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Baden-württembergische Hauptschulabgänger auf dem Weg in eine handwerkliche Ausbildung

Veränderte Anforderungen, Defizite und Lösungsansätze

©2004 Diplomarbeit 102 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Zusammenfassung:
Das Handwerk hat in besonderem Maße mit Nachwuchsproblemen zu kämpfen. Junge Menschen mit höheren Schulabschlüssen meiden eine Ausbildung im Handwerk. Dies liegt u. a. an dessen zweifelhaftem Image. Diejenigen, die ins Handwerk wollen - sei es aus wirklichem Interesse oder aus Mangel an Alternativen - bringen häufig erhebliche Defizite mit, die deren Ausbildungsfähigkeit in Frage stellen. Hinzu kommen überdurchschnittlich hohe Abbrecherquoten bei handwerklichen Ausbildungen.
Diese Arbeit zeigt die Anforderungen der Handwerksbetriebe an Auszubildende sowie die Defizite der (Haupt-) Schulabgänger auf. Es werden Wege aufgezeigt, wie benachteiligte Jugendliche an den Hauptschulen, in den Ausbildungsbetrieben und den Berufsschulen so gefördert werden können, dass deren Potentiale vom Handwerk genutzt werden können.
Die Arbeit basiert auf zwei Säulen: Erstens wurde breit gefächerte, aktuelle Literatur ausgewertet. Eigens durchgeführte, umfangreiche Befragungen von Hauptschülern, Ausbildungsbetrieben, Auszubildenden und Berufsschullehrern stellen die zweite Säule dar. Abgerundet wurden diese Befragungen durch weitergehende Gespräche mit Ausbildungsexperten.
Auf Grundlage von Analysen der Veränderungen in Wirtschaft, Gesellschaft und dem demografischen Wandel sollen Wege aufgezeigt werden, wie Schulabgänger wieder verstärkt für Ausbildungen im Handwerk qualifiziert werden können. Dabei sollen dem Trend zu höheren Schul- und Berufsabschlüssen nachgegangen und die gestiegenen Anforderungen aufgezeigt werden, die Handwerksberufe aufgrund technologischer Veränderungen zu verzeichnen haben.
Die Ziel bestimmenden Fragen dieser Arbeit lauten: Was können die Hauptschulen unternehmen, um bei den Mädchen und Jungen mehr Bewusstsein zu wecken für die Anforderungen des realen Arbeitslebens? Wie können Stärken und Schwächen von Schülern und Schulabgängern identifiziert und gezielt gefördert werden? Welche Strategien sind denkbar, um die Leistungspotentiale benachteiligter Jugendlicher für das ausbildende Handwerk aktivieren zu können? Mit welchen Konzeptansätzen lässt sich die überproportional hohe Abbrecherquote bei Ausbildungen im Handwerk reduzieren?
Aufbauend auf einem Vergleich zwischen den Anforderungen, die Handwerksberufe mit sich bringen, und dem tatsächlichen Profil von Hauptschülern sollen mögliche Maßnahmen zur Erhöhung der Ausbildungsfähigkeit vorgestellt und diskutiert werden. Auf eine differenzierte Betrachtung von […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 8482
Gastel, Matthias: Baden-württembergische Hauptschulabgänger auf dem Weg in eine
handwerkliche Ausbildung - Veränderte Anforderungen, Defizite und Lösungsansätze
Hamburg: Diplomica GmbH, 2004
Zugl.: AKAD-Fachhochschule Leipzig, Diplomarbeit, 2004
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2004
Printed in Germany

II
Inhaltsverzeichnis Seite
Abkürzungsverzeichnis
III
Abbildungsverzeichnis
IV
1. Wissenschaftliche Grundlagen
1
1.1 Problemstellung
1
1.2 Zielsetzung
3
1.3 Methodische Vorgehensweisen
5
2. Grundlagen
7
2.1 Begriffsbestimmungen
7
2.2 Wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Wandel
10
2.2.1 Bildungsexpansion
10
2.2.2 Berufswahlverhalten junger Menschen
13
2.2.3 Berufsbilder im Handwerk
16
2.2.4 Qualitative Anforderungen des Handwerks
18
2.2.5 Profile der Schulabgänger aus Sicht des Handwerks
19
3. Praktische Lösungsansätze
21
3.1 Lernen an den Hauptschulen
21
3.1.1 Wettbewerb für bessere Leistungen
21
3.1.2 Verbesserung der Lese- und Rechenkompetenzen
24
3.1.3 Unterricht für benachteiligte Jugendliche
26
3.1.4 Vorbereitung auf das reale Arbeitsleben
27
3.2 Einsatzmöglichkeiten des Assessment-Centers
32
3.3 Der Betrieb als Ausbildungsort für Benachteiligte
36
3.4 Benachteiligtenförderung an der Berufsschule
41
3.5 Kooperation zwischen Schule und Betrieb
44
3.6 Neue Ausbildungsberufe für Benachteiligte
46
4. Zusammenfassung und Fazit
48

III
Abkürzungsverzeichnis
abH Ausbildungsbegleitende
Hilfen
AG Aktiengesellschaft
AC Assessment-Center
BBiG Berufsbildungsgesetz
BVJ Berufsvorbereitungsjahr
ESF Europäische
Sozialfonds
e. V.
Eingetragener Verein
IAB
Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bun-
desagentur für Arbeit
IB Internationaler
Bund
ibv
Information für die Beratungs- und Vermittlungsarbeit
der Bundesagentur für Arbeit
IHK
Industrie- und Handelskammer
IMBSE
Institut für Maßnahmen zur beruflichen und sozialen
Eingliederung
Kfz Kraftfahrzeug
KSB
Koordination Schule und Beruf
OECD
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Pisa ,,Programme
for
International Student Assessment"
Pisa-E Nationale
Erweiterung von Pisa
SchG Schulgesetz

IV
Abbildungsverzeichnis Seite
Abbildung 1:
Baden-württembergische Wege in die Berufs-
tätigkeit. Schwerpunkte dieser Arbeit sind schattiert
dargestellt.
4
Abbildung 2:
Anforderungen von Ausbildungsbetrieben an
Bewerber (N = 34, siehe Anhang S. X ff.).
18
Abbildung 3:
Schwächen der Bewerber aus Sicht der
Ausbildungsbetriebe (N = 34, siehe Anhang S. X ff.).
19
Abbildung 4:
Häufigkeitsverteilung der absolvierten Praktika von
270 Hauptschülern (siehe Anhang S. VI).
28
Abbildung 5:
Dauer der Praktika von 270 Hauptschülern (N = 563
Praktika, siehe Anhang S. VI).
28
Abbildung 6:
,,Haben dir die Praktika für künftige Entscheidungen
geholfen?" (N = 263 Hauptschüler, siehe Anhang
S. IV)
29
Abbildung 7:
Wie sich Hauptschüler bessere Berufspraktika
Vorstellen (N = 263, siehe Anhang S. IV).
29
Abbildung 8:
Selbsteinschätzung von Berufsschülern (N = 167)
und Einschätzung durch Berufsschullehrer (N = 15)
(siehe Anhang S. XVI ff.).
43

V
Abbildung 9:
Beurteilung der Zusammenarbeit von Ausbildungs-
betrieben und Berufsschulen aus Sicht der Betriebe
(N = 40), Auszubildenden (N = 167) und Berufsschul-
lehrer (N = 15) des Malerhandwerks (siehe Anhang
S.
XIV
ff.). 44
Abbildung 10: Beurteilung, ob sich Ausbildungsbetriebe und
Berufsschulen gut ergänzen. Sicht der Betriebe,
(N = 40), Auszubildenden (N = 167) und Berufs-
Schullehrer (N = 15) des Malerhandwerks (siehe
Anhang
S.
XIV
ff.).
44
Abbildung 11: Erwartungen der Betriebe, wann sie von ihren Aus-
zubildenden über Schulnoten informiert werden wollen.
Aussagen der Betriebe (N = 40) und der Auszu-
bildenden (N = 167), (siehe Anhang S. XIV).
45
Abbildung 12: Können sich Hauptschüler der neunten Klasse eine
Ausbildung im Handwerk vorstellen? (N = 270)
V
Abbildung 13: Ansehen des Handwerks aus Sicht von Hauptschülern
der neunten Klasse (N = 271).
V

1
1. Wissenschaftliche
Grundlagen
1.1 Problemstellung
Viele Betriebe in Deutschland klagen zunehmend über die mangelnde Quali-
fikation von Bewerbern auf dem Ausbildungsmarkt. Daher bleiben Lehrstellen
unbesetzt oder werden nicht mehr bereitgestellt, während viele Jugendliche
vergeblich auf ihre Ausbildungschance warten.
1
Angesichts einer zu erwartenden Verknappung von Ausbildungsangeboten
haben Bundesregierung und Bundestag eine Ausbildungsplatzabgabe be-
schlossen, jedoch zugunsten eines Ausbildungspaktes nicht in Kraft gesetzt.
Auf freiwilliger Basis soll die Wirtschaft mehr Ausbildungsplätze und Angebo-
te an Berufspraktika zur Verfügung stellen.
In der Diskussion um die auf den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt drängenden
Schulabgänger wird immer wieder auf den Trend zu höheren Schulabschlüs-
sen und die damit verbundene Entwertung der Hauptschule hingewiesen.
Zugleich werden - häufig undifferenziert - die unzureichenden Qualifikationen
vieler junger Menschen bemängelt. Die Pisa-Studie, in der die Schulleistun-
gen und die aus Lerneffekten resultierenden Kompetenzen von Jugendlichen
aus 28 Ländern geprüft und verglichen wurden, stellte Deutschlands Schü-
lern vor allem in Mathematik und im Lesen nur ein mittelmäßiges Zeugnis
aus. Es wurde ein extrem ausgeprägtes Leistungsgefälle zwischen den
Schularten und einzelnen Schulen ermittelt. Nicht zuletzt aufgrund dieser
Untersuchungen, durch die sich viele Betriebe in ihrer Kritik an mangelnden
Kenntnissen von Bewerbern und Auszubildenden bestätigt sehen, wird die
Ausbildungsfähigkeit vieler Jugendlicher mehr und mehr in Frage gestellt.
Ebenfalls für oftmals unzureichend befunden werden die sozialen Kompeten-
zen junger Menschen.
1
Zum 30.09.2004 waren bundesweit 44.600 Bewerber noch nicht vermittelt. Dem standen
13.400 unbesetzte Ausbildungsstellen gegenüber. Vgl. Bundesagentur für Arbeit, Pressein-
formation, Nürnberg, 05.10.2004.

2
Das Handwerk ist von dieser Situation besonders betroffen. Erstens stehen
ihm wegen des stärkeren Zulaufs an Realschulen und vor allem Gymnasien
quantitativ immer weniger potentielle Bewerber zur Verfügung. Das Interesse
dieser Schüler an einer Ausbildung im Handwerk ist wegen dessen fraglichen
Image und dem starken Wunsch nach einem Studium gering. Zweitens man-
gelt es unter qualitativen Gesichtspunkten an Bewerbern. Denn die Haupt-
schule entwickelt sich zunehmend zur ,,Restschule", die nur von denjenigen
besucht wird, deren Leistungsbereitschaft oder -fähigkeit für eine höhere
Schulausbildung nicht ausreicht. Entsprechend ernüchternd ist die Einschät-
zung des Soziologen Ulrich Beck: ,,Die Türen zum Beschäftigungssystem
sind in diesen unteren Gängen des Bildungssystems durch Umschichtungen
und Verdrängungsprozesse sowie betriebliche Rationalisierungsmaßnahmen
inzwischen fast vollständig verschlossen. (...) Hauptschulabsolventen wer-
den zu `Ungelernten´, finden einen vernagelten Arbeitsmarkt vor. Der Gang
durch die Hauptschule wird zur Einbahnstraße in die berufliche Chancenlo-
sigkeit."
2
So ist das Handwerk die Branche, die die meisten unbesetzten Ausbildungs-
plätze und mit rund 25 Prozent eine extrem hohe Rate an vorzeitigen Ver-
tragsauflösungen aufzuweisen hat.
3
Immer mehr Betriebe wollen sich aus
diesen Gründen resigniert aus der Ausbildung zurückziehen.
Und doch sind die vielfältigen Ressourcen der Betriebe für die berufliche
Qualifizierung und Sozialisation benachteiligter Jugendlicher nicht zu unter-
schätzen. Dies bestätigen die Erfahrungen des Autors aus der Arbeit mit be-
nachteiligten Jugendlichen. Die Betriebe müssen aber mit diesem Klientel
umgehen können und benötigen dafür oftmals fachkundige Unterstützung.
Neben den genannten allgemein bildenden Schultypen wird auch das Duale
Ausbildungssystem mit den beiden Komponenten Ausbildungsbetrieb und
2
Beck, Ulrich, Risikogesellschaft, Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt am Main,
1986, S. 239-245.
3
Vgl. Hampel, Jürgen/ Schneider, Melanie/ Spurk, Astrid, Nachwuchsmangel im baden-
württembergischen Handwerk, Stuttgart, 2003, S. 8.

3
Berufsschule zunehmend der kritischen Betrachtung durch Fachleute und die
Öffentlichkeit unterzogen. Gefragt wird, ob dieses Konstrukt überhaupt noch
zeitgemäß ist. Insbesondere aber wird diskutiert, ob und wie es so verändert
werden kann, dass sowohl schwächere Schüler besser gefördert als auch
leistungsstärkere Absolventen höherer Schultypen wieder für eine solche
Ausbildung gewonnen werden können.
Die Herausforderungen für die Zukunft lauten, die Schüler von Hauptschulen,
Realschulen und Gymnasien besser auf die Anforderungen im Berufsleben
vorzubereiten sowie Ausbildungsbetriebe und Berufsschulen auf die verän-
derten Bildungspräferenzen und Problemlagen der Schüler auszurichten.
Dabei muss die Notwendigkeit einer stärkeren Verflechtung zwischen beiden
Seiten - also zwischen Theorie und Praxis ­ angemahnt werden.
1.2 Zielsetzung
Auf Grundlage von Analysen der Veränderungen in Wirtschaft, Gesellschaft
und dem demografischen Wandel sollen Wege aufgezeigt werden, wie
Schulabgänger wieder verstärkt für Ausbildungen im Handwerk qualifiziert
werden können. Dabei sollen dem Trend zu höheren Schul- und Berufsab-
schlüssen nachgegangen und die gestiegenen Anforderungen aufgezeigt
werden, die Handwerksberufe aufgrund technologischer Veränderungen zu
verzeichnen haben.
Die Ziel bestimmenden Fragen dieser Arbeit lauten: Was können die Haupt-
schulen unternehmen, um bei den Mädchen und Jungen mehr Bewusstsein
zu wecken für die Anforderungen des realen Arbeitslebens? Wie können
Stärken und Schwächen von Schülern und Schulabgängern identifiziert und
gezielt gefördert werden? Welche Strategien sind denkbar, um die Leis-
tungspotentiale benachteiligter Jugendlicher für das ausbildende Handwerk
aktivieren zu können? Mit welchen Konzeptansätzen lässt sich die überpro-
portional hohe Abbrecherquote bei Ausbildungen im Handwerk reduzieren?

4
Aufbauend auf einem Vergleich zwischen den Anforderungen, die Hand-
werksberufe mit sich bringen, und dem tatsächlichen Profil von Hauptschü-
lern sollen mögliche Maßnahmen zur Erhöhung der Ausbildungsfähigkeit
vorgestellt und diskutiert werden.
Im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit stehen Jugendliche am Ende ihrer
Hauptschulzeit, im Übergang in eine handwerkliche Ausbildung des dualen
Systems und zu Beginn dieser Ausbildung. Dabei wird der Blick auf diejeni-
gen geschärft, die für den Markt zu schwach, für überbrückende Maßnahmen
wie das Berufsvorbereitungsjahr (BVJ) jedoch zu stark sind. Für diese Schü-
ler soll nach alternativen, aber direkten Wegen in die betriebliche Ausbildung
gesucht werden, wodurch sich tief greifende Brüche im Berufsverlauf ver-
meiden lassen. Es geht also um die Fragestellungen, wie die Ausbildungsrei-
fe von Hauptschülern besser gefördert und wie Betriebe besser mit benach-
teiligten Jugendlichen umgehen können. Auf eine differenzierte Betrachtung
von Geschlechtern und Nationalitäten wird verzichtet, da diese den Rahmen
der Arbeit sprengen würde.
Abbildung1: Baden-württembergische Wege in die Berufstätigkeit. Schwer-
punkte dieser Arbeit sind schattiert dargestellt.
Grundschule
Klassen 1-4
Hauptschule
Klassen 5-9
Realschule
Klassen 5-10
Gymnasium
Klassen 5-12
Berufs-
praktika
Duale Ausbildung
meist 3 Jahre
- Betrieb
- Berufsschule
Berufsvorbereitungs-
jahr (BVJ)
Außerbetriebliche
Ausbildung
Ausbildungsbegleit-
ende Hilfen (abH)
Berufs-
tätigkeit
2. Schwelle
1. Schwelle
Assessment-
Center

5
Auf der Suche nach Lösungen soll weder das baden-württembergische (drei-
gliedrige) Schulsystem noch das duale System grundsätzlich in Frage ge-
stellt werden. Das Ziel lautet vielmehr, für bestehende Strukturen Verbesse-
rungsansätze zu entwickeln und auf ihre Wirksamkeit zu hinterfragen.
1.3 Methodische
Vorgehensweisen
Diese Arbeit setzt sich aus vier Kapiteln zusammen.
Das folgende (zweite) Kapitel widmet sich den Veränderungen, denen sich
die schulische und berufliche Bildung sowie die handwerklichen Berufsbilder
ausgesetzt sehen. Es wird analysiert, welche der erforderlichen Kompeten-
zen Jugendliche mit in eine Handwerksausbildung bringen können, aber
auch, welche Qualifikationslücken bei ihnen beanstandet werden. Damit ver-
bunden wird die Zuordnung bestimmter Jugendlicher zur Gruppe der auf dem
Ausbildungsmarkt Benachteiligten. Des Weiteren wird den wesentlichen Ur-
sachen für die hohe Zahl an Ausbildungsabbrüchen auf den Grund gegan-
gen.
Im dritten Kapitel werden Problemlagen konkretisiert und praktische Lö-
sungsansätze diskutiert. Daran beteiligt werden Hauptschulen, Handwerks-
betriebe, Berufsschulen sowie die Jugendlichen selber. Als ein Ansatzpunkt
dazu werden die Anwendungsmöglichkeiten des Assessment-Center eruiert.
Einer näheren Betrachtung unterzogen werden auch die Berufspraktika an
den Hauptschulen des Landes.
Das abschließende, vierte Kapitel dient der Zusammenfassung gewonnener
Erkenntnisse und Lösungsansätze. In einem kurzen Ausblick wird das Au-
genmerk auf die mögliche künftige Entwicklung gerichtet.

6
Diese Arbeit basiert auf zwei Säulen: Die erste stellt die Auswertung breit
gefächerter Literatur dar, wobei großer Wert auf deren Aktualität gelegt wur-
de. Eigens durchgeführte Befragungen bilden die zweite Säule. Mittels teil-
standardisierter Fragebögen wurden Hauptschüler der Klassen neun nach
ihren Wegen der ausbildungsbezogenen Informationsbeschaffung, Erfahrun-
gen mit Berufspraktika, beruflichen Vorstellungen und Einstellungen gegen-
über Handwerksberufen befragt. Darüber hinaus wurden Auszubildende,
Handwerksmeister und Berufsschullehrer gebeten, Fragen zu Aspekten der
Zusammenarbeit zwischen Schulen und Betrieben zu beantworten.
Abgerundet wurden diese Befragungen durch weitergehende Gespräche mit
Ausbildungsexperten.

7
2. Grundlagen
2.1 Begriffsbestimmungen
Zum besseren Verständnis werden in diesem Abschnitt wichtige Begriffe, die
in der Arbeit verwendet werden, erläutert.
Das Arbeitsförderrecht definiert Benachteiligung von Auszubildenden in §
242 SGB III, Abs. 1: ,,Förderbedürftig sind lernbeeinträchtigte und sozial be-
nachteiligte Jugendliche, die wegen der in ihrer Person liegenden Gründe
ohne die Förderung eine Berufsausbildung nicht beginnen, fortsetzen oder
erfolgreich beenden können. (...) Förderbedürftig sind auch Auszubildende,
bei denen ohne die Förderung mit ausbildungsbegleitenden Hilfen ein Ab-
bruch ihrer Ausbildung droht."
4
Aus Sicht der Betriebe und Berufsschulen ist die Ausbildung von Benachtei-
ligten durch einen höheren Aufwand an Unterstützung und langsameren
Lernprozessen gekennzeichnet.
5
Einige Fachleute wenden diese Definition auf all diejenigen Jugendlichen an,
denen ein mittlerer Bildungsabschluss verwehrt bleibt.
6
Nachfolgend werden als benachteiligt diejenigen verstanden, die aus eigener
Kraft keinen Zugang zur beruflichen Ausbildung finden bzw. an den Anforde-
rungen der Berufsausbildung zu scheitern drohen und deshalb auf gezielte
Unterstützung angewiesen sind.
Der Begriff Berufsausbildung wird definiert als ein ,,systematisch angelegter
und auf den Erwerb unmittelbar berufspraktisch orientierter Qualifikationen
4
SGB, Sozialgesetzbuch, Förderbedürftige Auszubildende, http//:www.gesetze-im-
internet.de, Abrufdatum: 07.10.2004, Ausdruckdatum: 07.10.2004.
5
Vgl. Gericke, Thomas, Duale Ausbildung für Benachteiligte, Übergänge in Arbeit, Band 3,
München, 2003, S. 62, 115.
6
Vgl. Burgert, Michael, Fit fürs Leben, Grundriss einer Pädagogik für benachteiligte Jugend-
liche in Schule, Ausbildung und Erwerbsarbeit, Langenau-Ulm, 2001, S. 21.

8
gerichteter Lernprozess"
7
. Neben der Umschulung und im weiteren Sinn der
Weiterbildung zählt hierzu die berufliche Erstausbildung, die Gegenstand
dieser Arbeit ist.
Die berufliche Erstausbildung findet zumeist im Dualen System statt, bei
dem die Ausbildung an zwei Lernorten erfolgt: im Betrieb und in der Berufs-
schule. Der Betrieb vermittelt berufsspezifische Fertigkeiten und Kenntnisse
sowie Erfahrungen im beruflichen Alltag (Schwerpunkt im praktischen Be-
reich). Die Ausbildungspflicht des Betriebes und die Lernpflicht des Auszubil-
denden werden privatrechtlich geregelt. Die Berufsschule vermittelt das fach-
liche Grundwissen, ergänzt die betriebliche Ausbildung und erweitert die All-
gemeinbildung (Schwerpunkt im theoretischen Bereich). Aufgrund einer öf-
fentlich-rechtlichen Regelung sind die Auszubildenden berufsschulpflichtig.
Betrieb und Berufsschule haben den Auftrag, den Auszubildenden gemein-
sam zur Berufsfähigkeit zu führen.
8
Das baden-württembergische Schulsystem ist dreigliedrig aufgebaut, beste-
hend aus Hauptschule, Realschule und Gymnasium. Die Hauptschule um-
fasst die Sekundarstufe I mit den Klassen fünf bis neun. Seit einigen Jahren
kann an vielen Hauptschulen mit der ,,Werkrealschule" in Klasse neun und
(zusätzlich) zehn die Mittlere Reife erworben werden.
Das baden-württembergische Schulgesetz beschreibt in § 6 Abs. 1 das We-
sen der Hauptschule: ,,Die Hauptschule vermittelt eine grundlegende allge-
meine Bildung, die sich an lebensnahen Sachverhalten und Aufgabenstel-
lungen orientiert. Sie fördert in besonderem Maße praktische Begabungen,
Neigungen und Leistungen. In Abstimmung mit beruflichen Schulen schafft
7
Büdenbender, Ulrich/ Strutz, Hans, Gabler Kompakt-Lexikon Personal, Wiesbaden, 2003,
S. 68.
8
Vgl. Gröner, Horst/ Fuchs-Brüninghoff, Elisabeth, Lexikon der Berufsausbildung, München,
2004, S. 136-137.

9
die Hauptschule die Grundlage für eine Berufsausbildung und für weiterfüh-
rende, insbesondere berufsbezogene schulische Bildungsgänge."
9
Die Hauptschulempfehlung wird in der Regel ausgesprochen, wenn der No-
tendurchschnitt in der vierten Grundschulklasse bei 3,1 oder schlechter liegt.
,,Soziale Kompetenz" bezeichnet das Ausmaß, in dem ein Mensch fähig ist,
in seinem Umfeld selbstständig und angemessen zu handeln. Es umfasst z.
B. Team- und Kritikfähigkeit, Selbstreflexion und Fleiß. Soziale Kompetenzen
werden abgegrenzt zu Fach- und Methodenkompetenzen. Bei Fachkompe-
tenzen handelt es sich um Fähigkeiten wie handwerkliche Geschicklichkeit,
die sich auf ein berufliches Aufgabengebiet beziehen. Methodenkompetenz
meint die Beherrschung von Strategien, um die fachlichen Qualifikationen
effizient einsetzen zu können. Aus den drei Kompetenzen ergibt sich die
Handlungskompetenz.
10
Eine andere Definition des Begriffes ,,Soziale Kompetenz" meint die Befähi-
gung des Individuums, sich selber helfen zu können und sozialen Kontakt zu
anderen aufzunehmen. Damit verbunden ist dann die Verantwortung für sich
selber und für andere Menschen.
11
Wenn im Text keine andere Definition vorgenommen wird, kann in dieser
Arbeit unter ,,Sozialer Kompetenz" die Fähigkeit verstanden werden, die Per-
sönlichkeit mit ihren eigenen Bedürfnissen mit den Interessen anderer Per-
sonen und Werten der Gesellschaft in Einklang bringen zu können.
9
Schulgesetz (SchG) für Baden-Württemberg, Fassung vom 01.08.1983, zuletzt geändert
am 01.04.04, http://www.leu.bw.schule.de, Abrufdatum: 19.08.2004, Ausdruckdatum:
19.08.2004.
10
Vgl. Crisand, Ekkehard, Soziale Kompetenz als persönlicher Erfolgsfaktor, Wilhelmsfeld,
2002, S. 16-22.
11
Vgl. Lüer, Gerd. In: Psychologisches Wörterbuch, 13., überarbeitete und erweiterte Aufla-
ge, Bern, Göttingen, Toronto, Seattle, 1998, S. 806.

10
2.2 Wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Wandel
2.2.1 Bildungsexpansion
Die Schülerinnen und Schüler streben zunehmend höhere Bildungsab-
schlüsse an.
Übergänge zum
Schuljahr
Hauptschulen
in %
Realschulen
in %
Gymnasien
in %
1993/94 36,3 28,8 31,9
1998/99 34,8 30,5 33,0
2003/04 31,8 31,5 35,3
Tabelle 1: Übergänge von Grundschulen auf weiterführende Schulen in Ba-
den-Württemberg in Prozent, dargestellt in Abständen von fünf Jahren.
12
Die steigenden Übergangszahlen auf Realschulen und Gymnasien zeigen,
dass immer größere Teile unserer Gesellschaft den Zugang zu umfassende-
rer schulischer Bildung finden. Dieser Trend wird verstärkt dadurch, dass
offensichtlich die meisten Hauptschüler nicht davon ausgehen, mit dem
Hauptschulabschluss ihre beruflichen Vorstellungen verwirklichen zu können.
Zu Beginn der neunten Hauptschulklasse hatten 65 Prozent der für diese
Arbeit befragten Hauptschüler vor, in direktem Anschluss an die Hauptschule
die Mittlere Reife zu erwerben.
13
Manche Experten sehen durch diese ,,Infla-
tion höherer Bildungsabschlüsse" einen gewissen Verlust an Exklusivität und
damit Wert.
14
Wenn immer mehr junge Menschen den mittleren Schulab-
schluss oder die Hochschulreife anstreben und immer weniger mit dem
12
Vgl. Wolf, Rainer. In: Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 10/2003, Stuttgart,
2003, S. 13 (Daten bis 1998/1999); Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, http://
www.statistik-bw.de/bildungkulturlandesdaten/übergänger03.asp, Abrufdatum: 04.08.2004,
Ausdruckdatum: 04.08.2004 (Daten der letzten Zeile).
13
Siehe Anhang S. IV.
14
Vgl. Steinmann, Susanne, Bildung, Ausbildung und Arbeitsmarktchancen in Deutschland,
Opladen, 2000, S. 251.

11
Hauptschulabschluss in das Berufsleben eintreten wollen oder können, so
kann dies zu einer Entwertung der Hauptschule zur Restschule derer mit ge-
ringster Leistungsfähigkeit oder -bereitschaft führen. Positive Vorbilder in Be-
zug auf Leistung (und Verhalten) fehlen dann an diesem Schultyp. Höher
Qualifizierte werden - vor allem mit abgeschlossenem Studium - auf dem Ar-
beitsmarkt deutlich stärker nachgefragt. Entsprechend dem Trend zu höhe-
ren schulischen Abschlüssen und dem Bedarf der Wirtschaft hat die Studien-
anfängerquote von 1998 bis 2003 um über 10 Prozent auf 39,6 Prozent zu-
genommen.
15
Damit liegt Deutschland jedoch immer noch deutlich unter
dem internationalen Niveau.
16
Der Trend zu höheren Schulabschlüssen hat Deutschland im Länderver-
gleich zu keinem Vorsprung verholfen. Dies belegt die PISA-Studie, die im
Jahr 2000 von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung (OECD) in 28 Ländern unter 15-jährigen Schülern durchgeführt
wurde. Die deutschen Schüler erreichten insbesondere mit ihren Kenntnissen
in Mathematik und beim Lesen nur mittelmäßige Ergebnisse. Außerdem
wurde eine vergleichsweise große Leistungsstreuung - beim Lesen 2,5
Schuljahren entsprechend - zwischen den Leistungsstärksten und Leistungs-
schwächsten festgestellt. Dies wird vor allem auf die sehr schlechten Resul-
tate im unteren Leistungsbereich zurückgeführt. Ein Viertel der 15-jährigen,
so die bisher umfassendste Schulleistungsstudie, kann gar nur auf Grund-
schulniveau rechnen und wird daher als ,,Risikogruppe" eingestuft. Der Zu-
sammenhang zwischen sozialer Herkunft und erworbenen Kompetenzen ist
in Deutschland so stark ausgeprägt wie in keinem anderen Staat.
17
Dies bes-
tätigt die Shell-Jugendstudie: während knapp die Hälfte der Unterschichtju-
gendlichen die Hauptschule besucht, ist das Gymnasium für 65 Prozent der
15
Vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung, Berufsbildungsbericht 2004, Berlin,
2004, S. 21.
16
OECD, Bildung auf einen Blick, OECD-Indikatoren 2004, Paris, 2004, S. 313. Das Län-
dermittel lag demnach im Jahr 2002 bei 51 Prozent.
17
Vgl. Stanat, P./ Artelt, C./ Baumert, J., PISA 2000: Die Studie im Überblick, Grundlagen,
Methoden und Ergebnisse, Berlin, 2002, S. 7-16; Vgl. Kultusministerkonferenz, Bewertung
der bundesinternen Leistungsvergleiche (PISA-E), Berlin, 2002, S. 6.

12
Jugendlichen aus der Oberschicht der vorherrschende Schultyp.
18
Lokal be-
trachtet lassen sich noch wesentlich deutlichere Zusammenhänge finden.
19
Schüler/innen aus Baden-Württemberg zeigten im bundesweiten Vergleich in
Mathematik und beim Lesen die zweitbesten Leistungen und liegen bei den
ebenfalls untersuchten sozialen Kompetenzen an erster Stelle. Damit befin-
den sie sich insgesamt in etwa auf dem Mittelwert der getesteten OECD-
Länder.
20
Doch auch im Südwesten der Bundesrepublik verlassen Jahr für
Jahr rund fünf bis sechs Prozent der jungen Menschen die Schule ohne jegli-
chen Abschluss - zumeist an der Hauptschule.
21
Ein Blick in die Zukunft könnte wie folgt aussehen: Die Anzahl der Schulab-
gänger geht entsprechend der Jahrgangsstärken zurück - an den Hauptschu-
len bereits seit dem Schuljahr 2003/04, an den anderen Schularten zeitver-
zögert.
22
Die Lage auf dem Ausbildungsmarkt wird sich dadurch voraussicht-
lich etwas entspannen.
Allerdings könnte es wieder Verschiebungen innerhalb der Schularten geben.
Denn aus Partnerschaften von Frauen und Männern hoher Schul- und Be-
rufsbildungen geht weitaus seltener Nachwuchs hervor als aus bildungsfer-
nen Schichten.
23
18
Vgl. Hurrelmann, Klaus/ Albert, Mathias, Deutsche Shell (Hrsg.), Jugend 2002, Zwischen
pragmatischem Idealismus und robustem Materialismus, Frankfurt am Main, 2002, S.63.
19
So besuchen 90 Prozent der Kinder aus dem Stuttgarter Nobelwohngebiet auf dem Killes-
berg das Gymnasium. Aus dem sozialen Brennpunkt im Stuttgarter Hallschlag hingegen
bewältigen diesen Sprung nur 10 Prozent der Kinder. Vgl. Gerster, Michael. In: Stuttgarter
Nachrichten, 08.09.03, S. 17.
20
Vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, Magazin Schule Extra,
PISA-E, Vertiefter Länderbericht, 2003, S.8.
21
Vgl. Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, http://www.statistik-bw.de/bildungkultur
/landesdaten/abgänger.asp, Abrufdatum: 04.08.2004, Ausdruckdatum: 04.08.2004, S. 1. Die
Daten beziehen sich auf das Jahr 2003.
22
Vgl. Wolf, Rainer. In: Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 10/2003, Stuttgart,
2003, S. 18.
23
Vgl. Eggen, Bernd/ Leschhorn, Harald. In: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg,
Statistisches Monatsheft 07/2004, Stuttgart, 2004, S. 10.

13
2.2.2 Berufswahlverhalten junger Menschen
Besonders wichtig sind den Hauptschülern bei der Berufswahl die berufliche
Zukunft (78,6 Prozent) sowie gute Aufstiegsmöglichkeiten (61,8). Die Vielsei-
tigkeit der Tätigkeit ist ihnen weitaus weniger wichtig als Realschülern und
Gymnasiasten.
24
Eine Projektion des künftigen Qualifikationsbedarfs aus Sicht des Arbeits-
marktes zeigt, dass die beruflichen Spielräume für Menschen aus dem unte-
ren Bildungsbereich immer geringer werden: War im Jahr 1991 für 20 Pro-
zent der Beschäftigten keine Ausbildung erforderlich, wird sich dieser Anteil
bis zum Jahr 2010 voraussichtlich halbieren. Zunehmen wird der anteilsmä-
ßige Bedarf an Studierten und Arbeitskräften mit betrieblicher oder schuli-
scher Berufsausbildung. Die Situation für den unqualifizierten Personenkreis
wird dadurch verschärft, dass der Arbeitsmarkt für Ungelernte erheblich auf
konjunkturelle Schwankungen reagiert.
25
Seit längerem lässt sich ein erhöh-
tes Risiko der Arbeitslosigkeit für geringer Qualifizierte feststellen.
26
Diese
Gruppe dürfte es auch sein, die häufiger auf ,,Just-in-Time-
Beschäftigungen"
27
angewiesen sein wird.
Die gestiegenen Qualifikationsanforderungen des Arbeitsmarktes und die
sinkende Halbwertszeit von Wissen führen tendenziell auch zu höheren An-
sprüchen an Auszubildende, wodurch der Ausleseprozess verstärkt wird, der
benachteiligte Jugendliche zunehmend aus der betrieblichen Ausbildung ver-
drängt.
28
24
Vgl. Hampel, Jürgen/ Schneider, Melanie/ Spurk, Astrid, Nachwuchsmangel im baden-
württembergischen Handwerk, Stuttgart, 2003, S. 14.
25
Vgl. Dostal, Werner, Beschäftigung und Berufsbildung aus Sicht des Arbeitsmarktes, ibv
Nr. 12, Nürnberg, 2003, S. 1481.
26
OECD, Bildung auf einen Blick, OECD-Indikatoren 2004, Paris, 2004, S. 161-167.
27
Rifkin, Jeremy, Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft, Neue Konzepte für das 21. Jahr-
hundert, Frankfurt am Main, New York, 2004, S. 165.
28
Vgl. Schierholz, Henning, Strategien gegen Jugendarbeitslosigkeit, Hannover, 2001, S.
141.

14
Die Berufe mit den meisten Auszubildenden im Dualen System sind Indust-
riekaufmann/ -frau (9.345 Auszubildende in Baden-Württemberg), Einzelhan-
delskaufmann/ -frau (8.710), Kfz-Mechaniker/ -in (6.629), Bankkaufmann/ -
frau (6.207) sowie Groß- und Außenhandelskaufmann/ -frau (6.053).
29
Unter
den Schulabschlüssen beim Eintritt in das duale Ausbildungssystem domi-
niert die Mittlere Reife mit 36 Prozent, gefolgt vom Hauptschulabschluss (30
Prozent) und der Fachhochschulreife (14 Prozent).
30
Den Wunsch nach einer
(evtl. auch späteren) betrieblichen Berufsausbildung haben knapp 80 Prozent
sowohl der Haupt- als auch der Realschüler.
31
Eine Befragung unter 270
Hauptschülern der neunten Klasse brachte eindeutige Berufspräferenzen
hervor: Bei den Mädchen liegen kaufmännische Berufe (allen voran im Ein-
zelhandel) sowie der Beruf der Arzthelferin und der Erzieherin ganz oben auf
der Wunschliste. Bei den männlichen Jugendlichen dominiert der Kfz-
Mechatroniker sehr deutlich, gefolgt vom Industriemechaniker, dem Me-
chatroniker und dem Einzelhandelskaufmann.
32
Ausbildungsberufe im
Handwerk
Neue Ausbildungsverträge in
Baden-Württemberg (2003)
Mit Hauptschulab-
schluss in Prozent
Kfz-Mechatroniker 2.189 50,3
Friseur/in 2.112
50,3
Tischler 1.236
38,7
Maler u. Lackierer
1.118
62,7
Bäcker
891
73,6
Tabelle 2: Im Jahr 2003 neu abgeschlossene Ausbildungsverträge im baden-
württembergischen Handwerk.
33
29
Vgl. Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, Statistische Berichte Baden-
Württemberg vom 09.06.2004, Stuttgart, 2004, S. 6-9.
30
Vgl. Dostal, Werner, Beschäftigung und Berufsbildung aus Sicht des Arbeitsmarktes, ibv
Nr. 12, Nürnberg, 2003, S. 1487. Es handelt sich um bundesweite Daten.
31
Vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung, Berufsbildungsbericht 2004, Berlin,
2004, Übersicht 16. Es handelt sich um bundesweite Daten.
32
Siehe Anhang S. VII.
33
In Anlehnung an: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, Statistische Berichte Ba-
den-Württemberg vom 09.06.2004, Stuttgart, 2004, S. 8-10. (mittlere Spalte); Bundesminis-

15
Im baden-württembergischen Handwerk wurden im Jahr 2003 insgesamt
21.521 Ausbildungsverträge abgeschlossen. Die Zahl der Auszubildenden in
dieser Branche verringerte sich leicht auf 55.934. Der Anteil der vorzeitig
aufgelösten Verträge betrug 23,7 Prozent.
34
Auch von denjenigen, die alle
Hürden der Ausbildung überwunden haben, verbleiben lediglich die Hälfte im
Handwerk. Für viele Jugendliche stellen diese Berufe offensichtlich eine
Durchgangsstation dar.
35
Neben der hohen Abbrecherquote ist der Anteil
derer, die ihre Abschlussprüfung wiederholen müssen, mit (bundesweit) 14,1
Prozent im Handwerk bemerkenswert hoch.
36
Eine Befragung ergab vielfälti-
ge Gründe für die vorzeitigen Abbrüche: Nach Einschätzung der Auszubil-
denden waren Probleme mit dem Arbeitgeber (33 Prozent) und die mangeln-
de Ausbildungsqualität (27,3 Prozent) dafür wesentlich mitverantwortlich. Ein
Drittel der Arbeitgeber sahen hingegen einen Mangel an Motivation sowie
Lern- und Leistungsschwierigkeiten auf Seiten der Auszubildenden (22,2
Prozent) als Ursachen. Interessant ­ vor allem für Bemühungen um eine Re-
duzierung von Ausbildungsabbrüchen ­ ist die Tatsache, dass im Nachhinein
über zwei Drittel beider Parteien den Abbruch für vermeidbar hielten. Ent-
scheidend wären unzureichende Problemlösungskompetenzen und Kommu-
nikationsdefizite gewesen.
37
Von 1.100 im Jahr 2002 befragten Hauptschülern äußerten nur knapp 48
Prozent, dass für sie eine Ausbildung im Handwerk ,,voll und ganz" oder ,,e-
her" in Frage käme. Ein etwas größerer Anteil kann sich eine kaufmännische
Ausbildung vorstellen. Ganz vorne rangiert der Wunsch nach einer weiterfüh-
renden Schulausbildung. Das gesellschaftliche Ansehen des Handwerks wird
von Jugendlichen aller Schultypen zu knapp 58 Prozent und von den Haupt-
terium für Bildung und Forschung, Berufsbildungsbericht 2004, Berlin, 2004, Übersicht 22
(rechte Spalte, bundesweite Daten).
34
Vgl. Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, Statistische Berichte Baden-
Württemberg vom 09.06.2004, Stuttgart, 2004, S. 1, 17.
35
Vgl. Hampel, Jürgen/ Schneider, Melanie/ Spurk, Astrid, Nachwuchsmangel im baden-
württembergischen Handwerk, Stuttgart, 2003, S. 8.
36
Vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung, Berufsbildungsbericht 2004, Berlin,
2004, S. 179.
37
Vgl. Westdeutscher Handwerkskammertag, Ziellauf ­ Vermeidung von Ausbildungsabbrü-
chen, Erfahrungsbericht des Projekts, Düsseldorf, 2000, S. 13-17.

16
schülern immerhin noch zu 45,5 Prozent als negativ eingeschätzt. Ebenso
werden die Aufstiegschancen, das Einkommen
38
und die ,,unsaubere Arbeit"
als ungünstig betrachtet. Positiv werden lediglich die Aussichten auf eine
spätere Selbstständigkeit und die Vielseitigkeit der Arbeit bewertet. Insge-
samt werden Handwerker als Handlanger und nicht als Beschäftigte in einem
zukunftsorientierten Wirtschaftszweig gesehen. Dies macht die erheblichen
Rekrutierungsprobleme des Handwerks verständlich.
39
Allerdings erbrachten eigene Erhebungen unter 270 Hauptschülern ein posi-
tiveres Bild vom Handwerk: 59 Prozent können sich eine Ausbildung im
Handwerk vorstellen. Das Ansehen der zugehörigen Berufe wird zu 78 Pro-
zent positiv oder eher positiv eingeschätzt.
40
Möglicherweise sind die Abwei-
chungen zwischen beiden Befragungen zumindest teilweise damit zu erklä-
ren, dass zwei Jahre dazwischen lagen, während denen sich die Ausbil-
dungssituation deutlich verschlechtert hat. Dies könnte das Handwerk als
aussichtsreichste Ausbildungsbranche aus Sicht der Hauptschüler in ein
freundlicheres Licht gerückt haben.
2.2.3 Berufsbilder im Handwerk
Von insgesamt rund 350 in Deutschland anerkannten Ausbildungsberufen
entfallen über 120 auf das Handwerk.
41
Diese lassen sich u. a. in die Grup-
pen ,,Bau und Ausbau", ,,Elektro und Metall", ,,Holz", ,,Körperpflege" sowie
,,Nahrungsmittel" unterteilen.
42
38
Die Ausbildungsvergütungen des Handwerks lagen in 2003 mit monatlich 523 Euro (West)
bzw. 415 Euro (Ost) deutlich unter dem Schnitt aller Ausbildungsbereiche (612 bzw. 517
Euro). Vgl. Presse- und Informationsdienst der Bundesregierung, Rundbrief Ausbildung
1/2004, Berlin, 2004, S. 6.
39
Vgl. Hampel, Jürgen/ Schneider, Melanie/ Spurk, Astrid, Nachwuchsmangel im baden-
württembergischen Handwerk, Stuttgart, 2003, S. 20-24.
40
Siehe Anhang S. V.
41
Vgl. Institut der Deutschen Wirtschaft Köln, Wirtschaft und Unterricht 01/2004, Köln, 2004,
S. 4; Handwerkskammer Reutlingen, Hilfen zur Berufswahl, http://www.hwk-reutlingen.de/
ausbildung/hilfen/berufswahlhilfen2.html, Abrufdatum: 10.08.2004, Ausdruckdatum:
10.08.2004.
42
Vgl. Westdeutscher Handwerkskammertag, Handfest ­ Unterrichtsmodul Politik (Wirt-
schaft), Düsseldorf, 2003, S. 24.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2004
ISBN (eBook)
9783832484828
ISBN (Paperback)
9783838684826
DOI
10.3239/9783832484828
Dateigröße
607 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
AKAD-Fachhochschule Leipzig – unbekannt
Erscheinungsdatum
2004 (Dezember)
Note
1,5
Schlagworte
jugendliche berufe benachteiligte assessment-center bildung
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Titel: Baden-württembergische Hauptschulabgänger auf dem Weg in eine handwerkliche Ausbildung
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