Das Mutterbild hinter der Früh- und Vorschulpädagogik in Deutschland und Frankreich
©2005
Examensarbeit
87 Seiten
Zusammenfassung
Inhaltsangabe:Zusammenfassung:
Ob Deutsche oder Französinnen, immer mehr junge Frauen bereiten sich auf ein autonomes Berufsleben vor. Sie qualifizieren sich beruflich und fordern damit ihre Teilhabe an der Arbeitswelt.
Doch wie steht es um die Berufstätigkeit der Frauen, wenn sie Mütter werden: Nachwuchs bekommen - und arbeiten? Im interkulturellen Vergleich finden sich zwischen den Wünschen und Lebensvorstellungen junger deutscher und französischer Mütter große Unterschiede. Im direkten Vergleich familienpolitischer Entscheidungen zeigt sich besonders eindrücklich, welchen Platz die Gesellschaft diesen Lebensplanungen einräumt und wie bereits traditionell stark unterschiedlich geprägte Mutterbilder die individuellen Lebensentwürfe beeinflussen.
Mein Interesse in der hier vorgelegten Arbeit gilt der Frage, welche gegenwärtigen deutschen und französischen Vorstellungen und Ideen das Band zwischen Müttern zu ihren Kindern und dem Staat zusammenhält und welche wechselseitigen Bezüge darin sichtbar werden. Dabei ist es mir besonders wichtig, dem Selbstbild von Frauen breiten Raum einzuräumen und die gesellschaftlichen Rollenzuschreibungen, die Mutterbilder der beiden Länder, ins Zentrum meiner Arbeit zu stellen. Die darin zum Vorschein getretenen Widersprüche und Gemeinsamkeiten bilden die Folie für die notwendigen Veränderungsmöglichkeiten im familienpolitischen Bereich, bei den Teilhabemöglichkeiten im Erwerbsleben und den damit verbundenen Verbesserungen der Lebens- und Entwicklungsbedingungen von Kindern in einer Gesellschaft.
Die Familienpolitik eines Landes strukturiert die Rahmenbedingungen innerhalb derer die Frauen in einer Gesellschaft ihre persönlichen Lebensentscheidungen treffen. Familienpolitik übt in all ihren Facetten unterschiedlich starken Einfluss auf die Einzelnen aus, dabei wirken einzelne Maßnahmen vorwiegend als normative Orientierungsgrundlagen andere als Ressourcenausstattung, die die Handlungsmöglichkeiten von Frauen erweitern oder einschränken. Im interkulturellen Vergleich sollte es in dieser Arbeit um das Aufzeigen von Tendenzen und Anreizstrukturen, nicht aber um die Aussage gehen, dass politisch gesetzte Rahmenbedingungen das Handeln der einzelnen alternativlos erzwingen. Allerdings konnten im letzten Teil der Arbeit eindeutige Belege für die in beiden Gesellschaften weit auseinander gehenden Sozialisationsvorstellungen von Kindern gefunden werden. Deutlich wurden diese in der Gegenüberstellung der […]
Ob Deutsche oder Französinnen, immer mehr junge Frauen bereiten sich auf ein autonomes Berufsleben vor. Sie qualifizieren sich beruflich und fordern damit ihre Teilhabe an der Arbeitswelt.
Doch wie steht es um die Berufstätigkeit der Frauen, wenn sie Mütter werden: Nachwuchs bekommen - und arbeiten? Im interkulturellen Vergleich finden sich zwischen den Wünschen und Lebensvorstellungen junger deutscher und französischer Mütter große Unterschiede. Im direkten Vergleich familienpolitischer Entscheidungen zeigt sich besonders eindrücklich, welchen Platz die Gesellschaft diesen Lebensplanungen einräumt und wie bereits traditionell stark unterschiedlich geprägte Mutterbilder die individuellen Lebensentwürfe beeinflussen.
Mein Interesse in der hier vorgelegten Arbeit gilt der Frage, welche gegenwärtigen deutschen und französischen Vorstellungen und Ideen das Band zwischen Müttern zu ihren Kindern und dem Staat zusammenhält und welche wechselseitigen Bezüge darin sichtbar werden. Dabei ist es mir besonders wichtig, dem Selbstbild von Frauen breiten Raum einzuräumen und die gesellschaftlichen Rollenzuschreibungen, die Mutterbilder der beiden Länder, ins Zentrum meiner Arbeit zu stellen. Die darin zum Vorschein getretenen Widersprüche und Gemeinsamkeiten bilden die Folie für die notwendigen Veränderungsmöglichkeiten im familienpolitischen Bereich, bei den Teilhabemöglichkeiten im Erwerbsleben und den damit verbundenen Verbesserungen der Lebens- und Entwicklungsbedingungen von Kindern in einer Gesellschaft.
Die Familienpolitik eines Landes strukturiert die Rahmenbedingungen innerhalb derer die Frauen in einer Gesellschaft ihre persönlichen Lebensentscheidungen treffen. Familienpolitik übt in all ihren Facetten unterschiedlich starken Einfluss auf die Einzelnen aus, dabei wirken einzelne Maßnahmen vorwiegend als normative Orientierungsgrundlagen andere als Ressourcenausstattung, die die Handlungsmöglichkeiten von Frauen erweitern oder einschränken. Im interkulturellen Vergleich sollte es in dieser Arbeit um das Aufzeigen von Tendenzen und Anreizstrukturen, nicht aber um die Aussage gehen, dass politisch gesetzte Rahmenbedingungen das Handeln der einzelnen alternativlos erzwingen. Allerdings konnten im letzten Teil der Arbeit eindeutige Belege für die in beiden Gesellschaften weit auseinander gehenden Sozialisationsvorstellungen von Kindern gefunden werden. Deutlich wurden diese in der Gegenüberstellung der […]
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
ID 8671
Spohr, Pia: Das Mutterbild hinter der Früh- und Vorschulpädagogik
in Deutschland und Frankreich
Hamburg: Diplomica GmbH, 2005
Zugl.: Universität Bremen, Staatsexamensarbeit, 2005
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http://www.diplom.de, Hamburg 2005
Printed in Germany
,,Würden die Frauen nur einmal wieder Mütter sein -
die Männer würden bald wieder Väter und Ehemänner werden."
J.J. Rousseau
Inhaltsverzeichnis
Einführung 1
1. Konzepte und Ziele aktueller Familienpolitik 2
1.1 Tendenzen aktueller Familienpolitik im Ländervergleich 7
1.2 Historische Hintergründe konzeptioneller Unterschiede 10
2. Instrumente der länderspezifischen Familienpolitiken 13
2.1 Erwerbstätigkeit von Müttern in Deutschland und Frankreich 16
2.2 Möglichkeiten öffentlicher und privater Kinderbetreuung im
Ländervergleich 19
2.3 Zusammenfassung des familienpolitischen Teils 21
3. Vorstellungen, Wünsche und Lebensplanungen junger Frauen
in Deutschland und Frankreich 24
3.1 Das normative Mutterbild in Deutschland 33
3.2 Frauen bringen Frankreich vorwärts - das normative Bild von
Müttern in der französischen Gesellschaft 37
4. Die pädagogischen Wurzeln deutscher Kindergarten-
erziehung und französischer Vorschulbildung 40
4.1 Mütter- und Kindererziehung im Sinne von Pestalozzi
und Rousseau und ihre Wirkung auf die aktuelle Vor-
schulpädagogik 44
4.2 Die école maternelle: das Kind als Schüler 49
4.3 Der Bildungsauftrag des deutschen Kindergartens 51
4.4 Die école maternelle und der Kindergarten - Versuch einer
Gegenüberstellung 55
5. Resümee 59
Literaturverzeichnis
Einführung
Ob Deutsche oder Französinnen, immer mehr junge Frauen
bereiten sich auf ein autonomes Berufsleben vor. Sie qualifizieren
sich beruflich und fordern damit ihre Teilhabe an der Arbeitswelt.
Doch wie steht es um die Berufstätigkeit der Frauen, wenn sie
Mütter werden: Nachwuchs bekommen - und arbeiten? Im
interkulturellen Vergleich finden sich zwischen den Wünschen und
Lebensvorstellungen junger deutscher und französischer Mütter
große Unterschiede. In ihnen wird auch ein anderes Bild vom
,,Muttersein" deutlich. Zeitungsreportagen über französische
Mütter mit Titeln wie ,,Mein Leben im Mütter-Paradies" fordern
dazu auf, sich mit den persönlichen Alltagserfahrungen
französischer berufstätiger Mütter aus deutscher Perspektive
auseinanderzusetzen
(vgl. Mulot,2002,38).
Berichte wie dieser in der
Zeitschrift
Emma ermöglichen einen Vergleich von
Zukunftserwartungen der Mütter beider Länder und lenken den
Blick darauf, welche Bedingungen sie jeweils vorfinden, um diese
Erwartungen Wirklichkeit werden zu lassen. Im direkten Vergleich
familienpolitischer Entscheidungen zeigt sich besonders
eindrücklich, welchen Platz die Gesellschaft diesen
Lebensplanungen einräumt und wie bereits traditionell stark
unterschiedlich geprägte Mutterbilder die individuellen
Lebensentwürfe beeinflussen. In dem, was deutsche und
französische Mütter von und für sich fordern, wird sichtbar,
welchen gegensätzlichen Idealbildern vom Muttersein sie
gegenüber stehen.
Die individuellen Gestaltungsspielräume der Mütter prägen auch
die Früh- und die Vorschulpädagogik beider Länder und können
dabei Veränderungen behindern oder fördern. Auch die
Möglichkeiten und die unterschiedlichen Qualitäten von
Kinderbetreuung beleuchten ganz deutlich dieses feine, teilweise
verborgene Geflecht zwischen Frauen, Kindern und der
Gesellschaft, in der sie gemeinsam leben. Aus diesem
verwobenen Miteinander entwickeln sich jeweils typische
Erziehungsvorstellungen, die sich wiederum direkt auf die
Erziehung von Kindern auswirken.
Im ersten, familienpolitischen Teil meiner Arbeit soll es darum
gehen, die Bedingungen zu analysieren, unter denen Frauen in
Deutschland und Frankreich ihren Wunsch nach Erwerbsteilhabe
und Familiengründung realisieren können. Diese Bedingungen
bilden einerseits die Grundlagen für die subjektiven Wünsche,
Vorstellungen und Entscheidungen bezüglich der
Lebensgestaltung von Frauen. Im zweiten Teil der Arbeit, also ab
dem dritten Kapitel sollen diese beleuchtet werden. Anderseits
bilden die familienpolitischen Bedingungen auch das
Sammelbecken von normativen Mutterbildern einer Gesellschaft,
deren Beschreibungen sich im dritten Kapitel anschließen. Der
letzte Teil meiner Arbeit zeigt die traditionellen und aktuellen
Verbindungslinien auf, die zwischen den normativen Mutterbildern
einer Gesellschaft und den Erziehungs- und
Sozialisationsvorstellungen bestehen, und verdeutlicht, welche
starken Kraftfelder hier bis heute wirksam sind. Durch den Blick
auf eine fremde Erziehungskultur werden hierbei problematische
Bereiche der deutschen Vorschulerziehung aufgedeckt und eine
Diskrepanz zwischen dem Bestehenden und dem Möglichen
aufgezeigt.
1. Konzepte und Ziele aktueller Familienpolitik
Familienpolitik versteht sich in Deutschland als
gesellschaftspolitische Querschnittsaufgabe. Dabei grenzt sie sich
als Politikfeld sehr vage und unbestimmt in einem Neben- und
Zueinander von Frauen- und Kinderpolitik ab
(vgl. Wingen,1997, 23).
Um in dieser Querschnittsaufgabe konkrete Ziele und Konzepte
beleuchten zu können, muss Familienpolitik im Zusammenhang
mit allgemeinen politischen und gesellschaftlichen Vorstellungen
über Familie gesehen werden. Einschlägige Arbeiten der
Familienforschung machen deutlich, dass Familie keineswegs
eine anthropologisch bedingte, ,,von Natur aus" feststehende,
sondern vielmehr eine historisch bedingte Sozialform ist (
vgl.
Weber-Kellermann 1977,11),
die sich sowohl im Hinblick auf ihre
Zusammensetzung und interne Beziehungs- und Funktionsstruktur
als auch in Bezug auf ihr Verhältnis zu der sie umgebenden
Gesellschaft im Verlauf des sozialen Wandels als höchst flexible
gesellschaftliche Institution erwiesen hat
(vgl. Gerlach,2004,37).
Von
Familie zu sprechen heißt einerseits, gelebte Formen von Familie
zu beschreiben und im interkulturellen oder historischen Vergleich
voneinander abzugrenzen. Andererseits heißt es aber auch, im
Rahmen von gesellschaftlichen Diskursen durch ,,Familienrhetorik"
unterschiedliche Vorstellungen über Struktur, Funktionen,
Rolleninhalte und Ziele von Familien und ihrer Mitglieder
gegeneinander abzusetzen
(vgl. Lüscher 1995, 51).
Dabei
beeinflussen gesellschaftlich formulierte Ideen von einer ,,idealen
Familie" einerseits die Politik, umgekehrt wirkt Familienpolitik über
familienpolitische Angebote auf das gesellschaftliche Umfeld und
damit auf die Ausgestaltung von Leitbildern zurück. Um kulturelle
Leitbilder der Familie, die durch den Wohlfahrtsstaat transportiert
werden, zu analysieren, bietet sich das Theoriemodell von Lewis &
Ostner an, dass eine wesentliche Grundlage der
geschlechtssensiblen Wohlfahrtsstaatforschung bildet. Zunächst
lag dem Theoriemodell von Lewis & Ostner (1994) ein kulturelles
Leitbild der männlichen Versorger-Ehe zugrunde, das
westeuropäische Wohlfahrtsstaaten kennzeichnete. Später
gelangten Lewis & Ostner zu der Einschätzung, dass sich das
männliche Ernährer-Modell in der Erosion befand
(vgl. Sonderegger
2004,8).
Weiterentwickelt wurde dieses Modell mit seinen
veränderten Annahmen von Pfau-Effinger und Sainsbury.
Sainsbury entwickelt, aufbauend auf den Grundlagen des
Theoriemodells von Ostner&Lewis, das ,,Male Breadwinner
Model" und das ,,Individuel Model"
.
Beim ,,Male Breadwinner
Model" steht als Familienbild die Ehe im Vordergrund, wobei der
Mann der Versorger und die Frau für Haushalt und Kinder
zuständig ist. Haushalt und Familie sind als soziale Grundeinheit
für soziale Leistungen definiert. Das Steuersystem unterstützt die
Ehe durch finanzielle Privilegien. Arbeitsmarkt und Löhne sind
darauf ausgerichtet, dass Männer einen Familienlohn
erwirtschaften. Gemäß dem ,,Individual Model" dagegen werden
beide Geschlechter als Individuen verstanden, die als
Grundeinheiten für soziale Leistungen im Mittelpunkt stehen. Die
Kinderbetreuung wird durch den Staat oder partnerschaftlich
organisiert. Das Steuersystem bezieht sich auf Individuen, nicht
auf Haushalte
(vgl. Sainsbury 1996,42).
Dimensionen des Male Breadwinner Model und des Individual
Model
Dimension
Male Breadwinner Model
Individual Model
Familienbild
Hohe Bedeutung der
Ehe
Strikte Arbeitsteilung
Ehemann = Ernährer
Ehefrau = Hausfrau/Mutter
Keine bevorzugte
Familienform
Gemeinsame
Arbeitsteilung
Vater =
Ernährer/Vater
Mutter =
Ernährerin/Mutter
Anspruch Unterscheidung
zwischen den
Ehepartnern
Gleichberechtigt
Basis des
Anspruchs
Ernährer Staatsbürgerschaft
oder Wohnsitzinhaber
Anspruchsinhaber
für Sozialleistung
Oberhaupt des
Haushaltes
Individuum
Einheit für
Sozialleistung
Hauhalt oder Familie
Individuum
Einheit für
Beiträge
Haushalt Individuum
Steuersystem Gemeinsame
Steuererklärung
Abzüge für abhängige
Personen
Individuelle
Steuererklärungen
Gleiche
Steuererleichterungen
Arbeitsmarkt- und
Lohnpolitik
Vorrangig auf Männer
fokussiert
Zielt auf beide
Geschlechter ab
Bereich der
Betreuung
Hauptsächlich privat Starker
staatlicher
Einfluss
Betreuungsarbeit Unbezahlt
Bezahlte
Komponenten
Diese Typologie ist bei der Gegenüberstellung der deutschen und
der französischen Familienpolitik als hilfreich anzusehen, da sie
aufzeigt, welche wohlfahrtsstaatlichen Maßnahmen zum Beispiel
das Erwerbsmuster der Familien beeinflussen können. Eine
vollständige und vergleichende Analyse beider Länder kann auf
Grund des Umfangs der zu beurteilenden Dimensionen in dieser
Arbeit allerdings nicht geleistet werden. Die Typologie soll jedoch
in diesem familienpolitischen Teil der Arbeit im Hintergrund als
Orientierung dienen um zu beurteilen, ob die deutsche oder die
französische Familienpolitik als hochgradig individualisiert
verstanden werden kann, wenn die Maßnahmen weitestgehend
für das Individuum nicht für Haushalt oder Familie gelten. Über
dieses Modell lassen sich Forderungen für eine Arbeitsmarkt-,
Lohn- und Familienpolitik formulieren, die auf beide Geschlechter
ausgerichtet sind und in ihrer Konsequenz Gleichheit zwischen
den Geschlechtern herstellen. Frauen können bereits aufgrund
formaler Gleichheitsrechte in gleicher Weise wie Männer am
Bildungs- und Sozialsystem teilhaben trotzdem kann es sinnvoll
sein, unter anderem in der Familienpolitik die Frauen in einigen
Kernbereichen ins Zentrum der Maßnahmen zu stellen, weil sich
bei der Betrachtung ihrer Lebensläufe zeigt, dass sie sich
trotzdem traditionell zugewiesenen Rollenmerkmalen verpflichten
(vgl. Helwig 1997,39).
Um diesem Ungleichgewicht Rechnung zu
tragen, sollte Familienpolitik ihr Augenmerk zunächst auf
Frauenpolitik richten, da an erster Stelle Mütter (zum Beispiel im
Falle des Mutterschutzes und der Erziehungszeit) die
Bedingungen und Folgen dieser Politik erfahren. Zum anderen
sind Frauen deutlicher von vielen familienpolitischen
Entscheidungen betroffen, weil ihre Erwerbsbiographie wesentlich
stärker von ihnen abhängt als die der Männer. Das Bild einer
,,idealen" Familie und damit zunächst einer idealen und guten
Mutter als einer fürsorglichen ,,Leistungserbringerin" - mehr oder
weniger öffentlich geäußert - spielt dabei für Veränderungen nicht
nur in der deutschen Familienpolitik eine wichtige Rolle
(Statistisches Bundesamt, 2004 a
)
,36).
1
Neben den vorgelagerten
bevölkerungs- und arbeitsmarktpolitischen Zielen der Regierung
und den zunehmenden Defiziten in den deutschen und
französischen Familienkassen treten die eigenständige
Existenzsicherung von Frauen und ihre gleichwertige Integration in
den Arbeitsmarkt häufig in den Hintergrund (
vgl. Jenter,2003,3)
. Die
1
In diesen Ansichten unterscheidet sich Deutschland nur unwesentlich von anderen europäischen
Ländern. Durchschnittlich sind 74% der Europäer (EU15) der Meinung, dass eine Mutter die Prioritäten bei
ihrem Kind zu setzen hat, und 53% denken, dass es nicht der Vater sein sollte, der bei den Kindern bleibt,
auch wenn er weniger verdient als die Mutter (Eurobarometer 1996,36)
Annahme, dass der Ausbau von Kinderbetreuung den Staat zu
viel Geld kosten würde und die steigende Erwerbstätigkeit von
Müttern den Arbeitsmarkt belasten würde, erweist sich als falsch.
2
In den folgenden Kapiteln sollen die Unterschiede bezüglich der
Zielrichtung familienpolitischer Entscheidungen in Frankreich und
Deutschland aufgezeigt werden. Es wird zu zeigen, ob man in
Frankreich mit der Realisierung frauenpolitischer Ziele innerhalb
der Familienpolitik zum einen eine bessere Vereinbarkeit von
Familie und Berufsleben für beide Geschlechter anstrebt. Zum
anderen soll erwerbstätigen Frauen in Frankreich durch gezielte
familienpolitische Maßnahmen die Entscheidung zu einer nur
vorübergehenden Aufgabe der Erwerbstätigkeit erleichtert werden.
Diese beiden unterschiedlichen familienpolitischen Ziele werden in
Frankreich gleich gewichtet. In Deutschland stand bisher weniger
die bessere Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbstätigkeit im
Vordergrund. Hier sollte vielmehr durch die Gewährung
familienpolitischer Leistungen die Erziehungsarbeit der Mütter
anerkannt und gegebenenfalls die Aufgabe der Erwerbstätigkeit
ermöglicht werden
(vgl. Ehmann,1999,3).
Es schließt sich die Frage an, in welcher Verantwortung sich
Familienpolitik für Kinder sieht, denn familienpolitische
Entscheidungen wirken nicht nur direkt auf das Leben von Frauen,
sondern auch auf das Leben von Kindern. Sie bestimmen den
Alltag, die Lebensverhältnisse und die Zeitstrukturen von Kindern
und Jugendlichen entscheidend mit. Dabei wurde die
Notwendigkeit innerfamiliärer und
außerfamiliärer
Entwicklungsangebote für die kindliche Entwicklung durch die
Verknüpfung mikro- und makrosoziologischer Sichtweisen
besonders durch die Arbeiten von Urie Bronfenbrenner Ende der
70er Jahre deutlich
(vgl. Bronfenbrenner, 1981,4 ).
Politik für Kinder
muss sich in Bezug darauf erklären, was ,,Kind sein" heute
bedeutet, da die Konstruktion von Kindheit Hand in Hand geht mit
2
Verschieden deutsche Studien haben gezeigt, dass diese Maßnahme Arbeitsplätze schaffen würde und
Geld in die Kassen der Sozialsicherungssysteme spülen würde:
Zum positiven Beschäftigungseffekt durch
die zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen (vgl Knapp,2002,11-60), zur möglichen Kostenersparnis
(vgl.DIFW, Gutachten im Auftrag des BMFSFJ,2002)
Veränderungen in gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen.
Gertrud Bäumer, eine wichtige Vertreterin der gemäßigteren
Frauenbewegung am Ende der Weimarer Republik, formulierte
1933 die Notwendigkeit einer Kinderorientierung in der
Familienpolitik:
,,Der Inbegriff der Politik eines Volkes ist die Frage:
Was habt ihr euren Kindern zu bieten? Und eine solche Politik führt an
den Ursprung zurück: Sie beginnt bei der Familie."
( Bäumer ,1933,77 in
Wingen, 1997,1).
Würde man den Begriff ,,Volk" durch den Begriff
,,Staat" austauschen und ein Familienverständnis mit seinen
Wandlungen in der Mutterrolle und Vaterrolle miteinbeziehen,
wäre dieses Zitat auch im Hinblick auf die Diskussion über die
Reformen der öffentlichen Kindertagesbetreuung in Deutschland
von aktueller Bedeutung.
1.1 Tendenzen aktueller Familienpolitik im
Ländervergleich
Die französische Familienpolitik wird in Deutschland häufig als
vorbildlich gerühmt. Dabei werden vor allem die im europäischen
Vergleich hohen Geburtenraten als Beweis für diese Einschätzung
angeführt
(vgl. Veil,2004,2).
Ein großes Angebot an
Kinderbetreuungsmöglichkeiten erlaube Frauen in Frankreich,
Kinder und Berufstätigkeit leicht miteinander zu vereinbaren.
Angesichts dieser Annahmen soll vor allem im historischen
Rückblick des sich anschließenden Unterkapitels 1.2 der Frage
nachgegangen werden, ob ein direkter Zusammenhang zwischen
den staatlichen Leistungen zugunsten von Müttern und der Anzahl
der Geburten besteht. Bei einer Gegenüberstellung zeigt sich,
dass nur 8% der 1957 geborenen Französinnen heute kinderlos
sind. Dies trifft auf 24% der gleichaltrigen deutschen Frauen zu.
Die Geburtenrate in Deutschland liegt mit 1,4 Kindern je Frau
deutlich unter der französischen von 1,9 Kindern
(vgl. Henkel,
2003,26).
Französinnen haben offensichtlich eine optimistischere
Haltung, wenn es um die Frage des eigenen Nachwuchses geht.
Dabei erlebt die französische Gesellschaft zur Zeit einen kleinen
Baby-Boom, denn im Jahr 2000 brachten sie 774.800 Kinder zur
Welt, im wesentlich bevölkerungsreicheren Deutschland wurden
im selben Jahr 700.000 Kinder zur Welt gebracht
(www.
bundesregierung.de/ Bydlowski,2000,31) .
Neben der positiven Einstellung zu Kindern steht Frankreich für
eine traditionell hohe Erwerbsbeteiligung von Müttern, welche die
vollzeitige und kontinuierliche Erwerbsintegration von Frauen
fördert
(vgl. Reuter, 2003,39).
Aber wie ist die Situation von jungen
Frauen auf dem französischen Arbeitmarkt wirklich? Welche
Möglichkeiten bieten sich heute tatsächlich für junge Mütter auf
dem französischen Arbeitsmarkt? Sind nicht viele Frauen aus
wirtschaftlichen Gründen gezwungen, relativ schnell nach der
Geburt des ersten Kindes eine Berufstätigkeit aufzunehmen?
(vgl.
Cèrani,2004 ,43)
Französische Familienpolitik ist auf unterschiedlichen politischen
Hierarchien mit einer Vielzahl von Instrumenten institutionell
verankert, wodurch sich dieses Politikfeld robust und flexibel
angesichts des gesellschaftlichen Wandel entwickelt hat. Das
Ministerium für Familie und Kindheit bringt bereits durch den
Zusatz in der Namensgebung ,,...und Kindheit" ihren besonderen
Willen der Förderung von Kindern zum Ausdruck. Obwohl dieses
Ministerium an das Arbeits- und Sozialministerium angebunden ist
und dadurch deutlich wird, für wie wichtig die Verbindung von
Familien- und Arbeitsmarktpolitik gesehen wird, deuten aktuelle
familienpolitische Entscheidungen darauf hin, dass es zukünftig
jungen Müttern verstärkt ermöglicht werden soll, länger als bisher
ihr Kind nach der Geburt allein zu Hause zu betreuen (
vgl.Létablier,
2003 ,86 ).
Neue Akzente setzte hier die Regierung Raffarin auf der
Familienkonferenz im April 2003. Dabei entstanden neue
Steuererleichterungen für häusliche Kinderbetreuung mit dem
Motto ,,Erziehung durch Eltern". Außerdem wird der zeitweilige
Berufsausstieg von Frauen stärker steuerlich begünstigt
(vgl. Veil,
2004,19 / Brossé- Verbiest, 2003,17).
In Deutschland zeichnet sich aktuelle Familienpolitik durch
besondere Duldsamkeit gegenüber der Situation von Frauen aus,
die nach wie vor zwischen Kind und beruflicher Entwicklung
entscheiden müssen. Im Vorwort der Broschüre ,,Familien in
Deutschland" des Familienministeriums wird Bundeskanzler
Gerhard Schröder deutlich. Darin erklärt er, dass es nicht sein
könne, dass die Übernahme von Elternverantwortung
gleichbedeutend sei mit dem Verzicht auf berufliche Entwicklung.
Deswegen habe die Bundesregierung besonders mit den neuen
Teilzeit- und Elternzeitregelungen mehr Wahlfreiheit für Eltern
ermöglicht
(BMFSFJ 2002,5).
Diese Aussage weist genau auf die
Beständigkeit der Vielzahl der besonders Frauen betreffenden
familienpolitischen Probleme in Deutschland hin. Reformen in
diesem Politikfeld zeichnen sich in Deutschland durch eine
besondere Konstante aus: Familienpolitische Priorität hatte bisher
selten der Ausbau von Kinderbetreuung, sondern stets die
Erweiterung der Teilzeitarbeit für Eltern, was dazu führte, dass es
für Mütter möglich wurde, etwas zum Familieneinkommen
hinzuzuverdienen. Darin wird einerseits der Wunsch deutlich,
Frauen am Arbeitsmarkt zu beteiligen, sie anderseits aber nicht
von Familienarbeit zu befreien. Bundesdeutsche Familienpolitik
hat tendenziell immer die partnerschaftliche Umverteilung der
Aufgaben innerhalb der Familie vertreten, weniger deren
Übernahme durch außerfamiliäre gesellschaftliche Institutionen
oder private Kräfte
(vgl. Wingen, 1997,98).
3
Wo der Staat und die
Gesellschaft die gebotene Zurückhaltung gegenüber den
Eigenkräften der Familien beispielsweise beim Auf- und Erziehen
von Kindern übt, bleibt einerseits viel Raum für die innerfamiliäre
Lösung dieser Lebensaufgaben und bietet Sicherheit vor dem
Einfluss staatlicher Erziehungsinhalte. Offensichtlich treten aber
andererseits weite Interpretationsspielräume über
Verantwortlichkeiten innerhalb der Chancen- und Wahlfreiheit der
familialen Lebensgemeinschaften selbst zutage, die wiederum
nach einer gesellschaftlichen Orientierung verlangen.
Obwohl auch der Deutsche Frauenrat, ein aufgrund seiner großen
Mitgliederzahl und in seiner Netzwerkfunktion bedeutender
frauenpolitischer Akteur, Erwerbsarbeit als die wichtigste
Vorrausetzung für eine eigenständige Lebensführung und soziale
Sicherung postuliert, tendieren Frauen in Deutschland unabhängig
von ihrer beruflichen Qualifikation - vor allem im Westen - generell
dazu, die alleinige Zuständigkeit und Verantwortung für Kinder zu
übernehmen
(www. frauenrat.de
). Festzustellen ist, dass das
Ergebnis dieser Familienpolitik Auswirkungen auf das
Erwerbsverhalten von Frauen und Männer hat und eine
tatsächliche Wahlfreiheit und damit Chancengleichheit in Bezug
auf das Erwerbsverhalten innerhalb der familialen
Lebensgemeinschaften nicht realisiert wird: Nur 27% der
verheirateten Frauen mit Kind haben sich ab dem Zeitpunkt der
Familiengründung im Verhältnis zu ihrem beruflichen Einstieg
3
Eine Begründung dafür liegt möglicherweise in der Binnenstruktur der Ausgestaltung des
Subsidiaritätsprinzips
in- nerhalb der Familienmitglieder.
verbessern können. Dagegen konnten sich 50% der verheirateten
Väter beruflich verbessern und gehören damit zu den Profiteuren
von Ehe und Familie (
vgl. Helwig,1997,40).
Mit der Planung des
neuen ,,Elterngeldes" ab 2006 wird nach wie vor die
frauenpolitische Zielsetzung vertreten, die Erziehungsleistungen
von Müttern zu honorieren, statt eine bessere Vereinbarkeit von
Familie und Beruf zu realisieren. Gleichzeitig ist allerdings ein
bedarfsgerechter Ausbau der Kleinkinderbetreuung angedacht. Es
bleibt fraglich, ob durch die aktuelle Zusammenlegung von Arbeits-
und Sozialhilfe tatsächlich die 1,5 Mrd. Euro eingespart werden
können, die benötigt werden, um diese Pläne (Kosten: 3,5 Mrd.
Euro) zu verwirklichen
(vgl. Jenter,2003,3).
Die Familienministerin
selbst musste einräumen, dass ein höheres Elterngeld allein nicht
bewirken wird, dass sich mehr gut ausgebildete Frauen für Kinder
entscheiden. Sie geht aber davon aus, dass eine solche
Lohnersatzleistung und der Ausbau der Kindertagesbetreuung für
Kleinkinder einen Beitrag dazu leisten könne
(www.bundesregierung.de
).
4
Hauptzielgruppe für die so formulierten
aktuellen Reformbestrebungen sind möglicherweise besonders
Akademikerinnen, weil sie stärker als andere Frauen zu einem
Leben ohne Nachwuchs neigen. Die Ressourcen, die sie ihren
Kindern vorhalten könnten, bilden offenbar die besten
Entwicklungsgrundlage, um Kinder großzuziehen, die später die
Sozialsysteme sichern sollen
(Schmitt, 2005, 14).
4
Am 28.10.2004 wurde im Bundestag das Kindertageseinrichtungsausbau-Gesetz verabschiedet. Es tritt
mit der Änderung des KJHG Änderung ab 1.1.2005 in Kraft.
1.2 Historische
Hintergründe
konzeptioneller
länderspezifischer Unterschiede
Im historischen Rückblick auf die familienpolitischen
Entwicklungslinien der beiden Nachbarländer erscheint das frühe
,,Auseinanderdriften" der demographischen Entwicklungen
nachhaltig bedeutsam
(vgl. Becker,2000,193).
Frankreich hatte Ende
des 19. Jahrhunderts durch sehr niedrige Geburtenraten eine
bevölkerungspolitisch andere Entwicklung als der Rest Europas.
Viele Familien lebten am Rande des Existenzminimums. In dieser
Situation begann eine öffentliche Debatte über die Bedeutung der
Familie für die Gesellschaft und somit über die Verbesserung der
Lebenssituation der Familien. Lösungsansätze wurden zunächst in
den Betrieben gesucht. Der Staat engagierte sich durch die
Einführung von Mutterschutz-Verordnungen und eine gesetzliche
Garantie zur Unterstützung der Familien sowie erste
steuergesetzliche Maßnahmen.
Das stärker industrialisierte Deutschland übernahm mit den frühen
Regelungen zur Kranken-, Unfall-, Renten- und der weit später
folgenden Arbeitslosenversicherung. Diese Maßnahmen zur
Bindung der Arbeiter an den Staat waren die Vorreiter der
staatlichen Sozialversicherung. In der Zeit der Weimarer Republik
blieb die Familienpolitik auf Maßnahmen beschränkt, die Frauen
vom Arbeitsmarkt fernhielten, um die Betreuung von Kindern
durch ihre Mütter zu gewährleisten
(vgl. Igl,1982,880).
Während
Frankreich die bestehenden organisatorischen Strukturen nach
dem 2. Weltkrieg übernehmen und im ,,Code de la Famille"
fortentwickeln konnte, stand man in der neu gegründeten
Bundesrepublik Deutschland der Erblast einer rassenpolitisch
motivierten Familienpolitik gegenüber
(vgl.
Gerlach,2004,304/Ehmann,1999,8).
Das 1964 eingesetzte Modell der
staatsfinanzierten Kinderbeihilfen festigte die Sonderstellung der
Familienpolitik im Rahmen der deutschen Sozialpolitik: Während
sich alle anderen Bereiche als erwerbsarbeitsbezogene, von
Arbeitnehmern und Arbeitgebern gemeinsam finanzierte
Sicherungssysteme konsolidierten, blieben familien- und
kinderbezogene Risiken - anders als in Frankreich - außerhalb
dieser Struktur
(vgl. Igl,1982, 887).
Im kulturellen Vergleich spiegeln sich seit den 30er Jahren des 20.
Jh. noch andere entscheidende Differenzen in den
Normalitätsannahmen bezogen auf Familie wieder. Während die
französische Familienpolitik schon früh davon ausging, dass der
Normalhaushalt zwei Einkommen benötigt, galt in Deutschland ein
Haushalt mit einem einzigen (Männer-) Einkommen als normal
und nicht unterstützungsbedürftig. Dabei repräsentierte die
Einführung der ,,allocation de salaire unique" 1941 die symbolische
und finanzielle Anerkennung der mütterlichen Haus- und
Sorgearbeit. Zwar schwang hier eine aus dem materialistischen
Feminismus getragene Idee des Müttergehalts mit,
bemerkenswert aber war die konzeptionelle und reale Trennung
der beiden familienbezogenen Leistungsarten in kinderbezogene
Beihilfen einerseits und haushaltsspezifische Zuschüsse
andererseits. Deutlich wird hier, dass das Vorhandensein nur
eines Einkommens in einem Haushalt mit Kindern (unique salaire)
einer Alleinerziehenden oder eines männliches Ernährers
öffentlichen Unterstützungsbedarf hervorrief
(vgl. Becker,2000,195 ).
Die in Frankreich seit 1945 konsequent betriebene Familienpolitik
bestand aus direkten Geldzuwendungen an die Familien und
darin, alle Beihilfen für unterhaltspflichtige Verdiener in den
Familien zu verallgemeinern. Die familienpolitischen Leistungen
wurden durch eine Anbindung an den Lohnindex dynamisiert, was
dazu führte, dass das Familieneinkommen laufend anstieg. In den
70er Jahren ergriff Frankreich erneut familienpolitische
Maßnahmen (,,Politik des dritten Kindes"), um den negativen
demographischen Trend zu stoppen. Infolge dessen entfernte man
sich in den 80er Jahren zunächst wieder von der pronatalistischen
Ausrichtung familienpolitischer Leistungen, was durch eine
deutliche Ausweitung solcher Leistungen für das zweite Kind zum
Ausdruck kam. Seit 1967 erhielten Alleinerziehende in Frankreich
eine finanzielle Unterstützung, die es in Deutschland bis heute
nicht gibt. Ab dem Ende der 60er Jahre gewannen vermehrt
frauenpolitische Zielsetzungen an Bedeutung, die Frauen eine
verstärkte Teilhabe am Erwerbsleben ermöglichten. Besonders die
Ausweitung von Kinderbetreuungskapazitäten und Unterstützung
für Familien mit geringen Einkommen führte zu einer Veränderung
im Leben der Frauen (
vgl. Barrere- Maurisson, 2001,13).
Obwohl auch
in Deutschland zu dieser Zeit über die Konsequenzen einer
veränderten gesellschaftlichen Situation diskutiert wurde, blieben
hier im Vergleich zu Frankreich alte Leitbilder gültig. Besonders
deutlich wurde das in der Einrichtung des Erziehungsurlaubs.
Anders als in Frankreich ist dieser zu einer der wichtigsten
familienpolitischen Maßnahmen in Deutschland geworden. Hinter
dieser Maßnahme verbirgt sich die Vorstellung, dass zwar die
Berufstätigkeit der Frauen gefördert werden soll, gleichzeitig aber
eine Betreuung des Kindes durch die Eltern (Mutter) in den ersten
Jahren die Regel sein sollte.
In der Gegenüberstellung der historischen und aktuellen
Entwicklung europäischen Familienpolitiken und ihren
Auswirkungen bleibt festzuhalten: Länder mit einem ausgebauten
Kinderbetreuungssystem für Kinder aller Altersstufen haben einen
hohen Anteil von erwerbstätigen Müttern und auch hohe
Geburtenraten zu verzeichnen.
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Mit Ausnahme von Irland, das trotz niedriger Frauenerwerbsbeteiligung hohe Geburtenraten aufweist
(vgl. Rürup,2003,11)
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Originalausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2005
- ISBN (eBook)
- 9783832486716
- ISBN (Paperback)
- 9783838686714
- DOI
- 10.3239/9783832486716
- Dateigröße
- 575 KB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Universität Bremen – Erziehungs- und Bildungswissenschaften
- Erscheinungsdatum
- 2005 (März)
- Note
- 2,0
- Schlagworte
- frauen kindergarten sozialstation kindheit
- Produktsicherheit
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