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Zum Vertrauen rußlanddeutscher Aussiedler in die Duisburger Polizei

©2002 Diplomarbeit 97 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Werden in aktuellen Diskussionen die Aussiedler in Deutschland thematisiert, dann dominieren Schlagworte wie „Sprachkompetenz“ und „Integration“. Diese finden sich regelmäßig in Politikeraussagen und Medienberichten wieder. Dabei wird die Beherrschung der deutschen Sprache als Schlüssel zum Gelingen der Integration hervorgehoben.
Beispielhaft hierfür war etwa die Aussage des Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen Jochen Welt in einer Pressemitteilung im März 2001. „Ohne deutsche Sprachkenntnisse besteht weder gesellschaftlich eine hinreichende Möglichkeit, eingegliedert zu werden, noch haben die Betroffenen eine Chance, einen Arbeitsplatz zu finden“ (Welt 2001).
Der Zuzug von Aussiedlern nach Deutschland an sich ist nichts Neues. Bis Ende der Achtziger Jahre verlief dieser auch ruhig und ohne größere Probleme. Der Großteil reiste seinerzeit aus Polen und Rumänien ein. Das sollte sich mit Ausklang des Jahrzehnts jedoch ändern. Zum einen stieg die Gesamtzahl deutschstämmiger Zuwanderer rapide an. Zum anderen stellten ab 1990 erstmals die Russlanddeutschen den größten Anteil daran. Dieser pendelte sich in den Folgejahren bei Werten von über 90% ein (Holtfreter 1999).
Woran lag es nun aber, dass parallel zum Einsetzen dieser Entwicklungen die Integration der Aussiedler schwieriger wurde?
Hier sind nicht zuletzt die ökonomischen Aspekte zu nennen. So begann der enorme Zuwanderungszuwachs im Zeitraum der deutschen Wiedervereinigung. Wegen der damals angespannten finanziellen Lage waren Haushaltskürzungen in etlichen Bereichen unumgänglich. Davon betroffen zeigte sich auch die Integrationshilfe für Aussiedler (vgl. Sasse 1999: 229). Probleme entstanden zudem bei der Unterbringung der eintreffenden Menschen, womit insbesondere die Städte zu „kämpfen“ hatten. Sie konnten den nötigen Wohnraum nicht direkt zur Verfügung stellen und suchten deshalb Abhilfe in Übergangswohnheimen. Dort lebten die Aussiedler durchschnittlich zunächst rund eineinhalb Jahre (Giest-Warsewa 1998). Während dieser Zeit stellte sich ihr Kontakt zu den Einheimischen meist sehr gering dar und blieb weitestgehend auf die Ämter und die Medien beschränkt.
Diese Arbeit konzentriert sich auf die Russlanddeutschen. Sie stellen, wie erwähnt, seit Beginn der neunziger Jahre den Großteil der Aussiedler und fallen zudem durch ihren Gemeinschaftssinn auf. Dieser könnte im Integrationsprozess hilfreich sein und genutzt werden. Allerdings sammeln die […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

Verzeichnis der Tabellen

Verzeichnis der Abbildungen

Einleitung

1. Theoretischer Rahmen und Forschungsstand
1.1 Die Historie der Rußlanddeutschen und das Leben in den Herkunftsländern
1.2 Aufnahmebedingungen und –zahlen
1.3 Rußlanddeutsche in Duisburg
1.4 Ein- und Ausreisegründe
1.5 Erfahrungen in Deutschland
1.6 Drogenkonsum, Kriminalität und Polizeikontakte in Deutschland

2. Aufbau der Untersuchung
2.1 Hypothesenbildung
2.2 Methodisches Vorgehen

3. Ergebnisse
3.1 Ausgangssituation der Befragten
3.1.1 Soziodemographische Datenlage
3.1.2 Bildung und Arbeit
3.1.3 Ausreisegründe der Rußlanddeutschen
3.1.4 Soziale Situation der Teilnehmer
3.2 Umgang mit Gewalt
3.2.1 Gewaltverständnis und Kontakte mit Gewalt
3.2.2 Verhalten bei Körperverletzung und leichten Vergehen
3.3 Vertrauen in die Polizei
3.3.1 Vertrauen in die Polizei in den Herkunftsländern
3.3.2 Vertrauen in die Polizei in Deutschland
3.4 Inanspruchnahme der Polizei
3.5 Überprüfung der Hypothesen
3.5.1 Bei Inanspruchnahme der Polizei im Herkunftsland
3.5.2 Bei Mißtrauen in die Polizei im Herkunftsland
3.5.3 Folgerungen

4. Resümee
4.1 Zusammenfassung und Bewertung der Ergebnisse
4.2 Empfehlungen

5. Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang

Verzeichnis der Tabellen

Tabelle 1: Ausreisegründe der Befragten

Tabelle 2: Überwiegender Freundeskreis der Befragten nach Alter

Tabelle 3: Orte der Begegnung mit Einheimischen nach Aufenthaltsdauer

Tabelle 4: Vergleich der Einstellung zu Autorität zwischen Aussiedlern und Einheimischen aus Sicht der Jugend

Tabelle 5: Vergleich des Gemeinschaftssinns zwischen Aussiedlern und Einheimischen aus Sicht der Großelterngeneration

Tabelle 6: Anteile der positiven Antworten zur Polizei in den Herkunftsländern

Tabelle 7: Anteile der positiven Antworten zur Polizei in Deutschland

Tabelle 8: Korruption der deutschen Polizei in Bezug zu einem vorherigen Kontakt

Tabelle 9: Inanspruchnahme der Polizei nach Alter im Herkunftsland und in Deutschland

Tabelle 10: Inanspruchnahme der deutschen Polizei in Bezug zu einem vorherigen Kontakt

Tabelle 11: Potentielle Inanspruchnahme der Polizei in Deutschland der vier Gruppen

Tabelle 12: Polizei in Deutschland bringt mehr Probleme als Nutzen nach Alter und Geschlecht der vier Gruppen

Verzeichnis der Abbildungen

Abbildung 1:Zuwanderung der Aussiedler nach NRW (1990-2000)

2:Altersstruktur der Aussiedler und der einheimischen Deutschen in NRW

Abbildung 3: Zuweisungszahlen der Aussiedler nach Duisburg

Abbildung 4: Erreichte und angestrebte Bildungsabschlüsse der befragten Rußlanddeutschen

Abbildung 5: Berufliche Situation der Duisburger Rußlanddeutschen

Abbildung 6:Freizeitaktivitäten

Einleitung

Werden in aktuellen Diskussionen die Aussiedler[1] in Deutschland thematisiert, dann dominieren Schlagworte wie „Sprachkompetenz“ und „Integration“. Diese finden sich regelmäßig in Politikeraussagen und Medienberichten wieder. Dabei wird die Beherrschung der deutschen Sprache als Schlüssel zum Gelingen der Integration hervorgehoben.

Beispielhaft hierfür war etwa die Aussage des Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen Jochen Welt in einer Pressemitteilung im März 2001. „Ohne deutsche Sprachkenntnisse besteht weder gesellschaftlich eine hinreichende Möglichkeit, eingegliedert zu werden, noch haben die Betroffenen eine Chance, einen Arbeitsplatz zu finden" (Welt 2001a: 1).

Der Zuzug von Aussiedlern nach Deutschland an sich ist nichts Neues.[2] Bis Ende der Achtziger Jahre verlief dieser auch ruhig und ohne größere Probleme. Der Großteil reiste seinerzeit aus Polen und Rumänien ein. Das sollte sich mit Ausklang des Jahrzehnts jedoch ändern. Zum einen stieg die Gesamtzahl deutschstämmiger Zuwanderer rapide an. Zum anderen stellten ab 1990 erstmals die Rußlanddeutschen[3] den größten Anteil daran. Dieser pendelte sich in den Folgejahren bei Werten von über 90% ein (Holtfreter 1999: 15).

Woran lag es nun aber, daß parallel zum Einsetzen dieser Entwicklungen die Integration[4] der Aussiedler schwieriger wurde?

Hier sind nicht zuletzt die ökonomischen Aspekte zu nennen. So begann der enorme Zuwanderungszuwachs im Zeitraum der deutschen Wiedervereinigung. Wegen der damals angespannten finanziellen Lage waren Haushaltskürzungen in etlichen Bereichen unumgänglich. Davon betroffen zeigte sich auch die Integrationshilfe für Aussiedler (vgl. Sasse 1999: 229). Probleme entstanden zudem bei der Unterbringung der eintreffenden Menschen, womit insbesondere die Städte zu „kämpfen“ hatten. Sie konnten den nötigen Wohnraum nicht direkt zur Verfügung stellen und suchten deshalb Abhilfe in Übergangswohnheimen. Dort lebten die Aussiedler durchschnittlich zunächst rund eineinhalb Jahre (Giest-Warsewa 1998: 357). Während dieser Zeit stellte sich ihr Kontakt zu den Einheimischen meist sehr gering dar und blieb weitestgehend auf die Ämter und die Medien beschränkt.

Diese Arbeit konzentriert sich auf die Rußlanddeutschen. Sie stellen, wie erwähnt, seit Beginn der neunziger Jahre den Großteil der Aussiedler und fallen zudem durch ihren Gemeinschaftssinn auf. Dieser könnte im Integrationsprozeß hilfreich sein und genutzt werden. Allerdings sammeln die Betroffenen nicht selten schon kurz nach der Ankunft Erfahrungen der Isolation sowie der Ablehnung seitens der Einheimischen und der Ausländer. Infolgedessen bildeten und bilden sich besonders in den Großstädten noch immer in einzelnen Stadtteilen oder Straßenzügen eigene Netzwerke und „Kolonien“. Die hauptsächlichen Kontakte beschränken sich dort auf die eigene Familie und den Freundeskreis; die Umgangssprache ist russisch.

Im Integrationsprozeß zu erreichende Ziele sind auch das Vertrauen in die hiesige Polizei und deren Inanspruchnahme, damit gegebenenfalls auf diese staatliche Ressource bzw. die bestehenden Rechte zurückgegriffen wird. Hinderlich können sich dabei natürlich auch Sprachschwierigkeiten und der Rückzug in eigene Netzwerke auswirken. Im Rahmen dieser Arbeit sollte aber gerade auf eine weitere Barriere eingegangen werden.

So merkte schon Giest-Warsewa (1998: 359) an, daß „das traditionelle Mißtrauen aus dem Herkunftsland gegenüber staatlichen Institutionen .. auch auf die deutsche Polizei übertragen wird.“ Diese Ansicht wurde in der Forschung zwar vielfach geteilt (Nemigorskij/Gladtschenko 1997: 42f., Reich et al. 1999: 350, Schmitt 2000: 294), bislang aber nicht empirisch belegt. Es scheint sich also bisher meist eher um praktische Erfahrungen und Einzelaussagen zu handeln.

Ziel war es deshalb, mehr über den Zusammenhang zwischen einem „importierten Mißtrauen und einer Skepsis gegenüber der deutschen Polizei herauszufinden. Was denken die Aussiedler über bzw. was halten sie von der Polizei? Und wie sieht es mit der Inanspruchnahme polizeilicher Leistungen aus? Zahlreiche Studien über die Rußlanddeutschen beschränken sich auf die Jugendlichen. Weil es sich hier aber nicht ausschließlich um ein jugendliches Phänomen zu handeln scheint, waren alle drei Generationen (Jugend, Eltern und Großeltern[5] ) einzubeziehen und ihre spezifischen Unterschiede herauszustellen.

Dabei durfte jedoch nicht außen vor bleiben, welche Einflüsse von der Einbindung in die erwähnten Netzwerke ausgehen. Und auch der Aspekt der Sprachkompetenz war einzubeziehen. Ferner stellte sich die Frage nach Auswirkungen der Dauer des Aufenthalts in Deutschland.

Zu diesen Fragen sollte hiermit eine regionale Stichprobe erhoben werden, um erste Erkenntnisse zu sammeln. Dabei fiel die Wahl des Untersuchungsortes auf die Stadt Duisburg. Es wäre zwar unzulässig, die Ergebnisse anschließend zu verallgemeinern, allerdings gibt es zu diesem Thema bislang wenig bis gar keine Studien. Somit könnte diese Arbeit Anhaltspunkte bieten, auf die gegebenenfalls aufzubauen wäre. Duisburg war gerade aufgrund der dortigen Konkurrenzsituation auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt interessant. Denn fehlt eine geregelte Beschäftigung und weitet sich die Freizeit somit aus, dann bleibt mehr Zeit für persönliche Kontakte. Schließlich geht es hier auch um die Hinterfragung von Netzwerken.

In Kapitel 1 wird die Situation der Rußlanddeutschen in Deutschland behandelt. Dabei werden Einblicke in den Forschungsstand gegeben. Anschließend geht es im zweiten Kapitel um den Aufbau der Untersuchung. Die Präsentation der Ergebnisse erfolgt im dritten Kapitel, bevor sie im vierten noch einmal kurz zusammengefaßt und anschließend diskutiert werden. In diesem Rahmen kommt es auch zu Vorschlägen für mögliche bzw. nötige Veränderungen. Den Schluß bildet dann das Fazit im fünften und letzten Kapitel.

1. Theoretischer Rahmen und Forschungsstand

In diesem Kapitel sollen Einblicke in das Leben der Rußlanddeutschen gegeben werden. Behandelt wird dabei nicht nur der Aufenthalt in Deutschland, sondern auch die Situation in den Herkunftsländern. Die Notwendigkeit stellt sich aufgrund der Tatsache, daß (außer für die Jüngsten) ein Großteil der Sozialisation[6] dort stattgefunden hat. Denn diese Prägungen bestimmen das Denken und Handeln auch nach der Ausreise mit. Ferner ist es unerläßlich, die Geschichte der Rußlanddeutschen einzubeziehen, weil diese besonders für die Einstellungen und das Verhalten der Älteren bedeutsam ist.

Hinsichtlich der Lage in Deutschland wird zunächst einmal zu klären sein, welche Personen einreisen. Woher kommen sie? Wie viele kommen bzw. sind bereits hier? Und was macht sie zu Deutschen? Im Anschluß daran werden spezifische Aspekte Duisburgs dargestellt. Überdies sind die Einreisegründe und die in Deutschland gesammelten Erfahrungen zu erörtern. Zu guter Letzt bleibt noch die Darstellung der Themen Drogenkonsum, Kriminalität und Polizeikontakte in Deutschland.

Für die Rußlanddeutschen ist zu konstatieren, daß es sich nicht um eine homogene soziale Gruppe handelt. Folgt man Bellebaum (1974: 278), dann liegt eine „soziale Gruppe .. erst dann vor, wenn das gemeinsame Merkmal ... begleitet ist von einem Gefühl der Zusammengehörigkeit und tendenziell gleichen Einstellungen und Handlungen bezüglich gleicher Ziele und Werte.“ Wie zuvor erwähnt, erlebten viele Aussiedler ihre hauptsächliche Sozialisation außerhalb Deutschlands. Dies geschah aber in den unterschiedlichsten Gegenden und auf verschiedene Art. Zum einen gab es vielfältige Traditionen, die teilweise sogar zwischen den einzelnen Familien eines Ortes voneinander abwichen. Zum anderen entstanden reichhaltige Kontakte in den Herkunftsländern, die auch Mischehen und die Aufnahme lokaler Bräuche zur Folge hatten.

In dieser Arbeit werden nun aber die Rußlanddeutschen als Gruppe besprochen. Das geschieht jedoch im Bewußtsein der zahlreichen Unterschiede. Deshalb wird hier auf die Erfahrungen und die Probleme Bezug genommen, mit denen erhebliche Teile der Rußlanddeutschen konfrontiert waren bzw. sind. Solche Gemeinsamkeiten sind etwa die Sprachschwierigkeiten, das Erleben, unerwünscht zu sein, ökonomische Krisen sowie kulturelle Gegensätze zum Herkunftsland. Ein weiterer Punkt, um den es hier gehen soll, ist das generationsübergreifende und überregionale Mißtrauen gegenüber der Polizei in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion.

Neben familiären Gründen beeinflussen somit auch die zuvor genannten Probleme in erheblichen Maße die „Gruppenbildung“ in Deutschland. Es handelt sich also, wie Reich et al. (1999: 348) es nennen, um ein „Angewiesensein ... auf diejenigen, die das gleiche Schicksal haben bzw. ... ähnlich“ empfinden.

1.1 Die Historie der Rußlanddeutschen und das Leben in den Herkunftsländern

Die Ansiedlung Deutscher in Rußland reicht zurück bis ins Mittelalter, als Mitglieder der Hanse in den Hafenstädten der Ostsee seßhaft wurden. Außerdem bemühten sich einzelne Zaren schon seit dem 16. Jahrhundert, deutsche Fachleute ins Land zu holen. Doch erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts ließen sich die Deutschen in stärkerem Maße im russischen Reich nieder. Denn nachdem das Staatsgebiet durch mehrere Kriege gegen die Türken ausgedehnt werden konnte, mußten Bauern und Handwerker her, um das neu gewonnene Land zu bearbeiten. So kam es durch Katharina II. zu einer gezielten Anwerbung.[7] Zu erschließen waren insbesondere die ländlichen Gebiete nördlich des Schwarzen Meeres und an der Wolga (Landsmannschaft der Deutschen aus Rußland 1997: 2ff.).

Überall dort, wo deutsche Siedlungen aufgebaut wurden, entstanden bald auch eigenständige Selbstverwaltungen. So dauerte es nicht lange, bis die Landkreise die ersten deutschen Schulen gründeten. Diese sollten sowohl die deutsche Sprache und Geschichte als auch die deutschen Traditionen vermitteln. Laut Berichten war das Leben in diesen Ansiedlungen wie in einem eigenen Kosmos. Anders sah es in den Großstädten aus, wo zu Beginn des 20. Jahrhunderts die deutschen Kinder hauptsächlich russisch sprachen. Diesen Entschluß fällten deren Eltern bzw. Familien. Zwar gab es auch deutsche Schulen in den Städten, allerdings wurden diese mehr von den Russen genutzt. Die deutschen Eltern hingegen strebten eine schnellere Integration ihrer Kinder in die russische Gesellschaft an (vgl. Maurer 2000: 18ff.).

Das friedliche Nebeneinander endete aber spätestens mit dem ersten Weltkrieg. Obwohl ca. 300.000 Deutsche in der russischen Armee dienten, entstand großer Haß gegen alles „Deutsche“. Einen ersten Höhepunkt fand dieser im Moskauer Pogrom vom 27. Mai 1915.[8] Noch im selben Jahr entstanden zudem die Liquidationsgesetze. Darin waren unter anderem die Enteignung und Verbannung der damals etwa 1,6 Millionen Deutschen nach Sibirien vorgesehen. Bevor es 1917 zur sogenannten Februarrevolution[9] kam, wurden diese Gesetze „nur“ in einem Gebiet angewandt; Wolhynien in der Ukraine (westlich von Kiew). Etwa 200.000 Deutsche waren davon betroffen und machten sich auf einen Weg, dessen Ende viele nicht erreichen sollten (Landsmannschaft der Deutschen aus Rußland 1997: 14).

D.h. jedoch nicht, daß es den übrigen bis zur Invasion der deutschen Truppen im Jahre 1941 gut erging. Vielmehr kam es jahrelang zu Verfolgungen, Hungersnöten und Verschleppungen. Zudem wurden die Rußlanddeutschen allmählich in ihren bisherigen Rechten beschnitten. So erfolgten etwa durch das Aufkommen der Kolchosen die ersten Enteignungen. Die für viele so wichtige Religionsfreiheit wurde aufgehoben. Deutsch durfte nicht mehr unterrichtet werden und die Landkreise wurden aufgelöst. Zudem schränkte man 1936 die Freizügigkeit ein und verbot es, die Wohnorte zu verlassen.[10]

Die Deportationen des zweiten Weltkrieges setzten bereits wenige Wochen nach dem deutschen Angriff auf Rußland ein und waren nicht einmal ein Jahr später bereits komplett abgeschlossen. Die Zielorte waren dieses Mal Sibirien und der asiatische Teil der UdSSR, insbesondere Kasachstan. Rund 800.000 Menschen zogen in dieser zweiten Welle unter erheblichen Verlusten nach Osten. Hinzu kam für sie die planmäßige Trennung der Familien und die anschließende Zwangsarbeit in Lagern, welche bis einige Jahre nach dem Krieg bestanden. Nach der Kapitulation konnte eine weitere Gruppe Deutscher in diese Gebiete gebracht werden. So waren im Jahre 1941 350.000 Menschen aus dem Schwarzmeergebiet unter deutsche Besatzung gefallen und beim späteren Vorrücken der Roten Armee nach Deutschland geflüchtet. Diese wurden jedoch gezielt gesucht, um sie repatriieren[11] zu können (ebd.: 16ff.).

Erst der Besuch des damaligen Bundeskanzlers Adenauer im Jahre 1955 ließ die diplomatischen Beziehungen zwischen der Sowjetunion und Deutschland wieder neu aufleben. Der positive Nutzen dieser wiedererweckten „Freundschaft“ für die Rußlanddeutschen zeigte sich in den Folgejahren in Form von Lockerungen der rechtlichen Einschränkungen. Wenn auch nicht die Rückkehr in die früheren Siedlungsgebiete erlaubt wurde, kam es doch zumindest zur Auflösung der Sondersiedlungen.[12] Dadurch setzte allmählich eine Zersplitterung der bis dahin weitestgehend geschlossenen Gruppe der Rußlanddeutschen ein. Im Zuge dessen entstanden auch wieder deutsche Zeitungen und Radiosendungen. Zudem wurde bald wieder der Deutschunterricht in den Schulen gestattet. Dort mangelte es jedoch an qualifizierten Lehrern, Büchern und Arbeitsmaterialien. Daher sank nicht nur das Niveau des Unterrichts, sondern auch die Motivation und die Zahl der Schüler (vgl. Frank 1992: 139ff.).

Mit dem Jahre 1964 kamen neue Hoffnungen auf. Die Rußlanddeutschen wurden einerseits von der Kriegsschuld freigesprochen. Andererseits wurde ihre Hilfe am Aufbau der UdSSR anerkannt. Dennoch blieb ihnen auch weiterhin der Weg aus den „Vertreibungsgebieten“ verschlossen. Die Begründung hierfür lag laut Nachrichtenblatt des Obersten Sowjets der UdSSR (1964: 1) darin, daß sie bereits „Fuß gefaßt“ hätten und ihre früheren Gebiete neu besiedelt waren. Versprochen wurde ihnen allerdings „Beistand beim wirtschaftlichen und kulturellen Aufbau“. Weitere entscheidende Liberalisierungen ließen jedoch einige Jahrzehnte auf sich warten.[13]

Im Laufe der Zeit kam es immer mehr zum Verlust der deutschen Sprache und Kultur, wofür es zahlreiche Ursachen gibt. Zunächst ist die angesprochene jahrelange Unterdrückung alles „Deutschem“ zu nennen. Diese wurde zwar offiziell aufgehoben, doch bestand sie oft latent weiter. So merkten Dietz/Roll (1998: 23) folgendes an. „[Auch] später verwendeten die meisten Deutschen die deutsche Sprache aus Furcht vor Repressionen in der Öffentlichkeit nicht.“ Folglich „ging die deutsche Sprachkompetenz verloren“ und die „Kultur ... geriet in Vergessenheit.“ Das konnte soweit führen, daß selbst den eigenen Kindern gegenüber nicht deutsch gesprochen wurde; auch um die als unumgänglich empfundene kulturelle Anpassung voranzutreiben. Aber auch das Niveau des Deutschunterrichts in den Schulen war meist sehr gering, sofern er überhaupt angeboten wurde. Infolgedessen setzte eine „Russifizierung ein, die mit den Jahren zunahm. War man in den früheren Landkreisen noch „unter sich geblieben, so nahmen überdies die Kontakte zu den anderen Bevölkerungsgruppen bald zu; ethnische Mischehen waren keine Seltenheit mehr. Dieser Trend zeigte sich in den Städten zwar stärker, war aber durchaus auch in den ländlichen Gegenden nicht unüblich. Besonders bei den Jugendlichen ist heutzutage zu beobachten, daß sie sich ins „russische Leben“ integriert fühlen. Für viele von ihnen ist die Vergangenheit nur noch von geringer Bedeutung oder ihnen sogar gänzlich unbekannt (ebd.: 23).

Bereits seit den fünfziger Jahren sahen die Rußlanddeutschen in der Ausreise eine Möglichkeit auf ein besseres Leben. Die Erlaubnis dazu wurde jedoch nur selten erteilt. Daran änderte auch das deutsch-sowjetische Abkommen über die Familienzusammenführung vom 24. April 1959 nicht viel. Die Bearbeitung der Anträge dauerte teilweise Jahrzehnte, wenngleich die Ausreise in den meisten Fällen dann dennoch abgelehnt wurde. In anderer Hinsicht zeigten sie allerdings doch Auswirkungen. Beispiele hierfür sind etwa „Entlassungen, Schikanen am Arbeitsplatz und in der Schule, ... Beschlagnahme von Eigentum und Häusern, Hausdurchsuchungen und Verhaftungen.“ Hinzu kam eine „Atmosphäre der allgemeinen Verurteilung und Ablehnung, die um die Ausreisewilligen künstlich geschaffen wurde“ (Landsmannschaft der Deutschen aus Rußland 1997: 22). Eine wirkliche Veränderung brachte erst das Aus- und Einreisegesetz von 1987 mit sich. Es stellte einen ersten Schritt in Richtung einer Liberalisierung der Ausreise dar.

In den letzten Jahren wurde es zum erklärten Ziel der dortigen Politik, die deutsche Minderheit wieder zum freiwilligen Verbleib in den Nachfolgestaaten der UdSSR zu bewegen. Deshalb kommt es dort, zumindest von offiziellen Stellen, nur noch in Ausnahmefällen zu Diskriminierungen. Man will sich die finanziellen Hilfen, die aus Deutschland ins Land fließen, auch weiterhin erhalten. Auch die Politik der deutschen Regierung strebt an, „zusätzliche Bleibeperspektiven [zu] eröffnen“ (Bundesministerium des Innern 1999a: 6). Dabei konzentrieren sich die Investitionen und Maßnahmen auf Orte, an denen sich größere Gemeinden Rußlanddeutscher bildeten bzw. bilden.

Gibt es auch zahlreiche weitere Siedlungen, so sind doch die beiden „deutschen“ Rayons (Landkreise) Halbstadt und Asowo hervorzuheben. Die Gründung erfolgte jeweils Anfang der neunziger Jahre und die überwiegende Mehrheit der dort ansässigen Bevölkerung waren Rußlanddeutsche. Es sollte die Möglichkeit gegeben werden, die Kultur und die Traditionen zu pflegen.[14] Aber auch diese blieben von der Aussiedlung nicht verschont. Inzwischen sind etwa 80% der „Stammbevölkerung“ nach Deutschland gezogen und der „deutsche Charakter ... unterliegt einer starken Erosion“ (Klaube 1999: 931). Hingegen erreichte der Anteil der Russen inzwischen Werte von über 60%. Bei den Rußlanddeutschen handelt es sich mittlerweile größtenteils um Zugereiste aus Kasachstan. Diese interessieren sich aber meist nur noch wenig, wenn überhaupt für die deutsche Sprache und Kultur, zumal viele in Mischehen leben (Hilkes 1999: 107).

Auch diese Auswanderungszahlen ließen in Deutschland „Zweifel“ an der Effektivität der Projekte dahingehend aufkommen, „ob sie tatsächlich die Bleibewilligkeit der Rußlanddeutschen fördern“ (Bundesministerium des Innern 1999b: 13). Die neue rot - grüne Regierung prüfte deshalb die Ausgaben und kam zu dem Schluß, die Investitionen in den Herkunftsländern zu verringern. Begründet wurde dies auch mit der angespannten Haushaltslage. Außerdem sollte eine stärkere Konzentration auf die Integration in Deutschland erfolgen. Schließlich wurde noch darauf hingewiesen, daß inzwischen eine ausreichende Eigenständigkeit bestehen müßte. Auf diese gilt es nun gerade in den Rayons aufzubauen (Klaube 1999: 923ff.).

Abschließend soll nun noch auf den Kontakt zu und die Einstellungen gegenüber der Polizei in den Herkunftsländern eingegangen werden. Nicht nur in der Forschung, sondern auch in Berichten von Praktikern und Rußlanddeutschen selbst zeigte sich diesbezüglich eine ähnliche Tendenz. Es herrscht ein „traditionelle[s] Mißtrauen vieler Aussiedler gegen staatliche Einrichtungen und deren Vertreter“ (Dietz/Roll 1998: 122), wobei immer wieder auf die Polizei Bezug genommen wird. Laut Sasse (1999: 227) war man es „gewohnt, vom staatlichen Ordnungsapparat mit Distanz, Härte und Konsequenz behandelt zu werden.“ Das an sich wäre noch nicht unbedingt außergewöhnlich. Im gleichen Zuge wird aber auch nicht selten auf die willkürlichen Vorgehensweisen und die Korruption der Beamten[15] hingewiesen (Walter 1998: 6). Gründe hierfür werden etwa im Verlust des staatlichen Gewaltmonopols[16] und in den fehlenden Mitteln gesehen. So mangelt es nicht nur an Ausrüstung und Personal, sondern auch an der Bezahlung. Diese ist gering und erfolgt fast immer verspätet (Houben 1999: 1029). Die Probleme der Polizei wirken sich aber auch darauf aus, welche Fälle untersucht werden. So wählen die Beamten vorzugsweise solche, bei denen die Wahrscheinlichkeit, sie zu lösen, hoch und das persönliche Risiko möglichst gering ist (Frisby 1998: 30).

Nach diesem kurzen Exkurs in die Geschichte und das Leben der Rußlanddeutschen in ihren Herkunftsländern, soll es nun um diejenigen gehen, die nach Deutschland kamen.

1.2 Aufnahmebedingungen und –zahlen

Für die Regelung der Rechtslage der Aussiedler gibt es verschiedene Gesetze, die sich gegenseitig ergänzen. Die Anerkennung der Aussiedler als deutsche Staatsbürger erfolgt etwa über Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG)[17] und § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetzes (BVFG).[18] Aussiedler, die nach dem 31. Dezember 1992 nach Deutschland zuwanderten, werden nach § 4 BVFG als Spätaussiedler[19] bezeichnet. In diesem Gesetz wird überdies die Verteilung der Aussiedler auf die einzelnen Bundesländer festgelegt.[20] Diese Paragraphen beziehen sich ausschließlich auf die Aussiedler. Nach § 7 und § 8 des BVFG erhalten aber auch die mit ihnen eingereisten nichtdeutschen Ehegatten, Abkömmlinge sowie Familienangehörigen bis auf wenige Ausnahmen die deutsche Staatsbürgerschaft und die gleichen Rechte.

Seit dem 1. Juli 1990 sorgt das Aussiedler-Aufnahme-Gesetz (AAG) dafür, daß die Aufnahmeverfahren bereits in den Herkunftsländern durchgeführt werden. Nachdem zu Beginn der Neunziger jährlich teilweise über 300.000 Aussiedler kamen, sah das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz (KfbG)[21] vom 1. Januar 1993 eine sogenannte „Kontingentierung“ vor. Diese bedeutet eine Begrenzung von höchstens 225.000 Aufnahmen pro Jahr. Eine weitere Maßnahme zur Einschränkung der Zuzüge stellen die Sprachtests in den Herkunftsgebieten dar. Diese gibt es seit Mai 1996 und sie dienen der Feststellung der deutschen Sprachfähigkeiten. Wird dieser Test nicht bestanden, dann darf er nicht wiederholt werden und die Aussiedlung wird angelehnt. Pflicht ist er aber nur für die Aussiedler selbst und nicht für ihre Familien, die gegebenenfalls mit ausreisen (Fricke 1998: 33). Die Welt (1999: 8) nannte eine „Durchfallquote“ bei den Tests von rund 50%.

Im Jahre 1996 wurde darüber hinaus das Wohnortzuweisungsgesetz (WoZuG) eingeführt. Hiermit sollte der Bildung von „Kolonien“ entgegengewirkt werden. Zu diesem Zweck erfolgt die Auszahlung der Sozialhilfe nur ortsgebunden, solange der Aussiedler noch nicht selbst für seinen Lebensunterhalt sorgen kann. Unerlaubte Umzüge führen somit automatisch zu einer Streichung der Sozialhilfe. Das Gesetz betrifft dabei maximal die ersten drei Jahre des Aufenthalts in Deutschland. Bei der Zuteilung eines Wohnortes sollen zwar Wünsche berücksichtigt werden, allerdings sind diese nicht mehr maßgeblich (Bundesministerium des Innern 2000b: 20ff.).

Insgesamt hat Deutschland nach Angaben des Bundesverwaltungsamtes im Zeitraum von 1950 bis Ende 2000 über 4,1 Millionen Aussiedler aufgenommen. Mit beinahe zwei Millionen Menschen stammte von diesen fast die Hälfte aus der ehemaligen UdSSR.[22] Der Großteil von ihnen (87,1%) reiste aber erst ab 1990 ein. Seitdem bestimmen sie mit einem Anteil von über 90% den Aussiedlerzuzug.

Es läßt sich bei den Rußlanddeutschen aber noch ein weiterer Trend beobachten. So nahm in den letzten Jahren der Anteil der nichtdeutschen Familienangehörigen bei der Aussiedlung stetig zu.[23]

Mit fast einer halben Million Menschen ist seit 1990 der Großteil nach Nordrhein-Westfalen gekommen. Von diesen waren wiederum rund vier Fünftel Rußlanddeutsche. Ihre erste Station vor der Weiterleitung in die einzelne Städte ist in NRW die Landesstelle für Aussiedler, Zuwanderer und ausländische Flüchtlinge in Nordrhein-Westfalen, Unna-Massen. Einen Einblick in die Entwicklung der Zuwanderungszahlen gibt Abbildung 1.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Landesstelle für Aussiedler, Zuwanderer und ausländische Flüchtlinge in Nordrhein-Westfalen, Unna-Massen, 2001

Abbildung 1: Zuwanderung der Aussiedler nach NRW (1990-2000)

Die Hauptaussiedlungsgebiete der Rußlanddeutschen waren nach Kasachstan und Rußland Kirgisien, die Ukraine und Usbekistan. Sonst kamen die Aussiedler größtenteils aus Polen, aber auch Rumänien ist zu nennen.

Hinsichtlich der Altersverteilung ist für die Aussiedler zu konstatieren, daß sie durchschnittlich jünger als die Einheimischen sind. In Abbildung 2 kommt es zu einem Vergleich der beiden für das Land NRW. Dominierten dabei in der niedrigsten Altersgruppe (unter 10 Jahre) noch die Einheimischen, so waren die Aussiedler teilweise sehr stark bei den übrigen unter 60jährigen überrepräsentiert. Auffällig ist außerdem der extrem geringe Anteil der Aussiedler, die über 60 Jahre alt sind.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Landesstelle für Aussiedler, Zuwanderer und ausländische Flüchtlinge in Nordrhein-Westfalen, Unna-Massen, 2001

Abbildung 2: Altersstruktur der Aussiedler und der einheimischen Deutschen für NRW (Angaben in Prozent)

1.3 Rußlanddeutsche in Duisburg

Bei Duisburg handelt es sich mit einer Einwohnerzahl von über einer halben Million um die fünft größte Stadt in NRW. Die soziale Lage von vielen ihrer Bürger wird durch die hohe Arbeitslosigkeit bestimmt. Das Arbeitsamt der Stadt meldete im März 2001 eine Arbeitslosenquote von 14%.[24] Diese Zahl bezieht sich jedoch auf die gesamte Stadt, während einzelne Stadtteile Werte von über 20% aufweisen (Einwohnerstatistik Duisburg 2001). Eva Kohl (1998: 2) spricht in diesem Zusammenhang von einer „verstärkten Konkurrenzsituation, aufgrund der allgemeinen verschlechterten Ausbildungs- und Arbeitsmarktsituation in Duisburg.“ Aus den Daten des Arbeitsamtes ergab sich ferner für die Aussiedler eine Arbeitslosenquote von 24,8%.[25] Auffällig sind dabei sowohl der hohe Frauenanteil von rund 64% als auch der Wert derer ohne abgeschlossene Berufsausbildung von 62%.

Zudem sind die Zuweisungszahlen nach Duisburg vorhanden (siehe Abbildung 3). Von 1990 bis Ende 2000 trafen demnach 7.345 Personen ein. Wie viele jedoch ohne Zuweisung kamen und wie viele insgesamt noch in Duisburg wohnen, ist nicht festzustellen. Es ist allerdings davon auszugehen, daß die Fortzüge durch die Einführung des WoZuG von 1996 begrenzt wurden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten Quelle: Amt für Asyl- und Spätaussiedlerangelegenheiten, Duisburg, 2001

Abbildung 3: Zuweisungszahlen der Aussiedler nach Duisburg

Über Jahre kam es auch in Duisburg zur Unterbringung der Aussiedler in Übergangswohnheimen. Im Juli 2000 startete die Stadt jedoch ihr Projekt „Auflösung der Notunterkünfte“.[26] Inzwischen leben nur noch in einem dieser Wohnheime Aussiedler. Und auch für diese stellt das nur eine kurzfristige Lösung dar, bis eine passende Wohnung gefunden ist. Schwierigkeiten in der Praxis zeigten sich neben „teilweise .. große[n] Sprachprobleme[n]“ auch darin, daß „die Anspruchshaltung an eine Wohnung .. hoch [ist]“ (Wohlfahrtsverbände Duisburg 2001: 7). Außerdem suchen die Aussiedler die Nähe zu bereits ansässigen Familienmitgliedern sowie ein russischsprachiges Umfeld. Es wird auf eine „Gefahr der Ghettobildung“ (ebd.: 7) hingewiesen. Die zuständigen Sachbearbeiter sprechen bereits heute von Häusern, in denen ausschließlich, und von Straßenzügen, in denen größtenteils russisch gesprochen wird.

Über die einheimische Bevölkerung der Stadt läßt sich sagen, daß sie vom Alter her über dem NRW-Durchschnitt liegt.[27] Vergleichbare Zahlen zu den Rußlanddeutschen stehen nicht zur Verfügung. Es ist jedoch schon allein aufgrund deren Werte für NRW davon auszugehen, daß sie den Altersschnitt der deutschen Wohnbevölkerung für Duisburg verringern.

1.4 Ein- und Ausreisegründe

Bei der Frage nach den Gründen für die Ein- bzw. Ausreise sind Unterschiede zwischen den Generationen festzustellen. So geht der Antrieb zu diesem Schritt in der Regel von den älteren Rußlanddeutschen aus. Wie in Kapitel 1.1 beschrieben, ist gerade ihnen die Erhaltung ihrer deutschen Kultur, Sprache und Traditionen wichtig. Die Hoffnung auf eine Wiederherstellung der Autonomie in ihren früheren Siedlungsgebieten haben sie inzwischen aufgeben müssen. Da der Verlust ihres „Deutschtums“ in den Herkunftsländern fortschreitet, sehen viele eine Alternative in der Ausreise. Sie wollen sowohl selbst „als Deutsche unter Deutschen .. leben“ (Landsmannschaft der Deutschen aus Rußland 1997: 35) als auch für ihre Kinder und Enkel eine bessere Zukunft schaffen.

Speziell die Jugend sieht das entscheidend anders. Was ihre Großeltern oftmals als einen Verlust empfinden, ist für sie zum Alltag, zu ihrer Realität geworden. Zum einen wuchsen sie nach Dietz/Roll (1998: 40f.) „mit der russischen Sprache und Alltagskultur auf“ und „fühlten sich ... zumeist eingebunden und integriert.“ Zum anderen hatten rund 40% einen „Elternteil nichtdeutscher Nationalität.“ Es wird sogar angemerkt, daß nicht wenige der jungen Rußlanddeutschen gar nicht ausreisen wollten.[28] „Nur der starke Familienzusammenhalt und selektierte oder idealisierte Informationen ... ließen sie die Entscheidung dafür mehr oder minder mittragen“ (Reich et al. 1999: 346).

Als Hauptausreisegründe nennen Strobl et al. (1999: 23) etwa eine „bessere Zukunft für die Kinder“, die „Familienzusammenführung“, die „Rückkehr ins Abstammungsland“, die „Hoffnung auf materielle Verbesserung“, den Ausreisewunsch der Großeltern sowie den „Wunsch, mit deutscher Sprache und Kultur zu leben“.

Wie Nuscheler (2000: 34) erwähnt, gehen „erfahrungsgemäß .. nicht die Armutsgruppen, sondern Angehörige der Mittelschicht auf die interkontinentale Wanderschaft.“ Das bestätigen auch die Untersuchungen von Dietz/Roll (1997: 25). Demzufolge beurteilten über 80% ihre wirtschaftliche Lage vor der Ausreise als zumindest durchschnittlich oder besser. Die Rußlanddeutschen zählten also „nicht zu den wirtschaftlich Benachteiligten, ... aber auch nicht [zu] den neuen privilegierten Kreisen.“[29] Im Zuge wirtschaftlicher Verschlechterungen und des Zusammenbruchs des staatlichen Sozialsystems in den Herkunftsländern nahm im Laufe der letzten Jahre die Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen an Bedeutung zu (a.a.O.: 33ff.).

1.5 Erfahrungen in Deutschland

Das menschliche Handeln geht sowohl auf die Vorgaben der Gesellschaft als auch auf die Natur des Menschen zurück. Dabei hat jede Gesellschaft wenigstens ein Minimum an moralischen Werten und Normen, nach denen sich seine Mitglieder zu richten haben. Somit steht das Verhalten des einzelnen im ständigen Spannungsfeld zwischen seinen eigenen „Trieben“ und den ihm auferlegten Pflichten. Nun haben aber nicht alle die gleiche Position in der Gesellschaft.[30] Folglich kommt es zu Ausgrenzungen bzw. Desintegration und Teilhabe bzw. Integration. Im folgenden werden die gesellschaftlichen Vorgaben und die Reaktionen der Rußlanddeutschen darauf behandelt. Das soll jedoch den einzelnen keineswegs von seiner Verantwortung freisprechen und alternatives Handeln ausschließen. Hier geht es vielmehr darum, daß nach dem bisherigen Stand der Forschung bestimmte Verhaltensweisen im Durchschnitt eher auftreten als andere.

Die Rußlanddeutschen standen schon in ihren Herkunftsgebieten zwischen ihrer herkömmlichen Kultur und den Richtlinien der dortigen Gesellschaft (siehe Kapitel 1.1). Nach der Einreise in die Bundesrepublik befinden sie sich aber oftmals in einem ihnen neuen und unerwarteten Spannungsfeld. Das ist wenig verwunderlich, wenn man bedenkt, daß ihre Vorstellungen von Deutschland und seiner Kultur in erheblichem Maße aus den Erfahrungen und Erinnerungen der Großeltern hervorgehen. Diese beziehen sich etwa auf Traditionen und Tugenden, die zwar vor den Deportationen des zweiten Weltkriegs durchaus bestanden haben mögen, aber inzwischen an Bedeutung verloren haben.[31] Besonders verwirrend wirken auf die Rußlanddeutschen der hiesige Umgang mit Autoritäten und der aus ihrer Sicht geringe Gemeinschaftssinn. Somit ist für sie wieder eine Vermittlung zwischen den „Welten“ nötig. Zudem stellt sich ihnen die Lebenssituation anders als erwartet dar.

Denn für die Mehrheit beginnt der Aufenthalt in Deutschland in einem Übergangswohnheim. Ihre dortige Isolation ist nicht allein Resultat der mangelnden Sprachkenntnisse. Vielmehr kommen neben einer räumlichen Abgrenzung auch Vorbehalte seitens der Einheimischen hinzu. So bleiben die Kontakte zu diesen oft auf ein Mindestmaß beschränkt. Während die Rußlanddeutschen Anleitung bzw. Führung und wenig Freizeit gewohnt waren, bietet sich ihnen hier das Gegenteil. Abgesehen von einer kurzen Anleitung und gelegentlicher Unterstützung, wie z.B. bei Amtsgängen, wird von ihnen Selbständigkeit erwartet. Obwohl Praktiker weitere Integrationshilfen anmahnen, kam es hingegen noch zu Kürzungen. Diese Lage führt zur Intensivierung der bestehenden Verbindungen zu bereits in Deutschland wohnenden Verwandten und Freunden. Darüber hinaus werden neue Kontakte in den Unterkünften geknüpft. Dort kommt es dann nach wie vor zur Pflege der eigenen Traditionen (vgl. Sasse 1999: 228). Folglich bleibt die Integration zunächst trotz der rechtlichen Gleichstellung weitestgehend auf die eigenen Netzwerke beschränkt.[32]

Jedoch weist Giest-Warsewa (1998: 356) darauf hin, daß „die weit überwiegende Gruppe der Aussiedler ... sich mit großem Einsatz und viel Mut um ihren Platz in unserer Gesellschaft bemüht.“ Die Einbindungen bieten aber auch psychischen Rückhalt in einer Situation, in der die Aussiedler mit etlichen Ungewißheiten konfrontiert werden. Zudem zeigen Studien, daß die Nutzung von Netzwerken auch förderlich sein kann. Demnach verlief die Arbeitsplatzsuche dann erfolgreicher, wenn bereits ansässige Verwandte oder Bekannte halfen (Bundesministerium des Innern 2000a: 21).

Es ist aber auch darauf hinzuweisen, daß viele Aussiedler eine weitere Betreuung ablehnten, wenn sie erst einmal außerhalb der Wohnheime leben (Wohlfahrtsverbände Duisburg 2001: 11). Dabei ist fraglich, wie kompetent sie dann im weiteren beraten und somit auf ihre Rechte und Möglichkeiten aufmerksam gemacht werden. Ferner ist zu erwähnen, daß die Netzwerke nicht zwangsläufig zu einer schrittweisen Annäherung beitragen. Denn bei der Wahl des Wohnortes legen viele Aussiedler Wert auf die räumliche Nähe zu Verwandten und Bekannten. Zwar sollte das WoZuG einer Kolonienbildung entgegenwirken, allerdings zeigt die Praxis, daß dies nur eingeschränkt möglich ist und durchgeführt wird.[33] In der Folge entstanden „Siedlungen“ von Rußlanddeutschen, in denen untereinander meist russisch gesprochen wird, selbst dann noch, wenn sie bereits deutsch können. Häußermann/Oswald (1997: 22) konstatieren, „daß die sozialräumliche Trennung von den ,Einheimischen‘ keine nützliche Integrationshilfe mehr darstellt, sondern die Stigmatisierung noch erhöht und das Schreckbild der ,Ghettoisierung‘ heraufbeschwört.“ Es entsteht eine Konkurrenz um den günstigen Wohnraum mit den ansässigen Einheimischen und Ausländern, deren wirtschaftliche Lage ebenfalls problematisch ist (ebd.: 18). Zu solchen Entwicklungen kommt es vorzugsweise in größeren Städten.

Die wirtschaftliche Integration der Aussiedler wird durch den Strukturwandel erschwert. Im Gegensatz zu früheren Jahrzehnten hat die Industrie ihre Schlüsselrolle als Arbeitgeber für die Zuwanderer verloren. Inzwischen wird die Lage vielmehr durch Stellenkürzungen und Werksschließungen bestimmt. Davon sind insbesondere die Männer betroffen. Die Frauen waren in den Herkunftsländern zwar größtenteils auch berufstätig, das aber vorzugsweise im Dienstleistungsbereich. Werden auf dem deutschen Arbeitsmarkt gerade in diesem „Sektor“ Fachkräfte gesucht, so haben es die Rußlanddeutschen aufgrund ihrer Sprachschwierigkeiten trotzdem schwer, dort eine Anstellung zu finden.

Laut Kapphan (1997: 126) liegt die Arbeitslosigkeit bei den Aussiedlern hoch. In besonderem Maße sind davon nach ihm aber nur drei Gruppen betroffen. Zum einen die mit geringer Qualifikation, dann die Jugendlichen und „die Altersgruppe über 50 Jahre.“ Seifert (1996: 191) ermittelte eine Arbeitslosenquote von 26%. Durch den Ausschluß aus der Arbeitslosenversicherung stellen diese einen nicht geringen Teil derer, die auf Sozialhilfe angewiesen sind. Hinzuzuzählen sind aber noch diejenigen, die über zu geringe Einkünfte verfügen.

Bei den Berufstätigen ist in der Regel eine „Dequalifizierung“ (Heinen 2000: 43) zu konstatieren. So sind viele bereit, einen Job anzunehmen, der „unter ihrer mitgebrachten Ausbildung und Berufserfahrung“ liegt. Dazu kommt es neben den mangelnden Sprachfähigkeiten und einer angespannten Arbeitsmarktlage nicht zuletzt auch, weil oftmals die mitgebrachten Abschlüsse nicht anerkannt werden. Selbst mit Fortbildungen können dann die früheren Berufe in den wenigsten Fällen wieder ausgeübt werden. Davon sind am stärksten die Frauen betroffen. Aber auch bei den Männern fällt ein hoher Anteil an Hilfsarbeitern auf (vgl. Reich et al. 1999: 344).[34]

Gerade wenn man sich die Diskussionen um die „Überalterung“ der deutschen Gesellschaft vor Augen führt, werden mit dem Zuzug der Aussiedler auch Potentiale sichtbar. So könnten sie mit ihrem jungen Durchschnittsalter einen wertvollen Beitrag zur Stützung des Rentensystems leisten. Wäre hierfür auch vor allem die Jugend zu motivieren, die erst am Anfang ihres beruflichen Werdeganges steht, stellt aber eben diese einen erheblichen Teil der arbeitslosen Aussiedler.

Auch die Lage auf dem Ausbildungsmarkt ist problematisch. So haben unter den Aussiedlern nicht einmal die Hälfte „der Schüler an berufsbildenden Schulen eine Lehrstelle“ (Dietz/Roll 1997: 72). Als Ursachen hierfür werden der fehlende oder schlechte Schulabschluß sowie Sprachschwierigkeiten genannt. Hinzu kommt neben den Bedenken der Lehrherren ferner ein Trend zur ungelernten Arbeit.

Solche Tätigkeiten sind sicherlich auch auf einen schnellen Gelderwerb hin ausgerichtet. Der Prestigeverlust der Bildung in den Herkunftsländern ist jedoch nicht außer acht zu lassen.[35] Diese Einstellung wird auch nach Deutschland importiert. So verweisen Grübl/ Walter (1999: 372) auf „Vorbehalte gegen theoretische und formelle Bildungsinhalte“. Praktische Arbeit hingegen, also nicht Theoretisches, wird lieber angenommen. Es ist „ein zentraler Bestandteil des männlichen Ehrencodex, irgend einen Job zu haben“ (ebd.: 370).[36]

An den deutschen Schulen wirkt sich nicht allein dieser mitgebrachte Bedeutungsverlust aus. Ferner rufen die Unterschiede zwischen den Unterrichtsformen bei vielen Rußlanddeutschen Verunsicherung hervor. Zu nennen ist etwa der Umgang der Lehrer mit den Schülern, den sie aus ihren Herkunftsländern als wesentlich strenger und distanzierter kannten.[37] Waren sie konkrete Anweisungen gewohnt, wird hier mehr Wert auf selbständiges Arbeiten gelegt. Die Reaktion darauf ist nicht selten eine geringe Beteiligung am Unterricht. Bald fühlen sie sich dann sowohl vom Lehrer als auch von den Mitschülern ausgegrenzt und nicht beachtet (Kestermann 1998: 59). Es gibt aber noch ein weiteres Hemmnis für ihre Motivation in der Schule. Aufgrund ihrer Sprachprobleme werden sie in der Regel zunächst in Förderklassen eingeteilt. Diese stellen an sich schon einmal auf Zeit gesehen eine Abgrenzung dar. Erfolgt dann aber die Aufnahme in die Regelklassen, sind sie schon meist zwei bis drei Jahre älter als ihre Mitschüler (Fricke 1998: 34). Stellt die Schule doch üblicherweise einen Kontaktpunkt mit einheimischen und ausländischen Gleichaltrigen dar, so kann sie durchaus auch zu einem Ort der Desintegration und des Konfliktes werden.

Nach diesen Anmerkungen zur Arbeits- und Bildungssituation der Aussiedler, soll nun näher auf einen bereits zuvor angesprochenen Aspekt eingegangen werden. Vor der Ausreise ließen sich viele Rußlanddeutschen von einem, wie Giest-Warsewa (1998: 357) es nennt, „unrealistischen Deutschlandbild leiten.“ Sind sie erst einmal angekommen und sammeln gegenteilige Erfahrungen, werden Anpassungsstrategien nötig. Dabei sind Unterschiede zwischen den Generationen zu beobachten.

Das Ziel der Großeltern war ein deutsches Umfeld (mit seiner Sprache und Kultur) sowie eine bessere Zukunft für sich und ihre Familie. Gerade diese Generation wird als sehr genügsam bezeichnet, was sicherlich mit auf die Entbehrungen in ihrer Vergangenheit zurückzuführen ist. In finanzieller Hinsicht sind sie und empfinden sie sich und ihre Familie besser als zuvor versorgt. Zwar entspricht die hiesige Kultur nicht immer ihren Vorstellungen, allerdings sehen sie den Erhalt der deutschen Sprache gesichert und sie können ihre Traditionen auch weiterhin unter den übrigen Rußlanddeutschen pflegen. Wie für viele einheimische und auch ausländische Rentner bleibt ihr soziales und kulturelles Leben vielfach auf Kontakte mit Verwandten und Bekannten beschränkt.

Ein wenig anders stellt sich die Situation den Eltern dar. In Erinnerung an die wirtschaftlichen Probleme in ihren Herkunftsländern wirkt die neue Lage auch auf sie positiver. Trotzdem sorgen bei ihnen die Arbeitslosigkeit und die berufliche Dequalifikation für mehr Ernüchterung. Messen sie dem traditionellen Leben in der Regel nicht nur aufgrund häufiger Mischehen weniger Bedeutung bei, so wollten sie doch als „Gleiche unter Gleichen“ (Reich et al. 1999: 344f.) leben. Etliche haben aber „das Gefühl, wieder in die ethnische Minoritätenrolle gedrängt zu werden.“ Auch die unterschiedlichen Lebensweisen und Einstellungen können bei ihnen über „Enttäuschung“ und Unsicherheit zu „Überforderung“ führen.[38] Eine mögliche Reaktion in solchen Fällen ist der Rückzug „auf die eigene Volksgruppe.“

Die Jugendlichen werden auch als „Mitgenommene“ (Sasse 1999: 228) bezeichnet. Das soll auf ihre geringe Beteiligung an der Ausreise hinweisen, bei der sie nicht nur ihren bekannten Lebensraum, sondern auch ihren Freundeskreis zurücklassen mußten. Es ist aber nicht allein der Wechsel in ein neues bzw. fremdes Land zu verarbeiten.[39] Die Jugend steht zudem vor der Entscheidung über ihren Einstieg ins Berufsleben. Dieser gestaltet sich für sie, wie erwähnt, bedingt durch die Lage auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt problematisch. Stellte doch gerade die materielle Besserstellung einen Anreiz für sie dar, sich auf die Aussiedlung einzulassen, werden nicht wenige in dieser Hinsicht enttäuscht.[40] Giest-Warsewa (1998: 357) konstatiert zudem, „daß über .. Probleme ... nur wenig gesprochen oder auch nur über Ansätze hinaus reflektiert wird.“ So werden diese aufgeschoben, ignoriert oder verdrängt.

War die Ausreise bei ihnen auch durchaus mit Ängsten verbunden, so äußerten doch nicht wenige die Erwartung, bald Kontakt zu Einheimischen aufzubauen. Allerdings besteht bei rund der Hälfte der Freundeskreis größtenteils aus Aussiedlern (Dietz/Roll 1998: 105). Etliche von ihnen erleben dabei Ausgrenzungen und machen die Erfahrung, unerwünscht zu sein. Und das sowohl bei Einheimischen als auch bei Ausländern.[41] Sie sind dann auf diejenigen angewiesen, „die das gleiche Schicksal haben“ und es erfolgt „eine stärkere Abgrenzung gegenüber anderen Gruppen“ (Reich et al. 1999: 348). In den Cliquen der Rußlanddeutschen, die als extrem verschlossen gelten, wird sowohl wegen der Sprachschwierigkeiten als auch zur Außendarstellung und Abgrenzung russisch gesprochen. Obendrein bezeichnen sie sich oft selbst als „Russen“ (Schmitt 2000: 295) .[42]

Zu Abgrenzungen kommt es bei den Rußlanddeutschen aber nicht nur gegenüber den Einheimischen und den Ausländern. Nicht selten entstehen auch Spannungen innerhalb der Familie, die dann zwischen den Generationen ausgetragen werden. Dieser Prozeß beginnt meistens schon in den Übergangswohnheimen, wo ein Teil der elterlichen Autorität und des engen Familiensinns verloren gehen. Dort bemerken die Kinder gegebenenfalls, daß ihre Eltern oft selbst mit der neuen Lage ausgelastet oder sogar überlastet sind und sich deshalb zurückziehen. In dieser Zeit gewähren die Eltern den Jugendlichen dann größere Freiräume und achten weniger auf sie. So gelangen Reich et al. (1999: 347) zu dem Schluß, daß die jungen Rußlanddeutschen „viel früher, als sie dies problemlos bewältigen können, zur Eigenständigkeit gezwungen“ sind. Sobald eine Wohnung gefunden ist, will man die Kinder in der Regel wieder stärker ins familiäre Leben einbinden. Dazu sind diese dann aber oftmals nicht mehr bereit.

Eine neue Erfahrung für die Rußlanddeutschen ist die viele Freizeit, die sie in Deutschland haben, dann aber meist nicht zu nutzen wissen. Der Alltag in den Herkunftsländern war zwar nicht durch die Schule bzw. Arbeit allein ausgefüllt, jedoch mußte meist noch zusätzlich zum Überleben beigetragen werden. So gab es nicht nur viele Aufgaben im Haushalt, sondern es kamen etwa auch die Einkäufe, für die aufgrund langer „Schlangen“ viel Zeit einzuplanen war, hinzu. Besonders solche Hobbys, denen sie alleine nachgehen konnten, waren vielen vor der Einreise „unbekannt“. Vielmehr verbrachten sie ihre knappe Freizeit mit Freunden oder im Kreise der Familie. Durchaus üblich war das Treffen auf der Straße oder an anderen öffentlichen Orten. In Deutschland sind sie speziell in der Anfangszeit von zahlreichen Freizeitangeboten ausgegrenzt. Gründe lassen sich sowohl im fehlenden Wissen um diese als auch in ihren finanziellen Möglichkeiten finden. Folglich sind sie gerade in dieser Phase wenig beschäftigt und langweilen sich oder „hängen“ herum . Aber auch nach dem Aufenthalt in den Wohnheimen treffen sich die Rußlanddeutschen weiterhin oft in Gruppen bzw. zu gemeinschaftlichen Aktivitäten (vgl. Kohl 1998: 32).

Deshalb hat es sich das Bundesministerium des Innern (BMI) zum Ziel gesetzt, die Aussiedler über die „Heranführung an die vorhandenen Einrichtungen und Angebote“ (Bundesministerium des Innern 2000c: 2) im Bereich des Sports zu fördern. Dies geschieht aufgrund der Ansicht, daß gemeinschaftliche sportliche Aktivitäten durchaus zur Integration beitragen können. Federführend ist in diesem Rahmen das 1989 gemeinsam mit dem Deutschen Sportbund initiierte Projekt „Sport mit Aussiedlern“. Weniger optimistisch äußerte sich dazu Rummelt (1998: 109f.). Denn trotz vorhandener Integrationsbereitschaft sowohl seitens der Aussiedler als auch der Einheimischen sowie der aktiven Teilnahme in Sportvereinen konstatierte er erhebliche Mängel im Bereich der sozialen Integration. Deshalb geht er davon aus, daß der Sport nur Bestandteil eines umfassenderen Integrationskonzepts sein kann. Zudem machte der LandesSportBund Nordrhein-Westfalen (2000: 1) darauf aufmerksam, daß „Sport .. nicht per se integrativ“ wirkt. So „birgt der Sport ... ein nicht unbeträchtliches Konfliktpotential ... [und] schafft ... Anlässe für Konflikte zwischen verschiedenen konkurrierenden Gruppen.“ Aus diesem Grunde ist er „bewußt und sensibel“ einzusetzen.

Schließlich ist noch einmal darauf hinzuweisen, daß Integration ein Prozeß ist. Im Falle der Rußlanddeutschen heißt das, es reicht nicht aus, wenn sie die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten, einen Sprachkurs besuchen und finanziell versorgt sind. Hinsichtlich der kulturellen Angleichung ist zu konstatieren, daß diese einige Generationen benötigen kann.[43] Dabei sollten realistische Erwartungen an die Rußlanddeutschen gerichtet und ihnen nicht der Wille zur Integration an sich abgesprochen werden. Ihr bisheriges Handeln war oftmals am Kollektiv ausgerichtet. Deshalb muß ihre Selbständigkeit gefördert werden. Um sie dabei zu unterstützen, hat nicht nur die Politik, sondern auch die Gesellschaft mehr auf sie „zuzugehen“.

Zu diesem Zweck hat die Bundesregierung am 1. Januar 2001 ihr „Modellprojekt zur Aussiedlerintegration auf Basis von Integrationsverträgen“ (Bundesministerium des Innern 2001: 3) ins Leben gerufen. Diese werden auf „freiwilliger Basis“ mit den Neuankömmlingen abgeschlossen und regeln die „Rechte und Pflichten von Aussiedlern“, wobei die „berufliche und soziale Integration im Vordergrund“ steht. Um dies zu erreichen, wird den Teilnehmern ein sogenannter „Integrationsbegleiter oder ,Lotse‘ zur Verfügung“ (Welt 2001b: 1) gestellt, der bei „Fragen der sprachlichen und beruflichen Eingliederung, aber auch .. [bei] allgemeine[n] Probleme[n] (Versicherungsfragen, Wehrdienst, Wohnungssuche etc.)“ (Bundesministerium des Innern 2001: 4) hilft. Diese Projekte sind bereits in acht deutschen Städten angelaufen[44] und wurden laut offiziellen Angaben von den Beteiligten bereitwillig angenommen.

1.6 Drogenkonsum, Kriminalität und Polizeikontakte in Deutschland

Kriminalität und Drogenkonsum allgemein

Die Aussiedler, und hier insbesondere die Jugendlichen, werden immer wieder mit Alkohol, illegalen Drogen und Kriminalität in Verbindung gebracht. In diesem Zusammenhang herrscht auch weitgehende Einigkeit über die negativen Einflüsse der Unterbringung in Wohnheimen (siehe Kapitel 1.5). Allerdings gibt es gegensätzliche Meinungen bezüglich des Verhaltens der Rußlanddeutschen außerhalb dieser Einrichtungen; also in der Regel derer, die bereits länger ansässig sind. Nach Fricke (1998: 35) liegen „[b]undesweit .. jedoch keine gesicherten Erkenntnisse hierzu vor. (...) Signifikante Unterschiede zwischen jugendlichen Spätaussiedlern und einheimischen sowie ausländischen Jugendlichen in ähnlichen sozialen Problemlagen ... können bisher nicht repräsentativ festgestellt werden.“ Berichte über „eine gestiegene Kriminalität“ stützen sich vielmehr auf „regionale Untersuchungen“.

[...]


[1] Zwecks besserer Lesbarkeit wird im Rahmen dieser Arbeit durchweg die maskuline Form gebraucht, insofern auf beide Geschlechter Bezug genommen wird.

[2] Seit 1950 kamen laut Bundesverwaltungsamt (BVA) über 4,1 Millionen Aussiedler.

[3] Die Bezeichnung „Rußlanddeutsche“ bezieht sich nicht ausschließlich auf Rußland oder die heutige Russische Föderation, sondern vielmehr auf die gesamte ehemalige Sowjetunion.

[4] Bei Integration geht es hier um „alle äußeren Lebensbereiche, also die materielle, soziale und kulturelle und nicht zuletzt auch die innerpsychische Situation. [Dies] ist kein einseitiger Prozeß, ... sondern basiert auf beiderseitigem Wandel“ (Reich et al. 1999: 353).

[5] Die Unterteilung der Altersgruppen im Rahmen dieser Arbeit findet sich in Kapitel 2.2.

[6] Nach dem Fuchs et al. (1988: 707) versteht man unter Sozialisation „den Prozeß, durch den ein Individuum in eine soziale Gruppe eingegliedert wird, indem es die in dieser Gruppe geltenden sozialen Normen ... sowie die zur Gruppe gehörenden Werte, Überzeugungen usw. erlernt und in sich aufnimmt.“

[7] Sie erließ am 17. August 1763 ein Anwerbungsmanifest, mit dem Ausländer aus Mittel- und Westeuropa ins Land gelockt werden sollten, indem ihnen etliche Privilegien (Religionsfreiheit, Steuererlässe und die Befreiung vom Militärdienst) zugesprochen wurden.

[8] Laut Bosch/Lingor (1990: 104) wurden dabei mehrere hundert Geschäfte und „Wohnungen ausgeraubt und demoliert.“ Neben zahlreichen Verletzten und Schwerverletzten gab es drei Tote. Zwar wird dieses Datum meist nur mit der Stadt Moskau in Verbindung gebracht, aber „[ä]hnliches geschah auch in Petersburg, Odessa und anderen Städten.“

[9] Durch diese bürgerliche Revolution wurde der Zar Nikolaus II. zur Abdankung veranlaßt.

[10] Die entsprechenden Gesetzestexte finden sich in der Verordnung des Rates der Volkskommissare der UdSSR vom 28. April 1936, Nr. 776-120.

[11] Bei diesem Begriff geht es herkömmlich darum, jemanden „in das Heimatland zurückzuführen“ (Wahrig-Burfeind 1999: 809). Für diese Rußlanddeutschen bedeutete das jedoch ebenfalls die Deportation nach Sibirien und Zentralasien. Rund 270.000 Personen waren davon betroffen (Hecker 1994: 32).

[12] Das entsprechende Dekret wurde am 13. Dezember 1955 erlassen (Neues Leben 1991: 7).

[13] Nach dem Sturz Chruschtschows im Oktober 1964 kehrte Breschnew den Reformkurs seines Vorgängers wieder um. Erst mit Gorbatschow wurde dieser Prozeß fortgeführt.

[14] Besonders diese Kreise sollten das typisch „Rußlanddeutsche“ wieder fördern. Ziel war die Etablierung eines Gemeinschaftsgefühls, um dem starken Auswanderungstrend entgegenzuwirken (Kainz 2000: 544).

[15] Das machen sich auch Kriminelle zu Nutzen. „By 1995 almost 50% of criminal profits were spent on corrupting state officials“ (Frisby 1998: 37).

[16] Es gibt eine steigende Zahl privater Sicherheitsdienste. Diese arbeiten zwar meist ohne Lizenz, jedoch sind Kontrollen die Ausnahme. Dabei verläuft ihre Arbeit nicht öffentlich und nach eigenen Gesetzen (Frisby 1998: 30, Houben 1999: 1029).

[17] Art. 116 Abs. 1 GG regelt dabei, wer Deutscher ist. „Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist ..., wer ... als ... Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat.“

[18] § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG hingegen regelt, wer Vertriebener ist. „Vertriebener ist auch, wer als deutscher Staatsangehöriger oder deutscher Volkszugehöriger die ehemals unter fremder Verwaltung stehenden deutschen Ostgebiete ... [oder] die ehemalige Sowjetunion ... verlassen hat oder verläßt.“

[19] Im weiteren Verlauf wird der Begriff Aussiedler synonym verwandt.

[20] Mit 21,8% wird der größte Anteil der Aussiedler dem Land NRW zugewiesen. Geringer fallen da schon die Werte für Bayern (14,4%) und Baden-Württemberg (12,3%) aus. Über 5% der Zuteilungen erhalten schließlich noch die Länder Niedersachsen mit 9,2%, Hessen mit 7,2% und Sachsen mit 6,5%.

[21] Das KfbG beinhaltete zudem Leistungskürzungen. Neben dem Ausschluß aus der Arbeitslosenversicherung kam es zu Streichungen bei der Eingliederungshilfe.

[22] Ausgehend von den Zahlen der Landsmannschaft der Deutschen aus Rußland (1997: 35) lebten im Jahre 2001 noch rund eine Million Aussiedler in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion.

[23] Dieser ist seit Mitte der neunziger Jahre (44,6%) auf inzwischen über 60% angestiegen (Fricke 1998: 31).

[24] Arbeitslos waren 14,3% der Männer sowie 13,6% der Frauen. Der Anteil unter den Ausländern betrug insgesamt 21,7%. Die Daten dieses Monats wurden gewählt, weil in ihm auch die Befragung durchgeführt wurde. Somit stellen sie die erforderliche Bezugsgröße dar, wenn es im dritten Kapitel um die Arbeitslosigkeit der Duisburger Aussiedler geht.

[25] Diese Angabe bezieht sich auf die Personen im erwerbsfähigen Alter und hierbei nur auf diejenigen, die in den letzten fünf Jahren nach Duisburg kamen. Denn nur diese Gruppe kann statistisch noch als Aussiedler erfaßt werden. In dieser Zeit gelten die Aussiedler als „Neubürger“ und sind als solche noch gesondert zu ermitteln. Daher ist zu erwähnen, daß die Arbeitslosenquote aller Duisburger Aussiedler einen anderen Wert haben mag. Dieser ist jedoch aufgrund der Datenlage nicht festzustellen.

[26] In Zusammenarbeit mit den Wohlfahrtsverbänden AWO, Caritas und Diakonie wurden zum einen die damaligen Bewohner der Einrichtungen in „Mietverhältnisse vermittelt“ und zum anderen erhielten die Neuankömmlinge möglichst direkt „angemessene Mietwohnungen“ (Bericht der Verbände zum Wohnungsnotfallplan 2000: 2).

[27] Die Gruppe der über 65jährigen ist in Duisburg um 5,3% überrepräsentiert, was die Anteile der jüngeren Bevölkerung verringert. Dafür sind besonders die weiblichen Einheimischen verantwortlich, die 9,3% über dem Durchschnitt liegen (Amt für Statistik, Duisburg 2001).

[28] Der Unwille zur Ausreise wird nicht selten von Ängsten begleitet. Neben der Furcht vor der deutschen Sprache wird die mögliche Ablehnung durch die Einheimischen sowie der Verlust des bisherigen Freundeskreises angeführt (Kohl 1998: 37f.).

[29] Es ist aber davon auszugehen, daß selbst die materielle Situation der dort Bessergestellten vielfach eine schlechtere als die in Deutschland war (Dietz/Roll 1997: 25).

[30] So treten etwa Unterschiede hinsichtlich der Rechte und Pflichten auf. Aus diesen wiederum ergeben sich verschiedenste Verhaltenserwartungen, mit denen sich der einzelne im sozialen System konfrontiert sieht (vgl. Parsons 1967: 496ff.).

[31] Genannt werden häufig neben Ehrlichkeit und Gründlichkeit Ordnung, Sauberkeit, Familiensinn und Fleiß.

[32] Praktiker berichten über weitere negative Einflüsse infolge der Wohnsituation in diesen Einrichtungen. Viele Männer greifen zum Alkohol und leben dies ihren Kindern als Konfliktbewältigungsstrategie vor. So wird zum einen der Konsum der Jugendlichen oftmals toleriert und zum anderen allgemein wenig auf diese geachtet.

[33] Grund hierfür ist nicht allein die zeitliche Begrenzung der Anwendbarkeit des Gesetzes auf drei Jahre. Hinzu kommt die Vergabepraxis seitens der kommunalen Wohnungsämter für Sozialwohnungen. Insbesondere in den Großstädten sehen sich diese jedoch einem nicht unerheblichen Problem gegenüber. Zum einen sind zahlreiche Aussiedlerfamilien auf Sozialwohnungen angewiesen und zum anderen kommt es mancherorts zur Konzentration dieses Wohnraums in bestimmten Stadtteilen. Die Ursachen sind somit nicht nur in den Wünschen der Aussiedler, sondern auch in deren ökonomischer Lage und den Angeboten durch die Städte auszumachen (Bürkner 1998: 67).

[34] Giest-Warsewa (1998: 358) sieht „viele Aussiedler [als] eindeutig ... mittel- bis langfristig ökonomisch ... ausgegrenzt.“

[35] Die hohen Arbeitslosenquoten in den Herkunftsländern unter den Jugendlichen lassen diese dort am Sinn der Ausbildung zweifeln. Selbst den hoch Qualifizierten bleibt nicht selten der Arbeitsmarkt verschlossen. Zudem führt eine bessere Ausbildung nicht unbedingt zu einem besseren Verdienst oder größeren beruflichen Chancen in der Zukunft (Chuprov/Zubok 2000: 173).

[36] Laut Seifert (1996: 184) „übten mehr als die Hälfte der Aussiedler un- und angelernte Tätigkeiten aus.“

[37] Das kann zum Autoritätsverlust und in der Folge zur Überforderung der Lehrer führen (vgl. Giest-Warsewa 1998: 358).

[38] Diese hängt häufig mit gegensätzlichen Erziehungsstilen zusammen. Giest-Warsewa (1998: 357) macht in diesem Zusammenhang nicht nur auf eine „extrem früh einsetzende ganztägige Krippenerziehung“ in den Herkunftsländern aufmerksam, sondern auch auf eine „übermäßige Anpassung an kollektive Normen in der Gesellschaft“ und eine „gehorsam- beziehungsweise eher angstmotivierte Befolgung elterlicher Normen.“

[39] Es sind auch die physischen wie psychischen Veränderungen an der Schwelle zum Erwachsensein zu bewältigen.

[40] Pfeiffer merkt an, „daß diese Jugendlichen den Alltagsfrust offensichtlich in der Hoffnung überstehen, irgendwann wird es besser“ (Boers/Eisner 1999: 12f.). Haben sich nach einigen Jahren die „überzogen positiven Einschätzung[en]“ nicht realisiert, „dann wird die Enttäuschung allerdings massiv sein.“

[41] Für Zweitgenannte gilt das „vor allem ..., wenn sie aufgrund von Geburtsort und Entwicklungsgeschichte in allem mit Ausnahme des Passes ... ,eingedeutscht‘ sind“ (Reich et al. 1999: 348).

[42] Waren sie aus ihren Herkunftsländern noch ein multi-ethnisches Umfeld gewohnt, entsteht gerade in den Kolonien „eine kollektive ethnische Identität“ (Oswald/Voronkov 1997: 135).

[43] Das wird aber erst seit Anfang der neunziger Jahre erkannt, auch weil die Aussiedler vorher eine eher unauffällige Gruppe waren. Dabei gilt zu bedenken, daß es seitdem zu einigen Veränderungen kam. Zum einen nahm die Zahl der Einreisenden zu. Zum anderen kamen vermehrt die Rußlanddeutschen, bei denen von einer weiteren kulturellen Distanz als etwa bei den Polen ausgegangen wird (vgl. Dietz 1996: 123ff.).

[44] Es handelt sich dabei neben Korbach in Hessen um die Städte Wolfen/Bitterfeld, Braunschweig, Riesa-Großenhain, Potsdam-Mittelmark, Dortmund und Kiel sowie seit dem 23. Oktober 2001 um die Stadt Recklinghausen (Welt 2001b: 1).

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2002
ISBN (eBook)
9783832487508
ISBN (Paperback)
9783838687506
DOI
10.3239/9783832487508
Dateigröße
806 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Duisburg-Essen – Sozialwissenschaften
Erscheinungsdatum
2005 (Mai)
Note
1,3
Schlagworte
spätaussiedler polizeiforschung migration kriminalität soziologie
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Titel: Zum Vertrauen rußlanddeutscher Aussiedler in die Duisburger Polizei
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