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Die Bedeutung der Sprache hinsichtlich der Ethnizität

©1999 Magisterarbeit 110 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
„Un pueblo que descuida su lengua es como un pueblo que descuida su historia, no están distantes de perder el sentimiento de si mismos y dejar disolverse y anularse su personalidad.“ (Rodó 1995)
Der guatemaltekische Linguist José Enrique Rodó formuliert mit dieser Aussage eine der wohl am heftigst diskutiertesten Thesen der Ethnolinguistik, nämlich die, inwiefern Sprache und Ethnizität, bzw. Sprache und Kultur zusammenhängen respektive einander bedingen.
Oberflächlich betrachtet erscheint eine Verbindung zwischen einer bestimmten ethnokulturellen Identität und der dazugehörigen Sprache nur allzu natürlich, sei es das Französische für Franzosen oder das Spanische für Spanier (Fishman 1989).
Auf der anderen Seite stehen weltweit mehr als 5000-8000 noch existierende Sprachen ungefähr 160 Nationalstaaten gegenüber, so dass die Diskrepanz zwischen einem Staatsvolk und einer ethnischen bzw. sprachlichen Gruppe unübersehbar wird: Nur wenige Menschen in dieser Welt leben in einer Gemeinschaft, deren territoriale Grenzen sowohl sprachlich als auch staatlich übereinstimmen. Monolinguale Staaten sind daher sehr selten und bilden eine Ausnahme. In der überwiegenden Mehrheit aller Staaten leben eine oder mehrere Minderheitengruppen, die eine andere Sprache als die Nationalsprache verwenden und über eigenständige Traditionen verfügen. Die Mehrzahl aller weltweit existierenden Sprachen wird von einer Gruppe verwendet, die als Minderheit in einem Staat mit einer dominierenden Amtssprache wie z. B. Englisch, Spanisch, Russisch, Chinesisch, Hindi etc., lebt (Coulmas 1983).
In den Ideen von Nationalstaatlichkeit und Nationalismus, die in Europa während der Renaissance ihre Blütezeit erlebten und sich seitdem global verbreitet haben, wurden linguistische und kulturelle Verschiedenartigkeit als Bedrohung für die nationale Identität betrachtet und unterdrückt. Das Ideal von nationaler Einheit und Gleichheit auf Kosten kultureller Vielfalt hat sich inzwischen in fast allen Teilen der Welt durchgesetzt, besonders in den ehemaligen Kolonialstaaten Europas, in denen die Nationalstaatlichkeit als Symbol und Wegbereiter der Moderne gilt. Ethnische Vielfalt wird gerade in diesen Ländern als Blockade betrachtet, die eine rasche Anpassung an die kulturellen und technischen Standards an die Länder der sogenannten ‘Ersten Welt’ verhindert. Repressionen gegen ethnische Minderheiten im Staat waren und sind in vielen Ländern an der Tagesordnung; die […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 8199
Hüsener, Melanie: Die Bedeutung der Sprache hinsichtlich der Ethnizität
Hamburg: Diplomica GmbH, 2004
Zugl.: Georg-August-Universität Göttingen, Magisterarbeit, 1999
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2004
Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis
1.
Einleitung... 1
1.2
Erläuterung der Thematik... 1
1.3
Beurteilung der Quellenlage... 5
2.
Erläuterung und Definitionen:... 9
2.1
Sprache ... 9
2.1.1 Amtssprachen und Minderheitensprachen... 9
2.1.2 Multilingualismus und Diglossie... 10
2.2
Ethnizität... 12
2.2.1 Begriffsentwicklung und -diskussion... 12
2.2.2 Definition des Begriffes ,,Ethnizität"... 14
2.3
Ethnische Minderheiten... 17
3.
Die Beziehung zwischen Sprache, Denken und Kultur... 17
3.1
Die Theorien Wilhelm von Humboldts... 18
3.2
Die Sapir - Whorf - Hypothese bzw. das ,,linguistische Relativitätsprinzip"...
20
3.3
Die Diskussion der Sapir - Whorf - Hypothese... 23
3.3.1 Kritik am linguistischen Relativitätsprinzip... 24
3.3.2 Neuere Überlegungen zur Sapir-Whorf-Hypothese aus der Sicht
moderner Linguisten... 27
4.
Die Funktion der Sprache und ihre Bedeutung hinsichtlich der
ethnischen Identität... 31
4.1
Die Entwicklung von einer ethnischen zu einer sozialen Identität... 31
4.2
Die Sprache als wichtigstes Symbol der Ethnizität... 32
5.
Die Mayasprachen im Hochland von Chiapas und Guatemala... 36
5.1
Geographie und Siedlungsraum der Hochland-Maya...
36
5.2
Die soziolinguistische und kulturelle Geschichte Mexikos und Guatemalas... 37
5.3
Die Kultur der Maya... 41
5.3.1 Religion und Kosmovision... 44
5.3.2 Die Maya - Sprachen... 47
5.3.2.1 Übersicht über die Maya - Sprachen...
48
5.3.2.2 Geographische Verteilung der Sprecher... 49
6.
Die Ethnizitätsdiskussion der Maya-Bevölkerung... 50
6.1
Die soziale Situation...50
6.1.1 Die Struktur der heutigen Gesellschaft Südmexikos und Guatemalas... 51
6.1.2 Der Konflikt zwischen ,,Ladinos", ,,Mestizen" und ,,Indios": Erläuterung

und Begriffsgeschichte...53
6.1.3 Die Entwicklung eines neuen ethnischen Bewußtseins im 20. Jahrhundert...
56
6.2
Die soziolinguistische Situation... 58
6.2.1 Die multilinguale Realität... 59
6.2.2 Die Bildungssysteme beider Länder im Vergleich oder: Das Schulwesen als
Hauptkriterium der Sprachideologie...
63
6.2.2.1 Aspekte der bilingualen Erziehung im guatemaltekischen Schulwesen...
65
6.2.2.1 Das mexikanische Schulwesen und dessen bilinguale Sprachprojekte... 69
7.
Der Zusammenhang von ethnischer Identität und Sprache in der
Debatte der Bürgerrechtsbewegungen... 74
7.1
Die Entstehung und Standortbestimmungen wichtiger Bürgerrechtsbewe-
gungen und ihre Ziele im Bezug auf linguistische und soziale Veränderungen...
74
7.1.1 Die Academia de Lenguas Mayas (ALMG)... 75
7.1.2 Die Nationale Zapatistische Befreiungsarmee...
76
7.2
Die Maya - Sprachen als wichtigstes Merkmal der ethnischen
Zugehörigkeit... 78
7.3
,,Unsere erste Sprache ist unsere Wurzel" - Reflexionen verschiedener Maya-
Intellektueller über ihre Sprache und Kultur... 80
7.4
Überlegungen bezüglich Forderungen nach offizieller Anerkennung der indi-
anischen Sprachen und Kulturen und die daraus resultierenden gesellschaft-
lichen Folgen... 82
8.
Ergebnisse und Schlußbetrachtung... 83
Anhang:
I.
Tabellarische Übersicht der Geschichte Mexikos und Guatemalas...
85
II.
Karten... 94
III.
Verzeichnis der Abkürzungen... 99
IV.
Literaturverzeichnis... 100

1
1. Einleitung
1.1 Erläuterung der Thematik
,,Un pueblo que descuida su lengua es como un pueblo que descuida su historia, no están
distantes de perder el sentimiento de si mismos y dejar disolverse y anularse su personali-
dad." (Rodó 1995:37)
Der guatemaltekische Linguist José Enrique Rodó formuliert mit dieser Aussage eine
der wohl am heftigst diskutiertesten Thesen der Ethnolinguistik, nämlich die, inwiefern
Sprache und Ethnizität, bzw. Sprache und Kultur zusammenhängen respektive einander
bedingen.
Oberflächlich betrachtet erscheint eine Verbindung zwischen einer bestimmten
ethnokulturellen Identität und der dazugehörigen Sprache nur allzu natürlich, sei es das
Französische für Franzosen oder das Spanische für Spanier (Fishman 1989:66).
Auf der anderen Seite stehen weltweit mehr als 5000-8000
1
noch existierende
Sprachen ungefähr 160 Nationalstaaten gegenüber, so daß die Diskrepanz zwischen
einem Staatsvolk und einer ethnischen bzw. sprachlichen Gruppe unübersehbar wird:
Nur wenige Menschen in dieser Welt leben in einer Gemeinschaft, deren territoriale
Grenzen sowohl sprachlich als auch staatlich übereinstimmen. Monolinguale Staaten
sind daher sehr selten und bilden eine Ausnahme. In der überwiegenden Mehrheit aller
Staaten leben eine oder mehrere Minderheitengruppen, die eine andere Sprache als die
Nationalsprache verwenden und über eigenständige Traditionen verfügen. Die Mehrzahl
aller weltweit existierenden Sprachen wird von einer Gruppe verwendet, die als
Minderheit in einem Staat mit einer dominierenden Amtssprache wie z. B. Englisch,
Spanisch, Russisch, Chinesisch, Hindi etc., lebt (Coulmas 1983:8).
In den Ideen von Nationalstaatlichkeit und Nationalismus, die in Europa während der
Renaissance ihre Blütezeit erlebten und sich seitdem global verbreitet haben, wurden
linguistische und kulturelle Verschiedenartigkeit als Bedrohung für die nationale
Identität betrachtet und unterdrückt. Das Ideal von nationaler Einheit und Gleichheit auf
Kosten kultureller Vielfalt hat sich inzwischen in fast allen Teilen der Welt
durchgesetzt, besonders in den ehemaligen Kolonialstaaten Europas, in denen die

2
Nationalstaatlichkeit als Symbol und Wegbereiter der Moderne gilt. Ethnische Vielfalt
wird gerade in diesen Ländern als Blockade betrachtet, die eine rasche Anpassung an die
kulturellen und technischen Standards an die Länder der sogenannten `Ersten Welt'
verhindert. Repressionen gegen ethnische Minderheiten im Staat waren und sind in
vielen Ländern an der Tagesordnung; die Benutzung der sogenannten
`Regionalsprachen' wurde von Amts wegen untersagt und mit hohen Strafen versehen.
Auf diese Weise verringerte sich die Anzahl der Sprecher einer Minderheitensprache
von Generation zu Generation zunehmend zugunsten der dominierenden Amtssprache.
Dies geschah nicht zuletzt auch aufgrund der ihnen vermittelten Ideologie der
Minderwertigkeit und Rückständigkeit der eigenen Sprache und Kultur.
In neuerer Zeit wird diese Ideologie jedoch mehr und mehr in Frage gestellt. Immer
mehr Ethnien besinnen sich auf die Werte und Traditionen ihres Volkes und vor allem
auf die dazugehörige Sprache, die von vielen als das Symbol ihrer kulturellen und
ethnischen Identität betrachtet wird.
Die Entstehung zahlreicher Autonomie- und Unabhängigkeitsbestrebungen der
ethnischen Minderheiten in den letzten Jahren geht auf dieses zunehmende Bewußtsein
der eigenen Kultur zurück. Nationales und staatliches Zusammengehörigkeitsgefühl
fallen mehr und mehr auseinander und führen zu Konflikten, die teils mit Gewalttaten
verbunden sind. (Crystal 1995:34). Eine der Hauptforderungen dieser ethnischen
Gruppen ist die offizielle Anerkennung ihrer Sprache und deren Verbreitung innerhalb
des Staates.
Im ersten, eher theoretischen Teil dieser Arbeit, werden die Zusammenhänge von
Sprache, Kultur und Identität diskutiert. Hierbei geht es besonders um die
unterschiedlichen Denkweisen, die Sprachwissenschaftler in den letzten zwei
Jahrhunderten in Bezug auf das Verhältnis zwischen Sprachstruktur und Gedankenwelt
oder auch dem Weltbild einer Sprachgemeinschaft entwickelten.
Im zweiten Kapitel werden zunächst verschiedene, für diese Arbeit wichtige Begriffe
näher erläutert, besonders der Ethnizitätsbegriff, der erst in den letzten Jahrzehnten
1
Eine genauere Zahlenangabe ist unmöglich, da oftmals eine Unterscheidung zwischen Sprache und Dialekt
schwierig ist und auch bei einigen Sprachen, die von sehr wenigen Menschen gesprochen werden, keinerlei
Angaben über die noch verbleibenden aktiven Sprecher vorliegen.

3
entstanden ist. Zuvor wurden für diesen Ausdruck vor allem in der älteren
wissenschaftlichen Literatur Begriffe wie `Volk' und `Kultur' synonym verwendet.
Die Frage, inwieweit eine Sprache das Denken beeinflußt oder gar bestimmt, und in
welchem Ausmaß sie eine bestimmte Kultur und Lebensweise bedingt, wird im dritten
Kapitel mittels der Thesen Wilhelm von Humboldts sowie derer von Edward Sapir und
Benjamin Lee Whorf, die zwar mittlerweile als überholt, jedoch noch heute als
richtungsweisend für die moderne Linguistik gelten, präzisiert. Anhand verschiedener
Veröffentlichungen moderner Linguisten werden ferner überarbeitete Varianten der
oben genannten Thesen vorgestellt.
In Kapitel 4 wird die Bedeutung und Funktion der Sprache hinsichtlich der ethnischen
und sozialen Identität hinterfragt. Hierbei wird die Sprache als kulturelles und
individuelles Sozialisationsinstrument sowohl inter- als auch intraethnisch betrachtet.
Der zweite Teil der Arbeit untersucht die Bedeutung der indianischen Sprachen im
Zusammenhang mit dem zunehmenden ethnischen Bewußtsein der Maya-Gruppen im
Hochland von Mexiko (Chiapas) und Guatemala. Es werden u. a. Veröffentlichungen
verschiedener Linguisten aus der Region zitiert, um sowohl einen gewissen Kontrast
als auch eine Bestätigung zu den Thesen des ersten Teils aufzuzeigen. Aus diesem
Grund habe ich mich für eine Gliederung der Arbeit in zwei Teile entschieden: Teil 1
beinhaltet eine Übersicht der historischen und aktuellen Standpunkte bezüglich der
Verbindung zwischen Sprache, Ethnizität bzw. Kultur; der zweite Teil erörtert dieses
Thema anhand der Problematik der indianischen Gemeinschaften in Mittelamerika, die
dort (und kontinentweit) zu ethnischen Minderheiten geworden sind.
2
Besonders in Lateinamerika weisen ethnische Spannungen seit einigen Jahren wieder
eine vermehrte Sprengkraft auf. Zurückzuführen ist diese erneut aufgeflammte
Ethnizitätsdiskussion sowohl auf den zum einen weltweit stattfindenden
Paradigmenwechsel, der dem Ethnischen und Nationalen zu einer Art Renaissance
verholfen hat, zum anderen aber auch auf die äußerst prekäre Lage, in der sich die
indianischen Gruppen Lateinamerikas befinden. Nicht zuletzt deshalb erhoben sich am
Neujahrstag 1994 nach jahrelangen geheimen Vorbereitungen Teile der Maya-
Bevölkerung im mexikanischen Bundesstaat Chiapas unter der Anleitung von

4
Subcomandante Marcos, um ihren Mißstand auszudrücken und um ihre Rechte zu
proklamieren (Bernecker 1997:11).
Der Ethnizitätsbegriff selbst hat sich in den letzten Jahren in Lateinamerika stark
verwandelt; wurde früher das Indianische im allgemeinen darunter verstanden, so rückt
heute die Betrachtung der strukturellen Vielfalt aller ethnischen Gemeinschaften in den
Vordergrund.
Während es sich bei den ethnischen Minderheiten in Europa meistens um Einwanderer
in ein für sie ursprünglich fremdes Territorium handelt, bestehen die Minderheiten in
Mexiko, Guatemala und vielen anderen Ländern Amerikas hauptsächlich aus
,,Eingeborenen",
,,...deren zahlreichere Vorfahren von denen der heutigen Mehrheiten entweder biologisch
dezimiert oder regional verdrängt und dadurch zu wirtschaftlicher Isolation und demogra-
phischen Rückgang gebracht oder durch fortschreitende Vermischung und soziokulturelle
Anpassung in die Mehrheitsgesellschaft integriert worden sind." (Mendoza 1992:62)
In Kapitel 5 werden daher sowohl geographische, historische, kulturelle und
linguistische Gegebenheiten der Maya -Völker dargestellt, die den Rahmen für den
bestehenden ethnischen und linguistischen Konflikt bilden. Die sprachliche Situation im
Hochland beider Länder
3
ist durch die gleichzeitige Existenz der Sprachen Spanisch und
der jeweiligen regionalen Maya - Sprache gekennzeichnet. Das Spanische gilt dabei als
offizielle Amtssprache, wird jedoch von großen Teilen der Bevölkerung nicht
verstanden. Der Weg in die Gesellschaft führt allerdings bislang in beiden Ländern
ausschließlich über die spanische Sprache und Kultur. Besondere Gewichtung liegt in
diesem Kapitel auf der Darstellung von Kultur und dem Weltbild der Maya-Gruppen,
die - so die Thesen zahlreicher Linguisten - in mehr oder minder engem Zusammenhang
zur Sprache stehen. Als ausführliche Ergänzung hierzu dient eine Zeittafel im Anhang.
Das sechste Kapitel erläutert die desolate Situation der heutigen Maya -Bevölkerung.
Zunächst werden die Strukturen der heutigen Gesellschaften Südmexikos und
Guatemalas näher untersucht, im Vordergrund steht hier die (Selbst-) Klassifizierung der
Bevölkerung in die Kategorien ,,Indio", ,,Mestize" und ,,Ladino". Beruhte die
2
Für Guatemala trifft dies nur eingeschränkt zu, da der exakte indigene Bevölkerungsanteil nicht
einwandfrei ermittelt ist und in verschiedenen Quellen mit 45 bis 60 Prozent angegeben wird - in diesem
Falle würden die indianischen Gruppen in Guatemala sogar die Bevölkerungsmehrheit stellen.
3
Chiapas gehörte bis 1824 zu Guatemala; die auf zwei Staaten aufgeteilte Region beinhaltet jedoch einen
gemeinsamen Kulturraum und wird deshalb in dieser Arbeit als solcher behandelt

5
Einteilung in diese Kategorien in den ersten Jahrhunderten nach der spanischen
Eroberung ausschließlich auf objektiven Merkmalen wie Herkunft, Sprache etc., so hat
sich diese Auffassung in der letzten Zeit, wenn auch in Mexiko und Guatemala auf recht
unterschiedliche Art und Weise, grundlegend geändert: Entscheidend ist heute die innere
Überzeugung eben zu dieser und nicht zu jener Gruppe zu gehören. Natürlich spielen
dabei auch praktizierte kulturelle Eigenarten wie zum Beispiel der Gebrauch einer
Sprache, die Ausübung bestimmter kultureller Riten und Traditionen eine elementare
Rolle.
Deutlich wird in diesem Kapitel die immer noch vorhandene Diskriminierung des
Indianischen, besonders wenn es darum geht, das in beiden staatlichen Konstitutionen
festgelegte Ideal einer `multilingualen' und `pluriethnischen' Gesellschaft in die Realität
umzusetzen. Am Beispiel der ausführlich untersuchten Erziehungssysteme beider
Länder wird verdeutlicht, wie sehr die politische Unterdrückung bestimmter ethnischer
Gruppen besonders durch die Sprachpolitik stattfindet. Mit subtilen Methoden werden
auch heute noch, 5 Jahre nach dem Zapatistenaufstand nach Beginn der
Gesprächsrunden zwischen der mexikanischen Regierung und den Vertretern der EZLN,
sowie 2 Jahre nach dem Friedensschluß zwischen Guerilla und Regierung in Guatemala,
jegliche Versuche einer qualifizierten bilingualen und bikulturellen Schulbildung, die
der Maya - Bevölkerung einen sozial gleichrangigen Status in der Gesellschaft erteilen
würde, unterminiert. Vertreter der Maya-Organisationen betrachten das Schulsystem,
dessen bisherige pädagogische Perspektive ausschließlich auf die Ladino- bzw.
Mestizenbevölkerung ausgerichtet ist, als das ,,ausführende Organ schlechthin, wenn es
darum geht, den Ethnozid der Maya herbeizuführen" (Cotjí Cuxil 1997:160).
Die Bedeutung der Sprache als Wurzel einer nationalen und individuellen Identität
aus der Sicht verschiedener indigener Linguisten und Vertretern der
Bürgerrechtsbewegungen steht im siebten Kapitel im Vordergrund. Hierbei werden
besonders die recht unterschiedlichen Forderungen nach sprachlicher und kultureller
Autonomie in beiden Ländern verglichen und die daraus resultierenden
gesellschaftlichen Auswirkungen analysiert. Auch der Frage, wie eine - mexikanische
wie guatemaltekische - Nation aussehen muß, mit der sich alle in ihr lebenden
Bevölkerungsgruppen kulturell wie sprachlich identifizieren können, wird letztendlich
nachgegangen.

6
1.2 Beurteilung der Quellenlage
Zur Erläuterung der für diese Arbeit relevanten Begriffe wurden neben ethnologischer
Standardliteratur der Aufsatz von Orywal und Hackstein und sowie das umfassende
Werk Joshua Fishmans (,,Language and Ethnicity in Minority Sociolinguistic
Perspective") herangezogen, die u. a. eine weitreichende Erklärung und Bestimmung des
historischen und aktuellen Ethnizitätsbegriffes darbieten. Als ergiebiges
Nachschlagewerk zur Definition der verschiedenen Sprachbegriffe erwies sich David
Crystals ,,Enzyklopädie der Sprache." Auch in den Publikationen der im folgenden
Kapitel genannten Linguisten ließen sich aufschlußreiche Begriffsbestimmungen der
verschiedenen Sprachtermini finden. Eine detaillierte Schilderung des
Themenkomplexes der Ideologie von Nationalstaatlichkeit und Amtssprachen beinhaltet
der Aufsatz von Florian Coulmas in seinem Buch ,,Linguistic minorities and literacy".
Zur Einführung in die Denkweisen früherer Sprachwissenschaftler über die Beziehung
von Sprache, Denken und Kultur wurden neben den obligatorischen ,,Klassikern"
Wilhelm von Humboldts (,,Schriften zur Sprache"), Edward Sapirs (,,Selected
Writings") und Benjamin Lee Whorfs (,,Sprache - Denken - Wirklichkeit") die
Veröffentlichungen von Zdenek Salzman, Jean DeBernardi, Michael Stubbs, Philipp
Bock, David Crystal sowie die von Gumperz & Levinson herangezogen. In ihnen
werden die Hypothesen von Sapir und Whorf, teilweise auch die von Humboldt, auf
recht unterschiedliche Weise neu diskutiert und überarbeitet. Besonders die Aufsätze
von Salzman und Stubbs enthalten aufschlußreiche Informationen über die sich
wandelnden Grundhaltungen der Ethnolinguistik in den letzten Jahrzehnten.
In der Erörterung des Zusammenhangs zwischen Sprache und Ethnizität bilden vor
allem die Arbeiten Fishmans und Tabouret-Kellers die Grundlage des Kapitels.
Besonders im Aufsatz von Tabouret-Keller wird verdeutlicht, daß Sprache nicht nur die
ethnische, sondern auch die soziale Identität beeinflußt, ein Aspekt, der in älteren
Werken von Reiterer und Jessel nicht berücksichtigt wird.
Der zweite Teil der Arbeit erörtert die linguistische Situation und die
Ethnizitätsdiskussion der Maya-Bevölkerung im Hochland von Chiapas und Guatemala.
Hierbei steht nicht nur die Idealisierung und Glorifizierung der eigenen Sprachen als
Symbol der ethnischen Identität im Mittelpunkt, sondern vor allem die Darstellung eines
ethnischen Konfliktes, der nicht zuletzt durch eine jahrhundertelange Unterminierung

7
der Sprache und Kultur lanciert wurde. Zu dessen Erläuterung bedarf es zunächst einmal
einer ausführlichen Darstellung der historischen Gegebenheiten, die die Grundlage
dieses Konfliktes bilden. In der im Anhang plazierten Zeittafel erwiesen sich das
detaillierte Werk Allebrands für die guatemaltekische Geschichte, sowie die Arbeiten
Westphals, Suchlickis und vor allem Condearenas für die mexikanische Geschichte, als
sehr hilfreich. Ergänzt wird diese Tabelle durch Äußerungen Rigoberta Menchús
bezüglich der teilweise verheerenden Vorgehensweisen der spanischen Eroberer bzw.
des guatemaltekischen Staatsapparates gegenüber der Maya-Bevölkerung.
In den Ausführungen über die geographischen, sozialen und sprachlichen Verhältnisse
in der Maya-Region diente neben ethnologischer Standardliteratur das Werk von
Allebrand mit verschiedenen Aufsätzen als hilfreiche Grundlage zur Darstellung der
aktuellen Lage in Guatemala. Besonderer Wert wurde in diesem Teil jedoch auf
Veröffentlichungen indigener Linguisten gelegt. Als Basis dienten hier die vom
Linguistischen Institut der Universität Mariano Galvez in Guatemala-Stadt jährlich
veröffentlichten ,,WINAK"-Publikationen, in denen die sprachliche und soziale Lage der
Maya in Guatemala und im angrenzenden Mexiko sehr facettenreich darstellt wird.
Problematisch wurde für mich an dieser Stelle jedoch der enge Bezug der
guatemaltekischen Sprachwissenschaftler zur Sapir-Whorf-Hypothese. Während ich im
ersten Teil der Arbeit versuche, diese kritisch zu diskutieren, mußte ich feststellen, daß
gerade in intellektuellen Maya-Kreisen sich vielfach ihrer Argumentationsweise bedient
wird, um das Bestreben nach Anerkennung der eigenen Sprache und Kultur
auszudrücken. Unklar war für mich, ob den Maya-Sprachwissenschaftlern die neueren
Überlegungen und Überarbeitungen der Sapir-Whorf-Hypothese nicht zugänglich
waren, oder ob sie diese ignorierten, um ihren Aussagen und Forderungen Nachdruck zu
verleihen. Einer Verwendung vielerlei Aspekte der Sapir-Whorf-Hypothese in den
indianischen Bürgerrechtsbewegungen ist zumindest die Bestätigung inhärent, daß auch
dort Sprache und Ethnizität als eng miteinander verknüpfte Phänomene gelten.
Als ausgesprochen `heterogen' erwiesen sich bei der Auflistung der verschiedenen
Maya-Idiome deren Schreibweisen in den verschiedenen Quellen. Die in dieser Arbeit
erwähnten Sprachen orientieren sich orthographisch an den von der Academia de
Lenguas Mayas de Guatemala im Jahre 1995 veröffentlichten und standardisierten
Schreibweisen.

8
Auch die spanische Orthographie divergierte in vielen Quellen, insbesondere in den
guatemaltekischen. Diese Abweichungen von der spanischen Norm wurden jedoch in
den Zitaten nur dann verändert, wenn es sich dabei aller Wahrscheinlichkeit nach um
Druckfehler handelte.
In diesem Teil wurden so oft wie möglich die Stimmen der Indígenas zu den
jeweiligen Themen dokumentiert, die mit ihren teilweise sehr emotionalen Äußerungen
einen starken Kontrast zu den Ausführungen anderer, nicht-indianischer Wissenschaftler
bilden. Das wird vor allem bei der Darstellung der mexikanischen bzw.
guatemaltekischen Erziehungssysteme sowie bei der Untersuchung der Sprache als
Symbol der Ethnizität deutlich. Während es sich in den Aufsätzen von Heckt, Becker-
Richards und Stavenhagen eher um umfangreiche Beschreibungen des Schulwesens
handelt, argumentieren indigene Lehrer bzw. Bürgerrechtler wie Hernandez, Perez und
Cotjí Cuxil wesentlich pathetischer.
Als außerordentlich hilfreiche Quelle zur Darstellung und Analyse des mexikanischen
Bildungssystems erwiesen sich darüber hinaus die Aufsätze in dem von Yolanda Lastra
herausgegebenen Werk ,,Sociolinguistics in México". Als ergänzende Informationen
wurden ferner Artikel aus den Zeitschriften `Pogrom' und `Lateinamerika Nachrichten'
sowie der guatemaltekischen Zeitschrift `Tinamit' herangezogen. Allerdings bezogen
sich viele der Arbeiten über das mexikanische Erziehungssystem nicht ausschließlich
auf die Maya-Gruppen, sondern auf die gesamte indigene Bevölkerung Mexikos.
Über das Engagement verschiedener ethnischer Bewegungen in Mexiko und
Guatemala lag eine Fülle von Literatur vor, die sich jedoch bei näherer Betrachtung als
recht unstrukturiert darstellte. Besonders deutlich wurde dieses an der Knappheit
konkreter Informationen über die tatsächlich stattfindenden sozialen und sprachlichen
Veränderungen nach dem Friedensschluß in Guatemala bzw. nach Beginn der
Verhandlungen zwischen den Zapatisten und der mexikanischen Regierung. Sehr viele
Quellen enthielten eine Vielfalt von Forderungen und Vorschlägen für soziale,
linguistische und konstitutionelle Veränderungen; allerdings keinerlei Hinweise, ob,
wie, und vor allem wann diese in die Realität umgesetzt werden sollen.
Eine sehr gute Auflistung der einzelnen Verhandlungsetappen zwischen der EZLN
und der mexikanischen Regierung, sowie detaillierte statistische Auskünfte, fanden sich
in der Arbeit Condearenas und den in ,,América Indígena" publizierten
Diskussionspunkten zwischen Zapatisten und Regierungsvertretern.

9
2. Erläuterungen und Definitionen
2.1 Sprache
Um den Terminus ,,Sprache" zu definieren, bedarf es zunächst einmal der
Unterscheidung zwischen Sprache als allgemeiner menschlicher Sprechakt und einer
Sprache als ein bestimmtes, kulturgebundenes System der oralen Kommunikation.
Sprache gilt zum einen als überindividuelle Substanz, die das Denken jedes einzelnen
durch die vorgebene Struktur wie ein kulturelles ,,Muster" prägt - eine These, die
hauptsächlich die Strukturalisten in der Nachfolge von F. de Saussure vertreten. Die
andere Betrachtungsweise, die der Ethno- und Soziolinguisten, sieht den Einzelnen in
seinem Kultur- und Subkulturrahmen als den Schöpfer und Former der Sprache durch
Sprechakte in bestimmten sozialen und ökologischen Zusammenhängen (Koepping
1988:450). Salzman kontrastiert wie folgt:
,,The term language (...) refers to the complex of universally human potentialities for
vocal communication or, simply, to the gift of speech. By contrast, a language refers
to any one of the several thousand systems of oral communication used by different
human societies. Language is a part of human genetic endowment, whereas a (parti-
cular) language must be learned during childhood along with the many nonverbal fa-
cets of the particular culture. In a sense, then, a language is just as culture-bounded
as are the traditional habits and value orientations characteristic of the society whose
members use it." (Salzman 1993:155f.)
Wilhelm von Humboldt (1973:8) definiert den Begriff Sprache als ein Komplement des
Denkens, als ein Bestreben, die äußeren Eindrücke und die noch vagen inneren
Empfindungen zu deutlichen Begriffen zu erheben und diese zur Erzeugung neuer
Begriffe miteinander zu verbinden. Desweiteren bezeichnet er die Sprache als
,,...die sich ewig wiederholende Arbeit des Geistes, den artikulierten Laut zum Ausdruck
des Gedankens fähig zu machen." (Humboldt 1973:36)
2.1.1 Amtssprachen und Minderheitensprachen
Die Unterscheidung von Amtssprachen und Minderheitensprachen ist in Europa bereits
seit Jahrhunderten gebräuchlich. Seit der Gründung der ersten Nationalstaaten
bemühten sich die jeweiligen Herrscher um eine Vereinheitlichung der Sprache, nicht

10
zuletzt um das Staatsvolk überhaupt regieren zu können (Coulmas 1983:8 f.). Unter
einer Amtssprache versteht sich die in der Konstitution festgelegte Sprache, die in allen
Bereichen des öffentlichen Lebens ihre Anwendung findet. Die Festlegung einer solchen
Amtssprache ,,zur Stärkung einheitlichen Nationalcharakters" führt zwangsläufig
Unterminierung anderer Sprachen (Clyne 1997:306), da die Amtssprache in den meisten
Fällen nicht die Muttersprache aller im staatlichen Territorium lebenden Bewohner ist.
Sie dient jedoch als wichtiges Hilfsmittel zur Verständigung innerhalb der einzelnen
ethnischen Gruppen des Landes, sowie als Symbol nationaler Einheit und ist oft die
einzige Sprache, in der die Bevölkerung alphabetisiert wird (DeBernardi 1994:872).
Den Amtssprachen, auch Nationalsprachen genannt, stehen die Minderheitensprachen
bzw. die Regionalsprachen gegenüber. Hierbei ist eine deutliche Unterscheidung
zwischen linguistischen Minderheiten und den Sprechern einer Minderheitensprache
notwendig: Unter einer linguistischen Minderheit versteht sich der Teil einer
Staatsbevölkerung, dessen Muttersprache nicht mit der gesetzlich festgeschriebenen
Amtssprache übereinstimmt. Diese Sprache muß jedoch nicht unbedingt eine
Minderheitensprache sein: Als Beispiel seien hier die frankophonen Kanadier genannt,
die in Kanada eine linguistische Minderheit darstellen, während die französische
Sprache jedoch mit mehr als 75 Millionen Sprechern weltweit nicht als
Minderheitensprache gilt.
Unter dem Terminus `Minderheitensprache' bzw. `Regionalsprache' verstehen sich
diejenigen Sprachen, die in keinem Staat der Welt als Standard- bzw. Nationalsprache
gelten und oftmals nicht einmal als geschriebene Sprachen existieren. Obwohl
zahlreiche Minderheitensprachen weltweit eine hohe Anzahl von Sprechern aufweisen,
werden sie in den meisten Fällen im Staatsleben ignoriert (Coulmas 1983:10). Der
Entschluß für die Verwendung einer Amtssprache und damit gegen eine
Minderheitensprache kann auch aus pragmatischen und ökonomischen Gründen
erfolgen, da den regionalen Sprachen oftmals neben der sozialen auch die finanzielle
Unterstützung für deren offizielle Unterrichtung und Verbreitung seitens der staatlichen
Institutionen versagt wird (DeBernardi 1994:873).

11
2.1.2 Multilingualismus und Diglossie
Als Multilingualismus wird die Koexistenz mehrerer Sprachen innerhalb einer
Gemeinschaft definiert. Clyne (1997:301) unterscheidet hierbei einen ,,offiziellen" von
einem ,,de Facto"- Multilingualismus: Ein offiziell deklarierter multilingualer Staat ist
die Schweiz; während Kanada als Exempel für einen ,,de Facto"- Multilingualismus gilt,
da dort lediglich zwei Sprachen (Englisch und Französisch) offiziell in der Verfassung
festgeschrieben sind und die zahlreichen, darüber hinaus vorhandenen indianischen
Sprachen nicht berücksichtigt werden.
Als Diglossie wird die Existenz zweier, innerhalb einer Gemeinschaft deutlich
voneinander abgegrenzter Varianten einer Sprache bezeichnet, die beide als
Standardsprachen nebeneinander existieren, wobei jede von ihnen eine bestimmte
gesellschaftliche Funktion innehat. So wird häufig die eine Variante für
Alltagsgespräche benutzt, die andere hingegen für besondere Gelegenheiten, wie zum
Beispiel bei formellen Reden. In der Sprachwissenschaft wird die erste Variante
üblicherweise als ,,low" (,,niedrig"; L) und die zweite als ,,high" (,,hoch"; H) bezeichnet.
Die funktionale Unterscheidung zwischen den beiden Kategorien ist meistens eindeutig:
Die H-Varietät wird u. a. bei Vorlesungen, in den Medien, bei Predigten und in der
traditionellen Literatur benutzt. In der Regel wird diese Variante in der Schule gelehrt.
Die L-Variante hingegen findet ihren Gebrauch in Alltagsgesprächen, in Familienserien,
in der Volksdichtung und in anderen umgangssprachlichen Texten. Zu den bekanntesten
Beispielen der Diglossie zählen das Arabische und das Schweizerdeutsch. (Crystal 1995:
43) In Griechenland, China, Haiti und zahlreichen anderen Ländern ist mit der Zeit eine
auf der L-Varietät basierende Standardsprache in den Vordergrund getreten:
,,In Western Europe, the typical diglossic pattern H/L began to be resolved in favour of the
vernaculars even before the Reformation ended in the full triumph of the latter as symbols
of national identity. This process began first in the Atlantic seacoast countries with massi-
fication of participation in commerce, industry and armed service. In Central and Eastern
Europe, however, the domination of former or current sacroclassical languages for serious
writing continued much longer so that German, Russian and finally Italian achieved full
general recognition as vernaculars symbolic of national identity and worthy of governmen-
tal, literary and educated usage only by the eighteenth century." (Fishman 1989:67)
Oftmals gilt in einer durch Diglossie geprägten Gesellschaft die eine oder andere
Varietät als Kennzeichen sozialer Solidarität. Die Diglossie wird immer dann gefährdet,
wenn sich Volksbewegungen, etwa in Bestrebungen nach nationaler Identität, für einen

12
einzigen Standard einsetzen. Argumente für die H-Variante als Standard sind u.a. deren
bisherige Überlegenheit, die Verbindung zur Vergangenheit sowie deren einigende Kraft
in einem System mit verschiedenen regionalen Dialekten. Anhänger der L-Variante
favorisieren eine Standardsprache, die eng mit den persönlichen Gedanken und Gefühlen
der Bevölkerung verknüpft ist (Crystal 1995: 43).
2.2 Ethnizität
2.2.1 Begriffsentwicklung und -diskussion
Obwohl der Begriff ,,ethnicity" in der amerikanischen Sozialanthropologie und
Ethnologie seit den 50er Jahren verwendet wird, datieren sowohl Orywal & Hackstein
als auch Müller die eigentliche Begriffsentstehung und dessen theoretische
Systematisierung in die 60er Jahre dieses Jahrhunderts. Mit dem Begriff ,,Ethnizität",
der ursprünglich als Hilfskriterium zur Auszeichnung und Abgrenzung ethnischer
Einheiten konzipiert wurde, sollte das Phänomen des Entstehens und Weiterbestehens
ethnischer Identitäten in der Zeit einer modernen Nationalstaatlichkeit erklärt werden
(Müller 1988:126; Orywal & Hackstein 1993:593).
Als Grundstein der Ethnizitätsforschung gilt die Arbeit von Glazer und Moynihan, die
das Scheitern der `melting-pot'-Idee
4
hinterfragt, die in den 60er Jahren in den USA
stark favorisiert wurde. Fast zeitgleich wurden in anderen Untersuchungen zum einen
das Phänomen der zunehmenden Revitalisierung ethnischer Identitäten in den
nachkolonialen Nationalstaaten analysiert, sowie die Zunahme interethnischer Konflikte
sowohl in den Staaten der sogenannten `Dritten Welt' als auch in den Industriestaaten.
,,Der Versuch, diese Phänomene zu verstehen und Ursachen für die mangelnde Integrations-
fähigkeit des Nationalismuskonzepts aufzuzeigen, bedingte eine Neudefinition des Begriffs
der `ethnischen Gruppe'. Bis in die 60er Jahre versuchten die Sozialwissenschaften, die
Probleme in den außereuropäischen Regionen bei der Etablierung von Nationalstaaten (na-
tion building) und der dabei notwendigen Integration ethnischer Gruppen mit dem Begriff
des Tribalismus oder des Nativismus zu beschreiben. In überkommenen Traditionen verhaf-
teten Stämmen schrieb man die Unfähigkeit oder den Unwillen zu, sich den modernen Zei-
ten mit Industrialisierung und Bürokratisierung in einer für alle Mitglieder verständ-
lichen, aber auch verbindlichen Nationalkultur anzupassen. (...) In den westlichen National-
staaten hingegen war man der Überzeugung, daß die ethnischen Unterschiede durch die in-
tegrative Kraft des Konzepts der nationalen Gemeinschaft überwunden seien und allenfalls
noch als folkloristische Reminiszenzen weiterbestehen." (Orywal & Hackstein 1993:595)
4 Die Idee von der Überwindung ethnischer Identitäten zugunsten einer gemeinsamen, nationalen US-
amerikanischen Identität

13
Die Begriffe `tribal' und `ethnisch' wurden dabei, sowohl in romantisierender als auch
in herabsetzender Weise, als Synonyme für `unzivilisiert' gebraucht.
Erst in den 70er Jahren bemühten sich Sozialwissenschaftler um eine
Standardisierung der zentralen Begriffe `ethnische Identität', `Ethnizität' und `ethnische
Gruppe'. Bei der Konzipierung des Begriffes Ethnizität unterscheidet Müller (1988:127)
zwischen zwei Perspektiven, sowohl zwischen der strukturellen (objektivistischen)
Konzeption, nach der sich Ethnizität auf die Ebene empirisch faßbarer
Handlungsmuster, Institutionen und sozialer Rollen einer bestimmten ethnischen
Gruppierung beschränkt und durch ,,Eigenschaften" definiert wird, als auch einem
kognitiven (subjektivistischen) Ansatz, der den Begriff ,,ethnische Identität" auf die
Summe kollektiver Denkinhalte reduziert. Hierbei definiert sich Ethnizität durch
,,jeweilige Einstellungen". Beide Ansätze wurden mittlerweile von mehreren
Wissenschaftlern kritisiert, u. a. durch Barth, der darauf verwies, daß Ethnizität nicht auf
rein objektive oder subjektive Merkmale beschränkt werden könne:
,,
Vielmehr sei von der Interaktion struktureller - wie etwa gemeinsame, von anderen Grup-
pen abweichende Handlungsweisen - und kognitiver Faktoren - wie der subjektiven Iden-
titätszuschreibung von Eigen- und Fremdbildern - auszugehen, also von einer syntheti-
schen Zusammenschau beider Komponenten. Plakativ formuliert, umreißt Ethnizität dem-
nach die Gesamtheit der Wesenszüge eines Ethnos, der häufig synonym gebrauchte Be-
griff ,,ethnische Identität" lediglich deren kognitive Aspekte." (Müller 1988:126 f.)
Orywal &
Hackstein (1993:595 f.) unterscheiden diese beiden wissenschaftlichen
Richtungen mit den Begriffen `Primordialisten' und `Situationalisten', wobei sich der
Begriff `primordial' auf die Vorstellung bezieht, daß die in frühester Kindheit
erworbenen Merkmale wie Sprache, Abstammung und Religion die Mitglieder
ethnischer Gruppen unbewußt verbindet und sich auf diese Weise ein entsprechendes
Gruppenverständnis herausbildet. Das wird durch Crystals Aussage ,,Ethnische Identität
definiert sich durch eine Gemeinschaft, in die man durch seine Vorfahren eingebunden
ist" (Crystal 1995:34) unterstützt. Die Anhänger der situationalistischen Richtung
andererseits betonten, daß die Berufung auf gemeinsame Merkmale von der Situation
abhängig ist, in der sich die Mitglieder der Gruppen zum Zeitpunkt des Bestimmens und
Aushandelns ethnischer Grenzen befinden.
So stand dem Determinismus der Primordialisten, die ethnische Gruppen als im
allgemeinen stabile und klar abgrenzbare Einheiten sahen, die Überzeugung der

14
Situationalisten in Form einer flexiblen, kontextabhängigen Grenzziehung und damit
einer dynamischen Definition von Identität und ethnischer Gruppen, gegenüber.
Aus heutiger Sicht lassen sich beide Aspekte durchaus miteinander verbinden, wie die
folgende Definition zeigt:
,,Ethnische Gruppen sind endogame Gruppen, die mittels selektierter Traditionen ein sie
abgrenzendes Selbstverständnis postulieren." (Orywal & Hackstein 1993:598)
2.2.2 Definition des Begriffes Ethnizität
In der heutigen Zeit besteht in der Literatur die grundlegende Übereinstimmung, daß mit
dem Begriff Ethnizität der Prozeß der ethnischen Abgrenzung von Bevölkerungsgruppen
innerhalb von Staaten benannt wird.
Orywal & Hackstein (1993:603) definieren Ethnizität als einen immerwährenden
Prozeß, bei dem das Wissen um den Gegenüber sowie die Zuschreibungen von
Gemeinsamkeiten, Eigenständigkeiten und Andersartigkeiten durch den
Sozialisationsprozeß vermittelt werden, sowie als
,,... Prozeß der ethnischen Abgrenzung in Form der Selbst- und Fremdzuschreibung spe-
zifischer Traditionen." (Orywal & Hackstein 1993:599)
Hierbei dienen die ethnischen Grenzen als Ergebnis eines subjektiven
Selektionsprozesses, d. h. bei Untersuchung ethnischer Grenzziehungen dürfen
ausschließlich diejenigen Elemente in Betracht gezogen werden, die in der Überzeugung
der jeweiligen Akteure als Konstituenten ihres Selbstverständnisses betrachtet werden.
Bei den meisten ethnischen Gruppen ist dies die gemeinsame Geschichte sowie der
Glaube an eine gemeinsame Zukunft. Als weitere wichtige Konstituenten gelten
Sprache, Religion, Deszendenz, Wirtschaftsweise, Physiognomie und Ortsbezug.
Nach Mendoza (1992:65) stellen diese sozialen Wertsysteme immer die kulturelle
Übereinkunft von Gruppen dar, die sich durch bewußte oder unbewußte Präferenzen im
Verhalten ihrer Mitglieder ausdrückt und das gesellschaftliche Miteinander beeinflußt.
Der Auffassung von Heinz (1993:104) zufolge gewinnt der Mensch überhaupt erst seine
soziale Identität und die damit verbundene positive Selbstbewertung durch die
Mitgliedschaft oder die Zuschreibung zu sozialen Gruppen und Kategorien, mit deren

15
Hilfe er sich ein Orientierungssystem schafft, das seinen Platz in der Gesellschaft
definiert. Er betrachtet diese Mitgliedschaft im allgemeinen als zufriedenstellend und
bewertet daher die Gruppe, der er selbst angehört im Vergleich zu anderen positiv. Auch
Fishman erklärt den Terminus Ethnizität durch die Identifikation mit, bzw. die
Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe:
,,Ethnicity is a self-and-other aggregative definitional dimension of culture. It is a dimen-
sion that deals with `us' vs. `them' and `them' vs. `them'. (...) Ethnicity is not usefully de-
finable in terms of units of size and scale. It may be a property of aggregative units as small
as bands, clans or settlements, or it may characterize aggregative units occupying specific
regions in particular countries, i. e. ethnic affilation and political affilation need not to be
identical." (Fishman 1989:5)
,,Ethnicity is rightly understood as an aspect of a collectivity's self-recognition as well as
an aspect of its recognition in the eyes of outsiders." (Fishman 1989:24)
Er betont, daß Ethnizität und Kultur als Gesamtheit nicht synonym sind, wenngleich
Ethnizität als eine Dimension dergleichen gilt, die den Menschen zwar weniger bewußt,
deren Einfluß jedoch durchdringender und allgegenwärtiger als der kulturelle ist.
Fishman (1989:6 f.) kritisiert die noch immer vorherrschende Assoziation des Wortes
Ethnizität mit dem Begriff ,,Minderheitenstatus", die in der gesamten Welt weit
verbreitet ist. Diese Tendenz der Gleichstellung beider Begriffe beruht einerseits auf der
bekannten Benachteiligung ethnischer Minderheiten, andererseits auf dem sich immer
noch in den Köpfen der Menschen befindenden Muster von ,,Ethnizität" als das Fehlen
christlicher Zivilisation. Außerdem verdeutlicht er, daß die Diskussion, ob Ethnizität ein
,,gottgegebener" Status ist oder laufend veränderbar ist, nicht erst seit den sechziger
Jahren dieses Jahrhunderts vorherrscht, sondern bereits bei Plato und Aristoteles
erwähnt wurde, die in ihrer Definition sowohl die eine als auch die andere Auffassung
vertraten:
,,The challenge of ethnicity, as Aristotle saw it, was one of augmenting familial love, ex-
panding the natural links to one's own `kind', so that these links also include others who
are more distantly related, rather than doing away with the initial links as such." (Fish-
man
1989:12)
Ethnizität kann sowohl aus positiver als auch aus negativer Perspektive betrachtet
werden. Fishman bezeichnet die Existenz verschiedener kultureller und linguistischer
Gruppen als positive Ethnizität, deren Bewußtsein den Menschen vom Tier
unterscheidet: Während sich Ethnizität als Darstellung und oftmals unbewußte

16
Glorifizierung der eigenen Authentizität versteht, ist dieses Maß des positiven
Verständnisses der eigenen Gruppe deutlich erhöht.
,,The joys of one's own language and ethnicity are subsequently expressed over and over
again (...). In modern times this feeling has been raised to a general principle, a general
esthetic, a celebration of ethnic and cultural diversity per se, as part of the very multi-
splendored glory of God, a value, a beauty, and source of creative inspiration and inspi-
ring creativity - indeed, as the basic human good. It is claimed that it is ethnic and lingu-
istic diversity that make man human. Absence of this diversity would lead to the dehuma-
nization, mechanization, and utter impoverishment of man. The weakening of this diver-
sity is a cause for alarm, a tendence to be resisted and combatted." (Fishman 1989:15)
Auf der anderen, negativ behafteten Seite, steht die mehr oder minder enge Verbindung
zwischen Ethnizität und Rassismus (Fishman 1989:17 f.). Im Gegensatz zur Ethnizität,
die sich ausschließlich durch Differenz und Authentizität zu anderen Gruppen definiert,
unterliegen die verschiedenen Merkmale beim Rassismus einer durchgängigen
Bewertung, mit anderen Worten: Wird bei der Ethnizität die eigene Gruppe ,,gut"
bewertet, sind die anderen nicht automatisch ,,schlecht". Beim Rassismus hingegen
herrscht eine strenge Hierarchie vor: Nur die eigene Gruppe als ,,gut" bewertet, alle
anderen jedoch als ,,schlecht" oder gar minderwertig, oftmals mit dem Anspruch
verbunden, diese anderen Gruppen zu dominieren oder gar zu eliminieren. Ideen von
sogenannten `Herrenrassen' finden hier ihren Ursprung. Ethnizität hingegen proklamiert
das Prinzip von `leben und leben lassen', wobei natürlich auch hier die Gefahr eines sich
allmählich entwickelnden Ethnozentrismus mit der Vorstellung der eigenen Superiorität
gegenüber anderen Gruppen inhärent ist. Die Grenzen zwischen Ethnizität und
Rassismus sind durchaus fließend, ebenso die zwischen Ethnizität und Nationalismus.
Fishman (1993:xvii) bezeichnet sie als verschiedene, jedoch miteinander verwandte
Phänomene.
Ethnizität kann durch die Existenz moderner demokratischer Staaten sowohl gestärkt
als auch geschwächt werden, da diese Staaten zum einen in ihrer Konstitution allen
Bürgern verschiedener ethnischer Gruppen die gleichen Rechte garantieren, zum
anderen jedoch jegliche ethnischen Divergenzen ignorieren, indem sie alle Bürger in
gleicher Art Weise als `Staatsbürger' erklären (Fishman 1989:16).

17
2.3 Ethnische Minderheiten
In der Sprachregelung der Vereinten Nationen werden als ethnische Minoritäten jene
Gruppen unterschiedlicher kultureller Herkunft bezeichnet, die rechtlich und politisch
innerhalb einer größeren Nation angesiedelt sind und ein Recht auf Schutz gegen
Diskriminierung durch die Mehrheit ihrer Landsleute für sich in Anspruch nehmen
können (Cojtí Cuxil 1997:144).
Mendoza (1992:62 f.) bezeichnet als ethnische Minderheiten kulturell und biologisch
homogene Gruppen, die inmitten einer demographisch stärkeren, von ihnen
differenzierten Bevölkerung angesiedelt sind. Bei der Integration großer Anteile der
Mitglieder einer Minderheitengruppe in die nationale Mehrheitsgesellschaft verliert
diese ihre Identität. Integriert sich diese Gruppe nicht, so sieht sie sich durch ihre
Andersartigkeit, verbunden mit dem Bestreben, diese zu bewahren, inmitten der
Mehrheitsgesellschaft der ständigen Bedrohung ausgesetzt, durch sie benachteiligt oder
gar bedroht zu werden.
3. Die Beziehung zwischen Sprache, Denken und Kultur
Es scheint offensichtlich, daß zwischen Sprache und Denken eine gewisse Beziehung
bestehen muß, da ein Großteil des Denkens durch die Sprache erleichtert wird (Crystal
1995:14). Der Frage, wie eng Sprache und Denken miteinander verbunden sind kann
anhand zweier, extrem verschiedener Positionen nachgegangen werden: Zum einen
existiert eine These, die Sprache und Denken als zwei vollkommen getrennte und
voneinander unabhängige Dinge betrachtet. Die andere Extremposition vertritt die
Auffassung der totalen Einheit von Sprache und Denken, d. h. rationales Denken ist
ohne Sprache überhaupt nicht möglich, und die jeweilige Art der Sprachverwendung
diktiert die Bahnen, in denen der Mensch zu denken in der Lage ist.
Ihren wohl einflußreichsten Ausdruck findet diese Position sowohl in den Schriften
Wilhelm von Humboldts, der - gemäß dem Ansinnen des romantischen Idealismus des
späten 18. Jahrhunderts - die Verschiedenartigkeit der Sprachen und Kulturen der Welt
erforschte und favorisierte, als auch in den Werken des amerikanischen Linguisten
Edward Sapirs und seines Schülers Benjamin Lee Whorf, die die Gedanken Humboldts
aufgriffen und eine These über das Verhältnis zwischen Sprache und Denken

18
formulierten, die bis in die Mitte dieses Jahrhunderts äußerst einflußreich war und noch
heute - wenn auch eingeschränkt - in den Arbeiten der Linguisten heftig diskutiert wird.
3.1 Die Theorien Wilhelm von Humboldts
Der preußische Linguist und Kulturphilosoph Wilhelm von Humboldt (1767 - 1835), u.
a. bekannt wegen seiner richtungsweisenden Reform des allgemeinen Schulwesens im
Geiste des klassischen Bildungsideals, entwarf 1795 einen ,,Plan der vergleichenden
Anthropologie", in dem er sich mit dem Zusammenhang von Volkscharakter und
Sprachbau sowie der Herausbildung der Volkscharaktere in gegenseitiger
Kontrastierung beschäftigte. Stagl (1988:224) bezeichnet ihn als Begründer der
geisteswissenschaftlich-hermeneutischen Methode.
Humboldt vertrat die These, daß die Struktur einer jeweiligen Sprache eng mit der
Gedankenwelt und dem Wissen ihrer Sprecher korreliert. Anhand seiner Studien
verschiedener Sprachen aus aller Welt postulierte er die These, daß linguistische
Differenzen auch zwangsläufig zu kognitiven Differenzen führen. Sprache galt für ihn
als das Werkzeug, mit dessen Hilfe die jeweiligen Sprecher ihre objektive Realität
konzipieren (Bock 1992:248) und nur in ihr zeigen sich die Charaktere der einzelnen
Nationen bzw. sind untrennbar mit ihr verbunden:
,,Die Geisteseigentümlichkeit und die Sprachgestaltung eines Volkes stehen in
solcher Innigkeit der Verschmelzung ineinander, daß, wenn die eine gegeben wäre,
die andre müßte vollständig aus ihr abgeleitet werden. Denn die Intellektualität und die
Sprache gestatten und befördern nur einander gegenseitig zusagende Formen. Die
Sprache ist gleichsam die äußerliche Erscheinung des Geistes der Völker; ihre Sprache
ist ihr Geist und ihr Geist ist ihre Sprache, man kann sich beide nie identisch
genug denken." (Humboldt 1973:32 f.)
Diese Theorie der Einheit von Sprache und Denken manifestiert sich in zahlreichen
Äußerungen Humboldts. Aus seiner Sicht lassen sich alle der im Leben einer Nation
begleitenden Umstände, wie der Wohnort, das Klima, die Religion, die Staatsverfassung,
die Sitten und Gebräuche gewissermaßen von ihr trennen bzw. von ihr absondern. Die
Sprache jedoch ist von anderer Natur, ist ,,der Odem, die Seele der Nation selbst" (ebd.
1973:6) und erscheint grundsätzlich synchron mit dieser, da sich in ihr der Charakter der
Nation ausprägt. Ohne die Sprache als Hilfsmittel zu gebrauchen, wäre jede
Untersuchung über die nationalen Eigenarten vergeblich, da sie nicht nur als

19
Verständigungsvehikel des einzelnen Volkes, sondern als Abdruck des Geistes und der
Weltanschauung der Redenden dient (ebd. 1973:22).
Laut Humboldt nimmt der Mensch die Eindrücke seiner Umwelt in der Form wahr,
die ihm durch die Sprache vorgegeben ist. Kurz gefaßt: Was ein Mensch in seiner
Sprache nicht ausdrücken kann, vermag er auch nicht wahrzunehmen; er ist sozusagen in
seinen gedanklichen Fähigkeiten auf das beschränkt, was ihm die jeweilige Sprache an
Möglichkeiten vorgibt:
,,Jede Sprache setzt dem Geiste derjenigen, welche sie sprechen, gewisse Grenzen, schließt,
insofern sie eine gewisse Richtung gibt, andere aus. (...) Eine zweite Schwierigkeit ist, daß
der Mensch von der Sprache immer in ihrem Kreise gefangen gehalten wird, und keinen
freien Standpunkt außer ihr gewinnen kann." (Humboldt 1973:13 f.)
Die Einsicht in die ,,nationelle Geisteskraft" eines Volkes ist demnach nur über die
Entschlüsselung der Sprache möglich (Humboldt 1973:30 f.). Das Wesen einer Nation
ist eng mit dem der Sprache verknüpft, da nur durch sie, ,,wie die Natur sie gegeben und
die Lage darauf eingewirkt hat", sich der Charakter einer Nation zusammenschließt.
Jedes Individuum wird durch die gemeinsame Ausdrucksweise und dem damit
zusammenhängenden gemeinsamen Weltbild zum Teil des Gesamten:
,,Die Sprache auf der anderen Seite ist das Organ des inneren Seins, dies Sein selbst, wie es
nach und nach zur inneren Erkenntnis und zur Äußerung gelangt. Sie schlägt daher alle
feinste Fibern ihrer Wurzeln in die nationelle Geisteskraft; und je angemessener diese auf
sie zurückwirkt, desto gesetzmäßiger und reicher ist ihre Entwicklung." (Humboldt 1973:31)
Die Sprache gilt für Humboldt (1973:42) nicht nur als bildendes Organ des Gedanken,
sondern auch als Ausdruck der geistigen Charakteristiken einer Nation. Jede Sprache
beinhaltet diese Geistestätigkeit eines Volkes, individuell gleichermaßen wie kollektiv.
Durch sie und die von den Vorfahren überlieferte Sprache definiert die Nation eine
Sprache zu der ihrigen.
Zusammenfassend sind für Humboldt Sprache und ,,Denkkraft"
eines Volkes eins und untrennbar miteinander verbunden.

20
3.2 Die Sapir-Whorf-Hypothese bzw. das ,,linguistische Relativitätsprinzip"
Edward Sapir (1884 - 1939) war Professor für Ethnologie, Linguistik und Psychologie
an der Universität Yale und lehrte dort vor allem über die Zusammenhänge zwischen
Sprache, Kultur und Persönlichkeit (Stagl 1988:413). Zusammen mit seinem Schüler
Benjamin Lee Whorf formulierte er anhand des Vergleiches europäischer
Standardsprachen mit den indianischen Sprachen (insbesondere dem Hopi) einen
Denkansatz, der als ,,Sapir-Whorf-Hypothese" bekannt wurde und zwei Prinzipien
miteinander kombiniert (Crystal 1995:14): Einerseits den als sprachlichen
Determinismus bezeichneten Ansatz, der besagt, daß Sprache die Art und Weise unseres
Denkens bestimmt. Der daraus resultierende zweite Ansatz wird als sprachliche
Relativität bezeichnet und besagt, daß die in einer Sprache kodierten Unterscheidungen
in keiner anderen Sprache auffindbar sind. In einem sehr bekannten Zitat Whorfs wird
diese Auffassung deutlich:
,,Man fand, daß das linguistische System (mit anderen Worten, die Grammatik) jeder Spra-
che nicht nur ein reproduktives Instrument zum Ausdruck von Gedanken ist, sondern viel-
mehr selbst den Gedanken formt, Schema und Anleitung für die geistige Aktivität des Indi-
viduums ist, für die Analyse seiner Eindrücke und für die Synthese dessen, was ihm an
Vorstellungen zur Verfügung steht. Die Formulierung von Gedanken ist kein unabhängiger
Vorgang, der im alten Sinne dieses Wortes rational ist, sondern er ist beeinflußt von der je-
weiligen Grammatik. Er ist daher für verschiedene Grammatiken mehr oder weniger ver-
schieden. Wir gliedern die Natur in Linien auf, die uns durch unsere Muttersprachen vorge-
geben sind. Die Kategorien und Typen, die wir aus der phänomenalen Welt herausheben,
finden wir nicht einfach in ihr - etwa weil sie jedem Beobachter in die Augen springen;
ganz im Gegenteil präsentiert sich die Welt in einem kaleidoskopartigen Strom von Eindrü-
cken, der durch unseren Geist organisiert werden muß - das aber heißt weitgehend: von
dem linguistischen System in unserem Geist. Wie wir die Natur aufgliedern, sie in Begrif-
fen organisieren und ihnen Bedeutungen zuschreiben, das ist weitgehend davon bestimmt,
daß wir an einem Abkommen beteiligt sind, sie in dieser Weise zu organisieren - einem
Abkommen, das für unsere ganze Sprachgemeinschaft gilt und in den Strukturen un-
serer Sprache kodifiziert ist. Dieses Übereinkommen ist natürlich nur ein implizites und
unausgesprochenes, ABER SEIN INHALT IST ABSOLUT OBLIGATORISCH; wir kön-
nen überhaupt nicht sprechen, ohne uns der Ordnung und Klassifikation des Gegebenen
zu unterwerfen, die dieses Übereinkommen vorschreibt." (Whorf 1963:12)
Dieses sogenannte ,,linguistische Relativitätsprinzip" besagt ferner, daß kein Individuum
die Freiheit hat, die Natur mit völliger Unparteilichkeit zu beschreiben, sondern auf
Interpretationsweisen, die durch die Sprache vorgegeben sind, beschränkt ist.
Beobachter gleicher physikalischer Sachverhalte werden nicht automatisch zu einem

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
1999
ISBN (eBook)
9783832481995
ISBN (Paperback)
9783838681993
Dateigröße
1.2 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen – Philosophie
Note
2,0
Schlagworte
ethnologie ethnolinguistik altamerikanistik maya-kultur mittelamerika
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Titel: Die Bedeutung der Sprache hinsichtlich der Ethnizität
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