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Staatliche Handlungskapazität und politisches Vertrauen

Die europäische Integration in der Wahrnehmung der Bürger

©2003 Diplomarbeit 98 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Zusammenfassung:
Häufig wird im politischen Diskurs unserer Tage der Umstand beklagt, dass immer mehr Bürger immer weniger Vertrauen in die Politik hätten. Tatsächlich belegen zahlreiche wissenschaftliche Studien einen allgemeinen und zum Teil dramatischen Rückgang des politischen Vertrauens in den etablierten demokratischen Systemen, der nun schon seit Jahrzehnten im Gange ist. Da diese Entwicklung insgesamt mit großer Sorge betrachtet wird, hat sich ein zunehmend bedeutsamer Zweig der Politikwissenschaft die Erforschung des politischen Vertrauens auf die Fahnen geschrieben. Ausgehend von empirischen Ansätzen US-amerikanischer Institute, stehen mittlerweile auch die europäischen Staaten mehr und mehr im Mittelpunkt der Analyse. In den Staaten der Europäischen Union - besonders stark in der Bundesrepublik Deutschland - hat das Vertrauen in die Problemlösungsfähigkeit der nationalen Regierungen vor allem seit den frühen neunziger Jahren abgenommen. Was könnten die Gründe für diese Entwicklung sein? Viele althergebrachte Theorien stellen auf die vermeintliche Unfähigkeit der amtierenden Politiker, auf Korruption, auf eine Wirtschaftsflaute oder auf eine pessimistische Medienberichterstattung ab. Keiner dieser Ansätze vermag allerdings den ebenso allgemeinen wie dauerhaften und nachhaltigen Rückgang des politischen Vertrauens überzeugend zu erklären.
In dieser Arbeit wird deshalb ein neuartiges Modell zur Erklärung des Rückgangs vorgeschlagen, welches zwar auch die Akteure und internen Strukturen der politischen Institutionen als Erklärungsfaktoren für politisches Vertrauen berücksichtigt, zusätzlich aber die Möglichkeiten politischer Steuerung – die staatliche Handlungskapazität – integriert.
Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges prägte der Prozess der europäischen Integration die strukturellen Veränderungen der politischen Realität innerhalb und zwischen den Mitgliedstaaten wohl mehr als jede andere Entwicklung. Mit der Verlagerung immer weiterer politischer Sachzuständigkeiten (Kompetenzen) von der Entscheidungsebene des Nationalstaates auf die Organe der Europäischen Gemeinschaften geht – eine weitreichende Reduktion der staatlichen Handlungskapazität einher. Insbesondere die so genannten Grundfreiheiten, die im Rahmen des europäischen Binnenmarkts in den Gemeinschaftsvertrag aufgenommen worden sind, sowie die Errichtung der Wirtschaft- und Währungsunion, welche unter anderem die Grundlage der Euro-Stabilitätskriterien bildet, […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhalt

Kapitel 1: Einleitung und Fragestellung
1. Vertrauen in der repräsentativen Demokratie
2. Entwicklung der Forschung über politisches Vertrauen
3. Staatliche Handlungskapazität und politisches Vertrauen
4. Der europäische Integrationsprozess
5. Zum Aufbau der Arbeit

Kapitel 2: Das Phänomen des politischen Vertrauens: Begriffsbestimmung
1. Allgemeines
2. Politikwissenschaftliche Definitionen
3. Politisches Vertrauen im Rahmen dieser Arbeit

Kapitel 3: Das Phänomen des politischen Vertrauens: Verschiedene Konzepte
1. David Eastons Konzept politischer Unterstützung
1.1. Politische Unterstützung
1.2. Objekte politischer Unterstützung
1.3. Arten politischer Unterstützung
2. Zum politischen Vertrauen bei David Easton
3. Erklärungsmodelle zum politischen Vertrauen
3.1. Sozial-kulturelle und ökonomische Erklärungen
3.1.1. Veränderte öffentliche Kommunikation
3.1.2. Gesellschaftlicher Wertewandel und politisches Vertrauen
3.2. Die Social-Capital Theory
3.3. Mängel im politischen System als Ursache eines potentiellen Vertrauensverlusts
3.3.1. Die politischen Akteure
3.3.1.1. Persönliche Eigenschaften einzelner Akteure
3.3.1.2. Unzufriedenheit mit den amtierenden politischen Akteuren
3.3.2. Die politischen Institutionen
3.3.2.1. Zentrale Kategorien
3.3.2.2. Regeln und Strukturen
4. Zwischenfazit

Kapitel 4: Staatliche Handlungskapazität und politisches Vertrauen: ein Modell
1. Politische Erwartungen
2. Politische Forderungen
3. Politisches Vertrauen
4. Erfahrung und Betrachtung des politischen Systems
5. Die Vertrauenswürdigkeit des politischen Systems
6. Die staatliche Handlungskapazität

Kapitel 5: Politisches Vertrauen im Prozess der europäischen Integration
1. Entwicklungen in der Europäischen Union während der neunziger Jahre
1.1. Die Entwicklung der staatlichen Handlungskapazität
1.2. Die Entwicklung des politischen Vertrauens
2. Die Übertragung des Modells auf den Prozess der Integration
3. Fragen, die sich aus dem Modell für die Wahrnehmung der Integration ergeben
4. Hypothesen
5. Methodologische Aspekte und Probleme
5.1. Schwierigkeiten bei der Messung
5.2. Probleme bezüglich empirischer Daten
5.3. Operationalisierung
5.3.1. Mögliche Indikatoren für Hypothese H1
5.3.2. Mögliche Indikatoren für Hypothese H2
6. Befunde
6.1. Korrelation zwischen staatlicher Handlungskapazität und politischem Vertrauen
6.2. Einstellungen der Bürger zur europäischen Integration
7. Bewertung und Diskussion

Kapitel 6: Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Verwendete Daten

Kapitel 1: Einleitung und Fragestellung

1. Vertrauen in der repräsentativen Demokratie

„Mehr Politik wagen.“ Unter dieses Motto stellte Sigmar Gabriel seine Regierungserklärung, die er nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten durch den Niedersächsischen Landtag am 15. Dezember 1999 abgab. Mit dem Elan und Optimismus, den sich der seinerzeit jüngste Ministerpräsident der Bundesrepublik zumindest bis zum Antritt dieses Amtes hatte bewahren können, forderte Gabriel seinen Berufsstand auf, den Mut zu haben, sich klare Ziele zu setzen, Entscheidungen zu treffen und entschlossen zu handeln, um das Vertrauen der Menschen in die Funktionsfähigkeit der Demokratie zurück zu gewinnen. Wer kein Vertrauen in die gestalterischen Fähigkeiten und in die prinzipielle Integrität von Menschen in Parlamenten und Regierungen mehr fassen könne, für den würde am Ende Demokratie bedeutungslos.

Gleich, ob Gabriels Forderung nach „mehr Politik“ sich rückblickend als visionär oder doch eher als illusionär herausstellen mag, scheint sie die politische Realität unserer Tage an einem empfindlichen Punkt zu treffen. Politische Systeme repräsentativer Demokratie beruhen wesentlich auf Vertrauen.[1] Der Wähler vertraut prinzipiell darauf, dass der Gewählte seine Sache gut macht; kontrollieren kann er dessen Arbeit indes kaum.[2] Nicht nur, weil ihm das Instrument der Wahl als zentrales Mittel politischer Partizipation in der Regel lediglich alle vier oder fünf Jahre einmal zur Verfügung steht und meistens nur Pauschalurteile zulässt, sondern auch, weil es ihm an der Zeit, dem Sachverstand oder der Lust mangelt, sich ständig der guten Arbeit der von ihm gewählten Personen zu vergewissern.[3] Auch der Gewählte ist auf ein gewisses Maß an Vertrauen durch den Wähler angewiesen. Erst dieses Vertrauen verschafft ihm den Freiraum der notwendig ist, um eigenständig – also ohne ausdrückliche Anordnung im Einzelfall – Entscheidungen zu treffen, deren Konsequenzen nicht vollends im Voraus bekannt sind (vgl. Gamson 1968: 43; 1971: 42ff.). Verfassungsrechtlich spiegelt sich dieser unter Vorbehalt gewährte Vertrauensvorschuss in der Bundesrepublik Deutschland im freien Mandat der Abgeordneten wieder.

Der trial-and-error -Charakter von Politik manifestiert sich in der repräsentativen Demokratie durch die Interaktion von Vertrauen und Kontrolle, wobei Ersteres nötig ist, um unter Unsicherheitsbedingungen Politik zu machen und Letztere der verbindlichen Bestimmung der Richtigkeit dieser Politik dient. Schwindet nun das Vertrauen – aus welchen Gründen auch immer –, so schwindet mit ihm die für die repräsentative Demokratie intrinsisch wertvolle Beziehung zwischen Wähler und Gewähltem. Wer wenig Vertrauen in die Politik insgesamt setzt, der wird auch dem einzelnen Politiker nicht mehr zutrauen, die gesellschaftliche Zukunft angemessen zu gestalten. Wenn eine Mehrheit der Bürger so denkt, dann wird sich der Politiker bei der Umsetzung seiner Konzepte äußerst vorsichtig und zaghaft verhalten müssen, denn er weiß, dass jede von ihm ergriffene aktive Maßnahme von vornherein mit großer Skepsis betrachtet wird – und zwar nicht aufgrund ihres spezifischen Gehalts, sondern allein schon wegen ihrer politischen Natur.

Politisches Vertrauen in den etablierten demokratischen Systemen hat in den letzten Jahrzehnten abgenommen (vgl. anstelle vieler Dalton 1999). Je nach Definition des Begriffs und Verwendung bestimmter Daten ist in der Literatur mal von einem leichten, mal von einem dramatischen Rückgang die Rede. In Europa hat das Vertrauen in politische Institutionen besonders seit den frühen neunziger Jahren abgenommen (vlg. für Überblick über Literatur Magalhães: 2).

Die Folgen einer solchen Entwicklung für individuelles politisches Verhalten sowie für das Funktionieren und die Stabilität des demokratischen Systems sind schwer abzuschätzen und auch in der Wissenschaft umstritten. Von Politik- oder Parteienverdrossenheit, von apathischer Passivität, politischer Entfremdung und Wut, die sich in Wahlmüdigkeit, politischem Zynismus oder neuen Formen politischer Partizipation ausdrücken könne, bis hin zu aggressivem politischen Verhalten mit zum Teil revolutionärer Tendenz ist die Rede gewesen. Während vor fast drei Jahrzehnten eine „Krise der Demokratie“ (Crozier/Huntington/Watanuki 1975) konstatiert wurde, von der nicht wenige Menschen befürchteten, sie könne den Untergang der repräsentativen politischen Systeme westlicher Prägung einläuten, sahen viele nach dem Zusammenbruch der Regimes des ehemaligen Ostblocks (lediglich) einen Prozess „demokratischer Transformation“ (Klingemann/Fuchs 1995) und neue Möglichkeiten politischer Partizipation für zunehmend „kritische Bürger“ (Norris 1999). Vermutlich geht es heute weniger darum, ob die Demokratie als Staatsform überleben wird, als vielmehr darum, wie sehr die politischen Akteure und vor allem die Institutionen in den Demokratien den Erwartungen und Bedürfnissen der Bürger entsprechen (Pharr/Putnam 2000).

Die Einschätzungen divergieren nicht zuletzt deshalb derart stark, weil der Begriff des politischen Vertrauens sehr viele verschiedene Definitionen und Deutungen erfahren hat und entsprechend auch empirisch ausgesprochen unterschiedlich – und zum Teil recht phantasievoll – gehandhabt worden ist. Die Begriffe trust, confidence, belief, faith, cynicism oder affection bezeichnen je nach Vorliebe des jeweiligen Autors unterschiedliche konzeptionelle Aspekte oder werden aufgrund der Schwierigkeit empirischer Trennung einfach synonym verwendet.[4] Einigkeit herrscht allerdings darin, dass ein gravierender und langfristiger Verlust an politischem Vertrauen entweder selbst ein Problem für die Lebendigkeit und Dauerhaftigkeit einer demokratischen Ordnung darstellt oder von anderweitig bestehenden Problemen zeugt. In jedem Fall werden dauerhafte Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit der politischen Ordnung für unvereinbar mit der Idee der Demokratie gehalten (vgl. Walz 1996a: 70; Gabriel 1997: 390, 418).

Nicht weniger umstritten als die Folgen des Verlustes an politischem Vertrauen sind seine Ursachen, und mitunter wird auch darüber gestritten, ob ein bestimmter Effekt nun als Ursache oder vielmehr als Folge oder einfach nur als Begleiterscheinung anzusehen ist. Die verschiedenen Vorstellungen können grob in die Kategorien politischer-, sozial-kultureller oder ökonomischer- und medial-kommunikativer Entstehungsgründe unterteilt werden.

2. Entwicklung der Forschung über politisches Vertrauen

Die amerikanische Politikwissenschaft widmete sich besonders ab den siebziger Jahren verstärkt der Ursachenforschung und legte damit den auch Grundstein für die aktuelle politikwissenschaftliche Vertrauensdebatte.[5] Es galt, Antworten auf den dramatischen und anhaltenden Rückgang des öffentlichen Vertrauens in die Bundesregierung in Washington zu finden, der sich bereits damals abzeichnete und seitdem regelmäßig in Umfragen bestätigt wird (vgl. z.B. Orren 1997: 81f.). Begleitet wurde diese Suche seit ihrem Beginn von einer Theorie- und Methodikdiskussion, die sich der Schwierigkeiten der begrifflichen Konzeptualisierung und der empirischen Messung politischen Vertrauens annahm. Insbesondere über die Aussagekraft des so genannten trust-in-government- Index, einer Item -Skala bestehend aus fünf verschiedenen Fragen, die seit 1964 regelmäßig im Rahmen der nationalen Wahlstudien in den USA erhoben werden, ist lebhaft diskutiert worden (vlg. Miller 1974a, 1974b; Citrin 1974; Muller/Jukam 1977; Citrin/Green 1986; siehe für Überblick Arzheimer 2002: 42ff.). Besonders schwierig gestaltete sich auch die empirische Umsetzung von David Eastons Theorie politischer Unterstützung, die – neben Gabriel Almonds und Sidney Verbas Civic-Culture -Studie – vielfach als Ausgangspunkt der Forschung herangezogen wurde.

Immer wieder motivierten realpolitische und kulturelle Entwicklungen die Forschung und prägten ihre Richtung. Protestbewegungen der späten sechziger und siebziger Jahre und die mit ihnen einhergehenden neuartigen politischen Vorstellungen wurden zunächst als Ursache für den Vertrauensverlust ausgemacht. Unter dem Eindruck der angeblichen Überlastung der politischen Systeme mit gesellschaftlichen Forderungen (die so genannte overload -These) beschrieben Michel Crozier, Samuel P. Huntington und Joji Watanuki eine vermeintliche „Krise der Demokratie“ (vlg. Crozier/Huntington/Watanuki 1975). Huntington, für seinen Teil, sah die etablierten politischen Systeme gar in einem Spannungsfeld zwischen Demokratie und Regierbarkeit.

In Deutschland mündete die so genannte Unregierbarkeits-Diskussion in den achtziger Jahren in Studien zu – vornehmlich sozialpolitischen – Leistungsanforderungen an den Staat, wobei allerdings ein grundlegender Wandel der Erwartungen der Bürger seit 1975 nicht nachgewiesen werden konnte (vgl. Gabriel 1997: 381). Entgegen der These einer Legitimitätskrise des Wohlfahrtsstaates werden sozialpolitische Leistungen in Deutschland bis heute weitgehend unterstützt (vgl. Ullrich 2000: 144).[6] Spätestens als sich abzeichnete, dass die repräsentativ-demokratischen Institutionen flexibel genug waren, um einen Teil des Protests – beispielsweise über die Entstehung neuer Parteien – zu integrieren, und dass der übrige Teil nicht gegen die Grundfesten der Demokratie als Staatsform gerichtet war, verstummten auch die Krisentheorien.[7] Der unbestreitbare kulturelle Wandel der siebziger Jahre wurde fortan nicht mehr als Legitimitätsbedrohung angesehen und prägte seitdem die Erforschung postmaterialistischer Einstellungsmuster, die sich vor allem mit dem Namen Ronald Ingleharts verbindet. Für Westeuropa versuchen die Autoren der Beiträge in dem von Hans-Dieter Klingemann und Dieter Fuchs herausgegebenen Sammelband „Citizens and the State“ Entwarnung zu geben (vgl. Fuchs/Klingemann 1995). Sie kommen zu dem Ergebnis, dass Schwankungen im Maß des Institutionenvertrauens zwar bestünden, aber die Stabilität der politischen Ordnung nicht gefährdeten. Langfristige Veränderungen seinen Ausdruck eines zunehmend kritischen Verhältnisses der Bürger gegenüber dem Staat, das jedoch keinesfalls grundsätzlich bedenklich sei.

Mit dem Ende des kalten Krieges änderten sich auch Prämissen für die Bewertung der etablierten Demokratien. Einerseits besiegelte diese historische Zäsur die Überlegenheit repräsentativer Systeme westlicher Prägung, andererseits konnte nun aber nicht mehr der Finger auf die Anderen gerichtet werden, um von eigenen Defiziten abzulenken. Für einen langen Triumph war ohnehin keine Zeit, stellten doch die Transformationsprozesse der postkommunistischen Staaten Osteuropas neue Herausforderungen dar – sowohl realpolitisch wie auch wissenschaftlich. So bot sich nun die Möglichkeit, das politische Vertrauen unter dem Aspekt aktueller institutioneller Gegebenheiten zu untersuchen, und zwar unter völlig anderen Voraussetzungen als in den etablierten Demokratien. Aus dem Vergleich von alten und neuen Systemen ließen sich wertvolle Erkenntnisse über die Entstehungsbedingungen von Demokratievertrauen gewinnen (vlg. z.B. Mishler/Rose 2001).

Dass mit dem einstweiligen Ende der globalen Systemkonkurrenz keinesfalls das „Ende der Geschichte“ (Fukuyama) erreicht worden war, wurde schnell deutlich. Politische Stabilität durch wirtschaftlichen Fortschritt sicherzustellen wird schwieriger, wenn längst totgesagte Verteilungsprobleme wieder stärker auf der Tagesordnung erscheinen. Gerade für Europa könnten sich die Beschwichtigungsversuche schnell als voreilig herausstellen.[8] Die demokratischen Systeme geraten erneut unter Druck; diesmal allerdings weniger von innen heraus, als vielmehr von außen. Prozesse der Internationalisierung von Wirtschaft und Politik belasten die nationalen Institutionen in einer völlig neuen Weise. Das Problem liegt heute nicht etwa darin, dass die Ansprüche der Bürger an Leistungen des Staates gestiegen sind, sondern vielmehr darin, dass die Leistungsfähigkeit des Staates zu sehr gesunken ist, um den bereits bestehenden Erwartungen überhaupt noch gerecht zu werden. Dabei geht es nicht nur um die absolute Höhe materieller Leistungen, sondern mindestens ebenso sehr um Fragen der Gerechtigkeit ihrer Verteilung innerhalb von Gesellschaften. Die neuere Literatur zum politischen Vertrauen betont deshalb weniger Aspekte der demokratischen Legitimität (obwohl auch diese am Ende betroffen sein könnten), als vielmehr der Funktionsfähigkeit (performance) der Systeme (vgl. Nye/Zellikow/King 1997; Norris 1999; Pharr/Putnam 2000). Die neuen Spannungen, denen demokratische Systeme im globalen Wettbewerb ausgesetzt sind, und die Repräsentation in Mehrebenensystemen wie der Europäischen Union stellen allem Anschein nach eine viel größere Herausforderung dar, als die vermeintliche Krise der siebziger Jahre (vgl. auch Fuchs/Klingemann 1995).

3. Staatliche Handlungskapazität und politisches Vertrauen

Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist der Einfluss staatlicher Handlungskapazität auf politisches Vertrauen. Während das Handeln politischer Akteure und die daraus resultierende ökonomische Realität als mögliche Einflussfaktoren für politisches Vertrauen vielfältig untersucht worden sind, ist dem Aspekt der Möglichkeiten und Macht des Staates nur wenig Beachtung geschenkt worden (vgl. aber die Ansätze von Orren 1997; Scharpf 2000).

Machtbeziehungen bilden nach Michel Foucault ein dynamisches Netz, das die Vielfalt beweglicher Kräfteverhältnisse darstellt, die in der Gesellschaft jederzeit präsent sind. Macht lässt sich in diesem funktionalistischen Paradigma begreifen als ein Medium, durch welches bestimmte soziale Beziehungen entstehen und sich verändern.[9] In Bezug auf die staatliche Handlungskapazität ist vor allem der instrumentell-politische Aspekt der Macht relevant, der hier in seiner gesellschaftlichen Steuerungsfunktion zum Vorschein kommt. Die staatlichen Institutionen sind dabei Machtressourcen, die den Akteuren einen gewissen Einfluss auf die Gestaltung der sozialen Umwelt erlauben; ihnen gleichsam politische Macht verleihen. Der Staat ist somit ein „Instrument der Steuerung im gesellschaftlichen Spiel der Macht“ (Nohlen 1998: 313), welches nach Belieben der Akteure eingesetzt werden kann. In der Demokratie ist jeder Einsatz dieser Macht prinzipiell nur dann legitim, wenn er sich auf den Volkswillen zurückführen lässt. Macht allein ist somit keine hinreichende, aber eine notwendige Bedingung für legitimes staatliches Handeln in repräsentativ-demokratischen Systemen. Ohne Macht ist Politik schlechthin nicht denkbar. Die Möglichkeiten staatlichen Handelns beruhen jedoch nicht allein auf der Machtposition staatlicher Akteure, sondern stehen und fallen auch mit den Machtpositionen anderer gesellschaftlicher Kräfte. Der Staat verfügt also nicht etwa über ein Machtmonopol, sondern befindet sich in ständiger Konkurrenz mit diesen anderen gesellschaftlichen Akteuren, die bestrebt sind, den gesellschaftlichen Wandel nach je eigenen Interessenlagen mitzubestimmen. Ferner wird der potentielle Einfluss staatlicher Akteure durch den Aktionsradius anderer Staaten sowie internationaler oder suprastaatlicher Organisationen eingedämmt. Nicht zuletzt begrenzen die einzelnen staatlichen Institutionen sich gegenseitig bei der Ausübung politischer Macht, weshalb der Staat nicht als ein kohärenter, zentral gesteuerter Machtfaktor aufgefasst werden sollte. Staatliche Handlungskapazität kann somit begriffen werden als die Bandbreite der unter diesen Prämissen praktisch realisierbaren Möglichkeiten der gesellschaftlichen Einflussnahme durch die staatlichen Akteure mittels des Instrumentes staatlicher Institutionen.[10]

Wenn nun politisches Vertrauen aufgefasst wird als die subjektive Einschätzung darüber, ob „die Politik ihre Sache gut machen wird“,[11] dann könnten Vermutungen über die Handlungskapazität des Staates eine bedeutende Rolle spielen. Schließlich ist (staatliche) Handlungskapazität die Voraussetzung dafür, überhaupt Politik zu machen.

Wie ist es nun bestellt um die staatliche Handlungskapazität in Zeiten der so genannten Globalisierung? Es ist mehr als genug geschrieben worden über die zunehmende Verflechtung der Weltwirtschaft, die Entgrenzung von Politik und dem Ende des Staates, wie er heute existiert.[12] Fest steht, dass technologische Innovationen auf der einen- und legal-politische Entwicklungen auf der anderen Seite einem immer stärkeren internationalem Wettbewerb Vorschub geleistet haben, der neben einem kaum zu bestreitenden ökonomischem Wachstum erhebliche politische Zwänge mit sich gebracht hat und deren Aufhebung sich der Macht des einzelnen Staates weitgehend entzieht. Durch die legale Bindung an Abkommen und die Mitgliedschaft in internationalen Organisationen reduzieren sich die Handlungsoptionen des Staates, und der verschärfte internationale Konkurrenzkampf um Investitionen engt die Bewegungsfreiheit – und damit die Gestaltungsmacht – politischer Akteure zusätzlich ein: „Im transnationalen Machtspiel wird [die] territoriale Organisationsmacht [der Staaten] unterlaufen und durch so etwas wie transnationale Entzugsmacht ersetzt. […] Die territorial gebundene und begründete parlamentarische Demokratie verliert an Substanz, während die Gestaltungsmacht transnationaler ‚Politik’ ohne demokratische Legitimation wächst“ (Beck 1998: 25, 18; Herv. i. Orig.). Verbunden hiermit ist eine Einschränkung der veritablen Handlungsoptionen in der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik.

4. Der europäische Integrationsprozess

Der Prozess der Integration – gemeint ist hier die Integration im Rahmen der Europäischen Union bzw. der Europäischen Gemeinschaft – stellt im Rahmen der oben dargelegten Zusammenhänge ein besonders interessantes Untersuchungsobjekt dar. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges prägte er die strukturellen Veränderungen der politischen Realität innerhalb und zwischen den Mitgliedstaaten wohl mehr als jede andere Entwicklung. Heute wird darüber diskutiert, ob die Europäische Union bereits bundesstaatlichen Charakter angenommen habe und somit die staatliche Souveränität ihrer Mitglieder nachhaltig in Frage stelle (vgl. zum Rechtsstreit einleitend Doerfert 2001: 14f.).

Der wirtschaftliche Konkurrenz- und Anpassungsdruck, der für die Globalisierung kennzeichnend ist, dürfte zwischen den EU-Staaten besonders spürbar sein, da die Abschaffung der Binnenzölle und andere Regelungen den Schutz und die Förderung des eigenen Produktionsmarktes weitgehend unmöglich machen. Das internationale Ringen um den attraktivsten Investitionsstandort engt den faktischen Gestaltungsspielraum politischer Akteure in nationalen Institutionen drastisch ein. Mit der Verlagerung immer weiterer politischer Sachzuständigkeiten (Kompetenzen) von der Entscheidungsebene des Nationalstaates auf die Organe der Europäischen Gemeinschaften[13] gehen weitreichende Veränderungen der staatlichen Handlungskapazität einher. Insbesondere die so genannten Grundfreiheiten,[14] die im Rahmen des europäischen Binnenmarkts in den Gemeinschaftsvertrag aufgenommen worden sind, sowie die Errichtung der Wirtschaft- und Währungsunion, welche unter anderem die Grundlage der Euro-Stabilitätskriterien bildet, begrenzen den rechtlichen Wirkungsbereich der nationalen Akteure. Hinzu kommt, dass der einzelne Mitgliedsstaat die Gemeinschaftsrechtssetzung wegen der Ausweitung des Mehrheitsprinzips und des Verfahrens der Mitentscheidung tendenziell immer weniger kontrollieren kann. Währenddessen greift der Europäische Gerichtshof mit seiner Rechtssprechung – die nicht zu Unrecht oft als expansiv bezeichnet wird – tief in innerstaatliches Recht ein.

Unzählige mehr oder weniger wissenschaftliche Werke und Aufsätze befassen sich mit den mannigfaltigen Facetten dieser Entwicklung für die Legitimation politischer Entscheidungen und für die Demokratie in der Union sowie in den Mitgliedsstaaten (siehe als gutes Bsp. Schuppert 2000). Häufig wird ein „demokratisches Defizit“ beklagt oder eine „europäische Identität“ vermisst, weshalb einige Autoren fordern, die Integration der Europäischen Union rasch voran zu treiben, während andere mahnen, es sei schon zu weit gegangen worden. Wenig erforscht worden ist demgegenüber der Einfluss, den die Europäische Integration auf das politische Vertrauen der Bürger haben könnte,[15] und gänzlich unbeachtet geblieben ist die Frage, welche Rolle Vermutungen über die Handlungskapazität des eigenen Staates und der Gemeinschaft dabei spielen.[16]

Welche Wirkung hat es auf das Vertrauen der Bürger, wenn beispielsweise ein Finanzminister seine Politik mit Verweis auf „blaue Briefe“ aus Brüssel begründet und wenn das höchste Gericht durch Urteile aus Luxemburg „überstimmt“ wird (z.B. beim Dienst an der Waffe durch Frauen). Welchen Eindruck mag es hinterlassen, wenn nationale Behörden das seit Jahrhunderten bestehende und geschätzte Reinheitsgebot für Bier ad acta legen müssen, wenn der Staat seinen Bürgern nicht mehr das Gefühl geben kann, vor „Rinderwahnsinn“ geschützt zu sein und vom Bankrott bedrohte Arbeitsplätze nicht mehr durch Subventionen erhalten kann? Welche Probleme können Politiker lösen, die in Institutionen arbeiten, welche ihnen immer weniger Einfluss auf die gesellschaftlichen Zustände und Entwicklungen ermöglichen? Inwieweit kann ihnen die Gestaltung der Zukunft noch sinnvoller Weise anvertraut werden, wenn sie selbst nicht frei zu agieren-, sondern höheren Zwängen zu unterliegen scheinen?

Auch wenn den meisten Bürgern die Einzelheiten der Kompetenzverteilung zwischen ihrem Staat und der Europäischen Union nicht bekannt sein werden, und obwohl längst nicht alle den Anpassungsdruck erkennen werden, der sich aus dem internationalen wirtschaftlichem Wettbewerb ergibt, so ist es doch plausibel dass sich ein diffuser Eindruck von politischer Unbeweglichkeit ausbreitet. Die Tatsache, dass gerade von Politikern regelmäßig die vermeintliche Alternativlosigkeit von Politik zur Rechtfertigung unliebsamer Entscheidungen bemüht wird, dürfte maßgeblich zu einem solchen Eindruck beitragen.

5. Zum Aufbau der Arbeit

Im folgenden Kapitel wird das Phänomen des politischen Vertrauens zunächst über die Bedeutung des Begriffs näher erschlossen. Es werden unterschiedliche politikwissenschaftliche Definitionen präsentiert, um danach eine Bestimmung des politischen Vertrauensbegriffs vorzunehmen, die den analytischen Zwecken dieser Arbeit angemessen ist. Kapitel 3 gilt den verschiedenen theoretischen Ansätzen, die sich mit den Ursachen – und damit zum Teil auch dem Wesen – des politischen Vertrauens beschäftigen. Dabei dient David Eastons Konzept politischer Unterstützung, welches gewissermaßen den Anfang der empirischen Forschung über politisches Vertrauen markiert, als Schablone, in welche sich die seither entstandenen wissenschaftlichen Erklärungen einordnen lassen. Im Anschluss an die theoretische Diskussion folgt ein Zwischenfazit, in welchem die Erklärungskraft der verschiedenen Ansätze in Bezug auf die in Kapitel 2 vorgenommene Definition von politischem Vertrauen erörtert wird. Es wird festgestellt, dass der Kontext, in welchem die Institutionen des politischen Systems mit ihrer Umwelt verbunden sind, nicht genügend berücksichtigt wird. In Kapitel 4 wird deshalb ein Modell vorgeschlagen, das zwar auch die Akteure und internen Strukturen der politischen Institutionen als Erklärungsfaktoren für politisches Vertrauen berücksichtigt, zusätzlich aber die Möglichkeiten politischer Steuerung – gewissermaßen als über den Institutionen rangierende Ebene – integriert.

Da dieses Modell nach den theoretischen Überlegungen insbesondere für die Erklärung von politischem Vertrauen in demokratischen Mehrebenensystemen hilfreich sein dürfte, wird es in Kapitel 5 auf die Europäische Union angewendet. Es werden Hypothesen bezüglich der staatlichen Handlungskapazität und des politischen Vertrauens der Bürger im Prozess der europäischen Integration entwickelt und Möglichkeiten ihrer Operationalisierung auf der Grundlage vorhandener empirischer Daten vorgeschlagen. Da sich bei der Suche nach geeigneten Indikatoren große Schwierigkeiten auftun, kann die Überprüfung der Hypothesen nicht vollends zufrieden stellend ausfallen. Eine Verifikation des Modells aus Kapitel 4 ist mit dieser Überprüfung nicht möglich, da die staatliche Handlungskapazität erstens nur einen – wenngleich zunehmend bedeutenden – Einflussfaktor für die Herausbildung von politischem Vertrauen darstellt und zweitens nur bedingt von den Bürgern wahrgenommen werden dürfte, so dass ihr tatsächlicher Effekt teilweise im Dunkeln bleibt. Eine komparative Untersuchung für jeden einzelnen Mitgliedstaat der Union kann aufgrund der verfügbaren empirischen Daten nicht geleistet werden. Im abschließenden Kapitel werden neben einer Bewertung der Ergebnisse der Arbeit und einem spekulativen Ausblick für die weitere Entwicklung von politischem Vertrauen in den repräsentativen Demokratien Europas einige Anregungen für die weitere Forschung zum Zusammenhang von politischem Vertrauen und staatlicher Handlungskapazität gegeben.

Kapitel 2: Das Phänomen des politischen Vertrauens: Begriffsbestimmung

Obwohl der Begriff des politischen Vertrauens in der Politikwissenschaft immer häufiger verwendet wird, ist sein konzeptioneller Status bis heute weitgehend unklar geblieben (vlg. Walz 1996a: 74f.). In diesem Kapitel sollen zunächst einige allgemeine Schwierigkeiten beleuchtet werden, die bei der Übertragung des Begriffs „Vertrauen“ vom alltäglichen Sprachgebrauch auf politische Kontexte auftreten. Danach werden einige Definitionen präsentiert, die insofern eine zentrale Stellung in der Politikwissenschaft einnehmen, als oft auf sie zurückgegriffen wird. Dennoch kann je nach Forschungsinteresse eine eigene Begriffsdefinition notwendig sein, und eine genaue Spezifizierung über die Verwendung des Begriffs ist in jedem Einzelfall unerlässlich. Dem soll auch für die vorliegende Arbeit Rechnung getragen werden, weshalb am Ende dieses Kapitels eine Definition steht, auf die im Verlauf der Arbeit immer wieder zurückgegriffen wird.

1. Allgemeines

Der politische Vertrauensbegriff bereitet gewisse Schwierigkeiten, und dies vor allem, weil „Vertrauen“ im allgemeinen Sprachgebrauch persönliche soziale Beziehungen zwischen Personen charakterisiert, nicht aber eine politische Einstellung. Eine politische Entscheidung kann gefallen oder missfallen, eine Forderung kann begrüßt oder bekämpft werden, ein prominenter Politiker kann ehrlich oder falsch wirken, eine Regierung kann für korrekt oder korrupt gehalten werden. Aber was ist politisches Vertrauen: nichts davon oder vielleicht von allem ein Bisschen?

Weiter erschwert wird die Interpretation des Begriffs durch seine konnotative Doppelbesetzung. So meint Vertrauen erstens eine passive, hoffnungsvolle Antizipation, Vermutung, oder ein Sich-verlassen-auf (ich vertraue darauf, dass es morgen regnet) und zweitens eine eher aktive Forderung, einen Auftrag oder eine moralische Erwartung (ich vertraue Dir diese Aufgabe an – und erwarte, dass Du sie zu meiner Zufriedenheit ausführst).[17] Beide Bedeutungselemente scheinen wichtig zu sein, so dass Vertrauen prinzipiell aus einer positiven und einer normativen Komponente besteht. Und beide sollten sich daher auch im politischen Vertrauensbegriff wieder finden. Vertrauensbeziehungen verbinden prinzipiell ein Subjekt (der, der vertraut) mit einem Objekt (der, dem vertraut wird), wobei die Intensität der Vertrauensbeziehung von Eigenschaften beider Seiten abhängt, nämlich von der Vertrauensseeligkeit des Vertrauenden und der Vertrauenswürdigkeit des Vertrauten. Auch dies sollte beim Begriff des politischen Vertrauens berücksichtigt werden.

Das Objekt des politischen Vertrauens ist nun im Gegensatz zum interpersonellen Vertrauen in der Regel keine dem Subjekt persönlich bekannte leibhaftige Person, sondern ein anonymer politischer Akteur,[18] eine politische Partei, eine politische Institution oder das politische System als ganzes. Gleichheit und Gegenseitigkeit sind in der Bindung des Bürgers an den Staat nicht gegeben, weshalb beim politischen Vertrauen (vertikale Vertrauensbeziehung) andere Prämissen gelten als beim Vertrauen in Mitmenschen (horizontale Vertrauensbeziehung).[19] Mitunter wird vermutet, dass die Bürger prinzipiell kein Vertrauen in den Staat haben können, es sei denn, dass der Begriff des Vertrauens im politischen Kontext etwas ganz anderes meint als in persönlichen sozialen Beziehungen (vgl. Hardin 1999: 23).[20] In der Tat lässt sich hinterfragen, ob der individual-psychologische Entstehungshintergrund des wissenschaftlichen Vertrauensbegriffes einen Bezug zu politischen Institutionen – die keine Akteursqualität besitzen – überhaupt sinnvoll erscheinen lässt (vgl. Schaal 2002: 377; Offe 2001: 245). Dass jedoch im realpolitischen Alltag immer wieder von „Vertrauenskrisen“ die Rede ist, spricht dafür, dass es richtig war, den Begriff diesbezüglich auszudehnen. Unbedingte Voraussetzung für eine sinnvolle Verwendung im politisch-institutionellen Kontext ist natürlich in jedem Einzelfall eine Spezifizierung darüber, was unter dem Begriff verstanden werden soll.

2. Politikwissenschaftliche Definitionen

In die politikwissenschaftliche Diskussion wurde der Begriff des politischen Vertrauens (political trust) 1962 von Donald E. Stokes eingebracht als „a basic evaluative or affective orientation toward government“ (Stokes 1962, nach Miller 1974a: 952 ). Seitdem hat er einige alternative sowie spezifizierende Interpretationen erhalten. Die sehr allgemein gehaltene Definition von Stokes (zumal der Begriff „ government “ im amerikanischen Sprachgebrauch einen weiten Umfang misst) wird wenig Widerspruch hervorrufen, taugt jedoch auch kaum zur Abgrenzung des politischen Vertrauens von allen andern bewertenden oder affektiven politischen Grundeinstellungen. 1971 konkretisiert William A. Gamson: „[Trust] refers to the general expectations people have about the quality of the product that the political system produces” (Gamson 1971: 41), wobei: „[the] political trust of a solidarity group is its perception of the efficiency of the political system in achieving collective goals and its bias in handling conflicts of interest“ (Gamson 1968: 53). Er lenkt damit den Blick auf politische Entscheidungen und Handlungen. Paul A. Abramson beschreibt Vertrauen in „leaders of the political system“ 1972 als „the belief that they will usually be honest and will usually act in the interests of the people.” Ferner: „Feelings of trust may also involve a belief that leaders are competent.” (Abramson 1972: 1245). In dieser Interpretation sind die politischen Führer Objekt des Vertrauens und die Kriterien der Bewertung sind gemischt: einerseits Eigenschaften der Politiker selbst und andererseits die Umsetzung politischer Interessen. Arthur H. Miller verallgemeinert wieder und bringt persönliche normative Erwartungen wieder stärker ins Spiel – allerdings eher bezogen auf Prozesse denn auf Ergebnisse – indem er Vertrauen 1974 definiert als „the belief that the government is operating according to one’s normative expectations of how government should function. […] At an abstract, conceptual level, trust in government – through the notion of legitimacy – becomes associated with questions of identification with, or estrangement from, political institutions, symbols and values“ (Miller 1974b: 989).

Eine Zusammenführung dieser Interpretationen zu einem allgemein verbindlichen Begriff des politischen Vertrauens ist nicht möglich. Jede Auffassung hat ihren eigenen Schwerpunkt und dient einem eigenen Forschungsinteresse. Es soll an dieser Stelle nur festgehalten werden, dass politisches Vertrauen einen Bezug zu Erwartungen über das Funktionieren und/ oder die Ergebnisse politischer Prozesse aufweist. Durch diese Zukunftsorientierung unterscheidet es sich prinzipiell von Zufriedenheit mit konkreten politischen Entscheidungen und Handlungen.[21]

3. Politisches Vertrauen im Rahmen dieser Arbeit

Politisches Vertrauen soll in dieser Arbeit verstanden werden als die angenommene Wahrscheinlichkeit dafür, dass das politische System[22] tatsächlich so auf gesellschaftliche Probleme[23] reagiert, wie es von ihm erwartet wird. Das Maß an politischem Vertrauen entspricht somit einer Einschätzung darüber, inwieweit das politische System die ihm zugedachte gesellschaftliche Funktion angemessen erfüllt.

Diese Definition hat – und unterscheidet sich damit von einigen der oben vorgestellten – folgende Charakteristika: Politisches Vertrauen ist eine instrumentalistische, nicht-moralische Einstellung – ohne dass damit jedoch etwas über seine Entstehungsgründe gesagt wäre. Es bezieht sich nicht auf ein spezielles Objekt oder eine bestimmte Ebene des politischen Systems, sondern auf das System als ganzes.[24] Politisches Vertrauen ist damit eine generelle Vermutung über die Zufriedenheit mit zukünftigen politischen Entscheidungen und Handlungen auf der Grundlage normativer Erwartungen. Diese Definition grenzt den Begriff des politischen Vertrauens eindeutig von Legitimitätsüberzeugungen ab und ist schlanker als die meisten alternativen Konzepte.

Kapitel 3: Das Phänomen des politischen Vertrauens: Verschiedene Konzepte

In diesem Kapitel werden diverse theoretische Konzepte dargestellt, die alle versuchen, die Gründe für politisches Vertrauen und seine Schwankungen im Zeitverlauf zu erklären. Im Anschluss daran wird resümiert, inwiefern sich diese Konzepte im Hinblick auf die Fragestellung der vorliegenden Arbeit als nützlich erweisen. Um die große Bandbreite völlig unterschiedlicher Denkansätze aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen arbeitsökonomisch zu bewältigen, soll hier nicht ein Ansatz nach dem anderen abgehandelt werden. Stattdessen wird das Konzept politischer Unterstützung von David Easton im Zentrum stehen und für die Einordnung der einzelnen Ansätze als Schablone dienen. Diese Vorgehensweise bietet sich an, da Eastons Konzept als Ausgangspunkt für die empirische Vertrauensforschung angesehen werden kann (vgl. Easton 1975: 235) und von den meisten Autoren als theoretischer Bezugsrahmen herangezogen wird (vgl. Fuchs 1989: 12; Westle 1989: 91ff.). Das Konzept soll deshalb zunächst dargestellt werden.

1. David Eastons Konzept politischer Unterstützung

1.1. Politische Unterstützung

Das Konzept politischer Unterstützung ist bei Easton eingebunden in eine funktionalistische Theorie des politischen Systems (vgl. Easton 1965a). Primäre Funktion des Systems Politik ist danach die kollektiv verbindliche Zuteilung von Werten – materieller wie auch ideeller Natur – an die Gesellschaft (vgl. Easton 1965b: 21). Politische Entscheidungen (outputs) stellen damit Reaktionen auf diverse gesellschaftliche Forderungen (demands) bezüglich der Verteilung dieser Werte dar; wobei jene Strukturen und Prozesse, welche die gesellschaftlichen Forderungen in verbindliche Entscheidungen umwandeln, das politische System bilden (vgl. Easton 1965b: 21, 29).

Um seine gesellschaftliche Funktion ausüben zu können, und um seinen eigenen Fortbestand (persistence) zu gewährleisten (vgl. Easton 1965b: 211), bedarf das politische System eines gewissen Maßes an Unterstützung (s upport) in der Gesellschaft, welches es durch ständige Anpassung an seine Umwelt selbst generieren muss. Unterstützung und Forderungen bilden somit die zwei Einflussvariablen (inputs) in Eastons Modell, wobei diese selbst wiederum durch die Rückwirkungen (feedback) der politischen Entscheidungen auf die System-Umwelt beeinflusst werden, so dass sich ein Kreislauf ergibt (vgl. Easton 1965b: 32). Easton beschreibt Unterstützung allgemein als: „an attitude by which a person orients himself to an object either favorably or unfavorably, positively or negatively. Such an attitude may be expressed in parallel action” (Easton 1975: 436).

Politische Unterstützung ist dementsprechend eine Einstellung oder ein Gefühl, mit deren Hilfe sich eine Person einem politischen Objekt bewertend gegenüberstellt.[25] Easton geht davon aus, dass weniger das politische System als solches unterstützt wird, als vielmehr seine einzelnen Bestandteile. Bezugsobjekte politischer Unterstützung sind danach die politischen Herrschaftsträger[26] (political authorities), die politische Ordnung[27] (regime), sowie die politische Gemeinschaft (political community). Nur die ersten beiden sind im Rahmen dieser Arbeit von Interesse;[28] Easton selbst widmet dem Bezug zur politischen Gemeinschaft mitunter geringere Aufmerksamkeit (vgl. Easton 1975: 235).

1.2. Objekte politischer Unterstützung

Die politischen Herrschaftsträger sind nach Easton jene Menschen, die in die politischen Strukturen eingebunden sind, indem sie dort Rollen besetzen, welche ihnen die kollektiv legitimierte Verantwortung verleihen, verbindliche Entscheidungen zu treffen (vgl. Easton 1965b: 216).[29] Von dort aus beeinflussen sie das alltägliche politische Geschäft mehr oder weniger stark: „The influence of the occupants of the authority roles in the conversion of demands into outputs will depend upon the specific relationships between them and all other members in a system. Although a position of authority in a system may well be the source of an independent base of power and alerts the observer to look for it, nevertheless on occasion, as in some dictatorial systems today, the authorities may be virtually devoid of all influence.” (Easton 1965b: 215).[30] Unterstützung der politischen Herrschaftsträger ist nötig, damit diese die von ihnen erwarteten Aufgaben angemessen erfüllen können (vgl. Easton 1965b: 216).

Die politische Ordnung bildet den Rahmen innerhalb dessen sich die aktuelle Politik abspielt. Sie setzt sich aus drei Elementen zusammen, die sich hierarchisch ordnen lassen, nämlich Werte (values), Normen (norms) und Herrschaftsstrukturen (structures of authority). „The values serve as broad limits with regard to what can be taken for granted in the guidance of day-to-day-policy without violating deep feelings of important segments of the community. The norms specify the kind of procedures that are expected and acceptable in the processing and implementation of demands. The structures of authority designate the formal and informal patterns in which power is distributed and organized with regard to the authoritative making and implementing of decisions – the roles and their relationships through which authority is distributed and exercised.” (Easton 1965b: 193) Alle drei zusammen regeln und begrenzen also die politische Praxis. Unterstützung für jedes dieser drei Elemente ist die Bedingung für den Fortbestand (persistence) der politischen Ordnung insgesamt.

Das Unterstützungsobjekt „politische Ordnung“ unterscheidet sich somit vom Unterstützungsobjekt „politische Herrschaftsträger“ durch seine größere Dauerhaftigkeit. Während die Herrschaftsträger meist kurzfristig wechseln, ändern sich die Werte, Normen und Strukturen des Systems im Zeitverlauf relativ langsam (siehe Abb. 3.1).

1.3. Arten politischer Unterstützung

In Analogie zu dieser Differenzierung lässt sich auch der Unterschied zwischen den zwei Arten von politischer Unterstützung darstellen, die Easton beschreibt, nämlich spezifische Unterstützung (specific support) und diffuse Unterstützung (diffuse support). Während sich spezifische Unterstützung nur auf die politischen Herrschaftsträger bezieht und relativ kurzfristig gewährt und entzogen wird, richtet sich diffuse Unterstützung auf alle drei Objekte des politischen Systems und zeichnet sich durch größere Beständigkeit aus. In ihrer Auswirkung auf die Stabilität des politischen Systems sind die beiden Unterstützungsarten bis zu einem gewissen Grad komplementär zueinander; dennoch haben sie je eigene Ursachen und Konsequenzen für das Funktionieren des Systems (vgl. Easton 1975: 444).

Spezifische Unterstützung speist sich vor allem aus der Bewertung der Leistung der Herrschaftsträger (performance) und der Zufriedenheit mit deren politischen Entscheidungen (output) bzw. den Konsequenzen dieser Entscheidungen (outcomes). Sie ist damit Resultat einer persönlichen instrumentellen Abwägung über Vor- und Nachteile, die aus konkreten politischen Maßnahmen erwachsen. Es lässt sich sofort erkennen, dass hier regelmäßig Personen enttäuscht sein werden, da dem System die Möglichkeit fehlt, stets allen Forderungen (demands) gleichzeitig nachzukommen. Kurzfristige Schwankungen des Ausmaßes an spezifischer Unterstützung sind ständig zu erwarten. Sobald viele Personen gleichzeitig frustriert sind – etwa als Ergebnis einer wirtschaftlichen Inflation oder kriegerischen Auseinandersetzung – kommt es zu einem allgemeinen Entzug spezifischer Unterstützung. Deshalb ist es unwahrscheinlich, dass ein System auf Dauer allein auf der Grundlage spezifischer Unterstützung bestehen kann (vgl. Easton 1965b: 270).

Diffuse Unterstützung ist hingegen weitgehend unabhängig von konkreten politischen Entscheidungen. Sie richtet sich auf das, was ein Objekt ist oder repräsentiert – auf dessen allgemeine Bedeutung für eine Person –, nicht auf das, was es tut. Als „reservoir of favorable attitudes or good will“ trägt diffuse Unterstützung dazu bei, auch persönlich unliebsame Entscheidungen zu akzeptieren (vgl. Easton 1975: 444). Sie kann als eine tief sitzende affektive Bindung bezeichnet werden, die durch frühkindliche und spätere Sozialisation entsteht, aber auch – und dieser Punkt ist wichtig – durch unmittelbare Erfahrungen (vgl. Easton 1975: 445). Während also einerseits diffuse Unterstützung einem System die Sicherheit gibt, auch „harte Zeiten“ – also andauernde und weit verbreitete output -Frustration – zu überstehen, ist es andererseits selbst nicht ganz unabhängig von konkreten politischen Handlungen. Denn Easton geht davon aus, dass Bewertungen der Herrschaftsträger und ihrer Leistung, wenn sie über einen längeren Zeitraum hinweg auftreten und besonders, wenn sie Perioden verschiedener Herrschaftsträger (z.B. amtierende Regierungen) überdauern, über die eigenen Erfahrungen auf diffuse Unterstützung überschwappen (spill-over effect). Sie beziehen sich dann nicht mehr auf bestimmte Entscheidungen, sondern lösen sich von dieser Grundlage und wandeln sich in allgemeine Einstellungen gegenüber den Herrschaftsträgern oder der politischen Ordnung um (vgl. Easton 1975: 446).[31]

Easton unterscheidet bei diffuser Unterstützung für die politische Ordnung und die politischen Herrschaftsträger jeweils zwei affektive Ausprägungen oder Dimensionen, nämlich Legitimität (legitimacy) und Vertrauen (trust). Mit anderen Worten: diffuse Unterstützung für beide Objekte kann sich entweder in Überzeugungen von der Legitimität des Objekts – verstanden als persönliche moralisch-ethische Gutheißung desselben – und / oder in Vertrauen oder Zuversicht (confidence) in das Objekt ausdrücken (vgl. Easton 1975: 446ff.). Beide Komponenten diffuser Unterstützung können unabhängig voneinander variieren, so dass den politischen Herrschaftsträgern bei Verlust des Vertrauens in ihre Führungsfähigkeit nicht automatisch das moralische Recht, zu regieren und Gehorsam zu erwarten, aberkannt wird. Beide Komponenten stabilisieren das System gegenüber kurzfristigen Schwankungen spezifischer Unterstützung (vgl. Easton 1975: 453). [32]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3.1: Eastons Konzept politischer Unterstützung

2. Zum politischen Vertrauen bei David Easton

Easton definiert Vertrauen als „the probability that the political system (or some part of it) will produce preferred outcomes even if left untended“ (Easton 1975: 447), also als die Wahrscheinlichkeit dafür, dass das politische System von sich aus – also ohne eigenes Zutun oder Kontrolle – bevorzugte Ergebnisse produzieren wird.[33] Vertrauen entspringt – wie spezifische Unterstützung – aus Zufriedenheit mit der Leistung und den Entscheidungen der politischen Herrschaftsträger. Obwohl es damit letztendlich auf der Wahrnehmung und Bewertung konkreter politischer Prozesse und Handlungen beruht, konzeptualisiert Easton es als Ausprägung diffuser politischer Unterstützung. Er begründet dies mit dem Kriterium der Generalisierung (Easton 1975: 448, 449), wie es weiter oben bereits angesprochen wurde: „In time, such sentiments may become detached from the authorities themselves and take the form of an autonomous or generalized sentiment towards all incumbent authorities and perhaps the regime as well“ (Easton 1975: 448, eigene Herv.). Easton schließt nicht aus, dass auch Sozialisationsprozesse einen Einfluss auf Vertrauen haben, dass Vertrauen somit zumindest zum Teil auch gelernt wird (vlg. Easton 1975: 448). Es wird leider nicht deutlich, ob Vertrauen nun mehr auf angelerntem sozialem Verhalten oder aber mehr auf der generalisierten Bewertung politischer Prozesse und Ergebnisse beruht.[34] In jedem Fall wird Vertrauen stärker rational-instrumentell begründet als Legitimitätsüberzeugungen, welche sich an Werten und Normen orientieren, und deshalb tiefer im Unterbewusstsein verwurzelt sind.

Es scheint daher fragwürdig, Vertrauen gemeinsam mit Legitimitätsüberzeugung der diffusen Unterstützungsdimension zuzuordnen.[35] Es ergibt sich ein Widerspruch zwischen der instrumentellen Definition des Vertrauens über die „outcomes“ einerseits, und der affektiven Qualität diffuser Unterstützung andererseits, die ein Objekt ja gerade nicht danach bewertet, was es tut, sondern danach, was es ist oder repräsentiert.[36]

Unabhängig davon stellt sich die Frage, wie sich Vertrauen, nachdem es einmal den Prozess der Generalisierung durchlaufen und somit ein höheres Abstraktionsniveau in der Hierarchie politischer Einstellungen erreicht hat, überhaupt noch auf bestimmte Herrschaftsträger beziehen kann. Eigentlich kann sich Vertrauen in diesem Fall nur auf die politische Ordnung (regime) – und hier insbesondere auf die Struktur – beziehen, was bei Easton aber wiederum nur vielleicht der Fall ist. Denn wenn es prinzipiell alle Herrschaftsträger betrifft, ist offenbar nicht der einzelne Rolleninhaber Adressat des Vertrauens, sondern vielmehr die Rolle als solche. Um diese Ungereimtheit zu beseitigen, empföhle sich als kleine Änderung des Modells, die Entstehungsgründe für Vertrauen weiterhin auf der Ebene der Herrschaftsträger zu belassen – da sich Vertrauen ja langfristig durch generalisierte tagespolitische Erfahrungen nähren soll –, als Bezugsobjekt aber lediglich die politische Ordnung zuzulassen.[37]

Welche Erkenntnisse lassen sich aus Eastons Modell für die Fragestellung dieser Arbeit gewinnen? Während Vertrauen bei Easton in der Funktion betrachtet wird, die es für den Fortbestand des politischen Systems ausübt, richtet sich das Interesse der vorliegenden Arbeit mehr auf die Ursache des Vertrauens; auf seine Entstehung. Durch eine über das Konzept politischer Unterstützung hinausgehende Betrachtung von Eastons politischer Systemtheorie insgesamt, lässt sich die Entstehung des politischen Vertrauens in Eastons Modell zurückverfolgen: Vertrauen ist zunächst eine Dimension diffuser politischer Unterstützung und damit auch ein Teilaspekt von politischer Unterstützung insgesamt. Das politische System ist von sich aus bestrebt, ständig genügend Unterstützung zu generieren, um seinen eigenen Fortbestand zu sichern, und es steht ihm dazu nur der output -Kanal zur Verfügung. Die politischen Herrschaftsträger werden also bemüht sein, mit ihren Entscheidungen und Handlungen möglichst vielen Forderungen aus der Gesellschaft in möglichst hohem Maße nachzukommen, da dieses ihnen im Gegenzug Unterstützung einbringt. In je geringerem Maße dies gelingt - je schlechter also das Verhältnis zwischen Forderungen (demands) und Entscheidungen/ Handlungen (outputs), desto weniger Unterstützung wird generiert. Fällt das Maß an Unterstützung unter eine für den Fortbestand des politischen Systems kritische Grenze, tritt ein Zustand ein, den Easton als Politikversagen (output failure) bezeichnet (vgl. Easton 1965b: 59). Politikversagen hat seine Gründe entweder in den persönlichen Qualitäten der Herrschaftsträger – Fehlbarkeit, Wissen, Fähigkeiten, Responsivität –, in mangelnder Ausstattung der Herrschaftsträger mit notwendigen Ressourcen oder in der Tatsache, dass systemintern zu große Konflikte, Meinungsverschiedenheiten oder Spaltungen bestehen (vgl. Easton 1975: 232f.). Von staatlicher Handlungskapazität ist nicht die Rede; sie könnte aber mit der Ressourcenausstattung zusammenhängen. Easton unterscheidet interne und externe Ressourcen. Während interne Ressourcen aus dem System selbst bereitgestellt werden – als systemeigene Strukturen, Organisationen und prozessuale Regeln –, sind externe Ressourcen die finanziellen, wissenschaftlichen, personellen, kulturellen und andere Mittel, die dem System aus seiner Umwelt heraus zugeführt werden (vgl. Easton 1975: 448). Die Ressourcen machen aber noch nicht die staatliche Handlungskapazität selbst aus. Zwar hängt von ihnen die Macht des Staates – bzw. bei Easton des politischen Systems – ab, sie sind jedoch nicht allein entscheidend für seinen Einfluss auf die Gesellschaft. Schließlich hängt dieser Einfluss auch noch von allen anderen Machtzentren innerhalb und außerhalb der Gesellschaft ab. In Eastons Systemtheorie müssten diese anderen Einflüsse von Systemen herrühren, die in der gesellschaftlichen oder extra-gesellschaftlichen Umwelt (vlg. dazu Easton 1965b: 21ff.) des politischen Systems liegen. Diese finden jedoch in der Analyse der Ressourcen keine Erwähnung, was nicht zuletzt damit zusammen hängen dürfte, dass sie für Eastons Konzept politischer Unterstützung keine Rolle mehr spielen.

3. Erklärungsmodelle zum politischen Vertrauen

Eastons systemtheoretisches Modell, welchem zufolge das politische System in einem funktionalen Bezug zu Systemen in seiner Umwelt steht, eignet sich gut zur Einteilung der verschiedenen Erklärungsmodelle zum politischen Vertrauen. So kann unterschieden werden zwischen solchen Konzepten, die den Fokus primär auf die Umwelt des politischen Systems richten, und solchen, die zunächst Zustände und Entwicklungen im politischen System selbst zum Ausgangspunkt nehmen. Während Vertreter von Theorien in der ersten Gruppe annehmen, dass Veränderungen im Ausmaß des politischen Vertrauens vor allem auf Veränderungen im sozialen, kulturellen, ideologischen oder ökonomischen Umfeld zurückzuführen sind, suchen die Verfechter von Theorien in der zweiten Gruppe nach Erklärungen, die unmittelbar mit politischen Prozessen zusammenhängen – also nach Easton mit der Transformation von politischen Forderungen und Ansprüchen in politische Entscheidungen und Handlungen. Easton sieht die Ursachen für politisches Vertrauen sowohl im Bereich des politischen Systems selbst – nämlich über die Generalisierung von Erfahrungen mit politischen outputs –, wie auch im sozial-kulturellen Umfeld – nämlich durch Sozialisations- und Lernprozesse.[38] Im Folgenden werden beide Theorie-Klassen beleuchtet, wobei das Schwergewicht auf den politischen Erklärungen liegt, denn sie nehmen nicht nur bei Easton eine wichtigere Rolle für die Entstehung des Vertrauens ein, sondern erweisen sich auch für die vorliegende Arbeit als fruchtbarer.

3.1. Sozial-kulturelle und ökonomische Erklärungen

Hier sind vor allem die maßgeblich von Robert D. Putnam geprägte Social-Capital -Theorie zu nennen, sowie Theorien, die auf Veränderungen der politisch-medialen Kultur – weg von einer autoritäts-loyalen Staatsraison, hin zu einer Kritik- oder Protestkultur – oder Verschiebungen gesellschaftlicher Wertvorstellungen – insbesondere dem Anstieg postmaterialistischer Einstellungen – hinauslaufen.

Ökonomische Begründungen, die versuchen, Schwankungen im Ausmaß des politischen Vertrauens aus der wirtschaftlichen Entwicklung – bzw. ihrer Wahrnehmung – heraus zu erklären, klingen zunächst plausibel, da Regierungen in der öffentlichen Kommunikation allenthalben für Wachstum und Beschäftigung verantwortlich gemacht werden. Sie sind jedoch empirisch widerlegt worden (vgl. Lawrence 1997; McAllister 1999; Newton/Norris 2000: 58; Pharr 2000: 180; Mischler/Rose 2001: 50ff., Fußnote 8). Darüber hinaus kann nicht einfach angenommen werden, dass schlechte „Noten“ für die Regierung bzw. die sie tragenden Parteien das Vertrauen der Menschen in jede mögliche Regierung bzw. in die staatlichen Institutionen per se senken. Rein-ökonomische Begründungen[39] vermögen deshalb nicht zu überzeugen.

3.1.1. Veränderte öffentliche Kommunikation

Gelegentlich wird eine veränderte politische Kultur und öffentliche Kommunikation für vermeintlich sinkendes politisches Vertrauen verantwortlich gemacht. Die zunehmende Denunzierung von Politikern und deren Handlungen in den Medien scheint eine verlockend einfache Erklärung zu sein. Mit ihrer übermäßig personenzentristischen Darstellung und Fokussierung auf skandalträchtige Themen könnte die Medien eine Mitschuld am schwindenden politischen Vertrauen treffen.[40] Dabei gilt es allerdings zu beachten, dass das Argument für einen genuinen Medieneffekt darauf hinauslaufen müsste, dass – unabhängig von tatsächlichen politischen Ereignissen – eine zunehmend negative Darbietung und Nachrichtenselektion zum Vertrauensverlust beigetragen habe (vgl. Orren 1997: 94). Ferner sollte dieser Effekt nicht allein auf bessere Informiertheit über oder größeres Interesse an politischen Prozessen und Gegebenheiten infolge verstärkten Medienkonsums (sofern dies überhaupt zu erwarten ist) zurückzuführen sein. In diesem Fall wären nämlich nicht die Medien selbst Ursache für den Vertrauensverlust, sondern die über sie vermittelten Tatsachen, und es wäre absurd, dann die Medien für negativere politische Einstellungen verantwortlich zu machen.[41] Unter diesen Prämissen belegen Studien keinen eindeutigen und signifikanten Zusammenhang.[42] In Deutschland scheint von der Medienberichterstattung insgesamt kein negativer Effekt auf das Vertrauen in die Politik auszugehen (vgl. Schulz 1999).

[...]


[1] Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Institutionalisierung des Misstrauens ein wesentliches Charakteristikum demokratischer Systeme darstellt. Politisches Misstrauen – als elementarer Bestandteil einer kritisch-demokratischen Grundhaltung – sollte nicht als das Gegenteil von politischem Vertrauen angesehen werden ist. Die beiden Begriffe bewegen sich nicht auf ein und derselben Bedeutungsskala, sondern beziehen sich auf je eigene Phänomene (vgl. Bouckaert/Van de Walle 2001: 10) mit in der Regel unterschiedlichem Bezugsobjekt (vgl. Terwey 1996: 123). Misstrauen ist deshalb nicht mit der Abwesenheit von Vertrauen gleichzusetzen, sondern beide können gleichzeitig auftreten und unabhängig voneinander variieren.

[2] Es stellt sich weitergehend die Frage, ob übermäßige Kontrolle gar die Vertrauenswürdigkeit einer Person unterminiert und somit potentiell Vertrauen zerstört (vgl. Bierhoff 2002: 241-255).

[3] Niklas Luhmann begreift Vertrauen entsprechend als „Mittel zur Reduktion sozialer Komplexität“ (Hartmann 2001: 14). Vertrauen ist dabei immer mit dem Risiko der Enttäuschung verbunden (vgl. Luhmann 2001: 148).

[4] Der in der deutschsprachigen Literatur immer wieder auftauchende Begriff der „Politikverdrossenheit“ weist gewisse Schnittflächen mit dem Begriff des politischen Vertrauens auf. Wegen seiner konzeptionellen Unklarheit und inhaltlichen Entbehrlichkeit „spricht [jedoch] nichts dafür, am Verdrossenheitsbegriff festzuhalten“ (Arzheimer 2002: 354).

[5] Zu den ideengeschichtlichen Wurzeln in den Vertragstheorien von Tomas Hobbes und John Locke sowie ihrer Manifestierung in den Federalist Papers – und damit der US-Bundesverfassung – siehe Hartmann 2002.

[6] Interessanterweise ist diese Frage immer eng mit dem Aspekt der Systemlegitimität, nicht jedoch mit politischem Vertrauen verknüpft worden (vgl. z.B. Kaase/Maag/Roller/Westle 1987; Ullrich 2000).

[7] Ein Vierteljahrhundert nach Erscheinen der „Crisis of Democracy“ stellten die Herausgeber des sich als dessen Nachfolgewerkes begreifenden Sammelbandes „Disaffected Democracies“ fest: „Earlier alarm about the stability of democracy itself, which Crozier, Huntington, and Watanuki were in part responding to and in part amplifying, now seems exaggerated“ (Putnam/Pharr/Dalton 2000: 6).

[8] Die Prognose von Max Kaase und Kenneth Newton im fünften Band der Beliefs in Government- Reihe, „that the political agenda of EU nations will not be increasingly dominated by postmaterialism“ (Kaase/Newton 1995: 167, Herv. i. Orig.) erweist sich aus heutiger Sicht als absolut zutreffend.

[9] Dieser neuere Machtbegriff scheint zur Beschreibung moderner Systeme angemessener als der maßgeblich von Max Weber geprägte repressiv-hierarchische Begriff, der Primär auf die intersubjektive Willensdurchsetzung abzielt, und ist für die vorliegende Arbeit genauso geeignet wie der strukturelle Machtbegriff (vgl. dazu Isaac 1992 und allgemein zum Begriff „Macht“ die Einträge in Lenz/Ruchlak 2001 sowie Nohlen 1998).

[10] Der Begriff der Handlungskapazität ist hier gegenüber dem gerade im europapolitischen Diskurs häufig verwendeten Begriff der Handlungs kompetenz angemessener, da Letzterer vor allem auf die Zuständigkeit des Staates (z.B. in Mehrebenensystemen) für bestimmte Politikfelder abstellt. Handlungskapazität ist insofern umfassender, als sie nicht nur beinhaltet, in welchen Berechen der Staat legal tätig werden kann, sondern auch, wie stark hier faktisch sein Einfluss ist. Die Handlungskompetenz ist dafür eine notwendige Voraussetzung.

[11] Es soll an dieser Stelle nicht der im Laufe der Arbeit noch zu entwickelnden Begriffsdefinition vorgegriffen werden.

[12] Verwiesen sei an dieser Stelle auf den von Martin van Creveld pointiert beschriebenen „Niedergang des Staates ab 1975“ in seinem 1999 veröffentlichten Werk „Aufstieg und Untergang des Staates“.

[13] Im strengen rechtlichen Sinne kann die Union mangels eigener Rechtspersönlichkeit keine Organe tragen.

[14] Vgl. Art. 14 Abs. 2 EG-Vertrag (Nizza-Fassung) sowie im einzelnen Art. 26, 39, 43, 49 und 56 EG-Vertrag.

[15] Selbst in Studien, die sich explizit mit den Auswirkungen des Binnenmarktes auf Einstellungen der Bürger beschäftigen, findet politisches Vertrauen keine Erwähnung (vgl. etwa Rattinger/Krämer 1995).

[16] Fritz Scharpf (2000) analysiert zwar die Auswirkungen der Internationalisierung – insbesondere durch die europäische Integration – bezieht diese aber nur auf Legitimitätsaspekte, nicht auf politisches Vertrauen. Dieter Fuchs und Hans-Dieter Klingemann machen im abschließenden Kapitel von „Citizens and the State“ Andeutungen über einen sich womöglich anbahnenden bedeutsamen Wandels im Verhältnis der Bürger zu ihrem Staat mit dem Ende der achtziger Jahre (vgl. Fuchs/Klingemann 1995).

[17] Zur Charakterisierung sozialer Beziehungen werden für den ersten Aspekt die Begriffe „Zuversicht“ (Schmalz-Bruns 2002: 25) oder „subjektive Gewissheit“ (Offe 2001: 244) bevorzugt. Eine solche Differenzierung ließe aber die Übertragung des Vertrauensbegriffs auf politische Kontexte kaum zu, da hier – zumindest aus der Perspektive des vertrauenden Individuums – vor allem das passive Element vorherrscht. Obwohl insofern der in der englischsprachigen Literatur gelegentlich verwendete Begriff political confidence streng genommen präziser ist als political trust, wäre es nicht sinnvoll, den bereits stärker etablierten Begriff zu verwerfen.

[18] Ohne Anonymität könnte es sich auch um interpersonelles, soziales Vertrauen handeln. So wird die Ehefrau des Bundeskanzlers ihrem Gatten nicht nur politisches, sondern auch persönliches Vertrauen entgegenbringen – vorausgesetzt, die Beziehung zwischen den beiden liegt nicht völlig im Argen.

[19] Dieser Umstand schließt natürlich nicht aus, dass horizontale und vertikale Vertrauensbeziehungen miteinander verbunden sind. So könnte sich etwa politisches Vertrauen in sozialen Beziehungen entwickeln, wie es die Social-Capital- Theorie annimmt. Auf sie wird im nächsten Kapitel eingegangen werden.

[20] Russel Hardin begründet diese Ansicht mit seinem Konzept von Vertrauen als inkorporiertes Interesse (encapsulated interest), das letztlich auf der Rational-Choice -Theorie basiert (die wiederum maßgeblich von James S. Coleman für die Vertrauensdiskussion geöffnet wurde). Danach erfordere Vertrauen – sowohl in privaten wie in politischen Beziehungen – die Annahme von der Vertrauenswürdigkeit (trustworthiness) des Vertrauten. Vertrauenswürdigkeit sei nur dann gegeben, wenn es – etwa aufgrund von Regeln und Institutionen – im eigenen Interesse des Vertrauten läge, das in ihn gesetzte Vertrauen zu erfüllen, wenn also Anreizstrukturen bestünden, welche das Interesse der politischen Akteure mit dem Interesse des Bürgers synchronisierten. Um politisch zu vertrauen, benötige der Vertrauende also fundierte Kenntnisse über die persönlichen Motive und Beweggründe für das Handeln politischer Akteure innerhalb ihres jeweiligen institutionellen Kontextes. Nur dann könne er annehmen, dass sein Vertrauen nicht enttäuscht werde und nur dann werde er es gewähren. (vgl. Hardin 1998: 12-17; 1999: 23-29).

[21] Politische Zufriedenheit (oder Unzufriedenheit) ist eine Bewertung auf der Grundlage von Erfahrungen, die in der Vergangenheit gemacht worden sind (vlg. Barnes/Farah/Heunks 1979: 409ff.).

[22] Das politische System lässt sich nicht eindeutig gegen sein gesellschaftliches Referenzsystem abgrenzen. Es sei an dieser Stelle auf die funktionale Beschreibung David Eastons verwiesen, nach welcher dem politischen System die allgemeinverbindliche Zuteilung von Werten für die Gesellschaft obliegt (siehe auch die Ausführungen zu Eastons Konzept im folgenden Kapitel). In der Regel wird diese Aufgabe von politischen Akteuren in staatlichen oder staatlich kontrollierten Institutionen übernommen.

[23] …verstanden im weitesten Sinne: jegliche Diskrepanz zwischen realer und idealer Welt.

[24] Dies macht den Begriff natürlich empirisch schwer zu operationalisieren. Jedoch ist die Beschränkung auf einen bestimmten Teil des politischen Systems – so oft sie in der Literatur auch vorgenommen werden mag – konzeptionell nicht sinnvoll, zumal dann, wenn das politische Vertrauen in seiner instrumentellen Dimension erfasst werden soll. In diesem Fall dürfte das politische Vertrauen nämlich nicht allein von bestimmten politischen Akteuren oder einer politischen Institution abhängen, sondern auch vom Zusammenspiel zwischen den verschiedenen Elementen des Systems. Entscheidend für das politische Vertrauen ist dann letztlich eine Vermutung über die Qualität des Produkts, welches im politischen Betrieb produziert wird (so auch Gamson, siehe Definition oben).

[25] Es wird an dieser Stelle deutlich, dass der im allgemeinen Sprachgebrauch positiv besetzte Begriff „Unterstützung“ ohne weitere Qualifizierung – etwa durch „viel“ oder „wenig“ – noch keine Aussage über das Ausmaß an Unterstützung macht, sondern vielmehr die Einheit des Maßes darstellt. Entsprechendes gilt für den später einzuführenden Begriff des Vertrauens.

[26] Diese Übersetzung (nach Westle 1989) scheint angemessener als etwa „Autoritäten“ (Fuchs 1989), da sie den instrumentellen Charakter eher betont.

[27] Diese Übersetzung (nach Westle 1989) scheint angemessener als etwa „Regime“ (Fuchs 1989), da sie nicht den abwertend-diktatorischen Beigeschmack hat.

[28] Die politische Gemeinschaft ist bei Easton ein Bezugsobjekt für persönliche Identifikation (Easton 1965b: 185), nicht jedoch für politisches Vertrauen.

[29] Die Unterscheidung zwischen den Rollen (authority roles) und den Inhabern dieser Rollen ist wichtig. Die Rollen selbst bestehen unabhängig von jenen leibhaftigen Personen, die sie besetzen, und sind somit Teil der politischen Ordnung.

[30] Diese Unterscheidung zwischen Macht und Einfluss entspricht der Darstellung von Macht und Handlungskapazität in der Einleitung dieser Arbeit.

[31] Dass seine konzeptionelle Unterscheidung zwischen spezifischer und diffuser Unterstützung empirisch unter Umständen schwer nachvollziehbar sein würde, war Easton durchaus bewusst (vgl. Easton 1975: 437f.) und ist seitdem oft festgestellt worden (vgl. anstelle vieler Anderson/Guillory 1997: 70).

[32] Die Bezeichnung „Vertrauen“ hat Easton erst später eingeführt. In „ A Systems Analysis of Political Life “ (1965) bezeichnet er die zweite Komponente diffuser Unterstützung als „ Belief in a Common Interest “. Es scheint sich jedoch nicht nur die Bezeichnung geändert zu haben, sondern auch das Phänomen selbst hat eine neue Interpretation erfahren. In der früheren Darstellung beruht diffuse Unterstützung (neben der Legitimitätsüberzeugung) auf einem über den eigenen materiellen Interessen stehendem Gemeinwohl. Dabei ist es letztlich unerheblich, ob ein solches überindividuelles (z.B. nationales) Interesse objektiv existiert; es genügt seine subjektive Existenz, also die Überzeugung davon, dass es existiert. Der Glaube an die Verfolgung eines allgemeinen Guts durch die politischen Herrschaftsträger erhöht die Bereitschaft, auch solche Entscheidungen zu akzeptieren, die den eigenen materiellen Forderungen nicht (voll) entsprechen. Auf diese Weise trägt die ideologisch geprägte Vorstellung eines „ common interest “ mit dazu bei, das System gegenüber kurzfristiger, instrumentell-rationaler output -Frustration zu immunisieren und ist deshalb eine Komponente diffuser Unterstützung (vgl. dazu insgesamt Easton 1965b: 311-319). Im Folgenden sollen nur noch die neueren Ausführungen Eastons zum Vertrauen – aus „ A Re-Assessment… “ (1975) – herangezogen werden.

[33] Easton knüpft damit ausdrücklich an den Vertrauensbegriff von William A. Gamson an (vgl. Gamson 1968: 54).

[34] In der Literatur wird der Sozialisationsaspekt z.T. gänzlich ignoriert (vgl. etwa Fuchs 1989) oder zumindest als weniger wichtig eingeschätzt (vgl. Walz 1996b) und auch Easton selbst widmet ihm nur wenige Worte, so dass der Eindruck entsteht, Vertrauen speise sich im Wesentlichen aus der generalisierten output -Zufriedenheit.

[35] In der früheren Interpretation Eastons – Vertrauen als Überzeugung von der Gemeinwohlorientierung des Objekts – stellt sich hingegen das Problem der Abgrenzung gegenüber der Legitimitätsüberzeugung (vgl. Westle 1989: 85).

[36] Die in Kapitel 2 vorgestellte Definition von Vertrauen ist diesbezüglich stringenter, da sie Vertrauen allein als instrumentelle Einstellung begreift, womit sich politisches Vertrauen von Legitimität klar abgrenzen lässt. Die Abgrenzung von Eastons spezifischer Unterstützung geschieht dann nur noch durch den Zeitbezug, insofern als sich Vertrauen auf Erwartungen über zukünftige politische Leistungen bezieht, nicht auf gegenwärtige Bewertungen bzw. politische Zufriedenheit.

[37] Dieter Fuchs nimmt eine weitergehende Adaption des Modells vor, wobei er die Einstellungstypen diffuser und spezifischer Unterstützung in Anlehnung an Talcott Parsons’ Handlungstheorie durch die Orientierungsmodi „Expressiv“, „Moralisch“ und „Instrumentell“ ersetzt (vgl. Fuchs 1989: 21ff.). Allerdings ersetzt er ferner „Vertrauen“ (eine Einstellung des Subjekts) durch „Effektivität“ (eine Eigenschaft des Objekts), weshalb nicht weiter auf dieses Alternativmodell eingegangen werden soll.

[38] Während der früher von Easton verwendete Begriff (belief in a common interest) vor allem auf eine ideologische Begründung hinausläuft, zielt der neue Begriff (trust) wegen der – langfristigen – output -Abhängigkeit stärker auf eine instrumentell-rationale Entstehung von politischem Vertrauen.

[39] Dies schließt solche Argumentationen aus, die entweder darauf hinaus laufen, dass mangels ökonomischer Grundlage – z.B. geringes Steueraufkommen – der Staat qualitativ oder quantitativ unbefriedigende Leistungen erbringt, oder die sinkendes Vertrauen damit erklären, dass eine schlechte Wirtschaftsentwicklung eine mangelnde Leistungsfähigkeit des politischen Systems reflektiert.

[40] Wahrscheinlicher ist allerdings, dass eine negative Berichterstattung zunächst einen Einfluss auf die Zufriedenheit mit aktuell amtierenden politischen Akteuren hat. Ob davon auch zukünftige Erwartungen über die Politik in einem weiteren Sinne betroffen sind – und die sind für Vertrauen als Komponente diffuser politischer Unterstützung letztlich relevanter – ist eine andere Frage.

[41] Dies gilt umso mehr, als die Medien gerade dann auf Skandale, persönliches Fehlverhalten und politisches Hickhack setzen, wenn die politischen Institutionen schlecht funktionieren oder wenige handfeste politische Entscheidungen und Handlungen produzieren, so dass die Medien damit allein ihre Sendezeit nicht auszufüllen vermögen und mangels „echter“ realpolitischer Geschehnisse versucht sind, andere „Geschichten auszugraben“.

[42] So stellt Pippa Norris am Ende einer empirischen Untersuchung, welche weit verbreitete Auffassungen über negative Effekte insbesondere des Fernsehkonsums in Zweifel zieht, fest: „we should look more directly at the functioning of representative democracy and stop blaming the messenger“ (Norris 2000: 250). Holmberg (1999: 119f.) stellt zwar für die Boulevardpresse und den kommerziellen Rundfunk eine schwache negative Korrelation zwischen Medienkonsum einerseits und Vertrauen zu Politikern andererseits fest, diese wird jedoch durch eine positive Korrelation bei seriösen Medien und öffentlich-rechtlichen Anbietern wieder ausgeglichen.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2003
ISBN (eBook)
9783832482664
ISBN (Paperback)
9783838682662
Dateigröße
933 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen – Sozialwissenschaften
Note
1,0
Schlagworte
steuerungsfähigkeit mehrebenensystem
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Titel: Staatliche Handlungskapazität und politisches Vertrauen
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