Kinderbetreuung und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf
©2005
Diplomarbeit
86 Seiten
Zusammenfassung
Inhaltsangabe:Problemstellung:
Vor dem Hintergrund veränderter gesellschaftlicher Bedingungen und Erfordernisse kommt dem Thema Kinderbetreuung in der Bundesrepublik Deutschland eine zunehmend höhere gesamtwirtschaftliche Bedeutung zu.
Bildungsökonomisch betrachtet übernimmt die institutionelle Kinderbetreuung einen gesetzlich verankerten Bildungsauftrag und soll die Grundlagen für die Heranbildung zukunftssichernden Humankapitals schaffen. Die alarmierenden Ergebnisse der jüngsten PISA-Studie aus dem Jahr 2003 haben dazu angeregt, die Qualität der Kinderbetreuung zu überprüfen, und das Augenmerk stärker auf frühkindliche Erziehung zu legen. Denn hier wird der Grundstein für das Leistungs- und Bildungspotential des Individuums gelegt - die Weichen werden schon vor der Schule gestellt.
Aus arbeitsmarktökonomischer Sicht begründen langfristige demographische und gesellschaftliche Veränderungen die Notwendigkeit einer stärkeren Partizipation der Frau am Erwerbsleben. In einer alternden und von Geburtenrückgängen gezeichneten Gesellschaft kommt der Frauenerwerbsquote eine Schlüsselrolle zu im Bezug auf die Aufrechterhaltung der Tragfähigkeit der Sozialversicherungssysteme und die Deckung eines für absehbare Zeit prognostizierten Mangels an (hoch)qualifizierten Fachkräften. Das Dilemma der gleichzeitigen Erfordernis einer höheren Frauenerwerbsquote und einer höheren Geburtenquote macht eine intensive Auseinandersetzung mit der Frage nach Ansatzpunkten zur Verbesserung der Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf notwendig. In diesem Zusammenhang spielt der quantitative Ausbau des Kinderbetreuungsangebots als Teil einer neuen nachhaltigen Familienpolitik eine zentrale Rolle. Er wird als ein grundlegendes Instrument betrachtet, welches die Chancengleichheit der Frau auf dem Arbeitsmarkt fördern und somit die ökonomische Ausschöpfung getätigter Humankapitalinvestitionen ermöglichen soll.
Ziel der vorliegenden Arbeit ist eine Analyse der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung der institutionellen Kinderbetreuung in Deutschland aus beiden vorgestellten Perspektiven. Im Rahmen einer humankapitaltheoretischen Betrachtung der Rentabilität von Investitionen in die Kinderbetreuungsstruktur werden beide Perspektiven vereint.
Denn humankapitaltheoretisch stellt sich aus beiden Perspektiven die gleiche Frage: Handelt es sich beim bildungsökonomisch geforderten qualitativen Ausbau und dem aus arbeitsmarktökonomischer Sicht postulierten quantitativen […]
Vor dem Hintergrund veränderter gesellschaftlicher Bedingungen und Erfordernisse kommt dem Thema Kinderbetreuung in der Bundesrepublik Deutschland eine zunehmend höhere gesamtwirtschaftliche Bedeutung zu.
Bildungsökonomisch betrachtet übernimmt die institutionelle Kinderbetreuung einen gesetzlich verankerten Bildungsauftrag und soll die Grundlagen für die Heranbildung zukunftssichernden Humankapitals schaffen. Die alarmierenden Ergebnisse der jüngsten PISA-Studie aus dem Jahr 2003 haben dazu angeregt, die Qualität der Kinderbetreuung zu überprüfen, und das Augenmerk stärker auf frühkindliche Erziehung zu legen. Denn hier wird der Grundstein für das Leistungs- und Bildungspotential des Individuums gelegt - die Weichen werden schon vor der Schule gestellt.
Aus arbeitsmarktökonomischer Sicht begründen langfristige demographische und gesellschaftliche Veränderungen die Notwendigkeit einer stärkeren Partizipation der Frau am Erwerbsleben. In einer alternden und von Geburtenrückgängen gezeichneten Gesellschaft kommt der Frauenerwerbsquote eine Schlüsselrolle zu im Bezug auf die Aufrechterhaltung der Tragfähigkeit der Sozialversicherungssysteme und die Deckung eines für absehbare Zeit prognostizierten Mangels an (hoch)qualifizierten Fachkräften. Das Dilemma der gleichzeitigen Erfordernis einer höheren Frauenerwerbsquote und einer höheren Geburtenquote macht eine intensive Auseinandersetzung mit der Frage nach Ansatzpunkten zur Verbesserung der Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf notwendig. In diesem Zusammenhang spielt der quantitative Ausbau des Kinderbetreuungsangebots als Teil einer neuen nachhaltigen Familienpolitik eine zentrale Rolle. Er wird als ein grundlegendes Instrument betrachtet, welches die Chancengleichheit der Frau auf dem Arbeitsmarkt fördern und somit die ökonomische Ausschöpfung getätigter Humankapitalinvestitionen ermöglichen soll.
Ziel der vorliegenden Arbeit ist eine Analyse der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung der institutionellen Kinderbetreuung in Deutschland aus beiden vorgestellten Perspektiven. Im Rahmen einer humankapitaltheoretischen Betrachtung der Rentabilität von Investitionen in die Kinderbetreuungsstruktur werden beide Perspektiven vereint.
Denn humankapitaltheoretisch stellt sich aus beiden Perspektiven die gleiche Frage: Handelt es sich beim bildungsökonomisch geforderten qualitativen Ausbau und dem aus arbeitsmarktökonomischer Sicht postulierten quantitativen […]
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
ID 9149
Bruun, Alexandra: Kinderbetreuung und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf
Hamburg: Diplomica GmbH, 2005
Zugl.: Universität Paderborn, Diplomarbeit, 2005
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Printed in Germany
Inhaltsverzeichnis I
Inhaltsverzeichnis
INHALTSVERZEICHNIS ...I
TABELLENVERZEICHNIS ...IV
ABBILDUNGSVERZEICHNIS ... V
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS...VI
1
EINLEITUNG ... 1
1.1
P
ROBLEMSTELLUNG
... 1
1.2
G
ANG DER
U
NTERSUCHUNG
... 2
1.3
A
BGRENZUNG UND
E
INSCHRÄNKUNGEN
... 3
2
GRUNDLAGEN DER HUMANKAPITALTHEORIE ... 4
3
QUALITÄTSANALYSE DER KINDERBETREUUNGSEINRICHTUNGEN... 8
3.1
B
ILDUNGS
-
UND
E
RZIEHUNGSAUFTRAG IM
E
LEMENTARBEREICH
... 8
3.2
T
YPOLOGIE DER
K
INDERBETREUUNGSEINRICHTUNGEN IN
D
EUTSCHLAND
... 11
3.3
D
EFINITION VON
Q
UALITÄT UND
Q
UALITÄTSINDIKATOREN
... 11
3.4
S
TRUKTURELLE
Q
UALITÄTSINDIKATOREN
... 12
3.4.1
Träger und Verantwortlichkeit ... 12
3.4.2
Finanzierungsstruktur... 13
3.4.3
Betreuungsangebot ... 14
3.4.3.1
Betreuungsangebotstruktur nach Einrichtungsart ... 14
3.4.3.2
Versorgungsquoten für Krippen- und Kindergartenkinder ... 15
3.4.3.3
Versorgungsquoten nach zeitlichem Umfang der Betreuung ... 15
3.4.3.4
Besuchsquote... 16
3.4.4
Fachkräfte... 17
3.4.4.1
Professionalisierung der Fachkräfte ... 17
3.4.4.2
Vergütung der Fachkräfte... 19
3.5
K
ONTEXTUELLER
Q
UALITÄTSINDIKATOR
: B
ILDUNGSPLÄNE
... 20
Inhaltsverzeichnis II
3.6
I
NTERNATIONALER
V
ERGLEICH
... 21
3.7
Z
USAMMENFASSUNG UND
A
USBLICK
... 25
4
VEREINBARKEIT VON FAMILIE UND BERUF ... 26
4.1
N
OTWENDIGKEIT EINER STÄRKEREN
E
RWERBSBETEILIGUNG DER
F
RAU
... 27
4.1.1
Demographische Entwicklungstendenzen... 27
4.1.2
Nachfrage nach Fachkräftepotential... 28
4.1.3
Gesellschaftliche Veränderungen... 30
4.2
E
RWERBSBETEILIGUNG VON
F
RAUEN IN
D
EUTSCHLAND
... 30
4.2.1
Status Quo ... 30
4.2.2
Gegenüberstellung des Status Quo und tatsächlicher Präferenzen ... 33
4.3
U
RSACHEN DER GERINGEN
E
RWERBSBETEILIGUNG DER
F
RAU
... 35
4.3.1
Gesellschaftliche Werte und Einstellungen... 35
4.3.2
Rechtliche Rahmenbedingungen... 36
4.3.2.1
Exkurs: Erziehungszeit Gesetzliche Rahmenbedingungen in Deutschland ... 37
4.3.3
Mangelndes öffentliches Kinderbetreuungsangebot ... 37
4.3.3.1
Charakteristika des institutionellen Kinderbetreuungsangebots ... 37
4.3.3.2
Zusammenhang zwischen Erwerbsbeteiligung und Betreuungsangebot ... 38
4.3.3.3
Einfluss des Elternbeitrags ... 39
4.4
A
USWIRKUNGEN EINES NICHT BEDARFSGERECHTEN
B
ETREUUNGSANGEBOTS
... 41
4.4.1
Ausgedehnte Erwerbspausen und ihre Konsequenzen... 41
4.4.1.1
Karrierenachteile und Einkommenseinbußen ... 43
4.4.1.2
Teilzeitarbeit Chancen und Risiken ... 45
4.4.2
Perspektiven ausgewählter Personengruppen ... 46
4.4.2.1
Alleinerziehende... 46
4.4.2.2
Akademikerinnen ... 47
4.5
Z
USAMMENFASSUNG UND
A
USBLICK
... 49
5
KOSTEN-NUTZEN VERGLEICH... 49
5.1
K
OSTEN EINES QUANTITATIVEN UND QUALITATIVEN
A
USBAUS
... 50
5.1.1
Ausgaben der öffentlichen Jugendhilfen für Kindertagesbetreuung... 50
5.1.2
Kosten eines Kinderbetreuungsplatzes... 51
5.2
N
UTZEN
... 51
Inhaltsverzeichnis III
5.2.1
Nutzen eines qualitativen Ausbaus der Kinderbetreuung ... 51
5.2.2
Nutzen eines quantitativen Ausbaus der Kinderbetreuung ... 53
5.3
A
NSÄTZE EINER
Q
UANTIFIZIERUNG DES
K
OSTEN
-N
UTZEN
-V
ERHÄLTNIS
... 56
5.4
Z
USAMMENFASSUNG UND
A
USBLICK
... 57
6
FAZIT... 57
7
ANHANG ... 60
7.1
E
RWERBSBETEILIGUNG UND
B
ESUCHSQUOTE IM INTERNATIONALEN
V
ERGLEICH
... 60
8
LITERATURVERZEICHNIS ... 61
9
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG ... 76
Tabellenverzeichnis IV
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Erwerbstätigkeit von Frauen im Jahr 2003 ... 32
Tabelle 2: Arbeitszeitangebot der Mutter nach Alter des Kindes ... 32
Tabelle 3: Wiedereingliederungskosten von Berufsrückkehrerinnen für Unternehmen... 55
Abbildungsverzeichnis V
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Humankapital-Investitionen und Humankapital-Bildung... 6
Abbildung 2: Besuchsquoten ... 16
Abbildung 3: Personal in Kindertageseinrichtungen nach Ausbildungsabschluß ... 18
Abbildung 4: Altersstruktur-Entwicklung der Erwerbspersonen nach Qualifikationsebene ... 29
Abbildung 5: Erwerbspräferenzen im internationalen Vergleich ... 34
Abbildung 6: Korrelation von Besuchsquoten und Erwerbstätigkeit... 39
Abbildung 7: Auswirkungen der Dauer der Erwerbsunterbrechung auf den Lohn ... 44
Abkürzungsverzeichnis VI
Abkürzungsverzeichnis
AWO
Arbeiterwohlfahrt
BMFSFJ
Bundesministerium für Frauen, Senioren, Jugend und
Familie
bzw.
beziehungsweise
ca.
circa
d.h.
das heisst
DIW
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
ebd.
Ebenda
Et al.
et alii
etc
et cetera
EUR
Euro
f
folgende
ff
fortfolgende
GEW
Gesellschaft für Erziehung und Wissenschaft
i.e.S.
im engeren Sinne
ISI
Informationsdienst sozialer Indikatoren
ISS
Institut für Sozialpädagogik und Sozialarbeit
KiTa
Kindertagesstätten
Mill.
Millionen
o.J.
Ohne Jahresangabe
o.S.
ohne Seitenangabe(n)
o.V.
Ohne Verfasserangabe
OECD
Organization for Economic Cooperation and Development
s.o
siehe oben
SOEP
sozioökonomisches Panel
Stat. Bundesamt
Statistisches Bundesamt
u.a
unter anderem
USD
US Dollar
vgl.
vergleiche
WZB
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung
z.B.
zum Beispiel
ZUMA e.V.
Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen
Einleitung
1
1 Einleitung
1.1 Problemstellung
Vor dem Hintergrund veränderter gesellschaftlicher Bedingungen und Erfordernisse kommt
dem Thema Kinderbetreuung in der Bundesrepublik Deutschland eine zunehmend höhere
gesamtwirtschaftliche Bedeutung zu.
Bildungsökonomisch betrachtet übernimmt die institutionelle Kinderbetreuung einen
gesetzlich verankerten Bildungsauftrag und soll die Grundlagen für die Heranbildung
zukunftssichernden Humankapitals schaffen. Die alarmierenden Ergebnisse der jüngsten
PISA-Studie aus dem Jahr 2003
1
haben dazu angeregt, die Qualität der Kinderbetreuung zu
überprüfen, und das Augenmerk stärker auf frühkindliche Erziehung zu legen (vgl. OECD,
2004). Denn hier wird der Grundstein für das Leistungs- und Bildungspotential des
Individuums gelegt - ,,die Weichen werden schon vor der Schule gestellt" (KLUGE, 2005,
S.3).
Aus arbeitsmarktökonomischer Sicht begründen langfristige demographische und
gesellschaftliche Veränderungen die Notwendigkeit einer stärkeren Partizipation der Frau am
Erwerbsleben. In einer alternden und von Geburtenrückgängen gezeichneten Gesellschaft
kommt der Frauenerwerbsquote eine Schlüsselrolle zu im Bezug auf die Aufrechterhaltung
der Tragfähigkeit der Sozialversicherungssysteme und die Deckung eines für absehbare Zeit
prognostizierten Mangels an (hoch)qualifizierten Fachkräften. Das Dilemma der
gleichzeitigen Erfordernis einer höheren Frauenerwerbsquote und einer höheren
Geburtenquote macht eine intensive Auseinandersetzung mit der Frage nach Ansatzpunkten
zur Verbesserung der Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf notwendig. In
diesem Zusammenhang spielt der quantitative Ausbau des Kinderbetreuungsangebots als Teil
einer neuen nachhaltigen Familienpolitik eine zentrale Rolle. Er wird als ein grundlegendes
Instrument betrachtet, welches die Chancengleichheit der Frau auf dem Arbeitsmarkt fördern
und somit die ökonomische Ausschöpfung getätigter Humankapitalinvestitionen ermöglichen
soll.
1
Das ,Program for International Student Assessment' (PISA) der OECD hat zum Ziel, alltagsrelevante
Kenntnisse und Fähigkeiten 15-jähriger Schüler zu messen. PISA wird seit dem Jahr 2000 in dreijährigem
Turnus in den meisten Mitgliedsstaaten der OECD und einer zunehmenden Anzahl von Partnerstaaten
durchgeführt.
Einleitung
2
Ziel der vorliegenden Arbeit ist eine Analyse der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung der
institutionellen Kinderbetreuung in Deutschland aus beiden vorgestellten Perspektiven. Im
Rahmen einer humankapitaltheoretischen Betrachtung der Rentabilität von Investitionen in
die Kinderbetreuungsstruktur werden beide Perspektiven vereint.
Denn humankapitaltheoretisch stellt sich aus beiden Perspektiven die gleiche Frage: Handelt
es sich beim bildungsökonomisch geforderten qualitativen Ausbau und dem aus
arbeitsmarktökonomischer Sicht postulierten quantitativen Ausbau der Kinderbetreuung um
gesamtwirtschaftlich rentable Investitionen. Oder rechtfertigt ein nicht ausreichend starker
Kausalzusammenhang zwischen Instrument und Wirkung keine hohen Investitionen in den
Ausbau der Kinderbetreuung? Eine angemessene Beurteilung des Kosten-Nutzen Verhältnis
kann nur erfolgen, wenn die Auswirkungen einer qualitativ verbesserten Betreuungsstruktur
auf das Bildungspotential und die Effekte einer quantitativ verbesserten Betreuungsstruktur
auf den Arbeitsmarkt berücksichtigt werden.
1.2 Gang
der
Untersuchung
Die vorliegende Arbeit setzt sich aus sechs Teilen zusammen. Im Anschluss an die
Einführung in die Thematik im ersten Teil der Arbeit werden die Grundlagen der
Humankapitaltheorie als Basis und Ausgangspunkt der weiteren Argumentation im zweiten
Teil kurz vorgestellt.
Der dritte Teil gibt einen detaillierten Überblick über den Status Quo der institutionellen
Kinderbetreuung in Deutschland und analysiert die Qualität der
Kinderbetreuungseinrichtungen unter verschiedenen Gesichtspunkten aus einer
bildungspolitischen Perspektive. Ein internationaler Vergleich soll Gedankenanstöße für
mögliche Ansatzpunkte einer Qualitätsverbesserung liefern und rundet den dritten Teil ab.
Der vierte Teil beschäftigt sich mit den Möglichkeiten der Vereinbarkeit von Familie und
Beruf. Zunächst werden Gründe für die gesamtwirtschaftliche Notwendigkeit einer stärkeren
Teilnahme der Frau am Erwerbsleben dargelegt. Anschließend wird ein Überblick über die
derzeitige Erwerbsbeteiligung der Frau gegeben. Davon ausgehend wird nach den
Bedingungsfaktoren der derzeit niedrigen Frauenerwerbsquote gesucht. Der Fokus liegt
hierbei auf der Betrachtung des quantitativen Ausbaus der Kinderbetreuung als einer
erklärenden Variable. Darauf aufbauend werden mögliche Auswirkungen eines mangelhaften
quantitativen Ausbaus der Kinderbetreuung aufgezeigt.
Einleitung
3
Im fünften Teil wird die Frage nach der gesamtwirtschaftlichen Rentabilität eines qualitativen
(siehe Teil 3) bzw. quantitativen (siehe Teil 4) Ausbaus der Kinderbetreuung erörtert. Eine
Kosten-Nutzen Analyse soll Aufschluss darüber geben, inwiefern eine qualitative bzw.
quantitative Verbesserung der Kinderbetreuungsstruktur von gesamtwirtschaftlichem Nutzen
ist und diesen mit den Investitionskosten ins Verhältnis setzen.
Im abschließenden sechsten Teil der Arbeit wird ein Fazit gezogen, welches die wichtigsten
Erkenntnisse der Arbeit zusammenfasst und darüber hinaus einen kurzen Ausblick gibt.
1.3 Abgrenzung
und
Einschränkungen
Es soll darauf hingewiesen werden, dass die Komplexität des Themas im Rahmen der
vorliegenden Arbeit nicht vollständig abgebildet und diskutiert werden kann. Der Fokus der
Ausführungen liegt auf der Darstellung der relevantesten bildungsökonomischen und
arbeitsmarktökonomischen Erkenntnisse im Zusammenhang mit der institutionellen
Kinderbetreuung in Deutschland. Anzumerken ist weiterhin, dass bei der Qualitätsanalyse der
Kinderbetreuungseinrichtungen im dritten Teil der Arbeit bei einigen Problemdarstellungen
vorwiegend auf die Situation in Westdeutschland Bezug genommen wird. Der Grund hierfür
ist eine deutliche Kluft zwischen neuen und alten Bundesländern hinsichtlich der
Betreuungsstrukturen. Das Betreuungssystem in Ostdeutschland ist noch von den
sozialistischen Strukturen der ehemaligen DDR geprägt und gehört bezogen auf die
Bedarfsdeckung zu einem der führenden in Europa. Im Gegensatz dazu besteht in
Westdeutschland oftmals noch starker Entwicklungsbedarf in diesem Sektor.
Zugunsten der Überschaubarkeit bezieht sich die Qualitätsanalyse der
Kinderbetreuungseinrichtungen im dritten Teil ausschließlich auf öffentliche
Betreuungseinrichtungen für Kinder von drei Jahren bis zum Schuleintritt, während bei der
quantitativen Betrachtung der Kinderbetreuung im vierten Teil auch das Betreuungsangebot
für Kinder im Krippenalter einbezogen wird. Bei der Qualitätsanalyse wurden Einrichtungen
für Kinder im Krippenalter auch deshalb außer acht gelassen, da der Nachweis der
Instrumentalität frühkindlicher Erziehung für das Leistungspotential in diesem Alter nur
äußerst schwierig zu führen ist. Es bestehen sehr divergierende Meinungen von Experten über
die Auswirkung von Betreuung und Erziehung bei Kindern unter drei Jahren. Darüber hinaus
liegen zu diesem Thema bisher nur wenige wissenschaftliche Studien vor (vgl. C
OPPLE
, 2003,
S.765; siehe J
AMES
_B
URDURMY
, 2005, S.177ff).
Grundlagen der Humankapitaltheorie
4
,,Eine reiche Ausstattung an Humankapital ist für eine Volkswirtschaft
Voraussetzung für Wachstum, Innovation und
internationale Wettbewerbsfähigkeit".
(Doré/Clar,1997, S.197).
2 Grundlagen
der
Humankapitaltheorie
Die Analyse der Funktion und des Nutzens der Kinderbetreuungseinrichtungen wird vor dem
Hintergrund der Bedeutung eines fundierten Humankapitalstocks für die gesamte Gesellschaft
durchgeführt. Aus diesem Grund soll der vorliegende zweite Teil der Arbeit zunächst den
Begriff Humankapital definieren. Anschließend werden die volkswirtschaftliche Bedeutung
des Humankapitalstocks und Charakteristika seiner Entwicklung erläutert.
Der Wohlstand einer Volkswirtschaft hängt von der Anzahl produzierter Güter und
Dienstleistungen ab. Eine Veränderung des Wohlstandes entsteht nur dann, wenn die
Produktionsmenge ausgedehnt werden kann. Die beiden treibenden Faktoren für diesen
Prozess sind die Arbeitsmenge und die Arbeitsproduktivität. Der Rolle des Humankapitals als
Inputfaktor eines Produktionsprozesses wurde dabei lange Zeit zu wenig Bedeutung
zugesprochen (vgl. S
CHULTZ
, 1961, S.2f. Spätestens seit der Renaissance der neoklassischen
Wachstumstheorie allerdings gilt Humankapital als Rohstoff der Wissensgesellschaft, da die
Innovationsfähigkeit der Volkswirtschaft entscheidend vom Humankapitalstock abhängt (vgl.
M
AUßNER
/K
LUMP
, 1996, S.23ff) ,,It's growth may well be the most distinctive feature of the
economic system" (S
CHULTZ
, 1961, S.4).
Humankapital wird definiert als ,,der Bestand an Wissen und Fertigkeiten eines Individuums,
dessen Zunahme die Produktivität des oder der Betreffenden erhöht" (vgl. F
RANZ
, 1996,
S.77). Der gesamte Bestand an Wissen wird auch unter dem Begriff Bildung
zusammengefasst. Investitionen in Humankapital haben langfristige Auswirkungen auf
Einzelpersonen sowie auf eine gesamte Volkswirtschaft. Humankapital ist keine statische
Größe, da sich ihr Wert über die Zeitdauer verändert. In diesem Zusammenhang spricht man
auch von einem Humankapitalzyklus, da Humankapital erst aufgebaut wird und einen zeitlich
unterschiedlichen Nutzen und Wert hat (vgl. D
ORÉ
/ C
LAR
, 1997, S.164ff).
Die Aneignung von Wissen und Fähigkeiten hat sich schnell als einer der
Haupteinflussfaktoren für Wirtschaftswachstum herausgestellt (vgl. T
HUROW
, 1970, S.2). Die
enorme Bedeutung des Humankapitals und insbesondere früher Investitionen in die Bildung
Grundlagen der Humankapitaltheorie
5
wurden durch die prägenden Humankapitaltheoretiker Theodor Schultz und Gary S. Becker
herausgestellt. Durch die Erkenntnis, dass ein Produktionszuwachs (growth of physical assets)
nur einen relativ kleinen Anteil am Einkommenszuwachs (growth of income) bewirkte, wurde
dem Humankapital ein neuer ökonomischer Wert verschafft. ,,The result has been the
accumulation of a tremendous amount of circumstantial evidence testifying to the economic
importance of human capital, especially of education" (B
ECKER
, 1964, S.1f).
Schultz und Becker betrachten dabei Investitionen in Humankapital in Analogie zu
Investitionen in Sachanlagen. Ausgangslage war dabei die Untersuchung des Zusammenhangs
zwischen Humankapital, Einkommensdifferenzen, Beschäftigung und Wachstum (vgl.
B
ECKER
, 1993, S.30). Beckers Analysen über die Investitionen und die Bedeutung von
Humankapital konnten dabei einige wichtige Erkenntnisse bringen, die bis dato nicht
empirisch erklärt werden konnten. So ließ sich beispielsweise der Zusammenhang zwischen
Einkommen und steigendem Alter bzw. höherem Qualifikationsniveau erklären (vgl. B
ECKER
,
1964, S.8).
Die Behandlung der Ressource Bildung unter dem Aspekt wirtschaftlicher Nutzung wird in
der Humankapitaltheorie umfangreich untersucht. Betriebswirtschaftlich sowie individuell
steht dabei die Qualifikationsmehrung im Vordergrund der ökonomischen Theorien.
Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass Investitionen in Bildung zu einer Steigerung der
Produktivität führen und damit langfristig Erträge bewirken (vgl. M
AIER
, 1994, S.1). Dabei
lassen sich zwei Dimensionen unterscheiden: Zum einen kann mehr Bildung aus
volkswirtschaftlicher Perspektive das Produktivitätsniveau erhöhen und zum anderen
resultiert das gesteigerte Leistungsniveau in einem höheren Pro-Kopf-Einkommen. Als
Humankapitalinvestitionen werden dabei sowohl Schul- und Hochschulausbildung als auch
,on-the-job-training' betrachtet (vgl. B
ECKER
,1993, S. 30f).
Bezogen auf die zweite Dimension ,,Pro-Kopf-Einkommen" streben die Individuen eine
Maximierung ihres Gewinns an, welcher sich über Zeitdauer der Teilnahme auf dem
Arbeitsmarkt entwickelt. Dabei ist der Aufbau des Humankapitalbestands erst einmal mit
Investitionen verbunden und entwickelt sich in Abhängigkeit der Zeit (vgl. D
ORÉ
/ C
LAR
,
1997, S.162). Am Modell von Heckman (1976) lässt sich die Entwicklung des Humankapitals
und der aufgebrachten Investitionen graphisch gut zeigen (vgl. H
ECKMAN
, 1976, S.13).
Grundlagen der Humankapitaltheorie
6
Age
T
0
Time costs of investment
R I(t) H(t)
= 0
Human capital stock
H(t)
0
Age
T
Quelle: In Anlehnung an: Heckman (1976), S.13
Abbildung 1: Humankapital-Investitionen und Humankapital-Bildung
Die Veränderungsrate des Humankapitals, wie in der rechten Graphik von Abbildung 1
gezeigt, verhält sich gemäß
),
(
)]
(
),
(
)
(
[
)
(
t
H
t
D
t
H
t
bI
F
t
H
0
)
0
(
H
H
Dabei ist
)
(
t
I
die in Humankapital investierte Zeit und
)
(
t
D
die investierte Menge an Konsumgütern.
bezeichnet die Rate, mit der sich der Humankapitalbestand konstant im Zeitablauf
entwertet.
Die Perioden des Bildungserwerbs werden dabei als Opportunitätskosten betrachtet (vgl.
B
ECKER
,1993, S. 30f). Des weiteren ist belegt, dass sich das Einkommen in Abhängigkeit des
Humankapitalbestands verhält. Daher sollten die Investitionen schon im frühen Lebenszyklus
beginnen, da sich mit zunehmendem Lebensalter die Amortisationszeit der Investitionen
vermindert. Außerdem steigen die Opportunitätskosten der entgangenen Einkommen mit
zunehmender Marktproduktivität (vgl. S
TEPHAN
,1995, S.55).
Grundlagen der Humankapitaltheorie
7
Neben der Akkumulation von Humankapital während der Schul- bzw. Hochschulbildung
wurde der Familie als Basis der Förderung frühen Humankapitals eine stetig wachsende Rolle
zugesprochen (vgl. S
CHULTZ
, 1986, S.47). Leibowitz (1974) belegte in einer Studie, dass die
Qualität der Kinder in direkter Abhängigkeit zur aufgewendeten Zeit und Intensität der Eltern
in die Erziehung der Kinder steht. Der gemessene Bestand an Wissen bei Eintritt der
Grundschule reflektiert also das akquirierte Humankapital während der frühen Kindheit (vgl.
L
EIBOWITZ
, 1974, S.432). Somit wurde von Becker und Schultz zum einen die Funktion der
Erziehung, zum anderen die Funktion der Ausbildung als elementare Komponenten zur
Bildung von Humankapital hervorgehoben (vgl. B
ECKER
, 1981, S.2, vgl. S
CHULTZ
, 1986,
S.17).
Abschließend soll an dieser Stelle noch auf die Problematik einer exakten Bewertung des
Humankapitalbestands hingewiesen werden. Da der Gesamtbestand an Wissen schwer
quantifizierbar ist, liegt der Schwerpunkt der Bewertungsverfahren innerhalb der
Humankapitaltheorie vor allem auf der Messung von Kosten und Nutzen der
Bildungsausgaben.
Auch die Messung des Verhältnis von Kosten und Nutzen gestaltet sich nicht ganz einfach.
Denn will man beispielsweise den Wert der Schulbildung am Arbeitsmarkt bestimmen, indem
man die kumulierten Humankapitalinvestitionen in Form der Anzahl der Schuljahre misst, ist
eine unterschiedliche Bewertung der Schuljahre zu berücksichtigen. Die Notwendigkeit einer
unterschiedlichen Gewichtung ergibt sich aus der Überlegung, dass ein Schuljahr im
Elementarbereich ökonomisch nicht gleichzusetzen ist mit einem Bildungsjahr in einer
weiterführenden Schule. Eine Möglichkeit der Quantifizierung der Kosten ist die Schätzung
der Alternativkosten in Form des entgangenen potentiellen Einkommens. Beim Vergleich des
zu erwartenden Einkommens nach der Bildungsinvestition mit dem zu erwartenden
Einkommen ohne Bildungsinvestition ist eine Betrachtung der Totalperiode notwendig. Geht
man davon aus, dass sich das Einkommen in Abhängigkeit der Bildungsstufen festlegen lässt,
ist der Verlust genauso wie die Investitionen auf höheren Bildungsstufen höher (vgl. E
CKAUS
,
1970, S.80).
Qualitätsanalyse der Kinderbetreuungseinrichtungen
8
3 Qualitätsanalyse der Kinderbetreuungseinrichtungen
Die Möglichkeiten der Heranbildung und Entwicklung von Humankapital hängen maßgeblich
von der Ausgestaltung des Bildungssystems ab. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit die
institutionellen Kinderbetreuungseinrichtungen in Deutschland fähig sind, Kindern erwartete
Bildungs- und Erziehungsgrundlagen zu vermitteln.
Um den Erwartungs- und Anforderungshorizont an Kinderbetreuungseinrichtungen
abzustecken, soll in Teil 3.1 zunächst der Bildungs- und Erziehungsauftrag im
Elementarbereich vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher Herausforderungen wie
Kinderarmut und Migration betrachtet werden. Als Grundlage der weiteren Ausführungen
werden im Teil 3.2 die verschiedenen Arten von institutionellen Kinderbetreuungs-
einrichtungen vorgestellt. Im Anschluss an eine Definition des Qualitätsbegriffs in Teil 3.3
wird die Qualität der Kinderbetreuungseinrichtungen in Teil 3.4 und 3.5 unter dem
Analyseraster verschiedener Qualitätsindikatoren untersucht. Außen vor bleiben bei der
Analyse die Partizipation der Eltern sowie die speziellen Qualitätsanforderungen zur
Betreuung und Förderung von Kindern mit geistigen oder körperlichen Behinderungen. Über
die Schwachstellenanalyse hinaus soll im Teil 3.6 ein internationaler Vergleich der
Ausprägung der Qualitätsindikatoren mögliche Ansatzpunkte zur Qualitätsverbesserung
identifizieren. Der Teil 3.7 fasst die Erkenntnisse der Qualitätsanalyse zusammen, greift die
erkannten Schwachstellen auf und gibt einen kurzen Ausblick auf mögliche Ansatzpunkte zur
Ausschöpfung bestehender Verbesserungspotentiale.
3.1 Bildungs- und Erziehungsauftrag im Elementarbereich
Die Funktion vorschulischer Bildung in Deutschland bezieht sich vorwiegend auf die
Aneignung von Basiskompetenzen statt auf die Vermittlung von Wissen (vgl. P
EUCKER
, 2003,
S.2). Im Fokus der aktuellen Diskussionen steht eine qualitative Aufwertung im Sinne
frühkindlicher Förderung und der Entwicklung von kindlichen Meta-Kompetenzen. Dazu
zählen Sprachförderung, Sozialkompetenzentwicklung, die Vermittlung der Erschließung von
Wissen und Lernfähigkeit sowie die Förderung der Widerstandsfähigkeit (vgl. BMFSFJ,
2003b, S.67).
Des weiteren sollte der Kindergarten ,,elementare Aufgaben der familienergänzenden
Erziehung und Betreuung, d.h. Fürsorge wahrnehmen" (E
BERT
, 2003, S.338). Dieser Aspekt
ist im Sozialgesetzbuch verankert, in dem es heisst, dass die Kinder- und Jugendhilfe zu
Qualitätsanalyse der Kinderbetreuungseinrichtungen
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Abbau und Vermeidung von Benachteiligungen beitragen soll (§1 KJH) (vgl. SGB, 2005,
S.965). Die Aufgabe und Relevanz der Nivellierung sozialer Ungleichheit wird im folgenden
näher betrachtet.
Die PISA Studie(n) stellte(n) fest, dass in keinem anderen Land der Zusammenhang zwischen
Bildungserfolg und sozialer Herkunft so deutlich ist, wie in Deutschland (vgl. BMFSFJ 2002,
S. 29). Kinder aus unterprivilegierten Familien sind in Gymnasien unterrepräsentiert und
besuchen verstärkt Sonder- und Hauptschulen. Die Tatsache, dass Kinder aus einem sozial
benachteiligten Umfeld ebenso wie Migrantenkinder für eine Gymnasialzulassung
durchschnittlich höhere Leistungsergebnisse erbringen müssen, ist ein Indikator für die
mangelnde soziale Durchlässigkeit des Schulsystems in Deutschland (vgl. BMFSFJ 2000, S.
175). Die häufige Irreversibilität der frühen Weichenstellung für die weitere schulische
Laufbahn und damit oft auch berufliche Laufbahn im Alter von etwa 10 Jahren verdeutlicht
die Bedeutsamkeit frühkindlicher Bildungsmaßnahmen für die Förderung gesellschaftlicher
Chancengleichheit (vgl. M
AHLER
/ W
INKELMANN
, 2004, S.26). Denn ein höherer
Bildungsweg bleibt Kindern aus sozial benachteiligten Familien derzeit oft verwehrt, da sie
bereits zu einem Zeitpunkt ihrer Bildungskarriere ausgesiebt werden, bis zu welchem sich ihr
Leistungspotential aufgrund mangelnder Förderung noch nicht ausreichend entfalten konnte.
Vor dem Hintergrund des Ziels einer höheren sozialen Durchlässigkeit kommt der
familienergänzenden Erziehung und Betreuung durch institutionelle Einrichtungen gerade
dort eine besonders hohe Bedeutung zu, wo das familiäre Umfeld seiner Erziehungsaufgabe
nicht nachkommt bzw. nicht nachkommen kann. Dies ist in Deutschland in zunehmendem
Maße der Fall. Den letzten Berichten der UNICEF zufolge leben in Deutschland heute mehr
als 1,5 Millionen Kinder in Armut
2
, dies entspricht jedem zehnten Kind. Die Zahl hat sich seit
1989 mehr als verdoppelt Besonders betroffen sind Kinder aus kinderreichen Familien, von
Alleinerziehenden und Kinder mit Migrationshintergrund (vgl. UNICEF, 2005, o.S).
2
Über eine eindeutige Armutsdefinition ist man sich in Politik und Wissenschaft uneinig. In einigen Erhebungen
wird als Bewertungsmaßstab für die Berechnung der Armutsgrenze das Durchschnittseinkommen herangezogen,
in anderen dient der Median als Berechnungsgrundlage. International hat sich die Definition der Armutsgrenze
durch ein Haushaltsäquivalenzeinkommen von weniger als 60% des Medians durchgesetzt. Für das Jahr 2003
betrug der Median des Haushaltsäquivalenzeinkommen für Gesamtdeutschland 1238 EUR. Die
Armutsrisikogrenze lag damit bei 743 EUR. Für weitere Informationen zur familienspezifischen Berechnung der
Armutsgrenze (vgl. N
OLL
/W
EICK
, 2005 und BMGS, 2005, S. XV). Eine zweite Armutsdefinition bezieht sich
auf die sozio-kulturelle Armut, worunter der ,,Ausschluss von der Teilhabe am gesellschaftlich üblichen Leben,
die soziale Ausgrenzung" verstanden wird (vgl. BMGS, 2005 S. XVI).
Qualitätsanalyse der Kinderbetreuungseinrichtungen
10
Sozioökonomische Benachteiligung und Verarmung führt zu einer emotionalen Belastung, die
in frühen Depressionen sowie Feindseligkeit und einer ,,erhöhten Bereitschaft zu
Normverstößen" resultieren kann (vgl. BMFSFJ, 2004b, S.195). Empirische Belege
beschränken sich dabei nicht nur auf Jugendliche, sondern bestätigen diese Reaktionen schon
bei Kindern im Vor- und Grundschulalter (vgl. D
UNCAN
et al., 1994, S.296ff). Die Gründe für
Verhaltensauffälligkeit und Entwicklungsrückstände liegen dabei oft in der Inkompetenz und
Erziehung der Eltern (vgl. BMFSFJ, 2004c, S.9f).
Die positive Auswirkung einer hochwertigen institutionellen Kinderbetreuung auf Kinder aus
sozial benachteiligten Familien konnte dabei mehrfach empirisch belegt werden. In einer
amerikanischen Vergleichsstudie hatten Kinder aus Risikofamilien, die eine
Kindereinrichtung besuchten, bessere schulische Voraussetzungen und einen höheren IQ als
diejenigen, die zu Hause betreut wurden (vgl. NICHD, 2000, S.144f). Gründe für spätere
schlechtere Lern- und Leistungschancen liegen vor allen Dingen in verminderten sprachlichen
Kompetenzen. Denn die Schriftsprachkompetenz bildet die Basis für die kognitive und soziale
Entwicklung (vgl. W
HITEHEAD
, 2004, S.303). Besonders für Migrantenkinder ist dies von
immenser Bedeutung, da ,,die Beherrschung der deutschen Sprache eine entscheidende
Voraussetzung nicht nur für den Bildungserfolg sondern auch für eine gleichberechtigte
Teilnahme an der Gesellschaft darstellt " (vgl. BMFSFJ (2000), S.172). In diesem
Zusammenhang wird der Sprachförderung im Rahmen einer vorschulischen Erziehung eine
enorme Bedeutung eingeräumt. Sie ermöglicht zum einen die soziale Integration von Kindern
mit Migrationshintergrund und stellt zum anderen die Basis für die Entwicklung kognitiver
und sozialer Fähigkeiten dar.
Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang das Verständnis frühkindlicher Bildung als
ein meritorisches Gut. Denn eine flächendeckende Privatisierung frühkindlicher Bildung birgt
die Gefahr einer erhöhten Einkommensabhängigkeit der Betreuung vom Einkommen der
Eltern. Folglich kommt dem Staat die Aufgabe zu, einen ausreichenden Zugang zu
frühkindlicher Bildung sicherzustellen. Entscheidend ist dabei nicht, dass der Staat das Gut
selbst zur Verfügung stellt, er muss allerdings zumindest durch ausreichende (finanzielle)
Unterstützung und Förderung der entsprechenden Träger dafür sorgen, dass das erforderliche
Ergebnis erzielt wird (vgl. OECD, 2004, S. 11).
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Originalausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2005
- ISBN (eBook)
- 9783832491499
- ISBN (Paperback)
- 9783838691497
- DOI
- 10.3239/9783832491499
- Dateigröße
- 702 KB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Universität Paderborn – Wirtschaftswissenschaften
- Erscheinungsdatum
- 2005 (Dezember)
- Note
- 1,3
- Schlagworte
- gleichberechtigung arbeitsmarkt frau erwerbsbeteiligung vergleich