Lade Inhalt...

Rajneeshpuram

Ein Erklärungsversuch des Niedergangs der Sannyasin-Kommune im US-Bundesstaat Oregon Mitte der 80er Jahre unter besonderer Berücksichtigung der Theorie der sozialen Identität

©2004 Diplomarbeit 73 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Im Juli 1981 wurde auf einem großen und kargen Wüstengelände (der ehemaligen „Big Muddy Ranch“) im US-Bundesstaat Oregon eine Stadt mit dem Namen „Rajneeshpuram“ gegründet. Aufgebaut wurde sie von den Anhängern des umstrittenen indischen Gurus Bhagwan Shree Rajneesh. Ma Anand Sheela, die Sekretärin Bhagwans und mächtigste Frau des Ashrams, organisierte den Kauf des großen Wüstengeländes. Die Kommune bot alles was zum Leben benötigt wurde. So verfügte sie z.B. über einen eigenen Flugplatz, ein öffentliches Nahverkehrsystem mit 90 Großraumbussen und einen künstlich angelegten Stausee.
Bhagwan Shree Rajneesh fand nach seinen eigenen Angaben im Alter von 21 Jahren am 21.03.1953 zur Erleuchtung. Eine Erleuchtung versteht er als Zustand der absoluten Wachheit, mit einer umfassenden Wahrnehmung zur Verschmelzung mit der Natur bzw. mit dem Kosmos. Hunderttausende amerikanische und europäische Menschen zog Bhagwan in seinen Bann und etliche Tausende in seinen Ashram. Ihr gesamtes Vermögen, welches sie im bürgerlichen Leben erworben bzw. geerbt hatten, brachten sie in das Weltzentrum der Sannyas-Bewegung (als Sannyas bezeichnen sich die Anhänger Bhagwans) nach Oregon. Mit Rajneeshpuram entstand eine Kommune, die das Lebenswerk des Bhagwan Shree Rajneesh darstellte. In der Kommune lebten 5.000 Sannyasins, die von der Außenwelt nicht gestört werden sollten.
Zu Beginn der Errichtung des Lebenswerkes von Bhagwan Shree Rajneesh gab es große Anerkennung von der Außenwelt für die in der Kommune lebenden Sannyasins. So hatte die Kommune beispielsweise einen ganzen Wirtschaftszweig nach Oregon gebracht. Ferner hatte sie es geschafft, das karge Wüstenland in fruchtbares Ackerland umzuwandeln. Ein Jahr nach der Gründung wurden der Stadt die Stadtrechte verliehen; doch bereits zu diesem Zeitpunkt wendete sich die öffentliche Meinung gegen die Kommune. Die Außenwelt brachte nun der Sannyas-Kommune keine Anerkennung mehr entgegen, weil die Kommune sehr mächtig wurde und dies auch zeigte und ausnutze. Auf verschiedenen staatlichen Ebenen wurde daher versucht, die Sannyas-Kommune aus Oregon zu verdrängen. Die Kommune versuchte jedoch ihre Existenz durch verschiedene Maßnahmen, wie z.B. durch die Gründung einer Religion mit dem Namen „Rajneeshismus“, zu sichern. Dies gelang allerdings nicht; vier Jahre nach der Gründung, im November 1985, zerfiel das Projekt. Bhagwan Shree Rajneesh wurde des Land verwiesen, weil er gegen das Einwanderungsgesetz […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Herausarbeitung der Problemstellung
1.2 Forschungsstand und Forschungsdefizit
1.3 Ziel der Untersuchung
1.4 Gang der Untersuchung

2. Erklärungsbegriff der strukturalistischen Wissenschaftstheorie

3. Ideologischer Hintergrund der Neo-Sannyas-Bewegung
3.1 Biographie von Bhagwan Shree Rajneesh
3.2 Lehre von Bhagwan Shree Rajneesh

4. Social Identity Theory (SIT)
4.1 Gruppen und Intergruppenverhalten
4.2 Entwicklungen der SIT
4.2.1 Der realistische Gruppenkonflikt
4.2.2 Minimal-Group-Paradigma und Social Identity Theory
4.3 Definition und Erläuterung der Inhalte der SIT
4.3.1 Zentrale Annahmen
4.3.1.1 Wahrnehmungsökonomie
4.3.1.2 Bedürfnis nach einem Platz im sozialen System
4.3.1.3 Bedürfnis nach Prüfung von Meinungen und Fähigkeiten
4.3.1.4 Streben nach positivem Selbstwert
4.3.2 Kernelemente
4.3.2.1 Soziale Kategorisierung
4.3.2.2 Soziale Identität
4.3.2.3 Sozialer Vergleich
4.3.2.4 Positive Distinktheit
4.3.3 Randbedingungen
4.3.3.1 Emotionale Spannungen, Angst, Wut
4.3.3.2 Sicherheit, Legitimität und Macht
4.3.3.3 Ähnlichkeit bzw. Fremdheit
4.3.3.4 Salienz der Gruppenkategorien

5. Überprüfung der Passung zwischen der Situation in Rajneeshpuram und der Theorie der sozialen Identität
5.1 Überprüfungen der Voraussetzungen für das Vorliegen einer Gruppe
5.2 Überprüfungen der Annahmen
5.2.1 Wahrnehmungsökonomie
5.2.2 Bedürfnis nach einem Platz im sozialen System
5.2.3 Bedürfnis nach Prüfung von Meinungen und Fähigkeiten
5.2.4 Streben nach positivem Selbstwert
5.3 Kernelemente
5.3.1 Soziale Kategorisierung
5.3.2 Soziale Identität
5.3.3 Sozialer Vergleich und positive Distinktheit
5.4 Überprüfungen der Randbedingungen
5.4.1 Emotionale Spannungen, Angst, Wut
5.4.2 Sicherheit, Legitimität, Macht
5.4.3 Ähnlichkeiten bzw. Fremdheit
5.4.4 Salienz der Gruppenkategorien

6. Ergebnis der Untersuchung

Literaturverzeichnis

Anhang

Erklärung

Lebenslauf

1. Einleitung

1.1 Herausarbeitung der Problemstellung

Im Juli 1981 wurde auf einem großen und kargen Wüstengelände (der ehemaligen „Big Muddy Ranch[1] “) im US-Bundesstaat Oregon eine Stadt mit dem Namen „Rajneeshpuram“[2] gegründet. Aufgebaut wurde sie von den Anhängern des umstrittenen indischen Gurus Bhagwan Shree Rajneesh.[3] Ma Anand Sheela, die Sekretärin Bhagwans und mächtigste Frau des Ashrams[4], organisierte den Kauf des großen Wüstengeländes.[5] Die Kommune bot alles was zum Leben benötigt wurde. So verfügte sie z.B. über einen eigenen Flugplatz, ein öffentliches Nahverkehrsystem mit 90 Großraumbussen und einen künstlich angelegten Stausee.[6]

Bhagwan Shree Rajneesh fand nach seinen eigenen Angaben im Alter von 21 Jahren am 21.03.1953 zur Erleuchtung. Eine Erleuchtung versteht er als Zustand der absoluten Wachheit, mit einer umfassenden Wahrnehmung zur Verschmelzung mit der Natur bzw. mit dem Kosmos.[7] Hunderttausende amerikanische und europäische Menschen zog Bhagwan in seinen Bann und etliche Tausende in seinen Ashram. Ihr gesamtes Vermögen, welches sie im bürgerlichen Leben erworben bzw. geerbt hatten, brachten sie in das Weltzentrum der Sannyas-Bewegung (als Sannyas bezeichnen sich die Anhänger Bhagwans) nach Oregon.[8] Mit Rajneeshpuram entstand eine Kommune, die das Lebenswerk des Bhagwan Shree Rajneesh darstellte. In der Kommune lebten 5.000 Sannyasins, die von der Außenwelt nicht gestört werden sollten.[9]

Zu Beginn der Errichtung des Lebenswerkes von Bhagwan Shree Rajneesh gab es große Anerkennung von der Außenwelt für die in der Kommune lebenden Sannyasins. So hatte die Kommune beispielsweise einen ganzen Wirtschaftszweig nach Oregon gebracht. Ferner hatte sie es geschafft, das karge Wüstenland in fruchtbares Ackerland umzuwandeln.[10] Ein Jahr nach der Gründung wurden der Stadt die Stadtrechte verliehen; doch bereits zu diesem Zeitpunkt wendete sich die öffentliche Meinung gegen die Kommune. Die Außenwelt brachte nun der Sannyas-Kommune keine Anerkennung mehr entgegen, weil die Kommune sehr mächtig wurde und dies auch zeigte und ausnutze. Auf verschiedenen staatlichen Ebenen wurde daher versucht, die Sannyas-Kommune aus Oregon zu verdrängen.[11] Die Kommune versuchte jedoch ihre Existenz durch verschiedene Maßnahmen, wie z.B. durch die Gründung einer Religion mit dem Namen „Rajneeshismus“, zu sichern.[12] Dies gelang allerdings nicht; vier Jahre nach der Gründung, im November 1985, zerfiel das Projekt.[13] Bhagwan Shree Rajneesh wurde des Land verwiesen, weil er gegen das Einwanderungsgesetz verstoßen hatte. Sheela floh aus dem Ashram, die Ranch wurde zu einem niedrigen Preis verkauft und die Anhänger Bhagwans verstreuten sich in alle Richtungen. Das Projekt Rajneeshpuram war gescheitert.

1.2 Forschungsstand und Forschungsdefizit

Zu den Ereignissen in Rajneeshpuram ist nur wenig wissenschaftliche Literatur vorhanden.[14] Vielmehr beruht die vorhandene Literatur auf niedergeschriebenen Erlebnissen der Sannyasins, auf Reportagen, Interviews und Zeitungsberichten.[15]

Aus dem betrachteten Stand der Forschung ist ersichtlich, dass zwar Beiträge von den Geschehnissen in Rajneeshpuram vorliegen, aber aktuell keine wissenschaftliche Arbeit existiert, die sich mit der Theorie der sozialen Identität (Social Identity Theory (SIT)) in Bezug auf den empirischen Bereich Rajneeshpuram beschäftigt. Aus der Perspektive heraus, dass die Theorie der sozialen Identität bis zum heutigem Zeitpunkt nicht in den Zusammenhang mit der Neo-Sannyas-Bewegung gebracht wurde, begründet die Wahl der SIT. Dennoch sind andere Thematisierungen zu diesem Bereich vorhanden.

Haack bspw. gibt in seiner Arbeit einige Informationen und Denkanstösse zur Neo-Sannyas-Bewegung.[16] Des Weiteren versucht die Studie von Karow ein Verständnis für die fremde Religion der Neo-Sannyas-Bewegung zu vermitteln. Im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehen das religiöse Interesse sowie die spezifische Heilserwartung von Mitgliedern, die nur schwer von Außenstehenden zu verstehen sind.[17]

Die Arbeit von Hydén untersucht das Schüler-Meister Verhältnis und versucht dabei Gründe anzuführen, warum ein Mensch zum Anhänger Bhagwans wird. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass der Grund für eine Anhängerschaft nicht das Zusammenleben in der Bhagwan-Bewegung ist, sondern vorrangig auf dem Verhältnis der Sannyasins zum Meister beruht.[18] Die Arbeit von Driel und Belzen beinhaltet einen Vergleich von Berichten der öffentlichen Medien aus den USA, Westdeutschland und den Niederlanden über die Sannyas-Kommune Rajneeshpuram. Hier werden Unterschiede und Gemeinsamkeiten aufgezeigt und diskutiert.[19] Ferner gibt Süss in seiner Arbeit Antworten auf die Fragen, wie die Neo-Sannyas-Bewegung entstanden ist, wie sie sich entwickelt hat und wie sie einzuschätzen ist.[20]

1.3 Ziel der Untersuchung

Aufgrund des oben dargestellten Forschungsdefizits hat sich die nachfolgende Untersuchung zur Aufgabe gesetzt, im Unterschied zur Literatur, einen Erklärungsversuch für die Auflösung bzw. den Untergang der Kommune Rajneeshpuram im US-Bundesstaat Oregon unter Rückgriff auf die Theorie der Sozialen Identität zu erarbeiten. Die Basis dieses Erklärungsversuches bildet dabei die Theorie der sozialen Identität von Tajfel und Turner (1979)[21] bzw. Tajfel (1982)[22] und ihren Elemente in Subsumtion mit den Geschehnissen in Rajneeshpuram. Diese Theorie wird deshalb herangezogen, weil sie einen Ansatz zur Erklärung von Intergruppenkonflikten darstellt. Dieser Ansatz gilt in der Sozialpsychologie als sehr einflussreich und hat in der Vergangenheit zahlreiche Untersuchungen angeregt.[23]

1.4 Gang der Untersuchung

Im zweiten Abschnitt wird der Begriff der strukturalistischen Wissenschaftstheorie erläutert. Dazu werden Theoriebestandteile und Voraussetzungen für das Vorliegen einer Theorie definiert und näher beschrieben. Am Ende der Untersuchung soll anhand dieser Voraussetzungen geprüft werden, ob sich der Niedergang von Rajneeshpuram durch die Theorie der sozialen Identität erklären lässt.

Anschließend erfolgt in Abschnitt 3 ein kurzer Abriss über den Hintergrund der Neo- Sannyas-Bewegung. Basis hierfür ist die Biographie und Lehre des indischen Gurus Bhagwan Shree Rajneesh.

In Abschnitt 4 erfolgt die Darstellung der SIT. Dieser Abschnitt beschäftigt sich unter anderem mit den Fragen „Was ist eine Gruppe? Was ist Intergruppenverhalten?“ und mit der geschichtlichen Entwicklung der SIT, wobei hier nur die wichtigsten Vorreiter genannt werden.

Anschließend werden die Annahmen der SIT, relevante situative Randbedingungen der SIT sowie die inhaltlichen Kernelemente dieser Theorie - soziale Kategorisierung, soziale Identität, sozialer Vergleich und positive Distinktheit - definiert und erläutert. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass die Annahmen und die Randbedingungen die Wirksamkeit der Kernprozesse begünstigen.[24]

Im Anschluss an diese Darstellung wird in Abschnitt 5 anhand der Annahmen, Randbedingungen und Kernelemente, in Transfer zu den Geschehnissen überprüft, inwieweit der Untergang des Rajneeshpuram unter dem Rückgriff auf die Elemente der SIT erklärt werden kann. Abschnitt 6 enthält das Ergebnis der Untersuchung.

2. Erklärungsbegriff der strukturalistischen Wissenschaftstheorie

Die Wissenschaftstheorie bewegt sich auf zwei Ebenen. Die erste Ebene erstreckt sich auf der strukturellen Analyseebene, die zweite spiegelt sich in der sozialen Analyseebene wieder. Soll der Begriff der Wissenschaftstheorie definiert bzw. erläutert werden, so ist die strukturelle Ebene heranzuziehen. Die strukturelle Ebene stellt die Strukturen von Theorien und Modellen dar. Modelle und Theorien stehen miteinander in Beziehung oder stellen mit den zugehörigen Daten in einer Beziehung den Zusammenhang oder die Übereinstimmung dar. Theorien, intertheoretische Relationen, Modelle usw. sind Objekte der Wissenschaft. Sie sind beständig und deshalb gut für Forschungsobjekte geeignet.[25]

Allgemein beschreiben Theorien Zustände, die das vorhandene Wissen in sprachlicher Weise abbilden. In Form von Hypothesen, Axiomen oder Sätzen sind sie aufgrund ihrer guten Identifizierbarkeit leicht in Gruppen zu klassifizieren, denn weisen Theorien einen Zusammenhang auf, so können Modelle definiert bzw. konstruiert werden. Zwischen den Theorien und den Modellen existieren Querverbindungen, die bspw. in Form von intertheoretischen Relationen, wie Reduktion oder approximativer Reduktion vorkommen. Die Querverbindungen sorgen dafür, dass Begriffe und Daten von einer Theorie in eine andere transformiert werden können.[26]

Empirische Theorien bestehen aus einer Klasse von Modellen, einer Menge von intendierten Systemen, einer Menge von Datenstrukturen und einem Approximationsapparat. Modelle sind durch Axiome, Hypothesen, Gesetze und Annahmen einer Theorie gekennzeichnet. Umgekehrt können aber auch die eben genannten Elemente eine Modellklasse festlegen. Intendierte Systeme repräsentieren die realen Systeme, die in einer Theorie untersucht werden. Sie liefern einerseits Daten, die zusammen eine Datenstruktur ergeben, andererseits werden für sie Modelle konstruiert, die die Struktur der Systeme sowie deren Abläufe darstellen.[27]

Um das Verhältnis der Daten zu den Gesetzen beschreiben zu können, ist es notwendig einen Approximationsbegriff einzuführen. Dieser Begriff legt den erforderlichen Grad an Ähnlichkeit zwischen Modellen und Daten fest, um so zur Akzeptanz der Theorie zu führen. Damit aus Modellen, intendierten Systemen, Datenstrukturen und einem Approximationsapparat Theorien entstehen, müssen zwei Bedingungen erfüllt sein:

1) Modelle und Daten müssen zueinander passen (Passungsbedingung),
2) es müssen „mögliche“ Daten vorhanden sein, die nicht zu den Modellen passen (Widerlegbarkeitsbedingung).[28]

Eine wissenschaftliche Erklärung besteht nun darin, dass ein zu erklärendes Phänomen X in ein umfassendes System eingebettet wird, welches durch ein Modell einer empirischen Theorie gegeben ist. Das Erklärende muss durch Sätze beschrieben werden, so dass deren Zusammenfassung als Datenstruktur zu verstehen ist. Existiert bereits eine Theorie, so kann für X eine Erklärung abgegeben werden, wenn diese zwei Eigenschaften erfüllt:

1) X muss als intendiertes System gelten, und
2) ein Modell der Theorie muss zu den Daten passen, die X beinhalten.[29]

In der vorliegenden Arbeit ist X der Niedergang von Rajneeshpuram. Die Theorie, die als Erklärung herangezogen wird, ist die Social Identity Theory.

3. Ideologischer Hintergrund der Neo-Sannyas-Bewegung

Im folgenden Abschnitt wird ein kurzer Überblick über den ideologischen Hintergrund der Neo-Sannyas-Bewegung[30] gegeben. Dieser ist notwendig, um die Überprüfung in Abschnitt 5 – ob der empirische Bezugsbereich Niedergang in Rajneeshpuram sich auf das Modell der Theorie der sozialen Identität anwenden lässt - zu erleichtern.

3.1 Biographie von Bhagwan Shree Rajneesh

Die Osho[31] -Bewegung (oder auch Neo-Sannyas-Bewegung) geht auf den indischen Philosophieprofessor Rajneesh Chandra Mohan zurück.[32] In den 80er Jahren wurde er als Bhagwan Shree Rajneesh, später als Osho bekannt. Bhagwan wurde am 11. Dezember 1931 in Kutchwada im indischen Bundesstaat Madhya Pradesh geboren.[33] Er stammte aus einer Familie, die der frommen Familienreligion „Jinas“[34] angehörte.[35] Seit frühester Kindheit zeigte sich in ihm ein experimentierfreudiger und rebellischer Geist, der sich von dem Wissen und Glauben anderer Menschen nicht beeinflussen ließ.[36]

Im Jahre 1950 immatrikulierte Bhagwan sich an einem College in Jabalpur, um Philosophie zu studieren und schloss das Studium 1957 mit dem Magister ab. Innerhalb dieser Studienzeit empfing er, wie bereits erwähnt, nach seinen eigenen Angaben am 21.03.1953 im Alter von 21 Jahren, seine Erleuchtung.[37] In der Zeit als Dozent am Raipur Sanskrit College (1957)[38] und als Professor an der Universität Jabalpur (1958)[39] sammelten sich bereits eine Reihe von Schülern um ihn herum, die sich für seine eigenwilligen Meditationswege (z.B. dynamische Meditation[40] ) interessierten.[41] Währenddessen bereiste Bhagwan ganz Indien, sprach zu großen Menschenmengen, traf Vertreter der gebildeten Schichten und forderte die Politik in seinem eigenen Land zu Debatten heraus, wobei er mitunter auch die Glaubenswerte der indischen Kultur in Frage stellte.[42] Die Tätigkeit als Professor übte Bhagwan bis 1966 aus. Ab diesem Zeitpunkt reiste er erneut durch das Land. Er widmete sich seinen religiösen Interessen, kümmerte sich um diverse Meditationscamps und hielt eine Reihe von Vorträgen über Liebe, Religion und Sexualität.[43]

Anfang 1969 zog er sich aus der Öffentlichkeit zurück, weil er sich nicht mehr für Massenveranstaltungen interessierte. In dieser Zeit gründete er mit Hilfe einiger Anhänger eine Wohngemeinschaft in Bombay, die durch „Sex-Riten auf tantristischer Basis“[44] Aufsehen erregte.[45] 1970 kamen die ersten Suchenden aus dem Westen nach Bombay. Als im Zuge dieses Zustroms sein Ashram nach einiger Zeit zu klein und zu eng wurde, zog Bhagwan am 21. Jahrestag seiner Erleuchtung (am 21.03.1974) nach Indien in die Stadt Poona um.[46] Hier gründete Bhagwan einen neuen Ashram, den er selber zum „Shree Rajneesh Ashram“ ernannte.[47] Massenmedien und Wahrheitssuchende wurden nun erstmals auf ihn aufmerksam.[48] Zwischen 1974 und 1981 strömten überwiegend amerikanische und europäische Sinnsucher in den Ashram nach Poona, um auf eine Erleuchtung zu hoffen.[49]

1981 floh Bhagwan vor der indischen Steuerfahndung in die USA nach Oregon.[50] Dort gründete er mit seinen Anhängern eine neue Kommune mit dem Namen „Rajneeshpuram“ – die Stadt der neuen Menschen.[51] 1985 wurde Bhagwan aufgrund massiven Drucks seitens der Behörden aus den USA ausgewiesen und kehrte 1987 nach Poona zurück. Bhagwan hatte zuvor mehrere erfolglose Versuche gestartet, in 21 verschiedenen Ländern eine Einreise bzw. Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten.[52] In Poona legte er den Titel Bhagwan ab und erklärte sich im Jahre 1989 zum Buddha. Von seinen Anhängern wurde er von nun an Osho genannt. Am 19. Januar 1990 starb Bhagwan.[53] Seither fungiert die Sekte unter dem Namen „Osho-Bewegung“.[54]

Nach dem Tod von Bhagwan trat eine Gruppe von 21 Leuten seine Nachfolge an. Treffpunkt der Sannyasins ist auch in heutiger Zeit die indische Stadt Poona. Die Bewegung verzeichnet rund eine Million Anhänger. Der Ashram wird jährlich von ca. 200.000 Menschen besucht, die sich von der westlichen Zivilisation mit Hilfe von Meditation, Tantra und Tanz erholen wollen.[55]

3.2 Lehre von Bhagwan Shree Rajneesh

Bevor im nächsten Abschnitt die Lehre von Bhagwan Shree Rajneesh erläutert wird, soll hier noch ein kleiner Hinweis zum Begriff „Lehre“ gegeben werden. Der Begriff „Lehre“ ist nicht im Sinne Bhagwans gewählt, da seine Vorstellungen sich nur schwer auf den Begriff festlegen lassen.[56] Viele seiner Aussagen waren widersprüchlich. Die Widersprüchlichkeit war jedoch beabsichtigt.[57] Er hatte den Anspruch, dass seine Worte nur für den jeweiligen Augenblick galten; das was er heute sage, könne morgen schon eine andere Bedeutung haben. Seine Worte hatten somit keine lehrhafte Gültigkeit.[58] So sagte Bhagwan: „Ich bin gekommen, um Euch zu verwirren. Ich habe vieles gesagt, was ich meine! Was ich heute sage, kommt der Wahrheit näher, als was ich gestern gesagt habe.“[59]

Die Lehre Bhagwans bestand aus einer Mischung von westlichen Therapieformen, buddhistischen und hinduistischen Techniken.[60] Die Grundlagen der Lehre beruhten auf einer Erfahrungstheologie. Das Ziel bestand darin, „awareness“ (Bewusstsein) zu erlangen.[61] Demzufolge kann ein Mensch die Wirklichkeit nur erfahren, wenn die Wirklichkeit als Zustand der Gedankenlosigkeit, der absoluten Leere, verstanden wird.[62] Anders ausgedrückt sollte das „Ich-Bewusstsein“, das so genannte „Ego“, abgelegt werden und durchlässig werden für das Göttliche, die Existenz, das Leben. Im Ego kristallisierte sich eine disharmonische Energie, die den Menschen von anderen Menschen, von Gott und von der Welt trennte; doch Bhagwan war davon überzeugt, dass es eine Trennung zwischen Mensch und Natur in der Welt der Mystiker nicht gäbe.[63] Insofern hinderte das Ego den Menschen daran, die Wirklichkeit zu erkennen.[64] Durch zahlreiche Meditations- und Therapieformen war es möglich, das Ablegen des Egos zu erlernen. Hatte der Schüler das Ego abgelegt, konnte dieser in den Zustand der Erleuchtung erlangen. In der Sprache der Sannyasins wurde dies als „Surrendern“ bezeichnet.[65]

Der Zustand der Leere bzw. die Aufgabe des Ich-Bewusstseins war jedoch nur schwer für den Menschen erreichbar und forderte vollstes Vertrauen zum Meister. Dies war der Grund, warum Bhagwan sich als Wegweiser und Lebensermöglicher anbot.[66] Er verlangte, dass die Suchenden sich seinem Willen völlig unterwarfen. Dazu gehörten strenge Kleidervorschriften, das Tragen einer Mala[67] mit dem Bild des Meisters, die Annahme eines neuen indischen Namens, die völlige Aufgabe des bisherigen Lebens und die Aufgabe von Zukunftshoffnungen, denn die Sannyasins sollten im „Hier und Jetzt“ leben.[68]

4. Social Identity Theory (SIT)

Die Theorie der Sozialen Identität (Social Identity Theory (SIT)) wurde von Henri Tajfel und John Christopher Turner entwickelt und stellt einen Ansatz zur Erklärung von Intergruppenkonflikten dar.[69] Sie grenzt das intergruppale Verhalten vom interpersonellen Verhalten ab und sieht es als eigenständigen Forschungsgegenstand an.[70]

Diese Theorie setzt nicht auf das Handeln des Individuums, sondern konzipiert den sozialen Kontext.[71] Ausgangslage dieser Theorie ist die Feststellung, dass das Selbstkonzept nicht nur über Merkmale beschrieben werden kann, die das Individuum einzigartig macht und sich so von anderen Individuen unterscheidet, sondern auch über Gruppenmitgliedschaften definiert wird. Die Grundannahme der Theorie bezieht sich somit auf das Verhältnis zwischen sozialen Gruppen und dem damit verbundenen Intergruppenverhalten.[72] Im Vordergrund stehen dabei das Streben nach einer positiven Identität sowie die soziale Kategorisierung.[73] Aufgrund dieser Tatsache können Annahmen über die dynamischen Prozesse der Veränderung von Beziehungen zwischen Gruppen gemacht werden, die durch gegebene spezifische Randbedingungen beeinflusst werden.[74]

Die Theorie umfasst Annahmen über die Natur des Menschen, relevante situative Randbedingungen und vier Kernelemente.[75] Die Kernelemente stellen dabei eine Schnittstelle zwischen den Individuen und dem sozialen Kontext dar. Sie erlauben somit die Vorhersage und Beschreibung einer Gruppenbildung, der Verhältnisse zwischen Gruppen sowie der Veränderungen der Gruppenstruktur.[76] Einzelne Annahmen und einzelne Randbedingungen wirken jeweils auf ein Kernelement ein und verstärken somit die Prozesse der jeweiligen Kernelemente der SIT.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1: Die Theorie der sozialen Identität (Quelle: Fischer/Wiswede

[Grundlagen] S. 662)

Dennoch hat die Social Identity Theory auch Kritik erfahren. Der Theorie wird vorgeworfen, dass die Ergebnisse diverser Untersuchungen nicht mit der eigentlichen Theorie übereinstimmten. Des Weiteren würden bei der Interpretation der Ergebnisse Schwächen und Probleme der SIT sichtbar, die zeigen, dass die Ergebnisse des Minimalgruppenexperimentes auch anderweitig interpretierbar sind (bspw. balancetheoretisch). Durch die Zugehörigkeit einer Gruppe entsteht normalerweise eine Einheitsrelation, die aufgrund dieser Zugehörigkeit eine positive Wertrelation erfährt. Die Begünstigung käme dann nicht nur durch die bloße Kategorisierung zustande, sondern auch durch Sympathie. Analog lässt sich die Diskriminierung der Außengruppe erklären. Des Weiteren zeigen sich Schwächen in der Definition der Begriffe, z.B. bestehen Unklarheiten in Bezug auf die Inhalte des Selbstbildes. Außerdem besteht die soziale Identität nur aus der Zugehörigkeit zu einer Gruppe, was eine gewisse Einseitigkeit der Theorie deutlich macht.[77]

4.1 Gruppen und Intergruppenverhalten

Der Mensch hat seit seiner frühesten Kindheit Kontakt zu Personengruppen; so selbst-verständlich es ist, sich als Mitglied einer Gruppe zu fühlen, so selbstverständlich ist auch das Vergleichen und Konkurrieren mit anderen Gruppen. Das Resultat dieser Konkurrenz bzw. Vergleiche sind Intergruppenkonflikte.

Intergruppenkonflikte resultieren aus Intergruppenverhalten. Intergruppenverhalten zeigt sich dann, wenn zwei (oder mehr) Individuen, die zu einer Gruppe gehören, im Bewusstsein dieser Gruppenzugehörigkeit interagieren. Dieses Verhalten ist durch uniforme Verhaltensweisen und undifferenzierte Wahrnehmung bzw. Bewertung der Mitglieder der anderen Gruppe gekennzeichnet.[78] Anders ausgedrückt bedeutet Intergruppenverhalten: Das Verhalten der Mitglieder einer Gruppe gegenüber den Mitgliedern einer anderen Gruppe,[79] wobei die eigene Gruppe bevorzugt (Ingroup-Favorisierung) und die Außengruppe diskriminiert (Outgroup-Diskriminierung) wird.[80]

Um den Begriff des Intergruppenverhaltens verstehen zu können, müssen folgende Fragen geklärt werden: Was ist eine Gruppe? Was ist keine Gruppe? Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit eine Gruppe definiert ist? Wie weit reicht der Begriff der Gruppe?

Eine Gruppe ist eine Nation, die aus einer Ansammlung von Menschen besteht, die fühlen und wahrnehmen, dass sie eine Gruppe sind. Die Mitglieder dieser Gruppe kategorisieren sich selbst als Angehörige einer Gruppe und werden auch von anderen in der gleichen Weise kategorisiert.[81] Die Definition einer Gruppe ist also das Ergebnis von Wahrnehmungen, die zu gleichen Kategorisierungen führen kann.[82] Sie variieren in Bezug auf drei Komponenten:

a) die kognitive Komponente stellt das Wissen, einer Gruppe anzugehören, dar;
b) die evaluative Komponente beinhaltet die Vorstellung von der Gruppe oder der eigenen Gruppenmitgliedschaft. Die Mitgliedschaft wird mit positiven oder negativen Gefühlen der Individuen bewertet;
c) die emotionale Komponente stellt die anderen beiden Komponenten dar. Diese können von Emotionen begleitet sein, die auf die eigene bzw. auf die andere Gruppe gerichtet werden, die mit ihr in Beziehung stehen.[83]

Damit weiterhin von einer Gruppe gesprochen werden kann, müssen vier Bedingungen vorliegen:

a) mehre Personen kommen zusammen, die sich
b) gegenseitig beeinflussen (miteinander in Interaktion treten) und
c) gemeinsame Richtlinien für ihr Verhalten haben (Normen);
d) die Rollen jedes Einzelnen in der Gruppe sind geklärt (Differenzierung in der Rolle, z.B. Führerrolle).[84]

Es gibt viele Anlässe für ein Individuum, Mitglied einer Gruppe zu werden. Der häufigste Grund ist der, dass Individuen auf eine verbesserte Sicherung der eigenen Identität hoffen. Die Verbesserung der Identität entsteht durch Vergleiche mit anderen Gruppen.

Der Begriff der Gruppe reicht sehr weit. Eine Gruppe kann z.B. als Konsequenz der „face-to-face“ Interaktion, als Selbstkategorisierung oder als System angesehen werden.[85] So spricht bspw. Homans von einem internen System der Gruppe, das sich vom externen System abhebt.[86]

Des Weiteren können Gruppen in viele Formen unterteilt werden, bspw. in Klein -und Großgruppen, in Primär- und Sekundärgruppen, in Eigen- und Fremdgruppen. In dieser vorliegenden Arbeit interessiert die Aufteilung in Eigen- („In“)- und Fremd- („Out“) Gruppe. Die Auswirkungen, die sich durch diese Unterscheidung ergeben, finden sich in Feindbildern und Intergruppenkonflikten wieder.[87]

Das Intergruppenverhalten kann auf zwei Prozesse zurückgeführt werden; zum einem auf den Prozess der sozialen Kategorisierung, der zu Akzentuierungsunterschieden führt und zum anderen auf den Prozess, der durch den motivationalen Aspekt ergänzt wird. Dieser Aspekt äußert sich in dem Streben nach positiver sozialer Identität.[88] Eine notwendige Voraussetzung für Intergruppenverhalten bzw. für Verhalten zwischen Gruppen ist, dass eine Einigung darüber vorliegt, dass auch genau diese Gruppen bestehen. Dies ist genau dann der Fall, wenn eine Klassifikation von beiden Gruppen vorgenommen wird.[89]

4.2 Entwicklungen der SIT

Die Anfänge der Theorie, bei denen die Gruppenkohäsion und die Zwischengruppen-beziehungen von Bedeutung waren, gehen bis in die Anfänge des 20. Jahrhundert zurück. Aber erst in den 50er Jahren fanden diese, durch das Feldexperiment von Sherif, einen neuen wirkungsvollen und entscheidenden Anstoß. Die Theorie der sozialen Identität von Tajfel und Turner entwickelte mit wahrnehmungspsychologischen Theorie-Elementen der Kategorisierung sowie mit dem Streben nach positiver sozialer Identität ein neues Forschungsparadigma.[90]

4.2.1 Der realistische Gruppenkonflikt

Die Theorie des realistischen Gruppenkonfliktes wurde von Muzafer Sherif entwickelt. Der Fokus dieser Theorie liegt auf der Beschreibung von Beziehungen zwischen Gruppen in ihrer Funktion und auf den jeweiligen zielorientierten Interessen der einzelnen Gruppe, wenn eine Konkurrenzsituation um knappe Ressourcen besteht.[91]

In seinem Experiment führten Sherif und seine Helfer Jugendlageruntersuchungen in einem Ferienlager durch. Dazu wurden Jungen, im Alter von 12 Jahren, aus Durchschnittsfamilien ausgesucht. Sie waren sich im Hinblick auf Herkunft, Intelligenz, Persönlichkeit und Umfeld sehr ähnlich. In der ersten Phase des Experiments lernten sich die Jungen kennen und konnten durch gemeinsame Spiele Freundschaften schließen, welche durch soziometrische Wahlen ermittelt wurden. In der zweiten Phase wurden die Jungen in zwei Gruppen aufgeteilt und zwar so, dass Freunde voneinander getrennt waren. Es zeigte sich, dass die getrennten Gruppen schnell eigene Normen, eigene Strukturen und Rollen entwickelten. Jede Gruppe legte sich auch selber einen Namen zu. Dadurch entstanden so genannte „Ingroup-Gefühle“. Bei Untersuchungen der Freundschaftsbeziehungen stellte sich heraus, dass diese sich vollständig gewandelt hatten; zu Freunden wurden nun die Jungen in der eigenen Gruppe. In der dritten Phase kam es zu Konflikten zwischen den Gruppen. Es wurde ein Wettbewerb um ein Taschenmesser angesetzt, der aber nur von einer Gruppe gewonnen werden konnte. Es kam zu Aggressionen und Feindseligkeiten zwischen den Gruppen, die sogar zu Beschimpfungen und Handgreiflichkeiten führten. Daraus ist bereits ersichtlich, dass Konflikte schon aus Wettbewerbssituationen heraus entstehen können. In der vierten Phase wurde versucht die Spannungen zu lösen. Die Gruppen sollten wieder zusammengeführt werden. Dazu wurden Unglücke inszeniert, die nur durch die gemeinsame Anstrengung beider Gruppen beseitigt werden konnten (z.B. Zusammenbruch der Wasserversorgung, defekter Lastwagen). Durch die Kooperation der beiden Gruppen wurden die Konflikte beseitigt und die Gruppen hatten sich wieder angenähert.

Sherif folgerte aus diesem Experiment, dass Gruppen mit eigenen Strukturen eigene Normen entwickeln. Treten diese Gruppen in Wettbewerb zueinander auf, kommt es zu Konflikten, die dann bewältigt werden können, wenn für beide Gruppen übergeordnete Ziele gegeben werden.[92] Durch die Einführung gemeinsamer Ziele würden sich die Konflikte wieder reduzieren.

Die Theorie von Sherif konnte oftmals belegt werden, dennoch gab es auch widersprüchliche Befunde, die bei der Angabe der gemeinsamen Ziele auftauchten. Obwohl gemeinsame Interessen bei der Verfolgung des Ziels vorhanden waren, ließ sich der Konflikt zwischen den Gruppen nicht reduzieren. Des Weiteren zeigten sich Tendenzen, die eigene Gruppe, selbst unter Bedingungen minimalisierten Gruppenbeziehungen, zu bevorzugen.[93] Diese Feststellungen führten zur Entwicklung bzw. zur Formulierung der Social Identity Theory.

4.2.2 Minimal-Group-Paradigma und Social Identity Theory

Mit der Entwicklung der Theorie der sozialen Identität versuchten Henri Tajfel und John Christoper Turner zu erklären, wie es zu Gruppendifferenzierungen kommt und stellten dabei die Hypothese auf, dass bereits minimale Hinweise genügen, um ein Ingroup-Outgroup-Verhältnis entstehen zu lassen. Beruhend auf den bereits im vorherigen Abschnitt erläuterten Komponenten (kognitive, evaluative und emotionale Komponente) einer Gruppe, wurde anhand eines Experimentes (bekannt als Minimal-Group-Paradgima) versucht, diese drei Aussagen zu bestätigen.

Die Versuchspersonen dieses Experimentes wurden nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen eingeteilt. Die Gruppen bestanden aus Klee- bzw. Kandinsky-Kategorien, die den Versuchspersonen jedoch unbekannt waren.[94] Den Gruppen wurden verschiedene, nicht wieder erkennbare Gemäldeausschnitte vorgelegt. Die Versuchspersonen sollten diese Gemäldeausschnitte beurteilen. Anschließend wurde den Personen mitgeteilt, dass sie eine Vorliebe für den Maler Klee bzw. Kandinsiki hätten, was jedoch in der Wirklichkeit nicht zutraf. Nun mussten die Versuchspersonen Geldbeträge auf zwei weitere Personen aufteilen. Es wurde ihnen gesagt, dass eine der Personen zu den Klee-, die andere zu den Kandinsky-Bewunderern zähle. Es zeigte sich daraufhin, dass die Geldbeträge des Öfteren zugunsten der eigenen Gruppe aufgeteilt wurden.

Diese Ergebnisse zeigten, dass die Mitglieder der eigenen Gruppe auf Kosten der Mitglieder der fremden Gruppe bevorzugt und auch begünstigt wurden.[95] Weiterhin wurde festgestellt, dass die Mitglieder der fremden Gruppe als weniger sympathisch eingeschätzt wurden, als die der eigenen Gruppe. Die bloße Unterteilung in zwei Gruppen reichte also aus, dass die Mitglieder der einen Gruppe diskriminierendes Verhalten gegenüber den Mitgliedern der anderen Gruppe zeigten.[96]

4.3 Definition und Erläuterung der Inhalte der SIT

In diesem Abschnitt werden die theoretischen Grundlagen der Inhalte der SIT definiert und erläutert. Der Inhalt der SIT setzt sich zusammen aus Annahmen über die Natur des Menschen, Kernelementen und relevanten situativen Randbedingungen.

4.3.1 Zentrale Annahmen

Die zentralen Annahmen spiegeln sich in den Annahmen über die Natur des Menschen wieder. Im weiteren Verlauf werden vier Annahmen definiert und erläutert. Diese Annahmen liegen den Kernelementen der SIT zugrunde, die im weiteren Verlauf, im Abschnitt 4.3.2, erläutert werden.

4.3.1.1 Wahrnehmungsökonomie

Die Wahrnehmungsökonomie bzw. Wahrnehmung dient zur Orientierungshilfe eines Individuums in seiner sozialen Umwelt, die mit den jeweiligen Sinnesorganen wahrgenommen wird. Sie hat in erster Linie einen funktionalen Charakter.[97]

Eine Wahrnehmung ist dann gegeben, wenn ein Verhältnis zwischen der Realität und der Vorstellungswelt des Individuums hergestellt wird. Der Prozess der Wahrnehmung darf nicht als einfache Abbildung der Wirklichkeit verstanden werden, denn der Prozess gilt als ein konstruktiver Prozess, der eine Vermittlung zwischen dem inneren Bild und der Außenwelt herstellt. Dabei ist von besonderer Bedeutung, dass die Realität bzw. die objektive Umwelt in Wahrnehmungskategorien eingeordnet wird, die eine sinnvolle Zuordnung des beobachteten Gegenstands zum individuellen Kontext ermöglichen.[98] Die Kategorien stellen Subelemente von Erfahrungen dar, die durch Lernprozesse entstanden sind und werden somit als sozial kategorisiert. Des Weiteren bestehen sie aus Bestandteilen, die durch Kommunikations- und Vergleichsprozesse entstanden sind.[99] Wahrnehmung kann zu einem durch externe Einflüsse und zum anderem durch interne Einflüsse beeinflusst werden. In Situationen, in der die Realität unklar ist, werden andere Personen für ein einzelnes Individuum zu wichtigen Informationsquellen.[100] Des Öfteren können bei einer Wahrnehmung Vorurteile (negative Einstellungen gegenüber anderen Personen bzw. Gruppen) entstehen, die sich als kognitive Komponente der Stereotypisierung darstellen.[101]

Wahrnehmung wird demnach durch die eigene Erfahrung und durch das Vorbild anderer Personen beeinflusst. Sie führt zur sozialen Kategorisierung menschlicher Gruppen.[102]

4.3.1.2 Bedürfnis nach einem Platz im sozialen System

Menschen gehören der sozialen Gattung an.[103] Sie suchen in verschiedensten Situationen Kontakt zu anderen Menschen, freunden sich mit diesen an und scheinen in ihren Beziehungen sowohl großes Glück, als auch tiefe Verzweiflung zu finden. Doch warum suchen Menschen den Kontakt zu anderen? Warum besteht das Bedürfnis nach sozialen Kontakten (d.h. das Zusammensein mit anderen Menschen) bzw. nach einem Platz im sozialen System?

[...]


[1] Vgl. Price [American] S. 3 sowie o.V. [Klima] S. 114.

[2] Spitzname hierfür ist die „Ranch“. Vgl. Hydén [India] S. 8.

[3] Bhagwan bedeutet soviel wie „der Erhabene“, der „Göttliche“. Vgl. Gasper/Müller/Valentin [Lexikon] Sp. 859. Der Name Bhagwan Shree Rajneesh soll in dieser Arbeit weiterhin verwendet werden, weil den Oregoner Rajneesh Chandra Mohan als Bhagwan Shree Rajneesh bekannt war. Vgl. Webber [Rajneeshpuram] S. 17.

[4] Ein Ashram ist ein Ort, an den sich Gläubige zum Meditieren und zum Zusammenleben in einer religiösen Gemeinschaft zurückziehen können. Vgl. Thoden/Schmidt [Mythos] S. 9.

[5] Vgl. Sheela [Tötet ihn nicht!] S. 201.

[6] Vgl. Weber/Wiedemann [Interview] S. 94.

[7] Vgl. Süss [Erbe] S. 33 in Verbindung mit L. [Poona] S. 10.

[8] Vgl. Hydén [India] S. 5 f. in Verbindung mit Weber/Wiedemann [Interview] S. 94.

[9] Vgl. o.V. [Wahrheit] S. 13 in Verbindung mit Sheela [Tötet ihn nicht!] S. 12.

[10] Vgl. Elten [Santa Barbara] S. 23.

[11] Vgl. Thoden/Schmidt [Mythos] S. 81.

[12] Vgl. Süss [Erbe] S. 19.

[13] Vgl. Gasper/Müller/Valentin [Lexikon] Sp. 859.

[14] Vgl. bspw.: Braun [Society], Carter [Charisma], Gordon [Golden Guru], Thoden/Schmidt [Mythos], Karow [Vereinigungskirche], Süss [Erbe], Klosinski [Suche].

[15] Vgl. bspw.: Elten [Achterbahn], Weber/Wiedemann [Interview].

[16] Vgl. Haack [Rajneesh-Bewegung].

[17] Vgl. Karow [Vereinigungskirche].

[18] Vgl. Hydén [India].

[19] Vgl. van Driel/van Belzen [Downfall].

[20] Vgl. Süss [Erbe].

[21] Vgl. Tajfel/Turner [Theory].

[22] Vgl. Tajfel [Social identity].

[23] Vgl. Herkner [Psychologie] Sp. 491.

[24] Vgl. Fischer/Wiswede [Grundlagen] S. 659.

[25] Vgl. Balzer [Wissenschaft] S. 12.

[26] Vgl. Balzer [Wissenschaft] S. 16 f.

[27] Vgl. Balzer [Wissenschaft] S. 50 f.

[28] Vgl. Balzer [Wissenschaft] S. 52 ff.

[29] Vgl. Balzer [Wissenschaft] S. 323.

[30] Die offizielle Bezeichnung der Neo-Sannyas-Bewegung lautet „Neo-Sannyas-International- Movement“. Vgl. Süss [Erleuchtung] S. 290.

[31] Osho bedeutet „erhabener Meister“ oder „religiöser“ Lehrer. Vgl. Süss [Erbe] S. 30.

[32] Vgl. Süss [Erbe] S. 11.

[33] Vgl. Thoden/Schmidt [Mythos] S. 18.

[34] „Jinas, ′Überwinder′, heißen diejenigen Personen, die, in jeder Weltepoche 24 an der Zahl, in ungeheuren Abständen als Tirthánkaras ′Heilfinder′, die Religion der Selbsterlösung jeweils angeblich erneuert haben und erneuern werden.“ Haack [Bewegung] S. 10.

[35] Vgl. Süss [Erbe] S. 28.

[36] Vgl. Thoden/Schmidt [Mythos] S. 22 ff.

[37] Vgl. Süss [Erbe] S. 29.

[38] Vgl. Osho [Autobiography] S. 224.

[39] Vgl. Süss [Erbe] S. 29.

[40] Eine dynamische Meditation dient dem Erreichen des Zustandes der absoluten Wachheit. Sie besteht aus fünf Phasen und dauert eine Stunde lang. Vgl. Joshi [Erwachte] S. 173 f.

[41] Vgl. Gasper/Müller/Valentin [Lexikon] Sp. 859.

[42] Vgl. Süss [Erbe] S. 43.

[43] Vgl. Süss [Erbe] S. 29 in Verbindung mit L. [Poona] S. 7.

[44] o.V. [Handbuch] S. 89.

[45] Vgl. o.V. [Handbuch] S. 89.

[46] Vgl. Webber [Rajneeshpuram] S. 18.

[47] Vgl. Braun [Society] S. 11.

[48] Vgl. Gasper/Müller/Valentin [Lexikon] Sp. 859.

[49] Vgl. o.V. [Handbuch] S. 94.

[50] Vgl. Gasper/Müller/Valentin [Lexikon] Sp. 859. Jedoch behauptete Bhagwan in einem Interview, dass er nie Steuern gezahlt habe weil er auch kein Einkommen besitze. Vgl. Weber/Wiedemann [Interview] S. 97.

[51] Vgl. Gasper/Müller/Valentin [Lexikon] Sp. 860.

[52] Vgl. Hydén [India] S. 9.

[53] Vgl. Webber [Rajneeshpuram] S. 17.

[54] Vgl. Süss [Erbe] S. 167 f.

[55] Vgl. o.V. [Wahrheit] S. 13.

[56] Vgl. Thoden/Schmidt [Mythos] S. 46.

[57] Vgl. Haack [Rajneesh-Bewegung] S. 35.

[58] Vgl. Thoden/Schmidt [Mythos] S. 46 in Verbindung mit Süss [Erbe] S. 68.

[59] Klosinski [Suche] S. 21.

[60] Vgl. Thoden/Schmidt [Mythos] S. 53.

[61] Vgl. Osho [Autobiographie] S. 228.

[62] Vgl. Haack [Rajneesh-Bewegung] S. 36.

[63] Vgl. Elten [Karma] S. 230 ff.

[64] Vgl. Süss [Erbe] S. 76.

[65] Vgl. Claußen [Gott] S. 45.

[66] Vgl. Haack [Rajneesh-Bewegung] S. 41.

[67] Eine Mala ist ein Holzkette mit 108 Perlen, die 108 Meditationsmethoden vor der angestrebten Erleuchtung symbolisiert. Sie dient als Symbol des religiösen Daseins. Vgl. Süss [Erbe] S. 94.

[68] Vgl. Henkel [Narziss] S. 21.

[69] Vgl. Turner/Reynolds [Intergroup] S. 134.

[70] Vgl. Mummendey/Otten [Theorie] S. 100 f.

[71] Vgl. Turner/Reynolds [Intergroup] S. 134.

[72] Vgl. Mummendey/Otten [Theorie] S. 100 in Verbindung mit S. 108.

[73] Vgl. Auer-Rizzi [Entscheidungsprozesse] S. 48.

[74] Vgl. Frey/Greif [Schüsselbegriffe] S. 341.

[75] Vgl. Fischer/Wiswede [Grundlagen] S. 662.

[76] Vgl. Mummendey/Otten [Theorie] S. 115.

[77] Vgl. Herkner [Psychologie] S. 492.

[78] Vgl. Mummendey/Schreiber [Begünstigung] S. 2.

[79] Vgl. Brown [Beziehungen] S. 538.

[80] Vgl. Bierhoff [Begriffswörterbuch] S. 241.

[81] Vgl. Hogg [Cohesiveness] S. 101 sowie Homans [Group] S. 86.

[82] Vgl. Mummendey [Identität] S. 192.

[83] Vgl. Tajfel [Interindividual] S. 28.

[84] Vgl. Nawratil/Rabaioli-Fischer [Sozialpsychologie] S. 116.

[85] Vgl. Fischer/Wiswede [Grundlagen] S. 584 f.

[86] Vgl. Homans [Group] S. 81 ff.

[87] Vgl. Fischer/Wiswede [Grundlagen] S. 586 f.

[88] Vgl. Hastedt [Selbstkomplexität] S. 7.

[89] Vgl. Frey/Greif [Schlüsselbegriffe] S. 337.

[90] Vgl. Fischer/Wiswede [Grundlagen] S. 653.

[91] Vgl. Frey/Greif [Schlüsselbegriffe] S. 339 in Verbindung mit Bierhoff [Lehrbuch] S. 300.

[92] Vgl. Sherif [Conflict] S. 71 f.

[93] Vgl. Frey/Greif [Schlüsselbegriffe] S. 339 f.

[94] Vgl. Tajfel [Interindividual] S. 33.

[95] Vgl. Herkner [Psychologie] S. 491.

[96] Vgl. Bierhoff/Herner [Begriffswörterbuch] S. 241.

[97] Vgl. Fischer/Wiswede [Grundlagen] S. 165.

[98] Vgl. Bierhoff [Lehrbuch] S. 310.

[99] Vgl. Fischer/Wiswede [Grundlagen] S. 165.

[100] Vgl. Aronson [Verhalten] S. 51.

[101] Vgl. Bierhoff [Lehrbuch] S. 310.

[102] Vgl. Fischer/Wiswede [Grundlagen] S. 166.

[103] Vgl. Thomas [Grundriss] S. 69 sowie Heckhausen [Handeln] S. 343.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2004
ISBN (eBook)
9783832482817
ISBN (Paperback)
9783838682815
Dateigröße
1.8 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität zu Köln – Wirtschaftswissenschaften
Note
2,7
Schlagworte
asha bhagwan kategorisierung distinktheit
Zurück

Titel: Rajneeshpuram
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
73 Seiten
Cookie-Einstellungen