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Korruptionsprävention und -bekämpfung in Deutschland

Chancen, Mittel und Grenzen

©2005 Magisterarbeit 114 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Bauaufträge gegen Bares, Stimmabgabe nach Bezahlung, Rechsprechung nach dem höchsten Angebot – es gibt nun einmal Angebote, die kein vernünftiger Mensch ausschlagen kann. Warum sich also komplizierten Regelungen und unvorteilhaften Verfahren unterwerfen, wenn eine kleine Spende zur richtigen Zeit den gewünschten Effekt viel schneller und unkomplizierter erzielt? Warum sich mit einer öffentlichen Moral quälen, wenn Käuflichkeit als selbstverständlicher Sachverhalt sich täglich aufs Neue erweist? Was alle tun, kann auch nicht strafbar sein. Schließlich gibt es Versicherungs- und Steuerbetrug als Volkssport auch nicht erst seit heute, und ist dieser nicht ein Kavaliersdelikt im Vergleich zur Selbstbedienungsmentalität der Eliten?
Folgt man dieser Logik, dann ergibt sich ganz schnell das Bild einer durch und durch korrupten Gesellschaft, in der Schmieren und Schmierenlassen zur alltäglichen Praxis geworden zu sein scheint. Tatsache ist, dass Korruption in Deutschland mittlerweile weiter verbreitet und tiefer verwurzelt ist, als bisher angenommen wurde oder man sich selbst zugestehen wollte. Nach Beispielen muss man demzufolge auch nicht lange suchen: Barschecks und Sachzuwendungen an den Baureferenten verschaffen Konzessionen und Genehmigungen an den öffentlichen Vergabeverfahren vorbei, pekuniäre Handsalben an die Aufsichtsbehörde verhindern hohe Gebührenbescheide und strenge Ordnungskontrollen, fingierte Beraterverträge zwischen hohen politischen Repräsentanten und namhaften Medienhändlern verschaffen ein lukratives Zweiteinkommen.
Von „A“ wie Abgeordneter bis „Z“ wie Zulassungsverfahren - Korruption lohnt sich und ist im Wesentlichen eine Frage des Preises. Am Buffet der Selbstbereicherung bedienen sich der Sachbearbeiter in der Ausländerbehörde, der Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal, Wirtschaftsminister und Kanzler ebenso wie Vorstände, einfache Unternehmer und selbständige Journalisten. Auch die jüngere deutsche Geschichte kann einiges an Anschauungsmaterial zu dieser „chronique scandaleuse“ beitragen: Der Bundesliga-Wettskandal, die illegale Spürpanzerlieferung an Saudi-Arabien, die Parteispendenaffäre der CDU, Flick, Neue Heimat und so weiter und so fort. Korruption kennt viel Namen und noch mehr Personen, die sich bereitwillig an ihr beteiligen oder beteiligt haben.
Dabei verkennen die Betroffenen meist, dass es sich bei dieser unvollständigen Reihung von mehr oder weniger schweren Skandalen, nicht mehr nur um […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 8936
von Schenckendorff, Dominik: Korruptionsprävention und -bekämpfung in Deutschland -
Chancen, Mittel und Grenzen
Hamburg: Diplomica GmbH, 2005
Zugl.: Ludwig-Maximilians-Universität München, Magisterarbeit, 2005
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2005
Printed in Germany

,,Es muss sich alles ändern, damit alles so bleibt, wie es ist"
Don Fabrizio Corbera, Fürst von Salina
(in Luchino Viscontis "Der Leopard")

INHALT
Einleitung: Warum über Korruption schreiben?
... 3
I
Begriffe, Konzepte, Definitionen oder: Was ist Korruption?
... 12
1
Korruption in der Alltagssprache ­ eine Annäherung ... 12
2
Der Begriff ,,Korruption" als Gegenstand sozialwissenschaftlicher
Untersuchung ... 15
2.1 Korruption als Verfehlung im Amt zum Zweck privater
Interessensdurchsetzung ... 20
2.2
Korruption als nutzenmaximierender Austausch von Ressourcen ... 23
2.3
Korruption als Verletzung des öffentlichen Interesses... 28
3
Korruption als Phänomen in pluralistischen Demokratien ... 31
II Fallbeispiel Deutschland
... 35
1
Erscheinungsformen von Korruption in der Bundesrepublik... 38
2
Strukturen der Korruptionsfälle... 42
2.1
Einzelfall-, Gelegenheits- oder Bagatellkorruption ... 43
2.2
Gewachsene Beziehungen ... 43
2.3
Strukturelle Korruption mit System... 44
3
Schäden und Schädlichkeit der Korruption... 45
4
Wie korrupt ist Deutschland?
Eine Standortbestimmung im europäischen Vergleich ... 47
5
Schlaglichter auf die deutsche Korruptionsgeschichte nach 1949... 48
5.1
Korruption auf Beamtenebene ... 50
5.2
Bestechung auf Abgeordnetenebene... 52
5.3
Korruption von Verbänden ... 54
5.4
Parteispendenaffären und Netzwerkkorruption ... 57

III
Was tun? Die Notwendigkeit der Korruptionsbekämpfung
... 61
1
Politische Kultur... 65
1.1
Gesellschaftlicher Fundamentalkonsens:
Ächtung der Korruption als sozialschädliche Delinquenz ... 66
1.2
Entwicklung und Verfestigung ethisch-moralischer Grundwerte
in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft... 67
1.3
Verbesserung der politischen Bildung... 72
2
Politische Institutionen... 73
2.1
Öffentlicher Dienst... 75
2.1.1
Formalisierung des öffentlichen Vergabewesens... 76
2.1.2
Transparenz des Verwaltungshandelns ... 77
2.1.3
Temporalisierung der Amtsperiode ... 79
2.1.4
Stärkung der Verwaltungskultur ... 79
2.1.5
Umgang mit Hinweisgebern ... 80
2.1.6 Strafrechtliche Regelungsmechanismen ... 81
2.2
Parteien und Parlament... 83
2.2.1
Parteien und Parteienfinanzierung als Korruptionsarena ... 84
2.2.2
Gesetzeslücken schließen ... 89
2.2.3
Sanktionsschwache Institution:
parlamentarischer Untersuchungsausschuss... 92
2.3
Weitere soziopolitische Funktionsträger... 93
2.3.1
Kontrollinstrumentarien für den Bürger... 94
2.3.2
Die Rolle der Medien... 95
Schluss und Ausblick...
99
Bibliographie
... 102

Einleitung: Warum über Korruption schreiben?
Bauaufträge gegen Bares, Stimmabgabe nach Bezahlung, Rechsprechung nach
dem höchsten Angebot ­ es gibt nun einmal Angebote, die kein vernünftiger
Mensch ausschlagen kann. Warum sich also komplizierten Regelungen und
unvorteilhaften Verfahren unterwerfen, wenn eine kleine Spende zur richtigen Zeit
den gewünschten Effekt viel schneller und unkomplizierter erzielt? Warum sich mit
einer öffentlichen Moral quälen, wenn Käuflichkeit als selbstverständlicher
Sachverhalt sich täglich aufs Neue erweist? Was alle tun, kann auch nicht strafbar
sein. Schließlich gibt es Versicherungs- und Steuerbetrug als Volkssport auch
nicht erst seit heute, und ist dieser nicht ein Kavaliersdelikt im Vergleich zur
Selbstbedienungsmentalität der Eliten?
Folgt man dieser Logik, dann ergibt sich ganz schnell das Bild einer durch und
durch korrupten Gesellschaft, in der Schmieren und Schmierenlassen zur
alltäglichen Praxis geworden zu sein scheint. Tatsache ist, dass Korruption in
Deutschland mittlerweile weiter verbreitet und tiefer verwurzelt ist, als bisher
angenommen wurde oder man sich selbst zugestehen wollte. Nach Beispielen
muss man demzufolge auch nicht lange suchen: Barschecks und
Sachzuwendungen an den Baureferenten verschaffen Konzessionen und
Genehmigungen an den öffentlichen Vergabeverfahren vorbei, pekuniäre
Handsalben an die Aufsichtsbehörde verhindern hohe Gebührenbescheide und
strenge Ordnungskontrollen, fingierte Beraterverträge zwischen hohen politischen
Repräsentanten und namhaften Medienhändlern verschaffen ein lukratives
Zweiteinkommen. Von ,,A" wie Abgeordneter bis ,,Z" wie Zulassungsverfahren -
Korruption lohnt sich und ist im Wesentlichen eine Frage des Preises. Am Buffet
der
Selbstbereicherung
bedienen
sich
der
Sachbearbeiter
in
der
Ausländerbehörde,
der
Oberbürgermeister
der
Stadt
Wuppertal,
Wirtschaftsminister und Kanzler ebenso wie Vorstände, einfache Unternehmer
und selbständige Journalisten. Auch die jüngere deutsche Geschichte kann
einiges an Anschauungsmaterial zu dieser ,,chronique scandaleuse" beitragen:
Der Bundesliga-Wettskandal, die illegale Spürpanzerlieferung an Saudi-Arabien,

Einleitung
6
die Parteispendenaffäre der CDU, Flick, Neue Heimat und so weiter und so fort.
Korruption kennt viel Namen und noch mehr Personen, die sich bereitwillig an ihr
beteiligen oder beteiligt haben.
Dabei verkennen die Betroffenen meist, dass es sich bei dieser
unvollständigen Reihung von mehr oder weniger schweren Skandalen, nicht mehr
nur um bloße Einzelfälle abweichenden Verhaltens einer Minderheit von
Volkvertretern handelt, die ihr persönliches Wohl nicht von dem des Staates
unterscheiden können oder wollen. Egal ob von Bestechung, Ämterpatronage, Filz
oder Lobbyismus die Rede ist; es sind alles Stichworte für ein und dasselbe
Phänomen, das nicht erst mit Inkrafttreten des Grundgesetzes bekannt geworden
ist, geschweige denn, seitdem einen regelrechten Boom erleben würde.
Korruption gab es und wird es immer geben, solange sich Menschen in sozialen
Gebilden zusammenschließen und sich gemeinsamen Regeln unterwerfen. Nur
der Grad ihrer Verbreitung und der Effekt den sie auf die Verfasstheit einer
Gesellschaft hat, wird ständigem Wandel unterworfen bleiben. So ist das Thema
Korruption in Deutschland aktuell wie eh und je. Dennoch kommt es nur selten auf
die politische Agenda und scheint in der gesellschaftlichen Diskussion nur am
Rande eine Rolle zu spielen. Schmiergeldsumpf, Bananenrepublik, Bakschisch-
Mentalität ­ allein an der Wahl des Vokabulars, das hinlänglich Verwendung
findet, um derlei illegaler Praktiken und manipulativer Techniken zu beschreiben,
wird deutlich, wie wenig die Bereitschaft da ist, das Problem als solches für die
Bundesrepublik anzuerkennen. Stattdessen scheint es sich um ein Phänomen zu
handeln, welches immer die Anderen anzugehen scheint ­ die andere Partei, das
andere System, oder der andere Staat. So wird Korruption zumeist in südlichen
Ländern verortet oder schlichtweg verdrängt. Dass allein hierzulande der
öffentlichen Hand Schäden in Höhe von 6,8 Milliarden Euro per annum durch
Wirtschaftsstraftaten entstehen
1
, dürfte den wenigsten bekannt sein. Genauso,
dass nach Schätzungen der Weltbank im internationalen Geschäftsverkehr jedes
Jahr bis zu 70 Milliarden Euro in das Korruptionsgeschäft investiert werden
2
, was
wiederum Rückwirkungen auf den deutschen Markt hat. Durch die zunehmende
Globalisierung der Märkte, werden auch die jeweiligen Gesellschaften inklusive
1
SCHAUPENSTEINER, Wolfgang/BANNENBERG, Britta: ,,Korruption in Deutschland ­ Portrait einer
Wachstumsbranche" München (2004) S.40.
2
ebenda S.13.

Einleitung
7
ihrer Sozial-, Wirtschafts- und Rechtssysteme immer komplexer und immer stärker
international verwoben. Gleichzeitig aber werden sie auch weniger durchschaubar.
Auf der anderen Seite ist das Thema Korruption äußerst skandalträchtig und
einschaltquoten- bzw. auflagensteigernd, weshalb ihr die Medien auch einen
prominenten Platz einräumen. So kommt es hin und wieder zu teils empörten, teils
resignierten, teils zornigen Reaktionen aus den Reihen der Bevölkerung im
Hinblick auf die gepflegte Art der Selbstbereicherung des politischen Personals.
Das ist in einer offenen Gesellschaft auch nichts Ungewöhnliches und deutet
zumindest auf die Bereitschaft zur Verarbeitung derlei Regelverstöße hin. Die
Empörung der Betrogenen und ein diffuses Ohnmachtsgefühl provoziert das
kollektive Gerechtigkeitsempfinden. Dabei ist gerade die Ausübung öffentlicher
Ämter und Mandate zum privaten Vorteil der kollektiven Idealisierung moralischer
Werte besonders zuwider, zumal es auch noch ein Zeugnis der Ungleichheit ist.
Moralisch-normativ ist auch großteils die Art der Beurteilung von Korruption. Sie
gilt als besonders verwerflich oder spiegelt eine ,,Pathologie der Politik" (Carl J.
Friedrich) wider
3
. Bei der Bewertung korrupter Institutionen geht es aber auch, wie
eingangs erwähnt, um die ganz eigene Bereitschaft zur Wahrnehmung eines
persönlichen Vorteils. Von diesem wird sich ­ auch unter Strapazierung des
eigenen Gewissens ­ kaum einer ausnehmen können. Mit der Beschädigung
öffentlicher Belange und der Verletzung von Normen sollte dies jedoch nicht
verwechselt werden. Keine Korruption des Staates ohne Verfall individueller
Moral, da Institutionen sich nun mal nicht selbst korrumpieren können
4
. Inwieweit
persönliche Wert- und Unwertvorstellungen den Verfall des Staates fördern, wird
daher eine der zentralen Fragen sein, die im Folgenden zu beantworten ist.
Das Vorhaben dieser Arbeit ist somit schon grob umrissen; Korruption findet
statt im Spannungsfeld zwischen dem Gemeinwohl und dem Prinzip der
individuellen Nutzenmaximierung auf Kosten dieses Gemeinwohls. Dies gilt es
anhand ihrer politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Ursachen zu
untersuchen. Es geht dabei ausschließlich um Korruption auf bundesdeutschem
Terrain sowie ihrer Formen, Strukturen und Verbreitung hierzulande. Auch soll der
Schwerpunkt stärker auf der besonderen Form der politischen Korruption liegen,
3
FRIEDRICH, Carl J.: ,,Pathologie der Politik ­ Die Funktion der Missstände: Gewalt, Verrat, Korruption,
Geheimhaltung, Propaganda" Frankfurt (1973).
4
NOACK, Paul: ,,Korruption ­ Die andere Seite der Macht" München (1985) S.11.

Einleitung
8
als auf ähnlich gearteten Delikten in der freien Wirtschaft. Diese beiden Bereiche
sind trennscharf voneinander zu unterscheiden, obwohl sie sich gegenseitig
durchdringen und die Art der Delikte durchaus übertragbar ist. Im Mittelpunkt der
Betrachtung steht allerdings die Frage, wie und mit welchen Mitteln effektiv gegen
Korruption vorgegangen werden kann. Dazu ist es sinnvoll, den umfangreichen
Katalog an Korruptionsbekämpfungsvorschlägen zu sichten und ihn kritisch auf
sein Potential hin zu untersuchen. Politisch und rechtlich sinnvolle Maßnahmen
müssen getrennt werden von Scheinaktivitäten, bloßen Bekenntnissen und
blindem Aktionismus. Immerhin: die Bedrohung, welche von der Korruption für den
Staat ausgeht, wird von Seiten der Verantwortlichen nicht länger ignoriert. Die
Bereitschaft, sich mit dem Phänomen zuweilen auch selbstkritisch im Hinblick auf
die eigenen Versäumnisse auseinanderzusetzen, ist da. Es gilt nur noch die
Aussage von John Adams, dem zweiten Präsidenten der Vereinigten Staaten, zu
widerlegen, der im Bezug auf die schicksalhafte Neigung von Demokratien, sich
selbst zu zerstören, feststellte:
,,Eine Demokratie währt niemals lange. Sie zehrt sich auf, erschöpft sich und mordet
sich selbst. Bisher gab es noch keine Demokratie, die keinen Selbstmord beging."
5
Trotz der Vehemenz, die der Thematik potentiell inhärent sein kann, wird
Korruption dennoch reihenweise als Kavaliersdelikt verharmlost und in seiner
Breitenwirkung unterschätzt. Eindeutig scheint allerdings: Korruption wird es
immer geben, da das (illegale) Streben nach privater Gewinnmaximierung ein dem
menschlichen Wesen inhärenter Charakterzug ist. Abhängig vom jeweiligen
Individuum wird jener natürlichen Neigung mehr oder weniger skrupellos
nachgegeben.
An
dieser
menschlichen
Grundkonstante
kann
politikwissenschaftliches Forschungsinteresse auch nicht einsetzen; jedoch dort,
wo politische Korruption ihren Einzelfallstatus überschreitet und sich somit zum
öffentlichen Problem, zur Bedrohung des Staates wandelt. Genauer: jene
Funktionen, die von einem intakten politischen System übernommen werden
müssen,
6
sind auch die grundsätzlichen Fixpunkte einer politikwissenschaftlichen
Untersuchung. Hierbei hat es insbesondere um die Frage zu gehen, ob und
5
zitiert nach NOACK (1985) S.12.
6
Wie z.B. die Gewährleistung von Stabilität, Legitimität der demokratisch gewählten Führung, generell die
Möglichkeit der Partizipation, Effizienz und Transparenz des politischen Prozesses.

Einleitung
9
inwieweit eine Aufrechterhaltung jener Funktionen noch garantierbar oder bereits
im Korrosionsprozess der politischen Korruption begriffen ist. An dieser Stelle
macht sich bereits die begriffliche Schwierigkeit bemerkbar, wann etwas als
öffentliches Problem zu gelten hat. Anders als bei eindeutig sanktionierbaren, da
strafgesetzlich fixierten Delikten, lassen sich über das Dunkelfeld der Korruption
und ihre immateriellen schädlichen Auswirkungen auf die Öffentlichkeit bislang nur
Vermutungen anstellen. Jener Umstand erleichtert die Analyse des Phänomens
nicht unbedingt. Die oft bemühte Metapher, aufgeklärte Fälle von korrupten
Machenschaften seien lediglich die Spitze des Eisbergs, schärft zumindest den
analytischen Blick. Eine sozialwissenschaftliche Betrachtung bleibt dennoch auf
Grund diverser Faktoren getrübt: korrupte Personen, zumal sie sich als Mächtige
und Einflussreiche zur gesellschaftlichen Elite zählen, können sich einem
forschenden, aufklärenden Blick besser entziehen, ihr Intrigenspiel geschickter
verkleiden, als dies in diversen anderen kriminellen Milieus möglich wäre. Zum
anderen ist es erheblich schwieriger, den Umstand der Korruption einzugrenzen;
wer wann wo und inwieweit korrupt ist, lässt sich großteils nur undeutlich
benennen. Vorausgesetzt sei hier natürlich die Abneigung gegen pauschale
Schuldurteile ,,der" Politiker und Wirtschaftsführer en gros.
Eine Schwierigkeit ist auf frappante Weise gegenwärtig. Es gibt kein
gesichertes Grundlagenwissen über das Korruptionsphänomen in Deutschland
7
.
Empirische Daten zur Korruption sind im Allgemeinen sehr schwer zugänglich,
geschieht sie doch meist im Geheimen und bleibt unaufgeklärt. Darüber hinaus ist
sie als ,,heißes Eisen" im politischen Prozess stets brisant, damit im politischen
Konflikt ideal instrumentalisierbar
8
. Mitleidloses Denunziantentum dient dann
oftmals als moralisch vollwertiges Substitut für die Bereitschaft einer ernsthaften
Auseinandersetzung mit dem Phänomen, während der Hinweis auf dessen
Komplexität leicht als Anerkennung oder sogar Duldung von Korruption dargestellt
werden kann. Dies wiederum lässt allerdings folgenden Schluss nicht zu: Form
und Umfang der tatsächlich ausgeübten Korruption sind umso geringer, desto
lauter die moralische Empörung schallt und ausgeprägter die Denunziationskultur
7
BANNENBERG, Britta: ,,Korruption in Deutschland und ihre strafrechtliche Kontrolle ­ Eine kriminologisch-
strafrechtliche Analyse" BKA-Forschungsreihe Band 18 (2002) S.VIII.
8
SMELSER, Neil J.: Stabilität, Instabilität und die Analyse der politischen Korruption;
in: FLECK, Christian/ KUZMICS, Helmut (Hrsg.): ,,Korruption ­ Zur Soziologie nicht immer abweichenden
Verhaltens" Königstein/Ts. (1985) S.207.

Einleitung
10
ist. In diesem Fall wird die derart praktizierte Korruption mit dem legitimierenden
Stempel ,,übliche Praxis" oder ,,Usance" versehen.
Vielleicht macht gerade diese Kombination von Komplikationen den Grund
deutlich, warum einer zunehmenden weltweiten Sensibilisierung für Korruption ein
Bedeutungsschwund von Bestechungsdelikten in der deutschen Wissenschaft und
Forschung gegenüber stand
9
. Jedoch lässt sich dies weder über das
Nichtvorhandensein von Korruption seit Gründung der Bundesrepublik, noch über
mangelnde wissenschaftliche Kenntnis der Materie ergründen. Unklar ist auch, ob
sich die ,,wohlwollende Nichtbeachtung"
10
mit der die Thematik bislang bedacht
wurde, nur mittels einer mangelhaften Problemwahrnehmung erklären lässt.
Einige Autoren sind der Ansicht, dass sich die kritische Politikwissenschaft in ihren
Untersuchungen zu sehr an der gesellschaftlichen Normalität orientierte und
Korruption nur als Randerscheinung behandelte
11
. Fest steht, dass es einen Boom
der Korruptionsforschung in der Bundesrepublik in dieser Form nie gegeben hat.
Noch im Jahre 1990 stellt VON ALEMANN die provokative Frage, ob und
inwieweit man sich mit der Korruption auf ,,politikwissenschaftliches Neuland"
12
begeben habe. Von Kollegenseite sind ähnliche Töne zu vernehmen:
,,Gerade die Politikwissenschaft müsste sich hier auf einem ihrer ureigensten Gebiete
herausgefordert fühlen. Aber auch sie, der man von bestimmter Seite gelegentlich
nachsagt, eine politische (soll dann meist heißen: politisierende) Wissenschaft zu sein,
nahm ihre spezifische Aufklärungsfunktion für die relativ hilflosen Bürger in einer
weitgehend ,,hergestellten" Öffentlichkeit (...) bislang jedenfalls nicht wahr."
13
9
KAISER, Günther: "Eine Hand wäscht die andere ... ­ Korruption in Politik und Wirtschaft;
in: Universitas Heft 11 (1991) S.1062.
10
NOACK (1985) S.182;
Dazu vermerkt ROTH eher zynisch: "Sind die politischen Korruptionsfälle nicht in der Tat lediglich lästige
Kratzgeräusche in einer sich insgesamt recht harmonisch präsentierenden Grundmelodie, auf die sich
allenfalls weltfremde Perfektionisten oder notorische Miesmacher konzentrieren?"; ROTH, Roland:
Politische Korruption in der Bundesrepublik ­ Notizen zu einem verdrängten Thema; in: FLECK/KUZMICS
(1985) S.146.
11
ebenda S.146.
12
VON ALEMANN, Ulrich/ KLEINFELD, Ralf: Begriff und Bedeutung der politischen Korruption aus
politikwissenschaftlicher Sicht ­ Überarbeitetes Arbeitspapier zur Tagung ,Abweichendes Verhalten in der
Verwaltung' der Sektion Staatslehre und Politische Verwaltung der DVPW in Bad Herrenalb 18.-19.12.1989;
in: Polis Nummer 17 Fernuniversität-Gesamthochschule Hagen (1990) S.2;
Auch in der angelsächsischen Literatur beschränkt sich das Forschungsinteresse noch großteils auf die
sog. case studies bzw. area studies, welche aber im Gegensatz zu deutschsprachigen
Untersuchungsergebnissen hervorragend dokumentiert sind. Vgl. dazu das bereits 1989 veröffentlichte
Handbuch von HEIDENHEIMER, Arnold J./JOHNSTON, Michael/LEVINE, Victor T. (eds.): ,,Political
Corruption ­ A Handbook"; New Brunswick (1989).
13
WEWER, Göttrik: Parteienfinanzierung und ,,Rechtspflege" ­ einige Thesen, zugleich eine Aufforderung an
die Politikwissenschaft mitzudiskutieren; in: Politische Vierteljahresschrift Heft 25 (1984) S.323.

Einleitung
11
Dies ist umso erstaunlicher, als die Geschichte bundesdeutscher politischer
Skandale einige Fixpunkte für die Überprüfung von demokratischen Normen und
den Grad ihrer praktischen Implementierung in den politischen Prozess liefert.
Stattdessen hatte auch die politische Kultur in Deutschland scheinbar wenig
Interesse an der Kontrolle und Beseitigung von Fehlentwicklungen, dem
Begradigen von Interessenschräglagen und der Umsetzung der eigenen
demokratischen Ansprüche
14
.
Paradoxerweise stand der sich bedeckt haltenden politischen Wissenschaft
zeitweise eine umso heißere öffentliche Debatte gegenüber. Eine Periode der
Aufmerksamkeit besonders in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts,
wurde maßgeblich von den Medien bestimmt, zumindest aber verstärkt. Auch ist
es wohl dem dadurch gestiegenen Popularitätswert der Thematik zu verdanken,
dass eine ganze Reihe von selbstbetitelten Skandalautoren mit ihren akribisch
recherchierten ,,Chroniken der Verführbarkeit und Egomanie" teils große
journalistische Erfolge feiern konnten
15
. Je höher die Bestechungssummen und je
illustrer die daran partizipierende Prominenz, desto spektakulärer und skandalöser
die zu verkaufende Geschichte ­ ein Garant für einen Platz auf der Bestsellerliste,
sowie für kurios-schockiertes Staunen der interessierten Öffentlichkeit. Im Sinne
einer kontinuierlichen Aufklärung mit daran anschließendem Lerneffekt für die
beteiligte politische Klasse blieb in der öffentlichen Diskussion allerdings herzlich
wenig hängen. Auch vermeintliche Phasen erhöhter Aufklärungsraten von
Korruptionsfällen weisen nicht zwingend auf eine gesteigerte Korruptionsaktivität
innerhalb der Gesellschaft hin.
Mit der weltweiten Verbreitung von Korruption hat sich auch das
Forschungsinteresse gewandelt und beansprucht heute die gesteigerte
Aufmerksamkeit sozialwissenschaftlicher Forschung. Untrügliche Indizien, die
dafür sprechen, sind beispielsweise das Anheizen der Forschungsdiskussion
mittels internationaler und nationaler Fachtagungen
16
. Selbst hierzulande hat sich
14
ROTH schrieb in diesem Zusammenhang von der ,,Eigentümlichkeit [der politischen Öffentlichkeit ­
Anm. des Autors] keinen ,institutionellen Rigorismus' ausgebildet (zu haben)"; ROTH (1985) S.144.
15
Als Beispiele hierfür stehen u.a.: BLUTH, Siegfried: ,,Die korrupte Republik: Ein politisches und
wirtschaftliches Sittengemälde"; Esslingen (1983); WADRICH, Hans-Peter: ,,Von wegen weiße Weste: Das
Ende der Moral in der Kommerzgesellschaft"; Freiburg (1985) und STURMINGER, Alfred: ,,Die Korruption in
der Weltgeschichte"; München/Wien (1982).
16
Z.B. das "Research Committee on Political Finance and Political Corruption" der International Political
Science Association (IPSA), der Weltkongress ,,International Anti Corruption Conference" (IACC) oder in
Deutschland: Friedrich-Ebert-Stiftung ,,Korruption in Deutschland".

Einleitung
12
zumindest die Anzahl der Publikationen zum Themenkomplex Korruption erhöht.
Ein Großteil der wissenschaftlichen Beiträge jüngeren Datums kaprizieren sich
aber noch auf die beiden Bereiche politischer Skandal und Parteienfinanzierung,
während größer angelegte Forschungsarbeiten, die sich um eine systematische
Analyse des Phänomens bemühen, immer noch ausstehen
17
. Ausnahmen bilden
hier die Überblicksdarstellungen von BRÜNNER
18
, NOACK, FLECK/KUZMICS,
BELLERS
19
und
EBBIGHAUSEN/NECKEL
20
.
Die
amerikanische
Politikwissenschaft tat sich ihrerseits mit einem Sammelband zur politischen
Korruption hervor, der als Standardwerk die wesentlichen Bereiche der
Korruptionsproblematik umfassend abdeckt
21
.
Der Gang der Untersuchung, den nun die vorliegende Magisterarbeit wählt,
gliedert sich in drei Teile mit folgenden Schwerpunkten: Teil I unternimmt zunächst
den Versuch, die vielschichtigen begrifflichen Ebenen von Korruption zu sondieren
und deren Merkmale zu isolieren. Anhand dreier Theorien, die dem
Korruptionsphänomen zu Gunde liegen, sollen auch deren Ursachen und Motive
näher beleuchtet werden. Dabei steht vor allem, wenn auch nicht ausschließlich,
die Form der Korruption im Vordergrund, von deren Auswirkungen der Staat in
seiner Verfasstheit am stärksten bedroht ist ­ die politische Korruption.
Teil II wirft einen Blick auf die Frage nach den Strukturen, die Verbreitung und
die Schäden, die die Korruption in Deutschland verursacht und wie das Land
demnach im europäischen Vergleich einzuordnen ist. Kurz eingegangen wird auch
auf die strafrechtliche Dimension der Korruption, die in ganz wesentlichem Maße
zu ihrem Verständnis hierzulande beiträgt. Vier ausgewählte Korruptionsfälle der
deutschen Nachkriegsgeschichte sollen dabei die konkrete Praxis der
Selbstbereicherung und Einflussnahme durch deutsche Amtsträger und
Unternehmer illustrieren.
Teil III widmet sich der Diskussion um die Notwendigkeit und Möglichkeit,
gegen Korruption vorzugehen. Welche Maßnahmen bisher ergriffen wurden und
welche Mittel in Zukunft von Nöten sein werden, um effektiv der
Korruptionsproblematik
in
Deutschland
begegnen
zu
können,
17
Vgl. VON ALEMANN/KLEINFELD (1990) S.3.
18
BRÜNNER, Christian: ,,Korruption und Kontrolle"; Wien u.a. (1981).
19
BELLERS, Jürgen (Hg.): ,,Politische Korruption in der Bundesrepublik ­ Vergleichende Untersuchungen";
Münster (1989).
20
EBBIGHAUSEN, Rolf/NECKEL, Sighard: ,,Anatomie des politischen Skandals"; Frankfurt/Main (1989).
21
Siehe oben: FN 12.

Einleitung
13
steht dabei ebenso zur Debatte, wie die Frage nach der moralischen Infrastruktur
dieser Gesellschaft. Es wird sich zeigen, dass die wesentlichen Reformvorhaben
zur Korruptionsbekämpfung nicht über eine moralische Kurskorrektur jedes
Einzelnen zu erreichen sind.

I Begriffe, Konzepte, Definitionen oder: Was ist Korruption?
1 Korruption in der Alltagssprache ­ eine Annäherung
Es gibt keinen einheitlichen Begriff von Korruption, der dem Phänomen in seiner
ganzen Bandbreite gerecht werden würde. Diese reicht vom konkreten
Straftatbestand der Beamtenbestechung über die bereits vagere Form des
Machtmissbrauchs, bis hin zur kulturkritischen Chiffre für den allgemeinen
Sittenverfall
22
. In einem ethisch-moralischen Sinn kann Korruption alle
Verhaltensweisen bezeichnen, bei denen sich mit öffentlichen oder privaten
Aufgaben betraute Personen auf Kosten der Allgemeinheit als unangemessen
bewertete Vorteile verschaffen
23
. Sie beschreibt darüber hinaus die
verschiedensten Formen der legalen oder illegalen Einflussnahme und der
legitimen wie auch illegitimen Interessensdurchsetzung in Politik und Gesellschaft.
HOBBES begriff in seinem Leviathan den gesunden Staat als einen
physischen Körper. Eine ähnliche Analogie nur unter umgekehrten Vorzeichen
macht auch ein Blick in das OXFORD ENGLISH DICTIONARY klar. Jenen
nämlich zwischen politisch-moralischer und der physischen Zersetzung durch
Korruption. Dort unterteilt sich die Bedeutung des Begriffs zum ersten in die
,,physische Korruption", welche mit Fäulnis und Verderben identifiziert wird. Die
darauf folgende ,,moralische Korruption" ist in einem politischen Kontext schon
eher anwendbar. Sie wird demnach mit Verfall und Verschlechterung der Sitten in
Verbindung gebracht. Die dritte Bedeutung gibt schließlich Korruption an als
Perversion einer Sache, bezogen auf ihren ursprünglichen Zustand der Reinheit.
So wenig sich diese drei Definitionen miteinander in Einklang zu bringen scheinen,
22
SILBERMANN macht auf die Vielzahl von assoziativen Möglichkeiten aufmerksam: ,,Einfluss, Überredung,
Begünstigung, Protektion, Beziehungen, Interesse, Ränke, Machenschaften, Intrige, Schmiergeld,
Erpressung, Empfänglichkeit, Verführbarkeit, Anstiftung, Druck, Reiz, Willenslenkung, Versuchung.";
SILBERMANN, Alphons: Wann Menschen sich bestechen lassen; in: Psychologie heute, Heft 9/1977 S.15-
21 zitiert nach VON ALEMANN/KLEINFELD (1990) S.3.
23
DÖLLING, Dieter: ,,Empfehlen sich Änderungen des Straf- und Strafprozessrechts, um der Gefahr von
Korruption in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft wirksam zu begegnen? Gutachten C zum 61. Deutschen
Juristentag Karlsruhe 1996"; München (1996) S.9.

I Was ist Korruption?
15
offenbaren sie doch die unterschiedlichen Seiten des gleichen Phänomens: In
vielen Definitionsversuchen wird die physische Kategorie von Zersetzung mit
denen der moralischen und gesellschaftlichen Zersetzung zusammen genannt
24
.
In aller Regel wird jedoch mit der Verwendung dieses Begriffs nicht nur auf
einen bloßen Sachverhalt verwiesen. Bereits die lateinische Bedeutung von
Korruption (lateinisch: ,,corrumpere" = verderben, vernichten, verfälschen) bringt
zum Ausdruck, dass es sich bei der Korruption zweifelsohne um etwas
Verwerfliches, Tadelnswertes handeln muss. Kaum ein anderer Begriff ist derartig
negativ besetzt: Wird jemand des korrupten Handelns bezichtigt, so schwingt
latent die Verletzung einer Handlungsnorm oder die moralische Entgleisung des
Handelnden mit: ,,Er hat seine Ideale korrumpiert", heißt es beispielsweise auf der
interpersonellen Ebene und drückt somit lediglich das ,,abweichende Verhalten"
einer Person von den Wertmaßstäben des Beurteilenden aus. In einem größeren
sozialen Rahmen sprechen wir von der Korruption als dem ,,Krebsgeschwür der
Gesellschaft" und meinen eine ,,abstoßende Verkommenheit unrechtmäßigen
Handelns". In diesem Sinne wird in dem Wort ,,Korruption" eine doppelte Lesart
deutlich: zum einen eine Verhaltensdisposition und zum anderen deren moralische
Abqualifizierung
25
. Lediglich die Frage, welche Untaten als korruptes Handeln wie
zu bewerten seien, unterliegt einem historischen und kulturellen Wandel. Gleiches
Handeln wird demnach unterschiedlich wahrgenommen und je nach
Notwendigkeit, Usus oder sozialer Realität entweder ignoriert, toleriert oder gar
sanktioniert
26
.
Zuweilen scheint es so, als ob in den Augen der Öffentlichkeit schlechthin jede
Verletzung von Normen den Tatbestand der Korruption erfüllen würde. Angeheizt
von den zahllosen Enthüllungen der investigativen Tagespresse, besteht die
latente Gefahr der Simplifizierung der tatsächlichen Sachverhalte. Einzelne
Fehltritte werden totalisiert, bestimmte Personen stehen als Negativbeispiel
stellvertretend für das korrupte Individuum an sich. ,,Flick" oder ,,Nixon" dienen
exemplarisch als Metapher für die Manifestation der kollektiven Unmoral, die von
24
NOACK (1985) S.17.
25
Anders sieht dies TREML, Alfred K.: Korruption ­ ,Moralischer Verfall' oder Dysfunktion?
in: Universitas Nummer 621 (1998) S.253.
26
TREML weist darauf hin, dass ,,das zugrunde liegende Phänomen in vormoderner Zeit und in traditionellen
Gesellschaften ein legitimes, selbstverständliches Handlungsmuster war, eine ,heilige Pflicht', dessen
Unterlassung kulturell verfolgt wurde. Dieses grundlegende Handlungsmuster geht letztlich auf die
ungleiche Verteilung von knappen Ressourcen zurück, die durch die Bevorzugung der Verwandten,
Bekannten und Freunden kompensiert wurde."; ebenda S.253.

I Was ist Korruption?
16
der individuellen losgelöst zu sein scheint. Im Gegenzug zur ,,Ausgrenzung des
Beunruhigenden durch eine bestimmte Etikettierung"
27
bemühen wir uns
umgekehrt, die Normalität von Korruption zu behaupten, indem wir das
Unbegreifliche bagatellisieren. Die Aussage, dass jeder doch korrupt sei, dient
dann nicht nur als Rechtfertigung der persönlichen Unaufrichtigkeit. Stattdessen
reduziert sie den gesamtgesellschaftlichen Kontext, in dem Korrumpieren zur
effizienten Tagespraxis geworden ist, auf die conditio humana, welche
alltagserfahrungsgemäß von allzu menschlichem Versagen gezeichnet ist. Folgt
man dieser seltsamen Logik, so stehen kleine Präsente zur Erhaltung der
Freundschaft oder das Trinkgeld um des eigenen Vorteils willen sogleich neben
den Millionenspenden zur politischen Landschaftspflege. Soll die soziale Realität
für die Masse begreifbar gemacht werden, dient diese zwanghafte Herstellung
einer Parallelen zwischen der scheinbar so alltäglich und daher verzeihlichen
persönlichen (Un)Schuld und den großen politischen Ränkespielen, unter deren
Konsequenzen ,,Otto Normalverbraucher" zu leiden hat, zweierlei Zwecken: Zum
einen bietet sie ein populistisch sehr effektives Instrument der Schuldzuweisung
und eine klare Identifikation von Täter und Opfer (nach dem Motto ,,die da oben ­
wir hier unten"); zum anderen entschuldigt sie korrupte Praktiken im Alltag und auf
interpersoneller Ebene
28
.
,,Korrupt" kann aber auch als politischer Kampfbegriff strategisch verwendet
werden und enthält dann eine Beschuldigung gegenüber dem Oppositionellen.
Aus einem parteitaktischen oder ideologischen Pragmatismus heraus, werden die
jeweiligen Gegner als korrupt gebrandmarkt, steht Korruption als politisches
Schlagwort
mit
externer
Zwecksetzung
plötzlich
im
Dienst
einer
Diffamierungskampagne
29
. Hier geht es dann nicht mehr um das Erklärbarmachen
von Handlungen, sondern nur noch um einen propagandistischen Mehrwert
affektiv besetzter Kampfbegriffe und verkürzter Symbole. Will man jedoch auf dem
Pfad der Erkenntnis um die Umstände der Korruption bleiben, so hilft die Frage
nach dem ,,cui bono" eher weiter.
Nun ist klar, dass ein so allgemeiner Begriff von Korruption, wie er im Alltag
Verwendung findet und hier versucht wurde zu skizzieren, für eine weitere
27
FLECK/ KUZMICS (1985) S.9.
28
Vgl. ROTH (1985) S.144.
29
Vgl. VON ALEMANN, Ulrich: Korruption ­ ein blinder Fleck in der Politikwissenschaft;
in: Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, Heft 10 (1989) S. 919.

I Was ist Korruption?
17
wissenschaftliche
Betrachtung
unbrauchbar
ist.
Die
Ordnungs-
und
Abgrenzungsfunktion des Begriffs sind undeutlich, da zu Verschiedenartiges unter
ihm subsumiert werden kann. Es gilt also, eine Begrifflichkeit von Korruption zu
bilden, die es erlaubt, die unterschiedlichen Sachverhalte des Phänomens
voneinander abzugrenzen und einzeln analysierbar zu machen.
2 Der Begriff ,,Korruption" als Gegenstand sozialwissenschaftlicher
Untersuchung
Angesichts der Formenvielfalt korrupten Handelns ist es bereits problematisch von
,,der" Korruption zu sprechen. Sie offenbart einen ,,ubiquitären Charakter"
30
und ist
vom politischen Systemtypus unabhängig. Sie tritt zu Tage sowohl in autoritären
Regimen, als auch in traditionalen und modernen Gesellschaften
31
; sie kann
materieller wie immaterieller Art sein, die Form direkter Bestechung oder indirekter
Begünstigung mittels Sonderregelungen für Individuen, Gruppen, Interessen usw.
annehmen. Weiterhin lässt sich fragen, welche Dimension eine korrupte Handlung
überhaupt hat. Steht der aktiv Korrumpierende oder der (mehr oder weniger)
passiv Korrumpierte im Vordergrund? Gilt es lediglich die Folgen einer korrupten
Handlung zu untersuchen, also im Sinne einer utilitaristischen Perspektive, oder
aber auch die Gesinnung der in den Korruptionsprozess verwickelten Akteure? Je
nach dem, von welchem Winkel aus eine korrupte Handlung betrachtet und
welche der genannten Faktoren in die Untersuchung mit einbezogen wird, lassen
sich die verschiedensten Aussagen bzgl. der Einordnung und Beurteilung dieses
Phänomens treffen
32
. Es scheint somit sinnvoll, die Merkmale eines anwendbaren
Korruptionsbegriffes jeglichem Definitionsversuch voranzustellen
33
:
30
VON ALEMANN/KLEINFELD (1990) S.3.
31
,,In der älteren Literatur findet sich eine ganze Reihe von Versuchen, Korruption auf bestimmte
Gesellschaftstypen oder abgrenzbare Entwicklungsstufen einzugrenzen. Korruption sei typisch für
vorindustrielle, vorbürgerliche Gesellschaften, für hochkomplexe oder geringkomplexe Gesellschaften, für
Aufbau- und Modernisierungsperioden (Dritte Welt, deutsche Nachkriegszeit) oder Verfallsstadien von
Staaten bzw. für die Vergangenheitsbewältigung eines ancien régime (DDR); repressive autoritäre Staaten
fänden in Korruption ihr Ventil, oder aber nur liberale, rechtsstaatliche Demokratien könnten Korruption
kennen."; VON ALEMANN/KLEINFELD (1990) S.3.
32
Angesichts dieser begrifflichen Vielschichtigkeit von Korruption, versuchte sich John GARDINER von der

I Was ist Korruption?
18
1. ,,Ein Amt, das innerhalb einer Gruppe (Gemeinschaft) anvertraut worden ist, wird
dadurch missbraucht, dass der Amtsträger Handlungen (Unterlassungen) tätigt,
durch die jene Normen (positives Recht, ethisch-moralische Standards,
gesellschaftliche Standards, politische Standards) verletzt werden, mit deren Hilfe
das
Allgemeininteresse
(Allgemeinwohl),
das
Interesse
(Wohl)
aller
Gruppenmitglieder, gesichert werden soll und dessen Hüter der Amtsträger ist.
Wesentliche Aspekte dieses Merkmales sind somit das anvertraute Amt, der
Normenverstoß und die Schädigung der Gruppeninteressen. (...)
2. Der Amtsträger erlangt durch den Normenverstoß einen unmittelbaren Vorteil für
sich, er setzt mit Hilfe seines Amtes seine privaten Interessen durch. Korruption
liegt aber auch vor, wenn der unmittelbare Vorteil Dritten verschafft wird, weil
diese ihre privaten Interessen durchgesetzt erhalten, und dadurch lediglich
mittelbar die privaten Interessen des Amtsträgers gefördert werden. (...)
3. Sowohl der Amtsträger als auch der Dritte, dem der Vorteil verschafft werden soll,
haben ein Interesse daran und entfalten Aktivitäten dahingehend, dass
nichtbeteiligte Gruppenmitglieder von den korrupten Handlungen (Unterlassungen)
nichts erfahren. (...)"
BRÜNNER nennt noch auf weitere Aspekte des Korruptionsphänomens, wie
die ,,(subjektive) Korruptionswilligkeit und (objektive) Korruptionsmöglichkeiten,
z.B. Verfügbarkeit über finanzielle Mittel, Wert der normwidrigen Leistung etc." und
weist noch darauf hin, dass ,,jene Differenzierungen des Merkmalkatalogs
insbesondere dann vorgenommen (werden), wenn Korruption als strafrechtlicher
Tatbestand ins Blickfeld rückt."
34
Einige Erkenntnisse lassen sich hier bereits ableiten: Der Kern einer korrupten
Handlung ist die Verletzung öffentlicher durch private Interessen. Jedoch ist das
Verfolgen privater Interessen nicht a priori illegitim. Und was genau unter
,,öffentliches Interesse" zu verstehen ist, scheint auch noch nicht hinreichend klar
zu sein
35
. Allerdings ermöglicht erst eine schrittweise begriffliche Trennung von
,,öffentlich" und ,,privat", dasjenige zu betrachten, was man als Korruption
bezeichnet, d.h. deren spezifische Formen (z.B. die der politischen Korruption)
sind an die Evolution spezifischer Strukturen gebunden. Vergleicht man
beispielsweise den Ämterkauf im absolutistischen Europa des 17. und 18.
Jahrhunderts, fällt auf, dass jener nicht mit Korruption identifiziert wurde. Vielmehr
Illinois-State-University bei einer Podiumsdiskussion anlässlich einer internationalen Anti-
Korruptionskonferenz an einer lakonischen Definition: ,,Alles, was man nicht innerhalb von 45 Minuten
essen oder trinken kann, ist Korruption."; zitiert nach: KUBE, Erwin/VAHLENKAMP, Werner: Korruption ­
hinnehmen oder handeln?; in: Verwaltungsarchiv, Heft 3 (1994) S.433.
33
Vgl. BRÜNNER, Christian: Zur Analyse individueller und sozialer Bedingungen von Korruption;
in: BRÜNNER (1981) S.678f..
34
ebenda S.680.
35
Siehe unten: Kapitel 2.3 ­ Korruption als Verletzung des öffentlichen Interesses.

I Was ist Korruption?
19
galt er als Ausdruck eines öffentlichen Amtes, als Teil des privaten Besitzes eines
Monarchen und als funktionales Prinzip zur Besetzung von Ämtern
36
.
Parallel zur begrifflichen Trennung von Staat und Gesellschaft ist eine erste
grobe Unterscheidung der Erscheinungsformen von Korruption in eine ,,private"
und eine ,,öffentliche" Sphäre möglich. NOACK macht dies folgendermaßen
deutlich:
,,Die erste hat es zum Beispiel mit Privatunternehmen zu tun, die sich auf einem
offenen Markt die Kunden durch Bestechung abjagen; die zweite mit allen
Erscheinungsformen, an denen der Staat direkt oder auch nur indirekt beteiligt ist."
37
Weiterhin unterteilt NOACK die Form der ,,öffentlichen Korruption" in zwei
weitere Unterkategorien, die der ,,administrativen" und der ,,politischen" Korruption.
,,Letztere, bevor ein Gesetz Gesetzeskraft erlangt hat; die erste wird wirksam beim
Vollzug eines Gesetzes. Die erste Form ist heute in der dritten Welt vorherrschend,
die zweite führt in ihrer sozusagen eleganten Form den Namen ,Lobbyismus' und ist in
westlichen Systemen verbreitet."
38
Um die Analyse von Symptomen, Ursachen und Erscheinungsformen der
Korruption, sowie deren gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen voranzubringen,
sollen im Folgenden die Bestandteile des Korruptionsbegriffs und ihre Bedeutung
bei der Definition perspektivisch-kontingent gegliedert werden - also eine
Einordnung
der
bisher
formulierten
Merkmale
in
ein
Set
von
sozialwissenschaftlichen Kategorien. Dazu haben HEIDENHEIMER et al. eine
nützliche Unterscheidung von Konzeptionen zur Beschreibung und Erklärung von
politischer Korruption vorgeschlagen, die auf drei wesentliche Aspekte abzielt:
· Bürokratie,
Amt
und
Mandat
als
Ressource
individueller
Gewinnmaximierung (public-office-zentrierte Ebene)
· Ressourcentausch aufgrund ungleicher ökonomischer und politischer
Machtverteilung (marktzentrierte Ebene)
· Konflikt zwischen moralischen und rechtlichen Normen ­ das öffentliche
Interesse (public-interest-zentrierte Ebene)
36
LANDFRIED, Christine: Korruption und politischer Skandal in der Geschichte des Parlamentarismus;
in: EBBIGHAUSEN/NECKEL (1989) S.133.
37
NOACK (1985) S.18.
38
ebenda S.18.

I Was ist Korruption?
20
2.1Korruption als Verfehlung im Amt zum Zweck privater Interessensdurchsetzung
Eine der im Zusammenhang mit Korruption als Missbrauch eines öffentlichen
Amtes meist zitierten Definitionen stammt von dem amerikanischen
Politikwissenschaftler Jospeh S. NYE. Er bezeichnet Korruption als
,,Verhalten, das von den formalen Pflichten einer öffentlichen Rolle (in die man gewählt
oder zu der man ernannt wurde) abweicht, um sich privat orientierte (persönliche,
familiäre, einer privaten Clique zugute kommende) finanzielle Vorteile oder
Statusgewinne zu verschaffen; oder das Regeln gegen bestimmte Arten der privat
orientierten Einflussnahme verletzt."
39
NYES Definition schließt zugleich die bekannten Phänomene wie Bestechung,
Nepotismus, private Bereicherung im Amt mit ein. Klar ist auch, dass eine
derartige Begriffsbestimmung von Korruption sich nur entwickelt haben kann, weil
über die Herausbildung eines Bürokratie- und Beamtenapparates das
gemeinsame öffentliche Wohl im Dienst des Volks verwaltet werden konnte,
anstatt im Dienst limitierter Standesinteressen. Seine Schöpfung war ein Akt der
Gesamtgesellschaft zum Zwecke des Gemeinwohls und war somit nicht als
Selbstzweck, sondern nur als Mittel intendiert. Die Ordnungshüter, also Beamte,
sollten nur Treuhänder des Gemeinwohls, Diener der Gemeinschaft sein. Die
Konstruktion beruhte auf dem Gedanken des contrât social, also auf der Idee der
Aufklärung, die zur Entstehung des modernen demokratischen Staatswesens im
19. Jahrhundert geführt haben. Davor waren korrupte Akte, die beispielsweise von
Monarchen verübt wurden, per definitionem gar nicht möglich, da Ämter und
Pfründe im Besitz des jeweiligen Herrschers lagen, der somit auch über alles ein
Verfügungsrecht hatte.
Eine neuere Form wie die der politischen Korruption entstand erst mit dem
Aufkommen des modernen Beamtentums
40
, d.h. mit demjenigen Stand, der im
Dienst des Staates steht. Aufgrund der funktionalen Differenzierung, die im Laufe
der Jahre unsere moderne Gesellschaft mitformte, war über die Schaffung eines
durchsetzbaren Rechts und einer staatlichen Verwaltung die Möglichkeit
entstanden, soziale und andere Unterschiede unter ähnlichen Bedingungen gleich
39
NYE, Joseph J.: Corruption and Political Development ­ A Cost-Benefit Analysis;
in: HEIDENHEIMER et al. (1989) S.966.
40
Vgl. STENKE, Wolfgang: Staatsdiener ­ Über die Entstehung der Beamtenmoral;
in: MICHEL, Markus Karl/SPENGLER, Tilmann (Hrsg.): "Kursbuch Korruption" Berlin (1995) S.33-35.

I Was ist Korruption?
21
zu
behandeln.
Kodifizierte
Rechtsnormen
und
generalisierte
Verhaltenserwartungen wurden dann mittels der staatlichen Verwaltung und des
bürokratischen Systems in der jeweils notwendigen Form zur konkreten
Anwendung gebracht. Parallel dazu entstand mit der Ausbildung spezifischer
Normen und Regeln innerhalb und durch die Bürokratie jene ,,öffentliche Moral",
die heute als Messlatte für unloyales, abweichendes Verhalten dient. In modernen
demokratischen Staaten werden Entscheidungen so gut wie kaum noch in Form
von individuellen, sondern in Form von kollektiven Entscheidungen eines
Bürokratieapparats gefällt (in dem natürlich die Entscheidungsbefugnis eines
Einzelnen den Ausschlag geben kann). Somit ist von vorneherein die Gefahr des
Missbrauchs gegeben. Erschwerend kommt hinzu, dass die zu treffende
Entscheidung ­ beispielsweise die Vergabe eines öffentlichen Auftrages durch das
lokale Baureferat ­ von Individuen gefällt wird, die im Widerspruch zwischen
,,privater Primärrolle und sekundärer Berufsrolle" stehen:
,,Während das Individuum als Privatperson weiterhin primär eigennutzorientiert
handelt, muß es als Amtsperson beziehungsweise in seiner staatlichen Berufsrolle
gemeinwohlorientiert entscheiden."
41
Gerade das deutsche Beamtenrecht glorifizierte die Unbestechlichkeit des
Staatsdieners und idealisierte dessen neutral-rationale Fähigkeit, uneigennützige
Entscheidungen treffen zu können. Max WEBER hat dieses ,,Ideal" des deutschen
Beamten und die Macht der Bürokratie so formuliert:
,,Seine Verwaltung ist Berufsarbeit kraft sachlicher Amtspflicht; ihr Ideal ist ,sine ira et
studio', ohne allen Einfluß persönlicher Motive oder gefühlsmäßiger Einflüsse, frei von
Willkür und Unberechenbarkeit, insbesondere ,ohne Ansehen der Person' streng
formalistisch nach rationalen Regeln und ­ wo diese versagen ­ nach ,sachlichen'
Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten zu verfügen."
42
Diesem Ideal widerspricht nicht nur TREML, wenn er im Berufsbeamtentum die
,,Entsubjektivierung des sozialen Verhaltens (...) und zwar durch Formalisierung,
Bürokratisierung, Verrechtlichung und Positivierung des Rechts"
43
ausmacht. Auch
McMULLAN entwickelt entlang einem System von konkurrierenden Autoritäten
41
TREML (1998) S.254.
42
WEBER, Max: ,,Die reinen Typen der legitimen Herrschaft", in: Ders.: ,,Soziologie, Weltgeschichtliche
Analysen, Politik"; hrsg. von WINKELMANN, Johannes; Stuttgart (1964) S.152.
43
TREML (1998) S.255.

I Was ist Korruption?
22
(Wohl des Staatsgefüges, Loyalität gegenüber dem Regierungsapparat auf der
einen ­ individuell-private wie materielle Verpflichtungen auf der anderen Seite)
eine ähnliche Argumentation. So können in manchen Fällen die an den Beamten
herangetragenen Anforderungen, verschiedene Obligationen gegenüber sich
selbst oder der Familie und Sippe zu erfüllen, dessen Loyalität gegenüber dem
Nationalstaat überdecken. Des Weiteren lassen diese Anforderungen unter
Umständen finanzielle Belastungen für ihn entstehen, die es wahrscheinlicher
machen, dass er unter Rückgriff auf korrupte Praktiken sich zumindest monetär
absichern will
44
.
Die Institutionalisierung des Staatsapparats bedarf darüber hinaus eines
zusätzlichen interpersonellen Treueverhältnisses. Der Bürger stattet den Beamten
im Idealfall mit seinem Vertrauen in dessen Unparteilich- und Uneigennützigkeit
aus. Voraussetzung dafür ist wiederum die vom Bürger suggerierte Bindung des
Beamten an seine Berufsrolle, die in ein politisch-rechtliches System eingebunden
ist
45
. Um auf Dauer bestehen zu können, ist diese Bindung jedoch zu abstrakt, als
nämlich der Einzelne stellvertretend die Interessen des Kollektivs vertreten soll,
während er die eigenen hintanzustellen hat. Im Sinne eines sozialen Status quo ist
es daher notwendig, jegliche eigennützige Vorteilsnahme der Staatsdiener zu
sanktionieren. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Bemerkung von
SMELSER, dass
,,Korruption ­ wenn wir sie im Hinblick auf die Spannungen zwischen zwei oder
mehreren Systemen der politischen Autorität analysieren ­ die Form eines
ergänzenden Systems der politischen Anpassung oder der Gestaltung eines modus
vivendi der konkurrierenden Systeme annehmen (kann)."
46
SMELSER betrachtet Korruption demnach als eine Art ,,Anpassungsleistung an
die neuartigen, generalisierten Beziehungen zwischen Bürokrat und
Allgemeinheit". Anders ausgedrückt, fügen die an der Korruption beteiligten
Akteure den zwei Antipoden der Loyalität (SMELSER nennt diese
44
McMULLAN, M.: A Theory of Corruption; in: HEIDENHEIMER et al. (1989) S.186;
VAN KLAVEREN hielt eine werturteilsfreie Bestimmung der Korruption sogar für möglich, wenn ,,die Höhe
der Beamtengehälter nach objektiven Maßstäben, also nach der funktionellen Bedeutung der
Beamtenleistung für die Erstellung des Sozialprodukts im weitesten Sinne festzustellen (wäre)", VAN
KLAVEREN, Jacob: Korruption im Ancien Régime; in: FLECK/KUZMICS (1985) S.92.
45
So gesehen ist es erstaunlich und gleichzeitig verständlich, dass die Stilisierung des idealen Staatsbeamten
nach Weber auch auf die scheinbare Absurdität hinweist, sich der abstrakteren Allgemeinheit mehr
verpflichtet zu fühlen als den konkreten eigenen Interessen und Bedürfnissen.
46
SMELSER (1985) S.214.

I Was ist Korruption?
23
,,national-bürokratisch" und ,,regional-partikularistisch") eine dritte Koordinate
hinzu, die es ihnen ermöglicht, die Differenz beider Systeme miteinander in
Einklang zu bringen. Dem korrupten Akt kommt in diesem Fall die Funktion eines
Katalysators
gegenseitiger
politischer
Interessen
zu,
der
potentielle
Autoritätskonflikte minimieren soll.
Dieser Ansatz und die Tatsache, dass er der politischen Korruption eine
gewisse
Funktionalität
zurechnet,
würde
an
sich
noch
keine
gesamtgesellschaftliche Bedrohung bedeuten. Normabweichungen in geringem
Maße (zum Teil auch zum eigenen Nutzen) gehören zum selbstverständlichen und
faktisch auch akzeptierten Alltag jeglicher Bürokratie
47
. Jedoch wirkt sich gerade
die Apathie der Bevölkerung gegenüber bürokratischer Korruption in
demokratischen, pluralistischen Systemen korruptionsfördernd aus. Vor allem
wenn Kontrolle nur schwach vorhanden ist und eine stärkere Kontrolle nicht
gefordert wird. Dass die Aufgabe einer moralischen Bindung an die berufliche
Aufgabe des Staatsangestellten zugunsten einer egoistisch-materialistischen
Nutzenperspektive sich durchaus korruptionsfördernd auswirkt, kann nicht
bezweifelt werden
48
. Auf der anderen Seite wäre es zu einfach und geradezu
fadenscheinig, anzunehmen, Korruption sei ein Makel exklusiv des öffentlichen
Dienstes.
2.2 Korruption als nutzenmaximierender Austausch von Ressourcen
Eine alternative Konzeption stellt in den Mittelpunkt der Analyse nicht primär die
normativen Kriterien einer korrekten Beamtenethik. Stattdessen will sie wertfrei
erklären und von jeglicher moralischen Stigmatisierung absehen. Sie sieht sich
mehr einer ökonomischen Kosten-Nutzen-Rechnung verpflichtet, wie es bei den
Mechanismen des Marktes der Fall ist. Gleichzeitig ist die ökonomische Theorie
der Korruption das Ergebnis von Versuchen, eine stärkere Systematisierung in die
Erklärung der Korruption zu bringen. Als Anschauungsobjekte werden von den
Vertretern dieser Theorie vornehmlich Staaten der Dritten Welt ausgesucht,
47
Vgl. BELLERS (1989) S.2.
48
Vgl. DÖLLING (1996) S.33.

I Was ist Korruption?
24
in denen der private und der öffentliche Sektor noch nicht voneinander getrennt
sind, oder die sich in einem friktionsreichen Schub der Modernisierung befinden.
Stellvertretend für diesen Ansatz steht die Definition von VAN KLAVEREN:
,,Unter Korruption wollen wir also verstehen, dass ein Beamter sein Amt als einen
Betrieb betrachtet, dessen Einnahmen er im Extremfall zu maximieren versucht. Das
Amt wird dann zur ,maximizing unit'. Die Höhe seiner Einnahmen hängt dann also
nicht ab von einer ethischen Einschätzung seiner Nützlichkeit für das Gemeinwohl,
sondern eben von der Marktlage und von seiner Geschicklichkeit, den
Maximumgewinnpunkt auf der Nachfragekurve des Publikums herauszufinden."
49
Das Konzept vom Amt als privatwirtschaftlicher Betrieb lässt sich auch vor
einem historischen Hintergrund betrachten und einordnen, vor der dem Staat die
Idee einer regelmäßigen Besoldung seiner Diener fremd war
50
. Auch fehlten
unpersönliche Garantien der Eigentums- und Vertragsrechte, die moderne
Marktsysteme abstützen. Im Kern des Ansatzes geht es aber um einen
gegenseitigen nutzenmaximierenden Austausch von ökonomischen gegen
politische Güter
51
, an dem sich ­ anders als bei der Erpressung ­ beide
Tauschpartner freiwillig beteiligen. Für eine Leistung wird eine Gegenleistung
erbracht, das ist das faktische Geschehen, und für beide Parteien entstehen
daraus Vorteile, das sind die Beweggründe der Tauschpartner. Somit zehrt noch
die einfachste Form der Bestechung
,,von der Archaik des sozialen Fundamentalprinzips, zu anderen durch die
Veräußerung von Sachen, Diensten und Personen in ein Verhältnis wechselseitiger
Verpflichtungen einzutreten. (...) Korruption beruht auf Vorgängen, die einfach,
allgegenwärtig und vertraut sind, weil das Soziale selbst aus ihnen besteht."
52
Bei dieser Veräußerung kommen allerdings nur Güter und Leistungen in Frage,
die lediglich in Form von nicht erlaubten Handlungen (Tun oder Unterlassen)
erbracht werden können. Abhängig vom Differenzierungsgrad der jeweiligen
49
VAN KLAVEREN (1985) S.94;
Zu einer solchen Auffassung kann der Amtsinhaber dann kommen, wenn er z.B. hohe Aufwendungen
unternommen hat, um das Amt zu erlangen und diese als Investition ansieht, die es nun zu refinanzieren
gilt. Denkbar wäre auch die Ansicht, Korruptionsgewinne seien konkrete Leistungsentgelte und daher
gerechtfertigt.
50
Dies war beispielsweise der Fall im Frankreich des 19.Jahrhunderts. Der Staat weigerte sich, das Bedürfnis
seiner Beamten nach einem geregelten Pensionssystem anzuerkennen. Dazu ausführlicher ANDERSON,
Eugene N./ANDERSON, Pauline: Bürokratisierung und die Entwicklung der Beamtenloyalität;
in: FLECK/KUZMICS (1985) S.104-127.
51
Vgl. SMELSER (1985) S.208/211.
52
NECKEL, Sighard: Der unmoralische Tausch ­ eine Soziologie der Käuflichkeit,
in: Kursbuch Korruption, Berlin: Rowohlt Verlag (1995) S.9.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2005
ISBN (eBook)
9783832489366
ISBN (Paperback)
9783838689364
Dateigröße
855 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München – Sozialwissenschaftliche Fakultät, Geschwister-Scholl-Institut für politische Wissenschaften
Note
1,3
Schlagworte
partei institution innenpolitik
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Titel: Korruptionsprävention und -bekämpfung in Deutschland
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