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Aspekte zur männlichen Identität

©2004 Diplomarbeit 100 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Lange Zeit war das Thema „Geschlecht“ in den Sozialwissenschaften ein askriptives Merkmal, welches als etwas natürlich Gegebenes angesehen wurde. Zwar mochte dem gesellschaftlichen Wandel zuzuschreiben sein, was jeweils in einer bestimmten Zeit als „männlich“ und „weiblich“ galt, die Dichotomie der Geschlechter allerdings war unverrückbar (vgl. DÖLLING/KRAIS 1997). Erst die Ausläufer der 68er-Bewegung gaben in Deutschland den Anstoß zur Initiierung von Frauenbewegungen, die die Gleichstellung der Frauen durch Frauenpolitik und Frauenforschung in unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen einforderte und so das Patriarchat in Frage stellte.
Der Feminismus, mittlerweile eine breit gefächerte und weltweite Bewegung, hat Probleme von Frauen zum Thema gemacht und es wächst die Überzeugung, dass Frauenthemen auch Männerthemen sein müssen. Ungleiche Gehälter, geschlechtsbezogene Segregation von Arbeit, öffentliche Kinderbetreuung, gesonderte oder ungleiche Erziehung, ungleiche Gesundheitsversorgung, Vergewaltigung und häusliche Gewalt, sexuelle Belästigung, Sexismus in den Medien, usf. Das alles sind Themen mit denen sich vornehmlich Frauen beschäftigen, die aber zentral die Praxis von Männern angehen.
Die feministische Theoriedebatte und die empirische Frauenforschung haben allmählich ein Bewusstsein dafür geschaffen, dass die Kategorie „Geschlecht“ nicht nur als etwas historisch Entstandenes, sondern im alltäglichen Handeln als immer wieder neu Konstruiertes und Reproduziertes zu denken ist, keineswegs aber in einer biologischen Determinierung. Mittlerweile sind mit der Analyse des Forschungsgegenstands „Gender“, verstanden als soziales Geschlecht, neben den Sozialwissenschaften auch die Philosophie und die Literatur- und Kulturwissenschaften befasst. Gender ist eine vielschichtige Struktur und weitaus komplexer als dies die konventionelle Dichotomie der „Geschlechterrolle“ erahnen lassen. Die Struktur der Geschlechterverhältnisse ist hineinverwoben in Familie und Sexualität, Wirtschaft und Staat.
Neben der etablierten feministischen Frauenforschung durch Frauen hielten in den 90er Jahren auch vereinzelt kritische Männerforscher Einzug in die Debatte; Männerforschung ist aber bis dato in Deutschland noch kaum institutionell etabliert, dies zeigt ein Streifzug durch die Internetseiten der deutschen Universitäten. Allerdings kann nur eine Frauenforschung im Verbund mit dem Forschungsgegenstand „Mann“ sich als […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


INHALTSVERZEICHNIS

I Einleitung

II Sozialisation und Persönlichkeit

III Die Psychoanalyse und die sexuelle Differenz

IV Identität

V Kapitalismus und persönliche Freiheit

VI Der männliche Habitus
1. Kinderspiele
2. Pierre Bourdieu und sein Konzept des männlichen Habitus
2.1 Die Illusion und die soziale Genese der libido dominandi
2.2 Geschlecht und Klasse
2.3 Connells Konzept „hegemonialer Männlichkeiten“

VII Männlichkeit im Bild der reflexiven Modernisierung
1. Individualisierung und Pluralisierung
2. Intime Beziehungen

VIII Selbstliebe – Intensitäten – Körperästhetik
1. Von der Selbstliebe
2. Intensitäten
3. Das Interesse an der Ästhetik am eigenen Körper

IX Foucaults Philosophie und die Produktion der Subjekte
1. Der Diskursbegriff bei Foucault
2. Der Begriff der Macht
3. Bio-Macht als Vergesellschaftungsmodus
4. Das Dispositiv
5. Das Sexualitätsdispositiv
5.1 Freuds Abhandlung zur Sexualtheorie
5.2 Das Geständnis
5.3 Die rohe Erfahrung und „das Auge“ Batailles
5.4 Der Mensch als Gattungswesen
5.5 Foucaults Rassismusverständnis

X Thesen zur Subjektivation, Materialität und Performanz
1. Subjektivation
2. Materialität der Körper
3. Performanz des Geschlechts
3.1 Die Melancholie
3.2 Begehren vs. Sexualitätsdispositiv

XI Ethische Gesichtspunkte im Umgang mit sich und Anderen
1. Zum Selbstbezug und der Sorge um sich
2. Die Sorge um den Anderen
3. Verantwortung und Mündigkeit

XII Literaturverzeichnis

I Einleitung

Lange Zeit war das Thema „Geschlecht“ in den Sozialwissenschaften ein askriptives Merkmal, welches als etwas natürlich Gegebenes angesehen wurde. Zwar mochte dem gesellschaftlichen Wandel zuzuschreiben sein, was jeweils in einer bestimmten Zeit als „männlich“ und „weiblich“ galt, die Dichotomie der Geschlechter allerdings war unverrückbar (vgl. DÖLLING/KRAIS 1997, S. 8). Erst die Ausläufer der 68er-Bewegung gaben in Deutschland den Anstoß zur Initiierung von Frauenbewegungen, die die Gleichstellung der Frauen durch Frauenpolitik und Frauenforschung in unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen einforderte und so das Patriarchat in Frage stellte.

Der Feminismus, mittlerweile eine breit gefächerte und weltweite Bewegung, hat Probleme von Frauen zum Thema gemacht und es wächst die Überzeugung, dass Frauenthemen auch Männerthemen sein müssen. Ungleiche Gehälter, geschlechtsbezogene Segregation von Arbeit, öffentliche Kinderbetreuung, gesonderte oder ungleiche Erziehung, ungleiche Gesundheitsversorgung, Vergewaltigung und häusliche Gewalt, sexuelle Belästigung, Sexismus in den Medien, usf. Das alles sind Themen mit denen sich vornehmlich Frauen beschäftigen, die aber zentral die Praxis von Männern angehen.

Die feministische Theoriedebatte und die empirische Frauenforschung haben allmählich ein Bewußtsein dafür geschaffen, dass die Kategorie „Geschlecht“ nicht nur als etwas historisch Entstandenes, sondern im alltäglichen Handeln als immer wieder neu Konstruiertes und Reproduziertes zu denken ist, keineswegs aber in einer biologischen Determinierung. Mittlerweile sind mit der Analyse des Forschungsgegenstands „Gender“, verstanden als soziales Geschlecht, neben den Sozialwissenschaften auch die Philosophie und die Literatur- und Kulturwissenschaften befaßt (vgl. ebd., S. 7). Gender ist eine vielschichtige Struktur und weitaus komplexer als dies die konventionelle Dichotomie der „Geschlechterrolle“ erahnen lassen. Die Struktur der Geschlechterverhältnisse ist hineinverwoben in Familie und Sexualität, Wirtschaft und Staat.

Neben der etablierten feministischen Frauenforschung durch Frauen hielten in den 90er Jahren auch vereinzelt kritische Männerforscher Einzug in die Debatte; Männerforschung ist aber bis dato in Deutschland noch kaum institutionell etabliert, dies zeigt ein Streifzug durch die Internetseiten der deutschen Universitäten. Allerdings kann nur eine Frauenforschung im Verbund mit dem Forschungsgegenstand „Mann“ sich als Geschlechterforschung begreifen und ausweisen, denn die Perspektive des Gender schließt sowohl Frauen als auch Männer ein; ebenso muß kritische Männerforschung inter- und transdisziplinär angelegt sein. Das Interesse und die Neugierde am Mann wächst. Auch in der Sozialen Arbeit werden geschlechtsspezifische Aspekte verstärkt bedacht und focussiert, sich der besonderen Lebens- und Problemlagen von Männern und Frauen angenommen.

Um im Folgenden aufzuzeigen zu können wie ein biologischer Körper, ausgewiesen als Mann, - denn hiervon handelt diese Arbeit -, Träger von Zuschreibungen wird, ja wie ein Subjekt überhaupt erst hierdurch zu denken ist und sich begreifen kann, sollen verschiedene Aspekte exemplarisch ausgeführt werden.

II Sozialisation und Persönlichkeit

Nach ZIMMERMANN (ebd., S. 13 ff) ist Sozialisation zu verstehen als „Prozeß der Entstehung und Entwicklung der Persönlichkeit in wechselseitiger Abhängigkeit von der gesellschaftlich vermittelten sozialen und materiellen Umwelt.“ Sozialisation ist somit als ein interaktiver Prozeß zu verstehen, in dem die persönliche Entwicklung in der Beziehung zwischen Mensch und Umwelt statt findet.

Im weiteren klärt ZIMMERMANN die Persönlichkeit als spezifisches Gefüge von Merkmalen, Eigenschaften, Einstellungen und Handlungskompetenzen, das einzelne Menschen kennzeichnet. Dazu gehören von außen beobachtbare Verhaltensweisen, Werthaltungen, Wissen, Sprache sowie auch innere Prozesse, Gefühle und Motivationen. (vgl. ebd., S.17)

Sozialisation ist ein lebenslanger Prozeß, der nicht mit der Volljährigkeit abgeschlossen ist. Sozialisation findet durch die Instanzen Familie, Kindergarten und Schule statt und führt sich fort in Peer-Groups, Partnerschaften, Ausbildung und Beruf, Universitäten, der Elternschaft und schliesslich durch sich selbst.

Sozialisationstheorien hierzu sind mannigfach und unüberschaubar. Es gibt keine einheitliche aber eine Vielzahl psychologischer und soziologischer Bezugstheorien, denen hier nicht Rechnung getragen werden soll. Hierunter zählen exemplarisch für die psychologischen Basistheorien etwa die kognitive Entwicklungspsychologie, die Lerntheorien und die in dieser Arbeit angeschnittene Psychoanalyse. Für den Bereich der soziologischen Basistheorien wären etwa die strukturfunktionale Theorie, der Symbolische Interaktionismus und in materialistische Sicht zu nennen. Die Tendenz Geschlechtsunterschiede auf einen Biologismus zurückzuführen, die insbesondere vor einigen Jahrzehnten aufflammte, dessen Thesen widerlegt wurden, und die heute wieder durch die Fortschritte in der Genetik im Versuch den Menschen zu entschlüsseln diskutiert werden, finden in dieser Arbeit ebenfalls keinen Platz. Deshalb verbleibe ich im Folgenden mit der Darstellung von ausgewählten Aspekten und wähle vorrangig eine philosophische Darstellungspraxis, die es vielleicht ermöglichen kann, eine alternative gedankliche Perspektive zu derzeitigen Forschungsströmungen der „gender studies“ zu geben.

III Die Psychoanalyse und die sexuelle Differenz

Die folgenden Darstellungen von LACAN, FREUD und CHODOROW bieten

konkurrierende Versionen, wie die geschlechtlich bestimmten Indentifizierungen funktionieren.

LACAN vertrat die Auffassung, dass das Geschlecht nicht nichts weiter als die Angelegenheit einer Anatomie ist, vielmehr es sich um eine symbolische Position handelt, von der aus man gezwungen ist, diese anzunehmen. Jene Zwänge lägen schon in der Sprache und demzufolge in den konstitutiven Beziehungen des kulturellen Lebens wirksam begründet. LACAN unterscheidet die Positionen „der Phallus sein“ und „den Phallus haben“. Dies benennt zwei unterschiedliche Positionen oder eben Nicht-Positionen in der Sprache. So bedeutet der Phallus „sein“, das Bezeichnete (Signifikant) des Begehrens des Anderen zu sein, respektive als dieser Signifikant zu erscheinen. Das bedeutet nach LACAN also für die Frauen, daß die Macht des Phallus durch die weibliche Position des Nicht-Habens bedingt ist, indem sie den Ort zu Verfügung stellt, in den der Phallus potentiell eindringen kann und ihn gerade dadurch bezeichnet, gleichsam als dialektische Bestätigung seiner Identität im Feld des Imaginären. Diese symbolische Ordnung erzeugt nach LACAN also die kulturelle Intelligibilität vermittels der beiden sich wechselseitig ausschließenden Positionen, wobei den „Phallus haben“ die männliche und der „Phallus sein“ die weibliche Position markiert. In seinem Aufsatz „Die Bedeutung des Phallus“ (1975, S. 130) schreibt er zu den Beziehungen der Geschlechter:

„Diese Beziehungen drehen sich, wie wir sagen, um ein Sein und ein Haben, die dadurch, daß sie sich auf einen Signifikanten, auf den Phallus, beziehen, die ärgerliche Wirkung haben, daß sie einerseits dem Subjekt Realität in diesem Signifikanten verleihen, andererseits die zu bedeutenden Beziehungen irrealisieren.“

Jeder Versuch eine Identität in diesem theoretischen Gebilde LACANs zu begründen läuft zwangsläufig auf die Kategorien des Mangels oder des Verlusts hinaus. Da der Mann den Phallus – der LACAN sehr am Herzen liegt - „hat“, sein realer Penis jedoch die vollständige Möglichkeit diese symbolische Position einzunehmen nicht vermag, nichtsdestotrotz diese Möglichkeit in der Unmöglichkeit immer wieder artikulieren und in Szene setzen muss. Ein anderer Aspekt auf den LACANs Modell hinweist, ist die Dependance zur weiblichen Bestätigung einer männlichen Autonomie. Das Subjekt tritt in der Sprache als selbstbegründeter Signifikant nur unter der Bedingung vor-individueller und inzestuöser Lüste, - die sich nun mit dem Körper der Mutter verbinden -, auf. Seine nur scheinbar in sich selbst begründete Autonomie verschleiert die Verdrängung und „nötigt“ die Frauen, sie ihrer Realität der „illusorischen“ Autonomie zu versichern. Frauen „sind“ also hiernach der Phallus und bezeichnen demnach die Macht, den selbstbegründenden Posen von Männern „Realität“ einzuverleiben. Der Phallus „sein“ würde also stets bedeuten, der Phallus zu „sein“ für ein männliches Subjekt. Nun müssten dann gerade Frauen in einer Weise auftreten, die der des Männlichen entgegensteht und genau in ihrem Mangel die wesentliche Funktion der Männer konstituieren und absichern.

In FREUDs Schrift „Das Ich und das Es“ bestimmt dieser die Trauer als Ausgangsstruktur der Ich-Bildung. Die Erfahrung einen geliebten Menschen zu verlieren, wird durch den spezifischen Akt der Identifizierung überwunden, der darauf abzielt, den Anderen gleichsam in der Struktur des Selbst zu beherbergen. „Die Liebe hat sich so durch ihre Flucht ins Ich der Aufhebung entzogen.“ (2000, S. 210) FREUD fährt fort, „daß der Charakter des Ichs der Niederschlag der aufgegebenen Objektbesetzungen ist, die Geschichte dieser Objektwahl enthält.“ (ebd., S. 297) Dieser Verinnerlichungsprozeß erweist sich auch als relevant für den Erwerb der Geschlechtsidentität, wenn wir uns vor dem Hintergrund des Inzesttabus (und der primären Besetzung der Mutter) vor Augen führen, daß das Kind sich gerade durch die Verinnerlichung des tabuisierten Objekts des Begehrens von diesem Verlust erholt. So wird zunächst zwar das Objekt verneint und zum konträren Objekt, dem Vater gelenkt, nicht aber die Art des Begehrens. Wird aber hier eine homosexuelle Vereinigung untersagt, so ist zugleich der Verzicht auf das Begehren und auf das Objekt gerichtet. Daher „(...) bemächtigt sich der Knabe (des Vaters) durch Identifizierung.“ (ebd., S. 299) Die Verwerfung der Mutter wird zu einem grundlegenden Moment dessen, was FREUD die „Festigung“ der Geschlechtsidentität nennt. Sobald der Junge die Mutter als Objekt des Begehrens verliert, verinnerlicht er entweder diesen Verlust durch eine Identifizierung mit ihr, oder er verschiebt seine heterosexuelle Zuneigung zum Vater, indem er diese verstärkt und seine Männlichkeit „festigt“. In FREUDs These der primären Bisexualität kommt die Homosexualität per se nicht vor, sie versteht sich vielmehr als Anziehung der Gegensätze, dennoch bemerkt FREUD: „Es könnte auch sein, daß die im Elternverhältnis konstatierte Ambivalenz durchaus auf die Bisexualität zu beziehen wäre und nicht, wie vorhin dargestellt, durch die Rivalitätseinstellung aus der Identifizierung entwickelt würde.“ (ebd., S. 301)

Hiernach müsste der Junge nicht nur zwischen zwei Objekten, sondern sogar zwischen zwei sexuellen Anlagen wählen. Und dass der Junge für gewöhnlich die heterosexuelle wählt, wäre dann kein Resultat der Angst vor einer Kastration durch den Vater, sondern eine Angst der Kastration im Sinne einer „Verweiblichung“, die sich in heterosexuellen Kulturen mit männlicher Homosexualität verbindet. Wenn also die Verwerfung der Weiblichkeit und die Ambivalenz gegenüber dem Vater weniger durch das Ödipusdrama der Rivalität, sondern vielmehr durch die primäre Bisexualität hervorgerufen wird, so würde die primäre Heterosexualität der Objektbesetzung ebenso fragwürdig – wie dies Judith BUTLER bemerkt. (vgl.1991, S. 96)

Freud bemerkt, dass die Herausbildung des Ich-Ideals eine Lösung des Ödipuskomplexes darstellt und demnach an der „erfolgreichen“ Festigung von Männlichkeit und Weiblichkeit beteiligt ist. Das Ich-Ideal fungiert als eine Art Ensemble von Sanktionierungs- und Tabuinstanz, indem es das Begehren in geeignete Formen umlenkt und sublimiert. Die Identifizierung setzt sich an die Stelle der Objektbeziehungen, in der das Geschlecht des verbotenen Objekts (Mutter) als Verbot und Verbietendes verinnerlicht wird. Dieses Verbot sanktioniert und reguliert die diskreten geschlechtlich bestimmten Identifizierungen und das Gesetz des heterosexuellen Begehrens:

„Das Über-Ich ist aber nicht einfach ein Residuum der ersten Objektwahlen des Es, sondern es hat auch die Bedeutung einer energischen Reaktionsbildung gegen dieselben. Seine Beziehung zum Ich erschöpft sich nicht in der Mahnung: „So (wie der Vater) sollst du sein“, sie umfaßt auch das Verbot: „So (wie der Vater) darfst du nicht sein, das heißt nicht alles tun, was er tut; manches bleibt ihm vorbehalten.“ (FREUD, a.a.O., S.301/302)

Zugleich ist mit dem Über-Ich eine Instanz des Gewissens und der Moral errichtet worden, in die die gesellschaftlichen Normen und damit auch die der Geschlechterrolle innerpsychisch übernommen werden können. In dieser ödipalen Situation wird der Verlust durch ein Verbot diktiert. Dementsprechend muss die Antwort auf das Ödipusdilemma als Internalisierung einer moralischen Anforderung verstanden werden, die sich speist auf einer heterosexuellen Matrix und dem damit einhergehenden Tabu gegen Homosexualität. Demnach würde das Tabu gegen die Homosexualität erst die Anlagen schaffen, die einen Ödipuskomplex überhaupt ermöglichen. (vgl. BUTLER, a.a.O., S. 102) In psychoanalytischer Perspektive spielt also der anatomische Geschlechtsunterschied eine entscheidende Bedeutung beim Durchleben der ödipalen Situation. Zunächst führt die Überwindung der ödipalen Situation bei beiden Geschlechtern zur Etablierung des Über-Ichs. Zum zweiten ist die ödipale Situation verbunden mit einer gleichgeschlechtlichen Identifizierung und somit mit dem Erwerb der Geschlechtsidentität. Hieraus ergeben sich nach FREUD grundsätzliche psychische Differenzen zwischen Männern und Frauen. Wie würde es nun aber aussehen, wenn – wie dies heutzutage ja durchaus auch kein Einzelfall mehr ist – der Vater die primäre Bezugsperson in den ersten Jahren des Kindes ist?

CHODOROW, als feministische Psychoanalytikerin und Soziologin, nimmt vor allem bezüglich der Bedeutung der ödipalen Situation, eine zu FREUD unterschiedliche Haltung ein. CHODOROW sieht die dogmatische bürgerliche Kleinfamilie darüber hinaus und die daraus abgeleitete geschlechtsspezifische Arbeitsteilung – die Betreuung und Aufzucht der Kinder oblag lange Zeit ausschließlich der Mutter - als historisch entstandene Herrschaftsstruktur an und nicht als natürlichen Kontext. Zur FREUDschen Annahme, die Geschlechtsidentität bilde sich erst in der ödipalen Situation heraus, legt sie dar:

Kindern etwa mit drei Jahren fest und unverändert etabliert ist. Sie wird in erster „(...),daß die soziale Geschlechts-Identität mit seltenen Ausnahmen bei allen Linie aus sozialen Zuschreibungen an das biologische Geschlecht aufgebaut, die bereits mit der Geburt einsetzen und gemeinsam mit der Sprache kognitiv gelernt werden. Körperliche Erfahrungen tragen ebenso wie die Wahrnehmung des eigenen Körpers und der Geschlechtsteile zum Aufbau eines geschlechtlich definierten Körper-Ich bei.“ (1990, S. 196)

Der Schwerpunkt dieser Beschreibung liegt also auf den Ebenen vor-ödipaler Prozesse und nicht in einer dogmatischen psychodramatischen Zuspitzung. Während Jungen in dieser frühen Phase bereits die Isolation von Affekten und die Leugnung von emotionaler Verbundenheit lernen, entsteht bei Mädchen eine höhere Sensibilität und Bereitschaft, sich mit Beziehungsfragen zu befassen. (vgl. ebd., S. 218ff) Dies könnte dadurch der Fall sein, dass der Junge sich nur dadurch von der Mutter lösen kann, indem er seine Differenz zum Weiblichen betont und der Penis diese Unabhängigkeit symbolisiert.

FREUD betont den Aspekt, dass Kinder und Mütter sich gegenseitig als Sexualobjekte präsentieren:

„Der Verkehr des Kindes mit seiner Pflegeperson ist für dasselbe eine unaufhörlich fließende Quelle sexueller Erregung und Befriedigung von erogenen Zonen aus, zumal letztere – in der Regel doch die Mutter – das Kind selbst mit Gefühlen bedenkt, die aus ihrem Sexualleben stammen.“ (FREUD, a.a.O., S. 124)

Es gibt demnach gerade auch eine besondere Beziehung zwischen Jungen und ihren Müttern, denn der Gegengeschlechtlichkeit wohnt eine besondere Faszination und Attraktion inne. Und das Begehren in der Mutter für den Jungen mag sexuierteren Ursprungs als Triebfeder für die emotionale und körperliche Zuwendung sein als es dies bei einer Tochter der Fall ist. Interessant wäre zu behaupten, dass sich die Prozesse der Loslösung und Autonomie des Jungen schwieriger und problematischer erweisen, weil zum einen die Mutter u. U. dies weniger zulassen kann, und zum anderen die Jungen sich u. U. ohnedies verstärkt in einer Ambivalenz der Abwehr und des Zurück-Wollens befinden. Die Mütter sind es ja dann auch in der Regel, die Fürsorge und Betreuung leisten. Die Familie, der Kindergarten und die Grundschule sind in den ersten Lebensjahren des Jungen die Bereiche und Räume, in denen er lebt und die auch hauptsächlich von Frauen dominiert werden. Zwangsläufig nimmt der Junge auch weibliche und mütterliche Anteile verstärkt in sich auf, vielleicht ebenso die weibliche Bewertung der Mutter der männlichen Eigenschaften, die diese durch ihre Haltung und dem Verhalten dem Vater und anderen Männern gegenüber annimmt und ausdrückt.

Wie wir psychoanalytisch gesehen haben, kann der Junge für seine Entwicklung von Männlichkeit und die damit verbundene Identifizierung die weiblichen Vorstellungen und Muster nicht aufrechterhalten. Die Konsequenz bestünde eben darin, dass „typisch“ weibliche Anteile wie Einfühlung, Sinnlichkeit und Körperlichkeit etwa, notwendigerweise verdrängt und abgewehrt werden müssen. Im Aufbau seiner Identität versucht der Junge dies über eine Umwegdefinition, die HAGEMANN-WHITE (1984, S.92) als „doppelte Negation“ bezeichnet hat. Im Kürzel der „Nicht-Nicht-Mann-Identität“, dieser doppelten Negation, gilt die Mutter als Nicht-Mann und will verdeutlichen, daß die Entwicklung der Geschlechtsidentität über Distanz und Negation weiblicher Identitätsanteile verläuft. Andererseits muss der Junge männliche „Werte“ und Verhaltensweisen übernehmen, die ihm die Mutter nie vorgelebt hat, die ihm u. U. eine schwache Selbsteinschätzung verleihen und deshalb vielleicht auch häufig in die kompensatorischen „typischen“ Verhaltensweisen von Jungen, wie die des Sich-Beweisen(Darstellen, Aufspielen)-Müssens münden. (vgl. ZIMMERMANN 2000, S. 193)

IV Identität

Der Identität ist hier ein eigenes kleines Kapitel zugewiesen, wenngleich die gesamte Arbeit letztlich um das Phänomen Identität kreist. Dennoch ist es wichtig, einen Aussichtpunkt zu schaffen, von dem aus diese Arbeit weiter aufbauen kann.

BAUMANN (vgl.1993, S. 482) definiert die Identität als eine Erfahrung, eine übereinstimmende und einzigartige Wesenseinheit und -gleichheit zu sein, die kontinuierlich besteht und unabhängig von äußeren Einflüssen oder intrapsychischen Veränderungen bestehen bleibt. Das Gefühl der Identität entsteht, wenn sich das Kind bewußt wird, daß es in einer Welt mit anderen Objekten als Individuum existiert, seine eigenen Empfindungen, Gedanken und Erinnerungen hat und selbst eine eigene, von anderen unterscheidbare, Erscheinung darstellt.

Dennoch bleibt der Topos der Identität ein abstrakter und ist hierdurch unzureichend geklärt, lädt auf der anderen Seite aber auch dazu ein, ihm philosophisch gegenüberzutreten und zu versuchen, ihn thematisch und exemplarisch auszuleuchten. Man bedenke, dass die Gleichheit und Einheit der Dinge oder auch des Mannes mit sich selbst nur eine relative sein kann, die das Allgemeine bestimmen, das Unterschiede einschliesst. Demnach müssen wir uns auf die Suche nach dem Gemeinsamen im notwendigerweise Verschiedenen machen.

Gerade wenn wir aber den Identitätsbegriff mit ADORNO (vgl. 1973, S. 146-153) begreifen, wird deutlich welcher Antinomie er anheimfällt. Das Prinzip der Identität besagt, dass in sich Widersprechendes unterdrückt werden muss. ADORNO bestimmt vor diesem Hintergrund das Besondere im Allgemeinen und meint damit:

„Das Einzel-Ich ist Eines nur vermöge der Allgemeinheit (...) Daß ein individuelles Bewußtsein Eines sei, gilt nur unter der logischen Voraussetzung vom ausgeschlossenen Dritten: daß es nicht ein Anderes soll sein können. Insofern ist seine Singularität, um nur möglich zu sein, überindividuell.“ (ebd., S. 146)

Der Blick wird darauf gelenkt, dass „Gleichmacherei“ Widersprüchliches reproduziert, das fortwährend ausgemerzt werden muß, will das Individuum einen harmonischen und kongruenten Begriff seiner selbst gewinnen; gleichsam gerinnt die Vorstellung einer Totalität. Das Gespaltene, das Unwahre, also das Nicht-Identische wird des Feldes verwiesen.

Hier lassen sich Parallelen aufweisen mit der im Folgenden darzustellenden symbolischen Ordnung im Feld des Sozialen durch den Habitus bei BOURDIEU, der eine ganze Kosmologie enthält, und es wird vor diesem Hintergrund des Blickes auf Identität deutlich werden, wie Erkennen, Wahrnehmen und Denken selbst schon Akte der Unterwerfung sind und so eine tatsächliche Emanzipation unterläuft. Dies werden auch die historischen Analysen FOUCAULTs und sein Machtbegriff verdeutlichen.

Zurück zur Identität. Unter dieser Prämisse ADORNOs wird die Idenität zur „Instanz einer Anpassungslehre“ (ebd., S. 151), wo der individuelle Wille zu dieser Identität hinarbeitet, denn es kann nicht ohne eine Identifikation gedacht werden, denn „jede Bestimmung ist Identifikation.“ (ebd. S.152) Im weiteren identifiziert ADORNO die Identität als „Urform der Ideologie“ (ebd. S 151), gerade weil sich das Individuum dem Vielgestaltigen und Widersprechenden in sich durch „ideologische“ Selbstanweisungen beugt, um sich identifikatorisch bestimmen zu können. Identität ist somit das Ziel, verunmöglicht aber zunächst sich aufs Spiel zu setzen, das Denken zu befreien, sich in Bereichen außerhalb von Repräsentationen (LYOTARD) zu bewegen (wie wir noch sehen werden). Aufzuspüren gilt also das Nicht-Identische, das in Identität sui generis enthalten sein muss. Jenes Nicht-Identische gilt es nach ADORNO zu retten, wenn er die erlangte Identität als „verkehrte Gestalt der Wahrheit“(ebd., S. 153), also als das Unwahre ausmacht und man hieraus ganz utopistisch formulieren und postulieren müsste: ein Miteinander des Verschiedenen im Einen, denn die „Ideen leben in den Höhlen zwischen dem, was die Sachen zu sein beanspruchen, und dem, was sie sind.“ (ebd.) Judith BUTLER merkt in ihren ADORNO-Vorlesungen Folgendes an: „Das „Ich“ hat gar keine Geschichte von sich selbst, die nicht zugleich Geschichte seiner Beziehungen – oder seiner Beziehungen – zu bestimmten Normen ist. (...) In gewissem Maße ist das „Ich“ sich immer durch seine gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen enteignet.“ (BUTLER 2003, S. 20) Kommen wir nochmals zurück auf ADORNOs Bestimmung der Identität als „Urform der Ideologie“ – und hierin lassen sich die Grundfeste erkennen, worauf soziale symbolische Ordnungen wachsen (BOURDIEU) können - und der Behauptung, dass der identifikatorische Akt einer der Gewalt ist, der das Besondere dem Allgemeinen unterwirft und damit unkenntlich macht oder gar destruiert. (vgl. ADORNO 1975, S.320ff.) Und wenn dann „Denken heißt identifizieren“ (vgl. ebd., S. 17) meint, geht es ihm nicht darum, identifizierendes Denken durch sein Gegenteil zu überwinden, sondern vielmehr darum, die Identifikation dialektisch[1] selbst über sich hinaus zu bestimmen, denn „insgeheim ist Nichtidentität das Telos der Identifikation, das an ihr zu Rettende; der Fehler des traditionellen Denkens, daß es die Identität für sein Ziel hält.“ (ebd., S. 152)

Greifen wir BOURDIEU in einer Anmerkung zur Identität vorweg, lässt sich behaupten hinsichtlich des Begriffs, welchen sich ein Mensch von sich selbst macht, dass das, was der Einzelne von sich selbst sagen kann in einer Erzählung von sich - unter der Prämisse Identität sei die „Urform der Ideologie“ -, der Versuch konsistenten Sinn zu stiften bereits im Erzählten liegt, wenn er sagt:

„Die soziale Welt, die dazu neigt, die Normalität mit der Identität zu identifizieren, die als Konstanz eines vernünftigen Wesens mit sich selber aufgefaßt wird – also vorhersehbar oder, mehr oder weniger, verständlich im Sinne einer gut konstruierten Geschichte (...), verfügt über alle möglichen Institutionen der Totalisierung und Vereinheitlichung des Ich.“ (BOURDIEU 1986, S. 77)

Und prosaisch formulieren BLUMFELD (1994):

„Und so beschaffen ist der Alltag der Figuren

nie ist eine Herr der Lage

sind wie ich Zeugen, die sich fragen

was sie in aller Welt verloren haben

vielleicht den Faden der Erinnerung daran

das so wie sie Gestalt annahmen

besonnen aufgetaucht in Formen

sie wie in Schlaf versinken werden

in den Stoff aus dem sie kamen“

Ein erster literarischer Ausflug führt uns zu CERVANTES „Don Quijote“ (1997). In dieser phantastischen Geschichte Don Quijote hat immer unrecht, die anderen hingegen immer recht. Ein Rasierbecken ist in Wirklichkeit kein Helm und eine Windmühle kein Drachen. Die Weinschläuche gleichen auch nicht einem Riesen. Wenn auch auf phantastische Weise, so schafft sich Don Quijote doch seine Welt neu und die Ehre, für die er ins Feld zieht, ist das Produkt seines Denkens und nicht die erzeugte Wirklichkeit einer von der Gesellschaft anerkannten und begründeten Werte, Verhaltens- und Denknormen. Er verteidigt die, die er seines Schutzes für würdig hält und kämpft gegen die, die ihm böse erscheinen. Ein markanter Wesenszug des Ritters Don Quijote ist die Einsamkeit. Zwar sind seine Gegner ebenso isoliert, ihre Einsamkeit aber entspringt der Tatsache, dass die Widersacher in ihrer Gestalt im Gegensatz zu Don Quijote nur selbstische Ziele verfolgen. Don Quijote jedoch ist isoliert, weil er dem Leben das Unmögliche abverlangen will: er will die Gewalt abschaffen, die Bösen niederhalten, die Menschen befreien und seine Liebe für das Menschliche in seiner Liebe zu Dulcinea verwirklichen. Das Ergebnis für ihn kann nur im Scheitern liegen, da sein Gegner kein geringerer ist als die Heterogonie, - die zweckbestimmte Haltung, entstanden aus einer ursprünglich nicht intendierten Wirkung -, im Menschen, die wir unsererseits in den Begriff des Kapitalismus fassen können: die Geschichte hat eine geheime Absicht!

V Kapitalismus und persönliche Freiheit

Wächst ein Mensch auf, und dies vollzieht sich bekanntermaßen in seiner Familie, im weiteren im Kindergarten, in Schulen, Berufsausbildung, in Betrieb oder Büro, so geht es im genaueren darum, sich an die vorzufindende Gesellschaftsordnung anzupassen. Aus einem zunächst potentiell willkürlich handelnden Individuum wird so im Laufe seines Sozialisationsprozesses ein Mensch „gemacht“, der befähigt wird in einer Gesellschaft zu leben. Dies ist zunächst das, was auf alle Gesellschaften zutrifft. Da die Intention einer kritischen Auseinandersetzung mit unserer Kultur aber bedeutet, und um auch sichtbar zu machen, wie ein Mann gemacht wird, müssen wir uns im Folgenden prinzipiell mit der Janusköpfigkeit des Kapitalismus befassen. Zweifelsohne hat der demokratische Kapitalismus den Menschen einen riesigen Zuwachs an Lebensstandard ermöglicht. Der Mensch bekommt unter Verwertung seiner Arbeitskraft eine Entlohnung, für die er sich Waren und Güter kaufen kann.

Als allgemeine Definition lässt sich sagen, dass Waren und Güter einen bestimmten Gebrauchswert und einen bestimmten Tauschwert haben. Hinsichtlich des Gebrauchswertes kann man sagen, dass dieser die menschlichen Bedürfnisse befriedigt, wie das Bedürfnis seinen Hunger zu stillen oder bspw. mobil zu sein durch Verkehrsmittel. Der Tauschwert hingegen gibt das Verhältnis an, in dem eine Ware gegen Geld ausgetauscht werden kann. So weit, so gut; aber was hat das mit uns als Menschen zu tun? Nun, schließlich zeichnet sich der Mensch neben seinen materiellen Bedürfnissen ebenso durch die Existenz immaterieller Bedürfnisse aus, wie z. B. soziales Ansehen, Liebe, Geborgenheit und Sicherheit. Schaut man genauer hin, so läßt sich unschwer erkennen, dass gerade eben nicht nur Waren oder Sachen verkauft werden, sondern vielmehr Persönlichkeit. Die Ware erhält einen symbolischen Wert, der für die Bedürfnisbefriedigung immaterieller Wünsche und Bedürfnisse steht. Sei es die männliche Potenz in Form eines Sportwagens, das Rasierwasser als Prestigefrage oder Schönheit und Attraktivität in Form von Kosmetik- und Kleidungsartikeln. Auf diese Weise sind menschliche Eigenschaften Bestandteil der kapitalistisch

konsumeristischen Welt, indem sie „kapitalisiert“ sind. Markant ist, dass alle Eigenschaften die erwünscht, nachgefragt und letztlich auch verkauft werden, immer in Relation zu einer Außenwelt stehen und nicht für sich. So gibt es Attraktivität, soziales Ansehen oder etwa Bewunderung immer nur durch den Gegenüber. (vgl. DUHM 1973, S. 25-55) Hierin ist fraglos ein Gestus der Zweckbestimmtheit zu sehen, auch ADORNO sieht im Wesen des Tauschwertes das alles Durchdringende und formuliert treffend:

„Die praktischen Ordnungen des Lebens, die sich geben, als kämen sie den Menschen zugute, lassen in der Profitwirtschaft das Menschliche verkümmern, und je mehr sie sich ausbreiten, um so mehr schneiden sie alles Zarte ab. Denn Zartheit zwischen Menschen ist nichts anderes als das Bewußtsein von der Möglichkeit zweckfreier Beziehungen, das noch die Zweckverhafteten tröstlich streift;“ (2001, S. 61)

Somit läßt sich fragen, inwieweit es menschliche Beziehungen brauchen, für die Investition in einen anderen Menschen Gegenleistungen und Gegenwerte zu erhalten. Es ist nicht ausschließlich die Frage, wer ich gerne sein oder was ich gerne haben möchte, welche Charaktermasken sich Menschen anlegen, sondern ob Freundschaft und Liebe in seiner Faktizität zu großen Teilen nicht um seiner selbst willen, vielmehr aber – und hier verweise ich auf das Intelligible im Begriff der Repräsentationen bei LYOTARD im Folgenden – verdinglichte Zwecke darstellen und somit prinzipiell austauschbar sind; so wäre der Mensch zu Teilen nichts anderes als eine Ware. Vielleicht werden Begriffe wie Konkurrenz, Leistung und Angst konturenreicher vor dem Hintergrund kapitalistischer Strukturen und dem menschlich „Entfremdeten“ im Bereich der Subjektivation[2] moderner Subjekte. „Was allen durch die Wenigen geschieht, vollzieht sich stets als Überwältigung Einzelner durch Viele: stets trägt die Unterdrückung der Gesellschaft zugleich die Züge der Unterdrückung durch ein Kollektiv. Es ist diese Einheit von Kollektivität und Herrschaft und nicht die unmittelbare gesellschaftliche Allgemeinheit, Solidarität, die in den Denkformen sich niederschlägt“ (HORKHEIMER/ADORNO 2002, S. 28) Die Frage muß anschließen, inwiefern der Mensch tatsächlich frei sein kann. Die persönliche Freiheit eines jeden hängt gewiß nicht nur von den Befriedigungen oder Nicht-Befriedigungen seiner Bedürfnisse ab, sondern vielmehr in der Möglichkeit darauf zu verzichten, sie zu enttarnen in der Frage danach, ob es sich nicht um zwangsmäßige Bedürfnisse handelt. Um aber in einer Gesellschaft existieren zu können, muss sich der Mensch anpassen und das Spiel „mitspielen“, indem er die u. a. kapitalistisch induzierte kalte Angst, das feindlich Fremde im und durch den Anderen und sich selbst in Bereiche des „Unsichtbaren“ drängt, das Zarte abschneidet, er so ganz und gar damit beschäftigt ist, sich der Angst verweigern zu müssen, um nicht verrückt zu werden. Und so sehr er versucht seiner eigenen Hölle zu entkommen, tritt er angstvoll neurotisch aufs Plateau alltäglicher Inszenierung und steht einem ganz besonderen Phänomen gegenüber: dem Nichts an Vielfalt der gesuchten Strategien, um zu überleben. So wird die Anpassung diktiert, wie ich es schon im Topos der Identität versucht habe zu zeigen, und darin ist keine Statik zu sehen, denn was heute wahr ist kann morgen durchaus schon falsch sein; und gerade darin hat der Mensch, respektive der Mann, kaum eine Wahl, nicht als eine Projektionsfläche für eine ganze kulturelle Industrie zu fungieren und sich selbst nicht unter das Paradigma einer persönlichen Profitmaximierung zu stellen. Das Mass an Authentizität aber, das man persönlich vielleicht am Leben vermisst, mag einen von der Welt trennen, dennoch ist dies gleichzeitig das Verbindene, eben die Sehnsucht nach dem Leben mit all jenen, die tagtäglich blöken mögen wie die Schafe. Und auch diese Schafe spüren die Sehnsucht, nach einer Rettung in der Begegnung im Zweckfreien, auch wenn man im alltäglichen Unsinn befangen ist. Jeder lebt bereits in Angst vor dem Leben, wie ein Flieger, der so grosse Angst vor dem Fliegen hat, obwohl er noch nie gelandet war. Das postmoderne Leben ist gleichsam eines Überlebenskampfes auf psychischen Ebenen und Strukturen, jeder kämpft ihn für sich. Dennoch was ist mit der Angst. Ist Liebe möglich für sich, für den anderen und für die Dinge - ohne eine existentielle Angst. Wie kann man einem Menschen nah sein, wenn man nicht weit genug von sich selbst entfernt sein kann. Was ist diese unspezifische Angst vor dem Leben, die so spezifisch im Detail sitzt, im Selbstischen? „Und die Angst die du fühlst ist das Geld das dir fehlt für den Preis den du zahlst für etwas, das für dich zählt und dich solcher sein läßt, daß du da (wo du hingehörst) bist.“ (Blumfeld 1994)

VI Der männliche Habitus

1 Kinderspiele

Es ist ja vielfach nachgewiesen und man kann dies selbst auch beobachten, dass sich die Spiele der Jungen und die der Mädchen unterscheiden. Es gibt neben vielen gemeinsamen Interessen für Aktivitäten auch ein Auseinanderdriften von Spielinteressen. Während sich Spiele von Mädchen eher auf das Private, Kooperation und Beziehung ausrichten, wird bei Jungen die Wettkampforientierung, Körperbetonung und die Orientierung in das Öffentliche deutlich. Im Laufe der Kindheit und Jugend wird das unterschiedliche Spielverhalten sogar zunehmend gegenseitig unverständlich und suspekt. Unbestritten werden die Verhaltensweisen und Spielinteressen durch die Erwachsenenwelt begleitet und bewertet. GEBAUER (vgl. 1997, S. 273) verdeutlicht, dass neben der speziellen Spielthematik, die sozialen Personen jeweils mimetisch verkörpert werden. Einbezogen sind neben den Aufführenden auch die Zuschauenden, sie partizipieren an dem Glauben und haben einen vergleichbaren Spielsinn. GEBAUER (ebd., S. 273-274) geht weiter:

„...die soziale Person, die ein Mädchen/Jungen darstellt, selbst in einer Art von primärem Spiel eingeführt und erworben wurde. Das Spiel organisiert diese Elemente noch einmal, aber anders, indem es den Spielsinn der Alltagswelt zum Gegenstand von Aufführungen macht.“

Deutlich wird in den Jungenspielen die Formen des Gegeneinanders, Überbietens (des Obens), der Rivalität, des Sieges, der Auszeichnung und letztlich der symbolischen Macht. GEBAUER geht es hier gerade nicht um Lernen an Modellen oder der Einübung, sondern vielmehr indem er sich sehr an BOURDIEU anlehnt darum, dass:

„Kinderspiele (...) lustvolle Gelegenheiten (sind; S.B.), einen bestimmten Praktischen Sinn, d. h. eine Fähigkeit auszubilden, sich in einem besonderen sozialen Feld (...) mit nicht bezweifelbarer Handlungssicherheit, ohne Überlegung „richtig“ zu verhalten, als habe man eine „zweite Natur“ erworben: (...,) einer „untrüglichen“ Wahrnehmung (die auch außerhalb des Spiels auf gleiche Weise funktioniert), einem Engagement in das Spiel und einem Glauben in dessen Wichtigkeit und Ernst.“ (ebd., S. 281)

So sind die Unterscheidungen in den Kinderspielen zwischen Jungen und Mädchen eher als sinnliche Erfahrung und Übung für die Orientierung innerhalb einer bestehenden symbolischen Ordnung anzusehen.

2 Pierre Bourdieu und sein Konzept des männlichen Habitus

BOURDIEUs Arbeiten im Zeichen einer Kultursoziologie befassen sich explizit mit der sozialen Konstruktion symbolischer Ordnungen und sozialer Struktur. Mit Geschlechtsidentität ist mehr gemeint als lediglich das Bewußtsein darüber, Mann oder Frau zu sein. Dabei handelt es sich vielmehr neben bewußten Merkmalen und Anteilen um eine Art Tiefenstruktur der Persönlichkeit, die Subjekte innerhalb eines Geschlechts miteinander verbindet und „auszeichnet“ und gleichzeitig vom anderen Geschlecht unterscheidet und abhebt. Anhand BOURDIEUs Analysen der kabylischen Gesellschaft[3] (1976,1987) wird der Zusammenhang von objektiver sozialer Struktur und subjektiver Strukturierung erfasst und deutlich. Die zentrale Kategorie hierfür, in der dieser Zusammenhang erfasst werden kann, ist die des Habitus. Im Folgenden soll dieser ausführlich erläutert werden.

Für BOURDIEU sind die grundlegenden und fundamentalen Einteilung, mit Hilfe derer wir unsere tägliche soziale Welt ordnen und ebenso unseren Körper wahrnehmen, polare Klassifikationen wie etwa: hoch und tief, unten und oben, groß und klein, Tag und Nacht, hell und dunkel, Innen und Außen, aktiv und passiv, lebendig und tot, hart und weich, feucht und trocken, gerade und krumm, männlich und weiblich. Wenn man also von dem reden will, was normal, üblich oder natürlich ist, scheinen dichotome Einteilungen objektivierenden Charakter in der sozialen Welt zu haben und sind inkorporiert in einem Habitus präsent. BOURDIEU hierzu:

„(...,) wo sie als ein universelles Prinzip des Sehens und Einteilens, als ein System von Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungskategorien wirkt.“ (1997, S. 159) und weiter:

„Das mythisch-rituelle System (...) steckt ebenso (...), in den zwischen den Geschlechtern instituierten sozialen Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnissen wie, in Form von Prinzipien der Vision und Division, in den Köpfen; was zur Folge hat, daß alle Gegenstände der Welt und alle Praktiken nach Unterscheidungen klassifiziert werden, die auf den Gegensatz von männlich und weiblich zurückgeführt werden können.“ (ebd., S. 160/161)

Nach BOURDIEU stehen Körper und Gesellschaft nicht in einem äusseren Gegensatz zueinander, sondern der menschliche Körper selbst schon bildet eine Einheit von Biologischem und Sozialem. Insofern gibt es keine vorsoziale Körperlichkeit und der Körper ist in hohem Maße Bedeutungsträger für Differenzierungen und Zuordnungen. Somit sind Somatisierungen der fundamentalen und für die soziale Ordnung konstitutiven Beziehungen, die in die Institution zweier unterschiedlicher „Naturen“ führt, in die Köpfe implementiert. (vgl. ebd., S. 162) Dabei kann man sagen, dass Männlichkeit mehr praktiziert als gedacht wird. Die den Männern immanente Grammatik „kann Handlungen Form geben ohne selbst formuliert werden zu müssen.“ (BOURDIEU 1987, S. 43) Der Habitus ist sowohl vergeschlechtlicht als auch vergeschlechtlichend. Durch permanente Formierungsarbeit konstruiert die soziale Welt den Körper als vergeschlechtlichte Wirklichkeit und in eins als Speicher von vergeschlechtlichenden Wahrnehmungs- und Bewertungskategorien und Handlungsprogrammen, die zwangsläufig wiederum auf den Körper in seiner biologischen Realität angewendet werden müssen. (vgl. ebd.1997, S. 167) Der Mensch, respektive der Mann, ist also dahingehend sozialisiert und determiniert, dass sein Körper unentwegt und unaussprechlich den immanenten Imperativen einer sozialen Ordnung unterworfen ist. Erst durch Einteilungsprinzipien, verbunden mit Werten und Präferenzen, kann sich ein Körper selbst erst denken, ja wird erst das Biologische vergesellschaftet, gleichsam wird soziale Identität erzeugt. Das praktische Erkennen-Anerkennen der „magischen“ Grenzen schliesst nach BOURDIEU (vgl. ebd., S. 171) selbst die Möglichkeit einer Überschreitung per se aus, indem sie spontan in den Bereich des Undenkbaren verwiesen wird. Ihm zufolge hat der Habitus offensichtlich starke Beharrungskräfte, die sich nicht einfach aufheben lassen. Anders formuliert inkarniert sich die soziale Welt und ihre innewohnende sozialen Ordnung durch ihre Produktion im Sinne einer Formung und Bildung durch Benennung, Erziehung und Einprägung in einer biologischen Natur und wird so zum Habitus. Der Habitus wäre somit ein konstitutives Schema, sozusagen eine Matrix für Wahrnehmungen, Gedanken, Gefühle und Handlungen. Die nächstliegende Konsequenz dieser Betrachtung ist die Behauptung, dass dem biologischen aber sozial attributierten Körper letztlich ein politisierter Körper sein muss, indem alle Praktiken auf die Einprägung von Haltungen und Verhaltensweisen abzielen, „die eine Ethik, eine Politik und eine Kosmologie enthalten.“ (ebd. S. 187)

[...]


[1] Dialektik ist das Programm, der Versuch die Antinomie in der Differenz zwischen Begriffenem und Begriff zu fassen. „Der Widerspruch ist das Nichtidentische unter dem Aspekt der Identität; der Primat des Widerspruchsprinzips in der Dialektik mißt das heterogene am Einheitsdenken. Indem es auf seine Grenze prallt, übersteigt es sich. Dialektik ist das konsequente Bewußtsein von Nichtidentität.“ (Adorno 1975, S. 17)

[2] Subjektivation hat den Doppelaspekt, daß die Handlungsfähigkeit des Subjekts als Wirkung seiner Unterordnung erscheint. Jeder Versuch des Widerstands aber gegen diese Unterordnung setzt diese notwendig voraus und ruft sie erneut hervor. Sie bezeichnet also einerseits den Prozeß des Unterworfenwerdens und generiert zum anderen das Subjekt erst durch diese Unterwerfung. (vgl. Butler 2003, S. 8/16)

[3] Die Kabylen sind eine Stammesgruppe meist seßhafter Ackerbauern im Norden Algeriens

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2004
ISBN (eBook)
9783832482114
ISBN (Paperback)
9783838682112
Dateigröße
685 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Hochschule Ludwigshafen am Rhein – Soziale Arbeit
Note
1,0
Schlagworte
gender geschlecht habitus theorie foucault
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Titel: Aspekte zur männlichen Identität
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