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Exorzismus

Zur Entwicklung eines missionspolitischen Arguments in den frühchristlichen Schriften bis zu Tertullians Apologeticum (197)

©2004 Magisterarbeit 101 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Der Titel der hier vorgelegten Magisterschrift lautet: „Exorzismus. Zur Entwicklung eines missionspolitischen Arguments in den frühchristlichen Schriften bis Tertullian.“ Warum der Exorzismus im zeitlichen Rahmen der ersten zwei Jahrhunderte nach der Zeitenwende in erster Linie als missionspolitisches Argument aufgefasst wird, wie das im Untertitel problematisiert ist, soll im Laufe der Arbeit verdeutlicht werden.
Auslösend für diese Themenstellung war ein Satz aus dem Artikel Exorzismus in der Theologischen Realenzyklopädie von Otto Böcher. Dort heißt es: „Der Exorzismus ist einer der Hauptgründe für den Erfolg der urchristlichen und altkirchlichen Mission.“
Im ersten Band von Adolf von Harnacks „Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten“ wird dem Exorzismus ebenfalls eine große Bedeutung eingeräumt. Er schrieb diesbezüglich: „Als Dämonenbeschwörer sind die Christen in die große Welt eingetreten, und die Beschwörung war ein sehr wichtiges Mittel der Mission und Propaganda.“
Bisher ist den Wundertaten als maßgeblicher Begleiterscheinung frühchristlicher Mission, wie sie Harnack und Böcher verstehen, eher geringe Aufmerksamkeit geschenkt worden. In der neueren Forschungsliteratur bemängelte Bernd Kollmann dies: „Auch in neueren Standarduntersuchungen zur Geschichte der urchristlichen Mission kommen Krankenheilungen und Dämonenaustreibungen als Charakteristikum der missionarischen Werbung de facto so gut wie nicht zur Sprache.“
Da es die christlichen Schriften der ersten zwei Jahrhunderte sind, die untersucht werden sollen und die Aussage Harnacks einen propagandistischen Zusammenhang herstellt, wird der Exorzismus vorerst als missionspolitisches Argument gewertet und aus dieser Sicht betrachtet werden. Beginnend mit den synoptischen Schriften erscheinen die Dämonenaustreibungen regelmäßig in den christlichen Quellen dieser Zeit. Bei den Apologeten Iustin und Tertullian sowie im Werk des Häresiologen Irenäus von Lyon finden sich zahlreiche Belegstellen, die, wenngleich sie keine konkreten Hinweise auf eine exorzistische Praxis geben, so doch die Wichtigkeit dieses Arguments in der Auseinandersetzung mit der Umwelt aufzeigen können.
So wird dem Quellenbefund des 2. Jahrhunderts entsprechend der Exorzismus als Bestandteil eines Diskurses gewertet, eines Versuches der christlichen Autoren, ihre Religion zu verschriftlichen und mit diesen Schriften zu überzeugen. Diskurs meint dabei im […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 8689
Rölleke, Tilo Lothar: Exorzismus - Zur Entwicklung eines missionspolitischen Arguments
in den frühchristlichen Schriften bis zu Tertullians Apologeticum (197)
Hamburg: Diplomica GmbH, 2005
Zugl.: Freie Universität Berlin, Magisterarbeit, 2004
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2005
Printed in Germany

Tilo Lothar Rölleke, M.A.
Am Comeniusplatz 5
10243 Berlin
eMail: tilo.roelleke@freenet.de
10.4.2005
Autorenprofil
Mein Name ist Tilo Lothar Rölleke und ich wurde am 20.04.1972 in Potsdam geboren. Ich
besuchte die 10-klassige Schule und erlernte daraufhin den Beruf eines Krankenpflegers, den
ich ein Jahr ausübte. Nach dem anfolgenden Zivildienst besuchte ich das Charlotte Wolf -
Kolleg in Berlin Charlottenburg. Hier erwarb ich auf dem Zweiten Bildungsweg die Hoch-
schulreife und nahm dann das Studium an der Freien Universität Berlin auf.
Neben der Religionswissenschaft studierte ich Geschichte und spezialisierte mich auf die Alte
Geschichte. Hier bildete sich die Religionsgeschichte der Antike als Schwerpunkt heraus. Zu
diesem Zweck legte ich während des Studiums die Prüfung zum Erwerb des Latinums und
des Graecums erfolgreich ab. Daneben hielt ich mich für vier Monate in den Vereinigten Staa-
ten auf, wo ich im Archiv des National Historical Park Saratoga arbeitete.
Das Studium habe ich mittlerweile mit dem Gesamtprädikat ,,Sehr gut" abgeschlossen; die
Betreuer meiner Magisterschrift waren Herr Professor Hartmut Zinser und Herr Professor
Alexander Demandt. Zur Zeit bin ich Promotionsstudent an der Philosophischen Fakultät der
Universität Erfurt, wo ich von Herrn Professor Rüpke betreut werde.

Inhaltsverzeichnis
Seite
1. Einleitung - Hinführung zum Thema
1
2. Exorzismus
5
2.1 Einige diskursive Bestandteile in der Verschriftlichung des
Exorzismus - Praeliminaria
5
2.2 Die Dämonen
7
2.3 Exorzismus und Heilung
10
2.4 Das Ritual
12
3. Der Exorzismus in der außerchristlichen Tradition des 2. Jahrhunderts
15
3.1 In der heidnischen Umgebung
15
3.2 In der jüdischen Umgebung
21
3.3 Das Ansehen des Exorzismus in der antiken Gesellschaft
27
4. Die Exorzismen Jesu - vom magischen Ritual zum Beweis göttlicher
Sendung 30
4.1 Das exorzistische Wirken Jesu
30
4.2 Die Kritik an den Exorzismen Jesu
36
5. Der Exorzismus in den frühchristlichen Quellen des 2. Jahrhunderts
40
5.1 Die Sukzession exorzistischer Fähigkeiten in der christlichen
Tradition - eine Überleitung
40
5.2 Die Identifizierung der Dämonen in den apologetischen Schriften
43
5.2.1 Iustinus Martyr
43
5.2.2 Tatian 50
5.2.3 Athenagoras von Athen
53
5.2.4 Tertullian 56
5.3 Die Abgrenzung der eigenen Exorzismen von magischer Praxis -
Die Fortführung der Umwertung
61
5.3.1 Iustinus Martyr
62
5.3.2 Tatian 64
5.3.3 Irenäus von Lyon
66
5.3.4 Tertullian 69
5.4 Der apologetische und missionspolitische Ertrag eines totalitären
Diskurses - Die Universalität christlicher Sendung
72

6. Ausblick
76
7. conclusio
81
8. Abkürzungen
89
9. Quellen- und Literaturverzeichnis
90
9.1 Quellen
90
9.2 Monographien und Aufsätze
92

1
,,At e contrario in vos exprobratio resultabit, qui mendacium colentes veram religionem vero dei non
modo neglegendo, quin insuper expugnando, in verum committitis crimen verae irreligiositatis."
Tertullian, Apologeticum 24, 2.
1
1. Einleitung - Hinführung zum Thema
Der Titel der hier vorgelegten Magisterschrift lautet: ,,Exorzismus. Zur Entwicklung
eines missionspolitischen Arguments in den frühchristlichen Schriften bis Tertullian." Warum
der Exorzismus im zeitlichen Rahmen der ersten zwei Jahrhunderte nach der Zeitenwende in
erster Linie als missionspolitisches Argument aufgefasst wird, wie das im Untertitel proble-
matisiert ist, soll im Laufe der Arbeit verdeutlicht werden.
Auslösend für diese Themenstellung war ein Satz aus dem Artikel Exorzismus in der
Theologischen Realenzyklopädie von Otto Böcher. Dort heißt es: ,,Der Exorzismus ist einer
der Hauptgründe für den Erfolg der urchristlichen und altkirchlichen Mission."
2
Im ersten Band von Adolf von Harnacks ,,Die Mission und Ausbreitung des Christen-
tums in den ersten drei Jahrhunderten" wird dem Exorzismus ebenfalls eine große Bedeutung
eingeräumt. Er schrieb diesbezüglich: ,,Als Dämonenbeschwörer sind die Christen in die gro-
ße Welt eingetreten, und die Beschwörung war ein sehr wichtiges Mittel der Mission und
Propaganda."
3
Bisher ist den Wundertaten als maßgeblicher Begleiterscheinung frühchristlicher Mis-
sion, wie sie Harnack und Böcher verstehen, eher geringe Aufmerksamkeit geschenkt worden.
In der neueren Forschungsliteratur bemängelte Bernd Kollmann dies: ,,Auch in neueren Stan-
darduntersuchungen zur Geschichte der urchristlichen Mission kommen Krankenheilungen
und Dämonenaustreibungen als Charakteristikum der missionarischen Werbung de facto so
gut wie nicht zur Sprache."
4
Da es die christlichen Schriften der ersten zwei Jahrhunderte sind, die untersucht wer-
den sollen und die Aussage Harnacks einen propagandistischen Zusammenhang herstellt, wird
der Exorzismus vorerst als missionspolitisches Argument gewertet und aus dieser Sicht be-
1
,,Doch umgekehrt wird der Vorwurf auf euch zurück fallen; denn indem ihr eine Lüge verehrt und die wahre
Religion des wahren Gottes nicht nur verschmäht, nein, obendrein bekämpft, geratet ihr in das wahre Verbrechen
wahren Gottesfrevels." (Übersetzung Carl Becker)
2
Böcher, Otto, Exorzismus I, in: TRE X, Berlin - New York 1982, S.750.
3
Harnack, Adolf von, Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten Bd.I: Die
Mission in Wort und Tat, Leipzig
2
1906, S. 113.
4
Kollmann, Bernd, Jesus und die Christen als Wundertäter. Studien zu Magie, Medizin und Schamanismus in
Antike und Christentum (FRLANT 170), Göttingen 1996, S. 43 f.

2
trachtet werden. Beginnend mit den synoptischen Schriften erscheinen die
Dämonenaustreibungen regelmäßig in den christlichen Quellen dieser Zeit. Bei den
Apologeten Iustin und Tertullian sowie im Werk des Häresiologen Irenäus von Lyon finden
sich zahlreiche Belegstellen, die, wenngleich sie keine konkreten Hinweise auf eine
exorzistische Praxis geben, so doch die Wichtigkeit dieses Arguments in der
Auseinandersetzung mit der Umwelt aufzeigen können. So wird dem Quellenbefund des
2. Jahrhunderts entsprechend der Exorzismus als Bestandteil eines Diskurses gewertet, eines
Versuches der christlichen Autoren, ihre Religion zu verschriftlichen und mit diesen Schriften
zu überzeugen. Diskurs meint dabei im Sinne Foucaults in erster Linie seine materielle Wirk-
lichkeit als geschriebenes Wort.
5
Diese Betrachtung des Exorzismus und des Diskurses um dieses Phänomens, wie es
sich in diesen Quellen dargestellt finden lässt, wird von der Frage geleitet, ob der Exorzismus
und wenn ja, wie, im christlichen Diskursbeitrag funktionalisiert wurde und welche Argumen-
tationsmuster hauptsächlich im Vordergrund standen. Eine in den Grundzügen wiederkehren-
de Art und Weise der apologetischen Darstellung soll nachgewiesen werden.
Damit im Zusammenhang steht die Frage nach dem apologetischen und missionspoli-
tischen Ertrag, den die christliche Argumentation mit der Dämonenaustreibung eingebracht
haben könnte. Wie erfolgreich ist der Exorzismus für die Ausbreitung des Christentums in
den Anfängen dieser Religion gewesen? Welche Rolle spielte er in der Abgrenzung zu den
Religionen der Umwelt? Welche Voraussetzungen waren nötig und wie wurden sie geschaf-
fen oder genutzt, um mit der Dämonenaustreibung missionspolitisch werben zu können?
Bevor abschließend auf diese Fragen geantwortet werden kann, sollen zuerst zentrale
Begriffe, die mit dem Exorzismus einhergehen, in gebotener Kürze geklärt werden. Dabei
stehen besonders die Vorstellungen von Dämonen, Heilung und Besessenheit im Vorder-
grund. Daraus resultierte eine Praxis, das exorzistische Ritual, welches in heidnischer und
christlicher Ausführung entsprechend unterschiedlicher Vorannahmen verschiedene Ausprä-
gung aufwies. Der Wortgebrauch der vornehmlich in griechischer Sprache verfassten Schrif-
ten wird dabei in der Form berücksichtigt, dass zentrale Wendungen und Begriffe, die mit
dem Exorzismus in Verbindung stehen, genannt werden, um auf eine phänomenologische
Ähnlichkeit der Äußerungen hinzuweisen, obwohl der Bedeutungsgehalt variiert. Für die
Begriffe, die vorgestellt werden, um die Bestandteile des Diskurses einzuführen, sind in erster
Linie die Quellen des 1. und 2. nachchristlichen Jahrhunderts heran gezogen. Die heterogene
Herkunft und die unterschiedliche Akzentuierung der Begriffe Besessenheit oder Dämonen
5
Foucault, Michel, Die Ordnung des Diskurses (Inauguralvorlesung am Collège de France, 2.12.1970), Frank-
furt/M.
8
2001, S. 10.

3
kann dabei nur angedeutet sein und könnte für eine weiterführende Forschungsaufgabe teil-
weise erheblich erweitert werden. Für den Zusammenhang von Exorzismus und Heilung
könnte eine genauere Betrachtung des in den ersten Jahrhunderten nach der Zeitenwende weit
verbreiteten Asklepios-Kultes fruchtbar sein, um die Differenzen in der Auffassung von Hei-
lung zu Exorzismus in heidnischer und christlicher Sicht besser kontrastieren zu können. In
diese Richtung weisende Ausführungen finden sich im 2. Kapitel.
Als Voraussetzung einer apologetischen Argumentation ist also zu fragen, wo sich au-
ßerhalb christlicher Äußerung Nachweise für den Exorzismus erbringen lassen. Die dieser
Kontextualisierung vorrangig dienenden Quellen sind die ,,Jüdischen Altertümer"
(
j
Ioudaik;h jarcaiologvia
, Antiquitates - 93/94) des Flavius Josephus, der ,,Lügenfreund"
(
Filoyeudvh"
, Philopseudes) des Lukian von Samosata sowie im Ausblick ein Teil des soge-
nannten ,,Großen Pariser Zauberpapyrus" (PGM IV, besonders 1228-1262).
Mit der Betrachtung der exorzierenden Umwelt soll ferner geklärt werden, in welcher
Verbreitung Dämonenaustreibungen nach der Zeitenwende praktiziert wurden und in wel-
chem Ansehen sie standen. Nicht verhandelt werden dabei die jüdischen pseudepigraphischen
Schriften, die alttestamentlichen Apokryphen und die sicherlich hochinteressante rabbinische
Literatur, die Mischna und die Talmudim. In einer weiterführenden umfangreicheren Unter-
suchung könnten mit Hilfe dieser Quellen die jüdischen Elemente in der christlichen Argu-
mentation genauer herausgearbeitet werden.
An die Illustration der exorzistischen Praxis mit Hilfe der Schriften aus dem religiös
jüdisch und heidnisch geprägten Umfeld schließt sich die Darstellung dieses Motivs, wie es
sich in den christlichen Werken darbietet, an.
Zuerst stehen hier die synoptischen Schriften, in denen Jesus und die Apostel als Dä-
monenaustreiber tätig erscheinen. Dabei soll untersucht werden, welche Unterschiede die neu-
testamentlichen Schilderungen zu den heidnischen oder jüdischen Darstellungen der Exorzis-
men aufweisen, wie also die Dämonenaustreibungen Jesu geschildert und in welchen Zusam-
menhang sie gestellt sind. Die Frage wird an dieser Stelle sein, ob und woran sich eine begin-
nende Umwertung des dämonenaustreibenden Wirkens nachweisen lässt. Zu den Schilderun-
gen der Exorzismen Jesu im Neuen Testament, welche im Beisein von Publikum stattfanden,
finden sich die unterschiedlichen Reaktionen der Zeugen. Dass Jesus nach den Synoptikern
nicht ausschließlich wohlwollend aufgenommen worden ist und sich die Kritik der Umwelt
auch speziell auf seine dämonenaustreibende Praxis bezog, bildet den Abschluss des Kapitels
zu den synoptischen Schriften.

4
Über den christlichen Missionsauftrag, in dem auch der Exorzismus verankert ist,
führt die Betrachtung dieses Motivs zu den Apologeten und Häresiologen des 2. Jahrhunderts.
Die hier getroffene Auswahl der Schriften bezieht sich auf Iustinus Martyr, dessen Schüler
Tatian, Athenagoras von Athen, Irenäus von Lyon und endlich Tertullian, als dem ersten Ver-
teidiger des Christentums, der in lateinischer Sprache schrieb und dessen 197 abgefasstes
Apologeticum als Höhepunkt der altchristlichen Apologetik bezeichnet wurde.
6
Diese Aus-
wahl orientiert sich an einer Einteilung, die bei Georg Denzler und Carl Andresen zu finden
ist und berücksichtigt die Werke der durch Christenpogrome ausgelösten Apologetik und die
der anfolgenden literarischen Verteidigungsschriften. Eine dritte apologetische Entwicklungs-
phase, die mit dem Schaffen der alexandrinischen Schule angesetzt wird, kann dem Umfang
der Arbeit geschuldet nicht Teil der Betrachtung sein.
7
Eine besondere Interpretation des Exorzismus und der mit ihm verbundenen Vorstel-
lungen scheint es den christlichen Autoren ermöglicht zu haben, mit der Dämonenaustreibung
zu argumentieren und sie zum Bestandteil christlicher Apologetik zu stilisieren. Die damit
verbundenen Schritte, die dieses diskursive Vorgehen verdeutlichen, sollen an den ausgewähl-
ten Schriften herausgearbeitet werden.
Herausragend erscheinen dabei zwei Motive, denen die Kapitel, die sich mit den apo-
logetischen Schriften beschäftigen, gewidmet sind. Ein erstes, deutendes Argument, welches
im christlichen Diskursbeitrag variantenreich hervortritt, ist die konsequente Gleichsetzung
der heidnischen Götter mit Dämonen, die eine Neubewertung des Begriffes Exorzismus nach
sich zog. Eine damit vollzogene Abgrenzung konnte einen wichtigen Beitrag zur Konsolidie-
rung der christlichen Lehre nach innen und zur Abgrenzung nach außen leisten, wie aufge-
zeigt werden soll.
Als zweites sahen sich die frühen Christen mit der eigenen exorzistischen Praxis im-
mer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, sie würden Zauberei betreiben. Entgegen dieser Behaup-
tung lässt sich in den apologetischen Schriften aufzeigen, mit welchen Argumenten die Auto-
ren versuchten, die eigenen Dämonenaustreibungen von denen der Umwelt abzugrenzen und
besonders zu halten. In einer christlich-theologischen Interpretation wurde der Exorzismus, so
eine zu verifizierende Vorannahme dieser Arbeit, zum Mittel der Überzeugung, zu einem Ar-
gument mit Beweiskraft, der für die Universalität der christlichen Botschaft genutzt werden
konnte. Die sich in Grundzügen wiederholenden Argumentationsschritte transportierten dabei
6
Heinze, Richard, Tertullians Apologeticum, in: Berichte über die Verhandlungen der Königl. Sächsischen Ge-
sellschaft der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-historische Klasse 62 (1910), Heft 10, S. 288.
7
Art. Apologeten, in: Andresen, Carl / Denzler, Georg, Wörterbuch Kirchengeschichte, München
5
1997, S. 74 f.

5
nicht nur die Vorstellungen, die den Exorzismus betrafen, sondern darüber hinaus die Grund-
lagen des christlichen Weltbildes.
2. Exorzismus
2.1 Einige diskursive Bestandteile in der Verschriftlichung des Exorzismus - Praeliminaria
Bevor eine Betrachtung der Quellen zur Argumentation mit dem Exorzismus vorge-
nommen wird, soll zuvor in der gebotenen Kürze unter Einbeziehung des Sprachgebrauchs
der Quellen geklärt werden, was unter Exorzismus zu verstehen ist und welche Vorstellungen,
die sich im Diskurs um ihn spiegeln, damit einhergehen.
Klaus Thraede definierte den Exorzismus im Reallexikon für Antike und Christentum
wie folgt: ,,Unter Exorzismus ist die rituelle Vertreibung böser und schädlicher Mächte (Geis-
ter) aus bestimmten betroffenen Personen, Lebewesen und Gegenständen mithilfe bindender
Vergegenwärtigung überlegener Gegenkräfte zu verstehen."
8
Obwohl damit Exorzismus eine
Handlung des Exorzisten bezeichnet und Dämonenaustreibung den Erfolg eben dieser Hand-
lung, sind diese Begriffe in dieser Arbeit nach Dieter Trunk synonym verwendet.
9
Sehr viel weiter fasste Bernd Kollmann den Begriff des Exorzismus, mit dem er jede
Form magischer Beschwörung eines Gottes oder eines Dämonen bezeichnete, so auch im
Wetter- oder Liebeszauber.
10
Diese Auffassung wird in dieser Arbeit keine Berücksichtigung
finden; der Exorzismusbegriff im Sinne Thraedes wird hier zugrunde gelegt.
Zur Verbreitung des Exorzismus kann vorangestellt werden, dass er sich als Zweig
magischer Weltsicht in der Geschichte aller Völker, Kulturen und Religionen auffinden
lässt.
11
Die von Thraede gegebene Definition bringt damit eine der religiösen Grundanschau-
ungen einer Mehrzahl der antiken Menschen zum Ausdruck.
12
Das Wort Exorzismus ist vom griechischen
j
exorkvizein
abgleitet, das mit beschwören
wiedergegeben werden kann. Verwandte Begriffe sind neben dem substantivischen
j
exorkistvh",
Beschwörer, welcher in der Apostelgeschichte auftaucht
13
, das Verb
j orkvizw
, in
der Bedeutung von einen Eid schwören oder jemanden in die Pflicht nehmen. Dieser letztge-
nannte Begriff findet sowohl in christlichen Quellen als auch in den Papyri Graecae Magicae
8
Thraede, Klaus, Exorzismus, in: RAC VII, Stuttgart 1969, Sp. 44.
9
Trunk, Dieter, Der messianische Heiler. Eine redaktions- und religionsgeschichtliche Studie zu den Exorzismen
im Matthäusevangelium (HBS 3), Freiburg - Basel - Wien 1994, S. 22.
10
Kollmann, Jesus, S. 59 f.
11
Thraede, Exorzismus, Sp. 45.
12
Pagels, Elaine, Satans Ursprung, Frankfurt/M. 1998, S. 14.
13
Apg 19, 13: ,,
t'wn periercomvenonjj Ioudaviwn jexorkist'wn
" Hierbei handelt es sich um den einzigen Beleg
dieses Begriffes in den neutestamentlichen Schriften.

6
häufig.
14
Um die verstärkende und richtungsgebende Vorsilbe
j
ex
- erweitert, wird aus
j orkvizw
der Terminus
j
exorkvizw
. Dieser erscheint beispielsweise bei Matthäus.
15
Im 2. und 3. Jahr-
hundert begegnet dieser Wortlaut, nicht zuletzt durch den Einfluss christlicher Schreiber, weit
verbreitet, wenn die Beseitigung böser Geister beschrieben wird.
16
Neben Exorzismus und exorzieren finden sich andere Begriffe, die im Zusammenhang
mit dem Vollzug einer Dämonenaustreibung sowohl in den neutestamentlichen Schriften, als
auch in den heidnischen Quellen auftauchen. In diesen Zeugnissen ist neben
j
exorkvizw
17
die
Rede von
j
exvercomai
18
im Sinne von herausgehen oder ausrücken oder, noch häufiger, von
j
ekbvallw
19
, welches herausjagen oder verbannen meint. Daneben erscheinen in diesem Kon-
text
jekporevuomai
20
(ausrücken, hervorgehen),
pvemptw
21
(entlassen, heimsenden, ausstoßen),
japostvellw
22
(abschicken, entlassen, zurückschicken oder eben auch heimsenden) und
J
upvagw
23
(sich entfernen, zurückziehen, sich unterwerfen).
Die hier vorgestellten Begriffe finden sich in unterschiedlicher Gewichtung in den sy-
noptischen und den nichtchristlichen Schriften und unterstreichen vorrangig den lokativen
Charakter der Dämonenaustreibung.
24
Im sogenannten ,,Große Pariser Zauberpapyrus", der wohl zu Beginn des 4. Jahrhun-
derts zusammengestellt wurde, lassen sich besonders die Begriffe
j
exorkvizw
25
und
j
ekbvallw
26
finden; auf diese Sammlung wird später zurück zu kommen sein. In den christlichen Schriften
gebrauchte besonders Iustin neben der Form
jeporkvizw
den Terminus
jexorkvizw.
27
In den spä-
teren christlichen Quellen lateinischer Sprache lässt sich der Begriff Exorzismus als aus dem
Griechischen entlehnter Begriff als erstes bei Tertullian, in De corona 11,3 nachweisen. Ein
eigenes lateinisches Wort für den Vorgang der Dämonenaustreibung konnte nicht nachgewie-
sen werden. Dagegen lassen sich bei Irenäus, dessen Werk bis auf wenige griechische Frag-
mente, die in der Kirchengeschichte des Eusebius erhalten sind, in lateinischer Sprache über-
liefert ist, ähnlich lokative Begriffe finden. Hervorragend sind in seinem Sprachgebrauch ef-
14
PGM IV, 3018.
15
Mt 26, 63: ,,
j Exorkvizw se kat;a to'u qeo'u to'u z'wnto", J vina Jhm'in evjiph", eji s;u evji Jo Cristvo", Jo uJi;o" to'u qeo'u.
"
16
Sorensen, Eric, Possession and Exorcism in the New Testament and Early Christianity (WUNT II/ 157), Tü-
bingen 2002, S. 132 f.
17
So auch bei Flavius Josephus: ant. VIII 45 f.
18
Mk 1,25-28; 5,8; 5,13; 7,29-30; Lk 4,35-36; 4,41; 8,29; 8,33-35; Mt 8,31-32; Apg 16,18.
19
Mk 1,34; 1,39; 3,15; 3,22; 6,13; 7,26; 9,18; 9,28; 9,38; 16,9; 16,17; Mt 8,16; 10,1; 9,33-34; 12,24-28; 17,19;
7,22; 10,8; Lk 11,14-20; 9,40; 9,49; 13,32. PGM IV, 1228.
20
Apg 19, 8-12.
21
Mk 5, 12.
22
Mk 5, 10.
23
Mt 8, 31.
24
Sorensen, Possession, S. 133.
25
PGM IV, 1240; 1252.
26
PGM IV, 1253; 1255.
27
Iust. 2 apol. 5 (6); Iust. dial. LXXXV, 2.

7
fugare
28
, was in die Flucht schlagen, vertreiben meint, und excludere
29
, welches mit aus-
schließen im Sinne von entfernen, abweisen oder zunichte machen wieder gegeben werden
kann. Auch hier steht der lokative Charakter im Vordergrund.
2.2 Die Dämonen
Der wichtigste allgemeine Glaubenssatz, der in diesem Diskurs vorausgesetzt er-
scheint, ist der von der Existenz der Dämonen und die Vorstellungen, die mit ihnen verbun-
den waren. Dabei spielt es eine große Rolle, dass sich der Diskurs um den Exorzismus und
dessen Ausweitung vor dem Hintergrund eines Lebensgefühls in der Kaiserzeit, besonders des
2. Jahrhunderts und danach, entwickelte, welches vielfach als pessimistisches und dämonisti-
sches Weltgefühl allgemein beschrieben worden ist.
30
Angefangen bei Homer, der die Begriffe
davimwn
und
qevo"
noch synonym verwende-
te, sah Platon in ihnen vermittelnde Wesen zwischen Göttern und Menschen.
31
Der Entde-
ckung des Ethischen als menschlicher Kategorie folgte eine Aufspaltung in ein göttliches und
ein dämonisches Reich, wodurch die Götter der Mythen eindeutig gemacht und vom physisch
und moralisch Negativen frei erscheinen sollten.
32
In diesem Bemühen, die Götter von dem als unziemlich Empfundenen zu entlasten,
entwickelte Xenokrates (396-312 v.d.Z.) eine Dämonologie, in der die Dämonen unsterblich
wie die Götter und affektiv wie die Menschen erscheinen. Während die platonischen Dämo-
nen nur guten Charakter aufwiesen, besitzen die belasteten xenokratischen Mittlerwesen die
Möglichkeit unsittlichen Verhaltens, sind aber nicht durchweg schlecht. Sie zeichnen sich
dem Menschen gegenüber durch tyrannische Launenhaftigkeit, Selbstsucht und Begehrlich-
keiten in zeitlich abgegrenztem Auftreten aus, nicht aber durch wesenhafte Feindseligkeit.
33
Diese Fähigkeit zur Bösartigkeit aber ist neu. Nun gab es Dämonen, die von Gier nach
Sexualität und Blut erfüllt sind und Seuchen bringen können. Mit den Göttern der Philosophie
nichts mehr gemein, erlangten diese Vorstellungen von Dämonen rasch Wirklichkeitscharak-
ter. Walter Burkert sah in ihnen die Projektionen von Erklärungen menschlicher Nöte, wenn
28
Iren. adv. haer. II, 6, 2; 31, 2.
29
Iren. adv. haer. II, 32, 4.
30
So bei Thraede, Exorzismus, Sp. 45; Trunk, Heiler, S. 29 etc.
31
Plat. symp. 202B-203A. (,,
Davimwn mvega", j'w Svwkrate": ka;i g;ar p'an t;o daimvonion metaxvu jesti qeo'u te
ka;i qnhto'u.
- Ein großer Dämon, o Sokrates. Denn alles Dämonische ist zwischen Gott und dem Sterblichen.")
32
Speyer, Wolfgang, Fluchmächte und Dämonen. Zur Vorgeschichte des Teufels in der Antike mit Ausblicken
auf das Christentum, in: ders., Frühes Christentum im antiken Strahlungsfeld. Kleine Schriften II (WUNT 116),
Tübingen 1999, S 65.
33
Wey, Heinrich, Die Funktion der bösen Geister bei den griechischen Apologeten des zweiten Jahrhunderts
nach Christus, Winterthur 1957, S.112 f.

8
auch mit einem hohen Preis verbunden. Eine ehemals sublime Geistesphilosophie wurde in
eine Geisterlehre verändert und ,,[...] kommt überein mit primitivem diffusen Aberglauben."
Während die Götter der Dichtung Halt und Orientierung boten, bleibe bei der Vorstellung
dämonischen Wirkens das Gefühl des Preisgegebenseins an Mächte, mit denen man irgend-
wie paktieren muss. ,,Die praktisch geübte Religion ist scheinbar ernstgenommen, verwandelt
sich aber unter der Hand in Magie." Durch Xenokrates, so Burkert, hat das Wort
davimwn
den
negativen Sinn angenommen, den es in der Geistesgeschichte behalten sollte. Die eigentliche
Entfaltung des Dämonenglaubens erfüllte sich dann nach der Zeitenwende.
34
Die xenokratischen Vorstellungen wurden von Poseidonios (135-50 v.d.Z.) in seinem
Werk ,,Über Heroen und Daimones" um Elemente stoischer Philosophie erweitert und tradiert
und gelangten in dieser Form in den Kanon neuplatonischer Lehre. Auf dieser Basis entwi-
ckelte Iamblichos (2.Hälfte des 3.Jh.s n.d.Z.) in der Spätzeit verschiedene Hierarchien von
Welten und Wesen, von Dämonen, Heroen und Engeln.
35
In der jüdischen Tradition existierte ebenso eine Vorstellung von Dämonen. Für das
entstehende Christentum wird dieser Einfluss von besonderer Bedeutung gewesen sein. Die
Bedingungen der Ausformung einer eigenen Dämonologie waren für die jüdische Religion im
Austausch mit der mesopotamischen Geisteswelt gegeben und die Bedeutung der Dämonen
wuchs seit dem Exil stetig.
36
Dämonenaustreibungen finden sich demnach vornehmlich in den
alt- und intertestamentlichen Schriften.
37
Einerseits nimmt diese im babylonischen Exil ausgeformte Sicht Dämonen als von
Gott abgefallene Engel wahr. Nach dieser dualistischen Auffassung stehen Gott und seinen
Engeln der Teufel mit seinen Dämonen gegenüber.
38
Eine Vorstellung antagonisierender reli-
giöser Kräfte, wie sie die griechisch-römische Religion in dieser scharfen Abgrenzung nicht
kannte, gilt für die spätere Entwicklung des christlichen Exorzismus als vorausgesetzt.
39
An-
dererseits sahen die Juden die Götter der Völker, in deren Nachbarschaft sie lebten, als Dä-
monen an. In dieser Form erscheinen sie schon im Deuteronomium
40
und dann in den Psal-
34
Burkert, Walter, Griechische Religion der archaischen und klassischen Epoche (Die Religionen der Mensch-
heit 15), Stuttgart et al. 1977, S. 488.
35
Gigon, Olof, Die antike Kultur und das Christentum, Gütersloh 1966, S. 47 f.
36
Trunk, Heiler, S. 29.
37
Einen Exorzismus durch Musik beschreibt 1 Sam 16, 15-23.
38
Böcher, Otto, Das Neue Testament und die dämonischen Mächte (Stuttgarter Bibelstudien 58), Stuttgart 1972,
S. 13.
39
Ott, Martin, Exorzismus I, in: LThK III, Freiburg et al. 1995, Sp. 1125.
40
Dt 32, 16 f., aus dem Lied Mose: ,,Sie machten ihn eifersüchtig durch fremde Götter, durch Greuel reizten sie
ihn. Sie opferten Geistern [
daimonvioi"
, LXX Dt 32,17], die nicht Gott sind, Göttern, die sie nicht gekannt, neu-
en, die aus der Nähe gekommen, von denen eure Väter nicht gewusst."

9
men.
41
Und gerade in dieser Form werden sie in den frühchristlichen Schriften wieder begeg-
nen.
Dämonen sind dabei als ausschließlich schädigende Mächte in unterschiedlichem
Sprachgebrauch gedacht; neben der Bezeichnung
davimwn
ist die Form
daimvonion
42
, vielfach
mit dämonischer Kraft übertragen, häufig anzutreffen. Auch dieser Begriff ist aus der frühe-
ren griechischen Literatur bekannt, allerdings nicht exklusiv negativ, wie in neutestamentli-
chem Gebrauch.
43
Als weitere Umschreibung für Dämonen findet sich besonders in christli-
chen Quellen der Begriff des unreinen Geistes,
pne'uma ponhrvon
44
oder
pne'uma jakvaqarton.
45
Insgesamt kann konstatiert werden, dass der Glaube an Dämonen und damit die sie
bekämpfenden Riten weit verbreitet gewesen sein muss. Dafür sprechen auch die ab dem 2.
Jahrhundert von gnostischen Schulen elaborierten Dämonologien. Nilsson sprach in diesem
Zusammenhang von einer regelrechten Dämonisierung der Religion als ihrem Hauptmerkmal
in der Spätantike
46
und Kurt Latte schrieb für die ersten zwei Jahrhunderte nach der Zeiten-
wende, also für den hier thematisierten Zeitraum: ,,Für die breiten Massen ersetzte ein Aber-
glaube, der an Gespenster, Vorzeichen aller Art und Zauberei glaubt, die Stelle der Religi-
on."
47
Unabhängig von der religiösen Ausrichtung erscheinen Dämonen in jedem Fall als
Wesen vorgestellt, die zwischen den Göttern oder dem Gott und den Menschen vermittelten,
die positiv oder negativ konnotiert sein konnten.
48
In einigen Fällen, besonders in heidnischen
Quellen, konnten auch Totengeister oder die Geister böser Menschen die Rolle schädigender
Dämonen einnehmen.
49
Gleichzeitig damit gewann der Exorzismus an Bedeutung; mit einem
Zitat Böchers: ,,Der Exorzismus ist die Waffe schlechthin, mit welcher der antike Mensch den
Bedrohungen durch dämonische Mächte entgegentritt."
50
41
Ps 106, 34-37, aus dem Bußgebet Israels: ,,.Sie rotteten die Völker nicht aus, wie der Herr es ihnen befohlen,
sondern vermischten sich mit den Heiden und lernten ihre Werke. Sie dienten ihren Götzen - die wurden ihnen
zum Fallstrick -, und sie opferten ihre Söhne und ihre Töchter den bösen Geister [
daimonvioi"
, LXX Ps 105,37]
und vergossen unschuldiges Blut, das Blut ihrer Söhne und Töchter, die sie den Götzen Kanaans opferten und
das Land ward durch Blutschuld entweiht."
42
Bspw. zu finden bei: Mk 1, 34; 3, 15; Lk 9, 49; Mt 7, 22.
43
Sorensen, Possession, S. 121.
44
So bspw. zu finden bei: Lk 7, 21; Mt 12, 45; Apg 19, 11-16.
45
So bspw. zu finden bei: Mk 1, 23-28; 3, 11; Lk 8, 29; Mt 10, 1.
46
Nilsson, Martin Persson, Geschichte der griechischen Religion, Bd.2: Die hellenistische und römische Zeit
(HdA V/2,2), München
2
1961, S. 539.
47
Latte, Kurt, Römische Religionsgeschichte (HdA V/4), München 1960, S. 327.
48
Kehl, Alois, Antike Volksfrömmigkeit und das Christentum, in: Christentum und antike Gesellschaft (Wege
der Forschung 649), hrsgg. von Jochen Martin und Barbara Quint, Darmstadt 1990, S. 102-142, S. 109.
49
Lucian. philops. 29 ff.; Plin. ep. VII 27, 4-11; Joseph. bell. VII, 185.
50
Böcher, Otto, Dämonenfurcht und Dämonenabwehr. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der christlichen Taufe
(Beiträge zur Wissenschaft vom Neuen und Alten Testament 90), Stuttgart et al. 1970, S. 168 f.

10
Mit der Schwächung und dem damit einhergehenden Vertrauensverlust in die alten
tradierten Religionen ist versucht worden, diese Ausbreitung des Dämonenglaubens im
2. Jahrhundert zu begründen.
51
Dennoch lassen sich gegen den hier vorgestellten Dämonenbegriff auch andere, bei-
spielsweise philosophische Deutungen ausmachen. Marc Aurel, Stoiker und von 161 bis 180
Kaiser, sah im
davimwn
eine schützende und führende Kraft, den Geist und die Vernunft des
Einzelnen, die jedem Menschen von Zeus mitgegeben wurde. Nach dieser Kraft habe man
sich, so der Philosoph, auszurichten, wenn man harmonisch mit den Göttern zusammen leben
will.
52
Als weitere Quelle der heterogenen Herkunft des Dämonenglaubens im antiken Mit-
telmeerraum wird ferner der iranische Dualismus verhandelt. Der Mensch wurde hier im Feld
der Auseinandersetzung zwischen den Göttern Ahura Mazda und Ahriman stehend gedacht,
eine Sicht, die ebenfalls für die Entwicklung der spätantiken Dämonenvorstellung förderlich
gewesen sein könnte.
53
2.3 Exorzismus und Heilung
Mit der weit verbreiteten Überzeugung, dass Krankheit und Tod auf die Einwirkung
dämonischer Mächte zurück gehen können, fällt zusammen, dass der Exorzist zugleich Heiler
ist und die Heilung durch die Vertreibung der Krankheitsdämonen stattfindet.
54
Der Zusam-
menhang von Heilung und Dämonenaustreibung wird hier augenfällig. Und dass ein unreines
Geistwesen vom Menschen Besitz ergreifen konnte, so dass dieser besessen erscheint, und
dass die Heilung des Besessenen erst möglich ist, wenn der Dämon ausgefahren ist - das kann
mit Böchers Worten als opinio communis der heidnischen, christlichen und jüdischen Antike
angesehen werden.
55
Der lokative Charakter der Dämonenaustreibung gewinnt durch die häufige Verwen-
dung des Begriffes
qerapevuw
56
die entsprechend erweiterte, auf Heilung bezogene Dimensi-
on. Die Verwendung des Wortes
µ
57
, welches ähnlich mit heilen, wieder gut machen
oder abhelfen übertragen werden kann, weist in dieselbe Richtung.
51
Harnack, Mission I, S. 111; Trunk, Heiler, S. 29.
52
M. Aur. V 27. Dabei ist
davimwn
in der Übersetzung von Nickel als göttlicher Geist wiedergegeben.
53
Kehl, Volksfrömmigkeit, S. 109.
54
Böcher, Testament, S. 19 f.
55
Böcher, Testament, S. 9.
56
So beispielweise zu finden bei: Mt 4,24; 8,16 f.; 12,22; 17,16; 17,18; Lk 6,18; 7,21; Lk 8,2.
57
So zu finden bei: Mt 15,28; Lk 9,42.

11
Qerapevuw
begegnet in den neutestamentlichen Schriften vor allem bei Markus an
vielen Stellen. Besessenheit meint in diesem Kontext, dass der Betroffene krank an Geist,
Leib und Seele erscheint. Dabei gibt es in der Art der Verursachung einen technischen Unter-
schied in den Vorstellungen. Einerseits wurde eine Krankheit auf ein dämonisches Wirken
von außen zurück geführt, wie in der griechisch-römischen Religion vor der Zeitenwende,
andererseits durch ein Einfahren des Dämons in das Opfer, wie es in der babylonischen, jüdi-
schen und dann in der christlichen Tradition bekannt war. Die letztgenannte, und für diese
Arbeit im Vordergrund stehenden Vorstellung impliziert die anthropologische Annahme, dass
der Körper und die Seele so beschaffen sind, dass hier etwas eindringen und Raum besetzen
kann.
58
Diese Überzeugung ist ihrer Herkunft nach also jüdischen und orientalischen Ur-
sprungs und wird auf diesem Weg Aufnahme ins Christentum gefunden haben. Die Praxis des
Exorzismus und die Auffassung von Krankheit als einer dämonischen Besessenheit, als ein
Einwohnen von Dämonen, kann vor der Zeitenwende weder mit griechischen noch mit römi-
schen Quellen belegt werden und als Konsequenz spielte der Exorzismus dort auch keine Rol-
le, weder in der säkularen naturwissenschaftlichen Heilkunst noch in der weitverzweigten
religiös geprägten Tempelmedizin. So erscheint im Kult um den bekanntesten der Heilgötter,
Asklepios, weder Besessenheit als Krankheit, an welcher der Patient leidet, noch sucht der
Kranke nach einem Exorzismus. Für die mehreren hundert nachweisbaren Kultstätten, deren
bekannteste sicher in Epidauros gewesen ist, sind Opferpraktiken und anschließende Inkuba-
tionsheilungen vom 5. Jahrhundert v.d.Z. bis ins 3. Jahrhundert n.d.Z. als typisch belegt, wo-
bei der Kranke in einem zum Heiligtum gehörenden Gebäude nächtigte und hier im Traum
die Maßnahmen für die Heilung offenbart bekam. Ab dem 1. Jahrhundert n.d.Z. finden sich
diese Asklepiosheiligtümer auch in Palästina. Neben religiös geprägter Heilkunst lassen sich
für diese Heiligtümer auch Heilpraktiken hippokratischer Herkunft nachweisen, besonders für
Kos, wo neben dem Tempel eine medizinische Ausbildungsstätte verbürgt ist.
59
Und anders
als in den apokalyptischen frühen christlichen oder jüdischen Gemeinden war die Heilbezie-
hung zwischen einem Gott wie Asklepios und dem Patienten von persönlichem Charakter für
einen speziellen therapeutischen Gebrauch.
60
Die krankheitsverursachende Potenz von Dämonen hingegen war auch in den nicht-
christlichen griechischen und römischen Vorstellungen bekannt. So verurteilt der hippokrati-
sche Verfasser der Schrift ,,Von der heiligen Krankheit" Beschwörungen (incantamenta ma-
58
Habermehl, Peter, Exorzismus, in: HrwG II, Stuttgart - Berlin - Köln 1990, S. 403.
59
Kollmann, Jesus, S. 73 ff.
60
Sorensen, Possession, S. 6 f.

12
gica) zur Therapie von Krankheiten, besonders der Epilepsie, die sich gegen die, hier als ver-
meintlich charakterisierte, dämonische Ursache richteten.
61
Demnach existierte neben der hippokratischen Medizin und der an Kultstätten gebun-
denen Tempelmedizin im griechisch-römischen Kulturkreis eine weitverzweigte medizinische
Richtung, die aus dem Verständnis heraus agierte, dass Krankheit von Dämonen verursacht
würde, allerdings nicht in Form von einem Einfahren in den Kranken. Als Therapeutika
herrschten Sühneriten vor.
Je nachdem, welche Forschungsliteratur man zu Rate zieht, werden in einigen Werken
charismatische Wunderheilungen, zum Beispiel durch Handauflegen, und Exorzismen zu-
sammen gefasst.
62
Aus der Definition von Thraede ergibt sich allerdings streng genommen,
dass nur die Heilung als Exorzismus angesehen werden kann, bei der ein Krankheitsdämon
auftritt und in einem rituellen Rahmen direkt angesprochen wird.
63
Entscheidend für eine ex-
orzistische Heilung und die damit einhergehende Identifizierung des Heilers als Exorzisten ist
also dämonisches Wirken. Andere magische Praktiken, beispielsweise sympathetische Tech-
niken, um den Krankheitsgeist auszutreiben, wie Gemmen, Rauch oder Schwefel, die Koll-
mann zu den Exorzismen zählt, finden hier keine Berücksichtigung.
64
Da der griechisch-römische Kulturkreis durch territoriale Expansion zunehmend mit
anderen in Berührung kam und in kulturellen Austausch trat, ist eine Beeinflussung der Glau-
bensannahme der Besessenheit als dämonisches Einwohnen und damit verbunden der des
Exorzismus, der ab der Zeitenwende auch in heidnischen Quellen verhandelt wurde, durch
östlichen Einfluss vorstellbar und wahrscheinlich. Auch der christliche Einfluss wird sicher-
lich eine nicht unbedeutende Rolle für die Verbreitung dieser Sichtweise spielen; dazu
kommt, dass viele der Apologeten des 2. Jahrhunderts aus dem Osten des Reiches stammten.
2.4 Das Ritual
Gegen die als Krankheit aufgefasste dämonische Besessenheit existierten mit den Dä-
monenaustreibungen der Zauberei zuzuordnende Heilmittel. Dabei erscheint der Exorzist mit
einer überlegenen Macht verbunden, mit deren Hilfe die Austreibung gelingen kann. Nach
Thraedes Definition handelte es sich explizit um eine rituelle Vertreibung der schädigenden
Mächte.
61
Hipp. De morb. sacr. 1.
62
Böcher, Otto, Christus Exorcista. Dämonismus und Taufe im Neuen Testament (BWANT V/6), Stuttgart et al.
1972, S. 166.
63
Trunk, Heiler, S. 23.
64
Kollmann, Jesus, S. 60.

13
Der rituelle Rahmen des Exorzismus erscheint in den Quellen meist in einer charakte-
ristischen Form, die sich in
lvogo"
,
pr'axi"
und
fulaktvhrion
dreiteilen lässt.
In einem ersten Schritt wird, meist durch eine Gebetsanrede, die Verbindung mit der
überlegenen Macht hergestellt, bevor der Kontakt zum Dämon aufgenommen werden kann.
Diese Kontaktaufnahme ist mit der Vorstellung verbunden, dass es einen Grad von Besessen-
heit gibt, in welchem sich der Kranke nicht mehr selbst artikulieren kann, sondern sich der in
ihm befindliche Dämon äußert. Je mehr der Exorzist über den Dämon weiß, die Erfragung des
Namens erscheint in diesem Zusammenhang häufig
65
oder aber die nach seiner Herkunft
66
,
desto mehr Macht erlangt er über den Dämon.
Anfolgend, in der eigentlichen
pr'axi"
, wird meist unter Verwendung von Gebeten,
Drohungen, Beschwörungen (
jep/wdvh
, carmina mala
67
), unter Rezitation heiliger Worte
(
J
iero;i lvogoi
), fremder wirkmächtiger Namen (
j
onvomata bvarbara
) oder Formeln
(
Jr'hsi" barbarikvh
) der Geist ausgetrieben. Als Beleg, dass beispielsweise die Benutzung
ägyptischer Sprache als rituell wirkmächtig angesehen wurde, kann eine Stelle bei Lukian
genommen werden. Im ,,Lügenfreund", auf den noch zurück zu kommen ist, erzählt der Py-
thagoreer Arignotos, wie er mit Hilfe ägyptischer Zauberbücher ein Haus in Korinth wieder
bewohnbar gemacht hat, indem er den dort hausenden Dämon verbannte.
68
Zur exorzistischen Manipulation, der
pr'axi"
, wurden häufig Hilfsmittel hinzugezogen.
Diese konnten spezifische Gesten, Gebräuche oder aber Gerät sein. Zu den Gesten kann die
Handauflegung gezählt werden, die sowohl eine Kraftübertragung als auch eine damit ver-
bundene Reinigung beinhaltet.
69
Allein die Handauflegung ist jedoch noch kein Kennzeichen
des Exorzismus; sie kann Bestandteil charismatischer Wunderheilung sein. Entscheidend ist
die Beschwörung, die direkte Kommunikation des Exorzisten mit dem eingefahrenen Geist.
70
Die Austreibung des Geistwesen, welches die Besessenheit verursacht hat, kann auf
verschiedene Art und Weise erfolgen: durch mechanische Mittel, wie den Aderlass, Lärm,
Schläge, wirkmächtige Gegenstände und ähnliches, durch die exorzistische Beschwörung und
kann ferner im Ergebnis als Übertragung des Dämons auf ein anderes Lebewesen erschei-
nen.
71
Zu den mechanischen Mitteln wird auch das Wasser gerechnet, wobei gerade die Was-
65
PGM IV, 3037 ff.; Philostr. vit. Apoll. IV, 20; Mk 5,9. Dazu Trunk, Heiler, S. 129.
66
Lucian. philops. 16.
67
Im griechischen Sprachgebrauch wird zwischen Lied (
/jwdvh
) und Beschwörung (
jep/wdvh
) unterschieden. Im
lateinischen stehen den carmina mala beispielsweise die carmina auxiliaria gegenüber. (Graf, Fritz, Gottesnähe
und Schadenszauber. Die Magie in der griechisch-römischen Antike, München 1996, S. 42 f.)
68
Lucian. philops. 29 ff.
69
Böcher, Dämonenfurcht, S. 171 f.
70
Habermehl, Exorzismus, S. 402.
71
Trunk, Heiler, S. 21.

14
serriten des Judentums sich gegen dämonische Unreinheit richteten. Das Tauchbad Johannes
des Täufers kann von diesen Reinigungsritualen abgeleitet werden.
72
In dieser Tradition steht die christliche Taufe, in welcher der Exorzismus seit dem be-
ginnenden 3. Jahrhundert nachweisbar fester Bestandteil ist.
73
Ein weiteres Hilfsmittel kann Schmuck sein, der auf besondere Art gefertigt die über-
legene Macht repräsentieren kann; in später aufgeführten Beispielen (Lukian, Flavius Jo-
sephus) ist von Ringen mit exorzierender Wirkung die Rede.
74
Wichtiger Bestandteil und den Abschluss der
pr'axi"
stellt der Ausfahrbefehl, die
japopompvh
dar. Ein Sonderfall, die Übertragung des Dämonen auf ein anderes Lebewesen,
wird durch den Begriff
j
epipompvh
bezeichnet.
Der dritte Teil des Rituals, das
fulaktvhrion
, kann als Siegel (
sfragvi"
) angesehen
werden und schützt vor erneuter Besetzung.
75
Im Vordergrund steht eine apotropäische Funk-
tion, wie sie sich von Amuletten ausgehend vorgestellt wurde, die weite Verbreitung fanden.
76
Eine bannende, heilende, versiegelnde und schützende Wirkung wurde auch, und nicht nur in
christlicher Anschauung, der Salbung mit Öl zugeschrieben.
77
Der Exorzist selbst kann aufgrund der Art seiner Handlungen als Dämonenaustreiber
charismatischen oder ritualisierten Typs erscheinen. Im ersten Fall, wie bei Apollonios von
Tyana und Jesus Christus, ist es allein die Autorität, die den Erfolg garantiert, während im
zweiten Fall die Anwendung vorgegebener Formeln, Gebete oder Handlungen, beziehungs-
weise Amt und Beauftragung entscheidend sind.
78
Es sei noch erwähnt, dass für die Entwicklung des exorzistischen Rituals außerhalb
der jüdisch-christlichen Tradition nach der Zeitenwende die ägyptische Religion eine nicht zu
unterschätzende Bedeutung zukam. Die ägyptischen Priester bekleideten gleichzeitig eine
ärztliche Funktion und wie bereits bemerkt, wurde die ägyptische Sprache als rituell wirk-
mächtig angesehen. In der heidnischer Religion gewann der Exorzismus seine heterogene
Form, wie sie sich in den Papyri Graecae Magicae nachzeichnen lässt, im Austausch magi-
scher Riten und Formeln zwischen Orient, Ägypten und den jüdischen Provinzen.
79
Mit der Ausbreitung der Vorstellung schädlicher Dämonen verknüpft, verbreitete sich
gleichzeitig die der Wirksamkeit exorzistischer Riten als abwehrendes Mittel, welches einem
72
Böcher, Exorzismus, S. 749.
73
Trad. apo. 20.
74
Lucian. philops. 17; Joseph. Ant. VIII, 48; PGM XII, 281 f.
75
Böcher, Christus Exorcista, S. 89.
76
PGM IV 1264; 3015.
77
Lev 21, 12 für die Religion Israels; Rudolph, Kurt, Die Gnosis. Wesen und Geschichte einer spätantiken Reli-
gion, Leipzig
2
1980, S. 246 f. für ein Verweis auf Vorstellungen gnostischer Schule.
78
Trunk, Heiler, S. 22.
79
Thraede, Exorzismus, Sp. 48.

15
bestimmten Rahmen folgte, der in den Quellen bezeugt ist und der im nächsten Kapitel weiter
illustriert wird. Dieser Zusammenhang zwischen dämonischem Wirken in der Besessenheit
und Dämonenaustreibung ist nicht eng genug zu begreifen und wurde in christlicher Argu-
mentation ausgiebig genutzt. In der allgemeinen Verbreitung der dargelegten Vorstellungen
und den daraus abgeleiteten Praktiken lag für die Apologeten des 2. Jahrhunderts die Voraus-
setzung, mit diesen Glaubensannahmen argumentieren zu können und dabei von ihrer Umwelt
auch verstanden zu werden.
Nachdem Begrifflichkeiten, Glaubenssätze und Konzepte, die mit dem Exorzismus
verbunden erscheinen, eingeführt sind, folgen nun einige Beispiel aus dem die Christen um-
gebenden Umfeld der ersten zwei Jahrhunderte, bevor die christliche Überlieferung und Ar-
gumentation, angefangen mit den Exorzismen Jesu, genauer betrachtet wird.
3. Der Exorzismus in der außerchristlichen Tradition des 2. Jahrhunderts
Bevor also der christliche Beitrag zur Verhandlung des Themas Exorzismus untersucht
wird, soll nach einer sinnvollen Einbettung gesucht werden, welche die Bedeutung der Dä-
monenaustreibung, mithin der Wunderheilung, in einem zeitlichen und kulturellen Kontext zu
verorten vermag. Am Diskurs um die vorgenannten Begriffe und Konzepte nahmen nicht nur
Christen teil, im Gegenteil. Das missionspolitische Potential der Argumentation mit dem Ex-
orzismus lag gerade in einer gemeinsame Sprache von Heiden und Christen. Sollte christli-
ches Missionsstreben in seinem Ausdruck als Akt der Überredung erfolgreich sein und ein
entsprechender Ertrag, hier Konvertiten, erzielt werden, hatten sich die Christen der Sprache
ihrer Umwelt zu bedienen.
80
Aufgrund der Verbreitung des Dämonenglaubens und den davon abzuleitenden Prak-
tiken, wie dem Exorzismus, ist es naheliegend, dass sich im hier behandelten Zeitraum der
ersten zwei Jahrhunderte nach der Zeitenwende auch außerhalb christlicher Verschriftlichung
Zeugnisse für derartige Gebräuche finden lassen. Einige aus heidnischer und jüdischer Tradi-
tion sollen im Folgenden exemplarisch vorgestellt sein.
3.1 In der heidnischen Umgebung
Die Schilderung eines exorzistischen Rituals findet sich bei Lukian von Samosata,
einem syrischen Epikureer und Satiriker, der um 120 geboren wurde. Trotz der satirischen
Intention seines Textes der ,,Lügenfreund" (
Filoyeudvh"
) handelt es sich nach Fritz Graf um
80
Cameron, Averil, Christianity and the Rhetoric of Empire. The Development of Christian Discourse (Sather
Classical Lectures vol.55), Berkeley - Los Angeles - Oxford 1991, S. 16.

16
ein aufschlussreiches Dokument zur Ideologie und zur Praxis antiker Magie, in dem auch der
Exorzismus verhandelt wird.
81
Der Text ist in der Form eines Dialoges konzipiert. Tychiades trifft seinen Freund Phi-
lokles, der sich den Verlauf eines Treffens berichten lässt, welches im Haus des gemeinsamen
Bekannten Eukrates stattgefunden hat. Bei dieser Zusammenkunft versuchten sich die Teil-
nehmer gegenseitig in der Schilderung von sympathetischen Heilmitteln, Heilungswundern
und Exorzismen zu übertreffen. So lassen sich zwei der Teilnehmer, Deinomachos und Kleo-
demos in gelehrten Reden über Zaubermittel aus, welche bei verschiedenen Leiden anzuwen-
den wären. Schon hier verweigert Tychiades dem Vernommenen gegenüber den Glauben. Der
Zweifler besteht auf einer Erklärung: ,,Falls du einen nicht logisch überzeugst, daß solches
geschieht, weil es der Natur entspricht, indem das Fieber und die Geschwulst entweder vor
dem göttlichen Namen [
j;h jvonoma qespvesion] oder einer barbarischen Formel [j;h
Jr'hsin barbarik;hn] Angst hat und deshalb aus der geschwollenen Drüse davonläuft, so blei-
ben deine Worte bloße Altweibermärchen."
82
Lukian bezeugt an dieser Stelle für die Wunder-
heilung, die häufig in engem Zusammenhang mit dem Exorzismus erscheint, den rituellen
Gebrauch sowohl göttlicher Namen als auch barbarischer Sprache.
Im weiteren Verlauf disqualifiziert sich Tychiades durch seinen fortgesetzt geäußerten
Zweifel. Deinomachos wirft ihm daraufhin vor, er glaube nicht an die Götter, wenn er nicht
annimmt, dass deren heilige Namen Heilung bewirken können. Obwohl Tychiades beteuert,
die Existenz der Götter nicht anzuzweifeln, sondern lediglich die an diesem Abend vorge-
brachten Geschichten für Lügen hält, wird er aus dem Gespräch ausgegrenzt, da er damit die
gemeinsamen Vorannahmen des Gespräches nicht teilt.
83
Ein anderer der Teilnehmer, Ion, erzählt anschließend von einer Wunderheilung, in der
als Krankheitsursache ein auszutreibender Dämon zentral steht. Dabei handelt es sich um ei-
nen Exorzismus sensu strictissimo, dem er beigewohnt haben will. Er spricht zu Tychiades
gewandt: ,,[...] alle kennen den Syrer aus Palästina, den Meister in diesen Dingen, wie viele
Kranke, die vor der Heilung beim Mondschein niederfallen, die Augen verdrehen und deren
Mund sich mit Schaum füllt, er gleichwohl auf die Beine bringt und gesund entlässt, nachdem
er sie um hohen Lohn von ihren Schrecken befreit."
84
Diese Einführung der Person, nach der es sich bei diesem Exorzisten um einen weithin
bekannten Mann handelt, ist als Indiz für eine rege exorzistische Tätigkeit zur Zeit Lukians
81
Graf, Gottesnähe, S. 73.
82
Lucian. philops. 9.
83
Lucian. philops. 11.
84
Lucian. philops. 16.

17
genommen worden.
85
Er wird als ein allen bekannter Meister in diesen Dingen vorgestellt,
was diesen Gedanken nahe legt.
Ferner ist zu lesen, allerdings ohne genauere quantitative Angabe, dass der weithin be-
kannte syrische Exorzist hohen Lohn verlangte. In dieser Stelle findet sich damit einer der
wenigen Hinweise in den außerchristlichen Quellen auf die Zahlungsmodalitäten für derartige
Dienstleistungen. Der dahingegen unentgeltliche christliche Exorzismus wird in den entspre-
chenden Schriften, als Argument herausgestellt, wieder erscheinen.
Das Ritual selbst schildert Lukian in einiger Ausführlichkeit. So lässt er Ion mit sei-
nem Bericht fortfahren: ,,Er tritt nämlich zu den Liegenden hin und fragt die Geister, woher
sie in den Körper gekommen sind, und der Kranke selber schweigt, der Geist aber antwortet
griechisch oder syrisch oder sonst in der Sprache seiner Heimat, wie und woher er in den
Menschen gekommen ist."
86
Der erste Teil des exorzistischen Rituals, der
lvogo"
, lässt sich nicht nachweisen. Der
Dialog mit dem Dämon wird bereits zur
pr'axi"
gerechnet. Es wird sich somit eher um das
Auftreten eines Exorzisten charismatischen Typs handeln, der die dämonenaustreibende Kraft
dauerhaft verkörpert. Der Besessene erscheint in Deckung mit weit verbreiteten Vorstellungen
als Kranker, vielleicht als Epileptiker.
87
Nicht der Anfallsleidende antwortet dem Beschwörer,
sondern der Geist (
davimwn
), in der Sprache seiner Heimat. Die Kommunikation mit dem ein-
gefahrenen Dämon ist als Motiv jüdischer beziehungsweise ägyptischer Tradition gewertet
worden und lässt sich ebenso in den neutestamentlichen Schriften nachweisen.
88
Abschließend schildert Ion den drohenden Ausfahrbefehl und das Ausfahren des Dä-
mons selbst. ,,Der Magier beschwört ihn, droht ihm, wenn er nicht folgt, und treibt so den
Geist aus. Ich sah sogar Geister aus den Kranken ausfahren, schwarz und rußig."
89
Die Schilderung eines weiteren Exorzismus in diesem Werk spiegelt die Vorstellungen
und ein mögliches Verfahren, wie Dämonen nicht nur aus Menschen ausgetrieben werden
können, sondern auch aus Gebäuden.
90
Dem Gespräch gesellt sich der Pythagoreer Arignotos hinzu, der von dieser Dämonen-
austreibung in Korinth berichtet. Hier habe er mit Hilfe ägyptischer Zauberbücher und For-
meln (
jepvirrhsi"
) das Haus des Eubatiades wieder bewohnbar gemacht, indem er den Geist
zwang, der hier sein Unwesen trieb und die Bewohner schreckte, in den Boden zu entweichen.
85
,,
pvante" vjvisasi t;on Svuron t;on jek t'h" Palaistvinh"
"; dazu: Kollmann, Jesus, S. 113.
86
Lucian. philops. 16.
87
Nilsson, Geschichte, S. 521.
88
Thraede, Exorzismus, Sp. 55.
89
Lucian. philops. 16: ,,
Jo d;e Jvorkou" Jepvagwn ... ka;;i Japeil'wn jexelavunei t;on davimona
"
90
Lucian. philops. 29 ff.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2004
ISBN (eBook)
9783832486891
ISBN (Paperback)
9783838686899
Dateigröße
792 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Freie Universität Berlin – Geschichts- und Kulturwissenschaften
Note
1,0
Schlagworte
dämon dämonenaustreibung jesus beschwörung apologeten
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Titel: Exorzismus
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