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Ethno-Marketing

Rezeption von Ethno-Marketingmaßnahmen in der Zielgruppe türkischer Konsumenten in Deutschland

©2003 Diplomarbeit 169 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Die vorliegende Untersuchung befasst sich mit der Rezeption von Ethno-Marketing-Massnahmen am Beispiel der türkischen Zielgruppe in Deutschland. Während Ethno-Marketing, d.h. die Implementierung verschiedener, speziell auf eine ethnische Bevölkerungsgruppe ausgerichteter Marketing-Maßnahmen, in traditionellen Zuwanderungsländern wie den USA, Großbritannien oder den Niederlanden schon seit längerem ein wichtiger Bestandteil von Marketingpraxis und Werbung ist, findet ein solches Vorgehen in Deutschland erst seit zehn Jahren vermehrt Interesse. Im Zentrum der Aufmerksamkeit deutscher Firmen steht dabei die größte ausländische Bevölkerungsgruppe in Deutschland - die Konsumenten türkischer Abstammung.
Gegenwärtig leben etwa 2.5 Millionen Menschen türkischer Abstammung in Deutschland, davon ca. 650 000 mit deutscher Staatsangehörigkeit. Neben der großen Zahl sind es auch die besonderen demographischen Eigenarten dieser Bevölkerungsgruppe, die sie als Marketing-Zielgruppe interessant erscheinen lassen. Türkische Konsumenten sind im Durchschnitt jünger als die deutschen, mehr als ein Viertel der in Deutschland lebenden Türken ist unter 15 Jahre alt, die unter 30-jährigen stellen fast die Hälfte dieser Bevölkerungsgruppe. Türkische Familien sind oft größer und kinderreicher als ihre deutschstämmigen Nachbarn, die jährliche Kaufkraft beträgt ca. 16 Milliarden Euro, das Sparvermögen etwa 20 Milliarden Euro. Deutschtürken nutzen neben deutschen Medien auch in starkem Maße türkische Medien, wie die zahlreichen türkischen Fernseh- und Radioprogramme und die in Deutschland erscheinenden türkischen Tageszeitungen.
Die Grundlage eines ausdrücklich ethnischen Marketing, das sich von dem an der Bevölkerungsmehrheit ausgerichteten, allgemeinen Marketingkonzept abgrenzt, ist die Annahme, dass sich diese Zielgruppe in entscheidenden Merkmalen von anderen Konsumentengruppen unterscheidet. Dieses Konzept der Marktsegmentierung baut darauf auf, dass eine Konsumentengruppe aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften durch eigens auf sie abgestimmte Marketing-Maßnahmen effektiver und zielgerichteter erreicht werden kann. Die Auftraggeber des Ethno-Marketing, in Deutschland vor allem Firmen aus den Bereichen Banken und Versicherungen, Automobilhersteller und Telekommunikationsanbieter, erhoffen sich von diesem Vorgehen einen spezifischen Wettbewerbsvorteil und die Erschließung neuer Marktanteile.
Die oft vorausgesetzte eingeschränkte Erreichbarkeit […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 8681
Pins, Christof: Ethno-Marketing -
Rezeption von Ethno-Marketingmaßnahmen
in der Zielgruppe türkischer Konsumenten in Deutschland
Hamburg: Diplomica GmbH, 2005
Zugl.: Freie Universität Berlin, Diplomarbeit, 2003
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2
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_______________________
Christof Pins

3
Zusammenfassung
Diese Arbeit befasst sich mit der Rezeption von auf ethnische Minderheiten
ausgerichteten Marketingmaßnahmen am Beispiel der türkischen Bevölkerungsgruppe
in Deutschland. Es wird erörtert, welche Faktoren die Wirkung von ethnospezifischer
Werbung in der Zielgruppe beeinflussen. Das Hauptinteresse gilt dabei der
theoretischen Konzeption und empirischen Messung des Konstrukts ethnische Identität.
In einer empirischen Fragebogen-Studie wurde die ethnische Identität von 61
türkischstämmigen Teilnehmern zwischen 18 und 60 Jahren erhoben. Zusätzlich wurden
Bewertungen ethnospezifischer Werbeanzeigen und allgemeine Einstellungen
gegenüber Ethno-Marketing erfasst. Die durch Korrelations- und Varianzanalysen
gewonnnen Ergebnisse zeigen, dass eine ausgeprägte ethnische Identität mit positiveren
Bewertungen von Ethno-Marketingmaßnahmen einhergeht. Dieser Befund wird vor
dem
Hintergrund
der
empirischen
Konsumentenforschung
und
der
Integrationsforschung erläutert und auf seine Implikationen für die Praxis des Ethno-
Marketings untersucht.

4
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung
2
Türkische Migranten in Deutschland
2.1
Historischer Abriss der türkischen Migration in
Deutschland
2.2
Gesellschaftliche Situation der türkischen
Bevölkerungsgruppe in Deutschland
2.2.1 Demographie
2.2.2 Aufenthaltsdauer
2.2.3 Staatsangehörigkeit
2.2.4 Heimatverbundenheit und Rückkehrabsicht
2.2.5 Ökonomische Situation
2.2.6 Mediennutzung
2.2.7 Sprachkompetenz und Sprachnutzung der türkischen
Bevölkerung
2.2.8 Die Bedeutung der Religion
2.3
Die verschiedenen türkischen Migrantengenerationen ­ Konflikte
und Ausdifferenzierungen
2.4
Ethno-Marketing für Deutschtürken
3
Kultur und Marketing
3.1
Kultur ­ Versuch einer Begriffsbestimmung
3.2
Kultur als marketingrelevantes Phänomen
3.2.1 Emic- und Etic-Orientierung in der kulturpsychologischen
Forschung
3.2.2 Kulturbegriff und Dimensionen der Kultur nach Geert
Hofstede
3.3
Internationales, globales und interkulturelles Marketing
3.4
Konsumenten-Ethnozentrismus
3.5
Kulturvergleichende Konsumentenforschung und Ethnische
Minderheiten

5
3.6
Ethnisches Minderheiten-Marketing in den USA ­
Rahmenbedingungen und empirische Befunde
3.6.1 Empirische Befunde
4
Identität ethnischer Minderheiten
4.1
Akkulturation ethnischer Minderheiten
4.2
Ethnische Identität ­ Ethnic Identity
4.2.1 Messung von ethnischer Identität
5
Fragestellung und Hypothesen der vorliegenden Untersuchung
6
Methodik und Untersuchungsdesign
6.1
Stichprobe und Datenbasis
6.2
Konzeption und Durchführung der Untersuchung
6.3
Fragebogenkonzeption und Methoden der Datenerhebung
7
Darstellung der Ergebnisse
7.1
Ethnische Identität und Bewertung ethnospezifischer Werbung
7.2
Ethnische Identität und andere Indikatoren der Akkulturation
7.3
Unterschiede zwischen den Altersgruppen
8
Diskussion der Ergebnisse
Literaturverzeichnis
Anhang

6
1
Einleitung
Die vorliegende Untersuchung befasst sich mit der Rezeption von Ethno-Marketing-
Maßnahmen am Beispiel der türkischen Zielgruppe in Deutschland. Während Ethno-
Marketing, d.h. die Implementierung verschiedener, speziell auf eine ethnische
Bevölkerungsgruppe
ausgerichteter
Marketing-Maßnahmen,
in
traditionellen
Zuwanderungsländern wie den USA, Großbritannien oder den Niederlanden schon seit
längerem ein wichtiger Bestandteil von Marketingpraxis und Werbung ist, findet ein
solches Vorgehen in Deutschland erst seit zehn Jahren vermehrt Interesse. Im Zentrum
der Aufmerksamkeit deutscher Firmen steht dabei die größte ausländische
Bevölkerungsgruppe in Deutschland - die Konsumenten türkischer Abstammung.
Gegenwärtig leben etwa 2.5 Millionen Menschen türkischer Abstammung in
Deutschland, davon ca. 650 000 mit deutscher Staatsangehörigkeit. Neben der großen
Zahl sind es auch die besonderen demographischen Eigenarten dieser
Bevölkerungsgruppe, die sie als Marketing-Zielgruppe interessant erscheinen lassen.
Türkische Konsumenten sind im Durchschnitt jünger als die deutschen, mehr als ein
Viertel der in Deutschland lebenden Türken ist unter 15 Jahre alt, die unter 30-jährigen
stellen fast die Hälfte dieser Bevölkerungsgruppe. Türkische Familien sind oft größer
und kinderreicher als ihre deutschstämmigen Nachbarn, die jährliche Kaufkraft beträgt
ca. 16 Milliarden Euro, das Sparvermögen etwa 20 Milliarden Euro. Deutschtürken
nutzen neben deutschen Medien auch in starkem Maße türkische Medien, wie die
zahlreichen türkischen Fernseh- und Radioprogramme und die in Deutschland
erscheinenden türkischen Tageszeitungen.
Die Grundlage eines ausdrücklich ethnischen Marketing, das sich von dem an der
Bevölkerungsmehrheit ausgerichteten, allgemeinen Marketingkonzept abgrenzt, ist die
Annahme, dass sich diese Zielgruppe in entscheidenden Merkmalen von anderen
Konsumentengruppen unterscheidet. Dieses Konzept der Marktsegmentierung baut
darauf auf, dass eine Konsumentengruppe aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften
durch eigens auf sie abgestimmte Marketing-Maßnahmen effektiver und zielgerichteter
erreicht werden kann. Die Auftraggeber des Ethno-Marketing, in Deutschland vor allem
Firmen aus den Bereichen Banken und Versicherungen, Automobilhersteller und

7
Telekommunikationsanbieter, erhoffen sich von diesem Vorgehen einen spezifischen
Wettbewerbsvorteil und die Erschließung neuer Marktanteile.
Die oft vorausgesetzte eingeschränkte Erreichbarkeit der türkisch-deutschen Zielgruppe
durch klassisches Marketing liegt zum einen darin begründet, dass die üblichen
Kommunikationskanäle wie deutsche Fernsehprogramme oder Tageszeitungen hier nur
beschränkt nützlich sind, da ein großer Teil der türkischen Minderheit auch auf das gut
ausgebaute Netz türkischsprachiger Medien in Deutschland zurückgreift. Die Präferenz
türkischsprachiger Medien, vor allem in der älteren Generation türkischer Migranten,
stellt aber nur einen Teilaspekt der Problemstellung dar. Die Kernannahme des
ethnischen Marketing beruht darin, dass sich die türkische Konsumentengruppe auch in
kultureller Hinsicht von der Mehrheitsbevölkerung unterscheidet. Die intuitiv
einleuchtende Vorstellung, dass effektives Zielgruppenmarketing genaueste Kenntnisse
über die zu bearbeitende Konsumentengruppe erfordert, hat daher in diesem Fall zur
Entwicklung von zahlreichen Spezial-Werbeagenturen, sogenannten Ethno-Agenturen
geführt. Diese Spezialisten nehmen für sich in Anspruch, dass ihr Hintergrundwissen es
ermöglicht, geeignete Marketing-Kampagnen für Deutschtürken zu entwickeln. Oft
folgenschwere Fehler in der sprachlichen und visuellen Ausführung der Kampagnen,
hervorgerufen durch mangelnde kulturelle Sensibilität, sollen so vermieden werden. Die
empirischen Forschungsaktivitäten in diesem Bereich beschränken sich in Deutschland
bisher auf Konsumentenstudien, die im Sinne einer Lebensstil-Forschung
Konsumenten-Typologien innerhalb der Gruppe der Deutschtürken isolieren sollen, um
so der zunehmenden Komplexität dieser Konsumentengruppe Rechnung zu tragen.
Fragen nach der Effektivität oder den Bedingungsfaktoren der Rezeption von Ethno-
Marketing-Maßnahmen in der angesprochenen Zielgruppe werden von den Akteuren
der Ethno-Agenturen aber eher selten gestellt, zumal jede Einschränkung der
Anwendbarkeit von deutsch-türkischem Marketing unmittelbar die Geschäftsgrundlage
dieser noch sehr jungen Branche bedrohen würde.
Aus wissenschaftlicher Sicht ist es aber sehr wohl sinnvoll zu fragen, ob man von einer
gleich bleibenden Akzeptanz und einheitlichen Rezeption ethnisch orientierter
Marketing-Maßnahmen in der Zielgruppe, unabhängig von anderen Bedingungsfaktoren
wie z.B. Zugehörigkeit zu einer bestimmten Migrantengeneration, Alter, kultureller

8
Identität oder Integrationsstatus, ausgehen kann. Gerade am Beispiel der
türkischstämmigen Bevölkerungsgruppe in Deutschland betrachtet man ja eine Gruppe
mit nun schon über 40-jähriger Migrationsgeschichte, die sich in der
Auseinandersetzung mit der Mehrheitskultur dynamisch wandelt und den Prozessen der
Assimilation und Akkulturation unterliegt.
Die vorliegende Arbeit stellt einen ersten Versuch dar, vor dem Hintergrund
psychologischer und soziologischer Theorien in einer empirischen Arbeit
Bedingungsfaktoren zu explorieren, die die Rezeption von Ethno-Marketing-
Maßnahmen beeinflussen.
Kapitel 2 stellt zunächst eine Einführung in die Migrationsgeschichte der türkischen
Minderheit in Deutschland dar. Die historischen Umstände der verschiedenen
Einwanderungsabschnitte werden kurz vorgestellt. Anschließend erfolgt eine
Beschreibung der aktuellen gesellschaftlichen Situation der türkischstämmigen
Bevölkerung, der typischen Lebensumstände, sowie der Unterschiede zwischen den
Generationen der in Deutschland lebenden Türken. Die Besonderheiten von
Deutschtürken als Marketing-Zielgruppe bzw. Konsumentengruppe werden
thematisiert. Im weiteren folgt eine überblicksartige Darstellung der Arbeitsprinzipien
der auf Ethno-Marketing spezialisierten Werbeagenturen in Deutschland und einige
Beispiele aus der Marketingpraxis.
Das Kapitel 3 ist dem Zusammenhang zwischen Kultur und Marketing gewidmet. Die
Grundsätze und Theorien des globalen, internationalen und interkulturellen Marketing
werden dargestellt und auf ihre Tragweite im Bereich ethnischen Marketing untersucht.
Dabei wird auch auf die Praxis des internationalen Ethno-Marketing im klassischen
Zuwanderungsland USA mit seinen großen und stetig anwachsenden ethnischen
Gruppen eingegangen. Besonderes Augenmerk liegt im Folgenden auf der Interaktion
zwischen Ethnizität und Konsumentenverhalten. Empirische Ergebnisse zum Einfluss
verschiedener ethnischer Faktoren auf Werberezeption und Konsumentenverhalten
werden zusammengetragen und daraus abgeleitete theoretische Modelle vorgestellt.
Besondere Wichtigkeit erlangt in diesem Zusammenhang das Konstrukt der ethnischen
Identität oder ethnic identity und sein Einfluss auf die Bewertung von ethnisch
orientierter Werbung.

9
Kapitel 4 ordnet den Begriff der ethnic identity in den Zusammenhang der
sozialpsychologischen und soziologischen Theorien zur sozialen Identität und Identität
von Minderheiten ein. Entstehung und Dynamik von ethnischer oder Minderheiten-
Identität werden im Kontext von Akkulturationstheorien erörtert und ein Konzept zur
empirischen Messung des Konstrukts ethnic identity vorgestellt.
In Kapitel 5 sollen, aufbauend auf den Überlegungen in den vorherigen Kapiteln und
gemäß der explorativen Fragestellung der Untersuchung, Hypothesen zum
Zusammenhang zwischen verschiedenem möglichen Einflussfaktoren und der
Rezeption von ethnisch orientierter Werbung erarbeitet werden. Demographische
Variablen wie Aufenthaltsdauer in Deutschland und Sprachfähigkeit werden dabei
ebenso berücksichtigt wie psychologische Faktoren wie Rückkehrwunsch in die Türkei,
ethnische Selbstkategorisierung oder das in dieser Untersuchung zentrale Konstrukt
ethnische Identität.
Aus dieser Konzeption wird schon ersichtlich, dass es nicht Ziel dieser Untersuchung
sein soll, die Merkmale von effektivem Ethno-Marketing zu explorieren. Vielmehr ist
die Fragestellung weiter gefasst: Haben bestimmte Merkmalsunterschiede in der
ethnischen Zielgruppe hinsichtlich solcher Faktoren wie Alter oder Stärke der
ethnischen Identität einen Einfluss auf die Akzeptanz der generellen Prinzipien
ethnischer Werbung? Oder lassen sich anhand solcher Variablen Untergruppen
isolieren, die der Verwendung von türkischen Inhalten, türkischen Symbolen und
türkischer Sprache in Werbekampagnen eher kritisch gegenüberstehen? Und wie lassen
sich solche Einstellungen vor dem Hintergrund der sozialen und kulturellen Identität der
türkischen Migranten verstehen?
Die Frage, was gute und effektive Ethno-Werbung ist, baut dann auf solchen
Überlegungen auf. Das Wissen über die generelle Reichweite solcher Maßnahmen ist
die Voraussetzung für weitere Untersuchungen darüber, für welche Teile der türkischen
Bevölkerung Ethno-Marketing sinnvoll erscheint und wie viel ,,Türkisch" optimal für
welches Zielgruppensegment ist.
Kapitel 6 umfasst das Untersuchungsdesign und die methodische Umsetzung der
Untersuchung, die in Form einer Fragebogenuntersuchung an einer Stichprobe von
türkischstämmigen Einwohnern in Berlin durchgeführt wurde. Die verschiedenen Teile

10
des erarbeiteten Fragebogens zur Erfassung der oben erwähnten Einflussfaktoren
werden vorgestellt und die Methode zur Messung der Akzeptanz bzw. Bewertung von
Ethno-Marketing-Maßnahmen diskutiert.
Kapitel 7 enthält die Darstellung der empirischen Einzelergebnisse, die nachfolgend in
Kapitel 8 diskutiert, in die referierte Literatur und bisherige Forschungsergebnisse
eingeordnet und hinsichtlich ihrer Bedeutung für weitere Forschungen bewertet werden.

11
2
Türkische Migranten in Deutschland
Ethno-Marketing richtet sich nach Kraus-Weysser & Ugurdemir-Brincks (2002) an
,,ethnische, in einem Land lebende Minderheiten unter Berücksichtigung von
nationalen, kulturellen oder religiösen Lebensweisen oder Befindlichkeiten". Im
Zentrum der Aufmerksamkeit stehen also nicht die für das Marketing relevanten
Besonderheiten eines bestimmten Kulturkreises oder einer Nation, sondern explizit
ethnische Minderheiten innerhalb einer Mehrheitsgesellschaft. Das heißt, dass sich eine
Untersuchung türkischstämmiger Konsumenten in Deutschland nicht darauf
beschränken kann, Charakteristika des ,,türkischen" Marketing oder des türkischen
Konsumenten herauszuarbeiten. Die besondere Situation türkischer Migranten lässt sich
nicht aus der Herkunftskultur allein erklären. Vielmehr muss jede Betrachtung einer
ethnischen Minderheit als Marketing-Zielgruppe auch die Lebensumstände dieser
Gruppe in der Aufnahmegesellschaft und die jeweilige Migrationsgeschichte
berücksichtigen,
um
zu
einem
möglichst
vollständigen
Bild
dieser
Bevölkerungsgruppen und ihrer Eigenarten zu gelangen. Auch in Bezug auf die
theoretischen Überlegungen zur sozialen Identität von gesellschaftlichen bzw.
ethnischen Minoritäten ist die Berücksichtigung der gesellschaftlichen Gesamtsituation
unerlässlich.
Dies umschreibt Taijfel (1982) folgendermaßen:
Das ,,Gefühl", Mitglied einer Gruppe zu sein, flottiert nicht frei in irgendeinem
sozialen Vakuum, und die entsprechenden Überzeugungssysteme können nicht
richtig verstanden werden, wenn ihr direkter und enger Bezug zur sozialen
Realität des Lebens der Personen nicht in Betracht gezogen wird. (S.143)
Da nach Polat (1998) auch von einem ,,migrationsbedingtem Wandel der Werthaltungen
von [türkischen] Migranten in Deutschland" (S.42) ausgegangen werden kann, ist für
eine Untersuchung deutsch-türkischer Werte und Einstellungen ein genauer Überblick
über die Bedingungen der türkischen Arbeitsmigration notwendig.
2.1
Historischer Abriss der türkischen Migration in Deutschland

12
Obwohl das Deutsche und das Osmanische Reich schon vor dem Ersten Weltkrieg auf
wirtschaftlichem und militärischem Gebiet zusammenarbeiteten und so z.B. 1912 in
Berlin bereits etwa 1350 Türken lebten begann die massenhafte Arbeitsmigration
türkischer Staatsbürger nach Deutschland erst am 30. 10. 1961 mit dem Abschluss des
,,Abkommens zur Anwerbung türkischer Arbeitskräfte für den deutschen Arbeitsmarkt".
Der wirtschaftliche Aufschwung während der fünfziger Jahre hatte in Deutschland
praktisch eine Vollbeschäftigung und einen Arbeitskräftemangel zur Folge gehabt. Der
Mauerbau 1961 verhinderte den Zuzug von Arbeitnehmern aus der DDR und den
angrenzenden Ostblockländern in die BRD und verschärfte die Lage zusätzlich. Da sich
kriegsbedingt auch die demographische Lage so verändert hatte, dass nur sehr wenig
junge Arbeitnehmer zur Verfügung standen, versuchten deutsche Arbeitgeber, zunächst
auf private Initiative, das Problem zunehmend durch die Anwerbung von
Arbeitsmigranten aus südeuropäischen Ländern zu lösen. Da auch auf Seiten der Politik
davon ausgegangen wurde, dass eine weitere Expansion der deutschen Wirtschaft
langfristig nur durch eine ausreichende Versorgung mit ausländischen Arbeitskräften
gewährleistet werden könne, schloss die Bundesregierung Anwerbeverträge mit Italien
(1955), Griechenland und Spanien (1960), der Türkei (1961), Portugal (1964) und
Jugoslawien (1968) ab (vgl. Herbert, 1986).
Dem Arbeitskräftemangel und der Expansion der Wirtschaft in der Bundesrepublik
standen auf türkischer Seite wirtschaftliche Probleme anderer Art entgegen. 1950 wurde
die auf dem Republikgründer Kemal Atatürk gründende und zuvor alleinregierende
,,Republikanische Volkspartei (CHP)" abgewählt und die ,,Demokratische Volkspartei
(DP)" übernahm die Regierungsverantwortung. In der Folge kam es aufgrund
zinsgünstiger Staatskredite für Agrarprojekte und hoher garantierter Abnahmepreise zu
einem starken Aufschwung der Landwirtschaft. Dies führte einerseits zu einer leichten
Steigerung des ländlichen Lebensstandards, andererseits aber auch zu einer starken
Freisetzung von Arbeitskräften durch die damit verbundene Mechanisierung der
Landwirtschaft (Steinbach, 2002). Vor allem aus den ländlichen Gebieten Süd ­ und
Ostanatoliens mit ihrem halb-feudalistischen System der Großgrundbesitzer kam es zu
einer regelrechten Landflucht in die städtischen Metropolen im Westen der Türkei.

13
Verbunden mit einer äußerst starken Bevölkerungszunahme - zwischen 1927 und 1965
stieg die Einwohnerzahl der Türkei von 13,5 auf rund 31 Millionen an - führte dies zu
einer hohen Arbeitslosigkeit und zu rund um die Großstädte Ankara, Izmir und Istanbul
explosionsartig wachsenden Elendsvierteln, den sogenannten Gecekondus
1
.
Die Bevölkerung dieser Slums bestand hauptsächlich aus arbeitssuchenden und
verarmten Kleinbauern aus Südostanatolien und den Mittelmeerregionen, die auch in
der Stadt meist ihre agrarisch geprägte Lebensweise beibehielten (ù en & Goldberg,
1994). Nach ihrer Binnenmigration innerhalb der Türkei erhofften sie sich in den
Großstädten ein besseres Leben. Da diese Binnenmigranten, wenn sie überhaupt Arbeit
fanden, häufig nur als ungelernte Arbeiter für die am niedrigsten bezahlten Tätigkeiten
eingesetzt wurden, blieben diese Träume in den meisten Fällen unerfüllt.
Die Überfüllung der städtischen Zentren mit arbeitslosen Menschen aus allen Teilen der
Türkei und die schwierige gesamtwirtschaftliche Lage zu dieser Zeit erklärt die
insgesamt hohe Bereitschaft, einen Arbeitsplatz im Ausland anzunehmen.
Mit dem Inkrafttreten der neuen türkischen Verfassung 1961, deren Artikel 18 es
türkischen Bürgern erstmalig offiziell erlaubte ins Ausland zu reisen (ù en & Goldberg,
1994), und dem Anwerbeabkommen zwischen den beiden Staaten begann die
Wanderung türkischer Gastarbeiter, wie sie bald im deutschen Sprachgebrauch hießen,
in Richtung Deutschland. Die Bundesanstalt für Arbeit richtete in enger
Zusammenarbeit mit türkischen Behörden Anlaufstellen ein, die junge Türken und
Türkinnen direkt auf die von den deutschen Firmen gemeldeten freien Arbeitsstellen
vermittelten.
Die Bezeichnung Gastarbeiter ist charakteristisch für die Zielsetzung der Migration
dieser frühen Jahre. Die Mehrzahl der türkischen ArbeiternehmerInnen, die in die
Bundesrepublik kamen, wollten nach einem begrenzten Aufenthalt in Deutschland mit
ihren Ersparnissen und auch ihren neu erworbenen Fachkenntnissen in die Türkei
zurückkehren, um sich dort mit diesem Kapital ein selbstständiges Unternehmen
aufzubauen (Polat, 1998). Die Neigung der bereits in Deutschland lebenden Türken bei
Besuchen in der Heimat ihre in Deutschland erworbenen Statussymbole wie Autos oder
1
Von türk.: ,,über Nacht gebaut", provisorische Unterkünfte, die gesetzlich erlaubt sind, da sie quasi über
Nacht entstanden sind.

14
Fernseher hervorzuheben, bestärkte die Auswanderungswilligen in der Vorstellung, dass
sich in Deutschland in kurzer Zeit genügend Geld für eine Rückkehr ansparen ließe.
Auch die deutsche Seite favorisierte zunächst ein Rotationsprinzip. Nach Seibel-Erdt
und ù öhret (1999) sollten die eingereisten Türken gemäß dem Anwerbeabkommen nach
zweijähriger Bleibe in die Türkei zurückkehren und durch neue Arbeitskräfte ersetzt
werden. Dementsprechend erhielten sie auch nur zeitlich begrenzte Arbeits- und
Aufenthaltsgenehmigungen. Mit der Anwerbung waren keine Planungen für eine
dauerhafte Einwanderung verbunden. ,,Eine mögliche Integration der Arbeiter und eine
Auseinandersetzung mit ihrem Herkunftsland, ihren Traditionen, und ihrer Religion
schien damals nicht notwendig zu sein, denn die Arbeitskräfte wurden kurzfristig
benötigt und sollten im wirtschaftlichen Krisenfall wieder in ihre Heimat zurückkehren"
(Königseder, 2001, S.17 ).
Dieses Rotationsprinzip erwies sich jedoch in den folgenden Jahren als zunehmend
problematisch. Die türkischen ArbeitnehmerInnen kamen meist allein nach
Deutschland, da es sich um einen reinen Arbeitsaufenthalt handeln sollte. Die meisten
lebten in oft überbelegten Gastarbeiter-Wohnheimen, ohne ihre Familien und ihr
gewohntes soziales Umfeld. Der Kontakt zur deutschen Mehrheitsbevölkerung
beschränkte sich auf Begegnungen am Arbeitsplatz. Die türkischen ArbeitnehmerInnen
versuchten ihrerseits in kürzester Zeit möglichst viel Geld für die Rückkehr in die
Türkei anzusparen. Der Erwerb der deutschern Sprache stand dabei eher im Hintergrund
und war aufgrund des eingeschränkten Kontakts der Bevölkerungsgruppen auch nicht
zwingend notwendig, weswegen auch heute noch manche Migranten der 1. Generation
nur über eingeschränkte Deutschkenntnisse verfügen. Die verrichteten Tätigkeiten
bestanden hauptsächlich aus ,,körperlich schwerster, bisweilen gesundheitsgefährdender
Arbeit, mit Überstunden-, Schicht- und Akkordarbeit" (Greve & dÕ nar, 1998, S. 16) bei
unterdurchschnittlicher Bezahlung, für die sich oft keine deutschen Arbeitnehmer finden
ließen. Die ArbeitsmigrantInnen merkten schnell, dass sich trotz der überaus harten
Arbeit innerhalb von nur zwei Jahren nicht genügend Geld für eine wohlhabende
Rückkehr in die Türkei ansparen ließ.
Auch auf Seiten der deutschen Arbeitgeber erregte das Rotationsprinzip Unmut, da die
Unternehmen bereits angelernte und zuverlässige Mitarbeiter in einem kosten- und

15
zeitintensiven Prozess durch neu angeworbene Arbeiter ersetzen sollten. Die
Rotationsregelung wurde schließlich 1964 außer Kraft gesetzt, so dass türkische
Arbeitnehmer, die ihre Arbeit zur Zufriedenheit der Firmen ausführten,
weiterbeschäftigt werden konnten (Seibel-Erdt & ù öhret, 1999).
In den Folgejahren stieg der Anteil der türkischen ArbeitnehmerInnen in Deutschland
kontinuierlich an. Obwohl während der Rezession 1966/67 viele türkische
Arbeitnehmer in die Türkei zurückkehrten, wuchs die türkische Wohnbevölkerung in
Deutschland weiter an, zumal sich viele der Remigranten aufgrund der schlechten
wirtschaftlichen Verhältnisse in der Türkei um eine Rückkehr nach Deutschland
bemühten. 1973 schließlich erreichte der Anteil der türkischen Staatsangehörigen an der
ausländischen Bevölkerung in Deutschland mit damals 910 500 Personen einen ersten
Höhepunkt. Stammte bisher der Großteil der in Deutschland lebenden Ausländer aus
Italien, Griechenland, Spanien und Portugal, so sind seither die türkischen Migranten
die größte ausländische Bevölkerungsgruppe in Deutschland.
Ausgelöst durch die Explosion des Ölpreises im Herbst 1973 und der sich andeutenden
Rezession der Weltwirtschaft erließ die Bundesregierung November 1973 einen
Anwerbestopp für Ausländer, die nicht aus Mitgliedstaaten der Europäischen
Gemeinschaft kommen (ù en & Goldberg, 1994). Ziel dieser Maßnahme war die
langfristige Verringerung der Ausländerzahl in Deutschland. Während sich infolge des
Anwerbestopps die Zahl der in Deutschland beschäftigten ausländischen Arbeitnehmer
insgesamt verringerte, war dies für die türkische Wohnbevölkerung nicht der Fall. Nach
einer Stagnation im Jahr 1974 stieg die Zahl der in Deutschland lebenden Türken noch
weiter an, was vor allem auf ein verändertes Zuwanderungsverhalten zurückzuführen
ist. Während es vor dem Anwerbestopp den türkischen Migranten offen stand, nach
einer Rückkehr in die Türkei wieder eine Stelle in Deutschland anzunehmen, richteten
sich nun viele darauf ein, längere Zeit in Deutschland zu bleiben. Mit dieser
Entscheidung wuchs verstärkt der Wunsch der größtenteils männlichen Beschäftigten,
ihre Ehefrauen und Kinder nach Deutschland zu holen. Erleichtert wurde dies durch ein
1974 von der Bundesregierung verabschiedetes Gesetz zur Familienzusammenführung,
das sich auf internationales Recht stützte und es Arbeitsmigranten erlaubte, ihre
Familien in die BRD nachzuholen (Polat, 1998).

16
Durch die verstärkten Bemühungen um Nachzug der Familienangehörigen veränderte
sich auch die Gruppe der Türken in Deutschland insgesamt. Der Anteil der weiblichen
und nicht erwerbstätigen Personen stieg stark an. Türkische Arbeitsmigranten holten
zunächst ihren Ehepartner nach Deutschland, die Kinder verblieben oft bei den
Großeltern oder anderen Verwandten in der Türkei. Im Laufe der Jahre und mit
steigender Verbleibabsicht kamen jedoch die Kinder, meist zuerst die jüngsten, in die
Bundesrepublik nach (Greve & dÕ nar, 1998). Einige Migrantenkinder verbrachten Teile
ihrer Jugend und Kindheit immer wieder längere Zeit in der Türkei, bevor sie wieder
von ihren Eltern nach Deutschland geholt wurden. Der nur schrittweise Zuzug der
Familien war auch ein Weg, die familiären Bande in die Türkei zu erhalten. Ein
endgültiger Nachzug des letzten Kindes oder sogar der Großeltern wurde als großer
Einschnitt in der emotionalen Trennung vom Heimatland erlebt.
Als Folge des vermehrten Familiennachzugs bewegten sich die Zuwanderungszahlen
weiterhin auf dem Niveau der Phase vor dem Anwerbestopp 1973. Für 1980, bei
beginnender wirtschaftlicher Rezession und steigender Arbeitslosigkeit, vermerkt das
statistische Bundesamt einen Zuzug von 212 000 türkischen Migranten. Dies
veranlasste die Bundesregierung 1981 das Familienzusammenführungsalter von 18 auf
16 Jahre zu senken und 1983 mit dem ,,Gesetz zur Förderung der Rückkehrbereitschaft
von Ausländern" finanzielle Anreize für eine Remigration zu setzen (vgl. ù en, 2002).
Ausländische Arbeitnehmer konnten im Zuge dieses Programms bei einer
Auswanderung bis Mitte 1984 bis zu 10 500 DM Rückkehrhilfe zuzüglich 1 500 DM
für jedes Kind erhalten. Vorraussetzung war jedoch, dass die Migranten ,,im
Familienverband und ohne Möglichkeit eines erneuten Zuzugs in die Bundesrepublik"
ù en & Goldberg, 1994, S. 24) in die Türkei zurückkehrten. Ihnen wurde nur die von
ihnen selbst einbezahlten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung ausbezahlt,
nicht jedoch der Arbeitgeberanteil. Damit verzichteten die Rückkehrer auf jegliche
Ansprüche bezüglich einer Rente in Deutschland. Neben diesen Nachteilen und dem
eher kleinen finanziellen Anreiz trug auch die schlechte wirtschaftliche Lage in der
Türkei sowie das Scheitern verschiedener türkischer Reintegrationsmaßnahmen für die
ehemaligen Migranten zur geringen Akzeptanz dieser Maßnahme bei. Rothe (1992,
zitiert nach Seibel-Erdt & ù öhret, 1999) geht von einer offiziellen Zahl von 186 000

17
Remigranten im Zusammenhang mit diesem Programm aus. In den folgenden Jahren
sank die Zahl der Rückkehrer wieder stark ab. Nachhaltiger wirkte sich nach Seibel-
Erdt und ù öhret, (1999) das Gesetz auf das emotionale Verhältnis zwischen Türken und
Deutschen aus. Die in der Boulevard-Presse einseitig diskutierten finanziellen Vorteile
der Migranten durch eine Rückkehr weckte den Sozialneid der deutschen Bevölkerung.
Die türkischen Familien hingegen wurden durch die überhöhten Erwartungen an ihre
Rückkehrbereitschaft unter gesellschaftlichen Druck gesetzt.
Mit dem anhaltenden Nachzug ganzer Familien und der Entscheidung, längerfristig in
Deutschland zu bleiben, wandelte sich auch der Charakter der türkischen Migration.
Von Gastarbeitern, die provisorisch und nur zum Zweck des Erwerbs in Deutschland
blieben, konnte nicht mehr die Rede sein. Aus einer reinen Arbeitsmigration wurde de
facto eine Einwanderung (Uzun, 1993), wodurch auch völlig neue Probleme und
Herausforderungen entstanden.
ù en und Goldberg (1994) beschreiben die Situation folgendermaßen:
Durch den Familiennachzug wurde die deutsche Gesellschaft mit einem für sie
neuen Phänomen konfrontiert. Sie mußte plötzlich feststellen, dass die sozialen
Folgen der Migration bisher nicht berücksichtigt worden waren. Schulen,
Kindergärten und Behörden waren auf diese neue Gruppe nicht eingestellt. Die
schulische und berufliche Integration der türkischen Jugendlichen stellte neue
Herausforderungen an die Institutionen. Das oft zitierte Wort (...) Max Frischs
,,Wir haben Arbeitskräfte geholt und Menschen sind gekommen" traf in dieser
Phase verstärkt zu. (S. 22)
Mit der Ansiedlung ihrer Familien verließen die türkischen ArbeitsmigrantInnen auch
die beengten Verhältnisse in den Gastarbeiter-Wohnheimen. Sie versuchten
hauptsächlich in Mittel- und Großstädten billige Wohnungen zu finden, in denen die im
Vergleich zu deutschen Haushalten durchschnittlich größeren türkischen Familien Platz
fanden. Die Wertschätzung des Zusammenlebens im Familienverband und der damit
verbundene Bedarf an großen, preisgünstigen Wohnungen führte in städtischen
Ballungsräumen wie (West-) Berlin laut Greve und dÕ nar (1998) zu einer konzentrierten

18
Ansiedlung in den Sanierungsgebieten der Städte, in Berlin z.B. in den Stadtteilen
Kreuzberg, Wedding oder Tiergarten. Seit Mitte der siebziger Jahre stellte sich eine
,,Normalisierung" der Lebensverhältnisse ein, in dem Sinne, dass sich in Gebieten mit
hoher türkischer Wohnbevölkerung ein eigenes türkisches Stadtleben entwickelte. Eine
türkische
Infrastruktur
mit
türkischen
Geschäften,
Restaurants,
kleinen
Handwerksbetrieben und türkischen Reisebüros, die vor allem die Heimatflüge der
Deutschland-Türken organisierten, entstand (a.a.O.). Gerade der Bedarf in dieser
türkischen ,,Nischen-Ökonomie" bot vielen Migranten die Möglichkeit ihren Traum von
einer Selbstständigkeit nun nicht in der Türkei, sondern in Deutschland zu
verwirklichen. Die Zunahme der türkischen Unternehmer in Deutschland von 3000 im
Jahr 1970 auf 64 000 im Jahr 1997 (Königseder, 2001) lässt sich auch auf die seit den
siebziger Jahren im Vergleich zur deutschen Bevölkerungsgruppe überdurchschnittlich
hohen Arbeitslosenquote zurückführen. Ein eigenes Geschäft war eine attraktive
Alternative zu bisherigen Erwerbsmöglichkeiten für Türken in Deutschland, die doch in
der Mehrheit aus physisch und auch psychisch belastenden Tätigkeiten als
Industriearbeiter mit eher unterdurchschnittlicher Bezahlung bestanden. Nach ù en
(1996) fällt in diese Konsolidierungsphase auch der Aufbau der politischen und
religiösen Vereinsinfrastruktur der türkischen Bevölkerungsgruppe in Deutschland.
Diese Vereine zeichneten sich in den ersten Jahren noch durch eine starke Orientierung
auf die politischen und religiösen Strukturen in der Türkei und die damit verbundenen
Auseinandersetzungen
zwischen
den
Gruppierungen
aus.
Nach
den
Rückkehrförderungsmaßnahmen der Bundesregierung 1983-84, die bei den meisten
Remigranten mit negativen Erfahrungen verbunden waren (vgl. dazu Seibel-Erdt &
ù öhret, 1999 und ù en, 1996), wendeten sich die meisten Vereine jedoch der aktiven
Mitgestaltung des gesellschaftlichen Lebens in der BRD zu. Im ihrem wachsenden
Selbstverständnis als Migrantenvereine widmeten sich immer mehr Gruppierungen der
Verbesserung der Lebenssituation von Migranten aus der Türkei in Deutschland.
Gleichzeitig entwickelten sich die Anfänge der inzwischen komplexen und heterogenen
deutsch-türkischen Presse- und Medienlandschaft.
Die zahlreichen türkischen Jugendlichen und Kinder, die als Seiteneinsteiger in
deutsche Schulen eintraten, stellten durch ihre sprachliche und kulturelle Sonderstellung

19
eine Herausforderung für die deutschen Behörden dar. Durch sogenannte ,,Maßnahmen
zur
Berufsvorbereitung
und
sozialen
Integration"
sollte
in
speziellen
Vorbereitungsklassen eine verbesserte Eingliederung der türkischen Jugendlichen in
eine Berufsausbildung in Deutschland erreicht werden. ù en und Goldberg (1994)
schätzen jedoch den Erfolg dieser Maßnahmen, die nur kurzfristig ansetzten und die
Heterogenität der schon in der Türkei durchlaufenen Schulausbildungen der
Jugendlichen nicht mit berücksichtigten, als eher gering ein.
Dennoch intensivierte sich durch diese ersten Kinder und Jugendlichen aus der Türkei,
die deutsche Kindergärten und Schulen besuchten, die Auseinandersetzung der
türkischen Migranten mit der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Durch Teilnahme am
deutschen Bildungssystem erwarben diese Migranten der zweiten Generation
Zweisprachigkeit in einem weit stärkeren Ausmaß als die Generation ihrer Eltern. Viele
von ihnen lebten in einer sprachlich zweigeteilten Welt. Im schulischen Kontext nutzten
sie die deutsche Sprache, nach Greve und dÕ nar (1998) oft auch als Vermittler und
Übersetzer zwischen den Lehrern und ihren Eltern, im familiären und außerschulischen
Bereich war die türkische Sprache obligatorisches Mittel der Kommunikation. Gerade
im jungen Alter nach Deutschland gekommene Migranten oder hier geborene Kinder
von Mitgliedern der ersten Migrantengeneration zeichnen sich im Vergleich zu ihren
Eltern durch eine weitaus geringere Gastarbeitermentalität aus. Während die erste
Generation der Migranten noch eine starke Orientierung an den Wertvorstellungen der
Türkei verbunden mit einer eher geringen Anteilnahme an den Verhältnissen der
Aufnahmegesellschaft zeigt, sieht ù en (1996) in ihren Kindern ,,Experten des Lebens in
Deutschland (die) sowohl sprachlich als auch kulturell oftmals eine größere Kompetenz
im Umgang mit der deutschen Gesellschaft aufweisen" (S. 268).
Diese zweite Generation wurde in den achtziger und neunziger Jahren erwachsen und
prägte zunehmend das Leben der türkischen Gemeinschaft in Deutschland. Durch ihre
Ausbildung und Berufstätigkeit, ihre sozialen und politischen Aktivitäten entwickelte
sich eine heterogene soziale und kulturelle Vielfalt, welche die einst homogene Gruppe
der türkischen Migranten heute auszeichnet.
In den achtziger Jahren stagnierte die Zahl der in der Bundesrepublik lebenden Türken
nach Angaben in ù en und Goldberg (1994) mit leichter Varianz bei ca. 1, 5 Millionen.

20
Während der neunziger Jahre wuchs die türkische Gemeinschaft aufgrund des
Geburtenüberschusses in dieser Bevölkerungsgruppe auf etwa 2 Millionen an. Für 2002
verzeichnet das Statistische Bundesamt 1 912 169 türkische Staatsangehörige in
Deutschland, wovon mehr als ein Drittel in Deutschland geboren wurde (Statistisches
Bundesamt, 2002). Die türkische Bevölkerungsgruppe ist damit mit einem Anteil von
26,1 % die mit Abstand größte ausländische Bevölkerungsgruppe in Deutschland.
1.2 Gesellschaftliche Situation der türkischen Bevölkerungsgruppe in
Deutschland
Während die Betrachtung der türkischen Bevölkerungsgruppe in Deutschland unter
Marketing-Gesichtspunkten eine eher neue Entwicklung darstellt, findet sich eine
Vielzahl von wissenschaftlichen Publikationen, die sich mit der psychosozialen
Situation der Migranten oder mit Fragen der Migrations- und Integrationsforschung
auseinandersetzen. Nach Polat (1998) thematisiert die Mehrzahl dieser Arbeiten die
konflikthafte Situation der türkischen Minderheit, ihr ,,Hin-und-her-Gerissensein
zwischen den Kulturen und Wertesystemen" (S. 10) (vgl. dazu z.B. Lajios, 1991).
Zusätzlich steht die Gruppe der Türken in Deutschland oft exemplarisch für alle
ausländischen Bevölkerungsgruppen in Deutschland. Laut Firat (1990) werden die
Begriffe Ausländer
oder Gastarbeiter
in der deutschen
Öffentlichkeit
überdurchschnittlich häufig mit Personen aus der Türkei assoziiert. Zur Begründung
nennt er zum einen die rein numerische Größe dieser Gruppe, zum anderen aber auch
die im Vergleich zu anderen Migranten-Gruppen als relativ groß empfundene kulturelle
Distanz zur Mehrheitsgesellschaft, bezogen auf Religion, Sprache oder Gebräuche. Vor
allem die unterschiedliche religiöse Tradition, die beide Kulturen in starkem Maße
prägt, trägt zu diesem Empfinden bei (vgl. Sauer, 2003). Diese subjektiv große
kulturelle Distanz schlägt sich auch in dem verstärkten Forschungsinteresse nieder, dem
gerade diese Gruppe ausgesetzt ist, mit Schwerpunkt auf Defizit- und Konfliktmodellen.
Die Bandbreite der untersuchten Problembereiche reicht von Ausländerfeindlichkeit und
Diskriminierung, Problemen am Arbeitsplatz und in der Freizeit, über Identitäts- und
Schulprobleme ausländischer Schüler, Schwierigkeiten mit Behörden und Ämtern, bis
hin zu migrationsbedingten gesundheitlichen, psychischen und sozialen Folgen. Rosch

21
(1985) bezeichnet die Problematik der Interaktion zwischen Deutschen und
ausländischen Bevölkerungsgruppen in ihrer Gesamtheit daher auch als zeitlich
langfristig, quantitativ vieldimensional und qualitativ vielschichtig.
Eine umfassende Erörterung dieses politisch und gesellschaftlich ungemein wichtigen
Themenkomplexes würde jedoch den Umfang dieser Arbeit sprengen, obwohl solche
Überlegungen natürlich untrennbar mit der gesellschaftlichen Situation türkischer
Migranten verbunden sind. In Bezug auf ethnisches Marketing sind jedoch v.a. solche
Befunde und Theorien relevant, die zu einem besseren Verständnis der Entstehung bzw.
Veränderung bestimmter vorliegender Werthaltungen oder Konsumgewohnheiten
innerhalb der türkischen Zielgruppe beitragen. Daher soll versucht werden, sich in der
weiteren Darstellung auf demographische Merkmale der türkischen Bevölkerung sowie
solche migrationsbedingten Faktoren zu konzentrieren, die, wie beispielsweise
ethnische Identität, einen Bezug zum Konsumentenverhalten dieser Gruppe und ihrer
Akzeptanz von Ethno-Marketing-Maßnahmen zeigen.
2.2.1 Demographie
Neben den 1.9 Millionen türkischen Staatbürgern in Deutschland umfasst die türkische
Bevölkerungsgruppe auch Türken, die die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen
haben. Weiß und Trebbe (2001) gehen in ihrem Forschungsbericht für das
Bundespresseamt von 330 000 Türken mit deutscher Staatsangehörigkeit im Jahr 1998
aus. Zusammen mit den nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Zeitraum
1999-2002 neu eingebürgerten 320 000 Türken (Statistisches Bundesamt, 2003) beläuft
sich demnach die Gesamtzahl der Türken mit deutscher Staatsangehörigkeit auf
ca. 650 000. Die gesamte Gruppe der in Deutschland lebenden Türken umfasst nach
diesen Hochrechnungen und nach Angaben des Zentrums für Türkeistudien (ZfT)
(Goldberg, Halm, & Sauer, 2003) gegenwärtig rund 2.5 Millionen Personen
2
, das sind
rund drei Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung.
Nach der Studie des Bundespresseamtes (Weiß & Trebbe, 2001) leben mehr als drei
Viertel der Türken in Deutschland in Nordrhein-Westfalen (33 %), Baden-Württemberg
(15 %), Bayern (12 %), Hessen (9 %) und Berlin (8 %). Die türkische
2
Schwankungen in den Schätzungen ergeben sich durch die nicht erfassten illegalen Einwanderer und
durch Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit.

22
Wohnbevölkerung verteilt sich dabei relativ gleichmäßig auf kleine, mittlere und große
Wohnorte, ist jedoch in Großstädten mit mehr als 500 000 Einwohnern deutlich
überrepräsentiert. Hinsichtlich des Alters finden sich deutliche Unterschiede zwischen
der deutschen und der türkischen Bevölkerungsgruppe. Während rund ein Viertel der
deutschen Bevölkerungsgruppe über 60 Jahre alt ist, beträgt dieser Anteil bei der
türkischen Gruppe nur 5 Prozent. Etwa 50 Prozent beider Bevölkerungsgruppen sind
zwischen 30 und 60 Jahre alt. Rund 45 Prozent der Türken sind jedoch jünger als 30
Jahre, in der deutschen Gruppe beträgt dieser Anteil nur ca. 25 Prozent. Die türkische
Bevölkerungsgruppe ist somit im Durchschnitt deutlich jünger als die deutsche, was
ihre Attraktivität als Marketing-Zielgruppe sicherlich erhöht.
2.2.2 Aufenthaltsdauer
Die deutsch-türkische Migration blickt mittlerweile auf eine über 40-jährige Geschichte
in der Bundesrepublik zurück. Trotz Rückwanderungstendenzen während
wirtschaftlicher Krisenzeiten in den siebziger und achtziger Jahren lebt ein großer Teil
der türkischen Bevölkerungsgruppe bereits seit langer Zeit in Deutschland. Sauer und
Goldberg (2001) stellen in ihren Untersuchungen der türkischstämmigen Bevölkerung
in NRW fest, dass die türkische Bevölkerung durchschnittlich schon länger als 20 Jahre
(M= 22.83) in Deutschland lebt, die deutliche Mehrheit von 85% lebt zehn Jahre und
länger hier. Das Statistische Bundesamt beziffert den Anteil der türkischen
Staatsangehörigen, die länger als zehn Jahre in Deutschland leben für das Jahr 2000 auf
ca. 70% (Statistisches Bundesamt, 2001). In der Gruppe der Türken mit deutscher
Staatsangehörigkeit
findet
sich
allerdings eine
durchschnittlich
längere
Aufenthaltsdauer (24.5 Jahre) als bei den türkischen Staatsangehörigen (20,3 Jahre).
Diese Überrepräsentation von eingebürgerten Türken in der Gruppe, die schon sehr
lange in Deutschland lebt, hängt auch mit den rechtlichen Bestimmungen zusammen,
die bis 1999 einen Mindestaufenthalt von 15 Jahren und seit 2000 von acht Jahren vor
einer Einbürgerung erfordern (Sauer, 2003). Darüber hinaus verstärkt
verständlicherweise ein langer Aufenthalt, und damit verbunden ein Lebensmittelpunkt
in Deutschland, auch das Bestreben, die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen.
3
Befragt wurden in der Studie türkischstämmige Migranten über 18 Jahre.

23
Eine Ausnahme bilden die ehemaligen Gastarbeiter, die trotz langer Aufenthaltsdauer
am seltensten eine Einbürgerung erwägen oder diese ganz ablehnen (a.a.O.). Der Anteil
der ehemaligen Gastarbeiter an der türkischen Bevölkerung in der BRD beträgt nur
noch 14%, die Mehrzahl der Türken kamen aufgrund der Familienzusammenführung
(57%) nach Deutschland oder wurden hier geboren (22%)
3
. Insgesamt ist also der
größte Teil der Bevölkerungsgruppe durch ein jahrelanges Leben in Deutschland
geprägt.
2.2.3 Staatsangehörigheit
Der durch eine ausländische Staatsangehörigkeit festgelegte niedrigere Rechststatus in
Deutschland ist mit zahlreichen Benachteiligungen verbunden wie z.B dem dauerhaften
Ausschluss von politischer Mitbestimmung oder Einschränkungen auf dem Wohn- und
Arbeitsmarkt sowie im sozialen Sektor. Der mindere Rechtstatus bestimmt damit auch
die gesellschaftliche Sonderstellung der türkischen Bevölkerungsgruppe (ù en &
Goldberg, 1994). Die Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft ist ein besonders
wichtiger Aspekt der Beziehung zwischen den türkischen Migranten und der
Mehrheitsbevölkerung, wie auch die intensive öffentliche Diskussion um das neue
Staatsangehörigengesetz, das am 01. 01. 2000 in Kraft trat und die alte Regelung aus
dem Jahr 1913 ersetzte, zeigt
4
. Einerseits ist das neue Gesetz von deutscher Seite als ein
integrationspolitisches Zeichen zu sehen, da es die Basis der Einbürgerung ausweitet
und die rechtliche und politische Gleichstellung der Migranten ermöglicht. Laut Sauer
(2003) setzt das Gesetz ,,Signale für die Akzeptanz der Einwanderung als Faktum der
bundesdeutschen Gesellschaft und wirkt sich so positiv auf die Identitätsbildung aller
Migranten aus" (S. 80). Für die hier lebenden Migranten, die Deutschland als ihren
Lebensmittelpunkt betrachten, bietet sich damit die Möglichkeit, zu einer Angleichung
4
Mit dem Inkrafttreten des neuen Gesetztes wurde das ius sangunis, das Recht der Abstammung, um das
ius solis, das Recht des Bodens (Geburtsortprinzip) erweitert. Dadurch hat jeder in Deutschland
geborene Mensch Anspruch darauf, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten, unabhängig von der
Staatsangehörigkeit der Eltern, wenn ein Elternteil seit mindestens acht Jahren in Deutschland lebt.
Darüber hinaus können Ausländer, die mindestens seit acht Jahren in Deutschland leben, eine
Aufenthaltserlaubnis haben, die deutsche Sprache beherrschen, nicht von Arbeitslosen- oder Sozialhilfe
Gebrauch machen und keine Straftaten begangen haben, die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen.
Allerdings wurde eine doppelte Staatsangehörigkeit als Regelfall nach wie vor ausgeschlossen. Vgl. dazu
Goldberg, A. & ù en, F. (1999, S. 39).

24
der Verteilung sozialer und ökonomischer Chancen zu gelangen, was Esser &
Friedrichs (1990) als zentralen Aspekt ihrer theoretischen Überlegungen zur
Akkulturation
von
ethnischen
Minderheiten
und
Integration
in
der
Mehrheitsgesellschaft betrachten. Neben den Chancen zur gesellschaftlichen und
ökonomischen Teilhabe verändert die neue Regelung natürlich auch das
gesellschaftliche Bild der Migranten. Es entfernt sich weiter von dem des nur aus
ökonomischen Erwägungen zeitweise geduldeten Gastarbeiters und nähert sich dem
einer gleichberechtigten ethnischen Untergruppe innerhalb der Mehrheitsgesellschaft
an. (Reale Teilhabe und Wertschätzung als gleichberechtigte Bevölkerungsgruppe sind
entscheidende Einflussfaktoren bei der Betrachtung gesellschaftlicher Integration
ethnischer Minderheiten).
Ähnlich argumentieren ùHQ Sauer und Halm (2001) in ihrem Gutachten für die
Unabhängige Kommission "Zuwanderung":
Die Einbürgerung ist ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zu gelungener
Integration, weil sie den Migranten von der politischen Partizipations-
möglichkeit bis zur rechtlichen Gleichstellung zahlreiche Möglichkeiten der
gesellschaftlichen Teilhabe bietet. Einbürgerung kann dabei Resultat von
Assimilierungs- wie Inklusionsprozessen sein. Zugleich bedeutet das Angebot
zur Einbürgerung ein Signal der Akzeptanz der Zuwanderer durch die
Aufnahmegesellschaft, wodurch auch die weitere Integrationsbereitschaft
maßgeblich gefördert werden kann. (S.99)
Auf der anderen Seite schließt eine Einbürgerung nach dem neuen Gesetz eine
Doppelstaatsangehörigkeit als Regelfall aus. Sie ist für die türkischen Migranten mit der
Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit verbunden und damit sowohl aus
emotionaler als auch rechtlich-pragmatischer Sicht keine leichte Entscheidung. Gerade
für ältere Migranten und diejenigen mit starker Heimatverbundenheit kommt ein solcher
Schritt, der für viele den Verlust der kulturellen Identität und die endgültige Loslösung
von der alten Heimat bedeutet, oft nicht in Frage.

25
Darüber hinaus ist ein großer Teil der Migranten verunsichert über die rechtlichen
Nachteile, z.B. in Bezug auf das Erbrecht oder auf Grundbesitzerwerb in der Türkei, die
ihnen nach Abgabe der türkischen Staatsangehörigkeit entstehen. Die Debatte um die
Doppelstaatsangehörigkeit wurde auch in der Türkei heftig und emotional geführt, bis
hin zum Boykottaufruf des neuen Staatsangehörigengesetzes an die Migranten in
Deutschland. Der notwendige Nachweis deutscher Sprachkenntnisse verstärkt zusätzlich
die Vorbehalte der Migranten gegen eine Einbürgerung (vgl. Goldberg & ù en, 1999).
Nichts desto trotz demonstriert eine Einbürgerung sicher ein ,,gewisses Maß an
Identifizierung mit der Aufnahmegesellschaft" (Sauer, 2003, S. 80) von Seiten der
Einbürgerungsberechtigten. Das Erlangen der Staatsangehörigkeit ist gleichzeitig auch
als eine integrationsfördernde Bedingung zu sehen.
Die Entwicklung der Einbürgerung türkischer Migranten in den letzten Jahren spiegelt
diese Aspekte wieder. Insgesamt zeigt sich seit Anfang der neunziger Jahre eine
verstärkte Bereitschaft der türkischen Bevölkerungsgruppe zur Einbürgerung. Ein
vorläufiger Höhepunkt wurde 1999 mit 103 900 Einbürgerungen erreicht (Statistisches
Bundesamt, 2000). Einige Autoren verbinden diesen ,,Ansturm" mit der Unsicherheit
der Antragssteller bezüglich der Regelungen des neuen Staatsangehörigengesetzes.
Dementsprechend gingen die Einbürgerungszahlen seither wieder leicht zurück (2000:
82 812, 2001: 75 573, 2002: 64 631, Angaben des Statistischen Bundesamtes). Dennoch
geht Sauer (2003) davon aus, dass der Trend zur Einbürgerung, wenn auch
eingeschränkt durch die Vorbehalte gegen das neue Einbürgerungsgesetz, weiter anhält.
Knapp ein Drittel der Türken in Deutschland besitzen bereits ausschließlich oder
zusätzlich die deutsche Staatangehörigkeit, sieben Prozent sind Doppelstaatsbürger. Die
Möglichkeit der Doppelstaatsbürgerschaft bot sich durch die türkische Praxis, dass
ehemalige Staatsbürger nach Erlangen der deutschen Staatsangehörigkeit erneut den
türkischen Pass beantragen konnten. Diese Praxis wurde auf Druck der
Bundesregierung 1997 eingeschränkt, so dass eingebürgerte türkische Migranten in der
Türkei inzwischen nur noch eine Pembe-Kart
5
erhalten, die sie berechtigt,
eingeschränkt Grundbesitz zu erwerben und Erbrechte anzutreten, aber beispielsweise
das Wahlrecht nicht zuerkennt (vgl. Sen et al., 2001).
5
türk.: ,,rosa Karte"

26
Bei der Einbürgerung zeigt sich ein Zusammenhang mit dem Alter. Mit zunehmendem
Alter nimmt der Wunsch nach Einbürgerung und der Anteil der bereits eingebürgerten
türkischen Migranten ab. Zuwanderungsgrund und Aufenthaltsdauer beeinflussen
ebenfalls die Einbürgerungsabsicht. In Deutschland Geborene sind am häufigsten
eingebürgert oder haben dies noch vor. Ehemalige Gastarbeiter lehnen dagegen
mehrheitlich die Einbürgerung ab. In Zusammenhang mit der Aufenthaltsdauer zeigt
sich das Bild, dass diejenigen, die sich einbürgern lassen möchten, am kürzesten in
Deutschland leben. Am längsten lebt die Gruppe hier, die den Antrag bereits gestellt
hat, dicht gefolgt von denen, die eine Einbürgerung ablehnen. (siehe Sauer, 2003; Weiß
& Trebbe, 2001). Rund 55% der Migranten haben vor, sich einbürgern zu lassen oder
sind schon eingebürgert.
Nach der Untersuchung von Sauer & Goldberg (2001) geben die Mehrheit derer, die
nach eigener Einschätzung die Einbürgerungsvoraussetzungen nicht erfüllen, als Grund
mangelnde Sprachkenntnisse an. Entsprechend lehnt fast die Hälfte der Migranten das
Sprachkriterium im Einbürgerungsprozess ab. Dabei wird kritisiert, dass durch diese
Regelung gerade ältere Migranten, die zwar oft Defizite in der deutschen Sprache
zeigen, jedoch jahrelang in Deutschland leben, von der Einbürgerung ausgeschlossen
bleiben. Vorteile durch die Einbürgerung versprechen sich die Befragten vor allem in
rechtlicher Hinsicht und durch die politischen Partizipationsmöglichkeiten. Als Gründe,
die gegen eine Einbürgerung sprechen, gibt die Mehrheit der Migranten emotionale und
rechtliche Probleme an, die mit der Aufgabe der türkischen Staatsangehörigkeit
verbunden sind. Die häufigsten Nennungen betreffen die Nicht-Aufgabe der türkischen
Staatsbürgerschaft aus einem Verbundenheitsgefühl mit dem Heimatland heraus und die
Minderung ihres Rechtstatus' in der Türkei.
2.2.4 Heimatverbundenheit und Rückkehrabsicht
Der Wunsch nach deutscher Staatangehörigkeit hängt naturgemäß eng mit der
Heimatverbundenheit der Migranten und ihrer Rückkehrabsicht zusammen. Ehemalige
Gastarbeiter und ältere Migranten bekunden überdurchschnittlich oft den Wunsch in der
Zukunft irgendwann in die Türkei zurückzukehren, was Sauer (2003) auf ihre ,,mentale
Disposition als nur zeitweilig im Ausland Lebende" zurückführt. In vielen Fällen war

27
die ursprüngliche Motivation dieser Migranten der mehr oder weniger kurzfristige
Aufenthalt in Deutschland aus ökonomischen Gründen. Diese antizipierte Rückkehr in
die Türkei wurde aus ökonomischen oder organisatorischen Überlegungen immer
wieder nach hinten verschoben. Die Orientierung auf das Heimatland blieb jedoch eine
emotionale Ressource, die es den ehemaligen Arbeitsmigranten ermöglichte, die für sie
in Deutschland belastenden Umstände wie Einsamkeit, sprachliche und soziale
Isolation, Ausländerfeindlichkeit und Diskriminierung, schwierige oder ungewohnte
Lebensumstände und schwere Arbeit, zu bewältigen. Polat (1998) geht davon aus, dass
der
Rückkehrwunsch
in
diesem
Zusammenhang
als
,,individuelle
Rückkehrversicherung" zu sehen ist, die den Migranten jederzeit offen stehe und durch
Verschlechterung ihrer Lage, z.B. in sozioökonomischer Hinsicht oder durch
aufflammende ausländerfeindliche Tendenzen der Aufnahmegesellschaft, aktualisiert
wird. Während die Rückkehrorientierung, d.h. die Vorstellung vom Altern in der
Türkei, in der ersten Migrantengeneration noch ein konkreter Teil der eigenen
Lebensplanung ist, erfüllt sie bei Migranten der zweiten und dritten Generation
hauptsächlich psychische Funktionen. Für jüngere Türken, die sich im Spannungsfeld
zwischen beiden Kulturen bewegen, ist die Verbundenheit mit der Türkei und der
Gedanke an ein Leben in der Türkei nach ùHQ & Goldberg (1994) eine Möglichkeit
,,den dünnen Faden zur Heimat ihrer Eltern nicht abreißen zu lassen" (S. 50).
Gleichzeitig erhoffen sich viele Migranten von der Option, (zurück) in die Türkei zu
gehen, eine Erweiterung ihrer, durch ihren Status in Deutschland oft eingeschränkten
Entfaltungsmöglichkeiten (Sauer, 2003). Die Verbundenheit mit der Türkei und der
Wunsch nach einem Leben dort stärken das Zusammengehörigkeitsgefühl der
türkischstämmigen Migranten in Deutschland und sind nach Korte (1990) ein zentraler
Bestandteil ihrer kulturellen Identität.
Insgesamt geben jedoch 70 % der Migranten an, keine Rückkehr in die Türkei zu
planen. Davon sind ein Großteil Türken, die in Deutschland geboren wurden oder im
Zuge der Familienzusammenführung nach Deutschland kamen. Auch Beer-Kern (1994,
zitiert nach Polat, 1998) gibt an, dass die Migranten, die in Deutschland geboren
wurden oder in sehr jungem Alter nach Deutschland gekommen sind, weniger zu einer
Rückkehr in die Türkei neigen als diejenigen, die im Jugendalter oder später

28
zuwanderten. Generell steigen mit dem Alter Türkeiverbundenheit und
Rückkehrneigung an. Eine Ausnahme bilden die über 60-jährigen, die sich
wahrscheinlich schon konkret mit einer Rückkehr auseinandergesetzt haben und dabei
eine sinkende Rückkehrneigung zeigen. Möglicherweise haben sich viele Migranten
dieser Generation entschieden, wegen ihrer in Deutschland lebenden Kinder und Enkel
bewusst auf eine Rückkehr zu verzichten (Sauer, 2003). Dazu beitragen könnte auch die
in Deutschland als besser angesehene Versorgungslage für die in dieser Gruppe häufig
anzutreffenden psychischen und körperlichen Beschwerden der älteren Migranten.
Die Aufenthaltsdauer zeigt in diesem Zusammenhang keine so deutliche
Regelmäßigkeit. Die Rückkehrneigung ist in der Gruppe, die zwischen vier und neun
Jahren in Deutschland lebt, am höchsten und in der Gruppe mit der geringsten
Aufenthaltsdauer am niedrigsten. Erklären lässt sich das durch eine möglicherweise
einsetzende Ernüchterung der Migranten angesichts schlechter Erfahrungen in
Deutschland, die an Stelle der anfänglichen Euphorie oder zu optimistischer
Erwartungen in den ersten Jahren tritt (a.a.O.). Anders verhält es sich mit der Relation
von Aufenthaltsdauer und Türkeiverbundenheit. Mit steigender Aufenthaltdauer
bekunden die meisten Türken eine stärkere Verbundenheit mit Deutschland. Ob damit
aber gleichzeitig die Verbundenheit mit der Türkei zurückgeht ist zumindest nicht
eindeutig. Sauer und Goldberg (2001) gehen aufgrund ihrer Daten aus dem Jahr 2000
z.B. davon aus, das zunehmendes Heimatgefühl in Deutschland nicht unbedingt mit
einer emotionalen Loslösung von der Türkei verbunden ist, sondern eher zu einer
Doppelidentität beiträgt. Auch im Ausländersurvey des Deutschen Jugend Instituts
(DJI) (Weidacher, 2000) finden sich Hinweise, dass eine Verheimatung in Deutschland
ohne Rückkehrneigung bei jungen türkischen Migranten, im Vergleich zu griechischen
und italienischen Zuwanderern, durchaus mit einer ausgeprägten Verbundenheit mit der
Türkei oder zumindest mit der eigenen Volksgruppe koexistieren kann. Weidacher führt
dies auf die vergleichsweise ausgeprägten ethnischen Strukturen in dieser
Migrantengruppe zurück.
Zusätzlich zu diesen Faktoren wirkt sich auch die soziale Lage oder die wirtschaftliche
Situation der Migranten, subjektiv oder objektiv, auf Heimatverbundenheit und
Rückkehrabsicht aus, meist in der Richtung, dass mit geringer Zufriedenheit,

29
niedrigerem beruflichen Status und einer niedrigen Einschätzung der eigenen
wirtschaftlichen Situation eine relativ hohe Neigung zur Rückkehr und zur
Verbundenheit mit der Türkei gekoppelt ist (vgl. Waidacher, 2000; Sauer, 2003).
Da letztlich nur wenige der türkischstämmigen Migranten wirklich in die Türkei
zurückkehren, stellen Türkeiverbundenheit und Rückkehrneigung eher psychische
Einflussfaktoren dar, die Teil der kulturellen Identität der türkischen Minderheit sind
und verschiedenen Zielen dienen können. Sie tragen wohl mehr zum Selbstverständnis
und zum Zusammenhalt der türkischen Bevölkerungsgruppe bei, als dass sie wirklich
handlungsleitend im Sinne einer Remigration werden. In Zusammenhang mit der
Rezeption von Ethno-Marketing-Maßnahmen stellen sie möglicherweise Indikatoren
einer verstärkt ethnischen Orientierung dar.
2.2.5 Ökonomische Situation
Obwohl sich die ökonomischen Verhältnisse der türkischen Bevölkerungsgruppe
tendenziell denen der Mehrheitsbevölkerung angleichen, bestehen doch weiterhin
entscheidende Unterschiede. Die durchschnittliche Größe eines türkischen Haushalts
beträgt 3.8 Personen, verglichen mit durchschnittlich 2.2 Personen in einem deutschen
Durchschnittshaushalt (Ulusoy, 2003). Die deutlich größeren Haushalte lassen sich z. T.
auf den ausgeprägten Familiensinn der türkischstämmigen Migranten zurückführen.
Türkische Jugendliche bleiben in der Regel bis zur Gründung einer eigenen Familie und
oft auch darüber hinaus im Haushalt ihrer Eltern. Der hohe Stellenwert von Familie in
der türkischen Kultur fördert einen engen familiären Zusammenhalt, das ,,deutsche
Modell" mit größerer intergenerativer Autonomie und Distanz wird von Türken häufig
als kalt und gefühllos empfunden (vgl. Krauss-Weysser & U÷ urdemir-Brincks, 2002).
So ist es nicht verwunderlich, dass mit einem Anteil von 30 Prozent der Haushaltstyp
mit fünf oder mehr Personen, oder die Mehr-Generationen-Familie im Vergleich zur
Kernfamilie, die am häufigsten anzutreffende Lebensform in der türkischen
Bevölkerungsgruppe ist (Weiß & Trebbe, 2001). Ulusoy (2003) beziffert das
durchschnittliche Netto-Haushaltseinkommen türkischer Familien für das Jahr 1999 auf
4 144,- DM monatlich. Dementsprechend beläuft sich bei einem prototypischen Vier-

30
Personen-Haushalt das Pro-Kopf-Einkommen auf 1 036,- DM. Deutschen Haushalten
steht mit einem durchschnittlichen Netto-Haushaltseinkommen von 4 500,- DM bei 2.2
Personen pro Haushalt mit 2 045,- DM fast doppelt soviel Geld pro Person zur
Verfügung. Fünfzig Prozent aller türkischen Haushalte beziehen ein Netto-Einkommen
zwischen 2 500,- und 4 500,- DM. Nur eine Minderheit von 11 Prozent verfügt über
mehr als 5 500,- DM. Zu dem geringen Pro-Kopf-Einkommen trägt auch bei, dass zwar
mit zunehmender Personenzahl auch die Anzahl der erwerbstätigen Familienmitglieder
steigt, gleichzeitig jedoch bei steigender Haushaltsgröße die Zahl der Kinder
überproportional zunimmt. Das meiste Einkommen steht Ein-Personen-Haushalten und
Haushalten von Selbstständigen zur Verfügung. Negativ wirken sich große Haushalte,
höheres Alter - und damit verbunden eine geringere Zahl an Erwerbstätigen - sowie die
berufliche Stellung als Arbeiter auf das Einkommen aus. Ingesamt sind türkische
Haushalte gegenüber deutschen Haushalten finanziell schlechter gestellt. Bei 610 000
türkischen Haushalten in Deutschland ergibt sich dennoch ein Einkommensvolumen
von ca. 30.3 Mrd. DM jährlich (Ulusoy, 2003).
Aus der Art, wie dieses Geld ausgegeben wird, lassen sich Rückschlüsse über
Konsumdispositionen und Integrationsstatus der türkischen Bevölkerungsgruppe ziehen.
In Anlehnung an Polat (1998) lässt sich beobachten, dass in den letzten Jahren z.B. die
Ausgaben der türkischen Migranten für langlebige Konsumgüter wie Waschmaschinen,
Möbel, Fernseher etc. kontinuierlich gestiegen sind. Auch längerfristige Investitionen in
Form von Bausparverträgen oder Erwerb von Immobilieneigentum in Deutschland
nehmen zu. Diese Art dauerhaften Engagements ist ein Indikator für die langfristige
Verschiebung des Lebensmittelpunkts der türkischen Familien. Die gut dokumentierte
Gastarbeiter-Mentalität der ersten Migrantengeneration bedingte eher zurückhaltendes,
sparsames Konsumverhalten. Ein Großteil des erwirtschafteten Einkommens wurde in
den frühen Jahren der Migration in die Türkei transferiert. In manchen Jahren erreichten
die Überweisungen der ,,Auslandstürken" in die Türkei sogar fast die Einnahmen des
türkischen Staats aus Exporten (vgl. ù en und Goldberg, 1994). Inzwischen weisen
türkische Haushalte gegenüber deutschen sogar eine höhere Konsumneigung auf, vor
allem in der Anschaffung von elektrischen Geräten, bei Kraftfahrzeugen und
Unterhaltungselektronik (a.a.O.). Darüber hinaus geben türkische Familien rund ein

31
Viertel ihres monatlichen Einkommens für Lebensmittel und kurzfristige
Verbrauchsgüter aus (Ulusoy, 2003). Vor allem eine längere Aufenthaltsdauer steht im
positiven Zusammenhang mit der Höhe der monatlichen Ausgaben. Je länger jemand in
Deutschland lebt, desto höher sind seine Ausgaben. In der Alterstruktur sind es vor
allem die Türken der zweiten Generation zwischen 30 und 44 Jahren, die am meisten
ausgeben. Die 18 bis 29-jährigen zeichnen sich unter allen Altersgruppen durch die
höchsten Ausgaben im Bereich Freizeit/Hobby und Urlaub aus. In dieser Verteilung
spiegeln sich allerdings sowohl Mentalitätseffekte als auch Lebensphasen- und
Einkommenseinflüsse wieder (a.a.O). Die trotz langer Aufenthaltsdauer sehr sparsame
Gruppe der über 60-jährigen verfügt gleichzeitig über das geringste Einkommen. Die
ausgabenfreudigen 30- bis 44-jährigen haben bei vergleichsweise hohem Einkommen
oft Familie und erweitern noch ihren Hausstand.
Die relativ starke Konsumorientierung der zweiten Generation führen Kraus-Weysser &
Ugurdemir-Brincks (2002) nach einer Studie der Berliner Ethno-Agentur LabOne auf
die spartanische Lebensweise ihrer Eltern zurück, durch die sie auf viele
Annehmlichkeiten, die für ihre deutschen Altersgenossen selbstverständlich waren,
verzichten mussten. Zusätzlich kommt der zweiten Generation zumindest teilweise auch
das durch das zurückhaltende Konsumverhalten der Eltern angesparte Vermögen
zugute.
Aktuell geben etwa die Hälfte der von Ulusoy (2003) befragten Türken an, regelmäßig
Geld zur Seite zu legen. Die trotz des im Vergleich zur deutschen Bevölkerung
niedrigeren Haushalts- und Pro-Kopf-Einkommens sehr hohe Sparquote
6
von 12% lässt
sich möglicherweise auf ein Überdauern der Sparorientierung der Arbeitsmigranten
zurückführen. Für alle türkischen Haushalte ergibt sich daraus ein jährliches
Sparvolumen von 1.8 Mrd. Euro. Nach beruflicher Stellung zeigen die Selbstständigen,
als Gruppe mit dem höchsten Einkommen, auch die höchste monatliche Sparsumme.
Auffallend ist, dass gerade Arbeiterhaushalte als die Gruppe mit dem niedrigsten
Einkommen nach den Selbstständigen am meisten sparen. Gemessen an ihrem Netto-
Einkommen erreichen sie die gleiche Sparquote wie Selbstständige. Anscheinend
herrscht in dieser Gruppe aufgrund des größeren Anteils von Älteren und Migranten der
6
Anteil des durchschnittlichen Sparvolumens am durchschnittlichen Netto-Haushalteinkommen.

32
ersten Generation und bedingt durch die berufliche Stellung noch stärker ein
vorsichtiges Konsumverhalten mit Spartendenzen vor.
Eine besondere Rolle bei der Betrachtung der ökonomischen Situation der türkischen
Bevölkerungsgruppe spielen die türkischen Selbstständigen oder Unternehmer. Der
prototypische türkische Arbeitsmigrant der siebziger und achtziger Jahre verrichtete
gemäß einer ,,ethnischen Arbeitsteilung in der Wirtschaft" (Seibel-Erdt & ù öhret, 1999,
S. 21) mehrheitlich ungelernte, körperlich schwere und gesundheitsgefährdende
Lohnarbeiten in der Industrie. Einige Autoren entdecken in diesem Zusammenhang ein
sogenanntes türkisches Subproletariat, obwohl Heckmann (1992) in diesem Ausdruck
eher eine umgangsprachliche Metapher mit geringem soziologischen Gehalt sieht und
vorschlägt ,,bei der Population der Arbeitsmigranten von einer unterprivilegierten
Schicht innerhalb der Arbeiterschaft (zu) sprechen, die Merkmale einer
frühproletarischen Lage aufweist" (S. 89). Im Kontrast dazu steht seit Mitte der 80er
Jahre zunehmend der Typ des türkischen Unternehmers exemplarisch für die
Entwicklung eines türkischen Mittelstands in Deutschland. Ulusoy und Siebert (2001)
sprechen von einem regelrechten ,,Gründer-Boom" seit 1980, da seither die Anzahl der
türkischen Unternehmensgründungen sehr viel schneller ansteigt als die Größe der
türkischen Bevölkerungsgruppe erwarten ließe. So stieg die Zahl der türkischen
Selbstständigen von 22 000 im Jahr 1985 auf 59 500 im Jahr 2000. Türkische
Unternehmen in Deutschland beschäftigen rund 300 000 Menschen, was den Rahmen
einer reinen Nischenökonomie übersteigt.
Unternehmensgründungen von Migranten im Einwanderungsland sind aufgrund des
dazu nötigen langfristigen und z.T. generationenübergreifenden Engagements ein
Hinweis auf eine fortschreitende Orientierung der Migranten auf die neue Heimat (vgl.
Ulusoy und Siebert, 2001). Die Ausgangsmotivation für die Gründung einer
selbstständigen Existenz beruht auf der verbreiteten Zielsetzung von Arbeitsmigranten,
durch befristete Lohnarbeit langfristig finanzielle und berufliche Unabhängigkeit zu
erlangen. Dieser ursprünglich auf eine Rückkehr in die Türkei bezogene Wunsch wird
mit sinkender Rückkehrwahrscheinlichkeit auf das Einwanderungsland übertragen

33
(Heckmann, 1992). Sofern ,,dieser Wunsch nicht persönlich verwirklicht werden
konnte, wurde er auf die Kinder übertragen, die mit dem im Laufe der Zeit angesparten
Kapital günstige Startbedingungen besaßen" (ù en und Goldberg, 1994, S. 35).
Zusätzlich zu der Vorstellung von Selbstständigkeit als ,,Wert an sich" bietet eine
Existenzgründung pragmatisch eine attraktive Möglichkeit der Arbeitsplatzsicherung,
v.a. da durch die ,,Krise unqualifizierter Arbeit" (Heckmann, 1992) die in diesem
Bereich immer noch stark vertretenen ausländischen Arbeitnehmer überdurchschnittlich
häufig von Arbeitslosigkeit betroffen sind
7
. Neben strukturellen Merkmalen spielt
jedoch auch die Diskriminierung ausländischer Arbeitnehmer eine Rolle bei der
schlechten Position dieser Bevölkerungsgruppe auf dem deutschen Arbeitsmarkt, wie
zum Beispiel die Studie des ZfT für das International Labour Office (ILO) belegt
(Goldberg, Kulke & Mourinho, 1995).
Die türkischen Selbstständigen als mittelstandsorientierte Subgruppe sind ein Beispiel
für eine fortschreitende soziale Heterogenisierung der ehemals einheitlichen türkischen
Migrantengruppe
(ù en,
1996).
Die
Ausdifferenzierung
der
türkischen
Bevölkerungsgruppe trägt zu Veränderungen hinsichtlich des sozialen und beruflichen
Status', der wirtschaftlichen und politischen Teilhabechancen und damit der Integration
und Partizipation der ethnischen Gruppe bei. Es ist wahrscheinlich, das sich dies auch
auf Konsumorientierungen und die kulturelle Identität der Türken in Deutschland
auswirkt. Türkische Unternehmer als Arbeitgeber und Investoren sind ein nicht zu
vernachlässigender volkswirtschaftlicher Faktor in Deutschland. Der mit Ihnen
verbundene gesellschaftliche Statusgewinn beeinflusst auch das Selbstverständnis der
türkischen Minderheit (vgl. Goldberg & ù en, 1994).
Beachtenswert ist, dass die in Deutschland lebenden Türken ihre wirtschaftliche Lage
trotz bestehender objektiver Unterschiede mehrheitlich nicht schlechter sehen als die
Deutschen. Nach aktuellen Erhebungen des ZfT und der Konrad-Adenauer-Stiftung
(vgl. Sauer & Goldberg, 2001 und Wilamowitz-Moellendorff, 2002) schätzen ein
Großteil der Migranten ihre wirtschaftliche Situation als gut bis sehr gut ein und zeigen
sich zufrieden mit dem in Deutschland Erreichten. Eine Mehrheit verspricht sich
7
Für das Jahr 2000 betrug die Arbeitslosenquote unter der türkischen Bevölkerungsgruppe mit 20,2 %
mehr als das Doppelte der Gesamtquote von 10 % (Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen,
2002).

34
allerdings von der Zukunft für sich und ihre Kinder eine weitere Verbesserung der
Lebenssituation und der finanziellen Lage.
2.2.6 Mediennutzung
Die türkische Bevölkerung in Deutschland kann neben dem deutschen Angebot an
Tagezeitungen und Fernsehprogrammen auf ein inzwischen ausdifferenziertes Spektrum
an türkischen Medien zurückgreifen. Der Nutzung dieser Angebote und der
Bevorzugung türkischer oder deutscher Medien wird dabei immer wieder Relevanz für
die Integration oder die kulturelle Identität der türkischen Bevölkerungsgruppe
zugeschrieben (vgl. Weiß & Trebbe, 2001). Medien beeinflussen das Bild der
Migranten von der Aufnahmegesellschaft, ihre Integration ist selbst Teil der
Medienberichterstattung. Die türkischen Medien stellen für viele Migranten, die seit
Jahren nicht mehr in der Türkei leben, ein Bindeglied der gesellschaftlichen Teilhabe
zur Türkei dar. Gerade in den der persönlichen Erfahrung nicht direkt zugänglichen
Bereichen Kultur oder Politik sind Medien nach Sen et al. (2001) ,,nicht nur
Informations- sondern auch Bewertungs- und Interpretationslieferant und somit eine
zentrale Meinungsbildungsinstanz. Dies gilt für den permanenten Prozess der
Identitätsbildung wie für das Wissen über und die Einstellung zu politischen und
gesellschaftlichen Themen" (S. 67).
Bis Ende der 80er Jahre nutzten die Migranten vornehmlich die regulären deutschen
TV-Programme und von den deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten
produzierten Zielgruppensendungen für die in Deutschland lebenden Ausländer.
Vornehmlich deshalb, weil kaum türkische Sender zur Verfügung standen. Der
aufgrund sprachlicher Defizite oder emotionaler Verbundenheit mit der eigenen
Herkunft bestehende Bedarf an türkischen Medien wurde in den 80er Jahren noch
vornehmlich durch aus der Türkei importierte Videos gedeckt. Die Beliebtheit dieser
Filme mit unterhaltendem oder religiösen Inhalt führte nach Goldberg & ù en (1994) zu
einem regelrechten Videoboom. Mit dem Aufkommen des Privat- und
Satellitenfernsehens und der damit entstanden Bandbreite an staatlichen und privaten
türkischen Sendern wandten sich viele Migranten dem Angebot der türkischer Medien
zu (Eckhardt, 2000).

35
Ob die Hinwendung zu heimatsprachlichen Medien als Ausdruck von verstärkten
Segregationstendenzen im Sinne einer sogenannten ,,medialen Ghettoisierung"
(Güntürk, 1999, S. 140) und damit als integrationshemmend zu sehen ist, wird intensiv
diskutiert. Sen et al. (2001) sehen in dem türkischen Medienangebot eine notwendige
Ergänzung, die den Mangel in den deutschen Medien die Interessen der Migranten
betreffend ausgleichen hilft und zur ,,Konsolidierung der ethnisch-kulturellen Identität"
(S.67) beiträgt. Dass türkische Medien nicht nur als Brücke zur Heimat, sondern auch
als Plattform der in Europa lebenden Türken zu sehen sind, zeigt sich in Angeboten, die
sich stärker mit den Anliegen der Migranten beschäftigen. Der populäre Ableger des
türkischen Staatsfernsehens TRT-Int ist speziell auf die Belange der Türken im Ausland
ausgerichtet. Auch die meisten türkischen Tageszeitungen haben Redaktionen in
Deutschland und sogenannte Europa-Seiten, auf denen über gesellschaftliche und
kulturelle Entwicklungen berichtet wird, die die Migranten in Deutschland betreffen
(Güntürk, 1999). Die großen türkischen Tageszeitungen werden schon seit den 70er
Jahren in Deutschland angeboten und passten ihre Berichterstattung den sich
wandelnden Bedürfnissen der türkischen Bevölkerungsgruppe in Deutschland an. Für
Migranten der ersten Generation, die häufiger mit Sprachproblemen zu kämpfen haben,
stellen gerade die heimatsprachlichen Angebote der Zeitungen eine Möglichkeit dar, an
aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen und Diskussionen in Deutschland
teilzunehmen oder sich ganz konkret z.B. über Gesetzesänderungen und ähnliches zu
informieren.
Demgegenüber wird in dem einseitigen Konsum türkischer Medien als Einschränkung
der interkulturellen Kommunikation auch eine Gefahr für die Integration der Migranten
im Sinne einer medialen Isolation gesehen. Güntürk (1999) weist darauf hin, dass etwa
im türkischen Fernsehen nicht sehr häufig Informationen über die deutsche Gesellschaft
vermittelt werden. Das ZfT (vgl. Sen et al., 2001) bemängelt ein eingeschränktes
Meinungsspektrum und ein einseitiges, nationalistisch geprägtes Informationsangebot in
der türkischen Berichterstattung, was nationale, religiöse und kulturelle Einstellungen
verfestigen könnte, die eine Integration in die deutsche Gesellschaft erschweren.
Der Untersuchung von Weiß & Trebbe (2001) zur Mediennutzung im Zusammenhang
mit der Integration türkischer Migranten liegt die Annahme zugrunde, dass die Nutzung

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2003
ISBN (eBook)
9783832486815
ISBN (Paperback)
9783838686813
DOI
10.3239/9783832486815
Dateigröße
3.8 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Freie Universität Berlin – Erziehungswissenschaft und Psychologie
Erscheinungsdatum
2005 (April)
Note
1,0
Schlagworte
konsumentenforschung identität zielgruppen-marketing marktsegmentierung deutschtürken
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Titel: Ethno-Marketing
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