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Kardiovaskuläre Primärprävention im Grundschulalter im Freizeitsport - eine Frage des familiären Lebensstils?

©2004 Doktorarbeit / Dissertation 146 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Mit etwa 50% führen die Herzkreislauferkrankungen die Mortalitätsstatistiken in Deutschland und in den westlichen Industrienationen an (BUNDESAMT FÜR STATISTIK 1998). Zumeist sind sie die Folge atherosklerotischer Veränderungen.
Die Ursache der Atherosklerose ist nicht bekannt, wohl aber Faktoren, die ihr Entstehen begünstigen, die so genannten kardiovaskulären Risikofaktoren. Dazu zählen heutzutage neben dem Nikotinabusus, der arteriellen Hypertonie, der Hyperlipoproteinämie, dem Diabetes mellitus ganz entscheidend das Übergewicht und die Adipositas sowie der in den Industrienationen inzwischen nahezu epidemiologisch verbreitete Bewegungsmangel (AHA 1998; HOLLMANN et al. 2000). Sämtliche der genannten Faktoren sind eng miteinander verknüpft, z.B. im Rahmen des metabolischen Syndroms und finden sich nicht erst im Erwachsenen-, sondern bereits im Kindesalter (ZIESKE et al. 2001; BERENSON et al. 1998).
Die zunehmend technologisierte Welt hat entscheidenden Einfluss auf das menschliche Verhalten in Beruf und Freizeit. Davon ist im negativen Sinn besonders jegliche Form der körperlichen Aktivität betroffen. Die physischen und psychischen Konsequenzen des dadurch entstandenen Bewegungsmangels sind für alle Altersklassen immens. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich im folgenden auf die unumstrittene Rolle der Bewegung auf das kardiovaskuläre Risikoprofil, v.a. Übergewicht und Adipositas. Denn neben der genetischen Disposition scheint heutzutage besonders die Abnahme der körperlichen Aktivität und weniger eine stetig erhöhte Kalorienaufnahme entscheidend für die Entstehung von Übergewicht und Adipositas zu sein (DIETZ et al., 1999, GORTMAKER et al. 1990; STUNKARD et al. 1986). Auch diese Beobachtung trifft nicht nur für das Erwachsenenalter, sondern bereits für Kinder zu. So sind einerseits weniger Bewegungsräume vorhanden, andererseits nimmt auch die tatsächliche Bewegungszeit der Kinder ab (KLEINE 2003; BÖS et al. 1996). Außerdem tragen der steigende Fernseh- und Computer-Konsum zusätzlich zu vermehrtem Bewegungsmangel bei. So zeigten GORTMAKER et al. einen klaren Zusammenhang zwischen erhöhtem Fernsehkonsum und Übergewicht (GORTMAKER et al. 1996). Diese Entwicklung konnten wir in der eigenen Arbeitsgruppe auch bereits bei Erstklässlern bestätigen (GRAF et al. 2004).
Die Erfassung und auch Beurteilung der tatsächlichen Bewegung bzw. des Bewegungsmangels von Kindern ist methodisch kompliziert (KRETSCHMER 2000). Daher sind […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 8543
Graf, Christine: Kardiovaskuläre Primärprävention im Grundschulalter im Freizeitsport ­
eine Frage des familiären Lebensstils?
Hamburg: Diplomica GmbH, 2005
Zugl.: Deutsche Sporthochschule Köln, Dissertation / Doktorarbeit, 2004
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2005
Printed in Germany

Lebenslauf
Lebenslauf
Angaben zur Person:
Name:
Christine Graf, geb. Rost
Geburtstag: 13.12.1967
Geburtsort: Würzburg
Wohnung: 50996
Köln
Familienstand: verheiratet
Kinder:
3 Töchter, 1 Sohn
__________________________________________
Schulausbildung:
Abitur 1986 am
Georg-Büchner-Gymnasium in Köln
Studium:
Medizin an der Universität Zu Köln 1986-93
Praktisches Jahr am St. Katharinen Hospital 1992-
1993
Abschluss:
Ärztliche Prüfung am 5.05.1993
Ärztliche Tätigkeit:
1.7.1993 ­ 30.8.1994 ÄiP Martha Maria
Krankenhaus, Nürnberg; Abteilung für Innere Medizin
1.10.1994 ­ 30.8.1995 ÄiP, Assistenzärztin in der
Medizinischen Klinik III (Kardiologie) der
Universitätskliniken Köln
seit dem 1.6.1996 als wissenschaftliche Mitarbeiterin
am Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin,
Deutsche Sporthochschule Köln (unterbrochen durch
Mutterschutz bzw. Erziehungsurlaub)

Lebenslauf
1.5.2000­30.6.2001 Weiterbildung
Allgemeinmedizin Praxis Dr. Günther Schmitz
Langobardenstraße 2, Wuppertal
1.7.2001 Institut für Kreislaufforschung und
Sportmedizin an der Deutschen Sporthochschule
Köln
Medizinische Promotion:
am 17.1.95 an der medizinischen Fakultät der
Universität zu Köln zum Thema:
"Die Bedeutung kardialer und peripher-
lymphozytärer ß-Adrenozeptoren für die Vermittlung
trainingsbedingter Adaptationen "
Sportwissenschaftliches
Promotionsstudium:
10/02 ­ 03/04 Promotionsstudium an DSHS Köln in
den Fächern ,,Freizeitwissenschaft" und
,,Sportmedizin"

Eidesstattliche Versicherung
Hierdurch versichere ich an Eides Statt: Ich habe diese Arbeit selbstständig
und nur unter Benutzung der angegebenen Quellen angefertigt; sie hat noch
keiner anderen Stelle zur Prüfung vorgelegen. Wörtlich übernommene
Textstellen, auch Einzelsätze oder Teile davon, sind als Zitate kenntlich
gemacht worden.
Köln, den 22.3.04

Meiner Familie gewidmet

Mein herzlicher Dank gilt
·
der guten Betreuung durch Professor Tokarski und Frau PD Dr.
Bjarnason-Wehrens,
·
Professor Predel für die Ermöglichung und Unterstützung des
Projektes,
·
meinen lieben Kollegen und Kolleginnen für sämtliche Hilfe,
·
allen beteiligten Gesundheitsämtern, Lehrern und Lehrerinnen,
Eltern und Kindern,
·
der Regionaldirektion der AOK Rheinland, besonders Frau
Hildegard Fischel und Yvonne Gören-Patt,
·
dem Förderverein des Herzzentrum Kölns und speziell Herrn
Helmes,
·
Professor Lehmacher, Hildegard Christ und Dr. Silke Coburger für
die statistische Betreuung,
·
den Studierenden der wissenschaftlichen Seminare,
·
ganz besonders Benny Koch und Sigrid Dordel für ihre Ruhe, ihr
Wissen und ihre Freundschaft,
·
und Peter, Toni, Lotta, Luca und Kasper dafür, dass es sie gibt.

I Gliederung
Kardiovaskuläre Primärprävention im Grundschulalter im
Freizeitsport ­ eine Frage des familiären Lebensstils?
Titel
Seite
1 Einleitung
1
1.1 Hintergrund
1
1.2 Fragestellungen
3
2 Theoretische Erörterung ­ Teil I
4
2.1 Gesellschaftliche Betrachtung des Gesundheitsbegriffes heute
4
2.2 Entwicklung des Begriffes ,,Lebensstil"
6
2.3 Freizeit/Freizeitsport
10
2.4 Freizeit und Lebensstil
12
2.5 Lebensstil im Kindesalter
13
2.6 Ansätze der Lebensstilforschung
15
2.7 Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention als
Interventionsstrategien
17
2.8 Mögliche Ansätze
18
2.9 Operationalisierungsfragen
21
3 Leithypothese ­ Teil II
23
3.1 Ursprüngliche Fragen
23
3.2 Auswahl des Untersuchungsansatzes
23
3.3 Ziel der Untersuchung
24
4 Methodik
25
4.1 Untersuchungsgang
25
4.1.1 Rekrutierung der Schulen
25
4.1.2 Untersuchungsgruppe
25
4.1.3 Ein- und Ausschlusskriterien
26
4.2 Die Kinder
26
4.2.1 Freizeitverhalten der Kinder
26

II Gliederung
4.2.1.1 Sportliche Anamnese der Kinder
26
4.2.1.2 Fernsehverhalten
27
4.2.1.3 Alltagsverhalten
27
4.2.2 Untersuchungen der Kinder
28
4.2.2.1 Erhebung der anthropometrischen Daten
28
4.2.2.2 Durchführung des Körperkoordinationstest (KTK)
28
4.2.2.3 Durchführung des 6-Minuten-Laufes
30
4.3 Die Eltern
31
4.3.1 Erhebung der anthropometrischen und sozialen Daten
31
4.3.2 Eigenanamnese, Risikoprofil und Familienanamnese
31
4.3.3 Sportliche Anamnese
32
4.4 Methodenkritik
33
4.5 Statistische Analyse
33
5 Ergebnisse
35
5.1 Die Kinder
35
5.1.1 Anthropometrische Daten der Kinder
35
5.1.2 Freizeitverhalten der Kinder
36
5.1.2.1 Körperliche Aktivität im Sportverein
37
5.1.2.2 Regelmäßig betriebener Sport außerhalb des Vereins
37
5.1.2.3 Unregelmäßig betriebener Sport
38
5.1.2.4 Sportliche Aktivität der Kinder insgesamt
38
5.1.2.5 Einzelne Sportarten
39
5.1.3 Alltagsverhalten
41
5.1.3.1 Schulweg
41
5.1.3.2 Bewegung
41
5.1.2.3 Fernsehverhalten
41
5.1.2.4 Freizeitverhalten der Kinder in Abhängigkeit ihres
sozialen Status
42

III Gliederung
5.1.3 Motorische Testverfahren
42
5.1.3.1 Körperkoordinationstest für Kinder (KTK)
42
5.1.3.2 6-Minuten-Lauf
43
5.1.3.3 Ergebnisse der motorischen Testverfahren in Abhängigkeit
der anthropometrischen Daten
45
5.1.3.4 Ergebnisse der motorischen Testverfahren in Abhängigkeit
des Freizeitverhaltens
47
5.1.3.5 Ergebnisse der motorischen Testverfahren in Abhängigkeit
des Alltagverhaltens
51
5.1.3.6 Ergebnisse der motorischen Testverfahren in Abhängigkeit
des sozialen Status
52
5.2 Die Eltern
53
5.2.1 Anthropometrische Daten der Eltern
53
5.2.2 Beruflicher und sozialer Status der Eltern
54
5.2.3 Eigen-, Familienanamnese und Risikoprofil der Eltern
56
5.2.3.1 Übergewicht
56
5.2.3.2 Arterielle Hypertonie
57
5.2.3.3 Hypercholesterinämie
57
5.2.3.4 Diabetes mellitus
57
5.2.3.5 Metabolisches Syndrom
58
5.2.3.6 Bewegungsmangel
58
5.2.3.7 Manifeste Arteriosklerose
58
5.2.3.8 Familienanamnese
58
5.2.3.9 Nikotinabusus
59
5.2.3.10 Ehemaliger Nikotinabusus
60
5.2.4 Sportliche Anamnese der Eltern in der Freizeit
61
5.2.4.1 Aktivität im Sportverein
61
5.2.4.2 Regelmäßig betriebener Sport außerhalb des Vereins
62
5.2.4.3 Unregelmäßig betriebener Sport
63
5.2.4.4 Sportliche Aktivität der Eltern insgesamt
64
5.2.4.5 Freizeitverhalten der Eltern in Abhängigkeit ihres sozialen
Status
65

IV Gliederung
5.3 Zusammenhänge zwischen Eltern und Kindern
66
5.3.1 Anthropometrische Daten
66
5.3.2 Freizeitaktivität
67
6 Diskussion
69
6.1 Diskussion der Ergebnisse
69
6.2 Abschließende Betrachtung der Leithypothesen
85
6.3 Ausblick CHILT (Children's Health InterventionaL Trial)
86
7 Zusammenfassung
88
8 Literatur
90
9 Verzeichnisse
107
9.1 Verzeichnis der Abkürzungen
107
9.2 Verzeichnisse der Tabellen
109
9.3 Verzeichnis der Abbildungen
110
10 Anhang
112
10.1 Fragebogen
112
10.2 Tabellen
120

Einleitung
1
1 Einleitung
1.1 Hintergrund
Mit etwa 50% führen die Herzkreislauferkrankungen die Mortalitätsstatistiken in
Deutschland und in den westlichen Industrienationen an (BUNDESAMT FÜR
STATISTIK 1998). Zumeist sind sie die Folge atherosklerotischer Veränderungen.
Die Ursache der Atherosklerose ist nicht bekannt, wohl aber Faktoren, die ihr
Entstehen begünstigen, die so genannten kardiovaskulären Risikofaktoren. Dazu
zählen heutzutage neben dem Nikotinabusus, der arteriellen Hypertonie, der
Hyperlipoproteinämie, dem Diabetes mellitus ganz entscheidend das Übergewicht
und die Adipositas sowie der in den Industrienationen inzwischen nahezu
epidemiologisch verbreitete Bewegungsmangel (AHA 1998; HOLLMANN et al.
2000). Sämtliche der genannten Faktoren sind eng miteinander verknüpft, z.B. im
Rahmen des metabolischen Syndroms und finden sich nicht erst im Erwachsenen-,
sondern bereits im Kindesalter (ZIESKE et al. 2001; BERENSON et al. 1998).
Die zunehmend technologisierte Welt hat entscheidenden Einfluss auf das
menschliche Verhalten in Beruf und Freizeit. Davon ist im negativen Sinn
besonders jegliche Form der körperlichen Aktivität betroffen. Die physischen und
psychischen Konsequenzen des dadurch entstandenen Bewegungsmangels sind
für alle Altersklassen immens. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich im
folgenden auf die unumstrittene Rolle der Bewegung auf das kardiovaskuläre
Risikoprofil, v.a. Übergewicht und Adipositas. Denn neben der genetischen
Disposition scheint heutzutage besonders die Abnahme der körperlichen Aktivität
und weniger eine stetig erhöhte Kalorienaufnahme entscheidend für die
Entstehung von Übergewicht und Adipositas zu sein (DIETZ et al., 1999,
GORTMAKER et al. 1990; STUNKARD et al. 1986). Auch diese Beobachtung trifft
nicht nur für das Erwachsenenalter, sondern bereits für Kinder zu. So sind
einerseits weniger Bewegungsräume vorhanden, andererseits nimmt auch die
tatsächliche Bewegungszeit der Kinder ab (KLEINE 2003; BÖS et al. 1996).
Außerdem tragen der steigende Fernseh- und Computer-Konsum zusätzlich zu
vermehrtem Bewegungsmangel bei. So zeigten GORTMAKER et al. einen klaren

Einleitung
2
Zusammenhang zwischen erhöhtem Fernsehkonsum und Übergewicht
(GORTMAKER et al. 1996). Diese Entwicklung konnten wir in der eigenen
Arbeitsgruppe auch bereits bei Erstklässlern bestätigen (GRAF et al. 2004).
Die Erfassung und auch Beurteilung der tatsächlichen Bewegung bzw. des
Bewegungsmangels von Kindern ist methodisch kompliziert (KRETSCHMER
2000). Daher sind die vorliegenden Zahlen der Folgeerscheinungen national und
international nicht einheitlich. Im Allgemeinen geht man in Deutschland davon aus,
dass bei Kindern heute in 40 bis 60% Haltungsschwächen/-schäden, in 30 bis 40%
Koordinationsschwächen, in 20 bis 30% leistungsschwaches Herz-Kreislauf- und
Atmungssystem sowie in ca. 15% ein auffälliges psychosoziales Verhalten vorliegt
(HOLLMANN et al. 2000; BREITHECKER 1998).
Die besondere Bedeutung von Bewegung und entsprechend von
Bewegungsmangel wird noch deutlicher bei der Betrachtung der positiven Effekte
körperlicher Aktivität. Neben den gut belegten Auswirkungen auf den Stoffwechsel
und das Herz-Kreislaufsystem zeigen sich zunehmend auch positive Auswirkungen
auf das Immunsystem (BLAIR et al. 1996) und die psychosozialen
Verhaltensmuster (DORDEL 2003). Mit vermehrter sportlicher Betätigung findet
sich neben einer Zunahme der Lebensqualität ein positives Selbstkonzept, das
besonders in der Entwicklung der kindlichen Gesamtpersönlichkeit zu einer
ganzheitlich gesunden Lebensführung beitragen kann (MICHAUD et al. 1999,
RÖTHLISBERGER et al. 1999). Hinzu kommen nachweisbare Verbesserungen
der kognitiven Fähigkeiten und schulisch-akademischen Leistungen (ETNIER et al.
1997, SALLIS et al. 1999, SHEPHARD 1997, GRAF et al. 2003), ein Aspekt, der
hierzulande seit der Veröffentlichung der ,,PISA-Daten" berücksichtigt werden
sollte.
Konsens besteht daher weitestgehend, dass wirkungsvolle Maßnahmen für eine
sinnvolle und damit auch kostensparende kardiovaskuläre Prävention daher
möglichst frühzeitig begonnen werden sollten. Als geeignete Struktur ­ ohne
Stigmatisierung und damit für alle erreichbar - haben sich Schulen, besonders
Grundschulen erwiesen. Es ist aber sicherlich nicht ausreichend, nur dort den
Kindern mehr Bewegung und Gesundheit zu vermitteln. Vielmehr sollte die Freude

Einleitung
3
an einem gesunden Lebensstils auch in das Elternhaus und die Freizeit übertragen
werden.
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde die Rolle des Freizeitsportes in seiner
wesentlichen präventiven Bedeutung für Erstklässler bzw. deren Eltern beleuchtet,
um den Bedarf entsprechender präventiver Maßnahmen aufzudecken. Dazu
wurden 668 ErstklässlerInnen bzw. deren Eltern an zwölf Interventionsschulen im
Rahmen der Schuleingangsuntersuchung bzw. den ersten Elternabenden zu ihrem
sportlichen und Freizeitverhalten, aber auch Eigen- und Familienanamnese
befragt. Die Gesamtkörperkoordination der Kinder wurde zu Beginn des ersten
Schuljahres mithilfe des Koordinationstests für Kinder nach SCHILLING 1974
(KTK), die Ausdauerleistungsfähigkeit mithilfe des 6-Minuten-Laufs nach BECK et
al. 1995 erfasst.
1.2 Fragestellungen des empirischen Teils
1. Welche Aussage lässt sich bzgl. des Freizeitverhaltens und den
Fähigkeiten der Erstklässler treffen?
2. Finden sich Zusammenhänge mit den anthropometrischen Daten der
Kinder?
3. Finden sich Zusammenhänge zwischen dem Freizeitverhalten und dem
kardiovaskulären Risikoprofil der Eltern?
4. Finden sich Zusammenhänge zwischen dem Freizeitverhalten der Eltern
und der Kinder?
5. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für einen gesunden
Lebensstil?

Theoretische Erörterung
4
2 Theoretische Erörterung ­ Teil I
2.1 Gesellschaftliche Betrachtung des Gesundheitsbegriffes heute
Nach den Angaben des Statistischen Bundesamtes 2003 werden in Deutschland
die jeweils aktuell geborenen Jungen künftig 75,1 und die Mädchen 81,1 Jahre alt.
Ein Viertel der Deutschen ist über 60 Jahre alt, in 30 Jahren wird es voraussichtlich
jeder Dritte sein. Die Veränderungen des demographischen Faktors, die damit
verbundenen Veränderungen der Erkrankungen und Todesursachen sowie der
steigenden Kosten haben zu dem lauter werdenden Ruf nach mehr Lebensqualität
im Alter bzw. nach einem gesünderen Altern geführt (BAUCH 2000).
Heutzutage werden als Voraussetzungen für eine ,,gesunde" Bevölkerung mit einer
hohen Lebenserwartung angenommen (nach FELDMANN 2002):
1. ein hochentwickeltes erfolgreiches Wirtschaftssystem,
2. Demokratie und Demokratisierung sowie ein
3. hochentwickeltes Bildungssystem.
Die Betrachtung der Gesundheitsentwicklung in Deutschland zeigt, dass sich
neben der gesteigerten Lebenserwartung Erkrankungen in Abhängigkeit vom
sozioökonomischen Status zeigen. Hauptsächlich handelt es sich um chronische
Erkrankungen wie Allergien und Diabetes, Alkoholismus und Rauchen,
Übergewicht etc.. Zu den zentralen Gesundheitsfaktoren zählen neben der
genetischen Disposition, die natürliche und die soziale Umwelt, das
gesundheitliche Versorgungssystem sowie gesundheitsrelevante Lebensstile
(BAUCH 2000). Letztere spielen in einem teurer werdenden Gesundheitssystem,
in dem die Eigenverantwortung eines Patienten oder Menschen immer
bedeutsamer wird, eine entscheidende Rolle. Hinzu kommt die zunehmend
ganzheitliche Betrachtung von Gesundheit. So definierte die
Weltgesundheitsorganisation bereits 1987, dass Gesundheit nicht lediglich die
Abwesenheit von Krankheiten darstellt, sondern als ein Zustand des vollständigen
körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens verstanden wird.

Theoretische Erörterung
5
Gesundheitsförderung zielt nach der Ottawa-Charta 1986 ,,auf einen Prozess, allen
Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu
ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen. (...) Die
sich verändernden Lebens-, Arbeits- und Freizeitbedingungen haben
entscheidenden Einfluss auf die Gesundheit. Die Art und Weise, wie eine
Gesellschaft die Arbeit, die Arbeitsbedingungen und die Freizeit organisiert, sollte
eine Quelle der Gesundheit und nicht der Krankheit sein. Gesundheitsförderung
schafft sichere, anregende, befriedigende und angenehme Lebens- und
Arbeitsbedingungen." (TROSCHKE et al. 1996).
Entsprechend beschreibt HURRELMANN (2003) Gesundheit als ein
Gleichgewicht, das stets neu wiederhergestellt werden muss. Voraussetzungen
dazu sind personaler und sozialer Art:
·
die Fähigkeit, dem Leben Freude und Sinn abzugewinnen und Störungen
und Beeinträchtigungen des Wohlbefindens früh zu erkennen und
vorbeugend abzuwehren;
·
die Fähigkeit, sich mit bereits eingetretenen Gesundheitsstörungen und
Krankheiten aktiv auseinander zu setzen und unvermeidbare chronische
Krankheiten in den eigenen Lebensrhythmus zu integrieren;
·
der Zugang zu Arbeits - und Lebensbedingungen, die eine produktive
Entfaltung eigener Kompetenzen zulassen und eine soziale Integration mit
aktiver Mitgestaltung sichern und
·
die Verfügbarkeit von strukturell und qualitativ angemessenen Angeboten
der Behandlung und Betreuung von Gesundheitsstörungen und
Erkrankungen.
Diese Faktoren, die sich auch im ,,Lebensstil" wiederfinden, können allesamt
individuell von einem Menschen auf verschiedenen Ebenen mitgestaltet werden
(s.2.2).

Theoretische Erörterung
6
2.2 Entwicklung des Begriffes ,,Lebensstil"
Der Begriff des Lebensstils oder der Lebensführung wurde bereits im 19.
Jahrhundert eingeführt. Heute gibt es kaum eine Wissenschaft, die sich nicht in
irgendeiner Weise damit auseinandersetzt. Eine einheitliche oder gar
allgemeingültige Definition bzw. entsprechend einheitliche
Untersuchungsmethoden gibt es nicht, die Anzahl von Versuchen, die
theoretischen Lebensstil-Hypothesen mit empirischen Untersuchungen zu
belegen, ist begrenzt (Otte 2004). Im folgenden soll der Lebensstilbegriff klarer
dargestellt (der Begriff ,,Definition" wurde bewusst vermieden) werden,
insbesondere hinsichtlich seiner gesundheitssoziologischen Bedeutung.
Historisch ging der geistige Vater des Lebensstils, der Soziologe Max WEBER,
davon aus, dass ,,alle 'Stilisierung' des Lebens" entweder ständischen Ursprungs
sei oder zumindest ,,ständisch konserviert" werde (WEBER 1956).
So sah WEBER
in der Berufswelt eine Chance für die Entwicklung einer verantwortungsethisch
inspirierten Lebensführung (1973). Lebensführung war ihm zufolge die typischen
sozialen Handlungsmuster entsprechend einem (Berufs-)Stand oder einer
Statusgruppe sowie der daraus resultierende Anspruch auf Ehre und soziale
Anerkennung. Entscheidend für WEBER (zit. nach TOKARSKI 1989) war das
gemeinschaftliche Handeln, das seine positive Entwicklung durch einen zentralen
Sinn oder ein Ziel zusammengehaltener, spezifisch religiös determinierter
Lebensführung nimmt.
Somit blieben für WEBER die Stände und Lebensformen bestehen, eine
Weiterentwicklung ergab sich ,,nur" durch die Gemeinschaft innerhalb eines
Standes. Im Gegensatz dazu brachte Georg SIMMEL Lebensstil vielmehr mit
einem sozialen Wandel und Bruch alter Traditionen in Zusammenhang (zit. nach
TOKARSKI 1989). Lebensstil reflektierte die Suche des Einzelnen nach einer
eigenen Identität sowie Sicherung bei gleichzeitiger sozialer Differenzierung. Mit
dem zunehmenden ,,Verschwimmen" der sozialen Schichten (SCHULZE 2002, 17)
lassen sich diese Modelle jedoch nicht mehr halten. Sie berücksichtigen nicht
sogenannte horizontale Ungleichheiten wie z.B. Alter, Geschlecht, Lebenszyklus

Theoretische Erörterung
7
und Lebensereignisse noch Unterschiede oder Überschneidungen innerhalb der
Schichten. Die sozialen oder ,,feinen Unterschiede" nach BOURDIEU (1982), die
Entwicklung von horizontalen statt/neben vertikalen Modellen beschreiben eine
Entkopplung der objektiven Lebenslage von der subjektiven Einstellung eines
Menschen (OTTE 2004). ,,Milieu" wurde erstmals von DURKHEIM in die Soziologie
eingeführt. Er beschreibt sie als reale Bewegungsformen sozialer Individuen
(DURKHEIM 1977). HRADIL versteht darunter eine Gruppe von Menschen, die
Lebenshaltungen und ­bedingungen aufweisen, aus denen sich gemeinsame
Lebensstile herausbilden (HRADIL 1987, 115 ff.). Somit ist Lebensstil im späten
20. Jahrhundert nur noch auf der begrifflichen Ebene mit dem ursprünglich von
Max WEBER beschriebenen Lebensstil vergleichbar (SCHULZE 2002, 20).
Vielmehr haben sich Manifestationen und ,,Tiefenstruk tur der latenten Bedeutung"
verändert als Bezugssystem sozialer Unterscheidungen, stiltypische
Lebensphilosophien etc. (SCHULZE 2002, 20 ff.). So lassen sich ­ je nach
Untersuchung ­ nur noch etwa 25 bis 30% der verschiedenen Lebensstiltypologien
durch demografische und sozioökonomisch/soziokulturelle Faktoren erklären,
vielmehr spielen Alter, Generationszugehörigkeit/Lebenszyklus,
Haushaltszusammensetzung, Geschlecht und Bildung sowie Lebensereignisse
eine entscheidende Rolle (GEORG 1998, TOKARSKI 1989). Lebensstil in der
neueren Sozialwissenschaft erscheint eher als ein Konzept, das eine für Individuen
und/oder Kollektive typische Lebenslage bzw. Lebensführung und deren
Organisation beschreibt sowie die dadurch erreichbaren Möglichkeiten der
Selbstdarstellung und Identifikation (TOKARSKI 1989). Daher wurde in den 80er
Jahren das Konzept der ,,Alltäglichen Lebensführung" eingeführt, das ein
Individuum mit der Gesellschaft zu verbinden schien. Nach VOSS (1995) setzt sich
die ,,Alltägliche Lebensführung" aus den Tätigkeiten von Personen in ihren
verschiedenen Lebensbereichen (Familie, Beruf, Freizeit etc.) zusammen. Im
Mittelpunkt steht dabei allerdings die gesamte Lebensspanne in seiner vollen
,,Breite". Es handelt sich also nicht um den Lebenslauf, sondern v.a. um die
Handhabung und Inhalte des Alltags, auf die aber natürlich auch die
Längsschnittbetrachtung eines Lebens Einfluss nimmt.

Theoretische Erörterung
8
Dabei sind einerseits die verschiedenen Tätigkeiten (im Sinne eines Zeitbudgets
oder temporaler Muster), und andererseits ihr alltäglicher Zusammenhang von
Interesse. Ziel ist die Analyse des individuellen Lebensmusters von Personen,
deren besondere Bedeutung durch die ihnen ,,eigene Dynamik" gegeben ist. Denn
es handelt sich nicht nur um ein sozial vorgegebenes und passiv übernommenes
Konzept, sondern eine aktive Konstruktion der Individuen. Die Akteure selbst
haben allerdings nur bedingt Einfluss auf die alltägliche Lebensführung, denn diese
zeichnet sich durch eine an das Individuum gebundene strukturelle Eigenlogik aus.
Somit gerät das Individuum samt seiner Wahrnehmung und Handlungen
zunehmend in den Mittelpunkt. Diese als Individualisierung bezeichnete
Entwicklung bedeutet nach BECK (1986), dass der Mensch sich aus gewohnten
Traditionen und Strukturen löst. Er führt dies auf die abnehmenden Klassen- und
Schichten-Orientierungen, beruflicher Flexibilisierung, Änderung des Freizeit und
Konsumverhaltens zurück. Nach SCHULZE (2002) kann eine ,,Neu-Orientierung"
anhand von Erlebnissteigerung und Zunahme alltagsästhetischer Episoden
erfolgen. SCHULZE (2002) geht dabei von einer zunehmenden Dominanz sog.
innenorientierter Aspekte aus, die das eigene ,,genussvolle Erleben" in den
Mittelpunkt stellen, dazu zählt im übrigen auch körperliche Aktivität/Sport
(BOURDIEU 1982; SCHULZE 2002; s.a. 2.4). Menschen mit ähnlichen Wünschen
und Neigungen finden sich in Form von ,,Lebensstilgruppen" zusammen.
Allerdings läuft die Lebensstil-Forschung derzeit Gefahr, inflationär auszuufern.
Nach SOBEL
reicht die Palette des amerikanischen ,,Lifestyles" von Mode und
Zen-Buddhismus bishin zur Bewertung der französischen Küche (1981). Positiv
gesprochen kommt es zu einer ,,Pluralisierung der Lebensstile": Die verschiedenen
Wohnbedingungen, Haushalts- und Familienformen sowie eine interindividuelle
Vielfalt schaffen neue Freiräume, aber auch neue Belastungen (GLATZER et al.
1984). Trotz dieser Popularität ist ­ wie bereits eingangs gesagt ­ der
Lebensstilbegriff in den vielfältigen Disziplinen weder definiert, noch
operationalisiert worden; wie auch, wenn die verschiedensten Einflussfaktoren
adäquat berücksichtigt werden sollen. Forschung/Theorien im Bereich reflexiver
autopoietischer, humaner Realität besitzt einige Besonderheiten, z.B.

Theoretische Erörterung
9
methodologische Uneindeutigkeit, ,,schwierige Balance zwischen Allgemeinheiten
und Besonderheiten", Anwendungsabhängigkeiten (SCHÜLEIN & REITZE 2002,
201).
Im folgenden soll nach einem kurzen historischen Exkurs die Entwicklung der
Gesundheitswissenschaften sowie der Zusammenhang mit dem Lebensstil aus
medizinischer Sicht besprochen werden. Bereits in der Antike wurde jedoch
,,Gesundheitsförderung/öffentliche Gesundheitssicherung" thematisiert, die
hippokratisch-galenische ,,Diaita", Ursprung des Wortes Diät, stellte die Lehre
einer gesunden Lebensart dar (Übersicht in LABISCH & WOELK 1998). Bis in die
Zeit des frühen 19. Jahrhunderts wurden die Maßnahmen öffentlicher
Gesundheitssicherung durch Städte oder Staaten oft ohne oder gar gegen
ärztliche Ratschläge durchgeführt. Im wesentlichen hingen sie von wirtschaftlichen
Gegebenheiten und sozialen Beziehungen ab. Die aufkeimende Technisierung
sowie die zunehmenden Kenntnisse, z.B. über Krankheitserreger, der
wissenschaftlichen Umgang damit, z.B. Statistik und Epidemiologie, führten
zunächst in England und Frankreich zur Entwicklung der sog.
Gesundheitswissenschaften. In Deutschland wurde dies Mitte des 19.
Jahrhunderts von Max von Pettenkofer als ,,naturwissenschaftliche Hygiene"
aufgegriffen. Er sah das Krankheitsgeschehen als dynamische
Auseinandersetzung mit Erregern, die unspezifisch in der mittel- oder
unmittelbaren Umgebung von Menschen zu finden waren. Dies führte zu
präventiven Gegenmaßnahmen, wie z.B. Reinigungen. Als Kehrseite entwickelten
sich Theorien wie die sog. Rassenhygiene, deren Ansichten besonders im
Nationalsozialismus missbraucht wurden. Heutzutage befassen sich
Gesundheitswissenschaften mit der Beschreibung, Erklärung und Gestaltung von
Gesundheit, somit stellen sie ein ,,Konglomerat von Geistes-, Sozial- und
Naturwissenschaften" dar (LABISCH & WOELK 1998). Dazu gehört auch die
Bestimmung sog. ,,gesunder" und ,,ungesunder" Lebensweisen. Entsprechend
beschäftigen sich Vertreter des Public-Health-Ansatzes mit Zusammenhängen
zwischen sozialen Faktoren und dem Gesundheits- bzw. Krankheitszustand der
Bevölkerung mit dem Ziel, die erforderlichen Maßnahmen eines

Theoretische Erörterung
10
Gesundheitssystems zu entwickeln (HURRELMANN 2000, 86). Da heute die
Haupttodesursache auf Herz-Kreislauferkrankungen und nicht mehr auf
Infektionen zurückgeführt wird, werden entsprechende ,,krankmachende"
Risikofaktoren, aber auch präventive Schutzmaßnahmen identifiziert. So spielen
neben den primären Risikofaktoren wie z.B. Rauchen, erhöhte Blutfettwerte und
Bewegungsmangel aus gesundheitswissenschaftlicher Sicht auch sog. sekundäre
Risikofaktoren wie Persönlichkeitsmerkmale, gesellschaftlicher Wandel, sich
daraus entwickelnde Angst und Unzufriedenheit mit entsprechender
Stressreaktion eine fundamentale Rolle (HURRELMANN 2000). Im aktuellen
medizinisch/sportmedizinischen Alltag jedoch wird der Begriff auf eine gesunde
und ausgewogene Ernährung, regelmäßige körperliche Aktivität, Vermeidung von
Übergewicht und anderen Risikofaktoren sowie Nikotinverzicht und ausreichend
Schlaf bezogen (PEARSON et al. 2002). Die Popularität des Begriffes in dieser
Form ist auf die große Lifestyle-Heart-Study von DEAN ORNISH et al. (1998)
zurückzuführen, die den überzeugenden Einfluss einer solchen Lebensführung
auf bereits krankhaft veränderte Herz-Kranzgefäße nachweisen konnte. Natürlich
deckt sich diese Umsetzung mit der Vorstellung einer gesunden, bei weitem aber
nicht mit der einer ganzheitlichen Lebensführung, und stellt damit ­ aus
gesundheitswissenschaftlicher Sicht ­ nur einen begrenzten Ausschnitt dar.
2.3 Freizeit/Freizeitsport
Der Begriff ,,Freye Zeit" findet sich bereits im Mittelalter, beschrieb danach
allerdings ,,lediglich" die Zeit, in der jemand unbehelligt auf den Markt gehen
konnte. Dagegen meint die moderne Form die Zeitabschnitte, in der nichts
,,Fremdbestimmtes" unternommen werden muss, also ,,Nichtstun", Bummeln,
Entspannen etc. Der eigentliche Begriff der Freizeit geht also weit über die
Ausübung körperlicher Aktivität, Unterhaltung und Entspannung hinaus
(DIECKERT et al. 2002; NAHRSTEDT 1990).
Die Wurzeln des Freizeitsportes wiederum finden sich in der zunehmenden
Industrialisierung mit Beginn in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Während man auch

Theoretische Erörterung
11
hier zunächst von einer sog. ,,Negativdefinition": Freizeit/Freizeitsport im
Gegensatz zu körperlicher Aktivität im Rahmen der Arbeit ausging, wandelte sich
die Sichtweise zunehmend in eine Idee ,,Sport für alle" und damit die Möglichkeit
einer persönlichen ,,Befreiung" und Umdenken von traditionellen Normen und
Standards (WOPP 1995). So definieren LAMPRECHT und STAMM (1994) Freizeit
wie folgt:
,,1) Freizeit als freie Zeit: Freizeit als diejenige Zeit, die nach Abzug der vom
Individuum (subjektiv) als Pflicht erlebten Zeit bleibt.
2) Freizeit als Summe von Aktivitäten: Freizeit als Handlungen, deren Ausübung
vom Individuum (subjektiv) als freiwillig gewählt eingeschätzt wird.
3) Freizeit als relativ eigenständiger Bereich der individuellen und sozialen
Erfahrung und Sinnstiftung: Freizeit als Lebensbereich oder soziales Subsystem
mit spezifischen Funktionen und Strukturen, das besondere Leistungen in bezug
auf die Sinnstiftung und Identitätsbildung des Akteurs und damit auch der
Gesellschaft als Ganzes erbringt.
Eine Definition von Freizeit kann somit nur der jeweiligen Bedeutung bzw. aus der
entsprechenden Perspektive erfolgen. Diese wiederum führen zur
Freizeitwissenschaft, die sich mit dem gewählten Blickwinkel auseinandersetzt und
Unterschiede/Zusammenhänge darzustellen versucht. Die systematische
Erforschung der Freizeit wurde allerdings erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts
vorgenommen. Psychologische und pädagogische Aspekte, z.B. ,,Freizeit als
schöpferische Pause", Freizeitverhalten, bestimmten die Forschungsinhalte
(zusammengefasst bei OPASCHOWSKI 1997). OPASCHOWSKI (1997) definiert
fünf Bereiche der Freizeit:
-
Tourismus/Fremdenverkehr
-
Medien/Kommunikation
-
Kultur/kulturelle Bildung
-
Sport/S piel
-
Konsum/Unterhaltung

Theoretische Erörterung
12
Die Freizeitwissenschaft stellt somit eine Spektrumswissenschaft dar, die sich mit
den o.g. Bereichen auseinandersetzt.
2.4 Freizeit und Lebensstil
Die Darstellung des komplexen Freizeitbegriffes hat aufgezeigt, dass es sich bei
der Freizeit nicht mehr allein um Unterhaltung, Erholung und Entspannung handelt,
vielmehr wird Freizeit ,,sinnstiftend" (HÖRNING et al. 1989). Damit übernimmt ,,die
Freizeit" eine multifunktionale Rolle im Leben eines Menschen, die die Arbeit nur
noch selten erreicht. Statt in der Berufs- und Arbeitswelt sucht sich das Individuum
vielmehr Leitbilder in Freizeit und Konsum (u.a. OPASCHOWSKI 1997). So sagen
55% der Bevölkerung, dass ,,in dem, was mit Freizeit angefangen wird", das
eigentliche Bestimmungsmerkmal zur Findung eines individuellen Lebensstils
liege. So lasse Arbeit und Geldverdienen im Vergleich zu Privat- und Freizeitleben
zu wenig Spielraum für die Verwirklichung persönlicher Ziele und Bedürfnisse.
Etwa 25% der Gesamtausgaben der privaten Haushalte in Deutschland werden im
Freizeitmarkt ausgegeben (Daten www.msp-Dortmund.de).
Auch die technologische Entwicklung im Berufsleben und der kontinuierliche
Rückgang der Arbeitszeit haben dazu geführt, dass die Freizeitorientierung des
Lebens in den letzten Jahren zugenommen hat. Lebensstil und Freizeitstil nähern
sich dementsprechend immer mehr an, wenn sie sich nicht inzwischen ganz
überschneiden.
Daher wird seit Ende der 80er Jahre gefordert, Freizeitstil und
Lebensstil als identisch zu betrachten (TOKARSKI 1989; VESTER 1988). Denn
zusammengefasst nach TOKARSKI (1985) kann sich der Lebensstilbereich nur auf
zwei Lebensbereiche beziehen: Arbeit und Freizeit. Dabei wird die Arbeit in der
Regel nur indirekt betrachtet, sei es über die Befragung zum beruflichen Status
oder das Einkommen. Wenn somit die Arbeitssituation nicht mehr im Mittelpunkt
der Lebensstilanalyse steht, liegt es nahe die Begriffe ,,Freizeitstil" und ,,Lebensstil"
zusammen zu betrachten, obwohl letzterer sicherlich breiter angelegt ist
(TOKARSKI 1989).
Wie bereits im Abschnitt 2.2 beschrieben, stellt die sog. Individualisierung in der
modernen Lebensstilforschung derzeit einen zentralen Begriff dar (BECK 1986).

Theoretische Erörterung
13
Nach SCHULZE (2002) zählen dazu neben Genuss, auch Distinktion (Abgrenzung
gegenüber anderen) und Lebensphilosophie. Neben der Pluralisierung der
Lebensstile hat sich auch eine fast nicht zu überschauende Vielfalt an Angeboten
für körperliche Aktivität/Sport entwickelt. BETTE (1993) interpretiert diese Vielfalt
als möglichen ,,Motor für die Durchsetzung von Individualisierungshoffnungen". So
wird der Körper als subjektive Sinnquelle bzw. zu einem ,,festen
Kristallisationspunkt für Selbstverwirklichung und allgemeine Lebensbejahung". So
bieten Bewegung/Sport und damit die Auseinandersetzung mit dem eigenen
Körper Möglichkeiten zur Stilisierung des eigenen Lebens, aber auch zur
Kompensation des Individualisierungsdrucks ­ der Leere, die nach BECK (1986)
nach der Lösung von alten Werten und Traditionen übrig bleibt. Darüber hinaus
dient die ,,Arena" dem eigenen Identitätsstreben (das findet sich in Phrasen wider
wie ,,Dein Sport bist Du") und der Abgrenzung anderer, z.B. durch exklusive
Sportarten wie Golf oder Polo. In einer FORSA-Befragung 2001 geben über 80%
der Befragten hinsichtlich des Freizeitverhaltens an, etwas für die eigene
Fitness/Gesundheit tun zu wollen (Daten www.msp-dortmund.de). Diese
Beschäftigung mit dem eigenen Körper, mit der eigenen Gesundheit spielt gerade
aus medizinischer/sportmedizinischer Sicht spielt eine wesentliche Rolle.
2.5 Lebensstil im Kindesalter
In den vorliegenden Konzepten zum Lebensstil haben Kinder explizit keinen Platz.
Auch Untersuchungen zu Familienbildern/-formen im Rahmen der
Lebensstilforschung ermöglichen keine Aussage über einen ,,kindlichen Lebensstil"
­ ist der Lebensstil der Eltern automatisch der der Kinder? Eine abschließende
Antwort auf diese Frage gibt es derzeit nicht. In einer Untersuchung von KLOCKE
und LÜCK (2001) zeigt, dass sich innerhalb von Familien die Lebensstile der
Ehepartner weitgehend entsprechen. Die Lebensstile der Kinder sind etwas
weniger ähnlich als die der Eltern, im wesentlichen übernimmt aber die Folge-
Generation den vorgelebten Lebensstil. Auch Geschwister pflegen ähnliche Stile.
Dies entspricht der psychologischen Sichtweise von ADLER, dass bereits im
Kindesalter die entscheidenden Weichen für die persönliche Entwicklung gestellt

Theoretische Erörterung
14
werden (in RUEDI 1995). Der Lebensstil entsteht ihm zufolge also auch in den
ersten Lebensjahren als die Konsequenz eines komplizierten Wechselspiels von
Versuch und Irrtum, Wirkung und Gegenwirkung. Ein Kind sucht nach eigenen
subjektiven Zielen und Fixpunkten. Darüber hinaus spielen die elterliche
Erziehung, Familienatmosphäre und Geschwisterkonstellation sowie die soziale
Schichtung und andere gesellschaftliche Einflüsse eine Rolle. So prägt die
gesamte Familie den Lebensstil. Auch Jugendliche räumen der Familie einen
hohen Stellenwert ein. So geben 70% der Jugendlichen an, dass man zum
Glücklich sein eine Familie braucht (SHELL-Studie 2002).
Da Freizeit und Konsum den individuellen Lebensstil auch der Kinder deutlich
bestimmen, ist die Erforschung von entsprechenden Inhalten unablässlich.
Heutzutage wird der kindliche Alltag maßgeblich von audiovisuellen Medien
(Fernsehen, PC etc.) geprägt. Sport/körperliche Aktivität/Spiel etc. nimmt ­ v.a. mit
zunehmendem Lebensalter - eine immer geringere Rolle ein (FEIERABEND et al.
2001; KALIES et al. 2001). Die gesundheitlichen organischen Folgen z.B.
Übergewicht und Adipositas sind schon belegt (GORTMA KER et al. 1996). Die
gesundheitlichen psychischen/psychosozialen und mentalen Folgen lassen sich
nur erahnen.
Um dieser ungünstigen Entwicklung gegenzusteuern, müssen einerseits kognitive
Modelle für Erwachsene und Kinder, aber sicherlich auch praktische
Umsetzungswege für Kinder und Eltern in Alltag und Beruf für eine ,,gesunde"
Freizeitgestaltung vermittelt werden. Dies ist deshalb von besonderer Bedeutung,
da die Ansicht verbreitet ist, dass trotz der eigenen Dynamik des Lebensstils, der
Abhängigkeit von Alter und Lebensereignissen Lebensstile meist ,,relativ stabil"
bleiben, teils über mehrere Jahrzehnte (zusammengefasst in OTTE 2004). Ein
frühzeitiges Lernen, eine familiäre Prägung kann damit das Fundament für ein
lebenslanges Fortführen sein. Im Rahmen der Individualisierung und dem
Verschwinden alter gesellschaftlicher Werte und Traditionen nach BECK (1986)
könnte man speziell für jüngere Kinder postulieren, dass es umso wichtiger wird,
was und wie in einer Familie heute vorgelebt wird. Die Bedeutung der Eltern als
Vorbilder ist sicherlich fraglos.

Theoretische Erörterung
15
2.6 Ansätze der Lebensstilforschung
Im folgenden sollen nur die für die Arbeit wesentlichen Aspekte angesprochen
werden. Da unter Lebensstil ­ wie bereits oben angesprochen ­ das für einzelne
und/oder mehrere Menschen charakteristische Zusammenspiel aus
Lebensführung, Lebensumständen, der Lebensorganisation, der Strukturen sowie
der sich daraus entwickelnden und ergebenden Möglichkeiten und damit sehr
komplex verstanden wird, ist eine Analyse mit einem sich daraus ergebenden
möglichen Handlungsbedarf methodisch kompliziert. Denn es können
verschiedene Bereiche des menschlichen Lebens einzeln und in ihren
Wechselwirkungen betrachtet werden, z.B. Arbeit, Freizeit, Familie, Gesundheit.
Aus sozialwissenschaftlicher Sicht finden sich nach LÜDTKE (1985) zwei Ansätze
der Lebensstilanalyse:
,,1) Lebensstile bilden normative Abgrenzungen in einem selbstbestimmten aktiven
Leben, denen die vorherrschenden Existenzweisen unter dem Einfluss von
Konsum- und Wirtschaftswachstum gegenübergestellt werden. In diesem Ansatz
findet sich auch die Diskussion um Werte und Materialismus wieder.
2) zum anderen beschäftigt sich der Lebensstil mit sozialer Ungleichheit."
In der Literatur liegen in unterschiedlicher Form zahlreiche Versuche über die
Erforschung von Lebensstil vor (TOKARSKI 1989). Neben der Freizeitforschung
sind diese Versuche u.a. in der Medizinsoziologie zu finden mit den
entsprechenden Überlegungen zum kardiovaskulären Risikoverhalten und
Lebensstil etc. Zumeist berücksichtigen diese Untersuchungen weniger die
dynamische Perspektive hinter der Entwicklung eines Menschen bzw. ganzer
Gruppen und deren Lebensstil, sondern untersuchen ,,den Lebensstil" aus der
Sicht der einzelnen Wissenschaften per se. Die Resultate dara us sind meist offen
gehaltene, vielleicht sogar einseitige Konzepte oder Typologien. Daraus entwickeln
sich auch entsprechend offen gehaltene Definitionen oder
Operationalisierungsansätze. Dieser Aspekt muss zwar stets kritisch mitbedacht

Theoretische Erörterung
16
werden, ist aber aus methodischer Sicht abhängig von der Fragestellung kaum zu
umgehen. Da ­ wie in der vorliegenden Arbeit ­ die Analyse von Teilaspekten des
Lebensstils von Erstklässlern und deren Eltern Rückschlüsse auf mögliche
Maßnahmen ergeben soll, ist eine Entscheidung auf Teilaspekte oder ausgewählte
Variablen notwendig. Diese Bestimmungsgrößen gelten wiederum als Merkmale
oder Indikatoren von Lebensstilen (TOKARSKI 1989). Grundsätzlich liegen nur
wenige Konzepte vor, die die gesamte Lebensstilproblematik systematisch
erfassen. Nach BERBALK und HAHN (1980) ergeben sich 5 Bestimmungsgrößen
des Lebensstils:
1) die für eine Person gegebenen oder ausgesuchten ,,objektiven"
Lebensbedingungen und Bedingungsveränderungen,
2) der subjektive Lebensraum mit der Organisation von Lebensthemen,
3) die Organisation von Erleben und Verhalten in verschiedenen Lebensbereichen,
4) die Bewertung dieser Organisation über unterschiedliche Aktivitätskategorien
sowie
5) die Entstehung und die Änderung.
Die Beantwortung und Untersuchung dieser fünf Aspekte definiert Lebensstil nach
den Autoren als ,,thematisch strukturierte Erlebens- und Verhaltensmuster in den
verschiedenen Lebensbereichen zur Befriedigung von Bedürfnissen, zur Erfüllung
von Aufgaben und zur Annäherung an oder Erreichung vo n Zielen" (BERBALK &
HAHN, 1980). Übertragen auf den gesundheitlichen Aspekt rücken zusätzliche
Dimensionen erneut ins Zentrum wie (nach BAUCH 2000):
* die biologisch-genetischen Gegebenheiten,
* medizinisch-technischen Möglichkeiten (Gesundheitswesen),
* natürliche und soziale Umwelt und
* der Lebensstil und das Gesundheitsverhalten.
Die genetisch-biologischen Gegebenheiten können nicht, das Gesundheitswesen
sicherlich nur schwerlich beeinflusst werden. Ein Eingriff in die Umgebungsfaktoren

Theoretische Erörterung
17
wäre sicherlich vielerorts wünschenswert, muss aber nicht gleichbedeutend einer
Verhaltensänderung sein, die letztlich zu einer Verbesserung des
Gesundheitsbewusstseins führen kann. Daher ist sicherlich der letzte Punkt, die
Beeinflussung des Gesundheitsverhaltens und des Lebensstils im engeren Sinne
eine Möglichkeit, den Gesundheitszustand positiv zu verändern. Möglicherweise
kann dieser Effekt sich auch günstig auf die Umwelt/Umgebung und das
Gesundheitswesen auswirken.
Für eine ausreichende Gesundheitspolitik, die
den Gefährdungen und
Beeinträchtigungen der Gesundheit vorbeugt, Krankheiten heilt oder zumindest
lindert und ihre negativen sozialen und ökonomischen Folgen ausgleichen will,
sind gesicherte Informationen über das Ausmaß und die Art gesundheitlicher
Risiken und Beeinträchtigen erforderlich. Aufbauend auf diesen Daten können
Präventionsstrategien entwickelt werden, die unmittelbar oder mittelbar auf die
Risiko- und Gefährdungsursachen einwirken, weiterentwickelt und breitflächiger
umgesetzt werden.
2.7 Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention als Interventions-
strategien
Eingriffe zum Zurückdrängen von Krankheiten sind Interventionen in helfender,
unterstützender, steuernder, kontrollierender und korrigierender Absicht mit dem
Ziel, Entstehungsprozessen von Störungen der Gesundheit entgegen zu wirken
(HURRELMANN 2003). Insgesamt sind sämtliche Bestandteile des
gesundheitspolitischen und gesellschaftlichen Systems an der effektiven
Umsetzung dieses Ziels beteiligt. Trotzdem wird beispielsweise nur ein Bruchteil,
etwa 4 bis 5%, der Kosten im Gesundheitswesen für die Prävention ausgegeben.
Insbesondere die Primärprävention richtet sich darauf, im Vorfeld einer
Krankheitsentwicklung Widerstandskräfte zu stärken. Sie kann einerseits
ungerichtet orientiert der ganzen Bevölkerung zugute kommen, oder sich an den
einzelnen Menschen richten. Häufig werden inzwischen die Begriffe
Primärprävention und Gesundheitsförderung gleich gesetzt (HURRELMANN
2003). Wird ­ in einem Modell nach PELIKAN und HALBMAYER (1999) ­

Theoretische Erörterung
18
Krankheit zurückgedrängt, so kann Gesundheit expandieren. ,,Gesundheit" kann
aber auch gesteigert werden, wenn die äußeren sozialen oder materiellen
Bedingungen verbessert werden, unabhängig von den o.g. Faktoren.
Modelle zur Gesundheitsförderung orientieren sich heute an partizipativen
Konzepten, in denen eigene Ressourcen und Kompetenzen gestärkt werden. Auf
diese Art und Weise kann der einzelne seine ,,Gesundheit", und damit auch den
eigenen Lebensstil selbst steuern. Er bestimmt selbst, welches das für ihn
passende individuelle Ziel des Gesundheitsverhaltens ist. Im Unterschied zu der
früher angewandten autoritativen Konzeption, in der zentral Risikofaktoren mit
Verboten belegt wurden, z.B. ,,Du sollst nicht Rauchen!", ist der Betroffene mit
seiner ihm eigenen Lebenssituation im Mittelpunkt. Er lernt über das Wissen zu
Gesundheits- und Krankheitsbedingungen, dieses in seinen Alltag einzubauen, so
dass es zu einer aktiven und konstruktiven Auseinandersetzung mit inneren und
äußeren Anforderungen kommt (HURRELMANN 2003).
2.8 Mögliche Ansätze
Aktuell wird von politischer Seite durch die Schaffung einer neuen
Gesundheitsreform mit Schwerpunkt Prävention versucht, langfristig Änderungen
zu bewirken. Für ein rascheres Handeln sind aber bereits einfachere und schneller
verfügbare Mittel vonnöten. Körperliche Aktivität trägt innerhalb kurzer Zeit zu
körperlichen und psychischen Veränderungen, z.B. einem gesteigerten
Wohlempfinden, bei. Daher kann das Wohlempfinden, das durch körperliche
Aktivität vermittelt werden kann ­ sei es biochemisch durch Endorphine,
psychologisch durch ein positives Selbstkonzept, kardiorespiratorisch durch eine
erhöhte Leistungsfähigkeit verursacht etc. (HOLLMANN und HETTINGER 2000) ­
,,erlebt" werden, um es weiterzuverfolgen und zu vermitteln.
Von diesen positiven Gefühlen werden hauptsächlich Erwachsene profitieren, für
Kinder ist das selbstverständlich. Ihr ,,Erleben" von Bewegung ist natürlicheren
Ursprungs. Für sie erschließt sich auf diese Weise Wissen, Natur und Umgebung.
Dieser Tatbestand wird auch als ,,natürlicher Bewegungsdrang" der Kinder
umschrieben (ROST 1998).

Theoretische Erörterung
19
Das Konzept der partizipativen Gesundheitsförderung kann auf verschiedene
Settingansätze übertragen werden. Für Kinder bzw. junge Menschen bis zu einem
gewissen Alter sind die Familien in den westlichen Industrienationen hauptsächlich
die sozialen Systeme, die für ihre Gesamtentwicklung, aber auch die der
Erwachsenen entscheidende Voraussetzungen liefert (HURRELMANN 2003).
Familie zeichnet sich aber durch ein hohes Maß an Eigenverantwortung und ­
steuerung aus und kann sich somit einem direkten Steuerungseingriff staatlicher
Instanzen entziehen. Daher müssen zur Stärkung der gesundheitlichen Kompetenz
der Familie entsprechende familienpolitische Bestrebungen unternommen werden.
Aus Sicht der Gesundheitsförderung profitieren die Kinder natürlich von einer
gesunden Einstellung der Eltern. Hinsichtlich körperlicher Aktivität imitieren Kinder
die Eltern (s.o.) oder werden durch sie direkt an eine aktive Lebensweise
hingeführt. Schließlich sind besonders kleinere Kinder darauf angewiesen, dass sie
von den Eltern in Vereinen angemeldet und dorthin gefahren werden. Wenn aber
ein Großteil der Eltern eher inaktiv ist, könnten Kinder Möglichkeiten in
außerfamiliären Strukturen, z.B. in der Schule erhalten, Hilfestellungen für eine
,,aktive" und ganzheitlich gesundheitsfördernde Freizeit zu erlernen.
Daher bieten sich als ein möglicherweise einfacherer, weil rascherer Weg zur
aktiven Gesundheitsförderung andere Institutionen an, in denen die Kinder direkt,
Familien indirekt erreicht werden können. Solche Institutionen, in denen sich
Kinder zwangsläufig finden, sind Kindergärten bzw. Schulen. Letztere werden
aufgrund ihrer organisatorischen Strukturen auch von der
Weltgesundheitsorganisation (WHO) als besonders geeignetes Netzwerk
bezeichnet.
Schwerpunkte für die schulische Gesundheitsförderung können folgende Gebiete
darstellen (nach BARKHOLZ und HOLMFELDT 1994):
·
Verbesserung des Unterrichts, insbesondere die Berücksichtigung
gesundheitsrelevanter Themen in verschiedenen Fächern und die
Einführung von kompetenzstärkenden Elementen;
·
Verbesserung des Schullebens und -klimas, Teambildung u.a. mit Eltern

Theoretische Erörterung
20
·
Verbesserung der Verbindung zur schulischen Umwelt, insbesondere durch
Vernetzung gesundhe itsfördernder Angebote aus der Gemeinde mit denen
der Schule.
Der letzte Punkt wird derzeit in Nordrhein-Westfalen durch die zunehmende
Einrichtung von Ganztagsbetreuung an Grundschulen und der Vernetzung
zwischen Schulen und Verein im Sinne des kompensatorischen Sportes in der
breiten Fläche vorgenommen.
Die vom Deutschen Sportbund benutzte Formel eines ,,Sports für alle" ­ eigentlich
Basis des Freizeitsportes ­ greift und trifft daher inzwischen auch für Institutionen
wie die Schule zu (BALZ 1993). Aus den bisher aufgeführten Gründen im Sinne
einer ganzheitlichen Erziehung, Persönlichkeitsentwicklung und ­entfaltung sowie
der gesundheitlichen Förderung der Kinder kann eine enge Zusammenarbeit
zwischen diesen Bereichen zu erfolgreichen Interaktionen führen (s. Abb. 1).
Modelle, wie die ,,Bewegte Schule" etc. in Zusammenarbeit mit wohnortnahen
Vereinen und/oder außerschulischen Angeboten, haben entsprechende
Grundgedanken bereits erfolgreich umsetzen können (u.a. BALZ 1993; BALZ et al.
2000).
Mit dem Älterwerden der Kinder orientieren sie sich zunehmend von der Familie
weg hin zu den Interessen ihrer Altersgenossen. Ist bei diesen Bewegung gefragt,
z.B. weil ,,Bewegte Schule" zum Selbstverständnis eines Schulprofils und damit
auch zu den Schülern gehört, wird auch möglicherweise ein familiär nicht so
gefördertes Kind den Weg in die Aktivität finden. Möglicherweise kann es ,,bewegte
Gedanken" wiederum in das familiäre/häusliche Umfeld tragen und so dorthin
positiv wirken.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2004
ISBN (eBook)
9783832485436
ISBN (Paperback)
9783838685434
Dateigröße
908 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Deutsche Sporthochschule Köln – Angewandte Bewegungswissenschaften
Schlagworte
kinder familie leistungsfähigkeit lebensstil
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Titel: Kardiovaskuläre Primärprävention im Grundschulalter im Freizeitsport - eine Frage des familiären Lebensstils?
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