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Umsatzsteuerhinterziehung

©2004 Diplomarbeit 169 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Gang der Untersuchung:
In der vorliegenden Diplomarbeit wird ausführlich auf die Problematik der Umsatzsteuerhinterziehung eingegangen. So werden zum Beispiel folgende Arten der Umsatzsteuerhinterziehung dargestellt:
- Karussellgeschäft.
- Scheinrechnungen.
- Verlust der Umsatzsteuerfreiheit nach § 4 Nr. 1a UStG infolge „fehlerhafter“ Ausfuhrnachweise.
- Scheinselbständigkeit.
- sowie Schwarzarbeit.
Nachfolgend werden die durch Umsatzsteuerhinterziehung verursachten Schäden und die damit einhergehende Bedeutung der Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs für die Steuergerechtigkeit und die Rechtsstaatlichkeit dargestellt. Es wird auf bereits eingeführte Maßnahmen zur Bekämpfung der Umsatzsteuerhinterziehung und ihre Wirksamkeit eingegangen (Bauabzugsteuer, ZAUBER - Finanzamtsinternes Programm zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetruges).
Im Rahmen des Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetzes wurden bei der Umsatzsteuer mit Wirkung ab dem 01.01.2002 bedeutende Gesetzesänderungen vorgenommen. Diese werden ausführlich dargestellt. Dabei wird auf deren Wirksamkeit und auftretende Probleme, insbesondere hinsichtlich des Gemeinschaftsrechtes, eingegangen.
Darüber hinaus werden die folgenden seit längeren diskutierten Lösungsansätze zur Bekämpfung der Umsatzsteuerhinterziehung dargestellt:
- Modell der Vorstufenbefreiung.
- Modell der Vorsteuerverrechnung.
- und Modell der Vorsteuerverrechnung mit Gesamtschuldnerhaftung.
Im Zusammenhang mit der Problematik der Steuerhinterziehung wird auf folgende Themen eingegangen:
- Ursachen der Einstellung von Steuerstrafverfahren (Steuerfahndung, Buß- und Strafsachenstelle, Staatsanwaltschaft, Strafgerichte).
- Problematik des Föderalismus in Deutschland.
- und das Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit.
Ein Blick über die Grenzen Deutschlands hinaus zeigt auf, welche Maßnahmen in anderen Ländern getroffen wurden, um der Steuerhinterziehung Einhalt zu gebieten. So liegt zum Beispiel einer im Juli 2003 durchgeführten Studie zufolge die Zahl der potentiellen Steuerhinterzieher in Frankreich bei 28 %, in Deutschland hingegen bei 55 %. Die geringere Bereitschaft zur Steuerhinterziehung in Frankreich dürfte nicht zuletzt auf die besseren Ermittlungsmöglichkeiten der französischen Finanzverwaltung zurückzuführen sein, auf welche am Ende dieser Diplomarbeit eingegangen wird.


Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis:
VorwortII
AbkürzungsverzeichnisX
1.Einführung – Geschichte der […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Abkürzungsverzeichnis

1 Einführung - Geschichte der Umsatzsteuer

2 Steuerhinterziehung
2.1 Einführung
2.2 Tatbestandsvoraussetzungen
2.3 Unrichtige und unvollständige Angaben in der Umsatzsteuervoranmeld- ung bzw. Umsatzsteuerjahreserklärung gem. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO
2.4 Pflichtwidriges Unterlassen gem. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO
2.5 Steuerverkürzung, nicht gerechtfertigte Steuervorteile
2.5.1 Definition der Steuerverkürzung in § 370 Abs. 4 Satz 1 AO
2.5.2 Keine Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung bzw. Umsatzsteuerjahres-erklärung - § 370 Abs. 4 Satz 1 1. HS 1. Alternative AO
2.5.3 Abgabe einer falschen Umsatzsteuervoranmeldung bzw. Umsatzsteuer- jahreserklärung - § 370 Abs. 4 Satz 1 1. HS 2. Alternative AO
2.5.4 Verspätete Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung bzw. Umsatzsteuer- jahreserklärung - § 370 Abs. 4 Satz 1 1. HS 3. Alternative AO
2.5.5 Nicht gerechtfertigte Steuervorteile § 370 Abs. 4 Satz 2 AO
2.6 Strafen und außergerichtliche Folgen

3 Arten der Umsatzsteuerhinterziehung
3.1 Betrug durch Karussellgeschäfte
3.1.1 Einführung
3.1.2 Das Computerprozessor-Karussell
3.1.3 Maßnahmen der Finanzverwaltung
3.1.4 Maßnahmen des Gesetzgebers
3.1.5 Prüfung durch das BfF
3.1.6 Erforderliche Maßnahmen für die Zukunft
3.1.7 Organisierte Kriminalität
3.2 Scheinrechnungen
3.2.1 Einführung
3.2.2 Strafbarkeit der Nichtanmeldung des nach § 14 Abs. 3 UStG geschuldeten Betrages
3.3 Verlust der Umsatzsteuerfreiheit nach § 4 Nr. 1a UStG infolge „fehlerhafter“ Ausfuhrnachweise
3.3.1 Einführung
3.3.2 Rechtliche Beurteilung
3.3.3 Kontrollmöglichkeiten des Unternehmers
3.3.4 Maßnahmen in der Zukunft
3.4 Scheinselbständigkeit
3.5 Schwarzarbeit
3.5.1 Einführung
3.5.2 Methoden
3.5.3 Bekämpfung der Schwarzarbeit
3.5.4 Fazit

4 Schäden durch den Umsatzsteuerbetrug - Notwendigkeit der Bekämpfung
4.1 Bedeutung der Steuergerechtigkeit
4.2 Steuergerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit
4.3 Bereits eingeführte Maßnahmen zur Bekämpfung der Umsatzsteuer- hinterziehung
4.3.1 Bauabzugsteuer §§ 48 ff. EStG
4.3.2 Zauber

5 Das Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz
5.1 Überblick über das StVBG
5.2 § 14 UStG Rechnungserteilung
5.2.1 Inhalt der Regelung
5.2.2 Folgen bei fehlender Steuernummer
5.2.3 Steuergeheimnis nach § 30 AO
5.3 § 18 UStG - Voranmeldungszeitraum
5.4 § 18f UStG - Sicherheitsleistung
5.4.1 Inhalt der Neuregelung
5.4.2 § 18f UStG im Zusammenhang mit der 6. EG-Richtlinie/ Verhältnis- mäßigkeit
5.4.3 Kritische Bewertung
5.5 § 25d UStG Haftung für schuldhaft nicht abgeführte Steuer
5.5.1 Inhalt der Regelung
5.5.2 Ziel des § 25d UStG
5.5.3 § 25d UStG im Zusammenhang mit der 6. EG-Richtlinie
5.5.4 Anwendbarkeit auf Insolvenzfälle
5.5.5 Bisherige Erfahrungen/ Ausblick
5.6 § 26b UStG Schädigung des Umsatzsteueraufkommens/ § 26c UStG Gewerbsmäßige oder bandenmäßige Schädigung des Umsatzsteuerauf-kommens
5.6.1 Inhalt der Regelungen
5.6.2 Notwendigkeit des §§ 26b und 26c UStG
5.6.3 Tipps durch Steuerberater
5.7 § 27b UStG Umsatzsteuernachschau
5.7.1 Inhalt der Neuregelung
5.7.2 Betretungsrecht und verfassungsrechtliche Bedenken
5.7.3 Rechtsschutzmöglichkeiten des Steuerpflichtigen
5.7.4 Kritische Bewertung
5.8 Fazit

6 Vorschläge zur Bekämpfung der Umsatzsteuerkriminalität
6.1 Problematik
6.1.1 Das Allphasensystem
6.1.2 Wirkung des Sofortabzugs der Vorsteuer
6.1.3 Bekämpfung durch verstärkte Kontrollen der Verwaltung
6.1.4 Konzeption der Europäischen Kommission
6.2 Modell einer Vorstufenbefreiung
6.2.1 Wirkungsweise einer Vorstufenbefreiung
6.2.2 Ausweitung der Vorstufenbefreiung
6.2.3 Kenntlichmachung des begünstigten Unternehmerkreises
6.2.4 Sonderregelung bei Herstellern und Händlern mit teilweiser Vorsteuerab- zugsberechtigung
6.2.5 Missbrauchsgefahr
6.2.6 Vorstufenbefreiung und der Binnenmarkt
6.2.7 Steuervereinfachung
6.2.8 Politische Umsetzung
6.2.9 Kritische Betrachtung der Vorstufenbefreiung
6.3 Modell der Vorsteuerverrechnung
6.3.1 Wirkungsweise der Vorsteuerverrechnung
6.3.2 Geschäfte des täglichen Bedarf
6.3.3 Voranmeldungs- und Vorauszahlungsverfahren
6.3.4 Kritische Betrachtung des Vorsteuerverrechnungs-Modells
6.3.5 Zusammenfassung
6.4 Modell der Vorsteuerverrechnung mit Gesamtschuldnerhaftung
6.4.1 Wirkungsweise der Vorsteuerverrechnung mit Gesamtschuldnerhaftung
6.4.2 Kritische Betrachtung der Vorsteuerverrechnung mit Gesamtschuldner-haftung
6.5 Kritik/ Lösungsansätze
6.5.1 Ameisenkriminalität und Vertrauensschutz
6.5.2 Lösungsansatz
6.5.3 Vorschlag für neue rechtliche Gestaltungen
6.6 Fazit

7 Allgemeines
7.1 Ursachen der Einstellung von Steuerstrafverfahren
7.1.1 Einführung
7.1.2 Ursachen im Bereich der Steuerfahndung
7.1.3 Ursachen im Bereich der BuStra
7.1.4 Ursachen im Bereich der Staatsanwaltschaft
7.1.5 Ursachen im Bereich der Strafgerichte
7.1.6 Gemeinsame Ursachen
7.1.7 Fazit
7.2 Die Problematik des Föderalismus in Deutschland
7.3 Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit
7.3.1 Ziel der „Brücke in die Steuerehrlichkeit“
7.3.2 Inhalt der Regelung
7.3.3 Verbesserte Ermittlungsmöglichkeiten der Finanzbehörden
7.3.4 Wie sind die Einnahmen bei verkürzter Umsatzsteuer zu ermitteln?
7.3.5 Fazit

8 Umsatzsteuer im Ausland
8.1 Umsatzsteuer in der EU
8.2 Frankreich
8.3 Österreich

9 Maßnahmen für die Zukunft

Anlagenverzeichnis

Literaturverzeichnis

Gesetzesverzeichnis

Rechtsnormenverzeichnis

Eidesstattliche Erklärung

Vorwort

„Manchmal, wenn Andreas Marx, 49, ins Denken kommt, wähnt er sich auf einer Schussfahrt hin zum bösen Ende. Ihn verlässt dann jede Hoffnung. Marx ist Kantinenpächter im Berliner Finanzamt Kreuzberg. Eine Stelle, die er vor gut neun Jahren antrat, weil ihm damals das „Angebot ohne Nebenkosten“ reizte, er weder für Putzdienste noch für Ausstattung oder Miete aufzukommen hatte und sich deshalb preußische Steuerdisziplin und darüber hinaus noch drei Angestellte leisten konnte. Auch kam die Kundschaft zahlreich.

Mittlerweile zahlt Andreas Marx Pacht, zahlt für Wasser und Strom, zahlt für Parkplätze vor dem Amt und bewältigt die Arbeit allein. Koch, wäscht ab, bedient, putzt, kauft ein, ist von morgens 4.30 Uhr bis nachmittags 18 Uhr im Dienst, ist selbst am Wochenende vor Ort. Erstellt dann den Speiseplan, führt das Kassenbuch. Das Amt und seine Beamten knausern. „Eher früher als später“ will Marx sich deshalb ganz woanders wiederfinden. „Vielleicht hinter dem Tresen einer Currywurstbude.“

Marx hätte dann, so seine stille Hoffnung, ein im Verhältnis zum Aufwand immerhin akzeptables Auskommen. Könnte auch einmal wie andere „aus der Lade heraus“ verkaufen und nicht nur über registrierte Kassenbons, was „gewisse Spielräume“ gäbe. Im Finanzamt aber schaue man ihm, mehr noch als anderswo, „auf die Finger“.

Darin eine ungebührliche Form von Kontrolle zu entdecken liegt dem Kantinenpächter fern. Eher scheint ihm das Gebaren seiner Beamten, diese antrainierte penible Korrektheit, wie ein Reflex aus Zeiten, als deren Arbeit selbst noch auf stabilen staatstragenden Fundamenten ruhte. Doch geht diese Welt, davon ist zumindest Marx überzeugt, „gerade ebenso in die Brüche wie die meinige“.

Tatsächlich will es auch dem Kantinenbesucher Volker Luthardt, seines Zeichens Hauptsachgebietsleiter Betriebsprüfung am Finanzamt Kreuzberg, immer häufiger so scheinen, als wandele er über Treibsand und drohe zu versinken. „Der Boden, auf dem wir stehen“, sagt er mit der Miene eines desillusionierten Entdeckungsreisenden, „ist nicht mehr sicher. Und allein durch Lesen der Gesetze kommen wir oft nicht mehr weiter.“

Es liegt in diesen zwei Sätzen das ganze große Drama des deutschen Steuerrechts, und es ist zugleich die exakte Beschreibung all jener Niederlagen, die eine frustrierte, überforderte, jedes Elans beraubte und zum Prügelknaben gestempelte Beamtenschaft Tag für Tag einstecken muss. Um von der Masse der Steuerpflichtigen erst gar nicht zu sprechen.

Natürlich kommentiert niemand in der Kreuzberger Steuerbehörde offen den politisch motivierten Wahnsinn einer Fiskalpolitik und Finanzrechtsprechung, die im vorgeblichen Bemühen, es allen Interessengruppen recht zu machen, die Ungerechtigkeit zum System erhebt. Die Vereinfachung zum Ziel erklärt und zugleich im Paragrafendschungel Dünger streut. Die Gesetze beschließt, ohne deren wahre Auswirkung solide zu berechnen. Die Formulierungen absegnet, die selbst Experten nicht mehr verstehen. Und die sich in immer kürzeren zeitlichen Ordnungsprinzipien ergänzt, umschreibt oder gar für null und nichtig erklärt. Weshalb man sich in Kreuzberg Sorgen macht, „Sorgen um den gesellschaftlichen Zustand der Republik“.“[1]

Dieser Ausschnitt aus einem Artikel der Zeitschrift Focus dürfte so ziemlich genau die derzeitige Lage vieler Steuerpflichtigen als auch Finanzbeamten treffen.

Nicht zuletzt das im vorgenannten Artikel dargestellte Wirrwarr der Gesetze begünstigt die Steuerhinterziehung, welcher auf Grund der unzureichenden personellen Ausstattung der Finanzämter nicht mehr Herr zu werden ist.

Die Haushalte von Bund und Ländern wären weitgehend saniert, würde der Staat bei der Umsatzsteuer nicht schamlos betrogen. Nach einem Gutachten des Bundesrechnungshofs entgehen Bund und Ländern durch Umsatzsteuerhinterziehung und andere Umgehungen jährlich Steuereinnahmen in zweistelliger Milliardenhöhe.[2]

Zum 01.01.2002 trat deshalb das StVBG in Kraft, welches insbesondere die Sicherung des Umsatzsteueraufkommens im Blickfeld hat.

Diese Diplomarbeit beleuchtet das vorgenannte Gesetz und deren Wirksamkeit, stellt einige Arten von Umsatzsteuerhinterziehungen und darüber hinaus Lösungsansätze zur Bekämpfung der Umsatzsteuerhinterziehung dar. Da von der Steuerhinterziehung nicht nur die Umsatzsteuer betroffen ist, werden in dieser Diplomarbeit auch einige andere Steuerarten „gestreift“.

Ein Blick über die Grenzen Deutschlands hinaus soll aufzeigen, welche Maßnahmen in anderen Ländern getroffen wurden, um der Steuerhinterziehung Einhalt zu gebieten. So liegt z.B. einer im Juli 2003 durchgeführten Studie zufolge die Zahl der potentiellen Steuerhinterzieher in Frankreich bei 28 %, in Deutschland hingegen bei 55 %.[3] Die geringere Bereitschaft zur Steuerhinterziehung in Frankreich dürfte nicht zuletzt auf die besseren Ermittlungsmöglichkeiten der französischen Finanzverwaltung zurückzuführen sein, auf welche am Ende dieser Diplomarbeit eingegangen wird.

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einführung - Geschichte der Umsatzsteuer

Der akuten finanziellen Notlage des Deutschen Reiches während des Ersten Weltkrieges haben wir die Erschließung neuer, rasch fließender und ergiebiger Steuerquellen zu "verdanken".

Das Warenumsatzstempelgesetz wurde mit Gesetz vom 26.06.1916 eingeführt. Es gilt als Vorläufer des heutigen Umsatzsteuergesetzes und sah die Erhebung einer Abgabe i.H.v. 0,1 Prozent von den Entgelten für alle Warenlieferungen vor.

Die Finanznot nach dem Ersten Weltkrieg machte eine grundlegende Umgestaltung des deutschen Steuerrechts notwendig, die neben einer erheblichen Stärkung der Steuerkompetenz des Reiches auch ein einheitliches Steuerrecht brachte. Zu den wichtigsten Reichssteuern gehörten neben der Umsatzsteuer auch die Verbrauchsteuern.

Die Steuerpflicht wurde mit Gesetz vom 26.07.1918 auf alle - im Rahmen einer selbständigen Tätigkeit - erbrachten Leistungen, mit Ausnahme der freien Berufe, ausgedehnt. Zugleich stieg der allgemeine Steuersatz auf 0,5 Prozent. In diesem Gesetz wird das erste Umsatzsteuergesetz gesehen, es handelte sich um eine Allphasen-Bruttoumsatzsteuer ohne Vorsteuerabzug, d.h. die Besteuerung erfolgte kumulativ auf jeder Produktions- oder Handelsstufe. Mit diesem Gesetz wurde auch eine Luxusbesteuerung - mit wechselnden Steuersätzen, je nach Produktions- bzw. Handelsstufe - eingeführt. Durch das Gesetz vom 24.12.1919 wurden die Umsätze der Freiberufler in die Besteuerung einbezogen und der allgemeine Steuersatz auf 1,5 Prozent erhöht.

Die inzwischen verschiedenen Steuersätze schwankten in der Folgezeit, der allgemeine Steuersatz stieg nach wiederholten Änderungen 1931 auf 2 Prozent. Die o.g. Luxusbesteuerung wurde bereits 1926 wieder aufgehoben.[4]

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde durch Kontrollratsgesetz Nr. 15 vom 11. Februar 1946 der allgemeine Steuersatz um einen Prozentpunkt auf 3 v.H. angehoben, mit Gesetz vom 28.06.1951 erhöhte er sich auf 4 Prozent.

Der zweifellos tiefste Einschnitt in der Geschichte der Umsatzsteuer stellt die Einführung des Mehrwertsteuersystems, Allphasen-Nettoumsatzsteuer mit Vorsteuerabzug, im Jahre 1967 dar.

Es galten seither in der Bundesrepublik Deutschland folgende allgemeine Steuersätze:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Das Aufkommen aus der Umsatzsteuer stieg von rd. 13,8 Mrd. € in 1970, das waren etwa 17 Prozent der gesamten Steuereinnahmen, auf rd. 105 Mrd. €[5] in 2002. Bereits 1/3 der Steuereinnahmen[6] der Bundesrepublik kommen somit allein aus der Umsatzsteuer.

Im Laufe der Zeit entwickelte sich das deutsche Steuerrecht, dies gilt auch für das Umsatzsteuerrecht, zu einem immer komplexeren System. Seit Jahrzehnten und insbesondere seit Einführung des Binnenmarktes zum 01.01.1993 nutzen Kriminelle dieses zum Teil auch für Fachleute schwer verständliche Steuerrecht und hinterziehen nach Schätzungen von Experten auf nationaler bzw. europäischer Ebene jährlich ca. 14 Mrd.[7] bzw. 70 Mrd. €[8] Umsatzsteuer.

2 Steuerhinterziehung

2.1 Einführung

Das Steuerstraf- und Ordnungswidrigkeitsrecht ist überwiegend in den Vorschriften der §§ 369 – 412 AO geregelt. § 369 AO definiert, was unter Steuerstraftaten zu verstehen ist, des weiteren hat diese Vorschrift Bedeutung für die Ermittlungsbefugnisse der Finanzbehörden.

Zentrale Vorschrift des Steuerstrafrechts ist § 370 AO, der die Steuerhinterziehung regelt. Als Begehungsarten unterscheidet das Gesetz die unrichtigen und unvollständigen, § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, und die pflichtwidrig unterlassenen Angaben, § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO. Die Vorschrift des § 370 AO hat den Zweck, die Vermögensinteressen des Staates zu schützen. Die Bestrafung der Steuerhinterziehung soll das öffentliche Interesse am vollständigen und rechtzeitigen Aufkommen bestimmter einzelner Steuern sichern.[9] Die Tatbestandsverwirklichung sowohl durch Handeln als auch durch Unterlassen ist nur gegeben, wenn die Finanzbehörde über steuerlich erhebliche Tatsachen getäuscht und dadurch Steuer verkürzt wird. Als Sondertatbestand verdrängt die Steuerhinterziehung den allgemeinen Betrugstatbestand des § 263 Abs. 1 StGB[10]. Tateinheit zwischen Steuerhinterziehung und Betrug ist aber möglich, wenn der Täter mit Mitteln der Täuschung neben der Verkürzung von Steuereinnahmen oder der Erlangung ungerechtfertigter Steuervorteile noch weitere Vorteile erstrebt und erlangt.

2.2 Tatbestandsvoraussetzungen

Eine vollendete Steuerhinterziehung liegt nur vor, wenn sämtliche Tatbestandsmerkmale des § 370 AO erfüllt sind. Der Täter muss ein Verhalten an den Tag gelegt haben, welches eine der Nummern 1 bis 3 des § 370 Abs. 1 AO erfüllt. Steuerhinterziehung begeht demnach, wer:

Nr. 1: den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht,

Nr. 2: die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erheblich Tatsachen in Unkenntnis lässt oder

Nr. 3: pflichtwidrig die Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern unterlässt

und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.

Eine Steuerhinterziehung liegt nur vor, wenn der Täter in Bezug auf die Erfüllung der objektiven Merkmale vorsätzlich gehandelt hat. Das ergibt sich zunächst aus
§ 15 StGB, der über § 369 Abs. 2 AO auch für das Steuerstrafrecht gilt. Das Erfordernis des Vorsatzes lässt sich aber auch aus § 378 AO ablesen, wonach die leichtfertige, also nicht vorsätzliche, Steuerverkürzung und Steuervorteilserschleichung lediglich eine Ordnungswidrigkeit darstellt.

2.3 Unrichtige und unvollständige Angaben in der Umsatzsteuervoranmeld- ung bzw. Umsatzsteuerjahreserklärung gem. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO

Nach § 150 Abs. 1 AO sind die Steuererklärungen nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck abzugeben. Die Vordrucke verlangen gem. § 150 Abs. 2 AO in der Regel die schriftliche Versicherung des Steuerpflichtigen, dass er die Angaben wahrheitsgemäß nach bestem Wissen und Gewissen gemacht hat. Um dem Steuerpflichtigen seine strafrechtliche Verantwortung für richtige und vollständige Angaben bewusst zu machen, schreiben die Einzelsteuergesetze die eigenhändige Unterschrift vor.[11]

Steuerlich erheblich sind Tatsachen, die zur Ausfüllung des sich aus den Einzelsteuergesetzen ergebenden Besteuerungstatbestandes erforderlich sind, weil sie die Entstehung, Höhe, Fälligkeit oder Durchsetzung der Steuer beeinflussen. Bei einer vom Steuerpflichtigen ungelesen unterschriebenen, von einer anderen Person für ihn gefertigten Steuererklärung besteht die steuerliche Erheblichkeit bereits darin, dass das Finanzamt bei Vorliegen der Versicherung, der Steuerpflichtige habe die Angaben in der Steuererklärung nach bestem Wissen und Gewissen gemacht, diese grundsätzlich als wahrheitsgemäß unterstellen soll.[12]

Hauptfälle des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO sind falsche Angaben oder fehlende Angaben in den Steuererklärungen.

2.4 Pflichtwidriges Unterlassen gem. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO

Bei der Umsatzsteuer besteht in den Fällen, in denen sich dem Grunde nach eine entsprechende Steuer ergibt, auch eine gesetzliche Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung.[13] Zur Begründung dieser Verpflichtung muss das Finanzamt nicht noch besonders zur Abgabe einer Steuererklärung auffordern.

Hauptfall des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ist die Nichtabgabe der Umsatzsteuervoranmeldung bzw. -jahreserklärung.

2.5 Steuerverkürzung, nicht gerechtfertigte Steuervorteile

2.5.1 Definition der Steuerverkürzung in § 370 Abs. 4 Satz 1 AO

Steuern sind gem. § 370 Abs. 4 Satz 1 AO namentlich in folgenden Fällen verkürzt:

- Steuern wurden nicht festgesetzt 1. Alternative, vgl. Tz. 2.5.2,
- Steuern wurden zu niedrig festgesetzt 2. Alternative, vgl. Tz. 2.5.3,
- Steuern wurden zu spät festgesetzt 3. Alternative, vgl. Tz. 2.5.4.

Es spielt dabei nach § 370 Abs. 4 Satz 1 AO keine Rolle, ob die zu niedrige Steuerfestsetzung nur vorläufig oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung oder auf Grund einer Steueranmeldung, die einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht, erfolgt ist. Auch im Vereiteln einer Vollstreckungsmaßnahme im steuerlichen Beitreibungsverfahren kann eine Steuerverkürzung liegen.

Seinem Wortlaut nach betrifft § 370 AO nur Steuern im Sinne des § 3 Abs. 1 und 2 AO. Steuerliche Nebenleistungen gem. § 3 Abs. 4 AO gehören nicht dazu.

Die Steuerverkürzung ist durch Vergleich von Ist-Steuer, d.h. tatsächlich angemeldete bzw. nicht angemeldete Steuer, und Soll-Steuer, d.h. tatsächlich anzumeldende Steuer, zu errechnen.

2.5.2 Keine Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung bzw. Umsatzsteuerjahres-erklärung - § 370 Abs. 4 Satz 1 1. HS 1. Alternative AO

Wer die Finanzbehörde pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt, erfüllt, wie bereits erläutert, den Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO. Die Begriffe Finanzbehörden und steuerlich erhebliche Tatsachen sind gleich denen in § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO. Pflichtwidrig in Unkenntnis lassen heißt, dass jemand eine Garantenpflicht zur Angabe von Tatsachen innehat, also an sich eine Verpflichtung besteht, diese aber nicht erfüllt wird. Beispiele für solche verpflichtenden steuerrechtlichen Vorschriften sind die Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen oder von Steueranmeldungen[14], aber auch die Pflicht zur Berichtigung einer nachträglich als solches erkannten unrichtigen oder unvollständigen Erklärung nach § 153 AO. Zur Begründung der Verpflichtung zur Abgabe von Steuererklärungen bedarf es nicht noch einer besonderen Aufforderung durch das Finanzamt, wenn auch das Finanzamt die Steuerpflichtigen in den Fällen, in denen es die gesetzliche Pflicht zur Abgabe der Steuererklärung vermutet, i.d.R. noch besonders zur Abgabe der Steuererklärung durch Zusendung der Vordrucke auffordert.

Beispielhaft sei hier ein Schwarzarbeiter genannt, der keine Steuererklärung abgibt, obwohl er auf Grund der Steuergesetze[15] hierzu verpflichtet ist oder ein ehemals als Arbeitnehmer im Baugewerbe beschäftigter Steuerpflichtige macht sich selbständig, ohne der nach § 138 Abs. 1 AO bestehenden Pflicht der Anzeige des begonnenen Gewerbes nachzukommen.

Nicht bereits durch die unterlassene Anmeldung gegenüber der Gemeinde handeln die Steuerpflichtigen pflichtwidrig, sondern erst, wenn sie umsatzsteuerlich Umsätze ausführen und keine entsprechenden (Vor-)Anmeldungen abgeben, ist mit Ablauf des Fälligkeitstages eine Steuerverkürzung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO gegeben.

2.5.3 Abgabe einer falschen Umsatzsteuervoranmeldung bzw. Umsatzsteuer- jahreserklärung - § 370 Abs. 4 Satz 1 1. HS 2. Alternative AO

Praktische Beispiele für unrichtige oder unvollständige Angaben sind:

- Scheingeschäfte nach § 41 Abs. 2 AO, z.B. Scheinrechnungen,
- Steuerumgehung durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten, wenn die Gestaltung dem Finanzamt gegenüber verschleiert wird,
- unrichtige Gewinnermittlung, z.B. Aktiva werden zu niedrig, Passiva zu hoch angesetzt,
- Betriebseinnahmen werden nicht verbucht, z.B. Ohne-Rechnung-Geschäfte,
- Betriebsausgabe werden vorgetäuscht, z.B. durch Gefälligkeits- rechnungen,
- im Ermittlungsverfahren werden unrichtige zu unzutreffenden Steuerfestsetzungen führende Auskünfte gegeben.

Auch unrichtige oder unvollständige Angaben in Steueranmeldungen oder Anträge jeglicher Art, z.B. Anträge auf Stundung, Erlass von Steuern oder Vollstreckungsaufschub können steuerstrafrechtliche Relevanz haben.

Die Angaben bzw. Nichtangaben müssen gegenüber den Finanzbehörden oder anderen Behörden gemacht werden. Der Begriff Finanzbehörde oder andere Behörden ergibt sich aus § 6 Abs. 1 und 2 AO. Nicht nur gegenüber dem Finanzamt können unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht werden, sondern auch gegenüber anderen Behörden.[16]

2.5.4 Verspätete Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung bzw. Umsatzsteuer- jahreserklärung - § 370 Abs. 4 Satz 1 1. HS 3. Alternative AO

Zu einer Steuerverkürzung kommt es bereits dann, wenn die Steuer nicht rechtzeitig festgesetzt wird. Die Abgrenzung zwischen Nichtfestsetzung und nicht rechtzeitiger Festsetzung der Steuer erfolgt aufgrund der subjektiven Vorstellung des Täters. Entscheidend ist damit, ob der Steuerpflichtige die Steuer überhaupt vermeiden oder aber eine spätere Festsetzung gewollt hat. Ist eine spätere Festsetzung der Steuer durch den Steuerpflichtigen beabsichtigt, liegt eine Steuerverkürzung auf Zeit vor. Gibt ein Steuerpflichtiger eine Umsatzsteuervoranmeldung nicht oder nicht rechtzeitig ab, so begeht er grundsätzlich eine bloße Steuerverkürzung auf Zeit, weil die monatlichen Voranmeldung der zeitnahen Erfassung und Erhebung der Umsatzsteuer dient. Die Steuer wird aufgrund der monatlichen Umsätze für den Veranlagungszeitraum vom Steuerpflichtigen berechnet und vom Finanzamt festgesetzt. Aufgrund der jeweiligen Umsatzsteuerjahreserklärung kommt es dann zu einer erstmaligen Festsetzung der Umsatzsteuer für den gesamten Besteuerungszeitraum. Die Abgabe falscher monatlicher Voranmeldungen führt damit zur Verkürzung von Umsatzsteuervorauszahlungen, mithin grundsätzlich nur zu einer bloßen Steuerverkürzung auf Zeit. Wird aber die Jahressteuererklärung falsch abgegeben, liegt eine endgültige Steuerverkürzung auf Dauer vor. Selbst wenn der Steuerpflichtige zunächst nur eine Steuerverkürzung auf Zeit angestrebt hat, wird die volle, zunächst nicht festgesetzte, Steuer hinterzogen. Zur Berechnung des Verspätungsschadens, der für die Strafzumessung bei der Steuerhinterziehung von Relevanz ist, ist jedoch davon auszugehen, dass durch die zeitliche Verzögerung der Staat nur einen Zinsverlust erlitten hat und insoweit geschädigt wurde. Der Vermögensschaden in Form des Zinsverlustes wird seitens der Rechtsprechung durch den Ansatz eines Zinssatzes in Höhe von 0,5 v.H. pro Monat entsprechend dem Hinterziehungszinssatz[17] ermittelt. Die Finanzverwaltung will demgegenüber insbesondere in Hochzinsphasen als Anhaltspunkt für die Berechnung des Verspätungsschadens den jeweiligen Kapitalmarktzins heranziehen.

2.5.5 Nicht gerechtfertigte Steuervorteile § 370 Abs. 4 Satz 2 AO

Eine Steuerhinterziehung kann gem. § 370 Abs. 4 Satz 2 AO auch dann vorliegen, wenn nicht gerechtfertigte Steuervorteile zu Unrecht gewährt oder belassen werden. Steuervorteile sind auch Steuervergütungen, wie z.B. Vorsteuern. Ein Steuervorteil kann auch in einer erschlichenen Stundung nach § 222 AO oder einem erschlichenen Vollstreckungsaufschub nach § 258 AO bestehen.

2.6 Strafen und außergerichtliche Folgen

Strafen sieht das deutsche Strafrecht für schuldhaft begangenes Unrecht in Form einer Freiheitsstrafe oder Geldstrafe vor. Auch wenn § 38 Abs. 2 StGB als Mindestmaß der zeitigen Freiheitsstrafe einen Monat vorsieht, so wird eine Freiheitsstrafe nach § 47 Abs. 1 StGB unter sechs Monate nur verhängt, wenn besondere Umstände in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters dies unerlässlich machen.

Steuerhinterziehung ist nach § 370 Abs. 1 AO mit einer Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder mit Geldstrafe bis 1,84 Mio. €, bei der Bildung einer Gesamtstrafe nach § 54 StGB von mindestens 2 Einzelgeldstrafen bis zu 3,68 Mio. €[18] bedroht. In besonders schweren Fällen ist nach § 370 Abs. 3 AO allein eine Freiheitsstrafe im Mindestmaß von 6 Monaten bis zu einer Obergrenze von 10 Jahren vorgesehen. Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr, in besonderen Fällen bis zu zwei Jahren, können zur Bewährung ausgesetzt werden.[19]

Von der Geldstrafe ist das Bußgeld nach § 378 AO abzugrenzen, welches im Falle einer leichtfertigen Steuerverkürzung verhängt werden kann.

Strafrechtliche Nebenfolgen nennt § 375 AO. Voraussetzung ist, dass der Täter zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wird. Dann kann z.B. das passive Wahlrecht und die Amtsfähigkeit für zwei bis fünf Jahre beschränkt werden. Weitere mögliche Nebenfolge einer Steuerhinterziehung sind nach § 375 Abs. 2 AO die Einziehung von Tatmitteln oder eine Geldbuße gegen juristische Personen oder gegen eine Personenvereinigung, die als solche nicht bestraft werden können.[20]

3 Arten der Umsatzsteuerhinterziehung

3.1 Betrug durch Karussellgeschäfte

3.1.1 Einführung

Wie bereits erläutert wurde, kommt es in Deutschland auf Grund der Karussellgeschäfte zu jährlichen Steuerausfällen von ca. 14 Mrd. €. Die Höhe der hinterzogenen Steuer macht deutlich, welchen Stellenwert die Bekämpfung dieser Art der Steuerhinterziehung hat.

Deliktisch betrachtet handelt es sich bei Umsatzsteuerkarussellen um Betrugshandlungen, bei denen durch den Aufbau von grenzüberschreitenden Lieferketten, vor allem mit rasch und einfach zu befördernden Waren mit hohem Wertschöpfungsanteil, beispielsweise Computerteile, Mobiltelefone, Edelmetalle, Medikamente und hochwertige Fahrzeuge, unter Ausnutzung der Umsatzsteuerregeln für innergemeinschaftliche Lieferungen und Erwerbe Vorsteuerabzug geltend gemacht wird, ohne dass die in der Kette entstehende Umsatzsteuer angemeldet bzw. entrichtet wird. Möglich wurde diese Form der Steuerhinterziehung erst durch das am 01.01.1993 in Kraft getretene EG-Binnenmarktgesetz und den damit verbundenen Wegfall der Einfuhrumsatzsteuer bei grenzüberschreitendem Handel innerhalb der EU.[21]

Der relativ risikoarme modus operandi von Umsatzsteuerkarussellen erfordert ein großes Maß an Spezialisierung, weshalb die im Bereich der Karussellgeschäfte beteiligten Täter fast ausschließlich deliktspezifisch agieren.

Im Rahmen der Umsatzsteuerkarusselle werden Warenströme erzeugt, die gemessen am legalen Handel eine beachtliche Größenordnung erreichen. So verursachten z.B. im bisher größten bekannt gewordenen Karussellfall 35 meist ausländische Einzeltäter 2001 einen Steuerschaden von 365 Mio. €, wovon lediglich 113 Mio. € zurückgeholt werden konnten. Vier Täter konnten gefasst werden, 31 hatten sich ins Ausland abgesetzt.[22]

An einem solchen „Betrugskartell“ sind eine Reihe von echten und/oder Scheinfirmen beteiligt. Alle versuchen durch entsprechendes Zusammenwirken, ungerechtfertigte Umsatzsteuervorteile zu erzielen. Dabei verwischen sie die Spur der Exportware durch Beteiligung möglichst vieler inländischer Zwischenhändler als künstliche Glieder der Betrugskette. Bei einem „lupenreinen“ Karussell handelt es sich um einen europäischen Rechnungs-, Geld- und Warenkreislauf mit bei jedem Umlauf gleichen Beteiligten und gleicher Ware. Der Geldkreislauf ist hierbei gegenläufig zu dem Waren- und Rechnungskreislauf. Man spricht deshalb auch von Ringgeschäften zur Abgrenzung von Kettengeschäften[23]. Der Güter- und Geldstrom ist nicht unbedingt erforderlich oder kann gegenüber dem Rechnungsweg verkürzt sein.

In der Praxis handelt es sich aber selten um solche „lupenreinen“ Karusselle, denn die Ware durchläuft, laut Rechnung, selten bei der nächsten Runde wieder die gleichen Unternehmen. Es werden meist ein paar Unternehmer ausgewechselt oder sogar Warenposten aufgeteilt weitergereicht.

Zum weiteren Verständnis folgen nun Definitionen der international für Karussellgeschäfte verwendeten Begriffe. Die Beteiligten an einem Karussellgeschäft kann man danach in drei Hauptgruppen unterteilen:

„Missing Trader” (im weiteren als MT bezeichnet)

Bei dem sogenannten MT handelt es sich um eine Scheinfirma bzw. nicht operative Firma mit Scheinlieferungen, die ihren steuerlichen Verpflichtungen nicht nachkommt.[24] Sie ist immer das erste Glied der Lieferkette nach der Grenze eines EU-Mitgliedstaates. Die Lebensdauer solcher Firmen beträgt oftmals nur wenige Monate. Zweck des MT ist es, Rechnungen mit Umsatzsteuer-Ausweis auszustellen, die dem nachfolgenden Glied der Lieferkette den Vorsteuerabzug ermöglichen. Die verantwortlichen Personen sind meist nicht greifbar.

„Buffer Company” (im weiteren als BC bezeichnet)

Bei der BC handelt es sich um eine in der Lieferkette zwischengeschaltene Pufferfirma, die ihren steuerlichen Pflichten nachkommt. In der Regel erfolgt ein sprunghafter Anstieg des Umsatzes mit Umsätzen die außerhalb des tatsächlichen Geschäftszweckes liegen und dauert nur für den Zeitraum der Einbindung in die Lieferkette an. Die daraus resultierende hohe Umsatzsteuer wird durch die Vorsteuer aus den Rechnungen des vorangegangenen Kettengliedes kompensiert.

„Distributor“ (im weiteren als Distri bezeichnet)

Ist grundsätzlich ein Großhändler, der Direktabnehmer des Produzenten ist, i.d.R. offizieller Verteiler innerhalb des Mitgliedstaates. Er stellt das letzte Glied einer Lieferkette in einem EU-Mitgliedstaates dar. Durch die steuerfreie innengemeinschaftliche Lieferung der im Rahmen des Karussellgeschäftes bewegten Waren realisiert er die in den Rechnungen des vorangegangenen Kettenglieds ausgewiesene Umsatzsteuer, was sich in einem entsprechenden Vorsteuererstattungsanspruch widerspiegelt. Der Distri ist steuerlich unauffällig und „unantastbar“. Mit der Erstattung der Vorsteuer wird der Umsatzsteuerbetrug endgültig realisiert.

3.1.2 Das Computerprozessor-Karussell

Zur Verdeutlichung eines üblichen Karussellgeschäftes wird im Folgenden ein Beispiel anhand von Computerprozessorgeschäften aufgezeigt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die im Gemeinschaftsgebiet ansässigen Großhändler Distri A und Distri B liefern zu üblichen Großhandelspreisen steuerfrei[25] innerhalb des Gemeinschaftsgebietes an das inländische (Schein-)Unternehmen MT. Dieser MT hat sich beim Finanzamt registrieren lassen, um eine USt-IDNr. zu erhalten. Er gibt, wenn überhaupt, nur Voranmeldungen mit geringen und damit unauffälligen Zahllasten ab oder meldet Steuer an, bezahlt diese aber nicht. Der MT müsste gem. § 1a UStG die erhaltene Lieferung als steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerb behandeln. Bemessungsgrundlage für den zu erklärenden innergemeinschaftlichen Erwerb ist gem. § 10 Abs.1 UStG der Nettopreis, den Distri A und B i.H.v. 100 € berechnet haben, auf den die USt von 16 € zu berechnen wäre. Gleichzeitig kann MT gem. § 15 Abs. 1 Nr. 3 UStG einen entsprechenden Vorsteueranspruch geltend machen. Der innergemeinschaftliche Erwerb wird durch den MT meist ordnungsgemäß erklärt, um bei zwischenstaatlichen Kontrollen[26] nicht entdeckt zu werden. Die anschließende Lieferung wird nicht erklärt, oder erklärt, aber nicht an das Finanzamt entrichtet. MT liefert an BC, mit Rechnung und Umsatzsteuerausweis, weiter. Dabei behandelt MT seinen Einkaufspreis aber als Bruttowert und rechnet die USt mit 13,8 % heraus. Dies entspricht einem Nettoeinkaufspreis von 86,20 €[27]. Damit wird die Ware gegenüber der ehrlichen Konkurrenz auf Kosten des Fiskus billiger. Der MT begnügt sich mit einem geringen Aufschlag. MT erklärt und entrichtet auch diese fällige Umsatzsteuer von 13,8 € nicht, sondern verschwindet vom Markt, bevor die Finanzverwaltung den Sachverhalt aufdecken kann. BC hingegen zieht die Vorsteuer aus diesem Eingangsumsatz und führt seine Umsatzsteuer an das Finanzamt ab. Über BC gelangen die Prozessoren unter Berechnung des handelsüblichen Aufschlags, ggf. nach Einschaltung weiterer Buffer, an den Distri H. Distri H führt die Ware mit einem geringen Aufschlag als innergemeinschaftliche Lieferung gem. § 6a UStG wieder ins innergemeinschaftliche Ausland steuerfrei aus. Für seine Kunden Distri A und Distri B handelt es sich wiederum um einen innergemeinschaftlichen Erwerb[28]. Distri H macht die in der Eingangsrechnung ausgewiesene Umsatzsteuer nach § 15 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3 Nr. 1a UStG als Vorsteuer beim Finanzamt geltend. Die Exportfirma, Distri H, holt sich somit monatlich einen Vorsteuererstattungsbetrag beim Finanzamt ab. Gleichzeitig beginnt vom Ausland die nächste Karussellrunde.

Um den danach um 13,8 % verminderten Nettopreis der Waren noch weiter zu drücken, kann der Vorgang beliebig oft wiederholt werden, bis zu Lasten des Fiskus ein konkurrenzlos niedriger Preis erreicht ist. Häufig verlässt die Ware dabei ihren Lagerort nicht. Der umsatzsteuerliche Effekt lässt sich noch verdoppeln, wenn der letzte inländische Händler in der Kette mit Hilfe einer außerhalb der Mitgliedstaaten liegenden Scheinfirma eine steuerfreie Lieferung ins Ausland[29] vortäuscht, die Ware aber im Inland verkauft, ohne die Umsatzsteuer zu entrichten. Die Täter führen dann nicht 16 % Umsatzsteuer auf den Netto-Warenwert ab, sondern rechnen 13,8 % aus dem Netto-Warenwert heraus. Daraus entsteht eine rein steuerfinanzierte Handelsspanne von rd. 30 %.

Dieses Grundmodell wäre relativ leicht aufzudecken, wenn nicht die Täter Vorkehrungen träfen, um den Sachverhalt zu verschleiern. So werden die Lieferketten künstlich verlängert, teilweise auch unter Einschaltung von Mitarbeitern großer Firmen, die für die „Benutzung“ als Durchlaufstation eine geringe „Provision“ erhalten. Regelmäßig durchlaufen auch mehrere unterschiedlich große Warenkontingente gleichzeitig das Karussell. Zum Teil haben die Täter Insiderkenntnisse von Verfahrensabläufen innerhalb der Finanzämter. Alle diese Vorkehrungen erschweren der Finanzverwaltung ein kurzfristiges Aufdecken solcher Karussellgeschäfte. Die enorme Umsatzvolumina, die durch die Karusselle geschleust werden, führen hingegen schon nach wenigen Wochen zu unberechtigten Vorsteuererstattungen in sechs- oder siebenstelliger Höhe. Dabei ist es nicht nur schwierig, das gesamte Karussell zu entflechten und deren Hintermänner ausfindig zu machen, sondern bereits die Aufdeckung der nur kurzzeitig agierenden MT bedarf des Einsatzes eines bundesweit koordinierten und schnellen Prüfungsteams. Denn bei den MT handelt es sich i.d.R. um vermögenslose Personen, die zu Geschäftsführern einer mit Mindestkapital ausgestatteten GmbH gemacht werden, um hier entsprechende Ausgangsrechnungen zu unterschreiben. Hierfür begnügen sie sich erfahrungsgemäß, bedingt durch ihre oft auswegslose Finanzlage, mit geringen Geschäftsführergehältern und nehmen die durch sie begangenen Gesetzesverstöße billigend in Kauf. Sollte ein MT durch die Finanzverwaltung aufgedeckt werden, scheitert eine Begleichung des durch ihn verursachten Steuerschadens zumeist an seine Vermögenslosigkeit. Der ausgefallene MT wird von den Hintermännern des Karussells sogleich durch einen neuen MT ersetzt. Die Buffer Companies und Distributoren erscheinen gegenüber der Finanzverwaltung bei Prüfungs- und Fahndungsmaßnahmen als steuerehrlich und geben sich hinsichtlich der Karussellgeschäfte ahnungslos.

Nachfolgend soll dargestellt werden, welche Maßnahmen die Finanzverwaltung, und der Gesetzgeber getroffen haben bzw. welche Maßnahmen in der Zukunft noch notwendig sind, um die vorgenannten Karussellgeschäfte zu bekämpfen.

3.1.3 Maßnahmen der Finanzverwaltung

Bei den Fällen der Umsatzsteuerhinterziehung operieren die Täter häufig in grenzüberschreitenden Organisationsformen, bedienen sich in der Regel sämtlicher Hilfsmittel moderner Technik und passen ihr Vorgehen zeitnah den Prüfungsmethoden der Finanzverwaltung an. Eine Aufdeckung der Fälle wird in zunehmendem Maße erschwert. Um eine Art Waffengleichheit herzustellen, müssen auch den Prüfern und den damit konfrontierten Bearbeitern moderne Hilfsmittel an die Hand gegeben werden.

Die Finanzverwaltung ist gegenwärtig damit konfrontiert, mit vergleichsweise geringem Personaleinsatz dem in der jüngsten Vergangenheit rasant angestiegen Missbrauch im Bereich des Umsatzsteuerbetrugs zu begegnen. Der Spargedanke unter dem Schlagwort „schlanke Verwaltung“ verkehrt sich genau ins Gegenteil, wenn nicht schnell die „dünne Personaldecke“ durch die verstärkte Nutzung moderner Informationstechnologie ergänzt wird.

Nachfolgende Systeme werden bereits seit geraumer Zeit in der Praxis eingesetzt:

A) „ZAUBER“

Vgl. hierzu Tz. 4.3.2.

B) „USLO“

Nach Art. 4 Abs. 2 und 3 der Zusammenarbeits-Verordnung[30] können die Finanzbehörden von anderen EG-Mitgliedstaaten Informationen über innergemeinschaftliche Erwerbe deutscher Unternehmer erhalten. Die Information basiert dabei auf den Angaben, die Unternehmer in anderen EG-Mitgliedstaaten zu innergemeinschaftlichen Lieferungen an deutsche Unternehmer in ihrer Zusammenfassenden Meldung[31] gemacht haben. Diese Daten können mittlerweile durch das Verfahren USLO (U msatz s teuer L änder O nline) auch online beim BfF abgefragt werden.[32]

Zur Verfügung stehen sowohl die Summe der vom Inhaber einer deutschen USt-IDNr. getätigten Erwerbe aus dem jeweiligen EG-Mitgliedstaat[33] als auch die Einzeldaten zur Höhe des innergemeinschaftlichen Erwerbs pro Lieferant[34].

Da die Daten wiederum an die Zusammenfassende Meldung gekoppelt sind, würde sich eine Verkürzung der Abgabefristen dieser, bisher vierteljährlich[35], gerade im Bereich, in dem der Datenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten bereits per EDV funktioniert, äußerst positiv auswirken.

Würden alle Mitgliedstaaten über dasselbe EDV- Programm verfügen, wäre es möglich ständig abzugleichen, ob die einerseits steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferungen andererseits als steuerpflichtiger innergemeinschaftlicher Erwerb erklärt wurden. Dies wäre ein wesentlicher Schritt zur wirksamen Bekämpfung der Karussellgeschäfte. Ein solches einheitliches Länderübergreifendes EDV gestütztes Überwachungsprogramm ist aus heutiger Sicht noch in weiter Ferne.

3.1.4 Maßnahmen des Gesetzgebers

Die immer lauter werdende Diskussion um immense Summen, die im Wege des Umsatzsteuerbetruges durch organisierte Kriminalität am deutschen Fiskus vorbeigeschleust werden, rief im Frühjahr 2001 die Bundesregierung auf den Plan. Sie wollte entsprechend einem Referentenentwurf des Finanzministeriums in Bayern auch über eine veränderte Gesetzgebung dazu beitragen, steuerehrliche Unternehmer vor Wettbewerbsverzerrungen, die durch gezielten Missbrauch des Vorsteuerabzugs entstehen, zu schützen. Ferner wollte sie den Verfolgungsdruck gegenüber organisierten Umsatzsteuerbetrügern zum Schutz bestehender legaler Arbeitsplätze und zur Sicherung der Steuerbasis in Deutschland erhöhen. Des weiteren hatte sie natürlich ein gesteigertes fiskalisches Interesse am Schutz des Umsatzsteueraufkommens.[36]

Mit dem StVBG bietet der Gesetzgeber seit dem 01.01.2002 verschiedenen Lösungen zur Optimierung des umsatzsteuerlichen Kontroll- und Sicherungssystems an. Auf diese Gesetzesänderungen und ihre bisherigen Auswirkungen wird in Tz. 5 eingegangen.

3.1.5 Prüfung durch das BfF

Das BfF wurde durch das StVBG beauftragt, die umsatzsteuerlichen Ermittlungen der Bundesländer zu koordinieren. Das Bundesamt ist jedoch nicht nur seit Anfang 2002 für die Koordinierung von Umsatzsteuerprüfungen der Landesfinanzbehörden bei grenz- und länderübergreifenden Fällen zuständig, sondern hat zugleich 50 spezielle Prüfungsteams zusammengestellt, die jeweils zur Hälfte aus Bundesbetriebsprüfern sowie aus Beamten des Zolls bestehen. Ein wirkungsvoller Ansatz zur Bekämpfung der Umsatzsteuerkarusselle kann nur in einer kurzfristigen Enttarnung der MT und einer damit verbundenen Präventivwirkung liegen. Um möglichst schnell an die auffälligen Firmen heranzukommen, müssten sich die Umsatzsteuer-Voranmeldungsstellen von den Firmen, die hohe Vorsteuerüberhänge geltend machen und die vorgegebenen Aufgriffskriterien[37] erfüllen, für alle steuerfreien Lieferungen, d.h. Ausfuhr- und innergemeinschaftlichen Lieferungen, die Ausgangsrechnungen sowie die entsprechenden Eingangsrechnungen in Kopie vorlegen lassen, bevor eine Vorsteuererstattung erfolgt. Dieses Modell wird mit großem Erfolg schon seit längerem in Bayern praktiziert.[38] Der Vorteil liegt darin, dass bereits vor dem eigentlichen Prüfungsbeginn vor Ort schon drei Firmen in der Kette namentlich bekannt sind. Durch Abstimmung mit anderen Prüfern kann es zu schnelleren, koordinierten Prüfungsbeginnen bei mehreren Firmen gleichzeitig kommen. Wenn darüber hinaus die Lieferanten monatlich ab einem bestimmten Umsatz erfasst werden, kann bereits vom Innendienst aus festgestellt werden, welche Firmen nach kurzer Zeit als Lieferant ausscheiden und welche neu hinzukommen. Auf diese Weise könnten potentielle MT im Vorfeld schneller aufgespürt werden. Durch sogenannte Blitz-Kettenprüfungen müssten dann, beginnend beim Exporteur, alle auffälligen Lieferantenfirmen in der Kette innerhalb weniger Tage, z.B. eine Woche, bis hin zum MT überprüft werden. Dabei geht es weniger um Umsatzsteuerprüfungen im herkömmlichen Sinne, vielmehr soll durch den schnellen Erscheinungszeitpunkt innerhalb von wenigen Wochen auch ein sehr langes Karussell bis hin zum MT aufgedeckt werden können. Die MT selbst sind dann nicht mehr durch die Umsatzsteuerprüfer zu prüfen, sondern den Steuerfahndungsstellen zu übergeben. Durch die Blitz-Kettenprüfung werden die Hintermänner in einem solchen Umsatzsteuerkarussell gezwungen, in immer kürzeren Abständen einen neuen MT in die Umsatzsteuerkarusselle einzuführen. Dies erfordert nicht nur eine reibungslos funktionierende Logistik, sondern ist auch mit nicht ganz unerheblichen finanziellen Aufwendungen verbunden. Sollte sich darüber hinaus in den einschlägigen Kreisen herumsprechen, dass die Neugründung einer Firma und die Nichtversteuerung von Umsätzen in der Regel mit der „Enttarnung“ endet, dürfte dieses Entdeckungsrisiko weitere potenzielle Gründer von MT Firmen davon abhalten, die Gründung tatsächlich zu vollziehen.[39]

3.1.6 Erforderliche Maßnahmen für die Zukunft

Die bisher geschaffenen gesetzlichen Möglichkeiten reichen nicht aus, um eine effiziente und schnellstmögliche Überprüfung der Karussellgeschäfte vornehmen zu können. Da eine Änderung des bisherigen Umsatzsteuersystems[40] auf europäischer Ebene in absehbarer Zeit nicht in Sicht ist, müssen die Bekämpfungsmöglichkeiten verbessert werden, um der Umsatzsteuererosion Einhalt zu gebieten. Einige der in Zukunft erforderlichen Maßnahmen werden in Tz. 9 dargestellt.

3.1.7 Organisierte Kriminalität

Im Jahr 2001 wurden Umsatzsteuerkarusselle neben Zigarettenschmuggel, vor dem Hintergrund das diese Kriminalitätsformen immense Steuerausfälle verursachen und auf Grund möglicher Wettbewerbsverzerrungen geeignet sind, die legale Wirtschaft zu beeinträchtigen, erstmals in den Lagebericht zur organisierten Kriminalität des Bundeskriminalamtes[41] aufgenommen.

Dem vorgenannten Lagebericht zufolge zeichnet sich dieser Kriminalitätsbereich durch:

- professionell agierende OK-Strukturen,
- Erzielung hoher Gewinne,
- Verursachung enormer volkswirtschaftlicher Schäden,
- Gefahr der Wettbewerbsverzerrung und
- begrenzte Entdeckungs- und Strafverfolgungsrisiken aus.

In den Lageberichten zur OK für die Kalenderjahre 2001 und 2002[42] wurden des weiteren folgende Feststellungen getroffen:

Steuer- und Zolldelikte stellten im Kalenderjahr 2001 mit insgesamt 75 Verfahren ein wesentliches Betätigungsfeld Organisierter Kriminalität in Deutschland dar. Davon entfielen sechs Verfahren auf den Umsatzsteuerbetrug.[43]

Bei den näher untersuchten Tätergruppierungen zeigte sich, meist durch die geschäftlichen Abläufe vorgegeben, ein ausgeprägtes arbeitsteiliges Vorgehen, wodurch in beinahe allen Zyklen der Warenkreisläufe bedeutende Gewinne erzielt werden konnten. Alle näher untersuchten Gruppierungen wiesen hierarchische Strukturen auf. Die Hälfte der näher untersuchten Gruppierungen arbeiteten bereits mehr als sechs Jahre zusammen. Berücksichtigt man die zur Einrichtung der Scheinfirmen und zur Organisation der Geschäftsabläufe erforderliche Zeitspanne, hatten einige OK-Gruppierungen schon relativ kurze Zeit nach in Kraft treten des europäischen Binnenmarktes am 01.01.1993 das den Umsatzsteuerkarussellen zu Grunde liegende Kontroll- bzw. Vollzugsdefizit erkannt und profitabel ausgenutzt.

Geografische Bezüge wurden vorrangig in die europäischen Nachbarstaaten, vor allem in die Niederlande und nach Belgien, aber auch nach Großbritannien, Italien, Österreich, Spanien und Frankreich festgestellt. Besondere Gestaltungsmöglichkeiten ergeben sich vor allem durch die unterschiedlichen Umsatzsteuersätze der EU-Mitgliedstaaten sowie durch Struktur und Vernetzungsgrad der jeweiligen Finanzbehörden.

Gegenüber dem Jahr 2001 war im Jahr 2002 bei Steuer- und Zolldelikten ein Verfahrensrückgang um 20 % zu verzeichnen, der nach Bewertung des Zollkriminalamtes mit der Neuorganisation des Zollfahndungsdienstes und der Konzentration auf besonders komplexe Großverfahren zurückzuführen sei. Umsatzsteuerkarusselle wurden im Jahr 2002 von Deutschen und Italienern beherrschen Gruppen dominiert.

3.2 Scheinrechnungen

3.2.1 Einführung

Eine nicht unerhebliche Anzahl von Steuerstraftaten werden mit Hilfe von Rechnungen begangen, die einem Unternehmer i.S.d. § 2 UStG von einem anderen Unternehmen ausgestellt werden, ohne dass die in der Rechnung ausgewiesene Lieferung oder sonstige Leitung i.S.d. § 3 UStG getätigt worden ist. Man spricht in diesen Fällen von sogenannten Schein- bzw. Gefälligkeitsrechnungen. Ungeachtet etwaiger ertragsteuerlicher Zwecksetzungen dient eine derartige Vorgehensweise häufig dazu, dem Rechnungsempfänger einen unberechtigten Vorsteuerabzug zu ermöglichen. Das Finanzamt soll durch die Rechnungen über den fehlenden Leistungsaustausch getäuscht werden und entgegen der Regelung des § 15 Abs. 1 UStG eine Erstattung bzw. Verrechnung der Vorsteuer mit der Umsatzsteuerschuld vornehmen. In strafrechtlicher Hinsicht verwirklicht der Empfänger der Rechnung durch deren Verwendung nach herrschender Meinung den Tatbestand der Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO. Der Rechnungsaussteller macht sich je nach Lage des Einzelfalls entweder gem. §§ 370 Abs. 1 Nr. 1, 369 Abs. 2 AO i.V.m. § 27 StGB einer Beihilfe zur Steuerhinterziehung des Rechnungsempfängers oder einer mittäterschaftlichen Steuerhinterziehung gem. §§ 370 Abs. 1 Nr. 1, 369 Abs. 2 AO i.V.m. § 25 Abs. 2 StGB schuldig.

Etwas seltener, aber dennoch nicht von untergeordneter praktischer Relevanz, sind diejenigen Fälle, in denen ein Nichtunternehmer einem Unternehmer eine Rechnung ausstellt, in der die Umsatzsteuer gesondert ausgewiesen ist. Selbst wenn ein entsprechender Leistungsaustausch stattgefunden hat, ist der Nichtunternehmer nicht dazu berechtigt, die Umsatzsteuer gesondert auszuweisen, und dem Rechnungsempfänger ist es nicht gestattet, auf die Rechnung Vorsteuer zu ziehen. Wird die Rechnung von dem Unternehmer gleichwohl zum Vorsteuerabzug genutzt, so kann auch dieses strafrechtliche Konsequenzen beinhalten. Sofern der Rechnungsaussteller und der Rechnungsempfänger kollussiv[44] zusammenwirken, ist diese Fallgruppe strafrechtlich entsprechend der vorgenannten Konstellation zu beurteilen. Wird die Rechnung einem Unternehmer überreicht, der hinsichtlich der Nichtunternehmereigenschaft des Rechnungsausstellers gutgläubig ist, so macht sich der vorsätzlich handelnde Nichtunternehmer abhängig von seinen subjektiven Vorstellungen entweder einer Steuerhinterziehung in mittelbarer Täterschaft gem. §§ 370 Abs. 1 Nr. 1, 369 Abs. 2 AO i.V.m. § 25 Abs. 1 StGB und/ oder eines Betruges gem. § 263 StGB zu Lasten des Rechnungsempfängers schuldig.

Beiden Fallgruppen ist gemeinsam, dass dem Rechnungsaussteller neben strafrechtlichen Folgen ein weiteres Übel droht. Entgegen der allgemeinen Systematik des UStG, wonach eine Umsatzsteuer nur auf Lieferungen und sonstige Leistungen i.S.d. § 3 UStG eines Unternehmers erhoben wird, sieht § 14 Abs. 3 UStG vor, dass der Rechnungsaussteller dem Finanzamt den zu Unrecht ausgewiesenen Umsatzsteuerbetrag schuldet. Dieses gilt nach herrschender Meinung unabhängig davon, ob der Rechnungsempfänger tatsächlich die Vorsteuer auf die Rechnung gezogen hat.[45] Der § 14 Abs. 3 UStG wird insofern als abstrakter Gefährdungstatbestand angesehen, der das Gleichgewicht von Steuern und Vorsteuerabzug sichern soll. Er soll Missbräuchen im Umsatzsteuerrecht präventiv entgegenwirken.

3.2.2 Strafbarkeit der Nichtanmeldung des nach § 14 Abs. 3 UStG geschuldeten Betrages

Der Rechnungsaussteller ist nach § 14 Abs. 3 UStG somit gesetzlich verpflichtet, den geschuldeten Betrag in seiner Umsatzsteuererklärung anzugeben und an das zuständige Finanzamt abzuführen. Sofern es sich bei dem Rechnungsaussteller um einen Unternehmer i.S.d. § 2 UStG handelt, ergibt sich diese Verpflichtung im allgemeinen aus § 18 Abs. 1, 2 i.V.m. § 16 Abs. 1 Satz 4 UStG. Bei einem Nichtunternehmer findet diese Regelung gem. § 18 Abs. 4b i.V.m. § 18 Abs. 4a UStG entsprechende Anwendung. Insbesondere in den in Frage stehenden Fällen, in denen der unberechtigte Umsatzsteuerausweis zweckgerichtet der Umsatzsteuerhinterziehung bzw. der unberechtigten Vorsteuererstattung des Rechnungsempfängers dienen soll, unterbleibt jedoch in der Regel ein Ausweis des nach § 14 Abs. 3 UStG geschuldeten Betrages. Dieses würde dem wirtschaftlichen Zweck der rechtswidrigen Rechnungsbegebung gerade zuwiderlaufen. Die hierdurch angestrebte Bereicherung des Rechnungsempfängers und der damit korrespondierende Schaden des Fiskus würden bei einer Gesamtschau durch die Anmeldung und Abführung des nach § 14 Abs. 3 UStG geschuldeten Betrages wieder eskomptiert werden.

In Anbetracht der Tatsache, dass eine vorsätzliche Voranmeldung zu geringer Umsatzsteuer bzw. zu hoher Vorsteuer den Tatbestand der Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO erfüllt, könnte man im Einklang mit der Rechtsprechung erwägen, die Nichtanmeldung bzw. Nichtabführung des nach
§ 14 Abs. 3 UStG geschuldeten Betrages strafrechtlich entsprechend zu würdigen.

§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO setzt jedoch voraus, dass sich die Tat auf eine Steuer bezieht, d.h. eine Steuerhinterziehung wäre tatbestandlich nur dann zu bejahen, wenn der nach § 14 Abs. 3 UStG geschuldete Betrag als Steuer i.S.d. § 3 AO zu qualifizieren wäre. Hierzu bestehen unterschiedliche Auffassungen. Zum Teil wird die Auffassung vertreten, dass es sich bei der aus § 14 Abs. 3 UStG resultierenden Zahllast um eine reine Sanktion handelt. Die herrschende Meinung kennzeichnet den § 14 Abs. 3 UStG jedoch als Steuertatbestand. Für letztere Ansicht sprechen insbesondere formale Erwägungen. So könnte man auf den systematischen Standort dieser Regelung im Umsatzsteuergesetz verweisen. Zudem spricht das Gesetz in §§ 16 Abs. 1, 18 Abs. 4b UStG im Hinblick auf § 14 Abs. 3 UStG von „geschuldeten Steuerbeträgen“.[46] Die Nichtzahlung des nach § 14 Abs. 3 UStG geschuldeten Betrages erfüllt damit den Tatbestand des § 370 AO.[47]

3.3 Verlust der Umsatzsteuerfreiheit nach § 4 Nr. 1a UStG infolge „fehlerhafter“ Ausfuhrnachweise

3.3.1 Einführung

Im Vorfeld der EU-Osterweiterung hat in grenznahen Regionen der grenzüberschreitende Handel, z.B. nach Polen, Tschechien, Slowakei, stark zugenommen. Insbesondere Kleinunternehmer und Gastarbeiter erwerben Ware, die sie bei Heimreisen ins Ausland, Nicht-EU-Staat, verbringen. Bei späterer Gelegenheit lassen sie sich die gezahlte Umsatzsteuer erstatten.

Als Exportnachweise werden zum Teil Ausfuhrbelege, die „fehlerhaft“ sind, vorgelegt. Die Fehlerhaftigkeit erstreckt sich zunehmend auf Fälschungen, die für den Händler überhaupt nicht oder nur schwer erkennbar sind.

Die Palette der „Fälschungen“ reicht von der Verwendung gestohlener Dienstsiegel[48] über die von Falschstempelabdrucken, die mittels Computerausdrucken oder Kopierern erzeugt werden[49] und in der Regel nur kriminaltechnisch nachgewiesen werden können, bis zur Nutzung von Ausfuhrdokumenten, die von bestochenen Zollbeamten[50] abgestempelt wurden. Als Grenzzollstellen treten nicht nur deutsche, sondern auch vermehrt österreichische Zollämter in Erscheinung.

Im Rahmen von Außenprüfungen oder Umsatzsteuer-Sonderprüfungen werden in zunehmendem Maße „Fälschungen“ vorstehender Art aufgedeckt. Die Steuerverkürzungen sind beträchtlich. Anlässlich der jüngsten Maßnahmen der Bundesregierung zur Eindämmung des Umsatzsteuerbetrugs soll der Frage nachgegangen werden, wie sich betroffene Unternehmen vor den betrügerischen Machenschaften schützen können und welche Unterstützung die Finanzverwaltung ehrlichen Steuerzahlern gewähren kann.

3.3.2 Rechtliche Beurteilung

Die Steuerfreiheit für Ausfuhrlieferungen ist u.a. davon abhängig, dass ein ordnungsgemäßer Ausfuhrnachweis gem. § 6 Abs. 4 UStG erbracht wird. Der Ausfuhrnachweis ist eine materiellrechtliche Voraussetzung für die Steuerbefreiung.[51] Die Voraussetzungen müssen sich aus den Belegen eindeutig und leicht nachprüfbar ergeben.[52] Die Ausfuhrbestätigungen werden von den Grenzzollstellen erteilt. Die Grenzzollstelle prüft die Angaben auf Antrag in dem vom Antragsteller vorgelegten Beleg und bestätigt die Ausfuhr auf dem Beleg durch den Vermerk „Ausgeführt“ unter Angabe von Ort und Datum sowie mit Unterschrift und Dienstsiegel. Nur inhaltlich richtige Belegnachweise können als Voraussetzung für die Steuerfreiheit einer Ausfuhrlieferung anerkannt werden.[53] Dass der Abnehmer im Ausland ansässig ist, genügt allein nicht.[54] Ein fehlerhafter Nachweis erfüllt die Anforderung somit nicht. Das gilt selbst dann, wenn der Händler die Fälschungen nicht erkennen konnte.

3.3.3 Kontrollmöglichkeiten des Unternehmers

Die Fehlerhaftigkeit bzw. Fälschung der Ausfuhrbelege wird meist erst durch die Umsatzsteuersonderprüfer oder Betriebsprüfer festgestellt. Die ausländischen Abnehmer sind in der Regel nicht mehr greifbar. Das zivilrechtliche Ansprüche gegen die Käufer aus östlichen Regionen durchgesetzt werden können, erscheint eher gering. Es stellt sich die Frage, wie sich der Unternehmer vor Betrug, insbesondere mittels entwendeter Dienstsiegel oder bestochener Zollbeamter, schützen kann. Meines Erachtens besitzt er in diesen Fällen keine realistische Chance.

Wenn selbst die Finanzämter die Unterstützung z.B. des Zollkriminalamtes in Köln in Anspruch nehmen müssen und echte Stempel Verwendung gefunden haben, besteht für den Unternehmer keine Kontrollmöglichkeit. Aus diesem Grunde wurde für „Exporte im Binnenmarkt“, innergemeinschaftliche Lieferungen, eine Vertrauensschutzregelung geschaffen. Die Härten der Risikoverteilung werden bei innergemeinschaftlichen Lieferungen durch § 6a Abs. 4 UStG gemildert, indem dem Liefernden trotz unrichtiger Angaben des Abnehmers die Steuerbefreiung zuerkannt wird, sofern er die Unrichtigkeit dieser Angaben auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte. Eine analoge Regelung gibt es jedoch bei § 6 UStG, wohl aus Gründen mangelnder Kontrollmöglichkeiten[55], nicht.

Zur Vermeidung einer Steuernachforderung durch das Finanzamt in Betrugsfällen dürfte der Unternehmer die Umsatzsteuer-Erstattung erst nach Durchführung einer Prüfung durch das Finanzamt vornehmen. Diese Vorgehensweise ist jedoch kaum praktikabel. Mit den zunehmenden Verkäufen an Ausländer aus östlichen Drittstaaten wächst das Ausfallrisiko. Es wird erst gemildert, wenn Staaten in den Kreis des Binnenmarktes aufgenommen werden. Bis dahin trifft den Unternehmer das volle Ausfallrisiko. Tatsache ist, dass die Waren entweder überhaupt nicht ausgeführt werden, also im Inland verbleiben und Ausfuhren nur vorgetäuscht werden oder die Ausfuhr wird illegal realisiert und nicht der jeweiligen Einfuhrumsatzsteuer unterworfen. Zur zeitnahen Sicherung des Steueraufkommens und Verhinderung von Betrugsfällen sollte die Finanzverwaltung den Unternehmern verstärkt Kontrollhilfen an die Hand geben. Zuerst müssten die Regelungen über Dienstsiegel innerhalb der EU vereinheitlicht und die jeweiligen Bestätigungsverfahren harmonisiert werden. Die derzeit unterschiedlichen Formen und Farben der Dienstsiegel sind nur mit Hilfe kriminaltechnischer Methoden einwandfrei zu überprüfen. Angesichts der technischen Möglichkeiten, die heute bestehen, reicht es nicht aus, z. B. eine neue Stempelfarbe „Zollblau“ einzuführen. Händler, die nur gelegentlich Waren an Drittstaatler veräußern, haben große Schwierigkeiten, die Ausfuhrnachweise auf ihre Richtigkeit zu überprüfen.

3.3.4 Maßnahmen in der Zukunft

Im Rahmen der Steuerverkürzungsbekämpfungsmaßnahmen sollte auch für Exporte in Drittstaaten ein fälschungssicheres Nachweisverfahren entwickelt werden. Steuerverkürzungen werden nicht nur im großen Stile mittels Karussellgeschäften vorgenommen, auch die Umsatzsteuerverkürzung in der hier dargelegten Form nimmt stetig zu und hat durch die Vielzahl kleinerer Lieferungen ein beträchtliches Ausmaß angenommen. Solang auf der EU-Ebene am Bestimmungslandprinzip festgehalten wird, ist ein beachtliches Ausfallrisiko existent. Die künftige Osterweiterung dürfte das Risiko nicht vermindern.[56]

3.4 Scheinselbständigkeit

Eine selbständig tätige Person kann Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit i.S. d. § 18 EStG oder aber Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.S. d. § 15 EStG erzielen. Selbständig tätig ist, wer den Weisungen eines Dritten nicht zu folgen verpflichtet ist und wer auf eigene Rechnung und Gefahr arbeitet.[57] Selbständig tätig ist nicht, wer seine Arbeitskraft schuldet, d.h. in der Betätigung seines geschäftlichen Willens unter der Leitung des Arbeitgebers steht oder im geschäftlichen Organismus des Arbeitgebers dessen Weisungen zu folgen verpflichtet ist.[58] Dies ist in aller Regel aufgrund einer Gesamtbildbetrachtung zu beurteilen, eine Bindung an das Arbeits- oder Sozialrecht besteht nicht. Die Vermutungsregelung des § 7 Abs. 4 SGB IV für das Vorliegen eines scheinselbständigen Arbeitsverhältnisses hat ausschließlich Bedeutung im Rahmen des Sozialversicherungsrechtes.[59]

Gibt der Scheinselbständige die erzielten Einkünfte aus selbständiger oder gewerblicher Tätigkeit in seiner jährlichen Einkommensteuererklärung an, so liegt bezogen auf den Scheinselbständigen eine Steuerverkürzung auf Zeit vor.

Die steuer- bzw. strafrechtliche Problematik der Scheinselbständigkeit liegt primär im Rahmen der Umsatzsteuer. Die Tätigkeit des Mitarbeiters wird aus umsatzsteuerrechtlicher Sicht als nichtunternehmerisch eingestuft, so dass, bei erfolgtem Ausweis der Umsatzsteuer, grundsätzlich § 14 Abs. 3 UStG eingreift. Die vom Auftraggeber aufgrund der Rechnung des Scheinselbständigen geltend gemachte Vorsteuer in seiner Umsatzsteuervoranmeldung bzw. -jahreserklärung wird daher zu Unrecht geltend gemacht. Der Auftraggeber, der aus der Rechnung eines Scheinselbständigen Umsatzsteuer zieht, begeht damit eine Umsatzsteuerhinterziehung. Der Rechnungsaussteller ist wie bereits erläutert gesetzlich verpflichtet, den nach § 14 Abs. 3 UStG geschuldeten Betrag in seiner Umsatzsteuer anzugeben und abzuführen.[60] Die Nichtanmeldung würde den Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllen.

3.5 Schwarzarbeit

3.5.1 Einführung

Schwarzarbeit hat in Deutschland ein alarmierendes Niveau erreicht. Nach Schätzung des Instituts der deutschen Wirtschaft werden rund 15 % des Bruttoinlandproduktes durch Schwarzarbeit erwirtschaftet. Das sind etwa 280 Mrd. € pro Jahr. Damit gehen Fiskus und Sozialkassen dreistellige Milliardenbeträge verloren.[61] Auf Grund des gewaltigen Ausfallpotentials von Steuern, insbesondere auch Umsatzsteuer, wie das in der Anlage 6 beigefügte Beispiel zeigt, möchte ich nachfolgend auf das Problem der Schwarzarbeit eingehen.

Aus steuerrechtlicher Sicht wird von Schwarzarbeit gesprochen, wenn eine erwerbswirtschaftliche Betätigung unter Verstoß gegen steuerrechtliche Pflichten vorliegt. Nachbarschafts- oder Selbsthilfe sowie reine Gefälligkeiten ohne Entgelt sind keine Schwarzarbeit. Wird die Tätigkeit selbständig ausgeübt, erzielt der Unternehmer Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.S.d. § 15 EStG, bei nichtselbständiger Ausübung liegen Einkünfte i.S.d. § 19 EStG vor. Ob eine selbständige oder nichtselbständige Schwarzarbeit vorliegt, entscheidet sich nach den Umständen des Einzelfalls.[62] Wird die Schwarzarbeit steuerrechtlich in Form der selbständigen Tätigkeit aufgrund eines Dienst- oder Werkvertrages erbracht, ist der Selbständige u. a. verpflichtet eine Umsatzerklärung abzugeben. Tut er dies nicht bzw. gibt eine unrichtige Umsatzsteuererklärung ab, so kommt es zur Steuerhinterziehung durch Unterlassen[63] bzw. Handel[64]. Im Verhältnis zu der Abgabe einer monatlichen falschen Umsatzsteuervoranmeldung kommt der Abgabe einer unrichtigen Umsatzsteuerjahreserklärung ein selbständiger Unrechtsgehalt zu; es handelt sich nicht um eine mitbestrafte Nachtat. Mehrere durch unzutreffende Voranmeldungen bewirkte Verkürzungen werden durch die unterlassene Jahreserklärung zu einer endgültigen Verkürzung.

[...]


[1] Borchert, Hans/ Fragasso Claudio und Marco: Aktenzeichen Irrsinn, Leidstätte Finanzamt: Den
Beamten geht es wie den Steuerzahlern – sie blicken nicht mehr durch, in: Focus 42/2003 S. 163
- 168

[2] http://www.heute.t-online.de/ZDFheute/artikel/21/0,1367,WIRT-0-2064405,00.html

[22.07.2003]

[3] vgl. Anlage 1

[4] Steuermilderungsgesetz vom 31. März 1926

[5] ohne Einfuhrumsatzsteuer

[6] vgl. Anlage 2

[7] http://www.mathematik.uni-ulm.de/germnews/2003/04/261800.html [22.07.2003]

[8] OFD Chemnitz, Verfügung vom 19.11.2002, S 7420 – 253/1 – St 23 A. Nr. 1

[9] St. Rspr. des BGH, s. BGHSt 40, 109; Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370 Rn. 9.6; Kummer, in:
Wabnitz/Janovsky, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, Kap.10/Rn. 12ff. (S. 701 ff.); a.A. Joecks,
in: Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, § 370 AO Rn. 17.

[10] vgl. Anlage 4, „Auszug aus dem Strafgesetzbuch“

[11] § 18 Abs. 3 Satz 3 UStG

[12] Anwendungserlass zur AO zu § 88 Nr. Satz 3; BFH-Urteil vom 17.04.1969, BStBl 1969 II, 474

[13] § 149 Abs. 1 Satz 1 AO

[14] z.B. §§ 41a EStG, 56 und 60 EStDV, 18 UStG, 49 KStG, 25 GewStDV, 30 und 31 ErbStG

[15] § 56 EStDV und § 18 UStG

[16] unrichtige Angaben gegenüber dem Bauamt und dadurch Grundsteuerverkürzung

[17] §§ 235, 238 AO

[18] §§ 40, 54 StGB

[19] §§ 56 ff. StGB

[20] § 30 OWiG; vgl. Anlage 3, „Auszug aus dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten“

[21] Vor dem 01.01.1993 gab es bereits Inlandskarusselle. Der Erfolg eines Karussellgeschäfts hängt

jedoch entscheidend davon ab, dass ein später für den Fiskus nicht greifbarer Missing Trader zu-

mindest einige Zeit agieren kann. Daher werden die Karusselle, primär unter Ausnutzung der

Schwächen der Kontrollen im Binnenmarkt, grenzüberschreitend installiert.

[22] http://www.heute.t-online.de/ZDFheute/artikel/21/0,1367,WIRT-0-2064405,00.html

[22.07.2003]

[23] Reihengeschäfte gemäß § 3 Abs. 6 Satz 5 UStG

[24] Entrichtung der Umsatzsteuer aus der Lieferung an BC.

[25] § 6a UStG i.V.m. § 4 Nr. 1b UStG

[26] Tz. 3.1.3 B)

[27] 100 €* 0,138 = 13,80 €; 100 € ./. 13,80 € = 86,80 €

[28] steuerfrei gemäß § 4b Nr. 4 UStG; nach R 127a Abs. 3 Satz 2 UStR ist es jedoch nicht zu

beanstanden, wenn der innergemeinschaftliche Erwerb steuerpflichtig behandelt wird

[29] § 6 UStG i.V.m. § 4 Nr. 1a UStG, vgl. Tz. 3.3

[30] BStBl. I 1993, 726

[31] § 18a UStG

[32] OFD Chemnitz, Verfügung vom 05.07.2001, S 7427c – 7/7 – St 23

[33] automatisch von den EU-Ländern übermittelte Daten der Stufe I

[34] auf Anforderung übermittelte Daten der Stufe II

[35] § 18a Absatz 1 Satz 1 UStG

[36] Sämtliche Begründungen zu den Gesetzesänderungen sind entnommen aus dem Bericht des

Finanzausschusses zu dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung – Drucks. 14/6883, 14/7085,

in BT-Drucks. 14/7471 vom 23.11.2001.

[37] vgl. Anlage 8

[38] sogenanntes Münchner Modell

[39] Klawikowski, Petra/ Leitmeier, Silvia/ Zühlke, Roland : Umsatzsteuerkarussellgeschäfte

Nationale Ohnmacht – internationaler Umsatzsteuerbetrug?, in: Die steuerliche Betriebsprüfung,

42. Jahrgang (2002), Heft 5, S. 121 - 134

[40] vgl. Tz. 6

[41] http://www.bka.de/lageberichte/ok/2001/kf-bulabi.pdf [15.10.2003]

[42] http://www.bka.de/lageberichte/ok/2002/kf/lagebild_ok_2002_kurzlage.pdf [15.10.2003]

[43] vgl. Anlage 5

[44] gemeinschaftlich

[45] R 190 Abs. 6 UStR; nach neuester Rechtssprechung ist die Berichtigung einer Rechnung nach

§ 14 Abs. 3 UStG möglich, wenn aus dieser keine Vorsteuer gezogen wurde.

[46] vgl. auch R 190 Abs. 3 S. 4 UStR

[47] Klawitter, Dr. Tim: Bedeutung des § 14 Abs. 3 UStG im Steuerstrafverfahren, in: UR 3/1997,

S. 83 - 87

[48] Dietlein/Mehrbrey, Grenzen der Umsatzbesteuerung bei Manipulationsfällen im Rahmen des

sog. „Exports über den Ladentisch“, BB 2001, 446 ff. m.w.N.

[49] BMF IV C 4 – 7134 – 10/98, 204; OFD Verfügung vom 13.04.2000, S 7420 – 162/1 – St 34

[50] Urteil des FG München 3 K – 820/96 vom 23.02.2000

[51] BFH-Urteil vom 28.02.1980, BStBl 1980 II, 415

[52] § 8 Abs. 1 UStDV

[53] BFH-Urteil vom 23.05.1995, BFH/NV 1995, 1164

[54] BFH-Urteil vom 14.12.1994, BStBl 1995 II, 515

[55] Kontrolle bei § 6a UStG über USt-IDNr. i.V.m. §§ 18a,b,e UStG und USLO

[56] Valentin, Dr. Achim: Verlust der Umsatzsteuerfreiheit nach § 4 Nr. 1a UStG infolge „fehler-

hafter“ Ausfuhrnachweise, UVR, 88. Jahrgang (2002), S. 73

[57] BFH, BStBl II 1990, 664; FG Hessen, EFG 1990, 310

[58] vgl. § 1 Abs. 2 LStDV

[59] vgl. Schiefer, DB 1999, 48 (51)

[60] § 16 Abs. 1 Satz 4 UStG i.V.m. § 18 UStG

[61] http://www.atlas-detektive.de/schwarzarbeit.htm [03.01.2004]

[62] Vgl. BFH, BStBl II 75, 513; FG Düsseldorf, EFG 1997, 1117; Herrmann/Heuer/Raupach, § 19

EStG Rn. 40; BGH, wistra 1990, 100.

[63] § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO

[64] § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Erscheinungsjahr
2004
ISBN (eBook)
9783832482893
ISBN (Paperback)
9783838682891
DOI
10.3239/9783832482893
Dateigröße
724 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Fachhochschule der Sächsischen Verwaltung Meißen – Steuer- und Staatsfinanzverwaltung
Erscheinungsdatum
2004 (September)
Note
1,0
Schlagworte
steuer steuerhinterziehung bekämpfung schwarzarbeit vorstufenbefreiung
Produktsicherheit
Diplom.de
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Titel: Umsatzsteuerhinterziehung
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