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Wie reagierte die NATO auf den Prager Frühling?

Folgen für Österreich

©2004 Magisterarbeit 143 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Als „Prager Frühling“ bezeichnet man den tschechoslowakischen Versuch vom Frühjahr 1968, einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ durchzusetzen. Es war der Versuch einer umfassenden friedlichen Systemreform, eines kommunistischen Regimes sowjetischen Typs. Ziel war eine Staats- und Gesellschaftsordnung, die sich vom sowjetischen Modell des Sozialismus befreit hat und eine Synthese von Sozialismus und Demokratie herbeiführt.
Die Reformbewegung wurde getragen von leitenden Parteifunktionären der KPC (Kommunistische Partei der Tschechoslowakei) und einer Schicht von Intellektuellen. Mit der Aufhebung der Zensur im März 1968 wurde die breite Öffentlichkeit informiert und für die Ziele der Reformer, die vor allem politische, gesellschaftliche und ökonomische Umstrukturierungen und Neuordnungen forderten, gewonnen.
Die Sowjetunion, vornehmlich die KPdSU (Kommunistische Partei der Sowjetunion), sah in der tschechoslowakischen Entwicklung eine Gefahr für den Marxismus-Leninismus und für das Bündnis der sozialistischen Länder unter ihrer Führung. Die Reformer stellten die Führungsautorität der KPdSU ideologisch und politisch in Frage, der Sozialismus als Gesellschaftsalternative sollte nicht mehr russisch oder sowjetisch definiert werden, sondern europäische Leseart bekommen.
Die unüberbrückbaren Gegensätze in den Ansichten der Tschechoslowakei und der Sowjetunion und den Bruderparteien mussten eine gewaltsame Lösung finden, da beide Seiten aufgrund der jeweiligen Verstrickungen in ihren Denkmuster und Prinzipien verbal nicht mehr zueinander finden konnten. In der revolutionären Theorie und Praxis des Kommunismus wurde die Verteidigung des Sozialismus immer als höchste Pflicht der „Arbeiterklasse“ und ihrer Partei anzusehen. Dementsprechend ordnete sich der Stellenwert der Armee als spezifisches militärisches Instrument des sozialistischen Staates ein. Die Funktion der Streitkräfte bestand in erster Linie zum Schutz gegen eine Aggression von außen und in der Sicherung innerer friedlicher Aufbau- und Entwicklungsbedingungen.
Die früheren Militärs der Sowjetarmee und –flotte genossen nicht zuletzt aufgrund ihrer Verdienste im 2. Weltkrieg großen Einfluss in entscheidenden Bereichen der sowjetischen Gesellschaft. Ihre Geltung war nach dem Kriege weiter gestiegen, da sie einen bedeutenden Beitrag zum Aufstieg der UDSSR in den Rang einer atomaren Weltmacht geleistet hatten. In diesem Sinne, geprägt von einer grundsätzlich […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 8603
Fischer, Dieter: Wie reagierte die NATO auf den ,,Prager Frühling?" - Folgen für Österreich
Hamburg: Diplomica GmbH, 2005
Zugl.: Universität Wien, Magisterarbeit, 2003
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http://www.diplom.de, Hamburg 2005
Printed in Germany

Esterhazy-Wohnpark 3/1/8
2486 Pottendorf
Österreich
Lebenslauf
MMag. Dieter Fischer MBA
Persönliche Daten
: geboren am 05 August 1980 in Eisenstadt
Österreichischer Staatsbürger
ledig
Bildungsgang
: - 4 Jahre Volksschule in Pottendorf
- 4 Jahre Sportrealgymnasium Zehnergasse in
Wiener Neustadt
- 4 Jahre Oberstufenrealgymnasium BORG in
Wiener Neustadt
- 12 Monate Grundwehrdienst (EF)
-
4 Jahre Studium der Geschichte und
Leibeserziehung (Lehramt) an der Universität
Wien
-
gleichzeitig 4 Jahre Studium der Geschichte
und Zeitgeschichte (Diplom) an der Universität
Wien
- 2 Jahre postgraduales Wirtschaftsstudium
(MBA) an der Sales Manager Akademie in Wien
Döbling
- 1 Jahr Universitätslehrgang im Bereich der
Betriebswirtschaftslehre an der Sales Manager
Akademie Wien Döbling

-
Lehrgang mit abschließender kommisioneller
Prüfung zum staatlich geprüften
Vermögensberater
-
Lehrlingsausbilderprüfung im Bereich
Finanzdienstleistung
- derzeit Doktoratsstudium im Bereich
Zeitgeschichte an der Universität Wien
Berufliche Tätigkeit
: - Nach Absolvierung des Präsenzdienstes 2
Jahre Tätigkeit als Vermögensberater-Assistent
- danach als staatlich geprüfter
Vermögensberater in selbstständiger Tätigkeit
bis dato aktiv
- währenddessen ( ab August 2003) als
gewerberechtlicher Geschäftsführer bei der
BFV- Vermögensberatungs GmbH tätig ( im
Bereich Vermögensverwaltung )
- derzeit als Lehrkraft für höhere Schulen an der
Bundeshandelsakademie Wiener Neustadt als
Unterrichtspraktikant tätig
Fähigkeiten und Kenntnisse
: - Englisch und Italienisch in Wort und Schrift (
einschließlich Wirtschaftssprache)
- sehr gute MS Office Kentnisse
- Führerschein B
Erfahrung im Bereich Mediation,
Mitarbeiterführung , Krisenmanagement;
- weitreichende bzw. vielschichtige pädagogische
Ausbildung
MMag. Dieter Fischer MBA
am 15. Oktober 2004

2
Inhaltsverzeichnis:
1.Einleitung und Stand der Literatur...3
2.Wie kam es zum ,,Prager Frühling?" ...5
3.Pressestimmen zum Prager Frühling...27
4.Die NATO...37
5.Der Warschauer Pakt...51
6.Österreich...63
7.Wie reagierte die NATO auf den ,,Prager Frühling" und dessen
Niederschlagung? ...77
8.Welche Folgen und Veränderungen gab es für Österreich durch
die Niederschlagung des ,,Prager Frühlings"? ...97
9. Verhältnis der NATO zu Österreich vor, bei und nach der
Intervention des Warschauer Paktes in die CSSR...105
10. Veränderungen bei der NATO durch die Niederschlagung des
,,Prager Frühlings." ...112
11.Was bedeutete die Reaktion der NATO, während des ,,Prager
Frühlings" und dessen Niederschlagung, für Österreich und sein
Handeln? ...121
12. Gegenüberstellung von Ausgangsthesen und
Analyseergebnissen...130
13.Literaturverzeichnis...133

3
1.Einleitung und Stand der Literatur:
Relevanz der Thematik:
Die damalige CSSR befand sich in politischer, wie auch in kultureller Hinsicht in
einem Aufbruch. Man wollte sich (die Menschen) und das Land
weiterentwickeln. Vor allem die geistige Elite des Landes versuchte mit
Unterstützung ausgewählter Politiker neues Gedankengut zu verbreiten. Durch
die neu eingeschlagene Richtung der Tschechoslowakei fürchtete Moskau ein
Abfallen eines ihrer Satelliten. Zuerst mit politischen Mittel, dann mit
militärischen wurde versucht, dies zu verhindern. Was dies für die ehemalige
CSSR bedeutete, ist vielfältig nachzulesen.
Ich versuche in meiner Diplomarbeit darzustellen, wie sich die NATO in dieser
Situation verhielt. Was wurde unternommen und warum? Wie war die Situation
der NATO vor 1968 und was änderte sich dadurch?(nach 1968)
Um einen Bezug zu Österreich herzustellen, dass an diesem Ereignis nicht
unbeteiligt war, und sozusagen ein Spielball zwischen den Blöcken war,
behandle ich dazu die Fragestellung, welche Rolle Österreich bei dieser
Krisensituation spielte.
Stand der Literatur:
Bei den Kapiteln die Reaktion der NATO und ihrer Akteure betreffend musste
ich fast ausschließlich mit Primärquellen arbeiten, die ich zum Teil aus dem
Internet herunterladen konnte. Dieser Bereich ist historisch und politisch
gesehen noch nicht aufgearbeitet bzw. publiziert worden.

4
Der Bereich ,,Österreich und der Prager Frühling" ist vor allem von
militärhistorischer Seite ( Dr. Etschmann
1
, Dr. Rauchensteiner
2
,...) gut
aufgearbeitet, wobei Major Andreas Steiger
3
mit seiner Doktorarbeit wesentlich
dazu beigetragen hat.
Der Thermenbereich den Prager Frühling betreffend ist bereits ergiebig und
vielfältig recherchiert worden. Bei einer ausführlichen Recherche ist zu sehen,
dass es eine Reihe von Werken gibt, die das Themengebiet allgemein
betrachten, und wissenschaftliche Abhandlungen, die den Prager Frühling in
Kontext mit anderen Ereignissen setzen.
4
1
Dr. Etschmann verfasste Werke wie: Theorie, Praxis und Probleme, Die Kämpfe in Österreich
im Juli 1934, Die Kämpfe um den Fernpass Ende Aprl, Anfanf Mai 1945, The year 1809 seen
from a global historical perspective und ist derzeit unter anderem als Historiker beim
Österreichischen Bundesheer tätig.
2
Manfried Rauchensteiner verfasste Publikationen wie: Schild ohne Schwert, Sorry guys, no
gold, Tausend Nadelstiche, Das Bundesheer der zweiten Republik. 1980. Schriften des
Heeresgeschichtlichen Museums. Wien. ,... die sich mit dem Themenbereich Österreich ­
Militär befassen.
3
Dr. Andreas Steiger behandelte mit seiner Diplom- und seiner Doktorarbeit den
Themenbereich, das Österreichische Bundesheer und seine Entwicklung, vor allem in den 60er
Jahren.(Die Bundesheerreform 1963, Vom Schutz der Grenze zur Raumverteidigung)
4
Schlüsselwerke den Prager Frühling betreffend: Kieran Williams: The Prague Spring and its
aftermath, Rüdiger Wenzke: Die NVA und der Prager Frühling 1968, Kurt Tozzer: Marschmusik
für Glockenspiele, Theresa Schwarzacher: Sieg der Macht und nicht des Geistes, ...

5
2.Wie kam es zum Prager Frühling?
1.Einleitung:
Als ,,Prager Frühling" bezeichnet man den tschechoslowakischen Versuch vom
Frühjahr 1968, einen "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" durchzusetzen. Es
war der Versuch einer umfassenden friedlichen Systemreform, eines
kommunistischen Regimes sowjetischen Typs. Ziel war eine Staats- und
Gesellschaftsordnung, die sich vom sowjetischen Modell des Sozialismus
befreit hat und eine Synthese von Sozialismus und Demokratie herbeiführt.
Die Reformbewegung wurde getragen von leitenden Parteifunktionären der
KPC (Kommunistische Partei der Tschechoslowakei) und einer Schicht von
Intellektuellen. Mit der Aufhebung der Zensur im März 1968 wurde die breite
Öffentlichkeit informiert und für die Ziele der Reformer, die vor allem politische,
gesellschaftliche und ökonomische Umstrukturierungen und Neuordnungen
forderten, gewonnen.
Die Sowjetunion, vornehmlich die KPdSU (Kommunistische Partei der
Sowjetunion), sah in der tschechoslowakischen Entwicklung eine Gefahr für
den Marxismus-Leninismus und für das Bündnis der sozialistischen Länder
unter ihrer Führung. Die Reformer stellten die Führungsautorität der KPdSU
ideologisch und politisch in Frage, der Sozialismus als Gesellschaftsalternative
sollte nicht mehr russisch oder sowjetisch definiert werden, sondern
europäische Leseart bekommen.
Die unüberbrückbaren Gegensätze in den Ansichten der Tschechoslowakei und
der Sowjetunion und den Bruderparteien mussten eine gewaltsame Lösung
finden, da beide Seiten aufgrund der jeweiligen Verstrickungen in ihren
Denkmuster und Prinzipien verbal nicht mehr zueinander finden konnten.
5
5
Vergl. Hribek. Mejsnar. Chuchmak: Tschechoslowakei 1968. 1988. Prager Frühling? o. V.
Düsseldorf. Seite 14ff

6
In der revolutionären Theorie und Praxis des Kommunismus wurde die
Verteidigung des Sozialismus immer als höchste Pflicht der "Arbeiterklasse"
und ihrer Partei anzusehen. Dementsprechend ordnete sich der Stellenwert der
Armee als spezifisches militärisches Instrument des sozialistischen Staates ein.
Die Funktion der Streitkräfte bestand in erster Linie zum Schutz gegen eine
Aggression von außen und in der Sicherung innerer friedlicher Aufbau- und
Entwicklungsbedingungen.
Die früheren Militärs der Sowjetarmee und ­flotte genossen nicht zuletzt
aufgrund ihrer Verdienste im 2. Weltkrieg großen Einfluss in entscheidenden
Bereichen der sowjetischen Gesellschaft. Ihre Geltung war nach dem Kriege
weiter gestiegen, da sie einen bedeutenden Beitrag zum Aufstieg der UDSSR
in den Rang einer atomaren Weltmacht geleistet hatten.
In diesem Sinne, geprägt von einer grundsätzlich konservativen Denkhaltung,
fühlten sich die Marschälle und Generäle der Sowjetarmee offenbar in
besonderen Maße für die Geschicke des Sozialismus in der Welt verantwortlich.
An vorderster Stelle ihrer Bemühungen lagen dabei die Erhaltung und der
Ausbau der bisher erreichten politischen und militärischen Machtposition des
sowjetischen Imperiums, die sie ständig bedroht sahen.
6
Mit der Abschaffung der Zensur und der Rehabilitierung der in den
Schauprozessen verurteilten Kommunisten vermehrte Alexander Dubcek den
Kreis seiner Anhänger mit reformistischen Gedankengut. Außenpolitisch
versuchte er die Beziehungen zu den westlichen Nachbarn zu verbessern und
dadurch den Handel zu intensivieren. Nicht zuletzt deshalb fürchtete man ein
Ausbrechen der CSSR aus dem östlichen Bündnis. Ein weiteres Indiz dafür
war, dass mit der Verfassung von 1960 aus der CSR die CSSR wurde (,,S" für
Sozialistische).
7
6
Vèrgl. McGinn John: The Politics of Collective Inaction: NATO`s Response to the Prague
Spring. In: Journal of Cold War Studies. 1999. Seite 11f.
7
Vergl. David Martin: Österreichisch-tschechoslowakische Beziehungen. 2002. Doktorarbeit.
Wien. Seite 179f

7
Zweifellos führte das Politbüro der kommunistischen Partei die Streitkräfte und
erteilte dem Militär Anweisungen. Im Selbstverständnis gingen jedoch die
Armeeführer davon aus, dass die sowjetische Militärmacht auch eine eigene
"historische Mission" zu erfüllen habe, nämlich als "Verteidigerin aller
Fortschrittlichen gegen die Kräfte der Reaktionen und der Aggressionen." Diese
"edle humanistische Mission" beschränkte sich ausdrücklich nicht nur allein auf
das eigene Volk und das eigene Land.
8
2. Politische und gesellschaftliche Verhältnisse in der
Tschechoslowakei von 1960 - 1967:
Die Tschechoslowakei war zu Beginn der 60er Jahre ein Bestandteil des
mitteleuropäischen Blocks des Sowjetimperiums. Die Macht lag in den Händen
der KPC unter der Führung von Antonin Novotny, der mit einigen
gesellschaftlichen und ökonomischen Problemen zu kämpfen hatte. Ständige
Schwierigkeiten im Bereich der Dienstleistungen und teilweise auch in der
Versorgung, aufgrund des hohen Sozialisierungsgrades und den von Moskau
befohlenen großen Ausgaben für Rüstungszwecke, förderten die
Unzufriedenheit der Bevölkerung. Dazu kam, dass ein erheblicher Teil der
Bevölkerung vom Staat abhängig war, ein ständiger Mangel an bestimmten
Waren und chronische Wohnungsnot herrschten. In der Industrie bestand eine
Überdimensionierung der Schwerindustrie, und die Volkswirtschaft wurde durch
ein rigides Planungssystem gelenkt, das die Wirtschaft ineffektiv machte. Zur
ökonomischen Kritik am Novotny-Regime kam auch noch eine politische Kritik,
da 1963 Verbrechen der KPC in den 50er Jahren enthüllt wurden.
Für einige Mitglieder des Parteiapparates und Vertreter der kritischen Intelligenz
wurde es immer offensichtlicher, dass die Tschechoslowakei im Vergleich mit
dem Westen nicht standhält. Offensichtlich konnte der Westen seinen Bürgern
8
Vergl. Wenzge Rüdiger: Die NVA und der Prager Frühling 1968. 1995. Links Verlag. Berlin.
Seite 79f

8
bessere Rahmenbedingungen bieten als der Osten, was die Sehnsucht vieler
Bürger nach einem ,,westlichen" Leben verstärkte. Ursache dafür sahen sie im
bestehenden politischen und ökonomischen System. Das Regime bemühte sich
um Lösungswege. Die führende Rolle der Partei und die dogmatischen
Grundsätze des Marxismus-Leninismus blieben klarerweise unangetastet.
Eine positive Folge der Lösungsversuche der Partei war die zunehmende
Bedeutung der Wissenschaft, deren Vertreter dadurch gewisse
Einflussmöglichkeiten erlangten. Auch die Kultursphäre und die kritische und
nach Unabhängigkeit strebende Publizistik erfuhren einen gewissen
Aufschwung. Im Juni 1966 fand der XIII. Parteitag der KPC statt. Neben der
Verhandlung von gesellschaftlichen und ökonomischen Problemen wurde auch
verstärkt auf die Gefahr des rechten Revisionismus hingewiesen. Die führende
Rolle der Partei und die Durchsetzung des Marxismus-Leninismus gegen
feindliche Ideologien müssen als oberstes Prinzip gelten.
9
Diese Forderung nach ideologischer Erziehungsarbeit wurde in der Folgezeit
zu wenig konsequent durchgeführt und es entstand dadurch ein gewisser
Freiraum für die Verbreitung verschiedenster, dem Sozialismus feindlich
gesinnter Ansichten und Stimmungen. In der zweiten Hälfte der 60er Jahre
entstanden mit Bewilligung der Parteiführung wissenschaftliche Teams. Das
Zentrum des Geschehens bildete Prag. Die Teams beschäftigten sich mit der
Wirtschaftsreform (Team um Ota Sik), mit Fragen der Weiterentwicklung des
politischen und des Rechtssystems (Team um Mlynar) und mit Folgen des
wissenschaftlich-technischen Fortschritts (Richta-Team). Das Team um Ota Sik
bemühte sich um das Konzept einer tiefgreifenden ökonomischen Reform, so
zum Beispiel um die Einführung einer rationalen, nicht dirigistischen Planung
oder um die Akzeptanz des Marktes. Ein Projekt eines politischen Systems
entwickelte das politologische Team um Zdenek Mlynar. Der Rechtsstaat sollte
respektiert, die Bürgerrechte gesichert sein und ein gewisses Modell
pluralistischer Demokratie sollte entstehen.
9
Vergl. Pauer Jan: Der Einmarsch des Warschauer Paktes: Hintergründe-Planung-
Durchführung. 1995. Ed. Temmen. Bremen. Seite 88ff

9
Beim vierten tschechoslowakischen Schriftstellerkongress im Juni 1967 kam es
zum ersten offenen Auftreten einer rechtsorientierten Gruppe. Die Mitglieder P.
Kohout und L. Vaculic äußerten offene, harte Kritik an den Verhältnissen in der
Tschechoslowakei und die Ablehnung der Parteipolitik. In ihrem Auftreten war
ihre Linie klar erkennbar, sie wollten die Durchsetzung eines bürgerlichen
Pluralismus, die Zerschlagung der sozialistischen Macht und die Liquidierung
der KP (Kommunistische Partei). Die politische Plattform dieser Gruppe, die
vom Schriftstellerkongress abgelehnt wurde, war einerseits ein warnender
Aufruf an die Partei, andererseits Ausdruck der wachsenden politischen
Krise. In der Septembertagung des Zentralkomitees der KPC wurden zwar
disziplinäre Maßnahmen gegen die parteifeindlich und antisozialistisch
aufgetretenen Schriftsteller beschlossen, aber es wurde der Fehler gemacht,
diese aus der Parteiperspektive unrichtigen Ansichten nicht ideologisch zu
widerlegen.
Novotny war in der Folgezeit bestrebt, die in der Öffentlichkeit ausgetragene
politische Diskussion wieder einzuschränken, da er erstens eine Gefährdung für
das Regime durch die Emanzipation der kritischen Intelligenz erkannte und
zweitens einem Experimentieren mit einem demokratischen Modell des
Sozialismus vorbeugen wollte.
10
Um die Mitte des Jahres 1967 ergriff Novotny einige tiefgreifende Maßnahmen,
um seinen Kurs zu verschärfen. Die Verbandzeitschrift der Schriftsteller
,,Literani Listy" wurde verboten, aufsässige kommunistische Schriftsteller
erhielten Parteistrafen oder wurden aus der Partei ausgeschlossen, die Zensur
wurde gestrafft, Gewerkschaften und der Jugendverband wurden direkt dem
Zentralkomitee der KPC unterstellt, um nur einige neue Bestimmungen zu
nennen.
Diese Reaktion Novotnys erzeugte den Widerstand der Intelligenz und auch
einiger Parteispitzen. Auf einer Tagung des Zentralkomitees der KPC im
Oktober 1967 kam es zu einem heftigen Zusammenstoß Novotnys mit dieser
10
Vergl. Schwarzacher Theresa: Sieg der Macht und nicht des Geistes. 2001. Diplomarbeit.
Wien. Seite 33ff

10
Opposition innerhalb der Partei. Alexander Dubcek trat als unerschrockener
Sprecher der Novotny-Gegner auf und forderte die Erhöhung der
Machtbefugnisse der slowakischen Organe und die Durchführung von
demokratischen Reformschritten.
11
Die Auseinandersetzung zwischen Novotny und Dubcek zeugte von der
Krisensituation in der Parteiführung. Novotny-Anhänger standen, als die
konservierenden Kräfte, den Vertretern der Reformbestrebungen gegenüber.
Auf der Tagung des Zentralkomitees der KPC im Dezember sollte es zu einer
Lösung dieser Krise kommen. Novotny glaubte Dubcek absetzen zu können,
aber dessen Rückendeckung war schon zu breit. Auf dieser Tagung des
Plenums des Zentralkomitees im Dezember kam es zu einem scharfen
Zweikampf zwischen Dubcek und Novotny, in der die Opposition das
Übergewicht gewann und die Abberufung oder das Abtreten Novotnys forderte.
Dieser stellte zumindest seine Funktion als Parteichef zur Verfügung, glaubte
jedoch immer noch, das Blatt wenden zu können. Die Tagung des
Zentralkomitees wurde unterbrochen und auf Jänner verschoben.
12
3. Nationalitätenpolitik - Nationalitätenproblem:
Im Jahr 1960 nahm die Tschechoslowakei die sozialistische Verfassung an. In
dieser neuen Verfassung kam es zu einer wesentlichen Einengung der
Kompetenzen der slowakischen nationalen Organe, die Vollmachten des
Slowakischen Nationalrates wurden an die Ministerien in Prag übertragen. In
der Folgezeit erfuhr die Slowakei durch die Integration in die kommunistisch
regierte Tschechoslowakei zwar einen großen Modernisierungsschub, bezahlte
diesen jedoch mit dem Fehlen politischer Partizipation. Beschlüsse der KSS
(Kommunistische Partei der Slowakei) mussten vor der Verabschiedung in Prag
11
Vergl. McGinn John: The Politics of Collective Inaction: NATO`s Response to the Prague
Spring. In: Journal of Cold War Studies. 1999. Seite 114f
12
Vergl. Priess Ludwig. Kural Vladimir. Wilke Manfred: Die SED und der Prager Frühling 1968.
Politik gegen einen "Sozialismus mit menschlichem Anlitz." 1996. o.V. Berlin. Seite 89ff

11
genehmigt werden.
Alexander Dubcek setzte sich für die Rehabilitierung der in den 50er Jahren
verurteilten slowakischen Kommunisten ein und schuf ein liberales Klima in der
Slowakei, liberaler als in Prag, das vor allem die slowakischen Journalisten und
Schriftsteller nützten.
13
In der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei stand Dubcek in
Opposition zu Novotny, dem ersten Sekretär des Zentralkomitees der KPC und
Präsidenten der CSSR (Tschechoslowakische Sowjetrepublik). Dubcek wollte
unter anderem die Funktionen des Generalsekretärs der KPC und des Amts
des Präsidenten der CSSR nicht mehr in einer Person vereinigt wissen und
forderte außerdem die Erhöhung der Machtbefugnisse der slowakischen
Organe. Novotny nannte Dubcek einen slowakischen Nationalisten, ein
Terminus, der Dubcek in den fünfziger Jahren noch vor Gericht gebracht hätte,
und plante dessen Absetzung. Die Auseinandersetzung Novotny - Dubcek
erreichte ihren Höhepunkt im Dezember 1968. Am 5. Jänner 1968 stellte
Novotny die Funktion als erster Sekretär zur Verfügung. Die slowakische
nationale Bewegung war ein entscheidender Faktor für den Beginn des Prager
Frühlings.
14
4. Aufbruch in die Reformbewegung:
4.1 Jänner-Plenum: 3.-5.1.1968:
Das Zentralkomitee der KPC führte die im Dezember unterbrochene Beratung
fort und erkannte die Notwendigkeit, die führende Rolle der Partei weiter zu
festigen und die brüderliche Verbundenheit der Nationalitäten und das Bündnis
mit der UdSSR und den anderen sozialistischen Ländern
herauszustreichen. Scharfe Kontroversen ergaben sich bei der Frage nach dem
weiteren Weg der Entwicklung des Sozialismus. Der eine Teil des
13
Vergl. Duncek Alexander: Dubcek speaks. 1990. Tauris. London. Seite 27ff
14
Vergl. Williams Kieran: The Prague spring and its aftermath. 1997. Cambridge University
Press. Cambridge. Seite 18ff

12
Zentralkomitees der KPC war für die Beibehaltung der bisherigen Arbeitsformen
und -methoden in der Parteiführung, der größere Teil aber sprach sich für eine
Veränderung aus, um die Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft
voranzutreiben. Gefordert wurden die Schaffung einer Atmosphäre der
Demokratie und Offenheit, um die gesellschaftliche Aktivität der Massen
anzuregen und die wachsende Gleichgültigkeit zu überwinden. Die Partei sollte
ideologisch gefestigt, ihre führende Rolle in der Gesellschaft gestärkt und der
Leninsche Stil und die Normen im Leben der Partei konsequent erneuert
werden. Die anstehenden ökonomischen und politischen Fragen brauchten
Lösungen. Außerdem wurde die Notwendigkeit der Stärkung der
Rechtsbefugnisse des Slowakischen Nationalrates erkannt und die Lösung der
Nationalitätenfrage als Thema aufgenommen.
In der Diskussion um die Parteiführung ergab sich schließlich der Rücktritt
Novotnys aus der Funktion des ersten Sekretärs, dem Dubcek nachfolgte. Das
Zentralkomitee der KPC beschloss, die dringenden politischen, sozialen und
ökonomischen Fragen beschleunigt zu lösen und betonte die Bereitschaft, das
Bündnis mit der Sowjetunion weiterhin zu festigen. Besonders hervorgehoben
wurde die Verurteilung der antisozialistischen Angriffe. Die neue Linie der Partei
war im Januarplenum erkennbar, beseitigten was veraltet war, um der
Entwicklung des Sozialismus den Weg zu öffnen.
Die große Chance zur Erneuerung des Sozialismus wurde aber schon im
Jänner verspielt, da sich die Parteiführung nach dem Plenum nicht an die
Spitze eines offensiven Kampfes für die Behebung der Mängel, und gleichzeitig
eines Kampfes gegen den Revisionismus, rechten Opportunismus und
antisozialistische Tendenzen stellte. Das Zentralkomitee der KPC machte den
Fehler, das weitere Vorgehen nicht genau zu bestimmen und abzugrenzen und
außerdem befand sich an der Spitze der Partei keine einheitliche, feste
marxistisch-leninistische Führung. Schließlich versäumte die Parteiführung,

13
gegen die rechtsopportunistische Gruppe in ihren eigenen Reihen rechtzeitig
und konsequent vorzugehen.
15
4.2 Reaktionen auf das Jänner-Plenum:
Eine ungeschickte Verhaltensweise der KPC war, die tschechoslowakische
Öffentlichkeit nicht ausreichend über die Beschlüsse des Januarplenums
informiert zu haben, was einen zu großen Interpretationsspielraum offen
ließ. Breschnew, der sowjetische Präsident, bemühte sich hinsichtlich der
Abwahl Novotnys Neutralität und Nichteinmischung vorzutäuschen. Das
Januarplenum brachte die Trennung von Parteiführung und Staatsmacht. In der
Folgezeit wurde die Uneinheitlichkeit der Parteiführung von den
antisozialistischen Kräften genutzt, um die Partei und das höchste Parteiorgan
zu zersetzen. Zu den aktivsten Vertretern der Rechten gehörten Krieger,
Smrkovsky, Spacek. Mit Hilfe der Massenmedien wurde bereits gegen die
,,konservativen Elemente" der KP in den Kampf gezogen. Konservativ hieß, die
Prinzipien des Marxismus-Leninismus zu verteidigen und die Einhaltung der
Beschlüsse des Januarplenums zu fordern.
Ende Jänner ließ Dubcek die von Novotny verbotene Wochenzeitung ,,Literani
Listy" wieder zu, was faktisch eine Aufgabe des Parteimonopols über die
Massenmedien bedeutete. Medien sind für alle Meinungen offen, das heißt
nicht nur für Reformbefürworter und Reformgegner, sondern auch für Regime-
und Systemkritiker. In den folgenden publizistischen Auseinandersetzungen
wurden besonders die Demokratisierung der sozialistischen Gesellschaft, die
vollständige Trennung von Partei und Staat, die völlige Presse- und
Meinungsfreiheit, eine Oppositionspartei im Parlament und die Rehabilitierung
der Opfer politischer Prozesse gefordert.
Die Veränderungen in der Nach-Jänner-CSSR lösten bei den neostalinistischen
Führern und Militärs im Warschauer Pakt starkes Missfallen aus. Man fürchtete
nicht nur den politischen Macht- und Einflussverlust in der CSSR, sondern war
15
Vergl. Haefs H: Die Ereignisse in der Tschechoslowakei vom 27. 6. 1967 bis 18. 10. 1968.
Ein dokumentarischer Bericht. 1969. O. V. Bonn, Wien, Zürich. Seite 66ff

14
darüber hinaus zutiefst beunruhigt über die möglichen Auswirkungen auf die
Stabilität des sozialistischen Blockes und des internationalen
Kräfteverhältnisses insgesamt. Bulgariens Parteichef Todor Schiwkow brachte
es frühzeitig auf den Punkt:" Wir verloren China, Albanien, die Lage in
Jugoslawien, in Rumänien und in Cuba ist auch nicht gut. Wir dürfen keinen
Schritt mehr weichen...Bringen wir die Tschechoslowakei auf den
sozialistischen Weg zurück, stärken wir damit die Kräfte des Warschauer
Paktes und die Kräfte des Sozialismus im Ganzen...Schlimmstenfalls, würde die
Tschechoslowakei den Pakt verlassen, bedeutet dies eine große Bedrohung für
die DDR, für Ungarn und Polen. Im Falle eines Krieges würden die Sowjet-
Armee nicht an deutsch-tschechoslowakischen Grenzen, sondern an
tschechoslowakisch-sowjetischen Grenzen mit dem Feind zusammenstoßen."
16
Die sowjetischen Militärs zählten von Anfang an zu den entschiedensten
Gegnern der Prager Reformer. Sie deuteten die politischen Veränderungen als
eine ernsthafte Bedrohung der militärischen Sicherheit der Sowjetunion und des
gesamten von ihr beherrschten Blockes.
Die Tschechoslowakei galt als geopolitischer, strategischer und aus
militärischer Sicht als ,,weicher Unterleib" des Warschauer Paktes, der zudem
als Einfallstor der NATO zum Osten dargestellt wurde. Schon längere Zeit
hatten die sowjetischen Militärs Zweifel daran, dass die Stärke und die
Möglichkeiten der CSSR-Volksarmee ausreichen würden, um auf einer
Frontbreite von ca. 900 km die Angriffe, des in dieser Operationsrichtung
handelnden westlichen Gegner selbstständig abzuwehren. Das Manöver
,,Moldau" hatte sie offenbar in dieser Auffassung bestärkt.
Eine Ursache für diesen ,,Schwachpunkt" in der strategischen Gruppierung der
Vereinten Streitkräfte sahen die Sowjetgeneräle darin, dass in der
Tschechoslowakei keine sowjetischen Truppen stationiert waren. Nur die
eigenen Truppen konnten das militärische Kräfteverhältnis zugunsten der
eigenen Überlegenheit verändern. Die Stationierung würde es zugleich
16
Vergl. Wenzge Rüdiger: Die NVA und der Prager Frühling 1968. 1995. Links Verlag. Berlin.
Seite 80f

15
ermöglichen, atomare Mittelstreckenraketen der UDSSR an der Grenze zur
NATO zu positionieren, wodurch sich ihr Wirkungsgrad in Richtung Westeuropa
erweitern würde.
17
5. Durchsetzung der ,,konterrevolutionären Kräfte":
5.1 Massenmedien:
Die völlige Abschaffung der Zensur, beschlossen am 4. März auf Veranlassung
Dubceks, war die folgenschwerste innenpolitische Entscheidung des Jahres
1968. Die Zensurbehörde sollte nur mehr im Falle des Geheimnisverrates aktiv
werden, die Verantwortung wurde den Chefredakteuren überlassen. Die
Redaktionen der großen Tageszeitungen und der Verbandszeitungen lösten
sich davon, den Weisungen ihrer politischen Herausgeber zu folgen. In der
CSSR gab es seit März faktisch eine freie Presse. Mit dem Fallen der Zensur
ergab sich erstmals wieder die Möglichkeit von öffentlichen Diskussionen und
Berichterstattungen über die aktuellen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und
kulturellen Probleme des Landes und die Verantwortung der KP in den
tschechoslowakischen Medien. Der leninistische Grundsatz über die Aufgabe
der Parteipresse als ,,kollektiver Organisator" der Massen und eine der
,,schärfsten Waffen der Partei" im Kampf für die Durchsetzung der eigenen
,,Linie" wurde aufgegeben.
Die krisenhafte Entwicklung in der Tschechoslowakei wurde besonders durch
die Massenmedien vorangetrieben. Mit der Aufhebung der Zensur glitten
Presse, Rundfunk und Fernsehen der Parteiführung mehr und mehr aus den
Händen und entwickelten sich zu einer selbständigen ,,Großmacht". Der
,,Liberalismus" ließ viele medialen Einrichtungen zu ,,den allein berufenen
Richtern" erstehen. Die Herausgeber verloren ihren großen Einfluss auf die
Redaktionen.
17
Vergl. Pauer Jan: Der Einmarsch des Warschauer Paktes: Hintergründe ­ Planung -
Durchführung. 1995. Ed. Temmen. Bremen. Seite 104

16
Kommunisten und auch Parteilose verwiesen auf die Einseitigkeit der
Information, da Arbeiter, Genossenschaftsbauern und Funktionäre und
Mitglieder der Grundorganisation der KP sich meist nicht einbringen konnten.
Die Massenmedien verwirklichten die Meinungsfreiheit nicht für alle Mitglieder
der Gesellschaft, obwohl sie einen ,,Sozialismus mit menschlichem Antlitz"
forderten. Die allmähliche Zersetzung der Grundprinzipien und Grundwerte des
Sozialismus und die Desorientierung der Bevölkerung resultierten zum Teil aus
der Beherrschung der Massenmedien durch die rechten Opportunisten und
antisozialistischen Kräfte. Das politische Klima des Prager Frühlings wurde in
entscheidendem Maße durch die Massenmedien geprägt. Der Großteil der
Massenmedien entwickelte sich zu einem bedeutenden Instrument der
konterrevolutionären Entwicklung.
5.2 Formierungen der konterrevolutionären Kräfte:
Im Frühjahr entstehen verschiedene Organisationen und ,,Klubs" wie zum
Beispiel der Klub K-231, der Klub des engagierten Parteilosen (KAN) oder der
Klub des engagierten Denkens. Diese wurden zum Zentrum der reaktionären
konterrevolutionären Kräfte. Die Kirche und der Klerus gehörten auch zu den
konterrevolutionären Kräften in der CSSR. Sie vertraten unter anderem
Forderungen wie die Wiedereinsetzung der Kirche in frühere Rechte,
Erneuerung der Orden und unbeschränkte Tätigkeit der Kirche im Staat.
18
6. Das erste Tribunal im Warschauer Pakt:
Vom Januarplenum bis zum Dresdner Treffen am 23. März kam es zu einem
politischen Kurswechsel sowie Kaderveränderungen in der KPC. Viele
,,Vertreter des Novotny-Regimes" verloren ihren öffentlichen Einfluß. Es kam zur
Ablösung von alten Führungskadern auf allen Parteiebenen.
18
Vergl. Krammer Reinhard und Wagnleitner Reinhold: Der Prager Frühling. In:
www.aurora-
magazin.at/wissenschaft/

17
6.1 Das Dresdner Treffen (23.3.):
Das Dresdner Treffen wurde als Treffen der Partei- und Regierungschefs der
Warschauer-Pakt-Staaten zum Meinungsaustausch über Wirtschaftsfragen
bezeichnet, es entpuppte sich jedoch bald als Warnung an die
tschechoslowakischen Reformer. Die Delegation der KPC erhoffte sich vom
Zusammentreffen mehr Verständnis und Unterstützung für die ökonomischen
Reformen und einen erweiterten Spielraum für die außerwirtschaftlichen
Beziehungen in Richtung Weltmarkt, sie stieß jedoch auf massive Kritik und
wurde mit eindeutigen Forderungen konfrontiert. Die KPC sollte die führende
Rolle in der Gesellschaft behaupten, die Redaktionen der Massenmedien fest in
den Händen halten und als Hauptanliegen das geplante Aktionsprogramm auf
den Grundlagen des Marxismus-Leninismus ausarbeiten.
Bereits in Dresden wurde das Recht auf Einmischung der sozialistischen
Staaten in der Tschechoslowakei aus sicherheitspolitischen Gründen und zur
Abwehr einer Konterrevolution formuliert.
19
6.2 Reaktionen der KPC auf das Dresdner Treffen:
Dubcek und Cernik reagierten eher trotzig und entschieden sich, ihre Politik
beizubehalten. Der eher ,,konservative" Flügel mit Lenart, Bil´ak und Kolder
nahmen die sowjetische Kritik ernst. Reformpolitiker wie Smrkovsy, Cisar,
Kriegel, Sik gaben sich der Illusion hin, einen relativ breiten politischen
Freiraum für die Reformpolitik zur Verfügung zu haben.
20
7. Das Aktionsprogramm der KPC:
7.1 April-Plenum: 28.3. - 1.4.:
19
Vergl. Bollinger Stefan: Dritter Weg zwischen den Blöcken? Prager Frühling 1968. Hoffnung
ohne Chance. 1995. O. Verlag. Berlin. Seite 116
20
Vergl. Williams Kieran: The Prague spring and its aftermath. 1997. Cambridge University
Press. Cambridge. Seite 62ff

18
Das Zentralkomitee-Plenum traf eine Reihe personalpolitischer Entscheidungen
und beschloß das Aktionsprogramm.
7.2 Das Aktionsprogramm der KPC vom 5. April 1968:
Das Aktionsprogramm mit dem Titel ,,Der Weg der Tschechoslowakei zum
Sozialismus" beinhaltete den Entwurf eines komplexen Übergangs vom
Sozialismus sowjetischen Typs zum demokratischen Sozialismus und
bestätigte die Fortsetzung und Vertiefung des neuen politischen Kurses der
KPC. Themen waren, um nur einige wenige zu nennen, die Rolle der Partei,
das neue System der politischen Leitung der Gesellschaft, die
Gleichberechtigung der Tschechen und Slowaken, Teilung und Kontrolle der
Macht, Entwicklung der Wissenschaft, Bildung und Kultur. Die Reaktionen der
Bruderparteien auf dieses Aktionsprogramm war vorerst von einer
bemerkenswerten Zurückhaltung geprägt.
21
8. Treffen der Bruderparteien:
8.1 Dubcek, Cernik, Smrkovsy, Bil´ak besuchen Moskau (4.5.):
Es kam zu einem Treffen mit Vertretern der KPdSU, die über die Entwicklung in
der Tschechoslowakei beunruhigt waren, und daher genaue Informationen
forderten, um zu erfahren, wie die KPdSU helfen könnte. Der Vorwurf wurde
geäußert, es entfalte sich in der Tschechoslowakei eine Konterrevolution auf
,,schleichendem" Weg. Dubcek und die Reformer wurden von der heftigen Kritik
des Kreml aufgerüttelt, glaubten jedoch, es handle sich lediglich um einen
Meinungsaustausch. Breschnew hingegen war der Ansicht, Forderungen an die
tschechoslowakische Partei- und Staatsführung gestellt zu haben.
22
8.2 Moskauer Treffen (8.5.):
21
Vergl. Duncek Alexander: Dubcek speaks. 1990. Tauris. London. Seite 37ff
22
Vergl. Dubcek Alexander: Leben in Freiheit. 1993. o. V. München. Seite 104

19
Dies war ein Zusammentreffen der Bruderparteien (Sowjetunion, DDR, Ungarn,
Polen, Bulgarien) in Moskau ohne die Teilnahme der KPC, bei dem eine
Interventionskoalition gebildet wurde, um die Entwicklung zur Erneuerung des
Sozialismus in der CSSR umzukehren. Die ,,gesunden Kräfte" in der KPC
sollten unterstützt werden. Das Kommunique betrachtete man als eine
Warnung an die Tschechoslowakei, der nicht gestattet werden sollte, alleine
und unabhängig von den fünf Bruderparteien zu agieren. Weiters wurde im
Rahmen dieses Treffens ein Militärmanöver auf tschechoslowakischem Gebiet
vereinbart.
8.3 Tschechoslowakische Reaktionen auf das Moskauer Treffen:
Unter dem Druck der Fünferkoalition kam es zu einer gewissen Abschwächung
des Reformschwungs durch die Führung der KPC, da die Reformen von den
konservativen Kräften innerhalb der Partei hart attackiert wurden. Durch die
Gründung einer Prager Plattform und die aktive Unterstützung der Reformen
durch die Gesellschaft, kam es zu großen Manifestationen in den Maiwochen.
Diese erzeugten jedoch wieder eine gewisse Mobilisierung unter den
Reformern der Partei, zudem Dubcek die Reformen verteidigte.
8.4 Maiplenum des Zentralkomitees der KPC (29.5. - 1.6.):
Erwartungen der ,,Fünf" (Sowjetunion, DDR, Ungarn, Polen, Bulgarien), es
würde eine Rücknahme der Reformen geben, wurden nicht erfüllt. Da die
Vorwärtsbewegung der tschechoslowakischen Gesellschaft nur gebremst und
nicht verhindert worden waren, verstärkten die Fünf den politischen Druck auf
die KPC.
23
9. Militärmanöver "Sumava":
23
Vergl. McGinn John: The Politics of Collective Inaction: Nato's Response to the Prague
Spring. In: Journal of Cold War Studies. 1999. Seite 55f

20
Am 18. Juni starteten die Sowjetstreitkräfte das Militärmanöver ,,Sumava"
(=Böhmerwald) unter anderem auf tschechoslowakischem Boden. Bei dieser
Übung sollte das Abwehrverhalten im Falle einer Aktion der NATO-Streitkräfte
eingeübt werden. Ob dies der wirkliche Grund war, oder ob es sich lediglich um
eine Vorbereitung der im August folgenden Intervention handelte, ist unklar.
Anzunehmen ist wahrscheinlich eher die zweite Version. Die sowjetischen
Streitkräfte blieben auf tschechoslowakischem Boden bis zum 3. August.
24
10. Das Manifest der 2000 Worte (27.6.):
Das von Ludvik Vaculik verfasste und in mehreren Zeitungen veröffentlichte
Manifest wurde von siebzig Persönlichkeiten des geistig-kulturellen Lebens der
CSSR unterschrieben. Das Manifest warnte davor, die Entwicklung umzukehren
und bezeichnete die Rückkehr der ,,alten konservativen Kräfte" als die größte
Gefahr. Die "2000 Worte" bildeten das Aktionsprogramm und die politische
Basis der ,,Konterrevolution". Die Partei war zwar gegen dieses Manifest, beließ
es aber bei einer bloß verbalen Ablehnung dieser konterrevolutionären
Plattform.
25
11. Reaktionen der sozialistischen Staaten:
Anfang Juli erhielt der KPC Briefe von den Bruderparteien, die schwere
Vorwürfe enthielten. Die KPC schlug die Einladung der KPdSU aus, an einem
Tribunal in Moskau teilzunehmen. Einen Gehorsam wie zu Zeiten der
kommunistischen Internationale gab es nicht mehr.
11.1 Das Warschauer Tribunal (14.7.):
24
Vergl. Kahn Helmut: Der Kalte Krieg. Alibi für Rüstungsgeschäfte1955-1973. 1987. o.V. Köln.
Seite 74
25
Dubcek Alexander: Dubcek speaks. 1990. Tauris. London. Seite 57

21
Im Verlauf dieser Warschauer Beratung der ,,Fünf" wurde die bisher schärfste
Kritik an der tschechoslowakischen Reformbewegung geübt. Breschnew sah
die Tschechoslowakei im Stadium der Konterrevolution und befürchtete einen
Ausbruch aus dem sozialistischen Lager. Vor der ,,Anwendung extremer Mittel"
durch die Bruderstaaten sollten noch Lösungsversuche durch ,,politische Mittel"
ausgeschöpft werden. Während dieses Tribunals erfolgte die Erstellung eines
gemeinsamen Briefes an das Zentralkomitee der KPC, der noch eine rettende
Wende in der KPC herbeiführen sollte.
11.2 Der Warschauer Brief (16.7.):
Der Inhalt dieses Briefes hatte mehr warnenden als mahnenden Charakter.
Unter der Anrede ,,Teure Genossen" hieß es darin:
"Die Entwicklung der Ereignisse im Lande beunruhigt uns zutiefst. . . Es war
und ist nicht unsere Absicht, uns in solche Angelegenheiten einzumischen, die
ausgesprochene innere Angelegenheiten ihrer Partei und ihres Staates sind. .
.Wir können jedoch nicht damit einverstanden sein, dass feindliche Kräfte Ihr
Land vom Weg des Sozialismus stoßen und die Gefahr einer Lösung der
Tschechoslowakei von der sozialistischen Gemeinschaft heraufbeschwören.
Das sind nicht mehr nur Ihre Angelegenheiten. . . Die Grenzen der
sozialistischen Welt haben sich bis in das Herz Europas, bis zur Elbe und bis
zum Böhmerwald vorgeschoben. Und wir werden niemals damit einverstanden
sein, dass diese historischen Errungenschaften des Sozialismus, die
Unabhängigkeit und die Sicherheit aller unserer Völker in Gefahr geraten. Wir
werden niemals zulassen, dass der Imperialismus auf friedlichem oder
unfriedlichem Wege, von innen oder von außen eine Bresche in das
sozialistische System schlägt und das Kräfteverhältnis in Europa zu seinen
Gunsten verändert. . ."
Der Brief schloss mit der Erwartung, dass die KPC die erforderlichen
Maßnahmen treffen werde, und dem Angebot der Solidarität und jedweder Hilfe
von den sozialistischen Bruderländern. Dieser Brief bildete die erste offizielle
und öffentliche kollektive Stellungnahme aller Zentralkomitees der fünf

22
Kommunistischen Parteien der Bruderländer zu den Reformen in der
Tschechoslowakei. Dubcek wies den Drohbrief zurück und lehnte die ,,Hilfe" der
Warschauer Fünf ab, denn er bevorzugte eine Problemlösung ohne die
Einmischung von außen. Die Antwort der KPC auf den Warschauer Brief wurde
am 19. Juli in den tschechoslowakischen Medien veröffentlicht.
Die sozialistischen Staaten, vor allem die Sowjetunion, starteten nach der
Warschauer Tagung die Vorbereitungen für eine eventuelle Intervention gegen
die CSSR. Am 26. Juli lagen bereits die Rahmendokumente für die Intervention
vor. Zu diesem Zeitpunkt gab es von tschechoslowakischer Seite noch keinen
Hilferuf oder Einladungsbrief für militärische Hilfe.
12. Verhandlungen in Cierna nad Tisou (29.7. - 1.8.):
Dieses war das letzte bilaterale Treffen der KPC mit der KPdSU und fand auf
den Wunsch der KPC auf tschechoslowakischem Boden statt. Es ging als die
,,Zusammenkunft in Wagons" in die Geschichte ein. Von der sowjetischen
Führung wurde gefordert:
- Wiederherstellung der Parteimacht über die Massenmedien
- Ein Gesetz für das Verbot von ,,antisozialistischen" Klubs und Organisationen
- Führende Rolle der KP uneingeschränkt wiederherstellen in allen Sphären des
Staates und der Wirtschaft
- Festigung ihrer Führerrolle aufgrund des Leninschen Prinzips des
demokratischen Zentralismus
- Die Entfernung der radikalen Reformer aus wichtigen politischen Funktionen.
Überraschend stark war der Widerstand der Reformkräfte in der
tschechoslowakischen Regierung. Auch kaderpolitische Veränderungen wurden
gefordert. Das Hauptziel der tschechoslowakischen Delegation betraf die
Rettung des Zustandekommens des XIV. Außerordentlichen Parteitages.
26
26
Vergl.. Haefs H: Die Ereignisse in der Tschechoslowakei vom 27. 6. 1967 bis 18. 10. 1968.
Ein dokumentarischer Bericht. 1969. O. V. Bonn, Wien, Zürich. Seite 89ff

23
13. Konferenz in Bratislava/Pressburg (3.8.) - Treffen der
Warschauer Fünf und der KPC.:
Den Zweck dieser Zusammenkunft bildete ein gemeinsames Kommunique, das
die KPC kollektiv mit den fünf Bruderländern, zur Demonstration einer
gemeinsamen Position verabschieden sollte. Trotz stundenlanger
Verhandlungen und vielfacher Änderungsversuche seitens der KPC wurde die
Erklärung von Bratislava auf der Grundlage des sowjetischen Entwurfs
verabschiedet. Es war das erste marxistisch-leninistische Dokument, das die
tschechoslowakischen Genossen seit Jänner unterschrieben hatten. Dubcek
glaubte, dass dieses Übereinkommen eindeutig den ,,weiteren notwendigen
Spielraum" für die Reformen in der CSSR eröffnete. Die Fünf meinten jedoch,
die KPC wieder in die Prinzipien des sozialistischen Internationalismus
eingebunden zu haben. Das Dokument von Bratislava enthielt die gemeinsame
internationale Pflicht aller sozialistischen Länder, die sozialistischen
Errungenschaften zu festigen, zu unterstützen und zu verteidigen.
27
14. Entwicklungen nach der Konferenz von Bratislava:
Die KPC richtete am 6. August einen Appell an die Massenmedien, die Polemik
gegen die Bruderländer weitgehendst einzustellen. Vom 9. bis zum 16. August
fanden noch bilaterale Treffen zwischen der CSSR, Jugoslawien, Rumänien
und der DDR statt. Für die Reformer und Dubcek bedeuteten die Treffen von
Cierna und Bratislava eine Sicherung der Rahmenbedingungen für ihre
bisherige Politik und sie konzentrierten sich voll auf die Organisation des
Außerordentlichen XIV. Parteitags, der eine Stabilisierung ihrer Politik in der
Partei und in der Gesellschaft bringen sollte. Die sowjetische Seite und die
27
Vergl. Haefs H: Die Ereignisse in der Tschechoslowakei vom 27. 6. 1967 bis 18. 10. 1968.
Ein dokumentarischer Bericht. 1969. O. V. Bonn, Wien, Zürich. Seite 105ff

24
,,gesunden Kräfte" innerhalb der KPC hingegen erwarteten eine baldige radikale
Wendung im Sinne der Forderungen der fünf Bruderländer.
Am 9. August und am 13. August setzte sich Breschnew jeweils telefonisch mit
Dubcek in Verbindung und warf ihm vor, die Abmachungen von Cierna und
Bratislava nicht einzuhalten. Dubcek versuchte auszuweichen und er wies
darauf hin, dass Veränderungen Zeit brauchen. Er wollte Zeit gewinnen, um
den Außerordentlichen XIV. Parteitag veranstalten zu können, der eine Wende
bringen sollte.
28
14.1 Vorbereitung der Intervention:
Einen weiteren wichtigen Teil der Interventionsvorbereitungen bildete ein
Einladungsbrief zwischen Mitgliedern des Zentralkomitees der KPC und der
Sowjetunion, indem die tschechoslowakischen Brüder um wirksame
Unterstützung und Hilfe mit allen Mitteln baten, um die Konterrevolution zu
beenden. Die Unterzeichner dieses Briefes sollten in der Nacht vom 20. zum
21. August, der Nacht der Invasion, die Führung der Partei und der Regierung
übernehmen. Am 17. August fand eine Tagung des vollzählig versammelten
Politbüros der KPdSU statt. Die Lage in der Tschechoslowakei wurde als
aussichtslos eingeschätzt, es gab keine Garantie mehr für die Rückkehr der
KPC zum gemeinsamen politischen Kurs und Dubcek schien, ihrer Ansicht
nach, mit der Führung der Partei überfordert. Dies war Grund genug, die
Invasion der CSSR zu beschließen. Diese sollte, gemeinsam mit der
Übernahme der Regierung durch die gesunden Kräfte am Außerordentlichen
XIV. Parteitag der KPC, in der Nacht vom 20. zum 21. August stattfinden. Im
Moskauer Treffen vom 18. August schlossen sich die sozialistischen
Bruderländer bedingungslos den Maßnahmen der Sowjetunion an. Sie
verpflichteten sich mit ihren Staaten und Armeen mit allen Anforderungen an
der militärischen Aktion gegen die CSSR teilzunehmen.
28
Vergl. Schwarzacher Theresa: Sieg der Macht und nicht des Geistes. 2001. Diplomarbeit.
Wien. Seite 70ff

25
Die Gruppe um Bil´ak, die die ,,gesunden Kräfte" in der Tschechoslowakei
repräsentierten, wurde vom Beschluss der Fünf informiert, Dubcek und seine
Anhänger wurden von den Vorgängen nicht in Kenntnis gesetzt. Am 19. August
übergab Dobrynin, der Sowjetbotschafter in den USA, dem amerikanischen
Präsidenten Johnson eine diplomatische Note, die versicherte, dass die
Blockgrenzen in Europa, unabhängig von allen Truppenbewegungen in der
Tschechoslowakei, nicht verletzt werden würden.
14.2 Die Nacht vom 20. zum 21. August:
Die Invasion der Bruderparteien war ein voller militärischer Erfolg, politisch
gesehen aber eine Niederlage. Die "gesunden Kräfte" schafften es nicht, die
Macht in der Partei an sich zu reißen, die Nationalversammlung verurteilte die
Okkupation. Rundfunk, Fernsehen und Presse verbreiteten am 21. August die
noch in der Nacht verfasste Resolution des Parteipräsidiums, die die
Intervention als Verletzung der Normen des Völkerrechts anprangerte.
Offensichtlich für alle war, dass die Reformbewegungen und der Prager
Frühling in der Invasion ein jähes Ende gefunden hatten. Die Sowjetunion hatte
ihre Oberherrschaft in der Tschechoslowakei nicht aufgeben wollen.
29
30
15. Schlussbetrachtungen:
Der Prager Frühling bildete den ersten Versuch eines kommunistischen
Regimes, das sowjetische System auf einem friedlichen Weg umzuwandeln.
Der Kurs der Dubcek-Führung war geprägt durch eine nichtkonfrontative
Innenpolitik und einer Strategie der Konfliktvermeidung nach außen. Die
Reformer glaubten bis zur Intervention an die Vereinbarkeit ihrer Ziele mit den
sowjetischen Interessen und sahen in der Modernisierung, Rationalisierung und
Demokratisierung des Systems, einen Entwicklungstrend, der in nächster Zeit
29
Vergl. Pauer Jan: Der Einmarsch des Warschauer Paktes. 1995. o. V. Bremen. Seite 115ff
30
Vergl. McGinn John: The Politics of Collective Inaction: NATO`s Response to the Prague
Spring. In: Journal of Cold War Studies. 1999. Seite 79f

26
auch die anderen sozialistischen Länder ergreifen werde. Die Bruderländer,
allen voran die Sowjetunion, erkannten hingegen in den Reformbestrebungen
eine Bedrohung der Grundlagen des gesamten Systems und der elementaren
Sicherheitsinteressen des Warschauer Paktes.
Die Unvereinbarkeit zwischen diesen beiden Ansichten und das Versagen aller
diplomatischen Lösungswege fand schließlich in der Nacht vom 20. zum 21.
August ihr Ende.
31
32
31
Vergl. Kleber Doris: Der Prager Frühling. In:
www.trend.partisan.net
.
32
Vergl. McGinn John: The Politics of Collective Inaction: NATO`s Response to the Prague
Spring. In: Journal of Cold War Studies. 1999. Seite 136f.

27
3.Pressestimmen zum Prager Frühling:
Um die verschiedenen Meinungen und Haltungen, die Intervention der
Warschauer Pakt Truppen in die CSSR betreffend festzuhalten und
widerzuspiegeln, ist es nützlich die verschiedenen Printmedien zu betrachten.
Während sich die meisten westlichen, nichtkommunistischen Pressestimmen
auf die Schilderung der Ereignisse, Verurteilungen und einigen
Schlussfolgerungen beschränken, wird in den Stimmen der sozialistischen
Bewegung der eigentliche Konflikt besonders deutlich: Aus der unmittelbaren
Betroffenheit der Einen und der Hilflosigkeit, der Rechtfertigungsversuche oder
auch unverhohlenen Siegesstimmung der anderen spricht sich aus, dass der
Prager Reformkurs nicht ein übliches politisches Ereignis war, sondern dass es
um die Verteidigung oder die Zerstörung des menschlichen Antlitzes des
Sozialismus ging!
33
Gemeinsamer Appell der fünf Regierungen der Staaten des Warschauer
Paktes vom 23.08.68.
Tschechische und slowakische Brüder!
Beim Hilferuf folge leistend, mit dem sich dem Sozialismus treue, führende
Partei- und Staatsfunktionäre der Tschechoslowakei an uns wandten, haben wir
unsere Streitkräfte angewiesen, der Arbeiterklasse und dem tschechischen Volk
die erforderliche Unterstützung zur Verteidigung seiner sozialistischen
Errungenschaften zu gewähren, die von den immer nachdrücklich betriebenen
Anschlägen der inneren und der internationalen Reaktionen bedroht werden...
33
Die folgenden angeführten Auszüge der Pressestimmen, Resolutionen, Stellungnahmen und
Kommuniques wurden von Walter Kugler für sein Buch ,,Was war der Prager Frühling ?" aus a)
Strafaktionen gegen einen Bruderstaat. Fischerdokumentation b) Röll F. und Rosenberger G.
CSSR-Dokumentation entnommen und vom Autor selbst ins Deutsche übersetzt.

28
Die von den Imperialisten ermunterten und unterstützten Konterrevolutionäre
drängen mit Gewalt zur Macht. Nachdem sie die Schlüsselpositionen in Presse,
Rundfunk und Fernsehen an sich gerissen hatten, verleumdeten und
schmähten die antisozialistischen Kräfte alles, was durch die Hände der
arbeitenden Slowaken und Tschechen in 20 Jahren des Kampfes für den
Sozialismus geschaffen worden ist.
...Wahre Freiheit und Demokratie können nur durch die Stärkung der führenden
Rolle der Arbeiterklasse und ihre Vorhut, der ruhmreichen kommunistischen
Partei der Tschechoslowakei, gesichert werden. Eben dieses Ziel strebte das
Januar-Plenum des ZK der KPC an, dass die Korrektur der in der
Vergangenheit begangenen Fehler einleitete. Unsere Partei und Völker
unterstützten die gerechten Bestrebungen, die auf die Festigung und weiterer
Vervollkommnung der sozialistischen Demokratie gerichtet sind.
34
Wenn man diesem Artikel Glauben schenken mag, befreite und rettete der Pakt
das tschechoslowakische Volk vor der wirren Parteiführung der CSSR, um das
,,alte, erfolgreiche" Handeln zu bewahren und weiter an den bisherigen
Maximen festzuhalten.
Erklärung des ZK der SED, des Staatsrates und Ministerrates der DDR:
Wie durch Rundfunk und Fernsehen bekannt geworden, haben dem
Sozialismus treu ergebene Persönlichkeiten der Partei und des Staates der
CSSR am 20. August offen den Kampf zum Schutz der sozialistischen
Staatsordnung gegen die konterrevolutionären Umtriebe aufgenommen. Dies
wurde notwendig, nachdem durch einen verschärften Rechtskurs eine Gruppe
in der Führung der KPC und die erhöhte Aktivität der antisozialistischen Kräfte
eine akute politische Krise in der CSSR ausgelöst worden war...Der Plan der
antisozialistischen Gruppierungen und Klubs bestand darin, die
34
Vergl. Kugler Walter: Was war der Prager Frühling? 1976. St. Augustin. Achberger
Verlagsanstalt. Seite 63ff

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2004
ISBN (eBook)
9783832486037
ISBN (Paperback)
9783838686035
DOI
10.3239/9783832486037
Dateigröße
1.2 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Wien – Geistes- und Kulturwissenschaftliche Fakultät
Erscheinungsdatum
2005 (März)
Note
2,0
Schlagworte
nato warschauer pakt tschechoslowakei blocksysteme sozialismus
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