Umsteiger" ,,Neueinsteiger",
,,Geübter" usw. aus und hat bereits früh Eingang in didaktische Überlegungen
zur Konzeption von Sportangeboten und zur Trainierbarkeit Älterer gefunden
(vgl. Meusel, 1988). Entsprechende Einteilungen haben sich ebenfalls als sinn-
voll für die Typisierung bzw. Einteilung älterer Sporttreibender in empirischen
Untersuchungen erwiesen (vgl. Allmer, 1996; Denk & Pache, 1996).
Unterschiedliche Sportbiografien und Bewegungsbiografien werden vor
dem Hintergrund einer kohortenspezifischen Betrachtung nachvollziehbar. Die-
se erfordert die Auseinandersetzung mit sozio-historischen Bedingungen. Die
Geburtsjahrgänge bis 1936, die in der vorliegenden Untersuchung im Mittel-
punkt stehen, sind mehr oder weniger deutlich von den Kriegsjahren
beeinträchtigt (vgl. Lehr, 1987; Nittel, 1991; Wilken, 1992).
Entsprechende Erlebnisse und psychoökologische Rahmenbedingungen
haben das Sporttreiben im Lebensverlauf beeinflusst und sind bis hinein in die
Sportaktivität im Alter nachweisbar. Positive Bewegungserlebnisse und die Er-
fahrung, im Sport eigene Motive, Interessen und Werte realisieren zu können,
sind begünstigende Voraussetzung für das Sporttreiben im Alter (Lobinger,
1992). Die Berücksichtigung sozio-historischer und soziokultureller Rahmenbe-
dingungen darf jedoch nicht die Selbstverantwortung der Betroffenen außer
Acht lassen. Kohli (1991) sieht das soziale Konstrukt Biografie durch drei wech-
selseitig verschränkte Ebenen konstituiert, die der individuellen Erfahrungen,
die der gesellschaftlichen Strukturen und die der Entscheidungen und Handlun-

Bewegung als Risiko und Chance
33
gen. Die jeweiligen gesellschaftlichen Strukturen schlagen sich immer auch in
geschlechtsspezifischen Besonderheiten und Konstruktionen nieder. Nicht nur,
dass die Zugänge zu sportlicher Aktivität für Frauen und Männer der angespro-
chenen Generationen unterschiedlich waren, auch die Aneignung von ,,Spiel-
und Sportwelten" erfolgt für Jungen und Mädchen, Frauen und Männer in Ab-
hängigkeit von kulturell vorgegebenen Rollen- und Wertvorstellungen (vgl. auch
Pfister, 1998). ,,Additionally traditional sex-roles-expectations contributed to
these differences and to a low degree of physical activity" (Lehr & Jüchtern,
1997, p. 30). Den Zusammenhang von (individuellen) Bewegungserfahrungen
zu geschlechtsspezifischen Bewegungsmustern sehen Blanke, Dormann und
Hügel et al. (1995) in der Tatsache gegeben, dass ,Subjektivität' als ,,Erfahrung
von ,Handeln in Beziehungen'" aufgefasst werden kann und es ein ,,frauen- und
mädchenspezifisches Handeln" auf der überindividuellen Ebene gibt (Blanke et
al., 1995, S. 29).
Frogner (1991) folgert aus der Analyse zahlreicher Sportbiografien, dass
lebenslanger Sport weniger das Ergebnis einer Erziehung zum Sport in Kindheit
und Jugend darstellt, sondern sich eher als "wiederholte Entscheidung für die
Handlungsalternative "Sport" konzipiert" (S. 51). Ähnlich wie bei der Betrach-
tung motivationaler Aspekte des Sporttreibens rücken damit letztlich Intentionen
der Handelnden in den Mittelpunkt der Überlegungen.
Bei der Auseinandersetzung mit Sportbiografien ist zu berücksichtigen,
dass zumeist Personen befragt werden, die sich selbst als Sportler oder Sport-
lerin verstehen, bzw. als solche angesprochen werden (Richartz, 1999)
.
Darüber hinaus ist der Begriff ,,Sport" an ein spezifisches Verständnis von
körperlicher Aktivität und Bewegung gebunden, das häufig einen Wettkampf-
charakter und fast immer eine Form der Institutionalisierung (Schule, Verein)
impliziert. Geht es um bewegungsbezogene Aktivitäten, Bewegungserfahrun-
gen und Körpererleben ist daher besser von ,,Bewegungsbiografien" zu spre-
chen.
Im Mittelpunkt einer Bewegungsbiografie, wie sie in der vorliegenden Ar-
beit verstanden und erhoben wird, stehen die Bewegungs- und Sportaktivitäten
im Lebensverlauf von früher Kindheit bis zum aktuellen Zeitpunkt und die dar-

Bewegung als Risiko und Chance
34
über hinaus reichende Zukunftsplanung.
1
Eine biografische Perspektive ist so-
wohl für das Verständnis des ,,Wozu" von Bewegungsaktivitäten und ihren indi-
viduellen Funktionen als auch für die Konzeption attraktiver Bewegungsangebo-
te im Rahmen einer ,,Bewegungsbildung für Ältere" (Kolb, 1999) unverzichtbar.
2.2
Bewegung im Alter als Risiko
Begriffe wie ,,Ruhestand" oder das ,,Rest-in-Old-Age"-Paradigma und die
darin enthaltene Betonung von Alterdefiziten beeinflussen teilweise bis heute
die Sicht auf das Alter und das Selbstverständnis der Älteren (vgl. Kirk, 1997).
In den Phasentheorien der motorischen Entwicklung, die ihren Ursprung zu-
meist in einer fähigkeitsorientierten, hochleistungsbezogenen Ausrichtung der
Trainings- und Bewegungswissenschaften hatten, lassen sich entsprechende
Vorstellungen von Leistungsfähigkeit und Trainierbarkeit im höheren Lebensal-
ter finden. Die Beispiele reichen von Diem (1949), der vom ,,Greisen- oder
Bremsalter (60. Lebensjahr und darüber)" spricht, über Winter (1987), der das
späte ,,Erwachsenen- und Greisenalter" als Phase ausgeprägter ,,motorischer
Involution" kennzeichnet, bis hin zu Schnabel, Harre & Bode (1994).
Das späte Erwachsenenalter ist vor allem durch den Ruhestand, dessen
Akzeptanz und Ausfüllung sowie das damit verbundene Bewusstwerden
des irreversiblen Alterns ­ häufig verstärkt durch sich gesundheitlich meh-
rende Beeinträchtigungen ­ und der schließlichen Lebensendlichkeit ge-
kennzeichnet. (Schnabel, Harre & Bode, 1994, S. 228)
Runge (1998) macht darauf aufmerksam, dass posturale und lokomotori-
sche Störungen so häufig sind, dass sie in der Literatur und der Alltagssprache
das Bild vom Alter prägen, in dem der alte Mensch als "hinfällig" und "gebrech-
lich" gilt. Beides habe dazu geführt, Gehstörungen und Stürze lange Zeit eher
als Selbstverständlichkeit denn als medizinisches Problem zu sehen.
1
Schaller (1998) benutzt den Begriff der ,,Bewegungsbiografie" im Rahmen einer empirischen
Studie zum Zusammenhang zwischen motorischer Lernfähigkeit im Alter und motorischen Akti-
vitäten im Lebenslauf, die er mittels halbstandardisierter und standardisierter Explorationen
erfasst. Die 120 ,,motorischen Aktivitäten" wurden dabei zur Auswahl vorgegeben und nach
Dauer und Intensität in den einzelnen Lebensabschnitten eingeschätzt. Es zeigt sich ein hoher
Zusammenhang zwischen Ausmaß und Qualität der Bewegungsaktivitäten in Kindheit und Ju-
gend und der Lernfähigkeit im hohen Erwachsenenalter. Anders als bei Schaller (1998) geht die
Verwendung des Begriffs ,,Bewegungsbiografie" in der vorliegenden Studie mit dem Einsatz
einer spezifischen Erhebungsmethode einher (s. Kap. 4.2).

Bewegung als Risiko und Chance
35
Das Phänomen der Unfälle und Stürze im Alter wird zunächst anhand von
Statistiken verdeutlicht, bevor erste grundlegende Ursachen von Stürzen im
Alter anhand aktueller wissenschaftlicher Befunde, vornehmlich aus der Biome-
chanik und der Medizin, benannt werden. Abschließend wird der Forschungs-
stand zu Veränderungen der Gehbewegung, die als maßgebliche Ursache für
die Sturzgefährdung im Alter angesehen werden, skizziert.
2.2.1 Unfälle im Alter
Von insgesamt 5,36 Mio. Unfallverletzungen in Deutschland, die einen
Arztbesuch nötig machen, konzentrieren sich laut Bundesanstalt für Arbeits-
schutz und Arbeitsmedizin (BAuA)
2
rund 734.000 Unfälle auf die Altersklasse
,,65 Jahre und älter".
3
Mehr als zwei Drittel der Verunfallten in dieser Alters-
gruppe sind Frauen (68.8 %).
4
Besonders unfallgefährdet waren ­ neben jungen Männern im erwerbsfähi-
gen Alter ­ die älteren Frauen. Über das gesamte Lebensalter betrachtet
entwickelt sich die Unfallhäufigkeit
geschlechtsspezifisch unterschiedlich:
Bei den Männern steigt sie bis zum 25. Lebensjahr an und fällt dann ten-
denziell bis ins hohe Alter, bei den Frauen hingegen ist vor allem der steile
Anstieg bei der Altersgruppe der 75-jährigen und älteren auffällig. (Statisti-
sches Bundesamt, 1991, S. 75)
Die BAuA differenziert die Unfälle in Bezug auf Unfallort, Tätigkeiten, Un-
fallart, Ursachen, Verletzungsarten, verletzte Körperteile und Unfallschwere.
Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern im Bereich der Tätigkeiten
während des Unfallgeschehens (Tab. 2.3) sind vermutlich zu einem Großteil auf
unterschiedliche Aktionsräume und Aufgabenbereiche von Frauen und Män-
nern zurückzuführen. Besonders deutlich sind die Unterschiede bei der Garten-
arbeit und beim Sport. Es wäre interessant zu untersuchen, ob die höheren Un-
fallzahlen der Männer im Sport auf ein insgesamt höheres Engagement im
2
Quelle: http://www.baua.de/info/statistik/huf_2000/alter00.htm, updated am 19.08.2002; re-
cherchiert am 10.8.2002; Quellenangabe der BAuA: Repräsentative Haushaltsbefragungen in
den Jahren 2000/ 2001.
3
Statistischen Angaben zu Unfällen liegt nicht immer das gleiche Verständnis von ,,Unfall"
zugrunde. Daher wird sich hier im wesentlichen auf die Angaben der Bundesanstalt für Arbeits-
schutz und Arbeitsmedizin (BAuA) beschränkt.
4
Innerhalb der Berechnungen der BAuA wird der relative Anteil der Frauen an der Gesamt-
stichprobe nicht berücksichtigt. Er beträgt ca. 69 %.

Bewegung als Risiko und Chance
36
Sport oder eine qualitativ andere Art der sportlichen Betätigung (beispielsweise
eher Wettkampfcharakter) zurückzuführen sind.
Tabelle 2.3. Schwerpunkte der Tätigkeiten bei Unfallverletzungen (Datenquelle: BAuA,
2002).
Tätigkeiten
Frauen
Männer
gesamt
Fortbewegung in der Ebene
49.0 %
38.5 %
45.7 %
Fortbewegung auf Stufe, Leiter
16.5 %
13.4 %
15.5 %
Bewegung auf der Stelle
10.2 %
6.4 %
9.0 %
Gartenarbeit
3.3 %
10.5 %
5.5 %
Heimwerken
0.6 %
13.5 %
4.6 %
Hausarbeit
4.5 %
3.5 %
4.1 %
Sport
2.4 %
8.0 %
4.1 %
(Die Angaben beinhalten keine Berücksichtigung der Grundgesamtheiten der Frauen
und Männer.)
Statistisch gesehen unterliegen Frauen, die älter sind als 65 und sich in-
nerhalb des Wohnhauses ,,auf gleicher Ebene fortbewegen", einem vergleichs-
weise hohen Sturzrisiko (Tab. 2.4).
Tabelle 2.4. Schwerpunkte der Unfallart (Datenquelle: BAuA, 2002).
5
Unfallart
Frauen
Männer
gesamt
Sturz auf gleicher Ebene
47.9 %
38.3 %
44.8 %
Sturz aus der Höhe
21.4 %
16.6 %
20.0 %
Zusammenstoss mit einem Gegens-
tand/ einer Person
16.5 %
15.2 %
16.1 %
Verletzen mit einem scharfen/ spitzen
Gegenstand
6.0 %
16.2 %
9.2 %
Überanstrengung, Überbeanspruchung
6.2 %
11.0 %
7.7 %
Als Unfallorte werden schwerpunktmäßig der ,,öffentliche Transportbereich
(Verkehrswege, Bahnhof)" mit 24.0 %, Treppen zu 12.5 %, ,,Wohn-/ Eß-,
Schlafzimmer, Kinder-, Arbeitszimmer" mit 11.7 % und der Garten mit 11.3%
genannt (BAuA, a.a.O.).
Von den zu Hause lebenden über 65-Jährigen stürzen etwa 30 % mindes-
tens einmal im Jahr. Bei den über 80-Jährigen sind es sogar bereits 50 %. Pfle-
geheimbewohnerinnen und ­bewohner stürzen noch zwei- bis dreimal häufiger
(Specht-Leible, Hauer, Oster & Schlierf, 1997). Nicht allein die Häufigkeit der
Stürze ist dabei für die Problematik der Stürze im Alter ausschlaggebend, Kin-
der und Sportler stürzen häufiger, entscheidend sind vielmehr die Folgen der
5
Die fehlenden Prozentwerte entfallen nach Angaben der BAuA auf den Stichprobenfehler.

Bewegung als Risiko und Chance
37
Stürze im Alter. Als besonders gravierend erweisen sich die Frakturen, zu de-
nen etwa 5 % der Stürze führen und die im Alter mit gravierenden gesundheitli-
chen Einschränkungen verbunden sind. Verletzungen, die zu 10 ­ 20 % als
Folge von Stürzen auftreten, können funktionell ähnlich gravierend sein und
Hilflosigkeit und Angst nach sich ziehen. Aus psychologischer Sicht ist weiterhin
bedeutsam, dass auch ohne Verletzung etwa 30 % der Sturzpatienten Angst
vor erneuten Stürzen haben (Vellas, Wayne, Romero, Baumgartner & Garry,
1997).
Der Blick auf die Statistiken könnte den Eindruck vermitteln, das Alter sei
fast zwangsläufig und unabänderlich mit Stürzen verbunden. Runge (1998)
warnt vor möglichen Konsequenzen dieser Sichtweise. Er hält für die Behand-
lung von Hüftfrakturen, die nach seinen Angaben zu 90 % direkt mit Stürzen in
Verbindung stehen, fest:
Zunehmend wird erkannt, dass es ein gesundheitspolitisches Versäumnis
ist, die Hüftfraktur als Unglücksfall und Zufall hinzunehmen, ohne Maß-
nahmen durchzuführen, ihre Entstehungsbedingungen zu verändern. Der-
zeit konzentrieren wir uns auf die Auswirkungen, ohne genug gegen die
Voraussetzungen zu tun (Runge, 1998, S. 23).
Tabelle 2.5. Schwerpunkte der Unfallursachen (Mehrfachnennungen; Datenquelle:
BAuA, 2002).
Ursachen (Mehrfachnennungen)
Frauen Männer gesamt
Physische/ psychische Einflussfaktoren, wie
Unkonzentriertheit, Unaufmerksamkeit
Gesundheitliche Beeinträchtigungen
Sonstige physische/ psychische Einflussfaktoren
Überforderung, Überbelastung
20.8 %
17.3 %
4.4 %
4.4 %
20.7 %
10.4 %
9.3 %
3.3 %
20.7 %
15.0 %
6.7 %
4.1 %
Verhaltensmängel, wie
Eile, Hast
Stolpern, Ausrutschen
Unsicherer Stand, Sitz
Tragen eines ungeeigneten Kleidungsstückes
Unkenntnis, Ungewohntheit
9.9 %
7.9 %
5.0 %
3.9 %
4.1 %
3.3 %
7.2 %
6.1 %
5.5 %
2.7 %
7.8 %
7.7 %
5.3 %
4.4 %
3.7 %
Umgebungseinflüsse, wie
Witterungseinflüsse
Boden außerhalb von Gebäuden nass, glatt, uneben
u.ä.
Ablenkung durch äußere Einflüsse
12.7 %
5.6 %
4.7 %
15.2 %
9.6 %
6.1 %
13.5 %
6.9 %
5.2 %
Bauliche Mängel, wie
Boden uneben, verunreinigt u.ä.
Verkehrswege, unsicher, zugestellt u.ä.
Treppen, -geländer nicht in Ordnung
9.8 %
10.4 %
4.1 %
10.5 %
3.8 %
3.4 %
10.0 %
8.3 %
3.9 %
Fehler oder Unachtsamkeit einer anderen Person
5.0 %
6.1 %
5.9 %

Bewegung als Risiko und Chance
38
Auf der Suche nach Voraussetzungen geben die Begründungen der Ver-
unfallten Aufschlüsse (Tab. 2.5).
Unter ,,sonstige psychische Einflussfaktoren" fallen beispielsweise Unvor-
sichtigkeit oder Leichtsinn. Interessant sind die Unterschiede zwischen Frauen
und Männern im Bereich der Verhaltensmängel, besonders bei ,,Eile, Hast" oder
auch bei ,,Unkenntnis, Ungewohntheit". Besonders deutlich fällt der Unterschied
in der Rubrik ,,unsichere oder zugestellte Verkehrswege" aus, die für 10.4 % der
Frauen und nur für 3.8 % der Männer eine Unfallursache darstellen. Für eine
Interpretation dieser Unterschiede in Richtung auf geschlechtsspezifische Ver-
haltensweisen oder Attributionsstile bedürfte es weiterer Informationen der Ver-
unfallten.
Es lässt sich festhalten, dass sich die Faktoren, die einen Unfall (aus Sicht
der Betroffenen) begünstigen oder gar auslösen, auf Bedingungen der Person,
wie Unkonzentriertheit oder Leichtsinn, auf Umweltbedingungen, wie Unter-
grundbeschaffenheit oder Witterungsumstände, und auf spezifische Aufgaben-
charakteristika, wie etwas schnell oder hastig zu verrichten, beziehen.
Mittenecker unterstrich in seinen Ausführungen zur Unfallpsychologie be-
reits vor 40 Jahren die Komplexität von Unfallgeschehen und die Bedeutung der
person- und aufgabenbezogenen Bedingungen.
Zwischen Bedingungen mit menschlicher, speziell psychologischer, und
solchen ohne psychologische Beteiligung (vor allem den sozialen und
technischen) herrschen eigenartige und schwer entwirrbare komplexe
Wechselwirkungen, die die öffentliche Diskussion über die ,,wahren Unfall-
ursachen" erschweren. An jedem einzelnen konkreten Unfallereignis ist ei-
ne große Zahl spezifischer wie allgemeiner, direkter, weniger direkter und
höchst indirekter Bedingungen beteiligt: in der Regel neigt man dazu, eher
allgemeine Bedingungen als ,,wahre" Ursachen zu bezeichnen; anderer-
seits gelten, vor allem bei wissenschaftlicher Betrachtungsweise, eher die
direkten Bedingungen als ,,wahre" Ursachen. Nun sind aber gerade die all-
gemeinen Unfallbedingungen (wie soziale Missstände, technische Unvoll-
kommenheit) indirekt wirksam, die direkten Bedingungen (Aufmerksamkeit,
Ablenkung, Ermüdung usw.) wiederum höchst spezifisch. (Mittenecker,
1962, S. 8)
Es wird in der Auseinandersetzung mit Unfallursachen folglich nötig sein,
in der Auseinandersetzung mit ökologischen Bedingungen auch deren Nut-
zungsweise durch die einzelne Person zu berücksichtigen. Das Unfallgesche-
hen konstituiert sich aus den Handlungsvoraussetzungen, -bedingungen und ­
erfordernissen einer Person in einer spezifischen Situation.

Bewegung als Risiko und Chance
39
2.2.2 Sturzursachen im Alter
Die Forschung nach Risikofaktoren für eine erhöhte Sturzgefährdung kon-
zentriert sich im Wesentlichen auf Untersuchungen zu lokomotorischen und
sensomotorischen Aspekten, wie Gleichgewichts- und Kraftfähigkeit, Reakti-
onsvermögen und visuelle Wahrnehmung (Gehlsen & Whaley, 1990b; Koski et.
al., 1994; Berg et. al., 1997; Lohmann & Givens, 1999; Lord, Rogers, Howland
& Fitzpatrick, 1999; Lichtenstein, Burger, Shields & Shiavi, 1990; Gehlsen &
Whaley, 1990a; Means, Rodell & Sullivan, 1998; Lee & Kerrigan, 1999; Schil-
lings et. al., 2000). Auch der Zusammenhang zwischen der Einnahme bzw.
Wirkung von Medikamenten und einer erhöhten Sturzgefährdung ist Gegens-
tand von Studien (vgl. Leipzig, Cumming & Tinetti, 1999a, 1999b; Nikolaus,
Specht-Leible & Bach 1999; von Renteln-Kruse et. al., 1998).
Trotz zahlreicher Arbeiten scheint es bisher nicht gelungen, typische Cha-
rakteristika von Alternsprozessen in ihrer Komplexität abbilden oder gar in Be-
zug zu einer erhöhten Sturzgefährdung setzen zu können.
The relationships among age-related changes in the musculoskeletal and
neuromuscular systems, changes to complex motor performance, and in-
creased incidence of falling have not been clearly delineated as a function
of the continuum of successful, normal, and pathologic aging. (Martin &
Grabiner, 1999, p. 54)
Bei der Einteilung möglicher Sturzursachen wird zumeist zwischen intrinsi-
schen, krankheitsbedingten, altersphysiologischen und extrinsischen, situativen
Ursachen unterschieden (Specht-Leible et al., 1997). Altersphysiologische Ver-
änderungen betreffen vor allem das visuelle System, das vestibuläre System
und das Nervensystem. Als zuverlässige Sturzprädiktoren gelten Kraftparame-
ter (z.B. geringe Handkraft, Schwäche im Quadrizeps) und Balanceparameter,
sowie die seitliche Haltungskontrolle (,,postural sway"). Mangelnde Balance und
Haltungskontrolle und die damit zusammenhängenden Veränderungen der
Gehbewegung lassen sich bereits mit einfachen Tests, wie dem Aufstehtest
und dem Tandemstand und Tandemgang überprüfen (vgl. Runge, 1998; Runge
& Rehfeld, 2001). Als Sicherheitsmassnahmen bei akuter Sturzgefahr wird das
Tragen von Hüftprotektoren empfohlen. Diese dämpfen im Falle eines Sturzes
den Aufprall und senken so das Risiko einer Schenkelhalsfraktur. Die Protekto-
ren bestehen aus einer Propylen-Schale, die in eine Baumwollhose eingenäht

Bewegung als Risiko und Chance
40
ist. ,,Ihre Anwendung ist derzeit noch durch die schlechte Akzeptanz limitiert."
(Specht-Leible & Oster, 2000, S. 312)
Verhaltensbezogene Ursachen und psychosoziale Aspekte werden ver-
gleichsweise wenig untersucht.
Runge und Rehfeld (2001) listen als verhal-
tensbezogene Risikofaktoren ,,geringe habituelle Aktivität" und ,,schlechte
Selbsteinschätzung der Gesundheit" auf (S. 55). Runge (1998) integriert situati-
ve und verhaltensbezogene Aspekte in ein Ursachenmodell von Stürzen. Zu-
nächst nimmt er eine Einteilung von Stürzen in drei Kategorien vor, in ,,synkopa-
le" Stürze, d.h. durch eine spezifische Organpathologie verursachte Stürze,
,,extrinsische" Stürze, die vornehmlich auf äußere Faktoren zurückzuführen
sind, und ,,lokomotorische" Stürze. In diese letzte Kategorie fallen Stürze, wenn
sie sich nicht hauptsächlich auf äußere Bedingungen zurückführen lassen. ,,Die
Kategorie der lokomotorischen Stürze steht verständlicherweise im Mittelpunkt
des rehabilitativ-geriatrischen Interesses, sie ist die häufigste und bietet vielfa-
che Ansatzmöglichkeiten zur Intervention." (Runge, 1998, S. 17)
Nach Meinung Runges ereignet sich jeder Sturz in Interaktion des Indivi-
duums mit dem physikalischen Umfeld und einer aktuellen Tätigkeit. Zu den
intrinsischen Faktoren, die akut oder chronisch sein können, zählt Runge ,,z.B.
verminderte Balance und verminderte lokomotorische Fähigkeiten" durch akute
bzw. chronische Krankheiten und jeweils funktionell relevante Krankheitsfolge-
zustände, Alterungsprozesse und Lebensstilfaktoren (Runge, 1998, S. 17). Ein
gefährdendes physikalisches Umfeld weicht von normalen Alltagsbedingungen
ab und ist z.B. gekennzeichnet durch ungünstige Bodenverhältnisse, unzurei-
chende Beleuchtung oder ungünstige Temperaturen (vgl. auch Freiberger,
2002). Unter aktuellen Tätigkeiten versteht Runge ,,Tätigkeiten mit höheren
posturalen Anforderungen; z.B. Lasten tragen, eilig Hindernisse überwinden,
auf Gegenstände klettern, Wäsche aufhängen, Fenster putzen." (a.a.O.).
Diese Tätigkeiten fasst Runge auch unter "behaviorale und situative Fak-
toren" (1998, S. 43). Er sieht Fehlverhalten als den wesentlichen Faktor von
lokomotorischen Sturzereignissen an. Seine Beobachtungen aus der geriatri-
schen Rehabilitation führen zu zwei Erklärungsmodellen für die ,,offenkundige
Fehleinschätzung der eigenen lokomotorischen Fähigkeiten".

Bewegung als Risiko und Chance
41
· Rehabilitation ist eine leistungsorientierte, fordernde Situation, Patienten
geraten in eine psychische Situation, in der sie denken: ,,Ich muss jetzt
einfach `mal versuchen, ob ich wieder gehen kann!" Der Sturz ist dann
die Folge dieses ,,mit-dem-Kopf-durch-die-Wand-Verhaltens".
· Ein seit Wochen gehbehinderter Patient kann, ohne grundsätzlich kogni-
tiv gemindert zu sein, für Momente vergessen, dass er nicht mehr selb-
ständig gehen kann. Das Telefon klingelt, er steht auf, wie er 70 Jahre
aufgestanden ist, und bemerkt zu spät, dass sich die lokomotorische
Kompetenz geändert hat. Es gibt Patienten, die einen solchen Ablauf
berichten, die Häufigkeit dieser Situation ist unklar. (Runge, 1998, S. 61)
Freiberger (1998) führt neben medizinischen und motorischen Sturzursa-
chen auch ökologische und psychische Ursachen an. Unter die medizinischen
Sturzursachen fallen alternsbedingte Veränderungen des Auges und der Mus-
kelzusammensetzung, die Einnahme von Medikamenten und neuronale alters-
bedingte Veränderungen. Als motorische Ursachen von Stürzen benennt sie
,,altersbedingte Veränderungen der koordinativen Fähigkeiten, besonders der
Gleichgewichts-, Reaktions- und Orientierungsfähigkeit" (Freiberger, 1998, S.
91). Unter die ökologischen Ursachen fallen Wohnsituation und Wohnumfeld.
Als ,,Psychische Ursache" führt Freiberger (1998) Angst an und führt den Teu-
felskreis zwischen Sturz, Angst und Immobilität aus.
Viele Menschen leben in permanenter Angst zu stürzen. Aus der Angst
heraus verändern diese Menschen ihre Körperhaltung, um einen befürchte-
ten Sturz nach hinten zu vermeiden. Ein anderes Resultat dieser Angst ist
die Einschränkung der motorischen Aktivitäten, die wiederum einer Ein-
schränkung der motorischen Kompetenz in die Hände spielt (Freiberger,
1998, S. 91).
Der positive Zusammenhang zwischen der Angst, besonders der ,,Angst
vor einem erneuten Fallen", und dem Auftreten von Stürzen ist durch einschlä-
gige Studien bestätigt (Franzoni et. al., 1994;
Lachman et. al., 1998; Peterson
et. al., 1999;).
However, falling and the fear of falling are also viewed as major factors
contributing to decreased mobility and increased functional dependence,
perhaps as a strategy by older adults to decrease the potential for future
events. (Martin & Grabiner, 1999, p. 53)
In den Aussagen wird deutlich, dass in der Auseinandersetzung mit dem
Einflussfaktor "Angst" berücksichtigt werden muss, welchen Einfluss Angst auf
das Bewegungsverhalten bzw. auf bewegungsbeeinflussende Parameter hat.
Strategien im Umgang mit der Angst können der angesprochene Verzicht auf
Bewegungsaktivitäten, ebenso wie eine spezifische Körperhaltung, beispiels-

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2003
ISBN (eBook)
9783832487973
ISBN (Paperback)
9783838687971
DOI
10.3239/9783832487973
Dateigröße
1.6 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Deutsche Sporthochschule Köln – Psychologisches Institut
Erscheinungsdatum
2005 (Juni)
Note
1,0
Schlagworte
bewegungssicherheit sturzprophylaxe bewegungsaktivitäten aktivität beweglichkeit
Zurück

Titel: Bewegungsbezogenes Sicherheitsmanagement von Frauen im Alter
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
book preview page numper 22
book preview page numper 23
book preview page numper 24
book preview page numper 25
book preview page numper 26
book preview page numper 27
book preview page numper 28
book preview page numper 29
book preview page numper 30
book preview page numper 31
book preview page numper 32
book preview page numper 33
book preview page numper 34
book preview page numper 35
book preview page numper 36
book preview page numper 37
book preview page numper 38
book preview page numper 39
book preview page numper 40
book preview page numper 41
334 Seiten
Cookie-Einstellungen