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Organisationale Gerechtigkeit und innovatives Verhalten in Organisationen

©2004 Magisterarbeit 118 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Zusammenfassung:
Es werden die möglichen Zusammenhänge zwischen den Dimensionen Organisationaler Gerechtigkeit und individuellem innovativen Verhalten am Arbeitsplatz untersucht. 127 Teilnehmer, die in Organisationen arbeiteten, welche standardisierte Leistungsbeurteilungsgespräche einsetzen, beantworteten eine deutschsprachige Übersetzung des Fragebogens von Colquitt (2001) zur Messung Organisationaler Gerechtigkeit bei Beurteilungsgesprächen. Zusätzlich wurde individuelles innovatives Verhalten sowie mehrere Kontrollvariablen mittels bereits validierten Skalen und einigen eigenentwickelten Fragen operationalisiert. Die Ergebnisse wiesen darauf hin, dass Interpersonale und Prozedurale Gerechtigkeit in einem negativen Zusammenhang mit der Beteiligung am offiziellen Vorschlagswesen stehen, wobei Leader-Member Exchange Quality einen Mediationseffekt auf diese Zusammenhänge ausübt. Gleichzeitig fand sich ein positiver Zusammenhang zwischen Verteilungs-Gerechtigkeit und dem Einbringen von inoffiziellen Verbesserungsvorschlägen am direkten Arbeitsplatz. Kontrollvariablen wie Eigeninitiative, Bedürfnis nach persönlicher Entfaltung, Ideen haben, und intrinsische Arbeitsmotivation stehen, wie aus Innovationstheorien ableitbar, generell in positivem Zusammenhang zu Aspekten individuellem innovativen Verhaltens. Die praktischen und theoretischen Implikationen dieser Befunde für Gerechtigkeits- und Innovationstheorien werden diskutiert.
Abstract:
Possible connections between the dimensions of Organizational Justice and individual innovative behavior at the workplace are examined. 127 participants working in organizations using standardized performance evaluation conversations answered a German translation of a questionnaire by Colquitt (2001) for the measurement of Organizational Justice during evaluation conversations. Additionally, individual innovative behavior as well as several control variables were operationalized via validated scales and some self-developed questions. Results indicate that Interpersonal and Procedural Justice display a negative connection with participation in official suggestion systems, with Leader-Member Exchange Quality exerting a mediating effect on these connections. Simultaneously, a positive connection was found between Distributive Justice and the contribution of unofficial improvement suggestions at the direct workplace. Control variables such as Self-Initiative, need for personal development, having Ideas […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 8351
Reisch, Laszlo: Organisationale Gerechtigkeit und innovatives Verhalten in Organisationen
Hamburg: Diplomica GmbH, 2004
Zugl.: Ludwig-Maximilians-Universität München, Magisterarbeit, 2004
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2004
Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis
2
1
Zusammenfassung/Abstract ... 4
2
Einleitung... 6
3
Theorie... 8
3.1
Gerechtigkeitsdimensionen: a) Verteilungs-Gerechtigkeit ... 8
3.2
Gerechtigkeitsdimensionen: b) Prozedurale Gerechtigkeit ... 9
3.3
Gerechtigkeitsdimensionen: c) Interpersonale Gerechtigkeit ... 10
3.4
Gerechtigkeitsdimensionen: d) Informations-Gerechtigkeit ... 11
3.5
Die Validität der vier Gerechtigkeitsdimensionen... 11
3.6
Wie wirkt Organisationale Gerechtigkeit? ... 13
3.6.1
Das Verteilungs-Dominanz Modell... 13
3.6.2.
Das ,,Group-Value"-Modell ... 14
3.6.3
Das 2-Faktor Modell... 15
3.6.4
Das Agent-System Modell ... 16
3.7
Organisationale Gerechtigkeit und Ergebnisse ... 17
3.7.1
Verteilungs-Gerechtigkeit beeinflusst affektive Reaktionen auf Ergebnisse ... 17
3.7.2
Prozedurale Gerechtigkeit beeinflusst Verhalten gegenüber der Organisation19
3.7.3
Interpersonale und Informations-Gerechtigkeit beeinflussen Reaktionen
gegenüber Vorgesetzten ... 21
3.8
Begründung dieser Studie ... 23
3.9
Definition von Innovation ... 23
3.10 Strömungen in der Innovationsforschung ... 25
3.11 Innovationsförderliche und ­hinderliche Faktoren ... 26
3.11.1
Innovationsförderliche Personenmerkmale ... 26
3.11.2
Innovationsförderliche Arbeitsplatzmerkmale ... 27
3.11.3
Innovationsförderliche Arbeitsgruppen- und Führungsmerkmale ... 28
3.11.4
Innovationsförderliche Organisationsmerkmale ... 29
3.12 Gebert's Ansatz zur Entstehung von Innovationen... 29
4
Hypothesen... 31
4.1. Hypothese 1 ... 32
4.1.1
Hypothese 1a ... 32
4.1.2
Hypothese 1b ... 33
4.2
Hypothese 2 ... 34
4.3
Tabellarische Übersicht der Hypothesen... 35
5 Methoden ... 36
5.1. Design... 36
5.2
Stichprobe ... 36
5.3
Messinstrumente ... 37
5.4
Messung der Hauptvariablen... 38
5.4.1
Gründe für die Operationalisierung von individuellem innovativen Verhalten41
5.5
Messung von Kontrollvariablen... 42
5.6
Durchführung ... 44
6
Ergebnisse... 46
6.1
Ausreißeranalyse ... 46
6.2
Überblick der Auswertungsmethoden... 47
6.3
Grundlegende Vorgehensweise bei der Hauptkompontenanalyse ... 48
6.3.1
Ergebnisse der explorativen Hauptkomponentenanalyse ... 49

Inhaltsverzeichnis
3
6.3.2
Ergebnisse der rotierten Hauptkomponentenanalyse ... 50
6.4
Unterschiede zwischen demographischen Gruppen... 51
6.4.1
Grundlegende Vorgehensweise bei t-tests... 51
6.4.2
Grundlegende Vorgehensweise bei ANOVA... 52
6.4.3
Ergebnisse bezüglich Unterschiede zwischen demographischen Gruppen... 52
6.5
Grundlegende Vorgehensweise zur Überprüfung von Hypothesen 1a und 1b ... 54
6.5.1
Ergebnisse der bivareaten Korrelationsanalysen... 55
6.5.2
Überprüfung der Korrelationsanalyse bezüglich Hypothesen 1a und 1b ... 67
6.5.3
Weitere Ergebnisse der Korrelationsanalyse ... 68
6.6
Grundlegende Vorgehensweise bei den linearen Regressionsanalysen... 69
6.6.1
Abschließende Überprüfung der Hypothesen 1a, 1b und 2... 69
6.6.2
Detaillierte Ergebnisse zu den Prädikatoren einzelner Aspekte individueller
Innovation... 74
6.7
Tabellarischer Überblick der Ergebnisse hinsichtlich den Hypothesen... 82
7
Diskussionsteil... 83
7.1
Interpretation der Ergebnisse... 83
7.1.1
Interpersonale Ungerechtigkeit und das Einreichen offizieller Vorschläge ... 84
7.1.2
Verteilungs-Gerechtigkeit und ,,inoffiziell" eingereichte Vorschläge ... 85
7.1.3.
Die Ergebnisse in Bezug auf bekannte Innovationstheorien... 86
7.2
Einschränkungen: Diskussion von Validitäts- und Reliabilitätsaspekten... 87
7.2.1
Schwachstellen bei der Messung individueller Innovation... 88
7.2.2
Schwachstellen bei der Operatonalisierung von Gerechtigkeit ... 89
7.2.3
Einschränkungen über das Ausmaß an Bedeutung von Gerechtigkeit für den
Prozess der individuellen Innovation ... 90
7.3
Künftige Forschungsfragen bezüglich Gerechtigkeit und Innovation... 91
7.4
Bedeutung der Ergebnisse für verschiedene Interessensgruppen... 93
7.4.1
Bedeutung der Ergebnisse für die akademische Forschung... 94
7.4.2
Bedeutung der Ergebnisse für Organisationsentwickler ... 95
7.4.3
Bedeutung der Ergebnisse für Innovationsmanagement ... 96
7.5
Fazit ... 98
8
Literaturliste... 99
9
Anhang... 106
9.1
Anhang I: Deckblatt des Fragebogens dieser Studie ... 106
9.2
Anhang II: Gesamtfragebogen dieser Studie... 107
9.3.
Personal Statement ... 116

Zusammenfassung
4
1
Zusammenfassung
Es werden die möglichen Zusammenhänge zwischen den Dimensionen Organisationaler
Gerechtigkeit und individuellem innovativen Verhalten am Arbeitsplatz untersucht. 127
Teilnehmer, die in Organisationen arbeiteten, welche standardisierte
Leistungsbeurteilungsgespräche einsetzen, beantworteten eine deutschsprachige Übersetzung
des Fragebogens von Colquitt (2001) zur Messung Organisationaler Gerechtigkeit bei
Beurteilungsgesprächen. Zusätzlich wurde individuelles innovatives Verhalten sowie mehrere
Kontrollvariablen mittels bereits validierten Skalen und einigen eigenentwickelten Fragen
operationalisiert. Die Ergebnisse wiesen darauf hin, dass Interpersonale und Prozedurale
Gerechtigkeit in einem negativen Zusammenhang mit der Beteiligung am offiziellen
Vorschlagswesen stehen, wobei Leader-Member Exchange Quality einen Mediationseffekt
auf diese Zusammenhänge ausübt. Gleichzeitig fand sich ein positiver Zusammenhang
zwischen Verteilungs-Gerechtigkeit und dem Einbringen von inoffiziellen
Verbesserungsvorschlägen am direkten Arbeitsplatz. Kontrollvariablen wie Eigeninitiative,
Bedürfnis nach persönlicher Entfaltung, Ideen haben, und intrinsische Arbeitsmotivation
stehen, wie aus Innovationstheorien ableitbar, generell in positivem Zusammenhang zu
Aspekten individuellem innovativen Verhaltens. Die praktischen und theoretischen
Implikationen dieser Befunde für Gerechtigkeits- und Innovationstheorien werden diskutiert.
Abstract
Possible connections between the dimensions of Organizational Justice and individual
innovative behavior at the workplace are examined. 127 participants working in organizations
using standardized performance evaluation conversations answered a German translation of a
questionnaire by Colquitt (2001) for the measurement of Organizational Justice during
evaluation conversations. Additionally, individual innovative behavior as well as several
control variables were operationalized via validated scales and some self-developed questions.
Results indicate that Interpersonal and Procedural Justice display a negative connection with
participation in official suggestion systems, with Leader-Member Exchange Quality exerting
a mediating effect on these connections. Simultaneously, a positive connection was found
between Distributive Justice and the contribution of unofficial improvement suggestions at the
direct workplace. Control variables such as Self-Initiative, need for personal development,
having Ideas and intrinsic work motivation were found to be in a generally positive

Zusammenfassung
5
relationship to aspects of individual innovative behavior, as was deducible from innovation
theory. Implications of these results for theories of justice and innovation will be discussed.

Einleitung
6
Organisationale Gerechtigkeit und innovatives Verhalten in Organisationen
2
Einleitung
In den letzten Jahren sind sowohl Gerechtigkeit wie auch Innovation zu wichtigen
Forschungsgebieten der Sozialwissenschaften geworden. Gerechtigkeit wird dabei nicht als
objektiv greifbares Konzept betrachtet. Vielmehr handelt es sich um ein gesellschaftliches
und soziales Konstrukt, welches subjektiv wahrgenommen und empfunden wird. Die
individuelle Wahrnehmung von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit ergibt sich durch die
soziale Interaktion mit anderen Individuen, Gruppen und Organisationen. Einige Forscher
sehen den Wert der Gerechtigkeitsforschung darin, dass Gerechtigkeit eine wichtige
gesellschaftliche Vermittlungsfunktion übernimmt, da das Streben nach Gerechtigkeit
Menschen und Gruppen überhaupt erst erlaube, miteinander zu interagieren, ohne dass es zu
Konflikten und einem gesellschaftlichen Zusammenbruch kommt (Tyler, 2000). Damit ist das
Konzept der Gerechtigkeit jedoch nur dann von Nutzen, wenn die Mehrzahl von Gruppen-
oder Organisationsmitgliedern Gerechtigkeit ähnlich definieren. Gerechtigkeit ist nur dann
gesellschaftsstabilisierend wenn Menschen eine globale Form von Gerechtigkeit verfolgen,
und Gerechtigkeit nicht nur für sich Selbst oder ihre eigene Gruppe geltend machen.
Laut Colquitt (2001) hat die Forschung über Gerechtigkeitswahrnehmungen den
zusätzlichen Wert, dass damit ein Konzept erforscht wird, über das sich Menschen im
täglichen Leben ständig Gedanken machen würden. Die Frage, ob Entscheidungen auf eine
gerechte Art- und Weise gefällt werden beschäftigt Menschen und Gruppen. Wie die
Gerechtigkeitsforschung nachweisen kann, üben diese Gerechtigkeitswahrnehmungen und ­
Empfindungen wiederum großen Einfluss auf Einstellungen und Verhaltensweisen von
Mitgliedern sozialer Gruppen aus. Gerechtigkeitswahrnehmungen sind ein Faktor, welche
Einstellung und Verhalten gegenüber Personen, Familien, Teams und Nationen präge n (Tyler,
Degoey & Smith, 1996). Bemühungen, den Einfluss von Gerechtigkeit auf unterschiedliche
Ergebnisse innerhalb von Organisationen zu erklären, werden unter der Rubrik
Organisationale Gerechtigkeit als Forschungsgebiet zusammengefasst.
Innovation ist vor allem deswegen ein populäres psychologisches Forschungsgebiet
geworden, weil Innovationen für den ökonomischen Erfolg von Unternehmen von zentraler

Einleitung
7
Bedeutung sind (Guldin, 2001), gerade auch in Deutschland, einem Wirtschaftsstandort,
dessen Unterne hmen seit mehreren Jahren mit Firmen konfrontiert sind, welche nicht nur
kostengünstiger produzieren, sondern auch die Ergebnisse technischer und organisationaler
Entwicklungen schneller und effektiver nutzen (Kauffeld, Jonas, Grote & Frey, 2002). Es ist
allgemein anerkannt, dass das Fundament von Innovationen aus Ideen besteht, und dass es
Menschen sind, welche Ideen ,,entwickeln, tragen, darauf reagieren und modifizieren" (Van
de Ven, 1986, S. 592). Die Frage, wie individuelle Innovativität motiviert und/oder gefördert
werden kann, ist in Zeiten des globalen Wettbewerbs für fast alle Unternehmen in
Wettbewerbssituationen immens wichtig. Deswegen erscheint es sinnvoll, das
Forschungsgebiet Gerechtigkeit mit dem Thema Innovation zu verbinden. Gerechtigkeit ha t
nachweislich kausalen Einfluss auf das Verhalten von Organisationsmitgliedern, unter
anderem auf Regeleinhaltung, Leistung und kontraproduktives Arbeitsverhalten (Colquitt,
2001). Betrachtet man Ideengenerierung und das Einreichen von Verbesserungsvorschlägen
als Verhalten, so ist der Gedanke, dass Gerechtigkeit damit auch auf individuelle Innovation
und Ideengenerierung einen Einfluss hat, naheliegend.
Im nachfolgenden Teil soll zuerst das Konstrukt Gerechtigkeit und daraufhin das
Forschungsgebiet Innovation ausführlicher dargestellt werden. Dabei wird geklärt, welche
Arten von Gerechtigkeit bisher bereits erforscht wurden und zu welchen organisationalen
Ergebnissen diese Gerechtigkeitsarten führen. Anschließend wird der Begriff Innovation
definiert, und geklärt, bezüglich welcher Phase des Innovationsprozesses diese Studie
Aussagen macht. Daraus heraus ergeben sich dann die Hypothesen dieser Studie.

Theorie
8
3
Theorie
3.1
Gerechtigkeitsdimensionen: a) Verteilungs-Gerechtigkeit
Die wissenschaftliche Forschung zum Thema Gerechtigkeit begann mit dem Konstrukt
der Verteilungs-Gerechtigkeit (,,Distributive Justice"; Adams, 1965; Deutsch, 1975;
Leventhal, 1976). Verteilungs-Gerechtigkeit beschäftigt sich mit der Frage, ob Ergebnisse
und/oder Ressourcen gerecht oder ungerecht verteilt werden (Tyler, 2000). So war
beispielsweise eine auf der Equity-Theorie (Adams, 1965) aufgebaute Hypothese, dass
Verteilungsgerechtigkeit dann empfunden werden würde, wenn Menschen den subjektiven
Eindruck hätten, dass die ihnen zugewiesenen Ergebnisse/Belohnungen proportional zu ihren
tatsächlichen Beiträgen und Leistungen stünden. Leventhal ging in seiner Equality-Theorie
(1976) ferner davon aus, dass Menschen ihre Entscheidung, ob Verteilungs-Gerechtigkeit
vorliegt oder nicht, nach impliziten Kriterien von Gleichheit und Bedarf richten, d.h., dass
beispielsweise ungerechte Verteilung von Ressourcen eventuell akzeptiert wird, wenn der/die
Ressourcennehmer stark bedürftig ist oder sind. Beide Theorien haben gemeinsam, dass
Menschen Verteilungsgerechtigkeit nach impliziten Normen zusprechen.
Die wissenschaftliche Forschung verdeutlichte jedoch, dass Verteilungs-Gerechtigkeit
ein nur bedingt nützliches Konstrukt für das Vorhersagen von Ergebnis-Zufriedenheit
darstellt. Zwar hat Verteilungs-Gerechtigkeit einen Effekt auf Variablen wie Zufriedenheit
mit Bezahlung oder Beförderung; es eignet sich jedoch wenig als Mittel zur Resolution von
Konflikten, da Menschen dazu neigen, die Wichtigkeit ihrer eigenen Beiträge zu überschätzen
und zu übertreiben, und es somit fast nie möglich ist, Ressourcen oder Belohnungen so zu
verteilen, dass sich wirklich alle gerecht behandelt fühlen (Tyler, 2000). Verteilung scheint
nicht der wesentliche Faktor zu sein, der Menschen in ihren Interaktionen mit anderen
zufrieden oder unzufrieden stellt. Menschen erleben Gerechtigkeit größtenteils über eine
Bewertung der Art- und Weise wie sie sich von Einzelnen, Gruppen und Organisationen
behandelt fühlen, u.a. inwiefern sie sich höflich und zuvorkommend behandelt fühlen
(Messick, Bloom, Boldizar & Samuelson, 1985; Mikula, Petri & Tanzer, 1990).

Theorie
9
3.2
Gerechtigkeitsdimensionen: b) Prozedurale Gerechtigkeit
Aus diesen Erkenntnissen heraus entwickelte sich das zweite Gerechtigkeits-Konstrukt,
die sogenannte Prozedurale Gerechtigkeit. Hier geht es um die subjektiv empfundene
Gerechtigkeit des Entscheidungs-Prozesses, an dessen Ende ein Ergebnis steht (Leventhal,
1980). Wie Lind und Tyler (1988) nachweisen konnten, stellt die wahrgenommene Fairness
1
eines Entscheidungsprozesses oftmals den wichtigsten Faktor dar, aus dem Menschen ihre
subjektive Meinung über Gerechtigkeit ziehen. Prozedurale Gerechtigkeit existiert für die
meisten Menschen dann, wenn normativ akzeptierte Prinzipien erfüllt werden. Das erste
Konzept, mit der diese Prinzipien zusammengefasst wurden, stammt von Thibaut und Walker
(1975). Laut diesen gibt es zwei Kriterien die erfüllt werden müssen: erstens Prozess-
Kontrolle (Process control), d.h.: die Möglichkeit einer Einflussnahme auf das angewandte
Entscheidungsfindungs-Verfahren; und zweitens Entscheidungs-Kontrolle (Decision control),
d.h.: die Möglichkeit einer Einflussnahme auf die Entscheidung an sich. Leventhal (1980)
nennt als Bedingungen prozeduraler Gerechtigkeit folgende 6 Prinzipien:
1)
Konsistenz (Cons istency) ­ d.h. das Prozesse und Verfahren zur
Entscheidungsfindung bei allen Personen und zu allen Zeiten gleich angewandt
werden.
2)
Unterdrückung von Voreingenommenheit (Bias suppression) ­ wird erfüllt wenn die
persönlichen Interessen des Entscheiders den Prozess der Entscheidungsfindung nicht
beeinflussen.
3)
Genauigkeit (Accuracy) ­ wenn der/die Entscheider während des Prozesses akkurate
Informationen suchen und nutzen.
4)
Nachbesserungsmöglichkeit (Correctability) ­ ist erfüllt wenn die Möglichkeit besteht,
ungerechte Entscheidungen zu revidieren.
5)
Gesamtvertretung (Representativeness) ­ die Bedürfnisse, Werte und Ansichten aller
am Prozess beteiligten Parteien müssen berücksichtigt werden.
6)
Ethik (Ethicality) ­ Entscheidungen müssen laut den moralischen und ethischen
Werten der Betroffenen nachvollziehbar sein.
1
In dieser Studie werden die Begriffe ,,gerecht" und ,,fair" als austauschbar angesehen. Wenn über Fairness
gesprochen wird, ist damit automatisch auch Gerechtigkeit gemeint. Da die beiden Begriffe auch in der Literatur
identisch gebraucht werden, sind sie daher auch in dieser Studie austauschbar.

Theorie
10
Tyler (u.a. 2000) hat ebenfalls ein Modell entwickelt, um zu erklären, nach welchen
Regeln Menschen einen Prozess als gerecht erleben. Er geht von vier zu erfüllenden Faktoren
aus:
1)
Teilnahme-Möglichkeiten (Voice) ­ wird erfüllt, wenn die am Prozess Beteiligten die
Möglichkeit haben, ihre Meinung zu äußern, insbesondere wenn eine solche Äußerung
das endgültige Ergebnis beeinflusst (Shapiro & Brett, 1993), aber auch dann wenn die
Äußerung lediglich zur Kenntnis genommen wird (Lind, Kulik, Ambrose & de Vera
Park, 1990). Das bedeutet, ,,Voice" ist erfüllt, wenn Beteiligte ihre Meinung äußern
können, unabhängig davon, ob dies einen Einfluss hat oder nicht.
2)
Neutralität (Neutrality) ­ damit gemeint sind die Ehrlichkeit, Unvoreingenommenheit
und Objektivität der entscheidenden Autoritäten.
3)
Vertrauenswürdigkeit der Autorität (Authority trustworthiness) ­ der wesentliche der
vier Faktoren: inwiefern die entscheidenden Autoritäten als wohlwollend, sorgsam,
mit der Situation, den Bedürfnissen und Befürchtungen beschäftigt zu sein scheinen,
inwiefern sie den Argumenten zuhören, und versuchen, korrekt und gerecht zu
handeln. Während die Autorität sich bezüglich Regeln möglichst neutral verhalten
sollte, sollte sie sich bezüglich Beziehungen möglichst vertrauenswürdig verhalten.
4)
Würde- und respektvolle Behandlung (Treatment with dignity and respect) ­ ist
erfüllt, wenn die Autoritäten während des Prozesses die Rechte, den Status und die
Rollen der Beteiligten respektieren und würdigen.
3.3
Gerechtigkeitsdimensionen: c) Interpersonale Gerechtigkeit
Aus dem 2-Faktoren Modell von Gerechtigkeit wurde mit der Einführung des Faktors
Interaktions-Gerechtigkeit (Bies & Moag, 1986) ein 3-Faktoren Modell. Interaktions-
Gerechtigkeit beschäftigt sich mit der subjektiv empfundenen Qualität der Behandlung
während eines Entscheidungsprozesses und/oder wenn Prozesse implementiert werden. Es
geht also hauptsächlich darum, wie Führungskräfte (oder diejenigen, die Ressourcen und
Belohnungen kontrollieren) sich dem ,,Gerechtigkeits-Empfinder", d.h. Betroffenen
gegenüber verhalten (Cohen-Charash & Spector, 2001). Interaktions-Gerechtigkeit steht in
Bezug zu den Aspekten des Kommunikations-Prozesses, welche zwischen dem
Gerechtigkeits-Geber und Empfänger ablaufen, z.B. Höflichkeit, Ehrlichkeit und Respekt
(Bies & Moag, 1986; Tyler & Bies, 1990).

Theorie
11
Die Bewertung von Interaktions-Gerechtigkeit ergibt sich aus dem in Betrachtziehen
zweier Faktoren: erstens, der Richtigkeit einer Behandlung (d.h. inwiefern diese auf korrekten
Informationen beruht) und zweitens der interpersonalen Sensibilität des Gerechtigkeitsgebers
(Greenberg, 1993a). Obwohl diese beiden Faktoren sich sehr ähnlich seien, führten sie doch
zu unterschiedlichen Reaktionen oder Ausprägungen an Reaktionen. Der Begriff Interaktions-
Gerechtigkeit kann als Überbegriff für Interpersonale und Informations-Gerechtigkeit gelten
(Greenberg, 1993a; Colquitt, 2001). Mit interpersonaler Gerechtigkeit gemeint ist
ausschließlich das Ausmaß an Höflichk eit, Ehrlichkeit und Respekt, mit dem Menschen
während eines Entscheidungsprozesses von Autoritäten und Personen behandelt werden.
3.4
Gerechtigkeitsdimensionen: d) Informations -Gerechtigkeit
Laut Greenberg`s (1993a) Definition ist Informations-Gerechtigkeit dann erfüllt, wenn
Autoritäten Informationen und Erklärungen über Prozesse, Gründe für ihre Anwendung und
Gründe für die endgültigen Entscheidungen in angemessener Weise an die Betroffenen
weitergeben. Beispielsweise besteht Informations-Ungerechtigkeit dann, wenn
Entscheidungen kommuniziert werden, die auf mangelhaften Informationen beruhen, anonym
und von unqualifizierten Entscheidungsträgern getroffen wurden, und nicht mehr verifizierbar
sind (Greenberg, 1993a).
Nach Meinung Colquitt's (2001) haben knapp 30 Jahre Forschung damit vier
Gerechtigkeitsdimensionen nachweislich bestimmt: Verteilungs-, Prozedurale, Interpersonale
und Informations-Gerechtigkeit, welche zusammengefasst unter dem Begriff Organisationale
Gerechtigkeit in wachsendem Ausmaß erforscht werden.
3.5
Die Validität der vier Gerechtigkeitsdimensionen
Das Forschungsgebiet Organisationale Gerechtigkeit beschäftigt sich mit
unterschiedlichen Fragestellungen. Zum einen war lange Zeit unklar, inwiefern und ob
überhaupt die zwei, drei, oder vier Arten von Gerechtigkeit nachweisbar eigenständige
Faktoren darstellen. Einige Studien wiesen extrem hohe Korrelationen zwischen Verteilungs-
und Prozedurale Gerechtigkeit auf (z.B. fanden Sweeney und McFarlin, 1997 eine
unkorrigierte Korrelation von .72; Welbourne, Balkin und Gomez-Meija, 1995 eine
unkorrigierte Korrelation von .74) was dazu führte, dass einige Autoren Organisationale
Gerechtigkeit als ein einziges Konstrukt ansehen (z.B. Cropanzano & Ambrose, 2001).

Theorie
12
Viele Forscher (u.a. Colquitt, 2001) sahen als Hauptproblem in der Debatte einen
Mangel an standardisierten und validierten Messinstrumenten, um die verschiedenen
Gerechtigkeitsformen zu operationalisieren. So hätten viele der in der Vergangenheit
eingesetzten Messinstrumente prozedurale Elemente und interpersönliche Elemente in einer
Skala zusammengefasst (z.B. Folger & Konovsky, 1989; Mansour-Cole & Scott, 1998), was
den Eindruck erwecke, als sei es unmöglich die strukturellen und interpersönlichen Aspekte
eines Prozesses zu trennen (Colquitt, Conlon, Wesson, Porter und Ng, 2001). Auch war die
darauffolgende Frage, ob und inwiefern Interpersonale und Informations-Gerechtigkeit von
einander unabhängig seien, lange offen.
In zwei Meta-Analysen (Cohen-Charash & Spector, 2001; Colquitt et al., 2001) wird
ein Großteil der oben beschriebenen Fragen der Konstrukt-Validität geklärt. So konnte in
beiden Meta-Analysen die Unabhängigkeit der Faktoren Verteilungs-, Prozedurale und des
Oberbegriffs Interaktions-Gerechtigkeit nachgewiesen werden. Zwar wurden hohe
Korrelationen zwischen den Gerechtigkeitsdimensionen gefunden, jedoch nicht so hohe, dass
man die Dimensionen als multiple Indikatoren eines Gesamt-Konzeptes anzusehen habe
(Colquitt et al., 2001). Die unkorrigierten Korrelationen schwankte zwischen .38, zwischen
Verteilungs- und Interpersonaler Gerechtigkeit und .57 zwischen Interpersonaler und
Informations-Gerechtigkeit (Colquitt et al., 2001). Die Cohen-Charash Meta-Analyse
untersuchte von vornherein nur die Validität des 3-Faktoren Modells, konnte diese aber
genauso bestätigen. Die dort vorgefundenen Korrelationen schwankten zwischen .46,
zwischen Verteilungs- und Interaktions-Gerechtigkeit in Feldstudien und .62 zwischen
Verteilungs- und Prozeduraler Gerechtigkeit in Laboruntersuchungen. Generell zeigte sich,
dass die Unterscheidung zwischen den drei Dimensionen bei Feldstudien leicht, aber nicht
signifikant höher ausfällt als bei Laboruntersuchungen.
Colquitt (2001) entwickelte außerdem ein Messinstrument, welches die vier
Gerechtigkeits-Dimensionen separat operationalisiert. Dieses Instrument wurde in zwei groß
angelegten Feldstudien mit Studenten, sowie Mitarbeitern eines Automobilzulieferers getestet
und validiert. Mittlerweile existiert davon auch eine empirisch geprüfte deutsche Version,
welche in einer weiteren Feldstudie (Wassmer, in Vorg.) überprüft wird.

Theorie
13
Colquitt et al. (2001) kritisieren weiterhin, dass die Messung der Gerechtigkeits-
Dimensionen oftmals unzureichend durchgeführt werde; so gäbe es Instrumente, welche
Interaktions-Gerechtigkeit konträr zu den ursprünglichen Inhalten operationalisieren (z.B.
Moorman, 1991). Dies hätte nicht nur zur Folge, dass die Gerechtigkeits-Dimensionen
künstlich hohe Interkorrelationen aufwiesen, sondern auch, dass die möglicherweise
unterschiedlichen Effekte auf Verhalten und Einstellungen des Gerechtigkeits-Empfängers
nicht klar genug trennbar sind.
3.6
Wie wirkt Organisationale Gerechtigkeit?
Um zu erklären warum und wie Organisationale Gerechtigkeit, bzw. die vier
Dimensionen Organisationaler Gerechtigkeit, die Einstellungen und das Verhalten von
Menschen beeinflussen, gibt es verschiedene theoretische Ansätze. Die wichtigsten vier
werden hier erläutert. Dabei handelt es sich um das Verteilungs-Dominanz Modell
(Leventhal, 1980), das ,,Group-Value"-Modell (Lind & Tyler, 1988), das Zwei-Faktor Modell
(Sweeney und McFarlin, 1993), und das Agent-System Modell (Masterson, Lewis, Goldman
& Taylor, 2000).
3.6.1 Das Verteilungs-Dominanz Modell
Welche der vier Gerechtigkeitsdimensionen die größte Aussagekraft hinsichtlich
organisationaler Ergebnisse hat, wird weiterhin intensiv erforscht. Leventhal (1980)
postuliert, dass Verteilungs-Gerechtigkeit generell stärkere Auswirkungen auf organisationale
Effekte haben würde als prozedurale Gerechtigkeit, und dass die Wahrnehmung der
Verteilungs-Gerechtigkeit einen insgesamt stärkeren Einfluss auf die Gesamt-Wahrnehmung
der Organisationalen Gerechtigkeit haben würde. Eine experimentelle Laboruntersuchung
Greenberg's (1993b) verdeutlicht beispielsweise, welche Folgen Verteilungs-Ungerechtigkeit
nach sich ziehen kann. In dieser Studie wurde Probanden, denen 5 Dollar für ihre Teilnahme
an einem psychologischen Experiment versprochen wurde, plötzlich erklärt, dass sie statt der
versprochen 5 nur noch 3 Dollar ausgezahlt bekämen. Greenberg (1993b) konnte nachweisen,
dass diese Teilnehmer darauf hin deutlich mehr stahlen. Zwar wurden alle Teilnehmer
angewiesen, sich aus einem von einem scheinbar ,,zerstreuten" Forschungsassistenten auf den
Tisch geworfenen Haufen Geld den richtigen Betrag herauszunehmen. Aber Teilnehmer,
denen die Verteilungs-Ungerechtigkeit (bei gleichzeitiger Interaktions-Ungerechtigkeit)

Theorie
14
widerfahren war, nahmen sich im Vergleich zu Gruppen mit anderen
Gerechtigkeitsmanipulationen signifikant mehr, als ihnen zustand. Damit bestätigte
Greenberg im Labor das vorherige Ergebnis einiger Felduntersuchungen (u.a. Greenberg
1990), wonach Diebstahl am Arbeitsplatz häufig als Reaktion auf Verteilungs-
Ungerechtigkeit anzusehen ist, und illustrierte zudem, dass auch andere
Gerechtigkeitsdimensionen bezüglich Diebstahl eine Rolle spielen.
Andere Forschungsergebnisse, z.B. von Conlon (1993) demonstrierten, dass die
wahrgenommene Verteilungs-Gerechtigkeit bei der Gesamtbeurteilung eines Gerichtshofes
als ,,fair" oder ,,unfair" einen größeren Anteil der Varianz erklärte als die wahrgenommene
prozedurale Gerechtigkeit. Somit würde Verteilungs-Gerechtigkeit laut Leventhal (1980) stets
dominieren, d.h. diese Gerechtigkeitsdimension erkläre den Hauptteil der jeweils
wahrgenommen organisationalen Gerechtigkeit, da Menschen primär damit beschäftigt seien,
zu analysieren, inwiefern das Endergebnis eines Entscheidungsprozesses im Vergleich zu
dem, was andere bekommen, fair sei.
Allerdings wiesen andere Studien eher auf eine Dominanz von Prozeduraler
Gerechtigkeit hin. So zeigte eine Regressionsanalyse in einer Felduntersuchung von
Alexander und Ruderman (1987), dass prozedurale Gerechtigkeit mit vier von fünf
Ergebnissen stärker in Zusammenhang steht als Verteilungs-Gerechtigkeit. Auch Tyler (2000)
ist von einer übergeordneten Wichtigkeit von Verteilungs-Gerechtigkeit nicht überzeugt ­
demnach ist Verteilungs-Ungerechtigkeit nicht der wesentliche Faktor, welcher
Unzufriedenheit am Arbeitsplatz voraussage. Seit diesen Erkennt nissen hat das Verteilungs-
Dominanz Modell erheblich an Bedeutung verloren. Benutzt wird der Ansatz jedoch
weiterhin, unter anderem von Gebert und von Rosenstiel (1996), um zu erklären, warum
Leistung auch abhängig von der Form der verteilten Belohnung sei.
3.6.2.
Das ,,Group-Value"-Modell
Laut dem "Group-Value"-Modell, von Lind und Tyler (1988) erstmals entwickelt, ist
prozedurale Gerechtigkeit die wichtigste Gerechtigkeitsdimension, da sie Menschen über ihre
soziale Verbindung zu einer Gruppe und zu Gruppenautoritäten informiere. Das Modell
postuliert, dass faire Behandlung und fair getroffene Entscheidungen Gruppenmitgliedern
zwei wichtige symbolische Botschaften kommuniziert (Tyler et al., 1996). Erstens vermittelt

Theorie
15
uns gerechte Behandlung, dass wir innerhalb einer Gruppe eine positive und wichtige Rolle
spielen (Tyler, 1994; Tyler & Lind, 1992). Zweitens seien gerechte oder ungerechte
Entscheidungsfindungsprozesse auch Indiz dafür, ob Individuen stolz auf ihre Zugehörigkeit
zu einer Gruppe sein können (Deutsch & Steil, 1988). So ziehen US-Amerikanische
Staatsbürger großen Stolz daraus, dass sie die Prozesse ihres demokratischen Rechtssystems
als gerechter als die vieler andere Nationen empfinden, und aus gerecht wahrgenommenen
Prozessen entwickelt sich Nationalstolz (Tyler et al., 1996).
Die durch gerechte Behandlung entstandenen Gefühle von Stolz auf, und Respekt vor,
Autoritäten, führen demnach zu Verhaltensweisen, die der größeren Gruppe dienen. Diese
Hypothese knüpft an ,,Social Identity Theory" (Tajfel & Turner, 1986) an, wonach Menschen,
die sich mit ihrer Gruppe identifizieren, die Interessen ihrer Gruppe als ihre eigenen
internalisieren (Brewer & Kramer, 1986). Von daher führe Prozedurale Gerechtigkeit zu
höherer Regeleinhaltung, höherer Gruppenbindung und überdurchschnittlicher Anstrengung,
der Gruppe zu helfen (Tyler et al. 1996). Letztere Aussage bietet bereits einen Ansatz, um
Gerechtigkeit und Innovation miteinander zu verbinden, da Innovationen für Organisationen
zur Sicherung des eigenen Fortbestehens so immens wichtig sind.
Dem Group-Value Modell nahe ist die sogenannte Norm der Reziprozität, die davon
ausgeht, dass die gerechte Verteilung von Ressourcen und Arbeitsergebnissen Mitarbeitern
signalisiert, dass ihre Bemühung geschätzt wird und sich ihre Organisation um sie kümmert.
Damit seien Mitarbeiter automatisch motivierter, auch ihre Organisation gerecht zu
behandeln. Höhere Leistung sei eine Möglichkeit, der Organisation gegenüber etwas
zurückzugeben, daher führe Gerechtigkeit auch zu besserer Leistung (Konovsky &
Cropanzano, 1991).
3.6.3 Das 2-Faktor Modell
In jüngerer Zeit wurde mehrfach argumentiert, dass Verteilungs-Gerechtigkeit
spezifische, personenbezogene Ergebnisse (z.B. Zufriedenheit mit einer Gehaltserhöhung oder
einer Leistungsbeurteilung) beeinflusse (Colquitt et al., 2001), während prozedurale
Gerechtigkeit die Bewertung des Gesamtsystems und von Autoritäten beeinflusse (Greenberg,
1993c, Lind und Tyler, 1988). Dieses Modell wurde von Sweeney und McFarlin (1993)
getestet. Sie gingen davon aus, dass Prozedurale Gerechtigkeit primär systembezogene

Theorie
16
Ergebnisse, und Verteilungs-Gerechtigkeit primär personenbezogene Ergebnisse voraussagen
würde, und sahen ihre Hypothesen generell bestätigt. So wiesen sie einen Zusammenhang
zwischen Verteilungs-Gerechtigkeit, Gehaltszufriedenheit und Arbeitsplatzzufriedenheit; und
einen Zusammenhang zwischen Prozeduraler Gerechtigkeit, Bindung an die Organisation und
Bewertung des Managements nach (McFarlin & Sweeney, 1992). Der Beitrag der Zwei-
Faktor Theorie in der Debatte über die Wichtigkeiten der unterschiedlichen
Gerechtigkeitsdimensionen war, dass der Forschungsfokus nun primär darauf gerichtet war,
verstehen zu lernen, mit welchen organisationalen Ergebnissen jede der
Gerechtigkeitsdimensionen in Verbindung steht, und der Fokus nicht länger alleine darauf
gerichtet war, zu entscheiden, welche Gerechtigkeitsdimension die wichtigste sei.
3.6.4
Das Agent-System Modell
Ein viertes Modell von Masterson et al. (2000) integrierte die dritte
Gerechtigkeitsdimension Interaktions-Gerechtigkeit mit ein, ohne zwischen Interpersonaler
und Informations-Gerechtigkeit zu differenzieren. Dieses Modell geht davon aus, dass es in
Organisationen zwei Arten von Beziehungsaustausch gibt: als Mitarbeiter tauscht man sich
sowohl mit seiner direkten Führungskraft, wie auch mit der Gesamtorganisation aus. Eine
Feldstudie (Masterson et al., 2000) deutete darauf hin, dass somit Interaktionale Gerechtigkeit
sich auf Führungskraftbezogene Ergebnisse auswirkt (z.B. auf Organizational Citizenship
Behavior
2
in Richtung Führungskraft und Bewertung der Führungskraft). Im Gegensatz dazu
besitzt Prozedurale Gerechtigkeit größere Voraussagekraft auf organisationsbezogene
Ergebnisse wie Citizenship Verhalten in Richtung der Gesamtorganisation oder Bindung an
die Organisation. Diese Gedanken werden unter dem Begriff ,,Agent-System Model"
zusammengefasst. Demnach sei Interaktions-Gerechtigkeit besser zur Voraussage von
personenbezogenen Ergebnissen als Prozedurale und Verteilungs-Gerechtigkeit.
Bezüglich dieser Studie sind jedoch die verschiedenen Diskussion darüber, welche Art
von Gerechtigkeit aus welchem Grund auf welche Art Ergebnisse einen Effekt hat, weniger
wichtig, gerade auch weil sich weiterhin keine der vier Theorien über die Wirkmecha nismen
von Gerechtigkeit eindeutig durchgesetzt hat. Es lässt sich jedoch feststellen, dass alle vier
Modelle genügend Erklärungsansätze bieten, um davon ausgehen zu können, dass
2
Mit Organizational Citizenship Behavior (OCB) gemeint sind Verhaltensweise und Gesten, die der
Organisation dienen, die aber weder durch formelle Regeln, noch durch vertragliche versprochene Entlohnung
entlockt werden können (Organ, 1990). OCB besteht aus vier Dimensionen: sportlichem Verhalten
(Sportsmanship), ziviler Tugend (civic virtue), Gewissenhaftigkeit, und Höflichkeit (Colquitt et al., 2001).

Theorie
17
Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit einen Effekt auf die Innovationsbereitscha ft von
Mitgliedern eines Unternehmens oder einer Organisation haben könnte.
3.7
Organisationale Gerechtigkeit und Ergebnisse
Die Forschung zur Organisationalen Gerechtigkeit hat mehrfach nachweisen können,
dass Gerechtigkeit als unabhängige Variabel konkret nachweisbare Effekte auf das Verhalten,
die Leistung, und die Einstellungen von Mitarbeitern einer Firma/Organisation hat. War es
anfangs noch Ziel, diese Effekte unter dem eindimensionalen Begriff ,,Gerechtigkeit" zu
subsumieren (z.B. Thibaut & Walker, 1975), so hat die Diskussion über die verschiedenen
Gerechtigkeits-Dimensionen Forscher zu der Erkenntnis geführt, dass die unterschiedlichen
Gerechtigkeits-Dimensionen auch mit unterschiedlichen organisationalen Ergebnissen in
Zusammenhang stehen. Die Forschungsrichtungen unterscheiden sich jedoch weiterhin darin,
wofür die Forschung zu den Ergebnissen Organisationaler Gerechtigkeit letzten Endes gut
sein soll. Während die meisten Forscher (u.a. Colquitt, 2001; Colquitt et al., 2001), und auch
diese Studie, Forschungsergebnisse primär zur Prozessverbesserung in Firmen und
Organisationen anwenden möchten, betrachten Forscher wie Tyler (2000) und Blader und
Tyler (2003) Gerechtigkeit als potenziell tragfähigsten Faktor zur Lösung organisationaler
und weltpolitischer Konflikte.
Unabhängig von der Frage, wozu man die Gerechtigkeitsforschung tatsächlich
einsetzt, sollen an dieser Stelle jedoch zunächst die Hypothesen bezüglich Ergebnisse, und
dann die tatsächlichen Ergebnisse verschiedener Studien bezüglich der vier Gerechtigkeits-
Dimensionen und ihrer wissenschaftlich erforschten Auswirkungen auf andere Variablen
zusammengefasst werden. Dazu werden hauptsächlich die Ergebnisse der zwei Meta-
Analysen (Cohen-Charash & Spector, 2001; Colquitt et al., 2001) beschrieben, die beide
einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet haben, zu klären, welche Art Gerechtigkeit welche
Ergebnisse am besten voraussagt.
3.7.1 Verteilungs-Gerechtigkeit beeinflusst affektive Reaktionen auf Ergebnisse
In vielen Studien wird darauf verwiesen, dass Verteilungs-Gerechtigkeit primär
Auswirkungen auf die kognitiven, affektiven und Verhaltens-Reaktion zu spezifischen
Ergebnissen hat (Cohen-Charash & Spector, 2001). Schließlich geht es bei Verteilungs-
Gerechtigkeit um die wahrgenommene Fairness von Beförderungen, Prämienzahlungen oder

Theorie
18
Verantwortungsübergabe ­ dies sind sozusagen die Ergebnisse, auf die dann eine Reaktion
des Mitarbeiters folgt. Der hypothesierte Pfad dieser Reaktion schaut wie folgt aus:
1.
Ein Ergebnis wird als fair/unfair betrachtet.
2.
Die wahrgenommene Verteilungs-(Un)Gerechtigkeit beeinflusst die Emotionen des
Mitarbeiters (löst u.a. Wut, Freude, Stolz oder Schuld aus; Weiss, Suckow &
Cropanzano, 1999), sowie seine Kognition, (z.B. der Mitarbeiter über/untertreibt
seinen Beitrag zur Organisation vor sich selbst und anderen; Adams, 1965).
3.
Die Wahrnehmung führt zu einem veränderten Verhalten. Dies äußert sich bei
Verteilungs-Gerechtigkeit in Leistungs-, bei Verteilungs-Ungerechtigkeit in
Rückzugs-Verhalten (Cohen-Charash & Spector, 2001).
Feldstudien und die zwei Meta-Analysen von Cohen-Charash und Spector (2001) und
Colquitt et al. (2001) haben diese Hypothese jedoch nur teilweise gestützt. So wurde
mehrfach behauptet, dass Verteilungs-Gerechtigkeit einen Effekt auf tatsächliche
Arbeitsleistung (Work Performance) hat, da ein Mitarbeiter nach einer Verteilungs-
Ungerechtigkeit generell die Möglichkeit hätte, die Qualität wie auch die Quantität seiner
Arbeit zu verändern, um somit die subjektiv empfundene Ungerechtigkeit wieder
auszugleichen (Adams, 1965). Doch im Gegensatz zu dieser Hypothese ergab die Meta-
Analyse von Cohen-Charash & Spector (2001) lediglich eine nicht-signifikante Korrelation
von r = .05 zwischen Verteilungs-Gerechtigkeit und Arbeitsleistung. Auch in der Meta-
Analyse von Colquitt et al. (2001) wurde eine nicht-signifikante Korrelation von r = .13
gefunden. Stattdessen korreliert Verteilungs-Gerechtigkeit signifikant mit den folgenden
organisationalen Ergebnissen: Ergebniszufriedenheit (.52), Arbeitsplatzzufriedenheit (.46),
Organisationale Bindung (.42), Personenbezogene Bewertung von Autorität (.53) und
Rückzugsverhalten (-.41). Moderate Korrelationen ergaben sich zwischen Verteilungs-
Gerechtigkeit und systembezogener Bewertung von Autorität (.30), Organizational
Citizenship Behavior gegenüber der Organisation (.20) und negativen Reaktionen wie
Diebstahl am Arbeitsplatz (-.26). Nicht signifikante Korrelationen ergaben sich zu
Organizational Citizenship Behavior gegenüber Einzelpersonen (.13) und, wie bereits
erwähnt, tatsächlicher Leistung (.13)
3
. Verteilungs-Gerechtigkeit konnte ferner signifikant mit
Gewissenhaftigkeit (.20), Kontraproduktivem Arbeitsverhalten (-.22), Konflikt mit anderen (-
.18), Gehaltszufriedenheit (.62), Zufriedenheit mit Vorgesetzten (.58 in Feldstudien),
Zufriedenheit mit Leistungsbeurteilungen (.63), Affektiver Bindung ans Unternehmen (.47),
3
Diese Korrelationen stammen alle aus Colquitt et al., 2001

Theorie
19
Vertrauen in die Organisation (.43), Vertrauen in den/die Vorgesetzte (.55) und
Arbeitsplatzwechsel-Absichten (-.40)
4
in Zusammenhang gebracht werden.
Insgesamt betrachtet widersprechen diese Ergebnisse dem Verteilungs-Dominanz Modell
Leventhal's (1980) mehr, als dass sie es stützen. Verteilungs-Gerechtigkeit erschien lediglich
für zwei (Ergebnis-Zufriedenheit und Rückzugsverhalten) von neun Ergebnissen bei Colquitt
et al. (2001), und für vier (Organizational Citizenship Behavior für die Organisation,
Arbeitsplatzzufriedenheit, Gehaltszufriedenheit und Zufriedenheit mit
Leistungsbeurteilungsgesprächen) von 26 Ergebnissen bei Cohen-Charash und Spector (2001)
als der wichtigste Faktor.
Das 2-Faktoren Modell von Sweeney und McFarlin (1993) geht davon aus, dass
Verteilungs-Gerechtigkeit stärkere Effekte auf personenbezogene, als auf systembezogene,
Variablen hätte. Diese Annahme konnte durch die Meta-Analysen nur teilweise bestätigt
werden, und bedarf weiterer Erforschung. So deuten Colquitt et al. (2001) ihre Ergebnisse so,
dass Verteilungs-Gerechtigkeit zwar personenbezogene Einstellungen (wie
Arbeitsplatzzufriedenheit), nicht aber personenbezogenes Verhalten (wie Rückzugsverhalten)
schlüssig voraussagen kann. Somit hat es den Anschein, als ob Verteilungs-Gerechtigkeit
weniger das auf ein Ergebnis oder eine Entscheidung folgende Verhalten, als die
darauffolgende Einstellungen beeinflusst. Auch die Ergebnisse Cohen-Charash und Spectors
(2001) be- und entkräftigen das 2-Faktor und das Group-Value Modell gleichermaßen. So
erscheint die Korrelation zwischen Verteilungs-Gerechtigkeit und Zufriedenheit mit dem
Vorgesetzten wie eine Bestätigung des 2-Faktor Modells; gleichzeitig ist die unerwartet
robuste Korrelation zwischen Verteilungs-Gerechtigkeit und affektiver Bindung an die
Organisation konträr zu den Hypothesen des 2-Faktor und des Group-Value Modells, wonach
Mitarbeiter-Bindung primär durch Prozedurale Gerechtigkeit beeinflusst wird.
3.7.2 Prozedurale Gerechtigkeit beeinflusst Verhalten gegenüber der Organisation
Die meisten in der Vergangenheit durchgeführten Studien sagen voraus, dass
prozedurale Gerechtigkeit in Zusammenhang mit kognitiven, affektiven, und Verhaltens-
Reaktionen gegenüber der Gesamtorganisation steht, vor allem Mitarbeiter-Bindung (z.B.
Martin & Bennett, 1996; Mossholder, Bennett, Kemery & Wesolowski, 1998a), Vertrauen
4
sämtliche dieser Korrelationen stammen aus der Meta-Analyse von Cohen-Charash & Spector, 2001

Theorie
20
(Alexander & Ruderman, 1987; Konovsky & Pugh, 1994), und Bewertung von Autoritäten
(Tyler, 1990; McFarlin & Sweeney, 1992). Davon abgeleitet ergibt sich die Hypothese, dass
prozedurale Ungerechtigkeit eine an die Gesamtorganisation gerichtete Reaktion zur Folge
hätte, und weniger eine Reaktion gegenüber den eigenen Arbeitsaufgaben und/oder den
vorangegangenen Entscheidungen oder Ergebnissen. Dies könnte den mehrmals
nachgewiesenen Zusammenhang zwischen Prozeduraler Gerechtigkeit und tatsächlicher
Leistung erklären, zumindest wenn man tatsächliche Leistung als eine Reflektion der Beiträge
einzelner zur Zielerreichung der Gesamtorganisation, und somit als systembezogen, betrachtet
(Borman, 1991).
Die beiden Meta-Analysen stützen diese Hypothese allgemein ab. So ergaben sich in
der Colquitt et al. Studie hohe Korrelationen zwischen prozeduraler Gerechtigkeit und
Ergebniszufriedenheit (.40), Arbeitsplatzzufriedenheit (.51), Bindung an die Organisation
(.48), Vertrauen (.52) und personenbezogener Bewertung von Autorität (.56). Prozedurale
Gerechtigkeit korrelierte moderat mit systembezogener Bewertung von Autorität (.35),
Organizational Citizenship Behavior gegenüber der Organisation (.23), Rückzugsverhalten (-
.36), negativen Reaktionen (-.27), und tatsächlicher Leistung (.30). Niedrige Korrelationen
gab es zwischen Prozeduraler Gerechtigkeit und Organizational Citizenship Behavior
gegenüber Personen (.19). In einer weiteren Feldstudie wies Colquitt (2001) einen
Zusammenhang zwischen Prozeduraler Gerechtigkeit, Regeleinhaltung und Gruppen-Bindung
nach. In der Cohen-Charash und Spector (2001) Meta-Analyse ergaben sich Korrelationen
zwischen Prozeduraler Gerechtigkeit und tatsächlicher Leistung (.47, allerdings nur in
Felduntersuchungen), Regeleinhaltung (.27), OCB gegenüber der Organisation (.23),
kontraproduktivem Arbeitsverhalten (-.29), Konflikt mit anderen (-.19),
Arbeitsplatzzufriedenheit (.43), Zufriedenheit mit der Führungskraft (.57), Zufriedenheit mit
der Gewerkschaft (.52), normativer Mitarbeiter-Bindung (.41), Vertrauen in die Organisation
(.48), und der Absicht, die Organisation weiter zu empfehlen (.53).
Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass eine simple Unterscheidung zwischen den
Auswirkungen von Prozeduraler, wie auch von Verteilungs-Gerechtigkeit im Sinne der Zwei-
Faktor-, der Group-Value-, oder der Agent-System Theorie momentan kaum möglich ist.
Zwar bestätigen die hohen Korrelationen zwischen Prozeduraler Gerechtigkeit und
Ergebnissen wie Regeleinhaltung, Zufriedenheit mit Gewerkschaften, Mitarbeiter-Bindung
und Vertrauen den Gedanken, dass prozedurale Gerechtigkeit in systembezogene Reaktionen

Theorie
21
mündet. Auf der anderen Seite sind die Korrelationen zwischen Prozeduraler Gerechtigkeit
und Zufriedenheit mit direkten Führungskräften und personenbezogener Bewertung von
Autorität Indiz dafür, dass prozedurale Gerechtigkeit durchaus auch Auswirkungen auf
personenbezogene Reaktionen hat.
Es wäre denkbar, dass die scheinbaren Widersprüche nicht etwa an mangelnden
Unterschieden zwischen Verteilungs- und Prozeduraler Gerechtigkeit liegen, denn dass diese
beiden Dimensionen eigenständige Konstrukte darstellen wurde mehrfach nachgewiesen.
Vielmehr wäre es möglich, dass gewisse Reaktionen, wie z.B. Mitarbeiter-Bindung,
Vertrauen oder kontraproduktives Arbeitsverhalten auf mehr als einer Ebene ablaufen, d.h.
sich sowohl im Verhalten und der Einstellung gegenüber Einzelpersonen, wie auch gegenüber
der Gesamtorganisation äußern. Gerade diese organisationaler Ergebnisse sind auch mit
Verteilungs- und mit Prozeduraler Gerechtigkeit beinahe gleich stark korreliert. Schließlich
vertraut man nicht nur der Führungskraft, sondern durch dieses Vertrauen hindurch auch der
Organisation.
3.7.3 Interpersonale und Informations -Gerechtigkeit beeinflussen Reaktionen
gegenüber Vorgesetzten
Die traditionelle Definition der Interaktions-Gerechtigkeitsdimension beschreibt diese
Dimension als die menschliche Seite von Organisations-Praktiken, d.h. die Art- und Weise
mit der Führungskräfte mit Gerechtigkeits-Empfängern umgehen, inklusive des
Kommunikationsprozesses im Sinne von Höflichkeit, Ehrlichkeit und Respekt (Bies & Moag,
1986; Tyler & Bies, 1990). Greenberg (1993a) unterteilt Interaktions-Gerechtigkeit zwar noch
in Interpersonale und Informations-Gerechtigkeit, seine Prognose bezüglich der
Auswirkungen von Interpersonaler Gerechtigkeit auf Organisatio ns-Ergebnisse sind mit den
Prognosen bezüglich Interaktions-Gerechtigkeit jedoch weitestgehend deckungsgleich.
Generell wurde vorausgesagt, dass Interaktions-Gerechtigkeit mit Reaktionen gegenüber
Vertretern einer Organisation, meist gegenüber direkten Führungskräften, in Zusammenhang
steht (Bies & Moag, 1986; Cropanzano & Prehar, 1999). Interaktions-Ungerechtigkeit führe
zu negativen Reaktionen und Einstellungen gegenüber direkten Führungskräften (Masterson
et al., 2000). Dieser Reaktion geht die subjektive Wahrnehmung voraus, dass der Grund für
ungerechte Behandlung bei eben dieser Person liegt, und nicht an der Gestaltung und dem
Ablauf des Entscheidungsfindungsprozesses (Cohen-Charash & Spector, 2000). Andere

Theorie
22
Studien fanden Zusammenhänge zwischen Interaktions-Gerechtigkeit und Regeleinhaltung
(Greenberg, 1994), Abwesenheitszahlen (Gellatly, 1995), Arbeitsplatzwechsel-Absichten
(Konovsky & Cropanzano, 1991), OCB (Moorman, 1991) und affektiver Bindung (Barling &
Philips, 1993). Die von Blader und Tyler (u.a. 2003) angeführte Bezweifelung, inwiefern
Interaktionale Gerechtigkeit tatsächlich ein eigenständiges Konstrukt darstellt, ist aus Sicht
dieser Studie nicht gerechtfertigt.
Colquitt et al. (2001) unterteilten hingegen Interaktions-Gerechtigkeit noch zusätzlich
in interpersonale und Informations-Gerechtigkeit und fanden eine hohe Korrelation zwischen
Interpersonaler Gerechtigkeit und personenbezogenen Beurteilungen von Autorität (.57),
moderate Korrelationen zu Arbeitsplatzzufriedenheit (.31), systembezoge nen Bewertungen
von Autorität (.20) und negativen Reaktionen (-.30). Nicht-signifikante Korrelationen
bestanden zwischen Interpersonaler Gerechtigkeit und Ergebniszufriedenheit (.19), Bindung
an die Organisation (.16), Rückzugsverhalten (-.02) und tatsächlicher Leistung (.03). Vor
allem die hohe Korrelation zur personenbezogenen Autoritäts-Beurteilung stützt die These,
dass Interpersonale Gerechtigkeit personenbezogene Reaktion auslöst. Zusätzlich ergab die
Cohen-Charash und Spector (2001) Meta-Analyse hohe bis moderate Korrelationswerte
zwischen Interaktions-Gerechtigkeit und negativem Affekt (-.25), Altruismus (.18),
Gewissenhaftigkeit (.24), Zufriedenheit mit der direkten Führungskraft (.52), und mit Leader-
Member Exchange Quality (.67).
Während Cohen-Charash in seiner Meta-Analyse die Interaktions-
Gerechtigkeitsdimension nicht weiter unterteilte, unternahmen Colquitt et al. (2001) die
Anstrengung, zusätzlich noch die Effekte von Informations-Gerechtigkeit herauszufiltern. So
fanden sie hohe Korrelationen zwischen Informations-Gerechtigkeit und Vertrauen (.43),
personenbezogener Autoritäts-Beurteilung (.58) und systembezogener Autoritäts-Beurteilung
(.42), moderate Korrelationen zu Ergebniszufriedenheit (.27), Arbeitsplatzzufriedenheit (.38),
Bindung an die Organisation (.26), Organizational Citizenship Behavior gegenüber
Einzelpersonen (.21), Rückzugsverhalten (-.21) und negativen Reaktionen (-.29). Niedrige
Korrelationen bestanden zwischen Informations-Gerechtigkeit und Organizational Citizenship
Behavior gegenüber der Organisation (.18) und tatsächlicher Leistung (.11).
Das Agent-System Modell (Masterson et al., 2000) geht davon aus, dass
Interaktions/Interpersonale Gerechtigkeit personenbezogene Ergebnisvariablen insgesamt

Theorie
23
stärker beeinflussen wird als andere Gerechtigkeitsdimensionen. Die Ergebnisse von Colquitt
et al. (2001) und Cohen-Charash & Spector (2001) stützen das Agent-System Modell somit.
Die vorgefundenen Korrelationen zu Variablen wie Leader-Member Exchange Quality,
Zufriedenheit mit der direkten Führungskraft und personenbezogenen Autoritäts-
Beurteilungen weisen auf stark personenbezogene Reaktionen hin. Colquitt et al. (2001)
gehen sogar so weit zu sagen, dass das Agent-System Modell die Auswirkungen
Interpersonaler und Informations-Gerechtigkeit auf Verhaltensvariablen untertreibt, da dass
Modell keine griffigen Erklärungen für die vorgefundenen Korrelationen zu Variablen wie
Organizational Citizenship Behavior, Rückzugsverhalten und negativen Reaktionen anbietet.
Tatsächlich korrelieren diese drei Variablen jedoch mit Informations-Gerechtigkeit, was
andeutet, dass Informations-Gerechtigkeit erstens tatsächlich eine eigenständige
Gerechtigkeitsdimension darstellt, und zweitens dringend in das Agent-System Modell mit
eingebunden werden muss.
3.8
Begründung dieser Studie
Die bisher genannten organisationalen Variablen, die mit Gerechtigkeit
zusammenhängend betrachtet wurden, zeigen, dass Gerechtigkeit bereits mit einer Vielzahl
von Effekten in Verbindung gebracht wurde. Mögliche Zusammenhänge zwischen
Organisationaler Gerechtigkeit und individueller Innovation sind jedoch noch nicht erforscht
worden, auch wenn Organizational Citizenship Behavior eine Variable darstellt, die
innovatives Verhalten zumindest ansatzweise mit einschließen könnte. Allerdings sind
individuelle Innovation, Ideengenerierung und Ideeneinreichen durchaus Prozesse, die von
einer Organisation oder Unternehmen gefordert, gefördert und belohnt werden, und somit
nicht wirklich in die Definition von Organizational Citizenship Behavior (siehe Organ, 1990)
aufgenommen gehören. Thema dieser Studie ist somit das erste Erforschen möglicher
Zusammenhänge zwischen organisationaler Gerechtigkeit und Innovation.
3.9
Definition von Innovation
Die Begriffe ,,Innovation" und ,,Kreativität" werden sowohl im alltäglichen
Sprachgebrauch, wie auch in der psychologischen Forschung, oft sehr undifferenziert
eingesetzt, es ist jedoch notwendig, diese beiden Fachbegriffe im Sinne dieser Arbeit
voneinander zu trennen. Dazu sei zunächst auf die differenzierende Terminologie Amabile's
(1988) hingewiesen: So sei Kreativität größtenteils eine Konstellation von Persönlichkeits-

Theorie
24
und intellektuellen Merkmalen von Individuen, welche dadurch bedingt, in signifikantem
Ausmaß Zeit in einem kreativen Prozess verbringen. Gleichzeitig beinhalte Kreativität auch
eine ,,Produkt"-Dimension, so dass es bei Kreativität letzten Endes um ,,die Produktion von
neuartigen und nützlichen Ideen seitens Individuen oder kleiner, miteinander arbeitenden
Gruppen" geht (Amabile, 1988, S. 126). Für Amabile erscheint Kreativität somit als die
Generierung von Ideen. Innovation führt jedoch weiter als Kreativität. Zwar sind kreative
Ideen die Grundbausteine von Innovationen, Amabile (1988, S. 126) definiert allerdings
Innovation als ,,die erfolgreiche Umsetzung von kreativen Ideen innerhalb einer
Organisation", wobei sie den Begriff ,,Umsetzung" hierbei relativ offen lässt, so dass auch
Ideenentwicklung und Anwendung darunter fallen können.
Andere Definitionen schließen sich der Meinung Amabile's größtenteils an. So solle
Innovation der Kennzeichnung eines kreativen Produkts vorbehalten bleiben (Diehl
Munkes, 2002). West und Frei (1989, S. 254-255) definieren Innovation als ,,die absichtliche
Einführung und Anwendung von Ideen, Prozessen, Produkten oder Verfahren innerhalb einer
Rolle, Gruppe oder Organisation, die neu für die betreffende Einheit sind und entworfen
wurden, um die Rollenerfüllung, die Gruppe, die Organisation oder die Gesellschaft im
weiteren Sinne maßgeblich zu fördern". Maier, Frey, Schulz-Hardt und Brodbeck (2000, S.
264) sehen das ähnlich und nennen Innovation ,,die Entwicklung, Einführung und
Anwendung neuer Ideen, Prozesse, Produkte oder Vorgehensweisen, von denen Einzelne,
Gruppen oder ganze Organisationen profitieren sollen". Man beachte, dass in dieser
Definition die Entwicklung von Ideen explizit miteingerechnet wird ­ die Definitionen
Amabile's und West und Frei's sehen die Ideengenerierung offenbar stärker als einen
kreativen, anstatt einem innovativen, Prozess an. Diese Studie wählt daher die Definition von
Innovation von Maier et al. (2000), da in dieser Arbeit individuelle Innovation hauptsächlich
als Beteiligung am betrieblichen Vorschlagswesen und/oder Vorschlagseinreichung im
kleinen Regelkreis
5
operationalisiert wird.
Allerdings wird die Beteiligung an einem betrieblichen Vorschlagswesen auch der
Innovations-Definition Amabile's gerecht, da das Einreichen von Vorschlägen durchaus ein
produzierendes Element enthält, da ein Mitarbeiter seine Gedanken schriftlich und/oder verbal
ausformulieren muss. Auch Kanter's (1988) Definition von Innovation beinhaltet die
Ideenentwicklung als Teilelement. Frese, Fay, Leng, Hilburger und Tag (1997) gehen noch
5
Mit dem Begriff ,,kleiner Regelkreis" gemeint ist das direkte Arbeitsumfeld eines Organisationsmitglieds, und
beinhaltet seine/ihre direkte Führungskraft, Kollegen und/oder Mitarbeiter.

Theorie
25
dazu davon aus, dass das Einreichen von Verbesserungsvorschlägen stark mit dem Konstrukt
der Eigeninitiative zusammenhängt. Eigeninitiativ zu sein bedeutet, eigenverantwortlich,
proaktiv, langfristig denkend, und bereit und fähig zu sein, Barrieren zu überwinden (Frese,
Teng Wijnen, 1999). Somit betrachtet diese Studie das Einreichen von Vorschlägen, ob
offiziell oder inoffiziell, als Ausdruck von individueller Innovation, ganz egal ob es durch
kreatives Denkvermögen, Eigeninitiative, oder beidem gesteuert wird.
3.10 Strömungen in der Innovationsforschung
Wie Gebert (2003) ausführt, ist die Forschung zur Innovation mannigfaltig und geht in
die verschiedensten Richtungen. Eine wesentliche Forschungsrichtung untersucht die Art- und
Weise wie sich Innovationen verbreiten, und erforscht von daher unter welchen Bedingungen
Innovationen übernommen bzw. durch potenzielle Anwender verbreitet werden. Beispiele
dieser Forschungsrichtung finden sich unter anderem bei Gemünden (2001), mit seinen
Paradigmas zur Verbreitung von Innovationen, oder bei Diehl und Munkes (2002), die eine
mathematische Formel entworfen haben, mit Hilfe derer man vorhersagen könne, inwiefern
Innovationen eine Übernahmechance haben.
Die zweite große Forschungsrichtung beschäftigt sich mit Innovation als Prozess. Man
geht davon aus, dass einzelne Innovationsphasen und ­Sequenzen existieren; und dass jede
Phase von unterschiedlichen Variablen beeinflusst und bestimmt wird. Beispiele dieser
Forschung finden sich bei Amabile (1988) die ein 5-Phasen Modell, jeweils für individuelle
und für organisationale Innovation, entworfen hat; und bei West und Anderson (1996) die den
Innovationsprozess in Top-Management Teams untersucht haben. In den Ausführungen von
Brodbeck und Maier (2001) wird über die Bedeutung unterschiedlicher Dimensionen (wie
Vision, Aufgabenorientierung, Partizipative Sicherheit und Unterstützung von Innovation)
während den verschiedenen Phasen von Innovationen nachgedacht; und Scott und Bruce
(1994) haben ein Pfadmodell zur Voraussage von individueller Innovation am Arbeitsplatz
entwickelt. Die Kernphasen des betrieblichen Innovationsprozesses, der Untersuchungsziel
dieser Studie ist, sind 1) Innovationsimpuls, 2) Ideenfindung, 3) Konkretisierung, 4)
Umsetzung, 5) Durchsetzung und 6) Routine (Staudt Auffermann, 1996). Auch Kanter
(1988) hat ein ähnliches 4-Phasen Modell des Innovationsprozesses entworfen. Es herrscht
jedoch keine Einigkeit darüber, wie viele verschiedene Innovationsphasen es tatsächlich gibt,
oder ob der Innovationsprozess linear oder in Schleifen abläuft. Diese Untersuchung
beschränkt sich jedenfalls auf eine Phase des Innovationsprozesses, die in allen

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2004
ISBN (eBook)
9783832483517
ISBN (Paperback)
9783838683515
DOI
10.3239/9783832483517
Dateigröße
510 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München – Psychologie und Pädagogik
Erscheinungsdatum
2004 (Oktober)
Note
1,7
Schlagworte
gerechtigkeitsempfinden arbeitsplatzverhalten innovation einfluss interessengruppen
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Titel: Organisationale Gerechtigkeit und innovatives Verhalten in Organisationen
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